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Full text of "Lehrbuch der organischen Chemie"

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LEHRBUCH 


DER  l/;^. 


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ORGANISCHEN  CHEMIE 


VON 


VICTOR  MEYER  und  PAUL  JACOBSON, 

PBOFESSOREN  AN  BEB  UNIYEBSITÄT  HEIDELBEBO. 


IN  ZWEI  BANDEN. 


ERSTER   BAND. 

ALLGEMEINER  THEIL.  —  VERBINDUNGEN  DER  FETTREIHE. 

MIT  HOLZSTICHEN  IM  TEXT    UND  EINER   TABELLE. 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  VEIT  &  COMP. 

1893. 


Druck  von  Metsger  A,  Wittig  in  Lelpxig. 


ADOLF  VON  BAEYER, 


DEM  MEISTER  DER  CHEMISCHEN  FORSCHUNG, 


IN  VEREHRUNG  UND  DANKBARKEIT 


ZUGEEIGNET 


VON  DEN  VERFASSERN. 


Vorwort. 

Das  Lehrbuch  der  organischen  Chemie,  dessen  ersten  Band  wir 
hiermit  der  Oeffentlichkeit  übergeben,  macht  nicht  auf  Vollständigkeit 
in  dem  Sinne  Anspruch,  dass  jede  einzelne  bekannte  Verbindung  auf- 
geführt werden  soll.  Andererseits  soll  es  sich  von  dem  Lapidarstyl  der 
kürzeren  Compendien  fernhalten,  die  das  Wichtigste  in  kürzester  Form 
bringen  und  wesentlich  den  Zweck  verfolgen,  den  Studirenden  als  Hülfs- 
mittel  ftU*  das  Nacharbeiten  der  Vorlesungen  und  für  Repetitionen  zu 
dienen.  Es  ist  in  erster  Linie  für  die  Leetüre  bestimmt;  der  Leser  soll 
durch  eine  ausführliche  Darlegung  des  heutigen  Standes  der  organischen 
Chemie  mit  dem  bisher  Erreichten  vertraut  gemacht  und  befähigt  werden, 
der  weiteren  Entwickelung  unserer  Wissenschaft  zu  folgen. 

Um  die  bei  der  Leetüre  störende  Beladung  des  Textes  mit  Zahlen 
zu  vermeiden,  sind  die  Glieder  einer  Gruppe,  wo  es  irgend  angeht,  in 
Tabellen  zusammengestellt,  in  denen  man  ihre  Formeln,  ihre  wichtigsten 
physikalischen  Constanten  und  Literaturnachweise  findet.  Auf  möglichst 
vollständige  Anführung  der  Originalliteratur  ist  besonderer  Werth  gelegt, 
um  dem  Leser  die  Möglichkeit  zu  bieten,  die  Angaben  des  Buches  zu 
prüfen  und  zu  ergänzen. 

Da  unser  Buch  die  Einführung  in  die  chemische  Forschung  unserer 
Tage  bezweckt,  so  mussten  auch  die  neuesten  Anschauungen  weitgehende 
Berücksichtigung  finden.  Die  stereochemische  Theorie  ist  daher  überall, 
wo  sich  Gelegenheit  bot,  für  die  Erklärung  der  Beobachtungen  heran- 
gezogen; ihre  Consequenzen  für  die  einzelnen  Fälle  sind  ausführlich 
entwickelt  und  an  dem  Thatsachenmaterial  geprüft.  Wir  hoffen,  dass 
diese  systematische  Anwendung  der  neuen  Lehre,  die  hier  wohl  für 
ein  ausführliches  Lehrbuch  zum  ersten  Mal  durchgeführt  wird,  ihr  neue 
Freunde  erwerben  wird.  Aber  wir  sind  andererseits  auch  bemüht  ge- 
wesen, den  Bedenken,  die  von  gegnerischer  Seite  geäussert  sind,  ihr 
Becht  zu  lassen  und  den  Leser  zu  eigener  Kritik  anzuregen. 

Die  Verbindungen,  welche  für  das  praktische  Leben  Bedeutung  er- 
langt haben,  sind  besonders  hervorgehoben;  ihre  Gewinnung  und  ihre 
Verwendung  sind  so  eingehend  beschrieben,  wie  es  uns  für  ein  allge- 
meines, nicht  speciell  technisches  Lehrbuch  angängig  erschien.  Um  in 
dieser  Beziehung  nichts  Veraltetes  zu  bringen,  haben  wir  fast  alle  auf 


Yl  Vorw&i't 


die  chemische  Industrie  bezüglichen  Abschnitte  Fachgenossen  aus  der 
Technik  zur  Revision  vorgelegt.  Wir  sind  diesen  Herren  für  die  Bereit- 
willigkeit, mit  der  sie  die  Durchsicht  tibernahmen,  für  manche  Berich- 
tigung und  für  werthvolle  Zusätze  zu  grossem  Dank  verpflichtet. 

Auch  die  Hülfe  unserer  CoUegen  im  Lehrfach  haben  wir  zuweilen 
in  Anspruch  genommen  und  uns  in  Einzelheiten  —  namentlich  für  Fragen 
aus  den  Grenzgebieten,  die  unserem  eigenen  Arbeitsfelde  femer  liegen, 
—  Rath  von  ihnen  erbeten. 

In  dieser  Weise  sind  wir  von  den  Herren: 
K,  AuwERs  (Heidelberg),  A.  v.  Baeyeb  (München),  E.  Bambebgeb 
(Zürich),  A.  Bannow  (Berlin),  H.  Byk  (Berlin),  H.  Cabo  (Mann- 
heim), L.  Gattebmann  (Heidelberg),  C.  Glaseb  (Ludwigshafen), 
P.W.  HoFMANN  (Ludwigshafen),  A.  Horstmann  (Heidelberg),  B.  JAEFfi 
(Berlin),  L.  Koch  (Heidelberg),  W.  Kuehne  (Heidelberg),  H.  Kun- 
HEiM  (Berlin),  J.  Lichtenbebgeb  (Andernach),  E.  v.  Lippmann 
(Halle),  W.  V.  Schbödeb  (Heidelberg),  R.  Theodob  (Bingen), 
H.  Trommsdobf  (Heidelberg),  E.  Wülfeng  (Tübingen),  G.  Zimmer- 
mann (Martinikenfelde  bei  Berlin) 
unterstützt  worden.  Allen  diesen  Herren  danken  wir  an  dieser  Stelle 
nochmals  für  die  uns  ertheilten  Rathschläge  und  Auskünfte. 

Die  Literatur  haben  wir  möglichst  bis  zur  Zeit  der  Drucklegung 
der  einzelnen  Bogen  berücksichtigt.  Die  ersten  einundzwanzig  Bogen 
(S.  1—336)  sind  in  der  Zeit  vom  August  1890  bis  October  1890,  der 
zweiundzwanzigste  bis  sechsunddreissigste  Bogen  (S.  337 — 576)  ist  vom 
Mai  1891  bis  August  1891,  der  Schluss  (von  S.  577  ab)  vom  October 
1892  bis  Mai  1893  gedruckt  worden. 

Die  von  dem  Genfer  Congress  1892  gefassten  Beschlüsse  über  die 
Reform  der  Nomenclatur  sind  in  einem  Anhang  besprochen.  Ihre  Durch- 
führung im  Texte  war  nicht  möglich,  da  ein  grosser  Theil  unseres 
Buches  bereits  vor  dem  Genfer  Congress  erschienen  war,  und  da  die 
bisher  vereinbarten  Regeln  überhaupt  noch  längst  nicht  fllr  die  Benennung 
aller  Verbindungen  ausreichen. 

Für  alle  Berichtigungen  und  Ausstellungen,  die  uns  aus  unserem 
Leserkreise  zugehen,  werden  wir  dankbar  sein. 

Heidelberg,  im  Mai  1893. 

Victor  Meyer. 
Paul  Jacobson. 


Inhalt. 


Seite 

Einleitung 1—6 

(Die   Gründe    der   Scheidung   zwischen   anorganischer    und    organischer 
Chemie.  —  Inhalt,  Aufgaben  und  Ziele  der  organischen  Chemie.) 

Allgemeiner  Thell. 

Erstes  Kapitel.  Die  Ermittelung  der  empirischen  Zusammensetzung 
Ton  organischen  Yerbindungen. 

I.    Qualitative  Analyse 7 

Prüfung  auf  Kohlenstoff  7,  auf  Wasserstoff  8,  auf  Stickstoff  8,  auf  Halo- 
gene 9,  auf  Schwefel  9,  auf  andere  Elemente  10. 

IT.    Quantitative  Elementaranalyse 10 

Bestimmung  von  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  10,  von  Stickstoff  19,  von 
Halogenen  und  Schwefel  23,  von  anderen  Metalloiden  oder  Metallen 
26,  von  Sauerstoff  27.  —  Berechnung  der  Formel  aus  den  Analysen- 
zahlen 27. 

in.    Ermittelung  der  Moleculargrösse 29 

Theorie  der  Moleculargewichtsbestimmung  29.  —  Methoden  der  Dampf- 
dichtebestimmung 36.  —  Bestimmung  der  Gefrierpunktsemiedrigung 
47.  —  Bestimmung  der  Dampfdruckverminderung  bezw.  Siedepunkts- 
erhöhung 50. 

Zweites  Kapitel.  Die  Ermittelung  der  rationellen  Zusammensetzung 
von  organischen  Yerbindungen. 

Aeltere  AufTassungsweisen  (Radicaltheorie,  Typentheorie) 52 

Atom  Verkettungstheorie 56 

Constitution  der  Alkohole,  Aether,  Carbonsäuren,  Aldehyde,  Ketone  .    .      62 
Zusammenhang   zwischen   physikalischen  Eigenschaften    und    chemischer 

Constitution 73 

R&umliche  Configuration  der  Molecüle  (stereochemische  Theorien)  ...       74 

Drittes  Kapitel.  Die  Principien,  welche  für  die  Systematik  der  organi- 
schen Yerbindungen  in  Betracht  kommen. 

Offene  und  geschlossene  Ketten 89 

Hauptklassen  der  organischen  Verbindungen 92 

Homologie 93 

Classificirung  nach  der  Werthigkeit  und  nach  dem  Sättigungsgrade     .     .  94 

Viertes  Kapitel.  Die  gebrXuehlichsten  Operationen,  welche  bei  der  Bar- 
stellung und  Untersuchung  organischer  Yerbindungen  auszu- 
fflhren  sind. 

Erhitzen  von  Substanzen  mit  einander 98 

Destillation 101 

Filtration 108 

Extraction 110 


Yin  Inhalt 

Seite 

Krystallisation  und  Trocknung 111 

Bestimmung  des  Schmelzpunktes 114 

Bestimmung  des  Siedepunktes 116 

Thermometerprüfung 117 

Bestimmung  des  specifischen  Gewichts IIB 


Specieller  Theil. 
Erstes  Buch.    Die  Verbindungen  der  Fettreihe. 

A.  Die  Grenzkohlenwasserstoffe  und  ihre  einwerthigen 

Abkömmlinge. 

£rstes  Kapitel.    Die  Grenzkohlenvasserstoffe  oder  Paraffine  (CqHsq^,). 

(Tabelle:  S.  128.) 

Zusammensetzung,  Nomenclatur,  Constitution 121 

Vorkommen  und  Entstehungsweisen 123 

Allgemeine  Charakteristik 127 

Die  einzelnen  Glieder 130 

Methan  130.  —  Aethan   132.  — •  Propan  bis  Heptan  133.  —  Höhere 

Paraffine  134. 
Industrielle  Gewinnung  und  Verwerthung  der  Paraffine 135 

Erdöl,  Petroleum  etc.  135.  —  Paraffinindustrie  138.  —  Ozokerit  139. 

Zweites  Kapitel.    Die  einwerthigen  Alkohole  der  Grenzreihe  CnH,n^i(OH). 

(Tabellen:  S.  149,  150,  158.) 

Zusammensetzung,  Constitution,  Eintheilung,  Nomenclatur 140 

Vorkommen  und  Entstehungsweisen 142 

Allgemeine  Charakteristik 148 

Die  einzelnen  Glieder 154 

Methylalkohol  154.  —  Aethylalkohol  155.  —  Propylalkohole  160.  — 
Butylalkohole  162.  —  Amylalkohole  163.  —  Hexylalkohole  166.  — 
Heptylalkohole  und  Octylalkoholc  167.  —  Höhere  Alkohole  168. 

Industrielle  Gewinnung  und  Verwerthung  der  Grenzalkohole 169 

Holzgeist  169.  —  Spiritusbrennerei  170. 

Drittes  Kapitel.    Alk jlTerbindnngen ,  deren  Alkjlrest  an  Halogenatome 
oder  an  Sauerstoff  gebunden  ist. 

(Tabellen:  S.  184,  193,  208.) 

I.    Halogenalkyle  CnH,„+iCl,  CnHjn+iBr,  CnHjn^jJ 180 

Bildungsweisen  180.  —  Allgemeine  Charakteristik  183.  ^  Einzelne  Glie- 
der 187.  —  Fluoralkyle  189. 

II.    Einfache  und  gemischte  Alkyläther  CuH^n^aO 189 

Zusammensetzung,  Constitution  und  Isomerien  189.  —  Bild ungs weisen 
190.  —  Allgemeine  Charakteristik  192.  —  Einzelne  Glieder  194. 

111.    Alkylester  der  Mineralsäuren 198 

Zusammensetzung,  Constitution  und  Eintheilung  198.  —  Bildungs weisen 
199.  —  Allgemeine  Charakteristik  200.  —  Ester  der  unterchlorigen 
Säure  200,  der  Üeberchlorsäure  201,  der  schwefligen  Säure  201,  der 
selenigen  Säure  202,  der  Schwefelsäure  202,  der  Selensäure  205,  der 
untersalpetrigen  Säure  (Diazoäthoxan)  205,  der  salpetrigen  Säure  206, 


Inhalt,  IX 

Seite 

der  Salpetersäure  207,  der  phosphorigen  Säure,  Unterphosphorsäure 
und  Phosphorsäure  209,  der  arsenigen  Säure  und  Arsensäure  210,  der 
Borsäure  und  Kieselsäure  210. 

Viertes  Kapitel.    AlkylTerbindungen,  deren  Alkjlrest  an  Sehwefel  (Selen 
oder  Tellur)  gebunden  ist* 

(Tabelle:  S.  221.) 

Uebersicht  über  die  schwefelhaltigen  Verbindungstypen 211 

1.  Mercaptane  oder  Alkylsulfhydrate,  Thioalkohole  CnHjn^i-SH    ....  213 

Bildungsweisen  213.  —  Allgemeine  Charakteristik  214.  —  Einzelne  Glie- 
der 215. 

2.  Alkylsnlfide  oder  Thioäther  (CnHjn+i),S 216 

3.  Sulfinverbindungen 217 

4.  Disulfide  und  Polysulfide 219 

5.  Sulfoxyde  und  Sulfone 220 

6.  Sulfoeäuren  und  Thiosulfosäuren 222 

7.  Alkylthioschwefelsäuren  C^Hsn+iSSOsH 225 

8.  Alkylsulfinsäuren  CnH,n4.i.S0,H 225 

Selen-  und  Tellurverbindungen 226 

Fünftes  Kapitel.    AlkylTerbindnngen,  deren  Alkylrest  an  Stickstoff  ge- 
bunden ist. 

(Tabelle  für  Amine:  S.  237.) 

Uebersicht   über   die   wichtigsten   Verbindungsformen   mit   an   Stickstoff 
gebunden  Alkylresten 227 

1.  Alkylamine  CnHjn+gN 229 

Entstehungsweisen  und  Darstellungsmethoden  229.  —  Allgemeine 
Charakteristik  236.  —  Die  einzelnen  Glieder  241. 

2.  Quatemäre  Ammoniumverbindungen 245 

3.  Hydrazine  und  Tetrazone 247 

4.  Alkylderivate  des  Hydroxylamins 249 

5.  Carbylamine  (Isonitrile,  Isocyanide)  CnH2„^.i-NC    . 251 

6.  Alkylnitro Verbindungen  (Nitroparaffine)  CnHgn^i-NOj 253 

Entstehung  und  Constitution  253.  —  Allgemeine  Charakteristik  254.  — 
Einzelne  Glieder  260. 

Sechstes  Kapitel.    Verbindungen  der  Alkylreste  mit  den  übrigen  Metal- 
loYden. 

(Tabelle  für  Phosphine:  S.  264.) 

1.  Verbindungen  des  Phosphors 260 

Phosphine  und  quatemäre  Phosphonium Verbindungen  260.  —  Phosphin- 
säuren  und  Phosphinoxyde  264. 

2.  Verbindungen  des  Arsens 266 

Dialkylverbindungen  (Kakodyl Verbindungen)  267.  —  Monalkylderivate 
270.  —  Tri-  und  Tetraalkylderivate  270. 
8.    Verbindungen  des  Antimons 272 

4.  Alkyl Verbindungen  des  Wismuths 273 

5.  Alkylverbindungen  des  Bors 274 

6.  Verbindungen  der  Alkylradicale  mit  den  Elementen  der  Siliciumgruppe .     274 

Verbindungen  des  Siliciums  274,  des  Germaniums  277,   des  Zinns  278. 

Siebentes  Kapitel.    J>ie  Verbindungen  der  Alkylreste  mit  den  Metallen. 

(Tabelle  für  Zinkalkyle :  S.  284.) 
1.   Verbindungen  der  Alkalimetalle 282 


X  Inhalt. 

Seite 
2.   Verbindungen  mit  den  Metallen  der  Magnesiumgruppe 283 

Verbindungen  des  Berylliums  283,  des  Magnesiums  283,  des  Zinks  283, 

des  Cadmiums  285,  des  Quecksilbers  285. 
8.   Verbindungen  mit  den  Metallen  der  Aluminiumgruppe 288 

Verbindungen  des  Aluminiums  288,  des  Thalliums  288. 
4.    Verbindungen  des  Bleis 289 

Achtes  Kapitel.  Uebergangr  zu  den  CarbonsSuren,  Aldehyden  und  Ketonen. 
Die  Alkylejanide  oder  Nitiile  der  FettsBnren  CnH2Q4.i-CN. 

(Tabelle:  S.  296.) 

Nomenclatur  und  Constitution  der  Nitrile 292 

Entstehungsweisen 293 

Allgemeine  Charakteristik 295 

Neuntes  Kapitel.    Die  gestttti^rten  einbasiselien  Carbonsftnren  oder  Fett- 
sSnren  CnH^nOj. 

(Tabellen:  S.  312,  320.) 

Zusammensetzung,  Nomenclatur,  Constitution,  Isomerien 301 

Vorkommen  und  Entstehungsweisen 305 

Allgemeine  Charakteristik 310 

Die  einzelnen  Glieder 313 

Ameisensäure  313.  —  Elssigsäure  319.  —  Propionsäure  324.  —  Butter- 
säuren 325.  —  Valeriansäuren  329.  —  Capronsäure  332.  —  Oenanthyl- 
säure  bis  Pelargonsäure  333.  —  Caprinsäure  334.  —  Laurinsäure, 
Myristinsäure,  Palmitinsäure  und  Stearinsäure  336.  —  Margarinsäure, 
Daturinsäure,  Arachinsäure,  Behensäure,  Lignocerinsäure,  Hyänasäure, 
Cerotinsäure  338.  —  Melissinsäure,  Dicetylessigsäure  339. 

Indastrielle  Bedeutung  und  Gewinnung  der  Fettsäuren 339 

Gährungsessig  840.  — "  Holzessig  343. 

Zehntes  Kapitel.    Berirate  der  Fettsttnren. 

(Tabellen:  S.  352,  359,  360,  369.) 

Uebersicht  über  die  Säurederivate 344 

I.   Halogenide  der  Säureradieale 346 

Chloride  346.  —  Bromide  349.  —  Jodide  350. 

n.    Säureanhydride 350 

Bildungsweisen  350.  —  Allgemeine  Charakteristik  351.  —  Superoxyde 
der  Säureradieale  354. 

III.  Alkylester  der  Fettsäuren 354 

Bildungsweise  und  Darstellungsmethoden  354.  —  Allgemeine  Charak- 
teristik 357.  —  Einzelne  Glieder  360.  —  Wachsarten  361.  —  Ortho- 
alkylester  der  Fettsäuren  362. 

IV.  Thiosäuren 363 

V.   Amide  der  Fettsäuren 365 

BUdungswcisen  der  primären  Säureamide  und  ihrer  Alkylderivate  366.  — 
Allgemeine  Charakteristik  368.  —  Secundäre  und  tertiäre  Amide  372. 

VI.   Amidchloride,  Imidchloride,  Imidoäther,  Thioamide 373 

Vn.    Amidine  und  Amidoxime 376 

Elftes  Kapitel.    Die  gesSttigten  Aldehyde  nnd  Ketone. 

(Tabellen:  S.  398,  412,  413.) 

Constitution  und  Nomenclatur 380 

Gemeinschaftliche  Bildungsweisen  für  Aldehyde  und  Ketone       ....    383 
Weitere  Bildungsweisen  für  Ketone       885 


Inhalt  XI 

Seite 

Allgemeine  Eigenschaften  der  Aldehyde  und  Ketone 386 

Allgemeine  Reactionen,  welche  sowohl  den  Aldehyden  wie  Ketonen  zu- 
kommen,      887 

Verbindungen  mit  Natriumdisulfit  387.  —  Oxime  389.  —  Hydrazone  892. 

Speciellere  Charakteristik  der  Aldehyde 392 

Einzelne  Aldehyde 897 

Formaldehyd  397.  —  Acetaldehyd  404.  —  Oenanthol  408. 

Speciellere  Charakteristik  der  Ketone 409 

Einzelne  Ketone 411 

Aceton  414.  —  Methylnonylketon  419.  —  Pinakoline  419. 

Thioaldehyde,  Thioketone  und  ihre  Derivate 420 

Thioformaldehyd  423.  --  Thioacetaldehyd  424.  —  Thioacetone  425. 

B.    Die  ungesättigten  Kohlenwasserstoffe  und  ihre 

einwerthigen  Abkömmlinge. 

Zwölftes  Kapitel.    Allgemeines  über  die  Constitution  der  nngesKttigrten 
Yerbindungren. 

Begründung  der  Annahme  mehrfacher  Bindung  in  den  ungesättigten  Ver- 
bindungen   427 

Isomerie  bei  ungesättigten  Kohlenwasserstoffen 430 

Das  Wesen  der  mehrfachen  Bindung 482 

Dreizehntes  Kapitel.    Die  nnfesBttigrten  Kohlenwasserstoffe. 

(Tabellen:  S.  441,  461.) 

I.    Die  Kohlenwasserstoffe  CqHiq.    Alkylene 436 

Zusammensetzung  und  Nomenclatur  436.  —  Entstehungsweisen  437.  — 
Allgemeine  Charakteristik  441.  —  Aethylen  446 ,  Propjlen  und  Bu- 
tylene  447,  Amylene  449,  höhere  ^Ikylene  452. 

II.    Die  Kohlenwasserstoffe  CnHjn_,.    Acetylenreihe 453 

Acetylen  453.  —  Homologe  des  Acetylens  ( -  .  .  inreihe)  458.  —  Kohlen- 
wasserstoffe mit  zwei  Doppelbindungen  (  .  .  .  dienreihe)  463.  — 
Isopren  466. 

m.   Wasserstoffärmere  Kohlenwasserstoffe 466 

Diacetylen,  Dipropargyl  467.  —  Dimethyldiacetylen  468. 

Vierzehntes  Kapitel.    Einwertliige  ungesättigte  HalogenderiTate. 

(Tabelle  für  Propylenderivate :  S.  472.) 
L   Monohalogenderivate  der  Aethylenkohlenwasserstoffe  CnH2n_iCl(Br,  J)   .    468 

Vinylhalogene  471.  —  Monohalogenderivate  des  Propylens  472. 
n.   Monohalogenderivate  der  Acetylenkohlen Wasserstoffe 473 

Derivate  des  Acetylens  473.  —  Derivate  des  AUylens  474. 

Fünfzehntes  Kapitel.    Einwerthige  ungesättigte  Allcohole  und  ihre  Ab- 
Ummlinge. 

(Tabelle  für  Allylderivate :  S.  482.) 

I.    Alkohole  von  der  Zusammensetzung  CnHjn_i(OH) 476 

Vinylalkohol  476.  —  Derivate  des  Vinylalkohols  477.  —  Allylalkohol 
479.  —Derivate  des  Allylalkohols  481.  --  Isopropenylalkohol  483.  — 
Höhere  Alkohole  488. 

IL    Alkohole  von  der  Zusammensetzung  CnH,n_g(OH)     • 483 

Propargylalkohol  483.  —  Alkohole  mit  zwei  Doppelbindungen  (Gera- 
niol)  485. 


XII  Inhalt 

Seite 

Sechzehntes  Kapitel    Einbftsisehe  nngresSttigrte  Säuren. 

L   Säuren  CnHjn_jO,  (Akiylsäure-  oder  Oelsäurereihe)        487 

BildungB weisen  487.  —  Isomeriefälle  491.  —  Allgemeine  Charakteristik 
492.  —  Akrjlsfture  495,  Crotonsäoren  496,  Methakrylsäure  504,  normale 
Säuren  CsHgO,  505,  Angelicasäure  und  Tiglinsäure  505,  Säuren  CeHioO, 
bis  CioHigOt  507,  Undecylensäure  509,  Oelsäure  511,  Elaidinsäure  und 
Isodlsäure  513,  Erucasäure  und  Brassidinsäure  514. 

II.   Säuren  CnH,n_40,  (Propiolsäurereihe) 515 

Propiolsäure  516.  -—  Tetrolsäure  etc.  517.  —  Sorbinsäure,  Diallylessig: 
säure  518.  —  Undecolsäure,  Stearolsäure,  Behenolsäure  519.  —  Trock- 
nende Oelsäuren  520. 

Siebzehntes  Kapitel.    Elnirerthige  ungesättigte  Aldehyde  und  Ketone* 

(Tabelle:  S.  528.) 

•   A.   Ungesättigte  Aldehyde 521 

Akrolei'n  522.    —   Homologe  des  AkroleYns  (Crotonaldehyd  etc.)  525. 

—  Citronellaldehyd,  Geranial  529. 

B.   Ungesättigte  Ketone 529 

Mesityloxyd   und   Phoron   580.    —   Homologe  des  Mesitylozyds  531. 

—  Allylaceton  und  Diallylaceton  531. 

C.  Die  mehrwerthigen  Verbindungen. 

Achtzehntes  Kapitel.   Elnthellung  und  Nomenclatnr  der  mehrwerthigen 
Terbindungen. 

Uebersicht  über  die  mehrwerthigen  Verbindungen 583 

Nomenclatur  der  mehrwerthigen  Verbindungen 534 

Neunzehntes  Kapitel.    Mehrwerthige  HalogenderiTate. 

(Tabellen:*  S.  536,  546.) 

I.    Mehrwerthige  Halogenderivate  des  Methans 535 

Dihalogenverbindungen  CHgX,  535.    —    Chloroform  537,  Bromoform 
und  Jodoform  540.  —  Tetrahalogenderivate  OX4  541. 
II.    Dihalogenderivate  des  Aethans  und  seiner  Homologen  CqH^qCI,      .     .    .     543 
Verbindungen  vom  Typus  des  Aethylidenchlorids  und  Chloracetols  543. 

—  Verbindungen  vom  Typus  des  Aethylenchlorids  545.  —  Verbindungen 
vom  Typus  des  Trimetiiylenchlorids  550. 

HL   Dihalogenderivate  der  ungesättigten  Kohlenwasserstoffe 552 

IV.   Trihalogenderivate 553 

V.   Polyhalogenderivate 555 

Zwanzigstes  Kapitel.    Zweiwerthige  Alkohole  und  Mereaptane  und  ihre 
Derivate. 

(Tabelle  iwc  Acetale:  S.  560.) 
I.    Acetale  und  ihnen  entsprechende  Säurederivate  B<OH(0-R^)t     ....     559 
II.   Aethylenglykol  und  seine  eigentlichen  Homologen  (a-Glykole)    .    .    .     .     561 
Bildungsweisen  561.  —  Allgemeine  Charakteristik  562.  —  Aethylenglykol 
566,  Aethylenoxyd  und  Polyäthylenalkohole  567,  Propylenglykol  und 
Pinakon  568. 
III.    Glykole,  deren  Hydroxylgruppen  an  zwei  von  einander  getrennten  Kohlen- 

stofiatomen  haften 569 

Trimethylenglykol  und  andere  /^-Glykole  569.  —  /-  und  d-Glykole  570. 

—  Coccerylalkohol  571. 


Inkalt  xin 

Seite 

IV.   Zweiwerthige  Schwefel yerbiodungcii 571 

Mercaptale  und  Mercaptole  572,  Sulfonal  573.  —  Thioäthylenglykol  574. 

—  Zweiwerthige  Sulfosäurcn  576.  —  Halbgeschwefelte  Gljkole  und 
Oxysnlfos&aren  576,  leäthionsäure  577. 

Einund zwanzigstes  Kapitel.    Dreiwerthlgre  Alkohole. 

(Tabellen:  S.  587,  594.) 

Glycerin 579 

Abkömmlinge  des  Glycerins 583 

Alkoholate  583.  —  Aether  584.  —  Ester  584,  Nitroglycerin  585,  Fett- 
säureester 586.  —  Natürliche  Fette  588.  —  Lecithine  589.  —  Glycid- 
verbindungen  590. 

Höhere  dreiwerthige  Alkohole 591 

Technologie  der  Fette  und  Oele 592 

Fettanalyse  593.  —  Stearinkerzenfabrikation  595. —  Seifengewinnung  597. 

—  Glycerinfabrikation  598.  —  Dynamit  600,  Sprenggelatine  und  Gela- 
tinedynamit 601. 

Zweiundzwanzigstes  Kapitel.    HSherwerthige  Alkohole. 

Vierwerthige  Alkohole 603 

Erythrit  603.  —  Pentaerythrit,  Hexylerythrite  und  Octylerythrite  605. 

Fünfwerthige  Alkohole 605 

Sechswerthlge  Alkohole 606 

Mannnite  607.  —  Sorbite  610.  —  Dulcit  610.  —  Rhamnohexit  611. 
Sieben-  bis  nennwerthige  Alkohole 611 

Dreiundzwanzigstes  Kapitel.  Yerbindungen,  welehe  zugleleh  Halogen- 
atome und  Hydroxylgruppen  enthalten,  und  Ihre  DeriTat«. 

Halogenderivate  der  Aether  und  Ester 612 

Halogenhydrine 614 

Bildungsweisen  614.  —  Verhalten  615.  —  Halogenhydrine  des  Aethylen- 
glykols  616,  des  Glycerins  616,  des  Erythrits  und  Mannits  619. 

Halogensubstitutionsprodukte  der  Alkohole,  welche  an  ein  KohlenstofiPatom 
mehrere  Halogenatome  gebunden  enthalten 620 

Halogenderivate  der  Mercaptane  und  anderer  Schwefelverbindungen   .     .    621 

Yierundzwanzigstes  Kapitel.  Mehrwerthige  Nitro-  und  AmidoTerbin- 
dungen.  Yerblndungen ,  welehe  neben  Nitro-  bezw.  Amldo- 
grnppen  Halogenatome  oder  Hydroxylgruppen  enthalten. 

Mehrwerthige  Nitroverbindungen 621 

Dinitroderivate  der  Grenzkohlen  Wasserstoffe  621.  —  Trinitromethan  623. 

—  Trinitrofithan,  Tetranitromethan  624. 

Halogennitroverbindungen 624 

Nitrohydrozylverbindungen 625 

Mehrwerthige  Amine 625 

Entstehungsweisen  625.  —  Charakteristik  627.  —  Einzelne  Glieder  629. 

Halogenderivate  der  Amine 630 

Amidohydrozylverbindungen 633 

Bildnngsweisen  633.    —    Oxyäthylamin,  Cholin  634.   —    Homocholin, 

Aposepin  635.  —  Isomuscarin,  Diamidohydrin  636. 
Amidomereaptane  und  Amidosulfosäuren 636 

Fünfundzwanzigstes Kapitel.  JDle gesSttfgten Dicarbonsauren CqHsq_,04. 

(Tabellen:  S.  647,  656,  671,  676.) 
Allgemeines 637 


XIV  Inhalt. 

Seit« 
Eintheilung  637.  —  Eigenschaften  639.  —  Dissociationsconstanten  640.  — 
Derivate  641.  —  Anhydrid-  und  Imidbildung  642. 

I.    Oxalsäure 644 

II.   Malonsäure  und  ihre  Homologen 649 

III.  Bemsteinsäure  und  ihre  Homologen 657 

IV.  Glutarsfiure  und  ihre  Homologen 672 

y.   Die  Säuren,  deren  Carboxyle  durch  mehr  ala  drei  Kohlenstoffatome  von 

einander  getrennt  sind 675 

Adipinsäure  675.  —  Pimelinsäure,  Korksäure  677.  —  Azelainsäure,  Sebacin- 
säure,  Dekamethylendicarbonsäure  678.  —  Brassylsäure  etc.  679. 

Sechsundzwanzigstes  Kapitel.    Die  angesSttigten  DicarbonsSuren. 

(Tabelle:  S.  692.) 

I.   Dicarbonsäuren  mit  einer  Doppelbindung  CnH,n_404 679 

^-Dicarbonsäuren  (Methylcnmalonsäure,  Aethylidenmalonsäure,  Allyl- 
malonsäure)  679.  —  /-Dicarbonsäuren  680  (Fumar-  und  Male'fnsäure  680, 
Itaconsäure,  Citraconsäure  und  Mesaconsäure  689,  Homologe  derselben 
690).  —  Dicarbonsäuren  mit  entfernteren  Carboxylgruppen  (Glutacon- 
säure,  Hydromuconsäuren)  695. 
II.   Dicarbonsäuren  mit  zwei  Doppelbindungen 696 

III.  Dicarbonsäuren  mit  dreifachen  Bindungen 697 

Siebenundzwanzigstes  Kapitel.  TricarbonsSuren,Tetraearbonsäareii  etc. 

I.   Gesättigte  Tricarbonsäuren 698 

Methantricarbonsäuro  698. —  Aethantricarbonsäuren  699. — IVicarballyl- 
säure  700.  —  Butantricarbonsäuren  702.  —  Pentantricarbonsäure  703. 

II.   Ungesättigte  Tricarbonsäuren 703 

in.   Tetracarbonsäuren 704 

IV.  Pentacarbonsäuren 708 

Achtundzwanzigstes  Kapitel.    Halogenderivate  der  CarbonsSuren. 

(Tabelle:  S.  717.) 
Allgemeines  über  Bildung  und  Verhalten  halogenirter  Carbonsäuren   .     .     709 

I.   Halogenderivate  der  Fettsäuren 714 

Halogenderivate  der  Essigsäure  714.  —  Monohalogenderivato  der  Essig- 
säurehomologen 716.  —  Dihalogenderivate  der  Essigsäurehoniologen  721. 

—  Polyhalogenderivate  der  Essigsäurehomologen  730. 

n.   Halogenderivate  der  einbasischen  ungesättigten  Säuren 730 

in.   Halogenderivate  der  mehrbasischen  Säuren 733 

Halogenderivate  der  Malonsäure  733,  der  Bemsteinsäure  734,  der  Fumar- 
und  Maleinsäure  736,  der  Brenzweinsäure  738. 

Neunundzwanzigstes  Kapitel.     Oxysfiuren  oder  AlkoholsSuren  I.    Die 
Hydroxylderivate  der  einbasischen  Säuren. 

Allgemeines  über  Oxysäuren 740 

Vorkommen  und  Bildungs weisen  740  (Cyanhydrine  741).  —  Wasser- 
abspaltung (Lactone)  743.  —  Den  Oxysäuren  entsprechende  Schwefel- 
verbindungen 745. 

I.   Monohydroxylderivate  der  Fettsäuren  C^Hj^Oa 746 

a-Oxysäuren  746  (Glykolsäure  746,  Milchsäuren  750,  höhere  Glieder  755). 

—  ^-Oxysäuren  758.  —  /-Oxysäuren  und  /-Lactone  760.  —  ^-Oxy- 
säuren und  d- Lactone  765.  —  Säuren  mit  unbekannter  Stellung  der 
Hydroxylgruppe  (Oxystearinsfiuren)  766. 

IL  Polyhydroxylderivate  der  Fettsäuren  CnHjnOm 767 


Inhalt  XV 

Seite 

Allgemeines  über  Bildung,  Verhalten,  Beziehungen  zu  den  Zuckerarten, 
Stereoisomeriefölle  767.  —  Polyoxymonocarbonsäuren,  welche  durch 
Umwandlung  von  mehrwerthigen  Alkoholen  oder  Aldehydalkoholen 
entstehen  744  (Glycerinsäure  774,  Trioxybuttcrsäuren  775,  Penton- 
säuren 776,  Saccharinsäuren  776,  Hexonsäuren  778,  Heptonsänren  784, 
höhere  Aldonsäuren  786).  —  Polyoxymonocarbonsäuren,  welche  ans 
ungesättigten  Monocarbonsäuren  durch  Additionsreactionen  hervor- 
gehen (Dioxybuttersäuren,  Dioxystearinsäuren  etc.)  787. 

III.  Hydroxyldei  ivate  der  einbasischen  ungesättigten  Säuren 787 

Oxyakrylsäure  788,  Oxycrotonsäuren  788,  Angelicalactone  789,  Ricinusöl- 

säure  789,  Rapinsäure  790. 

Dreissigstes  Kapitel.    Oxysäuren  oder  Alkoholsäuren  II.  Die  Hydroxyl- 
deriTate  der  mehrbasischen  Säaren. 

IV.  Hydroxylderivate  von  Dicarbonsäuren 790 , 

Derivate  der  Malonsäure  und  der  alkylirten  Malonsäuren  790  (Tartron- 
säure  und  Homologe  790,  Lactonsäuren  792,  Dioxy malonsäure  793).  — 
Derivate  der  Bemsteinsäure  und  der  alkylirten  Beriisteinsäuren  794 
(Aepfelsäuren  794,  homologe  Aepfelsäuren  798,  Paraconsäuren  799, 
Weinsäuren  800,  homologe  Weinsäuren  814).  —  Derivate  der  Glutar- 
säure  und  der  alkylirten  Glutarsäuren  815.  —  Derivate  der  Adipin- 
säure (Zuckersäuren,  Schleimsäuren  etc.)  817.  —  Derivate  der  Pimelin- 
säure S21. 

V.    Hydroxylderivate  von  Tricarbonsäuren 822 

Citronensäure  822.  —  Isocitronensäure,  Desoxalsäure,  Oxycitronen- 
säure  825. 

Einunddreissigstes  Kapitel.    I^itro-,  Amido- und  Biazoderivate  der  Car- 
bonsSnren. 

Kitroderivate  der  Carbonsäuren 826 

Amidoderivate  der  Carbonsäuren 827 

Allgemeines  827.  —  a-Amidoderivate  der  Fettsäuren  830  (Glykokoll  830, 
Alanin,  Cystin  und  Serin  833,  Leucin  834).  —  ß-,  7-,  d-  etc.  -Amido- 
derivate der  Fettsäuren  835.  —  Amidoderivate  der  einbasischen  un- 
gesättigten Säuren  836.  —  Amidoderivate  der  Dicarbonsäuren  837 
(Amidomalonsäure  837,  Asparaginsäure  und  Asparagin  887,  Glutamin- 
säure und  Glutamin  840). 

Diazosäurcn,  Hydrazisäuren,  Hydrazinsäuren 841 

(Diazoessigester  842.  —  Triazoessigsäure  848.  —  Diazopropionsäureester, 
Diazobemsteinsäureester  844.  —  Hydrazipropionsäureester,  Hydraziu- 
essigsäure  845.) 
Zweiunddreissigtes  Kapitel.     Mehrwerthige  Aldehyde,   mehrwerthige 
Ketone,  Ketoaldehyde. 

(Tabellen :  S.  852,  856). 

Dialdehyde 845 

G]yoxal  845,  Glyoxim  846.  —  Succinaldoxim  846. 

Diketone 846 

cr-Diketone  (Diacetyl  etc.)  848.  —  ^Diketone  (Acetylaceton  etc.)  853,  — 
}^-Diketone  (Acetonylaceton)  855.  —  1.6-  und  1.7-Diketone  857. 

Triketone  und  Tetraketone 858 

Ketoaldehyde 859 

Methylglyoxal,  Isonitrosoaceton,  Acetoximsäure  859.  —  Acetessigaldc- 
hyd  etc.  860. 


XVI  Inhalt. 

Seite 

Dreiunddreissigstes  Kapitel.  HalogrenderiTate  der  Aldehyde  und  Ketone. 

Halogenderivate  der  Aldehyde 861 

Clilorderivate  861  (Mono-  und  Diehloraldehyd,  Ohloral  862;  Butylchloral 
866),  —  Brom-  und  Jodderivate  867. 

Halogenderivate  der  Ketone 867 

Chlorderivate  des  Acetons  868.  —  Halogenderivate  des  Diacetyls  869. 

—  Halogenderivate  des  Acetylacetons  870. 

Vierunddreissigstes  Kapitel.  Die  elnfaehen  Aldehydalkohole  und  Keton« 
alkohole. 

Aldehydalkohole 870 

Glykolaldehyd  870,  Aldol  871. 
Ketonalkohole  oder  Ketole 872 

1.2-Ketole  872.  —   1 . 3  -  Ketole  874.  —  1.4 -Ketole  (Oxetone)   874. 

—  1.5-  Ketole  875. 

Fünfunddreissigstes  Kapitel.     Allgemeines   ttber   Kohlenhydrate.     Die 
einfachen  Zuokerarten  oder  Monosaceharide. 

(Tabellen:  S.  897,  904.) 

Bedeutung,  Definition,  Eintheilung  der  Kohlenhydrate  etc 876 

I.    Die  einfachen  Zuckerarten  oder  Monosaccharide 880 

Vorkommen  und  Bildungsweisen  880.  —  Allgemeine  Charakteristik  881. 

—  Aufbau  und  Abbau  der  Zuckerarten  887.  —  Die  Gründe  für  die 
gegenwärtig  üblichen  Stmcturformeln  der  Zuckerarten  888.  —  Triosen 
und  Tetrosen  891.  —  Pentosen  891.  —  Hexosen  895.  — -  Configuration 
der  Pentosen  und  Hexosen,  sowie  der  zu  ihnen  in  naher  Beziehung 
stehenden  Verbindungen  aus  anderen  Klassen  904.  —  Heptosen,  Octosen, 
Nonosen  913. 

Sechsunddreissigstes  Kapitel.   Die  spaltbaren  Kohlenhydrate  oder  Poly- 
saeeharide. 

II.   Die  spaltbaren  Znckerarten  oder  zuckerähnlichen  Polysaccharide    .    .     .     915 
Disaccharide  oder  Hexobiosen  918. — Trisaccharide  oder  Hexotriosen  921. 

—  Krystallisirbare  Polysaccharide  von  höherem  Moleculargewicht  922. 

in.   Die  nicht  zuckerähnlichen  Kohlenhydrate 923 

Stärke  und  ähnliche  Kohlenhydrate  924.  —  Dextrine  und  Gummiarten 
929.  —  Cellulose  und  andere  Kohlenhydrate  der  Zellmembranen  931. 

Die  Bedeutung  der  Kohlenhydrate  in  der  Industrie 934 

Rohrzucker  935.    —   Stärke  940.    —    Stärkezucker  und  Dextrin  941. 

—  Cellulose  942.  —  CoUodium  und  Schiessbaumwolle  944. 

Siebenunddreissigstes  Kapitel.  Amidoderivate  der  Aldehyde  und  Ketone. 

Amidoacetaldehyd  945.  —  Muscarin,  Amidovaleraldehyd  946.  —  Diamido- 
aceton,  Glucosamin  947.  —  Isoglucosamin  948. 

Achtunddreissigstes  Kapitel.    Aldehydsftnren. 

Glyoxylsäure  948.  —  Formylessigsäure  949.  —  Mucochlor-  und  Muco- 
bromsäure  951.  —  Glykuronsäure  951.  —  Urochloralsäure ,  Chon- 
drosin  952. 

Neununddreissigstes  Kapitel.     KetonsSuren. 

Allgemeines  über  Bildung,  Bedeutung,  Nomenclatur 953 

I.    Einbasische  Ketonsäuren 955 

Gesättigte  einbasische  Ketonsäuren  mit  einer  Carbonylgruppe  955 
(a-Ketonsäuren,  Brenztraubensäurc  etc.  955,  ^-Ketonsäuren,  Acetessig- 
säure  etc.  960,  /-Ketonsäuren,  Lävulinsäure  etc.  971,  ^-Ketonsäuren  etc. 


Inhalt  XVII 

Seite 
976).  —  Gesftttigte  einbasische  Eetonsfiuren  bezw.  Ketoaldehydsäuren 
mit  mehreren  Carbonylgruppen  (Glyosalcarbonsäure,  Diacetylcarbon- 
säure  etc.)  977.  —  Ungesättigte  einbasische  KetonsSuren  (Acetakryl- 
sfiure,  Acetjlcrotons&ore)  979. 

II.   Zweibasische  Ketonsfiuren 981 

Ketoderivate  der  Malonsfture  und  der  MalonsSurehomologen  981 
(Mesoxalsäure  981,  Acetylmalonsfiure  988).  —  Ketoderivate  der  Bern- 
steinsfture  und  der  Bemsteinsfturehomölogen  984  (Ozalessigsäure  984, 
Acetbemstainsfture  985,  Dioxyweinsäure  986,  Diacetylbemsteinsäure 
988).  —  Ketoderivate  der  Glutarsäure  und  der  Glutarsäurehomologen 
988  (Ketoglutarsäuren,  Acetondicarbonsäuren  989,  Acetglutarsfluren 
990).  —  Ketoderivate  der  Adipinsäure  und  der  Adipinsäurehomologen 
(Ketipinsäure,  Diacetyladipinsäure  991).  —  Ketoderivate  der  Pimelin- 
säure und  der  Pimelinsäurehomologen  992  (Hydrochelidonsäure  992, 
Phorons&ure,  Xanthochelidonsäure  993,  Dimethyldiacetylpimelin- 
säure  994). 

III.  Dreibasische  Ketonsäuren 995 

(Ozalbemsteinsäure,  Acettricarballylsäuren.) 

IV.  Vierbasische  KetonsSuren 995 

(Aconitoxalsäure.) 

D»   Cyanverbindungen  und  EohlenBäurederivate. 

Vierzigstes  Kapitel.    Cyanverbindungen. 

(Tabelle  für  Senföle:  S.  1021.) 

Cyan 997 

Paracyan,  Cyankohlensänre  999. 

Cyanwasserstoff  oder  Blausäure 999 

Salze  der  Blausäure  oder  Cyanide  1003.  —  Polymere  der  Blausäure  1008. 

Cyansäure  und  ihre  Derivate 1009 

Cyansäure  1009.  —  Halogenverbindungen  des  Cyans  oder  Halogenide 
der  Cyansäure  1011.  —  Ester  der  Cyansäure  und  Isocyansäure  1012. 
—   Thiocyansäure  oder  Rhodanwasserstofibäure  1014.  —   Alkylrho- 
danide  1017.  —  Alkylisothiocyanate  oder  Senföle  1018.  —  Cyanamid 
1020.  —  Tautomerie,  Psendoformen,  Desmotropie  1023. 

Knallsäure 1025 

Knallquecksilber  1026.  —  Andere  Fulminate  1028.  —  Fulminursäure 
1028. 

Tricyanverbindungen 1028 

Alkylverbindungen  des  Tricyanrings  1028.  —  Cyanursäure  1030.  — 
Cyanurhalogenide  1031.  —  Normale  Cyansäureester  1031.  —  Isocyanur-  j 

Säureester  1032.  —  Sulfocyanursäure  1032.  —  Melamin  1032.  —  Am-  i 

melin  1034.  —  Melanurensäure  1035.  —  Melam,  Melem,  Mellon  1035.  ! 

Die  Bedeutung  der  Cyanverbindungen  für  die  Industrie 1036 

Einnndvierzigstes  KapiteL    Kohlensänrederivate. 

I.    Halogenide  der  Kohlensäure 1039 

Phosgen  1039. 

IL   Ester  der  Kohlensäure 1042 

Neutrale  Kohlensäureester  1042.  —  Saure  Kohlensäureester,  Orthokohlen- 
säureester,  Chlorkohlensäureester  1043. 


xvin  Inhalt 

Seite 

III.  Schwefelhaltige  Derivate  der  Kohlensäure,  ihrer  Halogenide  und  Ester     1044 

Schwefelkohlenstoff  1044.  —  Kohlcnoxysulfid  1046.  —  Thiophosgen 
1047,  —  Salze  und  Ester  der  Thiokohlensäuren  1048.  —  Schwefel- 
derivate der  Chlorkohlensäureester  1050. 

IV.  Amide  der  Kohlensäure 1050 

Carbamid  oder  Harnstoff  1051.  —  Harnstoffderivate  1054.  —  Carb- 
aminsäure  1057.  —  Carbamiilsäurechlorid  und  Carbaininsäureester 
(ürethane)  1058.  —  Imidodicarbonsäure  und  Azodicarbonsäure  1060. 

V,    Thioamide  der  Kohlensäure 1061 

Thioharnstoff  1062.  —  Schwefelderivate  der  Garbaminsäure  1065'. 

VI.    Amidine  der  Kohlensäure 1066 

Guanidin  1067.  —  Guanidinderivate  1068. 
Vn.  Cyclische  üreide,  Thioureide  und  Guanidide.  Harnsäuregruppe  .  .  .  1072 
Einfache  ürei'de,  Thioureide  und  Guanidide  1074  (Parabansäure  1074, 
Hydantoin  1075,  Glykocyamin  1076,  Kreatiu  und  Kreatinin  1077, 
Barbitursäure,  Dialursäure  und  Alloxan  1078,  Uracilderivate  1079J. 
—  Diurei'de  und  entsprechende  Guanidinderivate.  Harnsäuregruppe 
1081  (Alloxantin  1081,  Murexid  1082,  Allantoin  1083,  Harnsäure  1083, 
Xanthin  1086,  Theobromin  und  Theophyllin  1087,  Paraxanthin  und 
Caffein  1088,  Guanin  1089,  Hypoxanthin  und  Adenin  1090). 


Anhang. 

Die  neueren  Vorschläge  zur  Reform  der  chemischen 

^omenclatnr. 

Der  Genfer  Nomenclaturcongress 1091 

I.    Nomenclatur  der  Kohlenwasserstoffe 1092 

II.    Nomenclatur  der  einfachen  Verbindungstypen 1095 

III.    Nomenclatur  der  Radicale 1097 


t^^^^^j^mmmmm 


Tabellenyerzeiclmiss, 

Seite 

Nr.    1.  Siedepunkte  von  Wasser,  Naphtalin  und  Benzophenon  bei  verschiedenen 

Drucken  (für  die  Thermometercontrolle) 117 

Xr.    2,    Grenzkolilenwasserstoflfe 128 

Nr.    3.    Normal-primäre  Alkohole  der  Grenzreihe 149 

Xr.    4.    Die  isomeren  Greuzalkohole  der  3.  bis  5.  Reihe 159 

Xr.    5.  Specifißches  Gewicht  der  Mischungen  von  Alkohol  und  Wasser  .     .     .  158 

Nr.    6.   Halogenalkyle 184 

Nr.    7.   Dialkyläther. 193 

Nr.    8.    Alkylnitrite  und  Alkylnitrate 203 

Nr.    9.  Mercaptane,  Sulfide,  Disulfide,  Sulfoxjde  und  Sulfone  der  Alkylreste  .  221 

Nr.  10.    Primäre,  secundöre  und  tertiäre  Alkylamine 237 

Nr.  11.   Primäre,  secundäre  und  tertiäre  Phosphine 264 

Nr.  12.   Zinkalkvle 284 

Nr.  13.    Alkylcyanide  oder  Fettsäurenitrile 296 

Nr.  14.   Fettsäuren .312 

Nr.  15.    Specifisches  Gewicht  der  wässrigen  Essigsäure 320 

Nr.  16.    Erstarrungspunkt  der  wässrigen  Essigsäure 320 

Nr.  17.    Chloride  und  Anhydride  der  Fettsäuren 352 

Nr.  18.    Aethylestcr  der  Fettsäuren 359 

Nr.  19.    Essigsäureester  der  Grenzalkohole 360 

Nr.  20.    Fettsäureamide 369 

Nr.  21.    Gesättigte  Aldehyde  und  Aldoxime 398 

Nr.  22.  Einfache  Ketone  und  Ketoxime 412 

Nr.  23.    Gemischte  Ketone  und  Ketoxime 413 

Nr.  24.   Alkvlene 441 

Nr.  25.    Einfach  alkylirte  Acetylene 461 

Nr.  26.   Monohalogenderivate  des  Propylens 472 

Nr.  27,    Allylderivate 482 

Nr.  28.    Crotonaldehyd  und  Homologe 528 

Nr.  29.    Polyhalogenderivate  des  Methans 536 

Xr.  30.    Alkylenchloride  und  Alkylenbromide 546 

X'r.  31.    Acetale  und  ihnen  entsprechende  Säurederivate 560 

Xr.  32.   Fettsäureester  des  Glycerins 587 

Nr.  33.  Eigenschaften  und  Zusammensetzung  der  «nichtigsten  Fette       ....  594 

Xr.  34.    Oxalsäurederivate 647 

Xr.  35.   Homologe  der  Malonsäure 656 

Xr.  36.   Homologe  der  Bernsteinsäure 671 

Nr.  37.   Homologe  der  Glutarsäure 676 

Nr.  38.  Ungesättigte  1  •  4-Dicarbonsäuren  (Fumar-  und  Malei'nsäurereihe)  .     692—693 

Xr.  39.  «-Bromderivate  der  Essigsäurehomologen  (ot-Brompropionsäure  etc.)  .    .  717 

Xr.  40.    a-Diketone  und  ihre  Oxime 852 

Xr.  41.    /9-Diketone 856 

Nr.  42.    Hexosen 897 

Xr.  43.  Die   Gonfigurationsmöglichkeiten   für  Pentosen    und   Hexosen   und   die 
■ihnen   verwandten   mehrwerthigen   Alkohole  und   Säuren;    eingeheftet 

zwischen S.  902  und  903 

Xr.  44.    Senfole 1021 


1 


Yerzeichniss  der  für  die  Literaturnachweise  benntzteu 

Abkflrznngen. 


Ann.: 
Ann.  eh. : 
Arch.  f.  Phaim.: 
Ber.: 
Berz.  Jb.: 


Bull.: 

Chem.  Ind.: 
Chem.  News: 
Cothener  Chem.  Ztg. : 
Compt.  rend. : 

J.  pr. : 
Jb.: 

Journ.  Soc. : 
Monatsh. : 

Pogg. : 

Rec.  trav.  chim.: 
Ztschr.  Chem.: 
Ztschr.  f.  anal.  Chem. : 
Ztschr.  f.  angew.  Chem.: 
Ztschr.  f.  physik.  Chem.: 

Ztschr.  f.  physiol.  Chem. : 


JüSTCS  LiEBiG*8  Annalen  der  Chemie. 

Annales  de  chimie  et  de  physique. 

Archiv  der  Pharmacie. 

Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft. 

Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  physischen  Wissen- 
schaften (später  „über  die  Fortschritte  der  Chemie  und  Mine- 
ralogie'O  ^on  Jacob  Berzelits. 

Bulletin  de  la  soci^t^  chimique  de  Paris. 

Die  chemische  Industrie. 

Chemical  News. 

Chemiker-Zeitung,  C5then. 

Comptes  rendus  hebdomadaires  des  s^ances  de  Tacad^mie  des 
Sciences.    Paris. 

Journal  für  praktische  Chemie. 

Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  Chemie  und  verwandter 
Theile  anderer  Wissenschaften. 

Journal  of  the  chemical  Society.     London. 

Monatshefte  für  Chemie  und  verwandte  Theile  anderer  Wissen- 
schaften.   Wien. 

Poggendorf's  Annalen  der  Physik  und  Chemie. 

Recueil  des  travaux  chimiques  des  Pays-Bas. 

Zeitschrift  für  Chemie  (seit  1871  nicht  mehr  erscheinend). 

S^itschrift  für  analytische  Chemie. 

Zeitschrift  für  angewandte  Chemie. 

Zeitschrift  für  physikalische  Chemie,  Stöchiometrie  und  Ver- 
wandtschaftslehre. 

Zeitschrift  für  physiologische  Chemie. 


"  »•  "Wl 


Einleitung. 


Die  Gründe  der  Seheidong  zwischen  anorganischer  und  organischer  Chemie. 

Inhalt;  Aufgaben  und  Ziele  der  organischen  Chemie. 


Noch  in  den  ersten  Decennien  unseres  Jahrhunderts  stellte  man  die 
chemischen  Verbindungen,  welche  die  Natur  ausschliesslich  im  pflanz- 
lichen oder  thierischen  Organismus  erzeugt,  als  eine  besondere  scharf  zu 
unterscheidende  Gruppe  jenen  Verbindungen  gegenüber,  welche  sie  als 
Mineralien  darbietet,  oder  welche  aus  diesen  Mineralien  durch  im  Labo- 
ratorium ausführbare  Umwandlungen  hervorgehen.  Zwar  hatte  man  schon 
erkannt,  dass  in  den  vegetabilischen  und  animalischen  Substanzen  keine 
anderen  Grundstoffe  sich  finden,  wie  sie  sich  an  dem  Aufbau  der  mine- 
ralischen Stoffe  betheihgen;  doch  war  es  noch  in  keinem  Falle  gelungen, 
eine  jener  Substanzen  aus  minerahschen  Stoffen  herzustellen.  Und  daher 
glaubte  man,  dass  für  das  Zustandekommen  dieser  „organischen''  Ver- 
bindungen gewisse  Bedingungen  nothwendig  wären,  deren  Herbeiführung 
der  Mensch  nicht  in  seine  Gewalt  bekommen  könne.  Eine  besondere 
..Lebenskraft"  sollte  es  nach  Berzelius  sein,  welche  ihre  Entstehung  in 
den  belebten  Wesen  bewirkt;  wohl  könne  man  eine  solche  Verbindung, 
nachdem  sie  einmal  im  Organismus  gebildet  und  von  den  begleitenden 
Stoffen  durch  die  Hülfsmittel  des  Chemikers  getrennt  ist,  auf  künstlichem 
Wege  in  andere  umwandeln,  die  sich  vielleicht  auch  im  Organismus 
finden.  Allein  sie  aus  den  Elementen  aufzubauen,  das  sei  das  Vorrecht 
jener  geheimnissvollen  Kraft,  über  welche  zu  gebieten  dem  Menschen 
versagt  sei. 

Wie  in  jener  Zeit,  so  theilen  wir  auch  heute  noch  die  Chemie  in 
unorganische  und  organische  Chemie  ein  und  unterscheiden  unorganische 
von  organischen  Verbindungen.  Doch  sind  die  Gründe,  welche  uns  zu  dieser 
Eintheilung  bestimmen,  heute  ganz  anderer  Art  wie  damals.  Der  Glaube 
an  jene  Lebenskraft  ist  längst  durch  das  Experiment  beseitigt.  Seit 
WöHLEB  1828  zum  ersten  Male  die  künstliche  Darstellung  eines  thierischen 
Stoffes  —  des  Harnstoffs  —  aus  mineralischen  Substanzen  gelang,  sind 
ähnliche  Erfolge  in  grosser  Zahl  erzielt  worden.  Die  Pflanzensäuren, 
die  Fette,  viele  der  complicirtesten  Pflanzenfarbstoffe,  die  Harnsäure, 
Zuckerarten,  Pflanzenbasen  u.  s.  w.  hat  man  auf  künstlichem  Wege  her- 
zustellen gelernt;   und  jedes  Jahr  bringt  neue  Synthesen  solcher  Stoffe, 

V.  Mbtbr  11.  jACOBsosr,  org.  Chemie.   I.  1 


EinleiUmg, 


deren  alleinige  Erzeugerin  bisher  die  Natur  war.  Freilich  sind  wir  nocl^ 
weit  davon  entfernt,  alle  Verbindungen  des  pflanzlichen  und  thierischen 
Organismus  synthetisch  herstellen  zu  können;  aber  wir  haben  keinen 
Grund,  daran  zu  zweifeln,  dass,  was  schon  in  so  vielen  Fällen  gelungen 
ist,  nicht  auch  in  all«n  Fällen  gelingen  könnte.  Wir  sind  heute  zu  der 
Ueberzeugung  berechtigt,  dass  die  chemischen  Verbindungen  des  Pflanzen- 
und  Thierreichs  ebenso  wie  diejenigen  des  Mineralreichs  und  diejenigen,! 
welche  aus  den  von  der  Natur  gebotenen  Stoffen  durch  künstliche  Pro- 
cesse  gewonnen  werden,  in  Bezug  auf  ihr  Entstehen  und  ihre  Una Wand- 
lungen denselben  Gesetzen  unterworfen  sind,  —  dass  es  dieselben  Kräfte 
sind,  welche  die  Elementaratome  zu  ihren  Molecülen  zusammenfügen. 

Nachdem  durch  die  zahlreichen  Synthesen  von  Pflanzen-  und  Thier- 
substanzen    die   Definition    der   organischen   Verbindungen   als    solcher, 
welche  unter  dem  Einfluss  der  Lebenskraft  gebildet  werden,  unhaltbar 
geworden  war,  hat  man  sich  längere  Zeit  mit  wenig  Erfolg  bemüht,  aul 
anderer  Grundlage  den  Unterschied  zwischen  anorganischen  und    orga- 
nischen Verbindungen   zu   präcisiren.     Ausgehend   von   der  Thatsache, 
dass  alle  organischen  Substanzen  Kohlenstoff  enthalten,   hat  man   sich 
endlich    entschlossen,    in   dem   Kohlenstoffgehalt   das   einzige   Merkmal 
einer   organischen   Verbindung   zu   sehen.      Die   heutige   organische 
Chemie  ist  eine  Chemie  der  Kohlenstoffverbindungen;  die  grosse 
Mehrzahl  dieser  sogenannten  organischen  Verbindungen  ist  lediglich  im 
Laboratorium  erzeugt,  niemals  im  Organismus  aufgefunden  worden  und 
dürfte   wohl   überhaupt   nicht   in  der   Natur  vorkommen.     Ausser    dem 
Kohlenstoff  finden  wir  in  den  organischen  Verbindungen  als  besonders 
häufig   vorkommende   Elemente  Wasserstoff,   Stickstoff  und   Sauerstofi'; 
aber  auch  alle  übrigen  Elemente  können  sich  an  dem  Aufbau  der  Mole- 
cüle  organischer  Stoffe  betheiligen.     Wesentliches  Erfordemiss  fiir   die 
Zugehörigkeit   einer  Verbindung   zur  organischen  Chemie  ist  allein  ihr 
Kohlenstoffgehalt.     Die   organische  Chemie   umfasst   alle  Verbindungen 
dieses  Elementes;   nur  einige   der  einfachsten  —  das  Kohlenoxyd,   die 
Kohlensäure  und  ihre  Salze  —  pflegt  man  aus  Zweckmässigkeitsgründen 
schon  in  der  anorganischen  Chemie  abzuhandeln. 

Was  sind  die  Gründe,  die  uns  bestimmen,  die  Verbindungen  dieses 
einen  Elementes  allein  als  einen  besonderen  Theil  der  Chemie  zu  be- 
handeln? 

Es  ist  dies  zunächst  durch  ihre  ausserordentlich  grosse  Zahl  ge- 
boten. Keines  der  übrigen  Elemente  ist  mit  einer  so  erstaunlichen  Vei'- 
bindungsfahigkeit  begabt  wie  der  Kohlenstoff.  Während  wir  z,  B.  von 
allen  übrigen  Elementen  nur  eine  oder  höchstens  zwei  Verbindungen  mit 
Wasserstoff  kennen,  sind  Hunderte  von  Verbindungen  zwischen  Kohlen- 
stoff und  Wasserstoff  aufgefunden  worden.  Die  Gesammtzahl  der  Kohlen- 
stoffverbindungen  ist  grösser  als  die  Anzahl  der  Verbindungen  aller 
übrigen  Elemente  mit  einander. 


Einleitimy, 


Hierzu  kommt,  dass  die  Kohlenstoffverbindungen  gegenüber  den 
Verbindungen  der  anderen  Elemente  ein  eigenartiges  Verhalten  und  be- 
sonders eine  weit  geringere  Beständigkeit  zeigen.  Viele  der  anorganischen 
Substanzen  vertragen  ohne  Veränderung  ihrer  chemischen  Natur  die 
höcbsten  Temperaturen,  welche  wir  erzeugen  können;  unter  den  orga- 
nischen Substanzen  kommt  eine  solche  Beständigkeit  nur  einer  ganz 
o:eringen  Zahl  zu ;  mit  wenigen  Ausnahmen  werden  sie  durch  hohe  Hitze- 
irrade  zerstört.  Auch  gegen  Luft  und  Licht  sind  viele  organische  Ver- 
bindungen in  einer  Weise  empfindlich,  wie  wir  es  bei  anorganischen 
uur  selten  finden.  Alle  diese  Umstände  bedingen  eine  besondere  Technik 
ttir  das  Manipuliren  mit  organischen  Verbindungen  und  machen  es  un- 
bedingt erforderlich,  dass  der  praktische  Unterricht  in  der  anorganischen 
und  organischen  Chemie  gesondert  ertheilt  wird. 

Endlich  stellt  die  Erörterung  der  Kohlenstoffverbindungen  ganz 
andere  theoretische  Aufgaben,  wie  die  Behandlung  der  anorganischen 
Verbindungen.  Bei  einer  anorganischen  Substanz  genügt  in  der  Kegel 
zur  Erklärung  ihrer  Verschiedenheit  von  pUen  anderen  Stoffen  die  An- 
hübe ihrer  molecularen  Zusammensetzung,  soweit  dieselbe  durch  die 
Anzahl  und  Art  der  zu  einem  Molecül  zusammentretenden 
Elementaratome  bedingt  ist.  Ist  z.  B.  für  die  Schwefelsäure  er- 
kannt, dass  ihr  Molecül  aus  2  Atomen  Wasserstoff,  1  Atom  Schwefel 
und  4  Atomen  Sauerstoff  besteht,  so  können  wir  uns  zunächst  mit  diesem 
Befund  begnügen;  denn  wir  kennen  keine  zweite  Verbindung,  welcher 
gleichfalls  eine  durch  die  Foi*mel  HgSO^  ausdrückbare  Zusammensetzung 
zukommt.  Aber  für  eine  organische  Verbindung  ist  mit  der  Erkenntniss 
ihrer  ,, empirischen^*  Z^ftlmmensetzung  viel  weniger  geleistet.  Der  Aethyl- 
.'ilkohol  z.  B.  besitzt  die  Zusammensetzung  CgH^O;  dieser  Befund  genügt 
ndessen  nicht,  um  zu  erklären,  warum  der  Aethylalkohol  ein  besonderes 
chemisches  Individmim  mit  bestimmten  charakteristischen  Eigenschaften 
ist;  denn  wir  kennen  eine  zweite  Verbindung:  den  Dimethyläther,  welche 
«ranz  andere  Eigenschaften  besitzt,  während  ihr  Molecül  genau  dieselben 
Elementaratome  in  derselben  Anzahl  —  2  Kohlenstoffatome,  6  Wasser- 
stoffatome und  1  Sauerstoffatom  —  enthält. 

Diese  in  der  anorganischen  Chemie  selten  beobachtete  ^  Erscheinung, 
dass    Verbindungen   von   gleicher   Zusammensetzung   ganz   verschiedene 


^  Freilich  bietet  auch  die  anoiganieche  Chemie  Beispiele  dafär,  dass  Substanzen 
von  denselben  procentisc^en  Zusammensetzung  verschiedene  Eigenschaften  besitzen. 
Aber  in  der  Mehrz:i]?][  dieser  Fälle  sind  wir  erstens  nicht  sicher,  dass  diese  Substanzen 
auch  dieselbe  Moleculargrösse  besitzen,  und  dann  ist  die  Verschiedenheit  der  Eigen- 
M?haften  meist  eine  weit  geringere,  als  bei  isomeren  organischen  Substanzen.  Kalk- 
ül lath  und  Arragonit  z.  H.  haben  ja  beide  die  Zusammensetzung  CaCOg;  aber  wir 
kennen  nicht  ihre  Moleculargrösse:  Kalkspath  könnte  die  Molecularformel  (CaCOglx, 
Arragonit  (CaCOg),  besitzen.  Zudem  erstreckt  sich  ihre  Verschiedenheit  nur  auf  die 
Krystallform  und  physikalische  Constanten;  chemisch  sind  sie  identisch,  denn  sie  liefern 
in  allen  Reactionen  die  gleichen  Umwandlungsprodukte.    Selbst  wenn  also  für  beide 


Einleitung. 


Eigenschaften  zeigen,  bezeichnet  man  als  Isomerie  (abgeleitet  von  ttrog 
gleich  und  fii^og  Theil).     Man  begegnet  ihr  in  der  organischen  Chemie 
auf  Schritt  und  Tritt;  dem  Beispiel  von  der  Isomerie  des  Aethylalkohols 
und  Dimethyläthers  könnten  wir  beliebig  viele  andere  anreihen,  in  welchen 
die  Zahl  der  mit  einander  isomeren  Substanzen  eine  noch  weit  grössere 
ist.     (So  waren  z.  B.  bis  zum  Jahre   1884  nicht  weniger  als   55   ver- 
schiedene Substanzen   von   der  Zusammensetzung  C^Hj^jOg  aufgefunden.) 
Diese  Erscheinung  zeigt  uns,  dass  die  Anzahl  und  Art  der  Elementar- 
atome, welche  zu  einem  Moleciil  zusammentreten,  nicht  allein  bestimmend 
ist  für  die  Beschaffenheit  des  Stoffes,  der  aus  diesen  Molecülen  besteht. 
Wenn  Verbindungen,   deren  Molecüle  in  Bezug  auf  Art  und  Zahl  der 
Elementaratome  keine  Unterschiede  zeigen,  trotzdem  ganz  verschiedene 
Eigenschaften  besitzen,  so  kann  dies  nur  darin  seine  Erklärung  finden, 
dass  eben  dieselben  Atome  in  verschiedener  Weise  mit  einander  zusam- 
mentreten können.     Wir  entnehmen  daraus,  dass  die  Atome  innerhalb 
des  Molecüls   nicht  in   regellosen  Bahnen  sich  durch  einander  bewegen 
können,    sondern  dass  sie  vielmehr  in  jedem  einzelnen  Molecül  in  ge- 
wissen festen  Beziehungen  zu  einander  stehen  müssen. 

Diese  in  der  Chemie  der  Kohlenstoffverbindungen  so  verbreitete  Er- 
scheinung der  Isomerie  fordert  uns  daher  auf,  in  die  Zusammensetzung 
der  Molecüle  tiefer  einzudringen,  als  dies  durch  das  Studium  der  an- 
organischen Verbindungen  geboten  war.  Wollen  wir  die  Isomerie  in  den 
einzelnen  Fällen  erklären,  so  erwächst  uns  die  Aufgabe,  für  jede  Ver- 
bindung ausser  ihrer  „empirischen"  Zusammensetzung  auch  die  „rationelle" 
zu  erforschen:  d.  h.  die  Ordnung  der  Atome  innerhalb  des  Mole- 
cüls zu  bestimmen,  die  Functionen  der  einzelnen  Atome  und 
die  Beziehungen  aufzusuchen,  welche  sie  zu  anderen  Atomen 
desselben  Molecüls  haben.  Dies  ist  der  Gegenstand  der  Structur- 
lehre  oder  Constitutionslehre,  welche  sich  an  dem  Studium  der 
organischen  Verbindungen  entwickelt  hat  und  zu  hoher  Durchbildung 
gelangt  ist.  Nachdem  einmal  die  Principien  dieser  Lehre  in  der  orga- 
nischen Chemie  sich  so  fruchtbringend  erwiesen  haben,  hat  man  natür- 
lich auch  versucht,   dieselben  auf  die  anorganischen  Verbindungen  aus- 


Substanzen dieselbe  Moleculargrösse  zugegeben  wird,  so  könnten  ^ir  ihre  Verschieden- 
heit auch  dadurch  erklären,  dass  im  Kalkspath  die  Molecüle  sich  anders  an  einander 
lagern  wie  im  Arragonit,  während  jedes  einzelne  Molecül  für  sich  im  Kalkspath 
sowohl  wie  im  Arragonit  von  gleicher  Beschaffenheit  ist  Eine  solche  Erklärung  wäre 
für  die  Isomerie  der  organischen  Verbindungen  ganz  unzureichend;  denn  bei  diesen  , 
erstreckt  sich  die  Verschiedenheit  nicht  nur  auf  die  physikalischen  Eigenschaften, 
sondern  auf  das  gesammte  chemische  Verhalten.  Aethylalkohol  und  Dimethyläther 
haben  nichts  mehr  mit  einander  gemein,  sie  lassen  sich  nicht  durch  einfache  Reactionen 
in  einander  tiberführen,  sie  liefern  in  allen  Reactionen  völlig  verschiedene  Umsetzungs- 
Produkte.  Eine  solche  wirkliche  Isomerie  finden  wir  bei  anorganischen  Verbindungen 
äusserst  selten  (salpetrigsaures  Hydroxylamin  und  salpetersaures  Ammoniak  (beide 
N,H403),  vielleicht  auch  Disthen  und  Andalusit  (AlsSiO,)  sind  Beispiele  dafür.) 


)• 


Einleitung,  5 


zudebnen,  und  ist  auch  zur  Erörterung  der  rationellen  Zusammensetzung 
anorganischer  Verbindungen  tibergegangen.  Allein  diese  Betrachtungen, 
welche  übrigens  für  die  meisten  anorganischen  Verbindungen  noch  zu 
wenig  zuverlässigen  Resultaten  gefuhrt  haben,  stehen  in  der  anorganischen 
Chemie  nicht  so  im  Vordergrunde  wie  in  der  organischen  Chemie,  wo 
sie  ein  unentbehrliches  Hülfsmittel  zum  Verständniss  der  einzelnen  Ver- 
bindungen bilden. 

Anorganische  and  organische  Verbindungen  weisen  dem- 
nach in  keiner  Beziehung  principielle  Unterschiede  von  ein- 
ander auf;  allein  die  grosse  Zahl  der  Kohlenstoffverbindungen 
und  die  eigenartige  Methode,  welche  ihre  experimentelle  und 
theoretische  Behandlung  verlangt,  lassen  es  zweckmässig  er- 
scheinen, die  Kohlenstoffverbindungen  in  einem  besonderen 
Theile  der  Chemie  abzuhandeln,  welchen  wir  „organische  Chemie" 
nennen. 

Die  Aufgabe  der  organischen  Chemie  ist  es  demnach,  die  Natur  der 
Verbindungen  des  Kohlenstoffs  zu  erkennen.  Dazu  gehört  für  jede  der- 
selben die  Angabe  der  empirischen  und  rationellen  Zusammensetzung, 
die  Angabe  ihrer  wichtigsten  physikalischen  Eigenschaften  und  die  Er- 
forschung ihrer  chemischen  „Vergangenheit  und  Zukunft**.^  Denn  die 
Chemie  hat  ja  eine  Substanz  nicht  nur  in  dem  Augenblick  zu  schildern, 
wo  sie  ist,  sondern  ebenso  in  dem  Augenblick,  wo  sie  wird  oder  zu 
sein  aufhört.  Die  Bildungsweisen  und  die  Umwandlungen  einer  Sub- 
stanz, die  Darstellung  ihrer  Beziehungen  zu  anderen  Substanzen  bilden 
den  wesentlichsten  Theil  ihrer  chemischen  Charakteristik. 

In  dieser  Arbeitsrichtung  bieten  sich  für  den  Fortschritt  der  orga- 
nischen Chemie  noch  so  viele  Aufgaben,  dass  die  Aufstellung  neuer  Ziele 
noch  nicht  nothwendig  erscheint.  Noch  bringt  jedes  Jahr  die  Auffindung 
von  Verbindungsgruppen,  an  welchen  wir  neue  und  interessante  chemische 
Cbarakterzüge  beobachten,  und  deren  einzelne  Glieder  sich  oft  für  die 
praktischen  Zwecke  des  Lebens  so  brauchbar  erweisen,  dass  ihre  Dar- 
stellung in  grossem  Massstab  in  Angriff  genommen  wird  und  zu  mehr 
oder  weniger  eingreifenden  Veränderungen  des  wirthschaftlichen  Lebens 
führt.  Unerwartete  Isomerie- Erscheinungen  werden  beobachtet,  welche 
zur  Erweiterung  oder  theilweisen  Neugestaltung  der  theoretischen  Grund- 
lagen auffordern.  Von  den  in  der  Natur  vorkommenden  organischen 
Stoffen  sind  noch  ganze  Gruppen  ihrer  Constitution  nach  unaufgeklärt. 
Krst  in  den  letzten  Jahren  hat  die  chemische  Forschung  begonnen,  über 
die  grosse  und  wichtige  Klasse  der  Pttanzenbasen  (Alkaloide)  einiges  Licht 
zu  verbreiten.  Die  wichtigsten  Stoffe  des  Pflanzen-  und  Thierkörpers  — 
die  Eiweisssubstanzen  —  sind  noch  in  ein  fast  vollständiges  Dunkel  gehüllt 
nnd  harren  noch  der  Aufklärung  ihrer  Constitution. 


^  Kjekul£,  orgao.  Chem.  p.  3. 


6  Einleitwig. 


Dass  wir  in  die  chemische  Bauart  auch  dieser  complicirtesten  or- 
ganischen Verbindungen,  welche  die  Natur  uns  bietet,  einst  eindringen 
werden,  ja  dass  es  uns  einmal  gelingen  wird,  diese  wichtigsten  Träger 
der   Lebensfunctionen   künstlich   zu   erzeugen,   das   zu  hoflfen  sind  wir 
vollauf  berechtigt  auf  Grund  der  Erfolge,  welche  wir  bisher  —  von  ein- 
fachen Problemen  zu  immer  verwickeiteren  aufsteigend  —  schon  errungen 
haben.     Aber  zwischen  einer  organischen  Verbindung,  deren  Gegen- 
wart  für   das   Zustandekommen  der  Lebenserscheinungen  unentbehrlich 
ist,  und  dem  unbedeutendsten  organisirten  Gebilde,    das  schon  alle 
Erscheinungen  des  Lebens  zeigt,  ist  noch  eine  so  ungeheure  YIvlÜ,  dass 
wir  heute  kaum  ahnen  können,  mit  welchen  Mitteln  sie  zu  überbrücken 
ist.     Unsere  heutigen  Hülfsmittel  versagen  an  der  Grenze  zwischen  todter 
und  lebender  Substanz.     Wir   können   mit  Zuversicht   an   die  Aufgabe 
gehen,  die  complicirtesten  organischen  Molecüle  aufzubauen;  aber  die  Er- 
zeugung auch  nur  der  einfachsten  Zelle,  in  welcher  diese  Molecüle  sich 
an  jener  wunderbaren   zweckbewussten  Thätigkeit  betheiligen,    die   wir 
Leben  nennen,  —  das  ist  ein  Problem,  dessen  Lösbarkeit  zu  behaupten 
wir  gegenwärtig  nicht  wagen  dürfen. 

Mit  den  „organisirten"  Körpern  beschäftigt  sich  die  organische 
Chemie  zur  Zeit  nur  insoweit,  als  sich  aus  denselben  bestimmte  einheit- 
liche Verbindungen  isoliren  lassen.  Das  Verhalten  der  chemischen  Ver- 
bindungen im  lebenden  Organismus  und  die  Bedeutung  der  chemischen 
Vorgänge  filr  den  Lebensprocess  ist  Gegenstand  einer  besonderen  Dis- 
ciplin:  der  physiologischen  Chemie. 


Allgemeiner  Theil. 

Erstes  Kapitel. 

Die  Ermittelnng  der  empiriBchen  Zusammensetzung  von 

organischen  Verbindungen. 

(Qaalitatiye  und  quantitative  Elementaranalyse.  —  Berechnung  des  Atomverhältnisses. 

—  Bestimmung  der  Moleculargrösse.) 


Zur  Ermittelung  der  chemischen  Zusammensetzung  einer  Verbindung 
bedarf  es  der  Beantwortung  folgender  Fragen: 

1.  Aus  welchen  Mementen  besteht  die  Verbindung? 

2.  In    welchem   Atomverhältniss   sind   die   Elemente   mit   einander 
vereinigt? 

3.  Wie  gross  ist  die  Anzahl  der  in  einem  Molecül  der  Verbindung 
enthaltenen  Mementaratome? 

4.  In   welcher  Anordnung   gruppiren   sich   die  Elementaratome  zu 
dem  Molecül  der  Verbindung? 

Die  Beantwortung  der  ersten  Frage  geschieht  durch  die  qualitative 
Analyse.  Die  zweite  Frage  wird  durch  die  quantitative  Analyse 
erledigt,  welche  das  Gewichtsverhältniss  feststellt,  nach  welchem  die  ein- 
zelnen Elemente  mit  einander  verbunden  sind;  aus  diesem  Gewichtsver- 
hältniss lässt  sich  auf  Grund  der  Kenntniss  des  Atomgewichts  der  be- 
treffenden Elemente  das  Atomverhältniss  durch  einfache  Rechnungen  ab- 
leiten. Die  in  der  dritten  Frage  enthaltene  Aufgabe  wird  durch  die 
Bestimmung  des  Moleculargewichts  gelöst.  Die  Beantwortung  dieser 
drei  ersten  Fragen  genügt  zur  Kenntniss  der  empirischen  Zusammen- 
setzung einer  Verbindung.  Die  Methoden,  nach  welchen  dieselben  för 
organische  Verbindungen  ihre  Erledigung  finden,  bilden  den  Gegenstand 
des  folgenden  Kapitels. 

I.   QualltatiTe  Analyse. 

Die  qualitative  Analyse  organischer  Verbindungen  besteht  aus  einer 
Beihe  sehr  einfacher  Prüfungen. 

Den  KoUenstoffgehalt  kann  man  mit  voller  Sicherheit  nachweisen, 
indem  man  die  zu  prüfende  Substanz  mit  Kupferoxyd  gemischt  in  einem 


8  Qualitative  Analyse, 


Röhrchen  erhitzt;  der  Sauerstoff  des  Kupferoxyds  oxydirt  den  Kohlen- 
stoff zu  Kohlensäure,  welche  gasformig  entweicht  und  durch  Einleiten 
in  Kalk-  oder  Barytwasser  erkannt  wird.  Doch  wird  man  nur  selten 
in  die  Lage  kommen,  diese  Probe  anstellen  zu  müssen,  da  sich  in  den 
meisten  Fällen  der  Kohlenstoffgehalt  schon  beim  Erhitzen  einer  Substanz- 
probe auf  dem  Platinblech  durch  Verkohlung  oder  durch  das  Auftreten 
einer  russenden  Flamme  kundgiebt.' 

Bei  Anstellung  der  eben  erwähnten  Kupferoxyd-Probe  giebt  sich  der 
Wasserstoffgehalt  durch  die  Bildung  von  Wassertröpfchen  zu  erkennen. 

Unter  den  stickstoffhaltigen  organischen  Verbindungen  geben  manche 
den  Stickstoff  beim  Erhitzen  mit  Natronkalk  in  Form  von  Ammoniak 
ab;  man  kann  demnach  in  solchen  Substanzen  den  Stickstoff  nachweisen, 
indem  man  sie  in  einem  Röhrchen  mit  Natronkalk  erhitzt  und  die  Am- 
moniak-Entwicklung entweder  durch  den  Geruch  oder  die  Schwärzung 
eines  mit  salpetersaurer  Quecksilberoxydullösung  getränkten  Streifchen 
Filtrirpapiers  feststellt.  Das  Ausbleiben  von  Ammoniak  bei  dieser  Probe 
beweist  indessen  nicht  die  Abwesenheit  von  Stickstoff,  da  viele  Verbin- 
dungen —  wie  z.  B.  zahlreiche  Nitrokörper  —  ihren  Stickstoff  dabei 
nicht  als  Ammoniak  entweichen  lassen.  Sicherer  ist  es  daher,  sich  der 
folgenden  Probe  zu  bedienen,  welche  darauf  beruht,  dass  aus  Verbin- 
dungen, die  Kohlenstoff  und  Stickstoff  zugleich  enthalten,  beim  Erhitzen 
mit  metallischem  Kalium  (oder  auch  Natrium)  Cyanalkali  (KCN  resp, 
NaCN)  entsteht  (Labsaigne).  Man  erhitzt  die  zu  prüfende  Substanz  mit 
einem  Stückchen  Kalium  in  einem  Röhrchen  aus  schwer  schmelzbarem 
Glase,  wobei  in  der  Regel  eine  schwache  Verpuffung  eintritt;  hat  man  es 
mit  leicht  flüchtigen  Verbindungen  zu  thun,  welche  zunächst  ohne  Zer- 
setzung von  dem  Alkalimetall  abdestilliren,  so  muss  man  durch  Anwendung 
eines  langen  Röhrchens  dafür  sorgen,  dass  die  an  den  kälteren  Theilen 
sich  condensirende  Substanz  immer  wieder  auf  das  erhitzte  Alkalimetall 
zurückfliesst,  bis  eine  vollständige  Zerstörung  eingetreten  ist.  Der  Glüh- 
rückstand wird  in  Wasser  eingetragen,  und  die  wässrige  Lösung,  welche 
das  gebildete  Cyanid  in  Gegenwart  von  überschüssigem  Alkali  enthält, 
wird  nun  nach  Zusatz  weniger  Tropfen  Eisenoxydul-Oxydlösung  mit  den 
hierbei  ausfallenden  Oxyden  des  Eisens  1  bis  2  Minuten  gekocht;  es 
bildet  sich  Ferrocyanalkali;  säuert  man  nun  mit  Salzsäui*e  an,  so  wird 
Eisenoxydul  und  Eisenoxyd  gelöst,  und  es  entsteht  durch  Wechselwirkung 
zwischen  Ferrocyanwasserstoff  und  Eisenchlorid  ein  Niederschlag  von  Ber- 
linerblau. Man  hüte  sich  hierbei,  mit  einem  üeberschuss  concentrirter 
Salzsäure  anzusäuern,  da  kleine  Mengen  von  Berlinerblau  in  starker  Salz- 
säure sich  vollkommen  unter  Verschwinden  der  blauen  Farbe  auflösen.  Bei 
Gegenwart  von  sehr  geringen  Stickstoffmengen  ist  der  blaue  Niederschlag 
als  solcher  nicht  sofort  sichtbar;  er  giebt  sich  zunächst  nur  durch  eine 
grüne  Färbung  der  Lösung  zu  erkennen;  lässt  man  dann  die  Probe 
einige  Zeit  ruhig  stehen,  so  sammelt  sich  der  blaue  Niederschlag  am 


Prüfung  auf  Stickstoff,  Halogene,  Schwefel,  9 


Boden  an.  Bei  Abwesenheit  von  Stickstoff  erhält  man  eine  rein  gelbe 
Lösung.  —  Allein  auch  diese  Probe  kann  zuweilen  den  Stickstoffgehalt 
einer  Verbindung  unentdeckt  lassen.  ^  Schwefelreiche  Substanzen  zeigen 
die  Berlinerblau-Keaction  nur  dann,  wenn  man  eine  verhältnissmässig 
grosse  Menge  Alkalimetall  angewendet  hat.  Solche  Substanzen,  welche 
ihren  Stickstoff  schon  bei  niedrigen  Temperaturen  vollständig  entweichen 
lassen  (Diazoverbindungen),  zeigen  die  Reaction  überhaupt  nicht;  denn 
der  Stickstoff  ist  schon  verjagt,  ehe  die  Beactionsmasse  die  für  die  Bildung 
von  Cyanmetall  erforderliche  Temperatur  erreicht.  In  solchen  Fällen  bleibt 
nichts  anderes  übrig,  als  die  Substanz  in  der  später  bei  der  quantitativen 
Stickstoffbestimmuug  näher  zu  beschreibenden  Weise  mit  Kupferoxyd  in 
einer  mit  Kohlensäure  gefüllten  Röhre  zu  verbrennen,  die  entweichenden 
Gase,  nachdem  sie  eine  glühende  Kupferspirale  passirt  haben,  durch  Kali- 
lauge zu  leiten  und  zu  prüfen,  ob  sie  einen  durch  Kalilauge  nicht  ab- 
sorbirbaren  Antheil  (Stickstoff)  enthalten. 

Die  Halogene  (Chlor,  Brom  und  Jod)  werden  nur  in  wenigen  Fällen 
aus  organischen  Verbindungen  durch  Kochen  mit  Silbemitrat  als  Halogen- 
silber abgeschieden.  Um  sie  sicher  nachzuweisen,  muss  man  durch 
Glühen  mit  chemisch  reinem  Kalk  die  organische  Substanz  vollständig 
zerstören;  das  Halogen  bleibt  dann  an  Calcium  gebunden  zurück  und 
kann  nach  dem  Lösen  in  Salpetersäure  durch  Fällung  mit  Silbernitrat 
erkannt  werden.  Stickstofffreie  Substanzen  kann  man  auch  durch  Er- 
hitzen mit  Natrium,  Lösen  der  Schmelze  in  Salpetersäure  und  Fällen 
mit  Silbemitrat  auf  Halogene  prüfen,  während  dies  bei  stickstoffhaltigen 
Substanzen  wegen  der  Bildung  von  Cyansilber  nicht  angeht.  Sehr  be- 
quem ist  endlich  die  folgende,  von  Beilstein ^  angegebene  Probe:  Man 
bringt  die  Substanz  auf  ein  Klümpchen  Kupferoxyd,  das  in  dem  Oehr 
eines  Platindrathes  befestigt  und  vorher  sorgfältig  ausgeglüht  ist,  und 
erhitzt  nun  nahe  am  unteren  und  inneren  Rande  einer  massig  geöffneten 
nichtleuchtenden  Gasflamme;  ein  Halogengehalt  giebt  sich  durch  die  von 
den  flüchtigen  Halogenverbindungen  des  Kupfers  bewirkte  Grün-  resp. 
Blaufärbung  der  Flamme  zu  erkennen,  welche  sofort  hervortritt,  nachdem 
der  Kohlenstoff  verbrannt  ist,  und  das  dadurch  verursachte  Leuchten 
der  Flamme  wieder  aufgehört  hat. 

Schirefel  kann  meist  nachgewiesen  werden,  indem  man  eine  Probe 
der  Substanz  mit  Natrium  erhitzt  und  die  Lösung  des  Glührückstandes 
auf  Schwefelnatrium  prüft,  dessen  Gegenwart  am  schärfsten  durch  die 
mit  Nitroprussidnatrium  eintretende  purpurviolette  Färbung  erkannt  wird. 
Substanzen,  bei  denen  ihrer  Flüchtigkeit  wegen  diese  Probe  nicht  zu- 
verlässig erscheint,  oxydirt  man  zunächst  durch  Erhitzen  mit  rauchender 
Salpetersäure  im  geschlossenen  Rohr  auf  250 — 300^  vollständig,  dann 
prüft  man  die  Lösung  auf  Schwefelsäure. 


»  Graebe,  Ben  17,  1178.  •  Ber.  6,  620. 


10  QuaniUative  Elamentaranalyse. 

Zur  Prüfung  auf  alle  anderen  Elemente  (Phosphor,  Arsen,  Silicium, 
die  Metalle  u.  s.  w.)  ist  es  ebenfalls  am  zveckinässigst«n,  zunächst  durch 
Erhitzen  mit  SaJpetersäure  vollständige  Oxydation  herbeizuführen,  dann 
die  mit  Wasser  verdUnute,  nur  noch  anorganische  Stofife  enthaltende 
Lösung  nach  den  gewöhnlichen  analytischen  Regeln  zu  untersuchen.  — 
Die  Gegenwart  der  Metalle  ergiebt  sich  schon  aus  dem  Zurückbleiben 
einer  unTerbrennlicben  Äsche  beim  Erhitzen  einer  Substanzprobe  auf 
dem  Platinblech. 

II.   QaantttatlTe  Elementaranalyse.' 

1.  Die  BeatlmmDiis  des  Kohlenstoff  und  Wasserstoffs.   Die  Be- 
stimmung dieser  beiden  Kiemente  wird  stets  in  einer  Operation  ausgeführt. 
Das  Princip  der  dazu  dienenden  Methode  besteht  in  der  vollständigen  Ver- 
brennung einer  abgewogenen  Menge  der  Substanz  und  Ermittelung  des 
Gewichts  ihrer  Verbrennungsprodultte ;  der  Kohlenstoff  wird  so  in  Form 
von  Kohlensäure,  der  Wasserstoff  als  Wasser  gewogen.     Dieses  Princip 
versuchte   schon  der  Begründer  der  quantitativen   Forschung  Lavoisier 
zur  Analyse  organischer  Verbindungen  anzuwenden;  Saussdbe,  ThEnaed. 
Bebthollet,   Gay-Ll'ssac  und  Bebzelius  führten  es  in 
verschiedener  Weise  durch;  endlich  gab  ihm  Liebio*  1831 
die  einfache  und  vollkommene  Ausl^hrungsfonn,  in  welcher 
es  noch  heute  —  in  der  Begel  nur  mit  unwesentlichen  Modi- 
ficationen  —  angewendet  wird. 

Als  Sauerstoffquelle  für  die  Verbrennung  wird  nach 

Liebiq's  Vorgang  gewöhnhch  Kupferoxyd  verwendet,  welches 

natürlich  von  organischen  Substanzen  und  von  Feuchtig- 

I  keit  vollkommen  befreit  sein  muss;   man  glftht  es  daher 

unmittelbar  vor  der  Verbrennung  aus,  füllt  es  noch  heiss 

I  in    einen   Glasbehälter,    welcher   durch   ein  Chlorcalcium- 

rohr  mit  der  äusseren  Luft  communicirt  (Fig.  1  giebt  eine 

i^B-^^^    gebräuchliche  Form  solcher  „Kupferoxydbimen"  wieder),  und 

lässt  es  hierin  soweit  erkalten,   bis   es  mit  der  zu  analy< 

sirenden  Substanz  gemischt  werden  kann.     Die  Verbrennung  geschieht 

auf  einem  Gasofen  in  einer  Röhre  aus  schwer  schmelzbarem  Glase,  welche 


Fig.  2.    Verbrennongirthre. 

an  einem  Ende  zu  einer  umgebogenen  Spitze  ausgezogen  ist  (Fig.  2),  am 
anderen  Ende  mittelst  eines  durchbohrten  Stopfens  mit  den  Absorpttons- 
apparaten  in  Verbindung  gesetzt  wird.     Dieselbe  wird  derart  beschickt. 

'  Auafllhrlicbe  Datatellung  vgl.  in  Fkesenids,  Quantit.  ehem.  Analyse  II,  X— 110 
(6.  Aufl.  Braonschweig  1377—1887)  und  in  Vortjcahn,  Chem.  Analyse  organ.  Stoffe, 
p.  4—56  (Leipzig  n.  Wien  1889).  *  Pooo.  Bl,  1. 


Bestimmung  von  Kohlenstoff  und  Wasserstoff. 


dass  TOD  dem  ge- 
schlossenen Ende  an 
zunächst  eine  etwa 
1  dm  lange  Schicht 
reinen  Knpferoxyds 
(a)  liegt,  dann  das 
Gemisch  der  abge- 
wogenen Substanz- 
mei^e  mit  Kupfer- 
oxjd  in  etwa  ebenso 
langer  Schiebt  [b), 
endlich  wieder  eine 
längere  Schicht  rei- 
nen Knpferoxyds  (c) 
folgt.  Znm  Mischen 
mit  der  Substanz 
braucht  man  pulver- 
förmiges  Kupfer- 
üxyd,  während  man 
die  Schichten  a  und 
c  in  der  Regel  mit 
kömigem  Kupfer- 
oxyd (Kupferdreh- 
8pähneD)anmUt.Die 
Fig.  3  zeigt  die  An- 
ordnang  des  ganzen 
Apparats:  a,  b  und 
e  sind  die  Absorp- 
tionsapparate, wel- 
che  vor  und  nach 
der  Verbrennung  ge- 
wogen werden,  und 
deren  Gewichtszu- 
nahme die  Menge  des 
gebildeten  Wassers 
und  der  Kohlen- 
säure angiebt.  Das 
U-formig  gebogene 
Rohr  a  ist  zur  Auf- 
nahme des  Wassers 
bestimmt  und  daher 
mit  porösen  Cblor- 
calcinm-Stücken  an- 
gefüllt ;  der  zum  Ver- 


12  Bestimmung  von  Kohlenstoff  und  Wasserstoff, 


brennungsrohr  führende  Schenkel  ist  mit  einer  Kugel  versehen,  in  welcher 
sich  der  grösste  Theil  des  Wassers  schon  condensirt ;  das  zum  Kaliapparat  b 
führende  Ableitungsröhrchen  ist  am  b^ten,  wie  bei  der  in  der  Figur  ab- 
gebildeten Form,  angeschmolzen,  der  aufsteigende  Schenkel  des  Chlorcal- 
ciumrohrs  mit  einem  luftdicht  schliessenden  Stopfen  verschlossen.    Damit 
keine  Kohlensäure  in  dem  Chlorcalciumi'ohr  absorbirt  werden  kann,  ist  es 
nothwendig,  vor  dem  Gebrauch  einen  etwaigen  Gehalt  des  Chlorcalciums  an 
Aetzkalk  dadurch  unschädlich  zu  machen,  dass  man  einige  Zeit 
^^^     trockene   Kohlensäure   hindurchleitet,    diese    durch   trockene 
ll^         Luft  verdrängt,  wägt,  das  Einleiten  von  Kohlensäure  und  Luft 
J  jL  wiederholt  und  sich  nun  durch  nochmalige  Wägung  von  dem 

I  M  Constantbleiben  des  Gewichts  überzeugt.  Das  Chlorcalciumrohr 

^^  kann  so  lange  gebraucht  werden,  als  noch  ein  grösserer  Theil 

des  Chlorcalciums  nicht  zerflossen  ist.  Entfernt  man  nach 
" ^  jeder  Analyse  das  in  der  Kugel  condensirte  Wasser,  so  ist 
die  Dauer  der  Brauchbarkeit  eine  fast  unbegrenzte.  —  Der  so- 
genannte ;,LiEBiG'sche  Kugelapparat''  h  ist  mit  soviel  Kalilauge 
vom  spec.  Gewicht  1-27  (etwa  1  Theil  käufliches  Kali  auf 
2  Theile  Wasser)  beschickt,  dass  die  drei  am  unteren  Schenkel 
befindlichen  Kugeln  ungefähr  angefüllt  sind;  die  Kalilauge 
ist  nach  dreimaligem  Gebrauch  zu  erneuern;  der  Apparat, 
welcher  zur  Absorption  der  Kohlensäure  dient,  wird  in  der 
W^eise  eingeschaltet,  dass  von  den  beiden  oberen  Kugeln  die 

. j     grössere  mit   dem  Chlorcalciumrohre   communicirt,   und  der 

I  diese  Kugel  tragende  Schenkel  ungefähi*  vertical  steht.     An 

I  den  Kugelapparat  schliesst  sich  endlich  ein  mit  festen  Stück- 

ZA  chen  Aetzkali  gefülltes  Röhrchen  c,  in  welchem  der  durch  den 

^^  Gasstrom   aus   dem  Kugelapparat   mitgeführte  Wasserdampf 

äö  ^      und  etwa  noch  unabsorbirt  gebliebene  Kohlensäure  zurück- 
«2  gehalten  wird. 

I  Das   Mischen   der  Substanz   mit  Kupferoxyd    und   Ein- 

I    ft      bringen   in   die  Verbrennungsröhre   geschieht   gewöhnlich   in 
|l  der  Weise,  dass  man  die  abgewogene  Substanzmenge  (etwa 

^  0-2  g)  in  einem  kleinen  innen  glasirten  Porzellanmörser  mit 

G««ÄMhenu.  Kupfcroxyd  verreibt  und  das  Gemenge  durch  einen  Trichter 
AWä^n'^  mit  weitem  Ablaufrohr  einschüttet.  Der  Mörser  und  Trichter 
Flüssigkeiten,  werden  dann  zweimal  mit  neuem  Kupferoxyd  ausgespült.  Dies 
Verfahren  ist  natürlich  nur  bei  festen  Substanzen  anwendbar. 
Flüssigkeiten  wägt  man  in  kleinen  Glaseimerchen  (Fig.  4a)  ab,  welche 
durch  Eintropfenlassen  der  Flüssigkeit  aus  einer  Capillarpipette  (Fig.  4&) 
gefüllt  werden.  Bei  flüchtigen  Flüssigkeiten,  welche  unter  100®  sieden, 
verschliesst  man  das  Eimerchen  mit  einem  aus  Glasstab  angefertigten 
Stopfen  (Fig.  4  c),  damit  während  der  Wägung  und  während  des  Zeit- 
raums  bis    zum  Einwerfen  in  das  Verbrennungsrohr  nicht  durch  Ver- 


Bestimmung  von  Kohlenstoff  und  Wasserstoff,  13 


dunstung  Verluste  entstehen.  Sehr  leicht  flüchtige  Flüssigkeiten  wie 
z.  B.  Aether  bringt  man  in  vorher  gewogene  Glaskügelchen  (Fig.  4d), 
die  mit  einer  lang  ausgezogenen  capillaren  Spitze  versehen  sind  und 
nach  dem  Einfüllen  der  Flüssigkeit  (durch  Erwärmen  und  Einsaugenlassen 
der  Flüssigkeit  während  des  Erkaltens)  zugeschmolzen  und  wieder  ge- 
wogen werden;  man  schneidet  durch  einen  Feilstrich  das  capillare  Ende 
ab  und  wirft  Kugel  und  abgeschnittenes  Ende  in  die  Verbrennungsröhre 
ein.  Es  ist  zweckmässig,  in  das  Kügelchen  ein  Stückchen  Kupferoxyd 
zu  bringen,  um  auch  die  Verbrennung  des  darin  zurückbleibenden 
Dampfes  zu  bewirken. 

Der  Gang  der  Verbrennung  ist  nun  folgender.     Man  erhitzt  zunächst 
einerseits   eine  etwa  3 — 4  cm  lange  Schicht  des  Kupferoxyds  am  aus- 
gezogenen Ende   der  Röhre,   andererseits  am  offenen   Ende   eine  etwa 
2 — 3  dm  lange  Schicht.     Bevor  das  Kupferoxyd  an  diesen  Stellen  zum 
schwachen   Glühen  gebracht   ist,    darf  die   Substanz   nicht   verdampfen 
oder  sich   zersetzen;   ist   eine   genügend  lange  Schicht   im   Glühen,    so 
nähert  man  sich  mit  den  Flammen  allmählich  der  Stelle,  wo  die  Substanz 
liegt,  und  sorgt  dafür,  dass  andauernd  ein  massiger  Gasstrom  von  etwa 
zwei  Blasen  in  der  Secunde  durch  den  Kugelapparat  streicht.   Je  flüchtiger 
die  Substanz  ist,  oder  je  plötzlicher  sie  sich  zersetzt,  um  so  vorsichtiger 
muss  man  verfahren,   und   um  so  länger  muss  man  die  Röhre   wählen, 
damit  die  zwischen  der  Substanz  und  dem  offenen  Ende  der  Röhre  be- 
findliche Kupferoxydschicht  auch  bei  etwas  rascherer  Entwicklung  von 
Dämpfen   zur   vollkommenen  Verbrennung  ausreicht.     Bei  Verbrennung 
von  sehr  flüchtigen  Flüssigkeiten  ist  es  zweckmässig,  sich  der  Substanz 
vom   hinteren  Röhrenende   zu  nähern  und  eine  Reihe  von  etwa  8 — 10 
Brennern   vor   der  Substanz   zunächst   unbenutzt  zu  lassen;    durch   die 
Abkühlung  in  diesem  Raum  wird  dann  eine  etwa  eintretende  plötzliche 
Dampfentwicklung  wieder  ausgeglichen.     Man  bringt  schliesslich  die  ganze 
Röhre  zu  massiger  Rothgluth;  das  Ende  der  Verbrennung  erkennt  man 
daran,  dass  keine  Blasen  mehr  den  Kaliapparat  passiren,   vielmehr  die 
Lauge   in  demselben   zurückzusteigen   beginnt.      Dann   löscht   man   die 
Flammen  und  bricht  die  Spitze  der  Verbrennungsröhre  ab;    da  infolge 
des  Zurücksteigens   der  Kalilauge   und   der  Abkühlung   der  Druck   im 
Inneren  der  Röhre  geringer  als  der  äussere  Luftdruck  ist,  so  dringt  von 
aussen  Luft  ein,  und  es  kann  von  der  noch  im  Rohr  befindlichen  Kohlen- 
säure nichts  nach  aussen  entweichen.     Vorher  hat  man  an  das  Kalirohr 
einen  Gummischlauch  d  (s.  Fig.  3)  befestigt   und    saugt  nun  mit   dem 
Munde  oder   mittelst  eines  Aspirators   einige  Minuten  Luft   durch   die 
Röhre,  um  alle  Kohlensäure  in  die  Absorptionsapparate  zu  treiben. 

Wo  kein  Gas  zur  Verfügung  steht,  kann  man  sich  auch  eines 
Kohlenofens  (Fig.  5)  bedienen.  Die  Röhre  wird  mit  glühenden  Holzkohlen 
umgeben,  und  die  Hitze  durch  Verschiebung  von  eisernen  Schinnen 
regulirt.    Ueber  die  Spitze  schiebt  man  nach  dem  Abbrechen  ein  längeres 


Bestimmutig  von  KoMenstoff  und   Wasaersloff. 


Glasrohr,  damit  die  in  die  Verbrennungsröhre  gesaugte  Luft  nicht  aus 
der  nächsten  Nähe  der  glühenden  Kohlen  stamme  und  zu  viel  Kohlen- 
säure enthalte. 


Sie-  &     QSISSLItR'SC 


Die  eben  beschriebene  Ausführungsform  der  Verbrennung  ist  das 
LiBBiG'sehe  Verfahren  iu  seiner  ursprünglichen  Form,  Es  scbliesst  zwar 
einige  nicht  unbedeutende  Feh- 
lerquellen ein ,  wie  z.  B,  das 
Durchsaugen  von  Loft,  welche 
nicht  von  ihrem  Gehalt  an 
Wasser  und  Kohlensäure  befreit 
wird,  liefert  aber  erfahrungsge- 
niäss  in  der  Hand  geübter  Ar- 
beiter zuverlässige  Resultate  und 
wird  noch  heute  von  manchen 
Chemikern  unverändert  ange- 
wendet. In  den  meisten  Labo- 
ratorien hat  man  es  indessen 
verlassen  und  iUhrt  die  Ver- 
brennungen stets  unter  Zuhülfenahme  von  Sauerstoff  aus, '  wie  weiter 
unten  näher  beschrieben  wird. 

Von  den  Modificationen ,  welche  an  diesem  Verfahren  angebracht 
sind,  seien  zunächst  diejenigen  erwähnt,  welche  sich  auf  Inhalt  und  Ge- 
stalt der  Absorptionsapparate  bezieben. 
Statt  des  Chlorcalciupis  kann  auch  con- 
centrirte  Schwefelsäure  zur  Absorption  des 
Wassers  dienen ;  man  wendet  dieselbe 
—  von  Bimsteinstücken  aufgesogen  —  in 
Röhren  ähnlicher  Form  an.  An  Stelle 
des  Kaliapparats  in  der  LiEBio'schen  Ge- 
stalt wendet  man  vielfach  den  sehr  be- 
quemen, aufrechtstehenden  GEisLBE'schen 
'  Apparat  {Fig.  6}  an,  in  welchem  Kugel- 
apparat und  Kaliröhrchen  gleich  ein  für 
jilleraal  mit  einander  verbunden  bleiben.  Statt  der  Kalilauge  wird  zur 
Absorption  der  Kohlensäure  auch  Natronkalk  in  U-f5rmigen  Röhren  be- 
nutzt; man  schaltet  zwei  derselben  hinter  einander  und  bedarf  in  diesem 


•^^^ 


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Verbrennung  im  Sauerstoffstrom, 


15 


Falle  noch  eines  kleinen  Apparats,  um  die  Schnelligkeit  des  Gasstroms 
benrtheilen  zu  können.  Derselbe  besitzt  die  beistehende  Form  (Fig.  7), 
ist  mit  einem  Tropfen  concentrirter  Schwefelsäure,  welchen  die 
Gasblasen  durchstreichen  müssen,  beschickt,  und  wird  zwischen 
den  Wasserabsorptionsapparat  und  die  beiden  Natronkalkröhren 
eingeschaltet. 

Bei  manchen  Substanzen  reicht  die  oxydirende  Kraft  des 
glühenden  Kupferoxyds  nicht  aus,   um  die  bei  der  Zei*setzung 
sich    abscheidende   Kohle    vollständig   in   Kohlensäure    überzu- 
fuhren.   Eine  vollständige  Verbrennung  kann  man  dann  dadurch 
herbeiführen,   dass   man    das  Kupferoxyd    durch  das  kräftiger 
\virkende  Bleichromat   ersetzt;   zur  Unterstützung  der  Wir- 
kung  kann   man   auch   dem  mit  der  Substanz  zu  mischenden 
Theile  des  Bleichromats  noch  ^/^^  seines  Gewichts  an  geschmol- 
zenem und  wieder  gepulvertem  Kaliumbichromat  zusetzen.   Oder 
man  behält  das  Kupferoxyd  bei  und  beendigt  die  Verbrennung 
im  Sauerstoffstrom;  in  diesem  Falle  zieht  man  die  Verbrennungs- 
röhre   zu   einer  bajonettartigen  Spitze  aus  (Fig.  8);   wenn  die 
Kohlensäureentwicklung  sich  ihrem  Ende  nähert,    schiebt  man 
über  die  Bajonettspitze  einen  Gummischlauch,  welcher  anderer- 
seits zu  einem  Sauerstoff-Gasometer  flihrt,  kneift  die  Spitze  ab, 
und    leitet    nun    einen   langsamen   Strom   von   trockenem   und 
kohlensäurefreiem   Sauei*stoff   durch   die   Röhre.      Nach   Been- 
digung der  Verbrennung  ist  es  nothwendig,  den  Sauerstoff  aus 
den  Absorptions-Apparaten  durch  trockene  Luft  zu  verdrängen, 
da  dieselben  —  mit  Sauerstoff  gefüllt  —  ein  anderes  Gewicht 
zeigen  würden,  als  wenn  sie  mit  der  specifisch  etwas  leichteren 
Luft  angefüllt  sind. 

Diese  Methode,  die  Verbrennung  im  Sauerstoffstrom  zu  be- 
endigen, wird  jetzt,  wie  bereits  bemerkt  wurde,  in  den  meisten 
Laboratorien  in  allen  Fällen  angewendet,  auch  wenn  man  es 
mit  nicht  besonders  schwer  verbrennlichen  Substanzen  zu  thun 
hat.  Sie  bietet  u.  A.  den  Vortheil,  dass  man  das  Mischen  der 
Substanz  mit  Kupferoxyd  umgehen  kann,  indem  man  die  Sub- 
stanz in  einem  Schiffchen  aus  Porzellan  oder  besser  Platin  ab- 
wägt und  in  die  Röhre  einfuhrt  (Fig.  8).  Die  Röhre  wird  dann  aus- 
schliesslich mit  körnigem  Kupferoxyd  beschickt. 

Die  Porzellanscliiffchen  haben  den  Nachtheil,  dass  sie  nur  langsam  auf  hohe 
Temperaturen  erhitzt  werden,  und  daher,  wenn  die  Substanz  eine  sehr  schwer  ver- 
bremiliche  Kohle  absetzt,  leicht  in  ihnen  etwas  Kohle  unverbrannt  zurückbleibt 
Die  PlatinschifFchen  andererseits,  in  denen  die  Verbrennung  sehr  gut  von  Statten 
geht,  sind  thener  und  werden  bei  öfterem  Gebrauch,  namentlich  bei  der  Manipulation 
des  HeraoBbringens  aus  der  Röhre  nach  beendigter  Verbrennung,  wobei  häufig  ein 
Stückchen  Kupferoxyd  sich  zwischen  Schiffchen  und  Röhre  klemmt,  rasch  lädirt.  Der 
in  Fig.  9  abgebildete  Apparat  erlaubt,  die  Anwendung  eines  Schi£Fchen8  zu  umgehen. 


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16  Verbren?iun^  im  offenen  Rohr, 


£r   besteht   aus   dem  starken  Glasstab  a,  auf  welchen  die  federnde  Messinghülse  b 
aufgesetzt  ist    In  letztere  klemmt  man  das  Wiegeröhrchen  c  ein,   welches  die  zur 

c       h  (V  a 


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Flg.  9.    Glasstab  mit  MessinghQlse  zum  Einführen  der  Substanz  in  das  Verbrennungsrohr. 

Analyse  nothwendige  Menge  Substanz  enthält  und  mit  dieser  zusammen  genau  ge- 
wogen ist.  Man  hat  nun  in  das  Verbrennungsrohr  eine  etwa  1  dm  lange  Schicht 
Kupferozyd  gefüllt,  und  führt  jetzt  in  horizontaler  Lage  vorsichtig  den 
Stab  bis  zum  Ende  dieser  Kupferoxydschicht  ein;  darauf  bewirkt  man 
durch  Neigen  und  leises  Klopfen  die  Entleerung  des  Wiegeröhrchens  e, 
zieht  nun  den  Stab  wieder  vorsichtig  heraus,  wägt  das  Röhrchen  c 
zurück  und  erfährt  aus  dem  Gewichtsverlust  die  Menge  der  einge- 
führten Substanz.  Letztere  wird  durch  gelindes  Schütteln  und  Klopfen 
etwas  vertheilt,  damit  sie  nicht  ganz  auf  einer  Stelle  liegt;  das  Rohr 
wird  darauf  vollständig  mit  kömigem  Kupferoxyd  gefüllt,  und  die  Ver- 
^   brennung  ebenso  geleitet,  als  ob  man  mit  einem  Schiffchen  arbeitet. 

Grosse  Vortheile  —  namentlich  bei  Anstellung  vieler  Ver- 
brennungen hinter  einander  —  bietet  die  von  Glaser^  vor- 
a      H        geschlagene  Verbrennung  im  beiderseits  offenen  Bohr 
(Fig.  10). 

Eine  an  beiden  Seiten  über  das  Ende  des  Ofens  etwas 
hinausragende  Röhre  wird  in  ihrem  vorderen  Theil  auf  etwa  2/3 
der  ganzen  Länge  mit  einer  Schicht  gekörnten  Kupferoxyds  {d) 
beschickt,  welche  zwischen  Asbestpfropfen  oder  kleinen  Kupfer- 
spiralen festgehalten  wird;  an  ihrem  hinteren  Ende  kann  sie 
mittelst  des  einen  Glashahn  tragenden  Ableitungsrohrs  a  nach 
Belieben  mit  einem  Luft-  oder  einem  Sauerstoffgasometer  in 
Verbindung  gesetzt  werden.  Man  glüht  nun  zunächst  die 
Röhre  mit  dem  Kupferoxyd  im  trockenen  Luftstrom  aus,  lässt 
dann  wieder  erkalten  mit  Ausnahme  des  vorderen  Theiles  der 
Kupferoxydschicht  d,  öffnet  den  Stopfen  e  und  fuhrt  nun  zu- 
nächst die  abgewogene  Substanzmenge  in  dem  Schiffchen  e, 
dann  eine  oxydirte  Kupferspirale  b  (aus  Kupferdrathnetz  zu- 
sammengerollt) ein.  Nachdem  man  nun  die  Röhre  mit  dem 
Stopfen  e  wieder  verschlossen  und  am  vorderen  Ende  die 
Absorptionsapparate  angesetzt  hat,  wird  die  Verbrennung  in 
derselben  Weise  wie  im  geschlossenen  Rohre  geleitet,  indem 
man  dabei  stets  einen  ganz  schwachen  Luftstrom  unterhält. 
Zum  Schluss  ersetzt  man  den  Luftstrom  durch  einen  etwas 
rascheren  Strom  von  Sauerstoff,  um  die  Kohle,  die  sich  ge- 
wöhnlich in  der  Nähe  des  Schiffchens  reichlich  abgesetzt  hat, 
vollständig  zu  verbrennen,  und  verdrängt  endlich  den  Sauerstoff  wieder 
durch  Luft.    Die  Anwendung  von  Platinschiffchen  bietet  grössere  Sicher- 


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^  G-LASER,  Ann.  Chem.  Suppl.  7,  215. 


Yerhremmng  siiekstoff haltiger  Verbindmigen,  17 


heit  als  die  von  Porcellan8clii£fchen  (vgl.  S.  15).  Nach  Beendigung  der 
Verbrennung  kann  sofort  in  derselben  Rohre,  ohne  dass  dieselbe  vom 
Ofen  entfernt  wird,  zu  einer  neuen  Verbrennung  geschritten  werden.  Hat 
man  nicht  gleich  wieder  eine  Verbrennung  anzustellen,  so  bewahrt  man 
die  Köhre  beiderseits  verschlossen  auf  und  kann  sie  nun  jederzeit  zur 
Ausführung  einer  neuen  Verbrennung  ohne  weitere  Vorbereitung  benutzen. 

Die  im  Vorstehenden  in  ihren  verschiedenen  Formen  beschriebene 
Bestimmung  des  Kohlenstoffs  und  Wasserstoffs  bedarf  einiger  Ver- 
änderungen, wenn  ausser  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  noch 
andere  Elemente  in  der  zu  analysirenden  Verbindung  zugegen  sind. 
Manche  stickstoffhaltige  Verbindungen  entwickeln  bei  der  Verbren- 
nung Untersalpetersäure  oder  andere  höhere  Oxyde  des  Stickstoffs,  welche 
theils  im  Chlorcalciumrohr,  theils  im  Kaliapparat  zurückgehalten  und  da- 
durch ganz  falsche  Resultate  bedingen  würden.  Es  ist  daher  nothwendig, 
dieselben  vor  ihrem  Eintritt  in  die  Absorptions- Apparate  zu  Stickstoff  oder 
Stickoxydul  zu  reduciren.  Dies  geschieht  dadurch,  dass  man  in  das 
vordere  Ende  der  Röhre  eine  etwa  1  bis  1^3  dm  lange  Spirale  von 
Kupferdrathnetz  einbringt  und  dieselbe  während  der  ganzen  Verbrennung 
im  Grlühen  erhält;  das  glühende  [Kupfer  entzieht  den  höheren  Oxyden 
des  Stickstoffs  ihren  Sauerstoff  und  führt  sie  dadurch  in  jene  Gase  über, 
welche  weder  im  Chlorcalciumrohr  noch  im  Kaliapparat  merklich  ab- 
sorbirt  werden.  Die  hierzu  dienende  Kupferspirale  wird  vor  jeder  Ver- 
brennung in  folgender  Weise  vorbereitet:  Man  erhitzt  sie  in  der  Gebläse- 
lampe zum  Glühen,  zerstört  dadurch  alle  ihr  etwa  anhaftende  organische 
Substanz  und  versieht  sie  mit  einer  oberflächlichen  Oxydschicht;  noch 
heiss  lässt  man  sie  nun  in  ein  Reagensrohr  gleiten,  an  dessen  Boden 
sich  einige  Tropfen  Alkohol  befinden;  der  Alkohol  geräth  in's  Sieden, 
und  seine  Dämpfe  reduciren  die  Oxydschicht  zu  metallischem  Kupfer; 
die  nun  ganz  blanke  Spirale  wird  bei  120 — 130^  getrocknet,  ehe  man 
sie  in  die  Verbrennungsröhre  einführt.  Einige  stickstoffhaltige  Sub- 
stanzen (Nitroverbindungen)  zersetzen  sich  sehr  plötzlich  und  unter  Ent- 
wickelung  grosser  Mengen  von  nitrosen  Dämpfen.  In  diesen  Fällen  ist  es 
unbedingt  geboten,  nicht  im  Schiffchen  zu  verbrennen,  sondern  die  Substanz 
mit  viel  Kupferoxyd  bezw.  Bleichromat  zu  mischen,  um  sie  auf  eine  lange 
Schicht  zu  vertheilen  und  so  die  successive  Verbrennung  kleiner  An- 
theile  zu  ermöglichen.  Auch  die  S.  13  angegebene  Vorsichtsmassregel, 
vor  der  Substanz  eine  längere  Schicht  Kupferoxyd  kalt  'zu  lassen,  ist 
hier  empfehlenswerth.  Einen  nicht  normalen  Gang  der  Analyse  erkennt 
man  daran,  dass  während  der  Verbrennung  in  der  Kugel  des  Chlorcalcium- 
rohrs  sich  bräunliche  Dämpfe  zeigen,  oder  nachher  das  in  derselben 
condensirte  Wasser  stark  saure  Reaction  besitzt. 

Enthält  die  Substanz  Halogene,  so  bildet  sich  bei  der  Verbrennung 
CUorkupfer  bezw.  Bromkupfer  oder  Jodkupfer.  Diese  Verbindungen  ver- 
lieren ihren  Halogengehalt  leicht  theilweise  (namentlich  bei  Gegenwart 

V.  llxm  u.  Jaoobsoh,  org.  Chem.  L  2 


18      Verbrennung  von  Verbindungen,  welche  Halogene,  Scliwefel  etc,  enthalten. 


von  Sauerstoff)  und  sind  auch  etwas  flüchtig;  um  das  Gelangen  der 
Halogene  in  die  Absorptions-Apparate  zu  verhüten,  ist  es  daher  noth- 
wendig,  eine  Spirale  von  Silberblech  einzuschieben,  durch  welche  die 
Halogene  zurückgehalten  werden.  Viel  zweckmässiger  aber  ist  es,  in 
diesem  Falle  mit  chromsaurem  Blei  zu  verbrennen,  da  Chlorblei,  Brom- 
blei und  Jodblei  sehr  wenig  flüchtig  und  viel  beständiger  sind.  Man 
braucht  dann  keine  Silberspirale  und  hat  nur  dafür  zu  sorgen,  dass  im 
vorderen  Theile  der  Röhre  eine  Schicht  von  etwa  drei  Flammen  nur  ganz 
schwach  erhitzt  wird ;  in  diesem  kälteren  Theil  werden  dann  die  Spuren 
von  Halogen  Verbindungen  des  Bleis  oder  freien  Halogenen,  welche  aus 
dem  stark  erhitzten  hinteren  Theil  etwa  entweichen,  vollständig  zurück- 
gehalten. 

Unerlässlich  ist  die  Anwendung  des  Bleichromats  bei  schwefel- 
haltigen Verbindungen,  da  Eupfersulfat  bei  Glühhitze  schweflige  Säure 
entwickelt.  Auch  das  Bleisulfat  ist  nicht  ganz  glühbeständig;  man  muss 
daher  gleichfalls  die  eben  erwähnte  Vorsichtsmassregel  beachten,  im 
vorderen  Theil  der  Röhre  eine  kleine  Schicht  fast  kalt  zu  lassen.  Bei 
sehr  schwefelreichen  Substanzen  findet  man  trotzdem  leicht  etwas  zu 
hohe  Zahlen  f&r  Wasserstoff  und  Kohlenstoff  und  kann  in  dem  Wasser 
des  Chlorcalciumrohres  Schwefelsäure  oder  schweflige  Säure  nachweisen, 
was  sich  indess  durch  sehr  vorsichtige  Leitung  der  Verbrennung  voll- 
ständig vermeiden  lässt. 

Enthält  die  zu  analysirende  Substanz  die  Metalle  der  Alkalien 
oder  alkalischen  Erden,  so  würden  die  letzteren  bei  der  Verbrennung 
mit  Kupferoxyd  oder  im  Schiffchen  in  Form  von  Carbonaten  zurück- 
bleiben, und  demnach  ein  Theil  der  Kohlensäure  der  Absorption  im 
Kaliapparat  entgehen.  Solche  Substanzen  muss  man  mit  Bleichromat 
gemischt  verbrennen;  das  Bleichromat  zersetzt  die  Alkalicarbonate  unter 
Bildung  von  Alkalichromat  und  Bleioxyd  und  Austreibung  der  Kohlen- 
säure. 

Bei  den  bisher  beschriebenen  Verfahren  wird  der  zur  Verbrennung  nöthige 
Sauerstoff  wenigstens  zum  grossen  Theil  von  einer  leicht  Sauerstoff  abgebenden  Sub- 
stanz geliefert.  Bei  dem  Verfahren  von  Kopfer^  dient  hierzu  ausschliesslich 
freier  Sauerstoff;  die  Verbrennung  wird  in  einem  beiderseits  offenen  Rohr  ausgeführt; 
die  Dftmpfe  der  Substanz  streichen,  mit  Sauerstoff  gemischt,  über  eine  Schicht  glühen- 
den platinirten  Asbests  (Gremisch  von  Platinschwarz  und  Asbest),  welcher  die 
vollständige  Verbrennung  bewirkt  Da  diese  Schicht  nur  kurz  (etwa  2 — 3  dm)  zu 
sein  braucht,  und  zu  ihrer  Erhitzung  eine  Reihe  von  vier  Flammen  ausreicht,  so  be- 
dingt dies  Verfahren  eine  bedeutende  Gaserspamiss.  Dasselbe  wird  von  vielen  Seiten 
sehr  empfohlen*,  hat  aber  noch  nicht  allgemeinen  Eingang  in  die  Laboratorien  ge- 
funden.   LiFFUANN  und  Fleissner'  ersetzen  den  Platinasbest  durch  Kupferoxydasbest. 


^  Ztschr.  f.  analyt  Chem.  17,  1. 

*  Vgl.  dagegen  Zbisel,  Monatsh.  7,  573. 

'  Monatsh.  7,  9. 


Voltmietrische  Stickstoff-Bestimmung,  19 


Ueber  fernere  Modificationen  der  Verbrennung,  welche  hauptsächlich  auf  eine 
Abkürzung  der  Yerbrennungsdauer  gerichtet  sind,  vgl.  Dudlet ^  Blau'. 

Zur  Bestimmung  des  Kohlenstoffs  auf  nassem  Wege  hat  neuerdings 
Messenqkb'  eine  Methode  angegeben;  die  Substanz  wird  mit  einem  Gemisch  von 
Cbromafture  und  concentrirter  Schwefelsäure  erwärmt,  und  die  gebildete  Kohlensäure 
in  einen  gewogenen  Kaliapparat  geleitet  Ueber  frühere  Vorschläge  zu  dem  gleichen 
Zweck  YgL  Bbvnneb^,  Ladbnbubq^,  Wahkltn  und  Cooper'. 

2.  Die  Bestimmung  des  Stickstoffs.  Aus  allen  organischen  Yerbin- 
dnngen  lässt  sich  der  StickstoflF  durch  Verbrennung  mit  Kupferoxyd  und 
Beduction  der  höheren  Oxyde  mittelst  glühenden  Kupfers  als  solcher 
abscheiden.  Führt  man  daher  die  Verbrennung  in. einem  mit  Kohlen- 
säure gefüllten  Bohr  aus  und  leitet  die  sich  entwickelnden  Oase  zur 
Absorption  der  Kohlensäure  in  ein  mit  Kalilauge  gefülltes  Gefäss,  so 
wird  sich  über  der  Kalilauge  der  Stickstoff  ansammeln,  und  seine  Menge 
durch  Volummessung  ermittelt  werden  können.  Es  wird  hierbei  offen- 
bar keinen  Fehler  bedingen,  wenn  etwa  die  Beduction  der  höheren 
Oxyde  nur  bis  zur  Stufe  des  Stickoxyduls  gehen  sollte,  da  ja  ein  Volum 
Stickoxydol  (N^O)  ebenso  viel  Stickstoff  enthält  als  das  gleiche  Volum 
reinen  Stickstoffs. 

Auf  dieser  Grundlage  hat  zuerst  Dumas  eine  Methode  zur  volu- 
metrischen  Stickstoffbestimmung  ausgearbeitet,  welche  später  in 
einigen  Einzelheiten  yereinfacht  ist  und  heute  fast  allgemein  in  folgender 
Form  ausgeftlhrt  wird. 

In  eine  an  einem  Ende  rund  zugeschmolzene  Verbrennungsröhre 
bringt  man  zunächst  eine  etwa  12 — 15  cm  lange  Schicht  einer  Substanz, 
welche  beim  Erhitzen  reine  Kohlensäure  liefert;  als  solche  wendet  man 
in  der  Begel  Magnesit  (MgCOg)  oder  Natriumbicarbonat  (NaHCOg)  an^. 
Auf  den  Kohlensäureentwickler  folgt  ein  Asbestpfropf,  dann  eine  etwa 
10  cm  lange  Schicht  reinen  Kupferoxyds,  das  Gemisch  der  Substanz 
mit  Kupferoxyd,  wieder  eine  Schicht  reinen  Kupferoxyds  von  etwa 
3 — 4  dm  Länge,  endlich  eine  reducirte  Kupferspirale  (S.  17).  Das  der- 
art beschickte  Bohr  wird  nun  mit  einem  Gasansammlungsapparat  von 
beistehender  Form®  (Fig.  11)  in  Verbindung  gesetzt.  Das  Böhrchen  a 
wird  durch  einen  mit  Quetschhahn  versehenen  Gummischlauch  mit  dem 
aus  der  Verbrennungsröhre  tretenden  Gasableitungsrohr  verbunden;  das 
Bohr  hj  welches  oben  mit  einem  Glashahn  c  versehen  ist,  dient  zur 
Aufsammlung  des  Stickstoffs  und  ist  unten  mit  etwas  Quecksilber  abge-. 
sperrt;  durch  das  capillare  Ableitungsrohr  d  wird  nach  der  Verbrennung 


1  Ber.  21,  3172.  >  Monatsh.  10,  357. 

'  Ber.  21,  2910;  s.  ferner  Cboss  und  Bevan,  Journ.  Soc  1888.  I.  889. 

*  Pooo.  06,  379.  *  Ann.  186,  1.  •  Chem.  News  88,  133. 

'  Einige  ziehen  es  vor,  die  Kohlensäure  nicht  in  der  Yerbrenuungsröhre  selbst. 
sondern  in  einem  besonderen  Entwickelungsapparat  zu  entbinden.  £ine  Kritik  der 
verschiedenen  Entwickelnngsarten  s.  bei  Kreusleb,  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  24,  4.89. 

*  H.  Schiff,  Ber.  18,  885.   —  Gattermann,  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  24,  57. 

2* 


Volvmetriache  Stioketoff-Bestimmung. 


der  Stickstoff  in  eine  Messrölire  Ubei^efUhrt;  in  die  Kugel  e  wird  eine 
etwa  40-procentige  Kalilauge  eiiigefällt ;  dieselbe  steht  durch  einen  starken 
Oummischlauch  mit  dem  Eohr  b  in  Verbindung,  man  kann  sie 
höher  und  niedriger  stellen  und  dadurch  mehi'  oder  weniger  Lauge  in 
das  Sammelrohr  b  eintreten  lassen.  Zu  Beginn  der  Bestimmung  stellt 
man  sie  ganz   tief,    so    dass  fast  keine  Lauge  sich  m  b  befindet,  lässt 

den  Hahn  c  geöffnet  und 
erhitzt  nun  die  hintere 
Hälfte  des  Kohleneaure- 
entwicklers,  um  zunächst 
alle  Luft  in  der  Verbren- 
nungsröhre durch  Koh- 
lensäure zu  verdrängen. 
Nach  einiger  Zeit  prüft 
man,  ob  alle  Luft  aus- 
getrieben ist,  in  der 
Weise,  dass  man  durch 
Heben  der  Kugel  das 
Sammelrohr  ganz  mit 
Kalilauge  füllt,  den  Hahn 
c  schliesst  und  zusieht, 
ob  sich  unter  demselben 
noch  Luftblasen  ansam- 
meln, oder  ob  die  aas 
dem  Verbrennungsrohr 
austretenden  Grasblasen 
vollkommen  durch  Kali- 
lauge absorbirt  werden. 
Ist  letzteres  erreicht,  so 
fUllt  man  auch  das  Ca- 
pillarrohr  d  durch  Heben 
der  Kugel  e  bei  geöffiie- 
tem  Hahn  c  vollständig 
mitEalilauge,mässigtdie 

Kohiensäureentwicke- 
lung  und  schreitet  nun 
zur  eigentlichen  Ver- 
brennung, die  ganz  in  der  S.  13  beschriebenen  Weise  geleitet  wird.  Nach 
Beendigung  derselben  wird  wieder  ein  lebhafterer  Eohlensäurestrom  durch 
stärkeres  Erhitzen  der  noch  nicht  erschöpften  vorderen  Hälfte  des  Ent- 
wicklers erzeugt,  nm  allen  noch  in  der  Eöhre  befindlichen  Stickstoff  in 
das  Sammelrohr  überzuführen.  Man  löst  nun  die  Verbindung  zwischen 
Verbrennungsrohr  und  Sammelapparat  und  lässt  in  letzterem  das  Gas  noch 
etwa  eine  Stunde  mit  der  Kalilauge  in  Berührung,   um  sicher  zu  sein, 


1 


lumiDgen  de>  Sticiutoffs  bd  BtlckatolT- 


Volumetrisehe  Stickstoff-Beslimmutig.  21 


das3  alle  ihm  noch  beigemengte  Kohlensäure  absorbirt  wird.  Nun  ftkUt 
man  das  Gras  in  eine  mit  Wasser  gefiillte  Messrohre  in  der  durch  Fig.  12 
erläuterten  Weise  über;  man  stellt  die  Kugel  so  hoch  als  möglich, 
taucht  das  Ende  des  Capillarrohrs  d  unter  Wasser,  hält  schräg  darüber 


d«i  Sllckiton  aus  dem  EinuDFUppsrat  in  die  M 


die  Messröhre  f  und  öffnet  vorsichtig  den  Hahn  c;  durch  den  Druck 
der  in  der  Kugel  befindlichen  Lauge  wird  das  Gas  aus  dem  Rohr  h  ge- 
presst,  verdrängt  zunächst  die  Kalilauge  in  dem  Capülarrohr  d  und  tritt 
dann   durch  dieses  Rohr,  welches  schliesslich  ganz  durch  die  nachströ- 


22  Volumetrische  SttGkstoff-Bestimmung. 


mende  Lauge  angefüllt  wird,  in  das  Messrohr  f  ein.  Nachdem  es  in 
letzterem  die  Temperatur  des  umgebenden  Wassers  angenommen  hat, 
liest  man  das  Volum  ab  und  notirt  gleichzeitig  die  Temperatur  t  imd 
den  Barometerstand  b.  Ist  das  gefundene  Gasvolum  v,  so  entspricht  das- 
selbe bei  0^  und  760  nun  Druck  einem  Volum 

y  ^  V  ib  -w) 


760  (1  +0.00367  0, 

WO  w  die  Tension  des  Wassers  bei  t^  bedeutet.  Da  nun  1  ccm  Stick- 
stoff bei  0®  und  760  mm  0.001256  g  wiegt,  so  ergiebt  sich  das  Grewicht 
des  erhaltenen  Stickstoflfvolums  in  dem  Werthe: 

V  (b  -  tp)  '  0-001256 


P  = 


760  (1  +  0-00367  t) 


Zur  Erleichterung  der  Ausrechnung  kann  man  Tabellen  benutzen,  welche  das 
Gewicht  von  1  ccm  Stickstoff  unter  verschiedenen  Temperaturen  und  Drucken  angeben. 
Eine  solche  Tabelle  ist  von  F.  Frebichs  zusammengestellt  ^ 

Ein  Apparat,  durch  welchen  man  unmittelbar  nach  Beendigung  der  Verbrennung 
und  Abktlhlung  des  Gases,  ohne  Thermometer  und  Barometer  ablesen  zu  müssen,  das 
Gewicht  des  entwickelten  Stickstofis  erfährt,  ist  von  Lünob'  construirt  worden. 

Hat  man  es  mit  Substanzen  zu  thun.  Welche  schwer  in  einer  für  mehrere  Ana- 
lysen ausreichenden  Menge  beschafft  werden  können,  so  kann  man  auch  die  vo- 
lumetrische Stickstoffbestimmung  mit  der  Bestimmung  des  Kohlenstoffs 
und  Wasserstoffs  zugleich  in  einer  Operation  ausführen.'  Man  darf  dann 
die  Verbrennung  natürlich  nicht  in  einer  Atmosphäre  von  Kohlensäure  ausführen, 
sondern  erzeugt  statt  dessen  im  Versuchsrohr  durch  Erhitzen  einer  Mischung  von  110  g 
Kaliumbichromat  und  100  g  Kaliumpermanganat  einen  Strom  von  reinem  Sauerstoff, 
durch  welchen  zuerst  die  Luft  und  später  die  Yerbrennungsprodukte  aus  dem  Rohr 
verdrängt  werden.  An  das  Verbrennungsrohr  schliessen  sich  zunächst  das  Ohlor- 
calciumrohr  und  der  Kaliapparat,  dann  der  Sammelapparat  für  den  Stickstoff,  welcher 
in  diesem  Falle  mit  einer  Sauerstoff  absorbirenden  Flüssigkeit  gefüllt  seib  muss. 
Als  solche  benutzt  man  eine  Lösung  von  Chromchlorür.  —  Ueber  andere  Methoden 
zu  demselben  Zweck  vgl.  Schulze^,  Fbebichs"  und  Hempbl^ 

Ein  Verfahren  zur  volumetrischen  Stickstoffbestimmnng  im  offenen 
Bohre  ist  von  Kr£üsleb'  angegeben. 

Das  Verfahren  der  volumetrischen  Stickstoflfbestimmung  giebt  stets 
zuverlässige  Resultate  und  wird  daher  jetzt,  wenn  es  sich  um  die  Er- 
mittelung des  Stickstoflfgehalts  von  neuen  Verbindungen  handelt,  wohl 
allgemein  angewendet.  In  agriculturchemischen  Laboratorien  ist  täglich 
eine  grössere  Reihe  von  Stickstoffbestimmungen  an  Futterstoffen,  Dünge- 
mitteln etc.  anzustellen,  und  man  bedarf  daher  für  diese  Zwecke  einer 
Methode,  welche  rascher  auszufuhren  ist.  Bis  vor  einigen  Jahren  be- 
diente man  sich  der  Methode  von   Will  und  Vaerentbapp,  welche 


^  Zu  beziehen  durch  d.  ehem.  Universit-Laborat.  zu  Göttingen. 

•  Ber.  28,  446.  •  P.  Jannasch  u.  V.  Meter,  Ann.  288,  375. 

*  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  6,  269.  ^  Ber.  10,  26. 

^  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  17,  409.  ^  Ebenda  24,  448. 


Siiekstoff-Bestimmwig  durch  Ueberführung  in  AmmoniaL  23 


darauf  beruht,  dass  aus  jenen  Stoffen  beim  Erhitzen  mit  Natronkalk 
die  ganze  Menge  des  in  ihnen  enthaltenen  Stickstoffs  als  Ammoniak 
entwickelt  wird;  in  einer  kurzen  Verbrennungsröhre  wurde  das  Gemisch 
der  Substanz  mit  Natronkalk  erhitzt,  das  entweichende  Ammoniak  in  einer 
abgemessenen  Menge  titrirter  Salzsäure  angefangen  und  durch  Zurück- 
titriren  der  nicht  neutralisirten  Säuremenge  bestimmt.  Dies  Verfahren 
ist  jetzt  fast  vollständig  durch  die  bequemere  Methode  von  Ejeldahl^ 
verdrängt;  ihr  Princip  besteht  darin,  dass  die  Substanz  mit  concentrirter 
Schwefelsäure  einige  Zeit  auf  eine  dem  Siedepunkt  der  Säure  nahe  lie- 
gende Temperatur  erhitzt  wird,  wodurch  schon  der  grösste  Theil  des 
Stickstoffs  in  Ammoniak  übergeführt  wird;  durch  Zusatz  von  kleinen 
Portionen  pulverförmigen  Kaliumpermanganats  nach  beendigter  Einwir- 
kung der  Schwefelsäure  wird  die  Ueberftlhrung  in  Ammoniak  vollständig. 
Die  Zersetzung  wird  in  einem  Kölbchen  ausgeführt;  nach  ihrer  Beendigung 
wird  mit  Wasser  verdünnt,  mit  Natronlauge  übersättigt,  das  gebildete 
Ammoniak  abdestillirt  und  durch  Titration  bestimmt.  Diese  ursprüng- 
liche Form  der  vortrefflichen  KjELDAHL'schen  Methode,  welche  in  theo- 
retischer Beziehung  übrigens  noch  sehr  der  Aufklärung  bedürftig  ist,  ist 
in  mannigfacher  Weise  modificirt  worden. 

Sehr  verbreitet  ist  gegenwärtig  eine  von  Wilfabtb'  vorgeschlagene  Abänderung; 
derselbe  setzt  bei  der  Digestion  mit  Schwefelsäure  etwas  Quecksilber  zu,  wodurch 
die  Einwirkung  erheblich  beschleunigt  wird.  Setzt  man  das  Erhitzen  fort,  bis  die 
Flässigkeit  farblos  geworden  ist,  so  kann  man  den  Zusatz  von  Kaliumpermanganat 
ganz  unterlassen.  Vor  dem  Abtreiben  des  Ammoniaks  ist  es  dann  nothwendig,  durch 
Schwefelkalinm  das  Quecksilber  als  Sulfid  auszufällen,  da  ohne  diese  Massregel  ein 
Theil  des  Ammoniaks  in  Form  von  Quecksilberamidverbindungen  zurückbleiben  oder 
wenigstens  sehr  langsam  aus  denselben  ausgetrieben  werden  würde. 

3«  Die  Bestiminung  der  Halogene  und  des  Schwefels  kann  in  den 
meisten  Fällen  nach  dem  Verfahren  von  Cabius'  ausgeführt  werden.  Es 
besteht  darin,  dass  die  Substanz  durch  Erhitzen  mit  starker  Salpetersäure 
vollständig  oxydirt  wird,  wobei  der  Schwefel  in  Schwefelsäure  übergeführt 
wird,  während  die  Halogene  zunächst  als  solche  abgeschieden  werden 
und  bei  Gegenwart  von  Silbemitrat  in  ihre  unlöslichen  Silberverbindungen 
übergehen.  Man  wägt  die  Substanz  (in  der  Regel  nicht  mehr  als  0.2  g) 
in  einem  engen  6 — 8  cm  langen  Röhrchen  aus  schwer  schmelzbarem 
Glase  ab  und  lässt  dasselbe  in  eine  starkwandige,  etwa  5  dm  lange,  mit 
1  bis  höchstens  2  ccm  reiner  Salpetersäure  vom  spec.  Gewicht  1.5  be- 
schickte Röhre  gleiten,  welche  ebenfalls  aus  schwer  schmelzbarem  Glase 
gefertigt  ist  und  einen  inneren  Durchmesser  von  12 — 14  mm  besitzt;  bei 
Halogenbestimmungen  setzt  man  femer  noch  eine  solche  Menge  Silber- 
nitrat zu,  dass  dieselbe  sicher  zur  Bindung  des  ganzen  Halogengehalts 
ausreicht.    Die  Röhre  wird   zu  einer  capillaren  Spitze  ausgezogen  und 


1  Zeitschr.  f.  anal.  Chem.  22,  866.  *  Ebenda  24,  455. 

*  Ann.  186,  129. 


24  Bestimmung  der  Halogene  und  des  Schwefels. 

zugescbmolzen,  wobei  man  Soi^e  trägt,  dass  vor  dem  ZnschmeLzeD  die 
Salpetersäure  noch  nicht  mit  der  Substanz  in  Berührung  icommt,  darauf 
in  eine  unten  geschloasene  eiserne  Schntzröhre  ({>)  gesteckt  und  im 
Eanonenofeo  (Fig.  13)  eAitzt.  Letzterer  wird  derart  aufgestellt,  dass  die 
vordere  die  offenen  Enden  der  Schutzröhren  enthaltende  Seite  a  einer  festen 
Wand  zugekehrt  ist;  eine  etwa  während  des  Erhitzens  eintretende  Ex- 
plosion kann  dann  keinen  Schaden  anrichten,  da  die  Röhrensplitter  zu- 
nächst gegen  die  Wand  geschleudert  werden.  Es  empfiehlt  sich  femer,  die 
FUsse  des  Kanonenofens  fest  auf  den  Tisch  zu  Bchrauben,  da  es  zuweilen 
bei  sehr  heftigen  Explosionen  vorgekommen  ist,  dass  der  ganze  freistehende 


Ofen  fortgeschleudert  wurde.  Für  manche  Substanzen  genUgt  ein  Er- 
hitzen auf  150 — 200",  bei  anderen  ist  eine  mehrstündige,  ja  selbst  mehr- 
tägige Einvrirkung  bei  250 — 300"  oder  noch  höheren  Temperaturen  er- 
forderlich; es  ist  daher  empfehlenswertb,  in  allen  Fällen  wenigstens  eine 
Temperatur  von  etwa  300"  zu  erreichen;  um  ein  Springen  der  Röhren 
bei  diesen  hohen  Temperaturen  zu  vermeiden,  erhitze  man  zunächst 
einige  Stunden  nur  auf  180 — 200°,  lasse  dann  erkalten,  öffne  die  Röhre, 
lasse  die  schon  reichlich  durch  Oxydation  der  Substanz  gebildete  Kohlen- 
säure und  die  niederen  Oxyde  des  Stickstoffs  entweichen,  schmelze  wieder 
zu  und  erhitze  jetzt  mehrere  Stunden  auf  250 — 300".     Bei  schwer  oxy- 


Methode  von  Carius.  25 


dirbaren  Substanzen  muss  man  die  Temperatur  so  hoch  steigern,  als 
68  bei  voller  Ausnutzung  der  Heizflammen  möglich  ist;  man  entfernt 
dann  natürlich  das  die  Temperatur  anzeigende  Quecksilberthermo- 
meter. Jede  einzelne  Substanz  muss  in  Bezug  auf  die  Dauer  und 
Temperatur  der  Einwirkung,  welche  sie  verlangt,  studirt  werden.  —  Das 
Oefihen  der  starken  Druck  enthaltenden  Bohren  kann  bei  unvorsichtigem 
Operiren  zu  gefährlichen  Explosionen  Anlass  geben,  ist  aber  bei  Ein- 
haltung der  folgenden  Cautelen  völlig  gefahrlos.  Man  öShe  niemals  eine 
Röhre  vor  dem  vollständigen  Erkalten,  lasse  nur  46n  obersten  Theil  aus 
der  eisernen  Schutzröhre  herausgleiten  und  umwickle  diesen  bis  auf  die 
Spitze  mit  einem  Handtuch.  Eine  etwaige  Explosion  während  des  Oeff- 
nens  verläuft  dann  gefahrlos,  da  die  Splitter  durch  die  eiserne  Bohre 
und  das  Handtuch  zurückgehalten  werden.  Da  indess  in  vereinzelten 
Fällen  auch  die  eiserne  Schutzröhre  bei  Ekplosion  der  inneren  Bohre 
geborsten  ist,  so  ist  es  empfehlenswerth,  die  Hand,  mit  welcher  man  die 
eiserne  Bohre  fasst,  durch  einen  starken  ledernen  Handschuh  zu  schützen. 
Die  Spitze  wird  nun  in  der  leuchtenden  Flamme  eines  Bunsenbrenners 
vorsichtig  erwärmt,  damit  die  in  ihr  enthaltenen  Flüssigkeitstheilchen 
nach  unten  destilliren  und  nicht  beim  Oeffinen  herausgeschleudert  werden 
können ;  darauf  erwärmt  man  in  der  nicht  leuchtenden  Flamme  bis  zum 
beginnenden  Erweichen.  Durch  den  von  innen  wirkenden  Druck  bläst 
sich  die  Spitze  nun  auf,  und  die  Gase  entweichen  allmählich  und 
gefahrlos  durch  die  entstandene  kleine  Oeffnung.  Man  sprengt  nun  die 
Bohre  unmittelbar  unter  der  Spitze  ab  und  spült  den  Inhalt  mit  Wasser 
in  ein  Becherglas.  Bei  Halogenbestimmungen  hat  man  zunächst  das 
Halogensilber  zu  filtriren  und  in  bekannter  Weise  weiter  zu  behandeln  und 
kann  im  Filtrat  noch  einen  etwaigen  Schwefelgehalt  durch  Fällung  mit 
Bariumnitrat  nachweisen  und  bestimmen;  bei  halogenfreien  schwefel- 
haltigen Substanzen  kann  man  unmittelbar  nach  starker  Verdünnung 
mit  Chlorbarium  fallen  oder  auch  vor  der  Fällung  durch  Eindampfen 
auf  dem  Wasserbade  die  überschüssige  Salpetersäure  vertreiben.  Es 
sei  daran  erinnert,  dass  der  schwefelsaure  Baryt  stets  auf  einen  G-ehalt 
an  löslichen  Bariumsalzen  geprüft  werden  und  nöthigenfalls  durch  Aus- 
kochen mit  verdünnter  Salzsäure  davon  befreit  werden  muss. 

In  Verbindungen,  welche  sich  nach  der  CABius'schen  Methode  nicht 
vollständig  oxjdiren  lassen,  bestimmt  man  den  Schwefel  zweckmässig 
durch  UeberfÜhrung  in  schwefelsauren  Kalk,  indem  man  die  Substanz 
in  einem  einerseits  zu  einer  Spitze  ausgezogenen  Verbrennungsrohr  mit 
reinem  Kalk  gemischt  unter  Ueberleiten  eines  Sauerstoffstroms  erhitzt. 
Der  Böhreninhalt  wird  dann  in  verdünnter  Salzsäure  gelöst,  die  Lösung 
mit  Chlorbarium  gefällt. 

Die  Bestimmung  der  Halogene  kann  in  allen  Fällen  durch  Glühen 
der  Substanz  mit  Kalk  in  einer  am  einen  Ende  rund  geschmolzenen 
3 — 4  dm   langen  Verbrennungsröhre   (ohne  Ueberleiten  von  Sauerstoff) 


26  Andere  Methoden  der  Halogen^  und  Schwefel-Bestimmung, 


ausgeführt  werden.  In  die  Röhre  wird  zunächst  etwas  reiner  Kalk, 
dann  das  Gemisch  der  Substanz  mit  Kalk,  endlich  eine  längere  Schicht 
reinen  Kalks  gebracht;  man  erzeugt  dann  durch  Aufklopfen  einen  Canal 
und  erhitzt  auf  dem  Verbrennungsofen  —  vom  vorderen  Ende  anfangend 
—  allmählich  zum  Glühen.  Nach  dem  Erkalten  wird  der  Rohrinhalt 
in  Wasser  geschüttet  und  mit  Salpetersäure  bis  zur  schwach  sauren 
Reaction  versetzt;  man  filtrirt  von  der  ungelöst  bleibenden  Kohle  und 
fällt  im  Filtrat  das  Halogen  durch  Silbernitrat.  Bei  der  Analyse  von 
jodhaltigen  Substanzen  würde  in  der  sauren  Lösung  etwas  Jod  aus- 
geschieden werden;  man  versetzt  dann  vor  der  Filtration  mit  etwas 
schwefliger  Säure,  um  das  freie  Jod  wieder  in  JodwasserstofiFsäure  über- 
zuführen. 

Empfehlenswerth  ist  endlich  auch  die  Methode  von  Bbügelmann^ 
zur  Bestimmung  der  Halogene  und  des  Schwefels.  In  einer  beiderseits 
offenen  Verbrennungsröhre  wird  die  Substanz  —  in  einem  Schiffchen 
befindlich  —  im  Sauerstoffstrom  verbrannt;  die  Verbrennungsprodukte 
streichen  über  eine  glühende  Schicht  reinen  gekörnten  E^lks  und  geben 
an  diese  ihren  Gehalt  an  Halogenen  oder  Schwefelsäure  ab.  Man  löst 
dann  den  Kalk  in  verdünnter  Salpetersäure  und  fallt  die  Halogene  durch 
Silbernitrat  bezw.  die  Schwefelsäure  durch  Chlorbarium.  Auch  Phosphor 
und  Arsen  können  in  dieser  Weise  bestimmt  werden. 

Ueber  andere  Methoden  vgl.  u.  A.  Saueb^,  Klason',  Weidel  und 
V.  Schmidt*,  Fahlbebg  und  Iles*,  Zulkowsky  und  Lep^iz®. 

4.    Die  Bestlminung  ron  anderen  MetalloMen  oder  Metallen. 

Allgemein  kann  man  die  Bestimmung  der  übrigen  Elemente,  wenn  sie 
sich  in  organischen  Verbindungen  vorfinden,  auf  die  in  der  anorganischen 
Chemie  üblichen  Methoden  zurückführen,  indem  man  zunächst  durch  Er- 
hitzen mit  rauchender  Salpetersäure  im  geschlossenen  Rohr  die  organische 
Verbindung  zerstört  und  so  eine  Lösung  herstellt,  welche  nur  noch  an- 
organische Stoffe  enthält.  In  einigen  Fällen  fuhren  aber  auch  einfachere 
Wege  zum  Ziel.  Sehr  häufig  hat  man  z.  B.  die  Salze  der  organischen 
Säuren  mit  den  Alkalimetallen  oder  den  alkalischen  Erdmetallen  zu 
analysiren;  man  braucht  dann  zur  Bestimmung  der  Basis  nur  eine  ab- 
gewogene Menge  im  Platintiegel  mit  concentrirter  Schwefelsäure  zu  über- 
giessen,  abzurauchen  und  den  Bückstand  zu  glühen;  die  organische  Sub- 
stanz wird  zerstört,  die  Basis  bleibt  als  Sulfat  zurück  und  wird  als  solches 
gewogen.  Silbersalze  halogen-  und  schwefelfreier  Säuren  hinterlassen 
beim  Glühen  reines  metallisches  Silber;  zur  Silberbestimmung  glüht  man 
daher  einfach  eine  abgewogene  Menge  im  Porzellantiegel  und  wägt  den 
Rückstand.     Ebenso   werden  die  Gold-  oder  Platindoppelchloride  orga- 


^  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  16,  1;  16,  1. 

*  Ebenda  12,  82  u.  17S.  '  Ebenda  22,  177.  —  Ber.  19,  1910;  20,  3065. 

*  Ber.  10,  1131.  *  Her.  11,  1187.  •  Monatsh.  6,  537;  6,  447. 


Beaiirmnimg  der  Übrigen  Elemente.  27 


Bischer  Basen  analysirt;  man  erhitzt  zunächt  im  bedeckten  Tiegel  vor- 
sichtig, damit  nicht  durch  zu  heftige  Dampfentwicklung  Substanzverlust 
entsteht,  glüht  dann  bei  Luftzutritt  stärker  und  wägt  das  metallisch 
zurückbleibende  Gold  bezw.  Platin. 

5.  Die  Bestinunung  des  Sauerstoffs.  Dj^n  Sauerstoffgehalt  einer 
Verbindung  bestimmt  man  fast  immer  auf  indiredcem  Wege ;  nach  Ermitte- 
lung des  procentischen  Gehalts  an  allen  anderen  Elementen  summirt  man 
die  erhaltenen  Werthe  und  nimmt  die  Differenz  zwischen  100  und  dieser 
Summe  als  Sauerstoffgehalt  an.  Eine  leicht  ausführbare  Methode  zur 
directen  Bestimmung  des  Sauerstoffs  wäre  von  grossem  Werthe.  Es 
sind  verschiedene  Methoden^  vorgeschlagen,  deren  Princip  darin  besteht, 
dass  die  zur  völligen  Oxydation  der  Substanz  erforderliche  Menge  Sauer- 
stoff bestimmt  wird.  Bisher  hat  sich  indess  keine  einzige  allgemeinen 
Eingang  in  die  Laboratorien  verschaffen  können;  auf  ihre  Beschreibung 
sei  daher  hier  verzichtet. 

Berechnung  der  Formel  einer  Verbindung  aus  den  bei  ihrer 

Analyse  gefundenen  Zahlen. 

Aus  den  bei  der  Analyse  beobachteten  Zahlen  lässt  sich  zunächst, 
wie  an  einem  Beispiel  erläutert  werden  möge,  der  Procentgehalt  an  den 
einzelnen  Elementen  durch  einfache  Proportionen  berechnen.  Zur  Ana- 
lyse sei  Essigsäure  verwendet  worden,  und  eine  Verbrennung  habe  die 
folgenden  Zahlen  geliefert: 

0-2046  g  Substanz  gaben  0.2985  g  COj 

und  0.1255  g  H^O 

Da  44  Theüe  CO,  12  Theile  C  enthalten,  so  hat  man  zur  Umrechnung 
des  gefundenen  Gewichts  Kohlensäure  auf  Kohlenstoff  zunächst  die  Pro- 
portion: 

0-2985:  a;  =  44: 12  =  11 :3 

X  =  ?-^-?;^  =  0-0814 

Da  18  Theile  Wasser  2  Theile  Wasserstoff  enthalten,  so  ergiebt 
sich  das  dem  gefundenen  Wasser  entsprechende  Gewicht  Wasserstoff 
aus  dem  Ansatz: 

01255:  ^  =  18:2  =  9:1 

^^00^^0.0139 

Zur  Ermittelung  des  procentischen  Gehalts  hat  man  nun  noch  in  die 
mit  100  multiplicirten  Werthe  von  x  und  y  mit  der  angewendeten  Sub- 
stanzmenge hineinzudividiren.     Es  ist  also  der  Procentgehalt 

^  Baükhatteb,  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  6,  141.  —  Ladenbubg,  Ann.  136,  1.  — 
Stbometkb,  Ann.  117,  247.  —  A.  Mitscheblich,  Ztschr.  f.  anal.  Chem.  16,  871. 


28  Berechmmg  der  Formel  aus  dm  AncUysenzaklen. 


an  KoUenstoff  ^*^  =  39-78 

„  Wasserstoff  «l«!??^  =     6-79 

Da  die  qualitative  Prüfung  ausser  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  keine 
anderen  Elemente  in  der  Essigsäure  nachweisen  lässt,  so  ist  man  zu 
der  Annahme  berechtigt,  dass  der  an  100  ^o  noch  fehlende  Betrag  den 
Sauerstoffgehalt  darstellt.  Demnach  enthalten  nach  der  Analyse  lOOTheile 
Essigsäure: 

39.78  Th.  Kohlenstoff, 
6.79     „    Wasserstoff, 
53.48     „    Sauerstoff. 

Es  handelt  sich  nun  darum  zu  berechnen,  welchem  Atomver- 
hältniss  die  gefundenen  Procentzahlen  entsprechen.  Zu  diesem 
Zwecke  dividirt  man  die  fiir  jedes  einzelne  Element  gefundene  Procent- 
zahl durch  das  demselben  zukommende  Atomgewicht.  So  kommen  wir 
zu  den  Zahlen: 

für  Kohlenstoff:  ?^  =  3-315 

12 

„    Wasserstoff:   ill?  ==  6-79 
„     Sauerstoff :       /,    =3-34 

16 

Das  Verhältniss  dieser  Quotienten  ist  das  Atomverhältniss  der  Elemente 
in  der  Essigsäure;  um  es  übersichtlicher  auszudrücken,  rechnet  man  es 
auf  1  Atom  desjenigen  Elements  um,  das  in  der  geringsten  Atomzahl 
vorkommt,  in  diesem  Falle  also  auf  1  Atom  Kohlenstoff.  Es  ergiebt 
sich  auf  1  Atom  C: 

^''^^  =  2-048  Atome  H  und  ^^  =  1-008  Atome  0. 


8-315  3*815 

Die  Essigsäure  besitzt  demnach  eine  Zusammensetzung,  welche  durch  die 
Formel  CHgO  ausgedrückt  werden  kann.  Freilich  entsprechen  die  ge- 
fundenen Werthe  nicht  genau  dem  einfachen  Verhältniss  1C:2H:10, 
aber  eine  genaue  Uebereinstimmung  kann  auch  nicht  erwartet  werden, 
da  alle  analytischen  Bestimmungen  mit  gewissen  Fehlern  behaftet  sind. 
Man  muss  bei  der  Verwerthuug  der  Analysenzahlen  diesem  umstand  Rech- 
nung tragen  und  namentlich  berücksichtigen,  dass  der  Wasserstoffgehalt 
fast  immer  etwas  zu  hoch  gefunden  wird  (in  der  Regel  um  0-1 — 0-2 ®^). 
Kohlenstoff  findet  man  gewöhnlich  um  etwa  0-2^/^  zu  niedrig,  bei  stick- 
stoffhaltigen und  schwefelhaltigen  Substanzen  dagegen  leicht  etwas  zu 
hoch;  Stickstoff  und  Schwefel  werden  in  der  Regel  um  0-1 — 0-27o  zu 
hoch  gefunden. 


Ermittelung  der  Molecuiaiyrösse,  29 


Die  einfachste  Formel,  welche  sich  aus  der  Analyse  einer  Ver- 
bindung berechnen  lässt,  braucht  nun  aber  nicht  ihre  wirkliche  mole- 
culare  Zusammensetzung  auszudrücken.  Denn  offenbar  würde  jedes  be- 
liebige Multiplum  derselben  einen  gleichen  Procentgehalt  an  den  einzelnen 
Elementen  erfordern.  Auf  Grund  der  analytischen  Zahlen  könnten  wir 
z.  B.  für  die  Essigsäure  statt  der  einfachsten  Formel  CHgO  mit  dem- 
selben Recht  die  Formeln  C^H^Og,  CjHgOg,  C^HgO^  etc.  aufstellen*  Um 
unter  diesen  vielen  verschiedenen  Formeln,  welche  die  Analyse  einer 
Verbindung  noch  möglich  lässt,  diejenige  auszuwählen,  welche  wirklich 
die  Anzahl  der  zu  einem  Molecül  vereinigten  Atome  angiebt,  bedarf  es 
einer  Bestimmung  der  Moleculargrösse. 


nL    Ermittelung  der  MoleculargrOsse. 

A.  Theorie  der  Mole(yidargewi6ht8he8tifnmiu/ng, 

Anhaltspunkte  zur  Beurtheilung  der  Moleculargrösse  einer  Ver- 
bindung liefert  in  der  Regel  das  Studium  ihrer  einfachsten  chemi- 
schen Umwandlungen.  Die  Essigsäure  z.  B.  bildet  in  ihrer  Eigen- 
schaft als  Säure  Salze,  indem  Metallatome  an  Stelle  von  Wasser- 
stoffatomen in  ihr  Molecül  eintreten.  Wäre  die  Molecularformel  der 
Essigsäure  wirklich  CH^O,  so  sollte  man  erwarten,  dass  es  Salze  von 
der  Formel  CHMe'O  gäbe  (Me':  ein  einwerthiges  Metallatom).  Allein  die 
Analyse  des  essigsauren  Silbers  ergiebt  C^HjAgOg  als  einfachste  Formel 
für  dieses  Salz.  Es  ist  demnach  nicht  die  Hälfte  des  Wasserstoffgehalts 
durch  Metallatome  vertretbar,  sondern  nur  ein  Viertel;  daraus  ergiebt 
sich,  dass  mindestens  vier  Wasserstoffatome  im  Molecül  der  Essigsäure 
vorkommen.  Jene  Formel  CH^O,  welche  die  Analyse  der  Essigsäure  mög- 
lich erscheinen  liess,  ist  damit  ausgeschlossen;  die  einfachste  Formel, 
welche  sich  mit  dieser  neuen  Erfahrung  in  Einklang  bringen  lässt,  ist 
CjH^Oj.  Aber  damit  ist  diese  Formel  als  Molecularformel  noch  keines- 
wegs bewiesen;  die  Essigsäure  könnte  ja  eine  mehrbasische  Säure,  z.  B. 
eine  zweibasische  sein  und  demgemäss  in  ihrem  Molecül  zwei  durch 
Metallatome  vertretbare  Wasserstoffatome  enthalten;  dann  wäre  ihre 
Molecularformel  C^H^O^  und  diejenige  des  Silbersalzes  C^HgAg^O^.  Ist 
diese  Annahme  richtig,  so  sollte  man  erwarten,  dass  auch  ein  Silbersalz 
von  der  Formel  C^BL^AgO^  existirt:  ein  saures  Salz,  in  welchem  nur 
die  Hälfte  des  vertretbaren  Wasserstoffs  durch  Metall  wirklich  vertreten 
ist.  Man  kann  daher  zur  Prüfung  jener  Annahme  schreiten,  indem  man 
Bedingungen  herstellt,  welche  zur  Bildung  eines  solchen  Salzes  möglichst 
günstig  sein  sollten,  und  nun  die  Existenz  desselben  durch  die  Analyse 
zu  beweisen  sucht.  In  diesem  Falle  würde  das  nicht  gelingen;  auch 
wenn  man  überschüssige  Essigsäure  auf  Silberoxyd  wirken  lässt,  erhält 
man   stets   das  Salz  C^HjAgO^.    Jene   Annahme   wird   daher  unwahr- 


30  MoleculargewtcktsbesHmmung  auf  chemischem  Wege. 


scheinlich,  die  einfachste  Formel  der  Essigsäure  CgH^Oj,  welche  mit  der 
Analyse  des  essigsauren  Silbers  vereinbar  ist,  gewinnt  dagegen  nun  als 
Molecularformel  einen  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit.  Die  Unter- 
suchung der  Zusammensetzung  von  Salzen  kann  so  in  vielen  Fällen  zur 
Moleculargewichtsbestimmung  von  Säuren  dienen.  Die  Silbersalze  eignen 
sich  besonders  fiir  diesen  Zweck,  da  bei  ihnen  die  Bildung  von  über- 
sauren Salzen  (Verbindungen  von  1  Mol.  Salz  mit  1  Mol.  Säure,  wie 
z.  B.  das  Salz  KC^HgO  +  CgH^O,)  nicht  beobachtet  ist. 

In  ähnlicher  Weise,  wie  sich  für  Säuren  aus  der  Zusammensetzung 
ihrer  Metallsalze  Schlüsse  auf  die  Molecularformel  ziehen  lassen,  kann 
man  auch  für  basische  Verbindungen  die  Salzbildung  als  Hülfsmittel 
heranziehen  und  aus  der  Zusammensetzung  der  Salze,  welche  sie  mit 
Säuren  bilden,  den  wahrscheinlichen  Werth  ihrer  Moleculargrösse  er- 
schliessen.  Besonders  eignen  sich  hierzu  die  Doppelsalze  der  Chlor- 
hydräte  nüt  Platinchlorid,  welche  gewöhnlich  nach  dem  Typus  des  Platin- 
salmiaks 2NH3HCl  +  PtCl4  zusammengesetzt  sind. 

Bei  indifferenten  Verbindungen  kann  die  Untersuchung  von  Sub- 
stitutionsvorgängen oft  schätzbare  Aufschlüsse  liefern.  Für  das 
Benzol  z.  B.  liefert  die  Analyse  als  einfachsten  Ausdruck  seiner  Zu- 
sammensetzung die  Formel  CH;  nun  lässt  sich  aus  dem  Benzol  leicht 
ein  Bromderivat  herstellen,  welches  nach  der  Analyse  die  einfachste 
Formel  CgH^Br  besitzt;  da  in  dieser  Verbindung,  welche  Brombenzol  ge- 
nannt wird,  das  Brom  sich  wieder  bei  Einwirkung  von  nascirendem  Wasser- 
stoff durch  Wasserstoff  unter  Bückbildung  von  Benzol  ersetzen  lässt, 
so  ist  mit  Sicherheit  anzunehmen,  dass  bei  ihrer  Bildung  nur  eine  Sub- 
stitution von  Wasserstoff  durch  Brom  erfolgt,  und  sich  dabei  keine 
complicirteren  Vorgänge  —  wie  z.  B.  eine  Verkettung  von  Kohlenstoff- 
atomen —  abspielen.  Wenn  nun  einem  Substitutionsprodukte  des  Ben- 
zols die  einfachste  Formel  CgHgBr  zukommt,  so  kann  das  Benzol  selbst 
unmöglich  eine  einfachere  moleculare  Zusammensetzung  besitzen,  als  sie 
durch  die  Formel  CgH^  ausgedrückt  ist.  Wohl  aber  kann  sein  Molecül 
eine  noch  grössere  Zahl  von  Atomen  in  sich  vereinigen;  die  Molecular- 
formel des  Benzols  kann  z.  B.  CjgHjg,  diejenige  des  erwähnten  Brom- 
derivats CijHj^Brg  sein.  Dann  erscheint  die  Existenz  eines  weniger 
Brom  enthaltenden  Bromderivats  Cj^HuBr  denkbar;  man  kann  Versuche 
zu  seiner  Gewinnung  anstellen,  und  aus  dem  Umstand,  dass  dieselben 
alle  resultatlos  verlaufen,  darf  man  entnehmen,  dass  eine  complicirtere 
moleculare  Zusammensetzung,  als  die  durch  die  Formel  CgH^  ausge- 
drückte, für  das  Benzol  unwahrscheinlich  ist;  mit  Sicherheit  ausschliessen 
kann  man  eine  solche  indessen  auf  diesem  Wege  nicht.  Denn  einerseits 
könnten  wir  ja,  auch  wenn  wir  noch  so  mannigfache  Versuche  zur  Dar- 
stellung der  Verbindung  CjgHjjBr  anstellen,  unglücklicherweise  grade  die 
richtigen  Bedingungen  verfehlen,  andererseits  dürfen  wir  gar  nicht  mit 
Bestimmtheit  behaupten,  dass  die  Existenz  einer  solchen  Verbindung  bei 


MoleculargewichtshesUmmung  auf  physikalischer  Orundlage,  31 


einer  der  Molecularformel  0^2-^12  entsprechenden  Zusammensetzung  des 
Benzols  noth wendig  wäre;  Gründe,  die  uns  unbekannt  sind,  können  ja 
bewirken,  dass  die  Substitution  eines  Wasserstoffatoms  allein  überhaupt 
nicht  eintritt,  vielmehr  gleich  die  Substitution  eines  zweiten  und  damit 
die  Bildung  der  Verbindung  C^gEj^Br^  nach  sich  zieht. 

Wie  in  den  eben  besprochenen  Beispielen,  so  lässt  sich  in  allen 
Fällen  aus  dem  chemischen  Verhalten  einer  Verbindung  nur  ein 
Minimalwerth  ihrer  Moleculargrösse  ableiten;  man  kann  durch 
zweckmässig  angestellte  Versuche  es  unwahrscheinlich  machen,  dass  die 
wirkliche  Moleculargrösse  ein  Vielfaches  dieses  Werthes  ist,  aber  man 
kann  diese  Möglichkeit  niemals  mit  Sicherheit  ausschliessen.  Eine  ein- 
wurfsfreie Bestimmung  der  Moleculargrösse  kann  auf  chemischem  Wege 
nicht  geliefert  werden;  eine  solche  wird  uns  dagegen  ermöglicht  durch 
die  Kenntniss  der  Beziehungen,  welche  zwischen  dem  Moleculargewicht 
einerseits  und  gewissen  physikalischen  Eigenschaften  der  Ver- 
bindungen andererseits  bestehen. 

Bis  vor  wenigen  Jahren  war  die  einzige  physikalische  Grundlage 
zur  Bestimmung  des  Moleculargewichts  die  Messung  des  speci fischen 
Gewichts  im  Gaszustand.  Nach  dem  Gesetz  Avogadeo's  enthalten 
gleiche  Volume  verschiedener  Gase  —  gemessen  bei  gleichem  Druck  und 
gleicher  Temperatur  —  die  gleiche  Anzahl  von  Molecülen;  die  Gewichte 
solcher  Volume  müssen  demnach  zu  einander  in  demselben  Verhältniss 
stehen  wie  die  Gewichte  der  einzelnen  Molecüle  der  verschiedenen  Gase. 
Bezieht  man  also  die  specifischen  Gewichte  der  Gase  bezw.  Dämpfe 
auf  Wasserstoff  als  Einheit,  so  hat  man,  da  das  Moleculargewicht  des 
Wasserstoffs  gleich  2  ist,  jene  Zahlen  nur  mit  2  zu  multipliciren,  um 
zu  den  Werthen  des  Moleculargewichts  der  betreffenden  Verbindungen  zu 
gelangen.  Diese  Methode  der  Moleculargewichtsbestimmung  ist  die  zuver- 
lässigste und  wichtigste;  bei  ihrer  Anwendung  ist  nur  zu  beachten,  dass 
man  die  fragliche  Verbindung  unter  Bedingungen  untersucht,  bei  welchen 
sie  wirklich  als  Gas  betrachtet  werden  kann.  Der  Dampf  der  meisten 
Verbindungen  ist  unmittelbar  oberhalb  des  Siedepunkts  noch  nicht 
normal,  was  sich  darin  zu  erkennen  giebt,  dass  er  beim  Erwärmen 
durch  ein  gewisses  Temperaturintervall  oberhalb  des  Siedepunkts  eine 
grössere  Ausdehnung  zeigt,  als  sie  wirklichen  Gasen,  die  ja  alle  den- 
selben Ausdehnungscoefficienten  besitzen,  zukommt.  Bei  den  meisten 
organischen  Verbindungen  genügt  es,  den  Dampf  20 — 30®  über  den 
Siedepunkt  zu  erhitzen,  um  ihn  in  den  normalen  Gaszustand  überzu- 
führen. Untersucht  man  den  Dampf  unter  solchen  Bedingungen,  dass 
er  sich  in  einer  grösseren  Menge  eines  anderen  Gases  frei  ausbreiten 
kann,  so  braucht  man  indessen  meist  die  Versuchstemperatur  nicht  ein- 
mal soweit  zu  steigern,  sondern  erhält  selbst  noch  20 — 40®  unterhalb 
des  Siedepunktes  normale  Dampfdichtewerthe.  Will  man  ganz  sicher 
gehen,  so  ist  es  erforderlich,  bei  zwei  verschiedenen  Temperaturen  die 


32  MoleotUargeynchtsbestimmung  durch  Messung  der  Dampfdichte. 


Dampfdichte  zu  bestimmen;  findet  man  dann  die  Dichte  —  bezogen  auf 
WasserstofiF  oder  Luft  von  denselben  Temperaturen  —  in  beiden  Fällen 
gleich,  so  ergiebt  sich  daraus,  dass  der  Dampf  zwischen  diesen  beiden 
Temperaturen  dieselbe  Ausdehnung  wie  ein  wirkliches  Gas  besitzt  und 
daher  als  ein  solches  betrachtet  werden  darf. 

Zur  Ausführung  der  Moleculargewichtsbestimmung  auf  diesem  Wege 
ist  eine  ganze  Reihe  von  Methoden  der  Dampfdichtebestimmung 
ausgearbeitet  worden,  deren  nähere  Beschreibung  weiterhin  folgt.  Die- 
selben lassen  an  Bequemlichkeit  der  Ausfahrung  und  Schärfe  der  Resultate 
nichts  zu  wünschen  übrig.  Trotzdem  genügt  diese  Art  der  Molecular- 
gewichtsbestimmung nicht,  da  ihre  Anwendbarkeit  eine  so  sehr  be- 
schränkte ist.  Denn  die  Mehrzahl  der  organischen  Verbindungen  kann 
überhaupt  nicht  ohne  Zersetzung  in  den  Gaszustand  übergeführt  werden 
und  daher  selbstverständlich  nicht  einer  Dampf dichtemessung  unter- 
worfen werden. 

Erst  die  physikalische  Forschung  der  letzten  Jahre  hat  eine  umfassen- 
dere Grundlage  fiir  die  Moleculargewichtsbestimmung  geschaffen,  indem 
sie  einen  gesetzmässigen  Zusammenhang  zwischen  den  physika- 
lischen Eigenschaften  verdünnterLösungen  und  dem  Molecular- 
gewicht  der  darin  enthaltenen  gelösten  Stoffe  aufdeckte.  Auf 
Grund  dieses  Zusammenhangs  lässt  sich  aus  gewissen  physikalischen 
Constanten  einer  Lösung  ein  Bückschluss  auf  das  Moleculargewicht  des 
gelösten  Stoffes  ziehen.  Da  nun  die  Eigenschaft  der  Löslichkeit  eine 
weit  verbreitetere  ist  als  die  Eügenschaft  der  Vergasbarkeit,  so  wird  durch 
jene  Beziehungen  eine  grosse  Zahl  von  Substanzen  der  Moleculargewichts- 
bestimmung auf  physikalischer  Grundlage  zugänglich  gemacht,  für  welche 
bisher  eine  solche  wegen  ihrer  Nichtflüchtigkeit  unmöglich  war. 

Wir  verdanken  van  *t  Hoff^  und  Planck*  die  theoretische  Be- 
gründung jener  Beziehungen,  welche  zum  Theil  schon  vorher  durch 
Kaoult  auf  experimentellem  Wege  erkannt  waren.  In  dem  „osmo- 
tischen Druck"  erkannte  van  't  Hoff  eine  Grösse,  welche  für  gelöste 
Stoffe  dieselbe  Bedeutung  hat  wie  der  Gasdruck  für  gasförmige  Stoffe. 
Der  osmotische  Druck  kommt  zur  Erscheinung,  wenn  man  eine  Lösung 
von  dem  reinen  Lösungsmittel  durch  eine  Wand  von  solcher  Beschaffen- 
heit trennt,  dass  ihre  Poren  die  Molecüle  des  Lösungsmittels  unge- 
hindert hindurchgehen  lassen,  dagegen  die  Molecüle  des  gelösten  Stoffes 
zurückhalten.  Man  nennt  derartige  Wände  „halbdurchlässig".  Denkt 
man  sich  nun  die  Lösung  eines  Stoffes  in  einer  halbdurchlässigen  Zelle, 
letztere  in  ein  grösseres  Gefäss  mit  reinem  Lösungsmittel  eingetaucht, 
so  tritt  von  aussen  Lösungsmittel  in  die  Zelle;  dieser  Eintritt  veranlasst 
ein  Steigen  des  Drucks  im  Lineren  der  Zelle  und  erreicht  seine  Grenze, 
wenn  der  Druck  bis  zu  einem  bestimmten  Werth  angewachsen  ist.    Dann 


>  ZiBchr.  f.  physik.  Chem.  1,  481.  *  Wiedeicanm'b  Ann.  82,  485. 


MoleculargewichtsbesHm/mung  gelöster  Stoffe.  33 


ist  ein  Grleichgewichtsznstand  hergestellt,  es  dringt  kein  Lösungsmittel 
mehr  in  die  Zelle  ein.  Der  Druck,  bei  dem  dieser  Gleichgewichtszu- 
stand besteht,  wird  als  der  osmotische  Druck  der  Lösung  bezeichnet. 
Man  kann  den  Grleichgewichtsznstand  auch  derart  hergestellt  denken, 
dass  auf  die  in  der  Zelle  befindliche  Lösung  schon  vom  Augenblick  des 
Eintauchens  an  z.  B.  durch  einen  Kolben  der  gerade  ausreichende  Di*uck 
ausgeübt  wird,  um  den  Mntritt  des  Lösungsmittels  zu  verhindern;  so 
ergiebt  sich  die  folgende  Definition:  Der  osmotische  Druck  einer 
Lösung  ist  derjenige  Druck,  welcher  auf  eine  von  dem  reinen 
Lösungsmittel  durch  eine  halbdurchlässige  Zelle  abgetrennte 
Lösung  ausgeübt  werden  muss,  damit  weder  Lösungsmittel 
in  die  Zelle  eintritt  noch  aus  derselben  austritt. 

Für  diesen  osmotischen  Druck  gelten  nun  nach  den  theoretischen 
Entwickelungen  von  van  't  Hoff,  welche  namentlich  an  Beobachtungen 
von  Pfeffbb  und  de  Vbies  geprüft  werden  konnten,  dieselben  Gesetze 
wie  für  den  Druck  der  Gase.  Wie  der  Druck  der  Gase  abhängig  ist  von 
der  Anzahl  der  in  einem  Volum  verbreiteten  Gasmolecüle,  so  hängt  der 
osmotische  Druck  ab  von  der  Anzahl  der  in  einem  Volum  der  Lösung 
enthaltenen  Molecüle  des  gelösten  Stoffes.  In  demselben  Mass  wie  diese 
Anzahl  vergrössert  oder  verringert  wird,  steigt  oder  sinkt  der  osmotische 
Druck;  d.  h.  der  osmotische  Druck  ist  proportional  der  Con- 
centration.  Wie  der  Druck  der  Gase  unabhängig  ist  von  der  Zusam- 
mensetzung der  Gasmolecüle  und  nur  sich  nach  ihrer  Anzahl  regelt, 
so  auch  der  osmotische  Druck;  die  Natur  der  gelösten  Substanz  ist  auf 
seine  Grösse  ohne  Einfluss,  nur  die  Zahl  der  in  einer  bestimmten  Menge 
des  Lösungsmittels  gelösten  Molecüle  kommt  in  Betracht.  Daher  ist 
der  osmotische  Druck  für  Lösungen  verschiedener  Stoffe 
gleich,  wenn  diese  Lösungen  auf  gleiche  Mengen  des  Lösungs- 
mittels eine  gleiche  Anzahl  vonMolecülen  des  gelösten  Stoffes 
enthalten,  d.  h.  wenn  die  Mengen  der  gelösten  StofiFe  im  Verhältniss 
ihrer  Moleculargewichte  stehen  (äquimoleculare  Lösungen). 

Mit  dem  osmotischen  Druck  steht  eine  Reihe  von  anderen  Eigen- 
schaften verdünnter  Lösungen  in  theoretischem  Zusammenhang,  ftLr 
welche  sich  nun  ganz  analoge  Gesetze  ergeben.  Der  Dampfdruck  einer 
Flüssigkeit  wird  durch  die  Gegenwart  gelöster  Stoffe  herabgesetzt;  diese 
Dampfdruckverminderung  ist  ebenfalls  ausschliesslich  von  der  Anzahl 
der  Molecüle  abhängig,  durch  welche  sie  hervorgebracht  wird;  sie  ist  daher 
gleichfalls  proportional  der  Concentration  und  für  äquimoleculare 
Lösungen  verschiedener  Stoffe  in  demselben  Lösungsmittel  gleich.  Mit 
der  Dampfdruck  Verminderung  steht  in  engem  Zusammenhang  die  Sie  de - 
panktserhöhung,  welche  durch  Auflösen  einer  Substanz  in  einer 
Flüssigkeit  hervorgebracht  wird;  sie  ist  denselben  Gesetzen  unterworfen. 
Die  Gcjgenwart  gelöster  Stoffe  wirkt  femer  bekanntlich  auf  den  Er- 
starrungspunkt des  Lösungsmittels  erniedrigend  ein;;  auch  auf  die  Ge- 

V.  Mkyes  u.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  3 


34  MoleciUargewichtsbestimmung  gelöster  Stoffe, 


frierpunktserniedrigung  lassen  sich  jene  Gesetze  übertragen;  sie 
ist  proportional  der  Concentration  und  nur  abhängig  von  der  Anzahl 
der  gelösten  Molecüle,  nicht  von  ihrer  BeschaiBPenheit. 

Das  Gesetz  von  Avogadbo  Tässt  sich  in  der  Form  aussprechen: 

„Gase,  welche  im  gleichen  Volum  bei  gleicher  Temperatur  die  gleiche 
Anzahl  von  Molecülen  enthalten,  üben  gleichen  Druck  aus." 
Jene   von  van  't  Hopp   und  Planck  abgeleiteten   Beziehungen   stellen 
eine  Erweiterung   des  'AvoGABRo'schen  Gesetzes    auf  den  Zustand   von 
Lösungen  dar;  sie  lassen  sich  in  den  Satz  zusammenfassen: 

„Lösungen  verschiedener  Körper  in  derselben  Flüssigkeit,  welche  in 
der  gleichen  Menge  des  Lösungsmittels  die  gleiche  Anzahl  von 
Molecülen  der  gelösten  Stoffe  enthalten,  zeigen  gleichen  osmoti- 
schen Druck,  demzufolge  auch  gleichen  Dampfdruck,  gleichen 
Siedepunkt  und  gleichen  Gefrierpunkt." 

Schon  mehrere  Jahre  vor  der  theoretischen  Ableitung  dieses  Satzes 
hatte  Eaoült^  die  durch  denselben  ausgedrückte  Gesetzmässigkeit  be- 
züglich der  Dampfdruck-  und  Gefrierpunktsemiedrigung  auf  Grund  um- 
fassender Beobachtungen  erkannt  und  hatte  besonders  die  Messung  der 
Gefiierpunktsemiedrigung  als  Grundlage  zur  Bestimmung  des  Molecular- 
gewichts  vorgeschlagen.  In  der  That  ist  von  den  vier  Grössen,  die  auf 
Grund  des  obigen  Gesetzes  zur  Moleculargewichtsbestimmung  dienen 
können,  die  Gefrierpunktsemiedrigung  die  am  leichtesten  messbare;  die 
Bestimmung  des  osmotischen  Drucks  und  der  Dampfdruckverringerung 
ist  vorläufig  zu  umständlich,  um  als  stets  bereites  Hülfsmittel  für  die 
praktischen  Zwecke  des  Chemikers  in  Betracht  zu  kommen.  Für  die 
Bestimmung  der  Siedepunktserhöhung  ist  schon  eine  bequemere  Methode 
ausgearbeitet  worden  (vgl.  S.  50 — 52),  welche  indessen  an  Leichtig- 
keit der  Ausfuhrung  noch  hinter  der  Bestimmung  der  Gefrierpunkts- 
depression zuiücksteht.  Letztere  ist  in  der  weiterhin  (S.  47 — 49)  näher  zu 
beschreibenden  Ausßihrungsform  eine  so  einfache  Operation,  dass  die 
Befürchtung  nahe  liegt,  die  „kryoskopische"  Methode  der  Molecularge- 
wichtsbestimmung könne  die  „vaporimetrische"  ganz  verdrängen.  Es 
sei  daher  besonders  hervorgehoben,  dass  die  Moleculargewichtsbestimmung 
durch  Dampfdichtemessung  vorläufig  noch  einen  grösseren  Grad  von 
Zuverlässigkeit  beanspruchen  darf,  erstens  weil  sich  ihr  Princip  schon 
in  einer  weit  grösseren  Zahl  von  Beispielen  bewährt  hat,  zweitens  weil 
bezüglich  der  Gefrierpunktsdepressionen  gewisse  gleich  näher  zu  be- 
sprechende Anomalien  beobachtet  sind.  Wo  also  eine  Dampfdichte- 
bestimmung durch  die  Flüchtigkeit  der  zu  untersuchenden  Verbindung 
überhaupt  ermöglicht  ist,  sollte  man  sie  nicht  durch  die  Bestimmung 
der  Gefrierpunktsemiedrigung  ersetzen. 

>  Ann.  eh.  [5]  20,  217;  38,  138;  [6]  2,  66,  93,  99,  115;  4,  401;  8,  289,  317.  — 
Compt.  rend.  102,  1807.  —  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  2,  355. 


Bestimmung  des  Moleculargewichts  aus  der  Gefrie/rpunkts- Erniedrigung,     35 


Die  eben  erwähnten  Anomalien  ^,  welche  man  bezüglich  der  Gefrier- 
punktsdepressionen beobachtet  hat,  zeigten  sich  namentlich  bei  den 
Benzollösungen  einer  Reihe  solcher  Substanzen,  welche  Hydroxylgruppen 
(—OH)  enthalten  (Phenole,  Alkohole,  Säuren,  Oxime).  Die  RAOULT'sche 
Moleculargewichtsbestimmung  fuhrt  in  diesen  Fällen  meist  zu  Werthen, 
die  erheblich  grösser  sind  als  die  sich  aus  der  Dampfdichtemessung  er- 
gebenden. Die  Werthe  erweisen  sich  ferner  als  in  hohem  Grade  abhängig 
von  der  Concentration  der  Lösung;  die  Gefrierpunktserniedrigung  ist  nicht 
mehr  proportional  der  Menge  der  gelösten  Substanz.  Man  findet  viel- 
mehr in  concentrirten  Lösungen  die  höchsten  Zahlen  fiir  das  Molecular- 
gewicht  und  beobachtet  bei  abnehmender  Concentration  ein  mehr  oder 
weniger  rasches  Sinken,  um  in  manchen  Fällen  bei  genügender  Ver- 
dünnung endlich  zu  dem  normalen  Werthe  zu  gelangen. 

Dieser  Befund  braucht  nicht  nothwendigerweise  dahin  gedeutet  zu 
werden,  dass  das  RAOULT'sche  Erstarrungsgesetz  in  diesen  Fällen  keine 
Gültigkeit  besitze.  Er  erinnert  an  Erscheinungen,  welche  man  bezüglich 
der  Dampfdichten  mancher  nur  sehr  langsam  in  den  normalen  Gaszu- 
stand tiberfiihrbarer  Dämpfe  —  wie  z.  B.  des  Schwefels,  der  Ameisen- 
saure und  Essigsäure  —  beobachtet  hat.  Das  Sinken  der  Dampfdichte 
mit  wachsender  Temperatur  in  den  letztgenannten  Fällen  braucht  man 
ja  ebenfalls  nicht  auf  eine  Abweichung  vom  AvoGADEo'schen  Gesetz 
zurückzufahren,  sondern  kann  es  durch  die  Annahme  erklären,  dass  der 
Dampf  bei  Temperaturen,  die  nicht  weit  über  dem  Siedepunkt  liegen, 
aus  complexeren  Molecülen  bestehe,  welche  erst  bei  höheren  Temperaturen 
vollständig  in  die  einfachsten  Molecüle  gespalten  werden.  So  kann  man 
sich  auch  recht  wohl  denken,  dass  concentrirtere  Lösungen  complexere 
Molecüle  enthalten,  welche  erst  sehr  allmählich  bei  abnehmender  Con- 
centration in  die  einfachsten  Molecüle  dissociirt  werden^. 

So  interessant  demnach  jene  Erscheinung  —  die  Richtigkeit  der  eben 
gegebenen  Erklärung  vorausgesetzt  —  für  die  Frage  nach  der  Constitution 
von  Lösungen  werden  kann,  so  verringert  sie  doch  die  Brauchbarkeit 
der  kryoskopischen  Methode  fiir  den  Zweck,  welchen  der  Chemiker  mit 
einer  Moleculargewichtsbestimmung  verfolgt.  Dem  Chemiker  ist  es 
hierbei  ja  weniger  um  die  Eenntniss  der  Moleculargrösse  unter  gewissen 
physikalischen  Bedingungen  zu  thun,  er  will  vielmehr  die  kleinste  Menge 
der  Verbindung  erfahren,  welche  überhaupt  noch  mit  allen  chemischen 
Eigenschaften  der  Verbindung  begabt  existiren  kann.  Eine  Auflösung 
in  solche  kleinsten  Massen theilchen  findet  nach  den  bisherigen  Erfahrungen 

'  Vgl.  hierttber  Bbckxann,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  2,  715.  —  Eykman,  ebenda 
4,  497.  —  Patebh6,  ebenda  6,  94;  Ber.  22,  1430. 

*  Nenerdings  zieht  vak  't  Hoff  (Ztschr.  f.  physik.  Chemie  6,  322)  ausser« 
dem  zur  Erklftmng  jener  Anomalien  den  Umstand  herbei,  dass  beim  Ausfrieren  von 
LSrangen  öffcers  eine  „feste  Lösung"  statt  des  reinen  Lösungsmittels  zur  Ausscheidung 
kommt 

3* 


36  Praxis  der  Molectdargewichtsbesiiminung, 


für  die  organischen  Verbindungen  mit  sehr  wenigen  Ausnahmen  bei  der 
Vergasung  stets  statt,  wenn  man  ihren  Siedepunkt  um  20 — 30  Grade 
überschreitet;  bei  der  Lösung  dagegen  muss  man  nach  den  erwähnten 
Beobachtimgen  zuweilen  zur  Erreichung  normaler  Werthe  bis  zu  Ver- 
dünnungsgraden hinabsteigen,  welche  in  Anbetracht  der  geringen  ent- 
sprechenden Werthe  der  Gefrierpunktsdepression  genauere  Bestimmungen 
nicht  mehr  zulassen. 

Bei  Lösungen  in  Eisessig  sind  derartige  Anomalien  bisher  kaum 
bemerkt  worden;  dieselben  Verbindungen,  welche  in  Benzollösung  jene 
abweichenden  Werthe  liefern,  verhalten  sich  in  Eisessiglösung  ganz  normal. 
Dem  Eisessig  scheint  demnach  als  Lösungsmittel  eine  grössere  disso- 
ciirende  Kraft  zuzukommen,  als  dem  Benzol.  Es  ist  daher  empfehlens- 
werth,  für  die  kryoskopische  Methode,  wo  es  angeht,  Eisessig  als  lösen- 
des' Medium  zu  yerwenden.  Auch  sollte  man  nicht  versäumen  sich  zu 
versichern,  ob  eine  Substanz,  deren  Constitution  ähnlich  derjenigen  der 
zu  untersuchenden  Substanz  ist,  und  deren  Moleculargewicht  man  kennt, 
in  dem  benutzten  Lösungsmittel  normales  Verhalten  zeigt. 

Es  ist  ferner  unerlässlich,  die  Gefrierpunktsdepression  bei  verschie- 
denen Concentrationen  zu  bestimmen;  nur  wenn  man  annähernde  Pro- 
portionalität zwischen  Gefrierpunktsdepression  und  Concentration  be- 
obachtet, verdienen  die  für  das  Moleculargewicht  ermittelten  Werthe 
Vertrauen.  Diese  Sicherheitsmassregel  entspricht  vollkommen  der  Messung 
der  Dampfdichte  bei  mehreren  Temperaturen  (vgl.  S.  31 — 32),  ist  aber 
in  Folge  der  oben  erwähnten  Umstände  hier  um  so  mehr  geboten. 

Es  sei  endlich  bemerkt,  dass  Wasser  niemals  als  Lösungsmittel  für 
solche  Verbindungen  angewendet  werden  darf,  deren  wässrige  Lösungen 
die  Electricität  leiten,  wie  Säuren,  Basen  und  Salze.  Electrolyte  werden 
in  wässrigen  Lösungen  zum  Theil  in  ihre  Jonen  gespalten;  man  würde 
daher  bei  der  Bestimmung  ihres  Moleculargewichts  aus  der  Gefrierpunkts - 
depression  viel  zu  niedrige  Zahlen  erhalten. 

B,  Praxis  der  MolectUargeioichisbestimmvng. 
1.  Methoden  der  Dampfdichtebestimmung. 

Für  die  Messung  des  specifischen  Gewichts  von  Dämpfen  steht  eine 
grosse  Zahl  von  Methoden  zu  Gebote.  Ihre  Brauchbarkeit  fiir  die 
Zwecke  des  Chemikers  wird  natürlich  um  so  grösser  sein,  einen  je  höheren 
Grad  von  Exaktität  sie  zu  erreichen  erlauben;  doch  hängt  dieselbe  weit 
mehr  von  der  raschen  Ausführbarkeit  der  Methoden  und  dem  Substanz- 
aufwand, den  sie  erfordern,  ab.  Für  den  Zweck  einer  Moleculargewichts- 
bestimmung  bedarf  es  nicht  gerade  besonders  genauer  Zahlen,  da  es 
sich  ja  in  der  Regel  nur  um  eine  Auswahl  zwischen  gewissen  schon 
vorher  bekannten  und  weit  auseinanderliegenden  Werthen  handelt.  Soll 
z.  B.  das  Moleculargewicht  des  Benzols  durch  die  Dampfdichte  bestimmt 


Methoden  der  Dampfdichtebestimmung,  37 


werden,  so  weiss  man  ja  nach  der  S.  30 — 31  gegebenen  Auseinander- 
setzung im  Voraus,  dass  die  Dampfdichte  —  auf  Wasserstoff  bezogen  — 
entweder  der  Formel  C^Hg  entsprechend  gleich  39,  oder  der  doppelten 
Formel  CjjHj^  entsprechend  gleich  78  oder  ein  noch  höheres  Multiplum 
Ton  89  sein  kann.  Findet  man  nun  z.  B.  die  Dampfdichte  gleich  43, 
80  gestattet  diese  mit  einem  Fehler  von  lO^o  behaftete  Zahl  noch  immer 
eine  sichere  Beantwortung  der  gestellten  Frage.  Der  Chemiker  wird 
daher  flir  seine  Zwecke  eine  Methode,  welche  zwar  keine  sehr  scharfen 
Zahlen  giebt,  aber  in  kurzer  Zeit  und  mit  einer  geringen  Substanzmenge 
ausgeführt  werden  kann^  einer  solchen  vorziehen,  welche  nur  geringe 
Fehler  einschliesst,  dafür  aber  einen  grösseren  Zeitaufwand  oder  erheb- 
liche Opfer  an  der  oft  nur  in  geringer  Menge  zu  beschaffenden  Substanz 
bedingt.  Aus  diesem  Grunde  werden  die  klassischen  Methoden  der 
Dampfdichtebestimmung  von  Dumas  und  6ay-Lüssag  heute  nur  noch 
selten  in  den  organischen  Laboratorien  ausgeführt;  sie  seien  daher  nur 
kurz  in  ihrem  Princip  erläutert. 

Bei  der  Methode  von  Dumas  wird  das  Gewicht  des  Dampfes  be- 
stimmt,  welches   unter  bekannten  Druck-   und  Temperaturverhältnissen 
ein  bekanntes  Volum  erfiillt.     Zu  diesem  Zweck  be- 
nutzt man  einen  Glasballon  von  beistehender  Form 
(Fig.   14),    welcher    zunächst    offen    gewogen    wird. 
Man  bringt  nun  eine  solche  Menge  Substanz  hinein, 
dass  der  Dampf  derselben  mehr  als  genügend  ist,  um 
alle  Luft  aus  dem  Ballon  herauszutreiben,  und  erhitzt 
den  Ballon  in  einem  Bade  etwa  20 — 30^  über  den    Fig.u.  BaUon  zur  Dampf- 
Siedepunkt  der  Substanz.     Die  Substanz  geräth  da-     die^*^B«timmung  nach 

durch  in  ein  rasches  Sieden,  der  Dampf  verdrängt 
zunächst  die  Luft  und  tritt  dann  selbst  durch  die  aus  dem  Bade  heraus- 
ragende capillare  Spitze  aus;  letztere  wird  nun,  wenn  die  Dampfentwick- 
lung beendigt  ist,  mittelst  einer  Löthrohrflamme  zugeschmolzen,  die 
Temperatur  des  Bades  und  der  Barometerstand  notirt,  und  der  Ballon 
nach  dem  Erkalten  gewogen.  Bei  dieser  zweiten  Wägung  ist  Thermo- 
meter- und  Barometerstand  abzulesen;  man  reducirt  mit  Hülfe  dieser 
Beobachtungen  das  gefundene  Gewicht  auf  den  lufüeeren  Baum  und  erfahrt 
nun,  nachdem  man  von  dem  reducirten  [Gewicht  die  durch  die  erste 
Wägung  ermittelte  Tara  des  Ballons  abgezogen  hat,  das  Gewicht  des 
Dampfes,  welches  unter  den  Versuchsbedingungen  nöthig  war,  um  das 
Ballonvolum  anzufidlen.  Zur  Bestimmung  dieses  Volums  bricht  man  darauf 
die  Spitze  des  Ballons  unter  Quecksilber  ab;  das  Quecksilber  dringt  in 
den  Ballon  ein  und  füllt  denselben,  wenn  bei  dem  Versuch  alle  Luft  aus- 
getrieben war,  vollkommen  an  bis  auf  den  verschwindend  geringen 
Baum,  welcher  von  der  condensirten  Flüssigkeit  beansprucht  wird.  Aus 
dem  Gewicht  des  eingedrungenen  Quecksilbers  ergiebt  sich  durch  Division 
mit    13-59   (spec.  Gew.  des  Quecksilbers)   das  Volum   des   Ballons   in 


DampfdvJitebesiimmung  nach 


Cubiccentimetem'.  Die  Methode  ist  zwar  leicht  ausfuhrbar,  erfordert 
aber  so  grosse  Mengen  von  Substanz,  dass  ihre  Anwendung  nur  bei  Ver- 
bindungen, die  sehr  leicht  zugänglich  sind,  möglich  ist.  —  Eine  Modifica- 
tion  derselben,  welche  einen  ge- 
ringeren Substanz  aufwand  durch 
Verdampfen  der  Substanz  im  Va- 
cuum  erreicht,  ist  von  Habesmakn' 
vorgeschlagen. 

Das  Verfahren  Gat-Lussac'b 
beruht  auf  einem  grade  entgegen- 
gesetzten Princip;  man  geht  von 
einem  bekannten  Gewicht  der  Sub- 
stanz aus  und  ermittelt  das  daraus 
unter  bestimmten  Bedingungen  ge- 
bildete Dampfvolum. 

Dieser  Methode  ist  von  A. 
W,  HoFMANK*  eine  ausserordent- 
lich handliche  AusfUhrungsform  ge- 
geben, welche  noch  den  grossen 
Vortbeil  bietet,  dass  die  Substanz 
in  der  Barometerleere  —  also  bei 
einer  weit  unter  ihrem  Siedepunkt 
liegenden  Temperatur  —  zur  Ver- 
dampfung gebracht  wird.  Ein  etwa 
1  m  langes  graduirtes  Barometer- 
robr  c  {Fig.  15)  wird  mit  trockenem 
Quecksilber  gefüllt  und  in  einer 
mit  Quecksilber  gefüllten  Porzellan- 
wanne umgestülpt.  Es  ist  von 
einem  weiteren  Glasmantel  b  um- 
geben ;  durch  den  dazwischen 
liegenden  Raum  strömt  der  Dampf 
von  Wasser  oder  nöthigenfalls  von 
Anilin  (Siedepunkt  ISS*^.  welcher 
in  dem  Blechgeföss  a  entwickelt 
wird.  Man  lässt  über  das  Queck- 
silber in   die  Barometerleere  ein 

'  Vgl.  über  die  BerechnuDg  die 
S.hrift  von  F.  Wibel;  Principielle  Irr- 
tliiimeT  in  der  Erkläruag,  Auaf.  u.  Be- 
reehuuDg  d.  Damiifd.-Bestg.  nacb  J.Di'HAa 
(Hamburg  1S90). 
Pig.  lü,    A|)|iBrat  mr  DBmpfdkble-Beslimiuimg  .  Ana.  187,  341. 

öocb  A.  W.  V.  HOPMAKM.  '  B*r.  1,   198. 


Dumas,  Qay-Lussac  und  Ä,  W.  Hofmann,  39 


kleines  mit  eingeriebenem  Stopfen  versehenes  Glasfläschchen  aufsteigen^ 
welches  die  abgewogene  Menge  der  Substanz  (etwa  0-1  g)  enthält; 
der  Stopfen  wird  herausgeschleudert,  die  Substanz  verdampft  und  ver- 
drängt dadurch  das  Quecksilber  theilweise  aus  der  Messröhre;  wenn 
das  Niveau  des  Quecksilbers  nicht  mehr  sinkt,  liest  man  das  Volum 
des  Dampfes  und  die  Höhe  des  Quecksilberniveaus  innerhalb  der  Bohre 
mittelst  des  Pendelkathetometers  d  ab;  die  Versuchstemperatur  ergiebt 
sich  aus  der  Siedetemperatur  der  Heizflüssigkeit,  der  Druck  aus  dem 
Barometerstand,  von  welchem  die  Tension  der  Quecksilberdämpfe  und 
die  Quecksilberhöhe  innerhalb  der  Messröhre  in  Abzug  gebracht  werden 
muss.  —  Die  Tension  des  Quecksilbers  beträgt  bei  100®  0-75  mm, 
bei  180°  11  mm.  Die  Quecksilberhöhe  innerhalb  der  Messröhre  ist 
zunächst  —  wenigstens  zum  Theil  —  bei  erhöhter  Temperatur  beob- 
achtet worden;  man  muss  sie  auf  die  Lufttemperatur  reduciren,  kann 
diese  Reduction  aber  nur  annäherungsweise  ausführen,  da  nur  ein  Theil 
der  Quecksilbersäule  vom  Dampf  der  Heizflüssigkeit,  ein  anderer  von 
Luft  umgeben  ist,  und  die  Säule  daher  keine  einheitliche  Temperatur 
besitzt.  Es  ist  daher  zweckmässiger,  sich  der  folgenden  Modification^ 
zu  bedienen,  welche  die  direkte  Messung  der  Quecksilbersäule  bei  Luft- 
temperatur gestattet:  Die  Barometerröhre  wird  auf  eine  dicke  Kautschuk- 
platte gestellt,  welche  auf  eine  Eisenscheibe  gekittet  ist;  letztere  liegt 
auf  dem  Boden  der  Quecksilberwanne  und  ist  mit  einem  Handgriff  ver- 
sehen, der  über  das  Quecksilberniveau  ragt;  in  die  Kautschukplatte  ist 
an  einer  Seite  eine  Rinne  eingeschnitten,  durch  welche  während  des  Ver- 
suchs das  Quecksilber  in  der  Röhre  mit  dem  Quecksilber  in  der  Wanne 
communicirt.  Sobald  nun  der  Versuch  beendigt  ist,  verschiebt  man  die 
Platte  so,  dass  diese  Commimication  aufgehoben  ist.  Man  lässt  dann 
erkalten  und  bestimmt  die  Höhe  der  Quecksilbersäule  bei  der  Luft- 
temperatur. 

Die  auf  Luft  bezogene  Dampfdichte  ergiebt  sich,  wie  leicht  abzu- 
leiten ist,  aus  der  Foraiel: 

j.  _  S{\  +  0-003665  Q- 760 
"■         0  001293.  F. Ä        ' 

WO       S  das  Gewicht  der  Substanz, 
V  das  abgelesene  Dampfvolum, 
t  die  Versuchstemperatur, 
H  die  auf  0®  reducirte  Differenz  zwischen  Barometerhöhe  einerseits 
und  der  Summe  aus  Quecksilbertension  und  innerer  Quecksilber- 
höhe andererseits  (Versuchsdruck) 
bedeutet. 

Da  graduirte  Röhren  leicht  beim  Erhitzen  springen,  so  ist  es  vor- 
theilhaft,  sich  für  den  Versuch  ungraduirter  möglichst  cylindrischer  Röhren 


»  HoFMANK,  Ber.  9,  1304. 


40  Dampfdiehtebeaiimmung 


zu  bedienen,  nach  dem  Constantwerden  des  Datnpfvolnms  den  Stand  der 

Quecksilbersäule  dnrcb  Ankleben   eines   Papierstreifs    zu   markiren    und 

das  Volum,  nachdem  der  Apparat  wipdnp  ans- 

einandergenommeu  ist,  durch  At 

Röhre  bis  zur  Marke  mit  Quecks 

stimmen. 

Als  eine  Modification  der  G 
sehen  Methode  kann  auch  die  Besti 
Dampfdichte  nach  dem  Q  u  e  c  k 
drängungsverfahren  von  V.  J 
trachtet  werden.  Dieselbe  geschie 
etwa  35  ccm  fassenden  Glasgefäc 
Form,  wie  es  Fig.  16  zeigt;  ma 
dasselbe  zunächst  das  die  genau  i 
Substanzmenge  (etwa  0-05  g) 
Glasfläschchen  und  wägt  es  mit  de 
der  Tarirwage  nur  auf  Decigrai 
ab.  Daraaf  giesst  man  Quecksi] 
Weise  ein,    dass    das    Fläschch 


QusckiU  bcT- Verd  rlnguog. 


Flg.  17.    DsmprdicblA-BeiUnimung  Dich  di 
QuKkillber-VvnIrlDgiiDgi-VsrhhJren. 


Schenkel  a  steigt;  ist  der  Schenkel  a  ganz  mit  Quecksilber  angefüllt,  so 
schmilzt  man  die  Capillare  bei  c  zu,  fllllt  nun  auch  den  offenen  Schenkel  h 


dvfrch  Metallverdrängung.  41 


ToUständig  mit  Quecksilber  an  und  wägt  wieder  auf  Decigramme  genau. 
Nun  wird  das  Gefass  in  der  durch  Fig.  17  erläuterten  Weise  vertical 
in  den  Dampfmantel  d  eingehängt,  in  welchem  man  eine  geeignete  Heiz- 
flüssigkeit zum  Sieden  bringt.  Die  Substanz  verdampft  und  verdrängt 
ein  dem  Dampfvolum  gleiches  Quecksilbervolum.  Wenn  kein  Queck- 
silber mehr  ausfliesst,  hebt  man  den  Apparat  aus  dem  Dampfmantel, 
lässt  erkalten  und  wägt  ihn  wieder  auf  Decigramme  genau  ab,  um  das 
Gewicht  des  ausgeflossenen  Quecksilbers  zu  ermitteln.  Man  braucht 
nun  zur  Berechnung  noch  den  Druck,  unter  dem  der  Dampf  während 
des  Versuchs  gestanden  hat;  derselbe  setzt  sich  zusammen  aus  dem 
Ätmosphärendruck  und  der  im  Apparat  selbst  wirksamen  Quecksilber- 
säule, um  letztere  zu  ermitteln,  öffnet  man  nach  dem  Versuch  die 
Capillare  c,  lässt  durch  geeignetes  Neigen  den  Schenkel  b  sich  ganz  mit 
Quecksilber  füllen  und  notirt  nun  die  Differenz  des  Quecksilberstandes 
in  den  beiden  Schenkeln.  Als  Versuchstemperatur  kann  man  bei  niedrig 
siedenden  Flüssigkeiten  ohne  Weiteres  den  Siedepunkt  der  Heizflüssig- 
keit betrachten,  nicht  aber  bei  hochsiedenden  Flüssigkeiten,  da  in  diesem 
Falle  durch  den  Einfluss  des  während  des  Versuches  sich  beimengenden 
Quecksilbers  der  Siedepunkt  nicht  unerheblich  herabgedrückt  wird ;  durch 
besondere  Versuche  ist  festgestellt,  dass  unter  diesen  Bedingungen  die 
Dampftemperatür  bei  Anwendung  von  Amylbenzoat  gleich  253^,  im 
Diphenylamindampf  gleich  290  ®  zu.  setzen  ist.     Ist  nun : 

S  das  Gewicht  der  angewandten  Substanz, 
T  die  Dampftemperatur, 
t  die  Zimmertemperatur, 
P  der  Barometerstand  (auf  0®  reducirt), 
p  die  wirksame  Metallsäule, 

8  die  Tension  der  Quecksilberdämpfe  bei  der  Dampfbemperatur, 
a  das  Gewicht  der  angewandten  Metallmenge, 
q  das  Gewicht  Quecksilber,  welches  das  Eimerchen  fasst, 
r  das  Gewicht  der  zurückbleibenden  Metallmenge, 

so  ergiebt  sich  die  auf  Luft  bezogene  Dichte  aus  der  Formel: 

,_ 5(1+0-003665  7)7988000 

~  {P  +  j>  —  «)[(a4-5r)(l  +0.0000303{T—^})—r(l  +  0.00018{!r—^})](l  +0-000180 

Die  Dampfdichte  von  Verbindungen,  deren  Siedepunkt  dem  des 
Quecksilbers  nahe  liegt  oder  denselben  sogar  übersteigt,  kann  man  nach 
einem  ähnlichen  Verfahren^  im  Schwefeldampf  (448^  bestimmen,  wenn 
man  das  Quecksilber  durch  die  WooD'sche  Legirung  aus  15  Thl.  Bi, 
8  Thl.  Pb,  4  Thl.  Sn  und  3  Thl.  Cd  ersetzt,  mit  welcher  man,  da  sie 
schon  unter  70^  schmilzt,  fast  ebenso  bequem  operiren  kann.     Man  be- 


1  y.  Meteb,  Ber.  9,  1216. 


42  Dampfdichtebistimmung  durch  Metallverda'ängung. 


natzt  in  diesem  Falle  als  Dampfdicbtegefäss  Kugeln  von  der  iit  Fig.  18 

abgebildeten  Form.     Man   erhitzt  die   Legining  auf  etwa  150 — 180°. 

lässt   auf  etwa    100°   erkalten,    fUllt   sie   in   die   in 

einem  siedenden  Wasserbade  beäudliche  Kugel  ein  und 

muss    nun    die  Wägung    und    das  Kinbringen  in   das 

Heizbad  ziemlich  rasch  ausführen,  da  bei  vollständigem 

Erkalten  die  Kugel  durch  die  Ausdehnung  des  Metalls 

bersten  würde.  Als  Heizbad  benutzt  man  einen  eisenien 

Tiegel  (6,  Fig.  19)  Ton  ca.  400  ccm  Inhalt,  in  welchen 

man  120 — 130g  Schwefel  gebracht  hat.     Nach  dem 

Einhängen  des  Gefässes  mittelst  des  DrahthaJters  c 

schiebt  man  den  mit  einem  radialen  Schlitz  versehe- 

iieu  Deckel  a  darüber  und  erhitzt  mit  einem  starken 

Vierbrenner  in  einem  gut  ziehenden  Abzug.  Nach  etwa 

20  Minuten  kommt  der  Schwefel  in  lebhaftes  Kochen, 

'*'*"i5hem'MÖiüli""''"      "'"^  ^^'^  ^"3  ticm  Tiegel  dringende  Dampf  entzündet 

sich  zu  langen  Stichflammen.     Man  lässt  das  Kochen 

4  Minuten   andauern,   löscht   dann    die   Flamme,    hebt    die  Kugel   aus 

dem  Tiegel  und  markirt  in  diesem  Augenblick   den   Stand   des  Metalls 

in   der  Kugel  durch  Berühren  mit  einem 

Glasstab,    an   dessen   Spitze   ein    Tiopfen 

Siegellack  angeschmolzen  ist.  —   Die   auf 

Luft  bezogene  Dichte  ergiebt  sich  aus  der 

Formel : 

, g- 1543500 

['■+"'-''li(dM+'-H''°'-in5!l' 

in  welcher  die  Buchstaben  die  gleiche  Be- 
deutung wie  in  der  filr  das  Quecksilber- 
verdrängungsverfahren gegebenen  Formel 
{vgl.  vorige  Seite)  besitzen. 

Bei  den  beiden 
zuletzt  beschriebenen 
Verfahren  wägt  man 
die  Substanz,  wenn 
sie  fest  ist,  in  Eimer- 

r '  FT«.  19.    D»iiipWicbte-l(e.tlQiiBUDg  v,„   m     ^  «      >,  "      '^''^"'  *^""  ^'^  flüSSig 

durch  v,rdr.„^Bg^vo.  w™«-«h™  ^bw^g,„%",'S.tUr     ist,  in  Fläschchcn  ab, 

welche  eine  schwache 
Krümmung  besitzen,  damit  sie  leichter  in  die  Kugelröhre  eingeführt 
werden  können  (Fig.  20).  Man  muss  dafür  Sorge  tragen,  dass  die  Ge- 
fässchen  ganz  mit  der  Substanz  angefüllt  sind,  damit  nicht  durch  die 
Ausdehnung  etwa  zurückgebliebener  Luftblasen  erhebliche  Fehler  be- 
dingt werden  können.    Man  fUUt  dieselben  daher  am  besten,  indem  man 


9  g 


Dampfdichtebesiimmung  durch  Luftverdrängung. 


sie  SE  einen  Platiudraht  bindet  und  in  der  in  einem  engen  Keagensrohr 
geschmolzenen  Substanz  untertaucht.  Der  Rauminhalt  dieser  Oefässchen 
ist  so  klein,   dass  die  in  den 


obigen  Gleichungen  enthaltene 
Grösse  q  in  der  Regel  vernach- 
lässigt werden  kanä. 

Weniger  genau,  aber  rascher 
ausfuhrbar  als  die  beschriebenen 
Methoden  ist  das  jetzt  für  den 
Zweck  der  Moleculargewichtshe- 
stimmung  besonders  häufig  an- 
gewendete Luftverdrängungs- 
verfahren vonV.  u-CMetee'. 
Das  Princip,  ein  Dampfvolum 
durch  die  Grösse  des  von  ihm  , 
verdrängten  Luftvolums  zu  mes- 
sen, war  schon  h-Uher  von  Boksbm, 
DüLONG  und  PFAUNDLER  ange- 
wendet worden.  Praktisch  branch- 
bar wird  es  in  dem  nun  zu 
beschreibenden  Verfahren  da- 
durch, dass  durch  die  Anwen* 
düng  eines  vorher  erhitzton  Ge- 
fässes  die  Yersuchsdauer  sehr 
kurz  und  die  Kenntmss  der  Yer- 
such stemper atur  unnöUiig  wird, 
ein  Yortheil,  der  namentlich  fUr 
Bestimmungen  bei  sehr  hohen 
Temperaturen  (Glühhitze)  in  Be- 
tracht kommt.  In  ein  mit 
trockener  Luft  gefülltes  Glas- 
gefass,  welches  vorher  auf  eine 
zur  raschen  Verdampfung  der 
Substanz  ausreichende  Tempe- 
ratur erhitzt  ist,  wird  die  abge- 
wogene Substanzprobe  eingewor- 
fen, und  nun  das  Luftvolum 
ermittelt,  das  durch  die  Dampf- 
bildung verdi^Dgt  wird  und  da- 
her dem  Dampfvolum  gleich  ist. 
Die  Form  des  Öetässes  {b)  ist 
ausFig.21  ersichtlich;der  untere 

'  Ber.  11,  1887  u.  2253. 


? 


44  Dampfdichtebestimmung 


weitere  Theil  besitzt,  einen  Inhalt  von  etwa  200  ccm,  die  sich  daran 
scliliessende  Röhre  hat  eine  Länge  von  etwa  600  mm  und  eine  Weite  von 
4  mm.  In  ihrem  oberen  Theile  sind  zwei  Ansatzröhrchen  {h  u.  i)  ange- 
schmolzen; an  i  wird  durch  den  Eautschukschlauch  e  das  gebogene  Capillar- 
rohr  f  angesetzt,  dessen  Ende  unter  Wasser  taucht;  in  h  ist  ein  kleiner 
Glasstab  o  durch  einen  Kautschukschlauch  d  mit  Drathligaturen  luftdicht 
in  solcher  Weise  eingefligt,  dass  sein  Ende  bis  zur  gegenüberliegenden 
Wandung  der  Röhre  b  reicht,  durch  einen  leisen  Zug  aber  ganz  in  das 
Röhrchen  h  zurückgezogen  werden  kann.  Auf  diesen  Grlasstab  legt  man 
das  Glasfläschchen,  welches  die  abgewogene  Substanzmenge  enthält,  oder, 
falls  man  es  mit  festen  Substanzen  zu  thun  hat,  ein  aus  der  geschmol- 
zenen Substanz  gefertigtes  compactes  gewogenes  Stäbchen  i.  Man  ver- 
schliesst  das  obere  Ende  der  Röhre  b  luftdicht  mit  einem  Kork  und 
bringt  nun  die  in  dem  äusseren  Mantel  a  befindliche  Heizflüssigkeit  zum 
Sieden;  die  Dämpfe  derselben  umspülen  das  Dampfdichtegefäss,  conden- 
siren  sich  wieder  im  oberen  Theile  des  Glasmantels  und  fliessen  zurück. 
Ist  die  Temperatur  im  Inneren  des  Dampfdichtegefässes  constant  ge- 
worden, was  man  daran  erkennt,  dass  aus  dem  Röhrchen  f  keine  Blasen 
mehr  entweichen,  so  schiebt  man  über  f  eine  mit  Wasser  gefüllte  Mess- 
röhre g  und  zieht  den  Glasstab  c  in  ä  fllr  einen  Augenblick  zur  Seite. 
Infolgedessen  fällt  nun  das  Glasfläschchen  mit  der  Substanz  bezw.  das 
aus  der  Substanz  gefertigte  Stäbchen  auf  den  Boden  des  Dampfdichte- 
gefässes, den  man  vor  Beginn  des  Versuchs  mit  etwas  ausgeglühtem  As- 
best oder  Sand  bedeckt  hat,  damit  hierdurch  keine  Zertrümmerung  be- 
wirkt werden  kann.  Die  Substanz  beginnt  nun  nach  etwa  Y^  Minute  zu 
verdampfen,  ein  dem  Dampfvolum  gleiches  Luftvolum  wird  innerhalb 
kurzer  Zeit  ausgetrieben  und  sammelt  sich  in  der  Messröhre  g  an.  Man 
bringt  letztere  nun  in  ein  grösseres  Wasserreservoir  und  liest  nach 
einiger  Zeit  das  Luftvolum  V.  die  Temperatur  des  Wassers  /  und  den 
Barometerstand  B  ab.  Ist  w  die  Tension  des  Wassers  bei  der  Tempe- 
ratur t,  so  ergiebt  sich  das  Gewicht  des  verdrängten  Luftvolums  P  in 
dem  Ausdruck 

F(ß—tt;)0. 001293 


P  = 


760(1  +0.003665^) 


War  S  die   angewendete  Substanzmenge,   so   ist  also  die  auf  Luft  be- 
zogene Dichte: 

jy^S^_     5-  760  (1  •  0036650 


P        F.  (^  —  tr)  0-001293 


*  Vgl.  K.  Demüth  u.  V.  Meter,  Ber.  28,  318  Anm.  —  Sollen  indess  feste  Sub- 
stanzen bei  Temperaturen  untersucht  werden,  die  sehr  hoch  über  ihrem  Schmelzpunkt 
liegen,  so  müssen  sie  in  Eimerchen  abgewogen  werden,  da  es  bei  Anwendung  von 
Stäbchen  vorkommen  könnte,  dass  letztere  an  den  erwärmten  Hals  des  Apparats  an- 
schmelzen (vgl.  Ztschr.  f.  phjsik.  Ghem.  6,  9  Anm). 


durch  Lafiverdrängung. 


45 


Da  Luft  14-435  mal  schwerer  als  Wasserstoff  ist,  so  ergiebt  sich  die 
auf  Wasserstoff  bezogene  Dichte  in  dem  Werth  14*435  D,  das  Mole- 
culargewicht  in  dem  Werth  28-87  D^. 

Voraussetzung  für  die  Zuverlässigkeit  der  nach  diesem  Verfahren 
erhaltenen  Werthe  ist  die  Anwendung  einer  Substanzmenge,  deren  Dampf 
nicht  mehr  als  höchstens  die  Hälfte  der  Glasbirne  h  (Fig.  21)  erfüllt.  Nur 
bei  derart  gewählten  Substanzmengen  kann  man  sicher  sein,  dass  nicht 
schon  während  der  allerdings  nur  kurzen  Versuchsdauer  eine  Diffusion 
des  Dampfes  in  die  oberen  kälteren  Theile  des  Apparates  stattfindet. 
Als  Heizflüssigkeiten  dienen  gewöhnlich  die  folgenden  Substanzen: 


BlPHf  detDMprdieh- 
Apparat« 


Siedetemperatur : 

Wasser 100^ 

Xylol 140« 

Anilin 183« 

Aethylbenzoat 213« 

Thymol 230« 

Amylbenzoat 261« 

Diphenylamin 310« 

Schwefel 448« 

Phosphorphentasulfid    .     .     .  530« 

Dieselben  können  natürlich  durch  beliebige 
andere  ersetzt  werden;  ihre  Siedetemperatur 
braucht  nicht  genau  bekannt  zu  sein,  sie 
brauchen  auch  nicht  völlig  rein  zu  sein,  da 
ja  für  die  Berechnung  der  Dampfdichte  bei 
diesem  Verfahren  die  Kenntniss  der  Versuchs- 
temperatur nicht  nöthig,  vielmehr  nur  die 
Gonstanz  der  Temperatur  innerhalb  der  kurzen 
Versuchsdauer  erforderlich  ist.    Wendet  man   ^ig.  22.  Binnenuegei  «um  Erhitoen 

■f^^r  1*1  1  hochsiedender  HeizflQssigkeiten  beim 

Wasser  an,  so  bnngt  man  es  m  einem  glä-         LuftverdrftngungBTerfahren. 
semen  Mantel   zum  Sieden   (a,  Fig.  21);   für 

hoch  siedende  Heizflüssigkeiten  bedient  man  sich  eines  kleinen  guss- 
eisemen  Tiegels,  welcher  mit  einer  Rinne  versehen  ist  (Fig.  22).  Die  Heiz- 
flüssigkeit bringt  man  in  den  Tiegel  a,  in  die  Rinne  setzt  man  ein 
weites  cylindrisches  Glasrohr  h  unter  Dichtung  mit  etwas  Quecksilber  ein. 
Bei  Temperaturen  über  300«  (Schwefel-,  Schwefelphosphor  dampf)  wendet 
man  weite  eiserne  Röhren  als  Mantel  an.  Führt  man  das  Verfahren  bei 
diesen  hohen  Temperaturen  aus,  so  ist  es  erforderlich,  das  Dampfdichte- 
gefass  vorher  mit  reinem  Stickstoflf  zu  füllen,  um  einer  theilweisen  Oxy- 
dation des  Dampfes  vorzubeugen. 


^  Sehr   zweckmässige  Tabellen   zur  Erleichterung   der  Ausrechnung   sind   von 
G.  G.  PoMD  zusammengestellt  (Amherst,  Mass.,  U.  S.  A.,  1886). 


46  DampfdiMebesiimmung  unterhalb  der  Siedetemperatur. 


Die  Methode  der  Dampfdichtebestimmung  durch  Luftverdrängung 
wird  wegen  ihrer  grossen  Bequemlichkeit  gegenwärtig  von  den  Chemikern 
fast  ausschliesslich  angewendet;  es  sei  aber  darauf  hingewiesen,  dass  sie 
im  Princip  weniger  genau  ist  als  diejeidge;  welche  auf  der  Verdrängung 
von  Quecksilber  beruht.  Wo  eine  Substanz  nur  im  luftverdünnten  Eaum 
unzersetzt  flüchtig  ist,  benutzt  man  mit  grossem  Yortheil  die  Methode 
von  A.  W.  Hofmann  ;  wendet  man  bei  diesem  Verfahren  nach  Brühl  ein 
Bohr  von  etwa  1-5  m  Länge  und  18  mm  Weite  an,  so  gelingt  die  Ver- 
gasung von  gewissen  Substanzen,  die  erst  bei  250®  sieden,  schon  im 
Wasserdampf,  bei  manchen  Körpern,  welche  bis  ca*  300®  sieden,  im 
Anilindampf.  Hier  ist  indessen  Ablesung  mittelst  Kathetometer  und 
äusserste  Genauigkeit  erforderlich.  Höher  siedende  Heizflüssigkeiten 
anzuwenden  ist  nicht  gerathen,  da  bei  höheren  Temperaturen  der  Vor- 
theil  des  Vacuums  durch  die  rasch  wachsende  Tension  der  Quecksilber- 
dämpfe grösstentheils  aufgehoben  wird^ 

Von  verschiedenen  Seiten  —  so  von  La  Coste*,  Bott  u.  Macnaie^, 
Schall*,  Malfatti  u.  Schoop^,  Richards®,  Eykman^  —  sind  Apparate 
vorgeschlagen  worden,  welche  gestatten  das  Luftverdrängungsverfahren 
unter  vermindertem  Druck  auszuführen.  Doch  haben  diese  Apparate, 
weil  sie  das  Verfahren  erheblich  compliciren,  bisher  allgemeinere  Ver- 
breitung nicht  gefunden. 

Das  Ziel,  die  Dampfdichte  einer  Substanz  unterhalb  ihrer 
Siedetemperatur  zu  bestimmen,  lässt  sich  indessen  nach  R.  Demtjth 
und  V.  Meyeb®  auch  unter  Beibehaltung  des  einfachen  Apparates  zur 
Ausfuhrung  des  Luft verdrängungs Verfahrens  und  ohne  Druckver- 
ringerung erreichen.  Eine  ähnliche  Wirkung,  wie  durch  die  Herab- 
setzung des  Druckes,  wird  durch  die  Verdünnung  des  Dampfes 
mit  einem  anderen  Gase,  wie  sie  ja  bei  jeder  Dampfdichtebestimmung 
nach  jenem  Verfahren  eintritt,  ausgeübt.  Man  braucht  daher  nur  die 
rasche  Ausbreitung  der  eingeworfenen  Substanz  und  die  Vermischung 
ihres  Dampfes  mit  dem  den  Inhalt  der  Birne  erfüllenden  Gase  zu  be- 
günstigen, um  auch  bei  Temperaturen,  die  30 — 40®  unter  dem  Siede- 
punkte des  üntersuchungsobjects  liegen,  noch  richtige  Werthe  zu  er- 
langen. Es  hat  sich  für  diesen  Zweck  als  besonders  günstig  erwiesen,  die 
Birne  vorerst  mit  Wasserstoff  zu  füllen,  nicht,  wie  gewöhnlich,  in  einer 
Atmosphäre  von  Luft  zu  arbeiten.  Die  Birne  erhält  einen  Inhalt  von 
100  ccm  bei  einem  Durchmesser  von  3  cm;  ihr  Boden  wird  abgeplattet, 
um  die  Ausbreitung  der  Substanz  zu  fordern.  Der  Stiel  sei  nicht  über 
4 — 5  mm  weit.     Der  Boden  darf  in  diesem  Falle  nicht  mit  Sand,  Asbest 


*  Bbühl,  Ber.  9,  1368;  12,  197.  '  Ber.  18,  2122.  '  Her.  20,  916,  1617. 

*  Ber.  20,  1435,  1827,  2127;  21,  100;  22,  140;  28,  919,  1703. 

*  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  1,  169.  ^  Chem.  News  69,  87. 
^  Ber.  22,  2754.             «  ^^   23,  311. 


Bestimmung  der  Gefrierpunktserniedrigung.  47 

oder  dergleichen  (vgl.  S.  44)  bedeckt  werden,  weil  dann  die  Substanz 
aufgesaugt^  und  ihre  Verdampfung  sehr  verlangsamt  würde.  Ein  Schutz 
des  Bodens  ist  bei  Einführung  der  Substanz  in  der  sogleich  zu  be- 
schreibenden Weise  überhaupt  nicht  nöthig;  in  Ausnahmefallen  er- 
reicht man  ihn  durch  Einbringen  kleiner  Platinspiralen.  Die  Substanz 
wendet  man  in  solcher  Menge  an,  dass  das  verdrängte  Gasvolum  9  bis 
11  ccm  beträgt.  Ist  sie  fest  und  schmelzbar,  so  wird  sie  in  Stäbchen- 
form eingeführt.  Bei  Flüssigkeiten  erreicht  man  die  unbedingt  erforder- 
liche rasche  Ausbreitung  durch  Anwendung  von  Eimerchen,  welche  aus 
WooD'schem  Metall  gefertigt  sind;  bei  dem  Hinabstürzen  in  den  warmen 
Theil  des  Apparates  schmilzt  das  WooD'sche  Metall,  die  Flüssigkeit 
iliesst  aus  und  kann  nun  rasch  verdampfen.  Nur  wenn  die  Substanz 
Woon'sches  Metall  angreift,  oder  wenn  man  bei  Temperaturen  unterhalb 
seines  Schmelzpunkts  (60 — 80^  arbeitet,  ist  man  zur  Anwendung  gläser- 
ner Eimerchen  genöthigt.  Letztere  müssen  klirz  und  weit  sein,  so  dass 
sie  sicher  am  Boden  der  Birne  horizontale  Lage  annehmen  und  daher 
leichtes  Ausfliessen  gestatten.  Man  lüftet  vor  dem  Einführen  den 
Stopfen  und  bewirkt  sogleich  nach  dem  Hinabstürzen  durch  tüchtiges 
Klopfen  an  dem  Halse  der  Birne  das  Ausfliessen  der  Substanz. 

Wie  bemerkt,  ist  für  die  Ausfuhrung  dieses  Verfahrens  das  Arbeiten 
in  einer  Wasserstoff -Atmosphäre  besonders  vortheilhaft.  Wo  indess 
die  Anwendung  dieses  Gases  durch  die  Natur  der  Substanz  ausge- 
schlossen sein  sollte,  kann  man  auch  schwerere  Gase  —  Luft,  Stickstoff, 
selbst  Kohlensäure  —  als  Füllung  der  Birne  benutzen.  Da  letztere 
weniger  rasch  als  der  Wasserstoff  diffundiren,  verläuft  die  Bestimmung 
allerdings  langsamer,  ftihrt  indess  doch  zu  ziemlich  genau  stimmenden 
Resultaten^. 

2,     Bestimmung  der  Gefrierpunktserniedrigung. 

Für  die  Bestimmung  der  Geifrierpunkts-Erniedrigung  zum  Zwecke 
der  Molecidargewichtsermittelung  ist  eine  grössere  Reihe  von  Apparaten 
vorgeschlagen  worden.  Der  folgende  von  Beckmann  ^  angegebene  einfache 
Apparat  (Fig.  23)  ist  besonders  bequem  und  hat  sich  rasch  in  den 
chemischen  Laboratorien  eingebürgert. 

Das  mit  seitlichem  Stutzen  versehene  Glasgefäss  e  ist  der  eigentliche 
Gefirierapparat  imd  dient  zur  Aufnahme  des  Lösungsmittels;  es  fasst 
bis  zum  Stutzen  etwa  25  ccm;  mittelst  eines  Korkes  ist  das  in  Yioo-Grrade 
getheilte  Thermometer  f  eingesetzt;  in  einem  seitlichen  Ausschnitt  des- 
selben Korkes  lässt  sich  der  aus  dickem  Platindrath  bestehende  Rührer 
g  auf  und  ab  bewegen.  Das  weite  Batterieglas  a  ist  zur  Aufiiahme 
einer  Kühlmischung  bestimmt,  deren  Temperatur  etwa  2 — 5^  unter  dem 


^  Vgl.  Kjuvse  u.  V.  Meter,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  6,  5. 
*  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  2,  638. 


48  Bestimmtimg  i 


Erstarraugspunkt   der    zu    prüfenden   Flüssigkeit    erhalten   wird;    es   ist 
ebenfalls  mit  einem  Eührer  c  yersehen  und  mit  dem  Blecbdeckel  h  be- 
deckt.    In  letzterem  hängt  der  Grlascyiinder  d,   in   welchen  durch  einen 
Eorkring  der  eigentliche  Gefrierapparat  e  eingesetzt  wird.     Dieser  Glas- 
cylinderd  bleibt  leer  und  hat  nur  den  Zweck,  denEinflussderKUhlmiscbung 
auf  die  zu  untersuchende  Lösung  zu  mildem, 
indem   er  zwischen  beiden  eine  schlecht  lei- 
tende Luftschicht  schafft. 

Man  wägt  nun  zunächst  das  Gefrler- 
gefUss  e,  in  welches  mau  einige  scharfkantige 
Platinschnitzel  gebracht  hat,  fUllt  ungeßibr 
15  g  Lösungsmittel  ein,  trocknet  den  oberen 
Theil  des  Rohres  mittelst  Filtrirpapier,  wägt 
wieder  bis  auf  Centigramme  genau  and  er- 
fährt so  die  Menge  des  angewendeten  Lösungs- 
mittels. Darauf  setzt  man  den  Apparat  zu- 
sammen und  bestimmt  die  Gefriertemperatur 
des  reinen  Lösungsmittels.  Nun  wird  durch 
den  seitlichen  Stutzen  von  e  eine  abgewogene 
Menge  der  zu  untersuchenden  Substanz  ein- 
geführt, und  nach  erfolgter  Lösung  der  Ge- 
I  frierpunkt  aufs  Neue  bestimmt.    Die  Differenz 

der  beiden  beobachteten  Zahlen  ergiebt  die 
Gefrierpunktsemiedrigung. 

Auf  die  Art  der  Ablesung  der  Gefrier- 
temperatur ist  besonderes  Gewicht  zu  legen. 
Unter  beständigem  Rühren  kühlt  man  dje 
Flüssigkeit  unter  ihren  Gefrierpunkt  ab,  trägt 
dann  für  den  Beginn  der  Krystallabscheidung 
Sorge  und  beobachtet  unter  stets  fortgesetz- 
tem Rühren  den  Gang  des  nun  wieder  steigen- 
den Quecksilberfadens  im  Thermometer;  der 
höchste  Stand,  der  jetzt  von  demselben  er- 
reicht wird,  giebt  den  Gefrierpunkt  an.  Es 
ist  darauf  zu  achten,  dass  die  Ueberkiihlung 
vor  Eintritt  der  Krystallisation  nicht  den 
Flg.  3a  bbc«ii4»b'»  Appirat  rar  Betrag  von  etwa  0-1  —  0-2*  überschreitet; 
Eraiedrigmg"^''""  aus  diesem  Grunde  ist  das  Gefriergefäss  mit 

Platinschnitzeln  beschickt,  deren  scharfe  Kan- 
ten den  Beginn  des  Gefrierens  begünstigen  sollen;  n8thigenfalis  bewirkt 
man  die  Krystallisation  durch  Einbringen  eines  kleinen  B^rtikelcfaens 
des  gefrorenen  Lösungsmittels.  Bei  zu  starker  Ueberkühlung  würden 
sich  grössere  Mengen  des  Lösungsmittels  an  der  Wand  des  Qeßisses 
plötzlich    in    starken   Krusten   oder   Klumpen   abscheiden ;    die   zurück- 


Bestimmung  der  Gefrierpimktserniedrigung.  49 


bleibende  Lösung  wird  dadurch  concentrirter  und  zeigt  demgemäss  einen 
zu  niedrigen  Gefrierpunkt.  Die  Beobachtung  ist  nur  dann  zuver- 
lässig, wenn  das  Gefrieren  mit  der  Abscheidung  feiner  Kry- 
ställchen  im  Innern  der  Flüssigkeit  beginnt.  Niemals  verlasse 
man  sich  auf  eine  einzige  Ablesung,  sondern  thaue  nach  der  ersten 
Beobachtung  den  Inhalt  des  Gefriergefasses  wieder  auf  und  schreite  zu 
einer  zweiten  und  dritten  ControUbestimmung. 

Das  Thermometer  ist  in  Yioo"^^^^®  getheilt  und  kann  daher  nur 
wenige  Grade  umfassen,  wenn  es  nicht  unhandlich  lang  werden  soll. 
Würde  man  Thermometer  gewöhnlicher  Construction  anwenden,  so  wäre 
man  demnach  genöthigt,  für  jedes  Lösungsmittel  (z.  B.  für  Wasser, 
Benzol 9  Eisessig)  je  ein  besonderes  Thermometer  zu  verwenden.  Da 
es  sich  hier  indess  nicht  um  die  Bestimmung  von  absoluten  Tempera- 
turen, sondern  nur  von  TemperaturdiflFerenzen  handelt,  so  lässt  sich  dieser 
Uebelstand  in  folgender  Weise  umgehen.  An  die  Capillare  des  Thermo- 
meters /",  dessen  Scala  in  ^/^Q^-GraLde  getheilt  ist,  etwa  6  Grade  umfasst 
und  mit  einer  willkürlichen  Bezifferung  versehen  ist,  schliesst  sich  oben 
ein  kleines  Quecksilberreservegefäss  k  an.  Der  gesammte  Quecksilber- 
vorrath  des  Thermometers  ist  so  gross,  dass  bei  0^  die  Capillare  bis 
zum  oberen  Theil  der  Scala  angefüllt  ist.  Will  man  bei  höheren  Tem- 
peraturen —  z.  B.  bei  16^  —  Bestimmungen  machen,  so  erwärmt  man 
das  Instrument  auf  etwa  17 — 18®;  ein  Theil  des  Quecksilbers  tritt  nun 
in  das  Seservegefass  und  kann  durch  einen  kurzen  Stoss  auf  dessen 
Boden  geschleudert  und  somit  von  dem  Faden  in  der  Capillare  abge- 
trennt werden.  Das  Instrument  ist  jetzt  so  vorgerichtet,  dass  der  Queck- 
silberstand bei  Temperaturen  zwischen  etwa  11 — 17®  auf  der  Scala  ab- 
lesbar ist,  und  in  derselben  Weise  könnte  es  für  beliebige  andere  Tem- 
peraturen passend  eingestellt  werden. 

Wie  bereits  früher  bemerkt  (S.  36),  darf  man  sich  nicht  mit  der 
Bestimmung  bei  einem  Concentrationsgrad  begnügen,  sondern  muss  die 
verschiedenen  Concentrationen  entsprechenden  Werthe  der  Gefrierpunkts- 
depression ermitteln.  Man  braucht  dazu  nicht  mehrere  Versuche  anzu- 
stellen; nachdem  man  den  durch  Zusatz  der  ersten  gewogenen  Substanz- 
menge bedingten  Gefrierpunkt  in  mehreren  Ablesungen  festgestellt  hat, 
bringt  man  in  die  vrieder  aufgethaute  Lösung  eine  zweite  gewogene 
Substanzmenge  ein,  bestimmt  jetzt  den  Gefrierpunkt  der  concentrirteren 
Losung  imd  kann  nun  noch  ein  drittes,  viertes  Mal  u.  s.  f.  neue  gewogene 
Substanzmengen  zufügen,  um  den  Gefrierpunkt  bei  immer  wachsender 
Concentration  zu  erfahren.  Die  Menge  der  einzuführenden  Substanz 
bemisst  mfin  zweckmässig  derart,  dass  man  eine  Versuchsreihe  erhält. 
welche  sich  über  Erniedrigungen  von  etwa  0-2®  bis  2®  erstreckt. 

Um  aus  den  beobachteten  Gefrierpunktsdepressionen  die  Molecular- 
grösse  zu  erfahren,  dient  die  folgende  einfache  Rechnung.  Ist  /  die 
Menge  des  Lösungsmittels,  p  die  Menge  der  Substanz,  welche  darin  ge- 

T.  IfxTKB  XL  Jacobsox,  org.  Chem.   L  4 


50  Bestimmung  der  Dampfdriu^kvermmderung 

löst  die  beobachtete  Gefiierpunktsemiedrigung  c  hervomift,  so  muss 
in   100  g   Lösungsmittel   zur  Erreichung   der  gleichen   Depression   die 

Menge  — j-^  aufgelöst  werden.     Bezeichnet  man  nun  mit  T  die  „mole- 

culare  Depression"  für  das  benutzte  Lösungsmittel  —  d.  i.  die  Constante, 
welche  die  Gefrierpunktsdepression  angiebt,  die  durch  ein  Gramm-Molecüi 
des  gelösten  Stoffes  in  100  g  Lösungsmittel  bewirkt  würdej,  —  so  hat 
man  zur  Berechnung  des  Moleculargewichtes  M  die  Proportion: 

woraus  sich  ergiebt: 

l'C 

Der  Werth  der  Constante  T  kann  flir 

Benzol =  49  '^ 

Eisessig =39*^ 

Wasser ==  19<> 

angenommen  werden. 

Ueber  die  Moleculardepression  einer  Beihe  anderer  Lösungsmittel  von  höherem 
Schmelzpunkt  vgl.  Etküan^. 

Apparate  zur  Bestimmung  der  Gefrierpunktsemiedrigung  sind  femer  von  Aüwsrs^, 
HoLLEMANv',  HENTSCHEL^  Etkican^,  y.  Klobüxow^  angegeben  werden. 

Fabinyi*  schlägt  vor,  statt  der  GrefrierplinktBemiedrigung  einer  Lösung  die 
Depression  des  Schmelzpunkts,  welche  die  zu  untersuchende  Substanz  —  einer  anderen 
Substanz,  z.  B.  Naphtalin,  in  gewissen  Mengen  zugesetzt  —  hervorbringt,  zur  Mole- 
cidargewichtsbestimmung  zu  benutzen.  Die  Einzelheiten  seines  Verfahrens,  welches 
mit  sehr  geringen  Substanzmengen  ausgeführt  werden  kann,  vgl.  im  Original. 

3.     Bestimmung  der  Dampfdruckverminderung  bezw. 

Siedepunktserhohung. 

Eine  für  die  Laboratoriumspraxis  verwerthbare  Methode  zur  Be- 
stimmung der  Dampfdruckverminderung  flir  den  Zweck  der  Molecular- 
gewichtsbestimmung  ist  von  Will  und  Bredig^  ausgearbeitet.  Ihr 
Princip  besteht  darin,  dass  man  die  Menge  des  Dampfes  durch  Wägung 
ermittelt,  welche  an  ein  bestimmtes  Lufbvolum  beim  Durchleiten  durch 
die  zu  untersuchende  Lösung  abgegeben  wird. 

Weit  bequemer  indess  als  die  Dampfdruckverminderung  lässt  sich, 
wie  Beckmann^  gezeigt  hat,  die  Siedepunktserhöhung  ermitteln,  welche 
das  Lösungsmittel  durch  Auflösen  der  zu  untersuchenden  Substanz  er- 


*  Ben  ai,  701.  '  Ber.  21,  860.  »  Ztschr.  f.  physik.  Chemie  2,  806. 

«  ebenda  2,  964;  3,  118  u.  208;  4,  497. 

^  ebenda  4,  10.  ^  ebenda  3,  38.  '  Ber.  22,  1084. 

®  Ztschr.  f.  physik.  Chemie  4,  532. 


und  Sied^ntnktaerkÖkwig. 


51 


fährt.     Die  Fig.   24  zeigt  den  von   ihm  für  die  Bestimmung  des  Mole- 
culargewichts  auf  dieser  Grundlage  conatruirten  Apparat. 

Als  Siedegefäss   dient  das    dreifach    tubulirte  Kölbchen  A,   durch 
dessen  Boden   ein  dicker  Platindraht  s  geführt  ist;  man  gieht  in  das- 
selbe etwa  bis  zur  halben  Höhe  ein  grobkörniges  Fullmatenal  {z.  B. 
Glasperlen  oder  Tarirgranaten). 
Der  Platindraht  und  das  Füll-  | 

material  haben  den  Zweck,  ein  I 

regelmässiges  Sieden  und  damit  1    ^ 

eine  constante  Einstellung  der 
Temperatur  herbeizuführen.  Man 
befestigt  nun  in  dem  weiteren 
Tubulus  das  Thermometer  so, 
dass  es  das  FUlLmaterial  fast 
berührt,  im  mittleren  Tubulus 
das  RüchäuBsrohr  B  derart,  dass 
das  Dampfloch  d  als  der  Weg 
für  die  Dämpfe  zum  Kuhler  frei 
bleibt,  und  das  Rohr  noch  etwa 
1  cm  oberhalb  des  Ftillmaterials 
und  nicht  in  unmittelbarer  Nähe 
des  Thermometers  milndet.  Da- 
rauf tarirt  man  den  mit  Korken 
verschlossenen  Apparat  auf  Centi- 
gramme  genau,  beschickt  ihn  mit 
so  viel  Lösungsmittel,  dass  das 
Thermometergefäss  ganz  einge- 
taucht ist,  and  stellt  durch  noch- 
malige Wägung  das  Gewicht  des 
eingefüllten  Lösungsmittels  fest. 
Nachdem  man  das  Siedegefäss 
nun  mit  einem  Mantel  M  von 
Asbestgewebe,  welcher  oben  mit 
Watte  aasgestopft  wird,  umhüllt 
und  an  dem  durch  ein  Chlor- 
calciumrohr  geschützten  metalle- 
nen Eugelkühler  E  (vgl.  Fig.  4Qc 
auf  S.  110)  befestigt  hat,  bringt 
man  durch  Erhitzen  auf  einer 
Asbestplatte  die  Flüssigkeit  zum  Sieden  und  beobachtet  den  Siede- 
punkt des  reinen  Lösungsmittels,  Man  füllt  nun  durch  den  Tubus  Ceine 
abgewogene  Menge  der  zu  untersuchenden  Substanz  in  das  siedende 
Lösungsmittel  ein  und  beobachtet  die  dadurch  hervorgerufene  Siede- 
punktserhöhang;   nach  dieser  ersten  Beobachtung  wird  sofort  neue  Sub- 


.    Bbckhihh'ii  Appin 


Ö2     Ermittelung  der  rationellen  Zusarmnensetxufig  organischer  Verbindungen. 


stanz  zugegeben,  die  Siedepunktserhöhung  bei  der  neuen  Concentration 
beobachtet,  ein  drittes  Mal  Substanz  zugeführt  u.  s.  f.  Ist  die  letzte 
Temperaturerhöhung  abgelesen,  so  entfernt  man  die  Heiz  Vorrichtung 
sammt  Asbestmantel  und  lässt  das  Kölbchen  am  Kühler  erkalten.  Nach 
dem  Abnehmen  vom  Kühler  wird  nun  durch  eine  nochmalige  Wägung 
die  der  Berechnung  zu  Grunde  zu  legende  Concentration  bestimmt.  Bei 
correctem  Arbeiten  findet  man  jetzt  das  Gewicht  des  Lösungsmittels  nur 
um  wenige  Decigramme  geringer,  als  dessen  eingewogene  Menge\ 

Die  Berechnung  des  Moleculargewichts  aus  der  beobachteten  Siede- 
punktserhöhung ist  ganz  analog,  wie  bei  dem  kryoskopischen  Verfahren 
(S.  49 — 50).     Die  dort  gegebene  Formel: 

l'C 

liefert  auch  hier  das  Moleculargewicht,  wenn  man  mit  p  die  Menge  der 
gelösten  Substanz,  mit  l  die  Menge  des  Lösungsmittels,  mit  c  die  be- 
obachtete Siedepunktserhöhung,  mit  T  die  „moleculare  Siedepunkts- 
erhöhung" des  benutzten  Lösungsmittels  bezeichnet.  Letztere  besitzt 
für  Aether  den  Werth  von  21  «05^,  für  Schwefelkohlenstoff  den  Werth 
von  23-75^. 


Zweites  Kapitel. 

Die  Ermittelung  der  rationellen  Zusammensetzung  von 

organischen  Verbindungen. 

(Aeltere  Auffassungsweisen:   Badicaltheorie  und  Tjpentheorie.  —  Atomverkettungs- 
theorie. —  Ermittelung  der  Constitution  der  Alkohole,  Aether,  Carbonsäuren,  Aldehyde 

und  Ketone.  —  Stereochemie.) 


Von  den  vier  Fragen,  deren  Beantwortung  am  Beginn  des  vorigen 
Kapitels  als  nothwendig  zur  Ermittelung  der  Zusammensetzung  chemischer 
Verbindungen  verlangt  wurde,  können  die  drei  ersten  nach  den  daselbst 
beschriebenen  Methoden  gelöst  werden.  Es  bleibt  uns  zu  besprechen, 
auf  welchem  Wege  die  letzte  Frage,  welche  das  Problem  der  rationellen 
Zusammensetzung  oder  der  Constitution  der  chemischen  Verbin- 
dungen einschliesst,  einer  Lösung  nahe  gebracht  werden  kann. 

Wenn  wir  die  Umwandlungen  der  Verbindungen  in  einander  ver- 
folgen, so  sehen  wir  oft,  wie  in  einer  Reihe  von  Umsetzungen  ein  grösserer 
zusammengesetzter  Bestandtheil  von  den  Veränderungen,  die  in  der 
molecularen  Zusammensetzung  hervorgebracht  werden,  unberührt  bleibt. 


^  In  Bezug  auf  zahlreiche  bei  der  Ausfuhrung  des  Verfahrens  zu  beachtende 
Massregeln  —  namentlich  die  Regulirung  der  Wärmezufuhr  und  die  Ablesung  des 
Thermometerstandes  —  muss  auf  die  Originalabhandlung  verwiesen  werden. 


Oeschichtliche  Entunckekmg  der  Ckmstitutionslehre,  53 


Elinen  solchen  Atomcomplex,  welcher  —  nicht  unähnlich  einem  Eiemen- 
taratom  —  den  chemischen  Eingrififen  in  einer  grösseren  Zahl  von  Reac- 
tionen  Stand  hält,  sich  von  den  mit  ihm  verbunden  gewesenen  Atomen 
trennt,  um  an  sich  unverändert  mit  anderen  Atomen  zu  einer  neuen 
Verbindung  zusammenzutreten,  nennt  man  ein  ßadical.  Die  Erkenntniss 
der  Bedeutung  der  Badicale  für  eine  rationelle  Auffassung  der  orga- 
nischen Verbindungen  wurde  hauptsächlich  durch  die  klassischen  Arbeiten 
von  Gat-Lüssac*  über  das  Cyan  (1815),  von  Liebig  und  Wöhleb^  über 
das  Benzoyl  (1832),  von  Bunsen«  über  das  Kakodyl  (1839)  gefördert 
Unter  dem  Einfluss  dieser  Untersuchungen  erstarkte  die  Radicaltheorie*, 
welche  namentlich  von  Berzelius,  Liebig  und  Dumas  ausgebildet  wurde 
und  der  Entwickelung  unserer  Wissenschaft  äusserst  förderlich  gewesen 
ist,  wenn  sie  sich  auch  nicht  dauernd  zu  behaupten  vermocht  hat.  An 
dem  Beispiel  der  Verbindungen  der  Benzoesäurereihe  sei  der  Begriff  des 
Radicals  etwas  näher  erläutert.  Aus  dem  Bittermandelöl  C^H^O  (Benzal- 
dehyd) entsteht  durch  Oxydation  die  Benzoesäure  C^HgOg,  aus  letzterer 
durch  Einwirkung  von  Chlorphosphor  das  Benzoylchlorid  C^HgOCl,  welches 
einerseits  durch  JReduction,  indem  das  Chloratom  gegen  Wasserstoff  aus- 
getauscht wird,  in  das  Bittermandelöl  zurückverwandelt  werden  kann, 
andererseits  durch  Austausch  des  leicht  beweglichen  Chloratoms  bei  der 
Einwirkung  von  Wasser   wiederum  Benzoesäure  liefert: 

C,H,0C1  +  H,  =  C^H^OH  +  HCl. 
CyH^OCl  +  HÖH  =  C^HßOOH  +  HCl. 

Es  ist  daher  ersichtlich,  dass  die  Atomgruppe  C^HgO  —  das  Radical 
Benzoyl  — ,  welches  im  Molecül  des  Benzoylchlorids  mit  einem  Chlor- 
atom vereinigt  ist,  auch  einen  Bestandtheil  der  Molecüle  des  Benzaldehyds 
und  der  Benzoesäure  bildet.  Der  Benzaldehyd  erscheint  als  Benzoyl- 
wasserstoff  C^HgO-H,  die  Benzoesäure  als  Benzoylhydroxyd  C^HgO-OH. 
Bei  einer  grossen  Zahl  anderer  Umsetzungen,  deren  nähere  Besprechung 
hier  zu  weit  führen  würde,  lässt  sich  ebenfalls  der  Uebertritt  des  Benzoyl- 
radicals  von  einer  Verbindung  in  eine  andere  verfolgen. 

Das  Aufsuchen  der  Radicale,  welche  sich  in  gewissen  Reactions- 
folgen  unverändert  erhalten,  ist  bis  heute  eines  der  wichtigsten  Hülfs- 
mittel  zur  Erforschung  der  chemischen  Constitution  geblieben.  Doch  ist 
für  uns  die  Erkenntniss  der  Radicale  eben  nur  ein  Hülfsmittel  und  nicht, 
wie  zur  Zeit  der  Radicaltheorie,  das  Endziel  der  Constitutionsbetrach- 
tung.     Wir  können  in  den  Radicalen  nicht  mehr  etwas  den  Elementar- 


<  Ann.  eh.  96,  136.  '  Ann.  8,  249. 

»  Ann.  81,  175;  87,  1;  42,  14;  46,  1. 

^  Die  geschichtliclie  Entwickelung  der  Constitutionslehre  kann  hier  nur  flüch- 
tig geschildert  werden.  Ausführliche  Darstellungen  finden  sich  in  den  historischen 
Werken  von  Ladenbuso,  Entwickelungsgeschichte  der  Chemie  (2.  Aufl.,  Braunschweig 
1887)  und  E.  v.  Meter,  Geschichte  der  Chemie  (Leipzig  1889). 


54  BadicaUheorie. 


atomen  durchaus  Vergleichbares  erblicken ;  denn  wir  wissen,  dass  es  von 
der  Auswahl  der  Reactionen,  die  wir  unseren  Betrachtungen  zu  Grunde 
legen,  abhängt,  welche  Atomgruppen  sich  uns  als  etwas  Zusammen- 
gehöriges zu  erkennen  geben.  Die  Benzoesäure  z,  B.  enthält  nach  ge- 
wissen anderen  genetischen  Beziehungen  ein  Radical  C^Hg,  das  „Phenyl** 
genannt  wird;  sie  lässt  sich  aus  dem  Anilin,  welches  eine  Verbindung 
des  Phenylradicals  mit  dem  Amidrest  NH^  darstellt,  gewinnen,  indem 
man  zunächst  den  Amidrest  durch  das  Cyanradical  CN  ersetzt  und  in 
dem  so  entstehenden  Benzonitril  die  Cyangruppe  durch  Abspaltung  des 
Stickstoffs  in  die  Carboxylgruppe  CO3H  überführt: 

CeHg.NHä  Anilin;    CeHg-CN  Benzonitril;    CeHsCOjH  Benzoesäure. 

Destillirt  man  die  Benzoesäure  mit  Kalk,  so  resultirt  unter  Abspaltung 
von  Kohlensäure  die  Verbindung  des  Phenylradicals  mit  Wasserstoff: 
das  Benzol  CgHg-H.  Wie  sich  demnach  aus  den  vorher  geschilderten 
Beactionen  auf  die  Gegenwart  eines  Badicals  C7H5O  (Benzoyl)  schliessen 
Hess,  so  giebt  sich  in  den  jetzt  betrachteten  Reactionen  das  Phenyl- 
radical  C^Hg  als  nicht  wechselnder  Bestandtheil  zu  erkennen.  Beide 
Befunde  sind  für  die  Frage  nach  der  Constitution  der  Benzoesäure  von 
hoher  Bedeutung,  keiner  derselben  löst  dieselbe  in  ausreichender  Weise. 

Die  Radicaltheorie  (etwa  von  1830 — 1845)  beleuchtete  die  Be- 
ziehungen, welche  zwischen  Verbindungen  von  durchaus  abweichendem 
chemischen  Charakter  infolge  des  Vorkommens  desselben  Radicals  be- 
stehen. Die  ihr  später  folgende  Typentheorie  (etwa  von  1848 — 1858), 
welche  sich  hauptsächlich  auf  Experimentaluntersuchungen  von  Wübtz, 
A.  W.  Hofmann  und  Williamson  stützte,  von  Dumas  begründet  wurde, 
ihre  Ausbildung  aber  in  erster  Linie  Gekhardt  verdankt,  fasste  in  glück- 
licher Weise  die  verschiedene  Radicale  enthaltenden  Verbindungen  von 
ähnlichem  chemischen  Charakter  unter  einheitlichen  Gesichtspunkten 
zusammen.  Alle  organischen  Verbindungen  wurden  nach  dieser  Lehre  auf 
eine  geringe  Anzahl  von  der  anorganischen  Chemie  entnommenen  Typen 
bezogen.     Zunächst  wurden  die  vier  Typen: 

Wasserstoff:  Chlorwasserstoff:  Wasser:  Ammoniak: 

S  Cl  So  HN 

aufgestellt. 

Auf  den  Typus  Wasserstoff  konnten  die  Kohlenwasserstoffe  bezogen 
werden: 

^•p»  Aethylwasserstoff;  ^^^  MethylfithyL 

Dem  Typus  Chlorwasserstoff  gehörten  die  Halogenderivate  der  Kohlen- 
wasserstoffe, die  Säurechloride,  die  Nitrile  an: 


lypentheorie,  55 


^«^j  Aethylchlorid;  ^«^»^  Acetylchlorid  ; 

^'^»^  Benzoylchlorid;  ^J^  PropionitriL 

Der  Wassertypus  umfasste  die  Alkohole,  Säuren,   Säureanhydride  und 
Ester: 

^«^0  Aethylalkohol;  ^«^»^0  Essigsäure; 

^'«•go  Benzoesäure;  g^go  Essigsäureanhydrid; 

^<?f?^  BenzoöBäureäthylester;      ^(?|?0  Essigester; 
der  Typus  Ammoniak  endlich  die  Amine  und  Säureamide: 

^^»N  Methylamin;  ^«JJ^N  Aethylamin; 

(CHj^j^  Dimethylamin;  ^«^|pN  Acetamid; 

^»^|?N  Benzamid ;  ^*^*^N  Succinimid. 

Diesen  vier  Typen  fügte  später  KEKULfi  noch  den  Typus  „Grubengas" 

Hl 

u[C  zu.     Das  Bestreben,  alle  organischen  Verbindungen  diesen  Typen 

hI 

einzureihen,  machte  femer  die  Annahme  von  „vervielfachten"  und  „ge- 
mischten" Typen  nothwendig. 

Die  Typentheorie  ermöglichte  eine  ausserordentlich  übersichtliche 
Systematik  der  organischen  Verbindungen;  das  Problem  der  Constitutions- 
erforschung  fand  indess  in  dem  Vergleich  mit  gewissen  einfachen  an- 
organischen Typen  noch  durchaus  keine  befriedigende  Lösung.  Jene 
Analogien  zwischen  complicirten  organischen  Verbindungen  und  einfachen 
anorganischen  Typen  haben  sich  zwar  keineswegs  als  unzutreffend  er- 
wiesen, vielmehr  werden  sie  auch  in  unseren  heutigen  Anschauungen 
noch  in  demselben  Umfang  wie  zur  Zeit  der  Typenlehre  anerkannt. 
Indess  ihre  Erkenntniss  genügte  nicht  zur  Lösung  jener  Aufgabe,  welche 
wir  ups  bei  Constitutionsbetrachtungen  in  erster  Linie  stellen  müssen: 
zur  Erklärung  der  einzelnen  Isomeriefälle.  Wir  kennen  z.  B.  drei  Ver- 
bindungen CjHqO:  Methyläthyläther,  Propylalkohol  und  IsopropylaJkohol; 
die  Typentheorie  verwies  mit  Recht  alle  drei  in  den  Typus  Wasser  und 
Tersinnlichte  ihre  Zusammensetzung  durch  die  Ausdrücke: 

CjHj^  CjHy^  CjH^^ 

CH,^  H  ^  H  ^ 

MethylfithyiSther;  Propylalkohol;  Isopropylalkohol. 


56  Atomverkettungstheorie. 


In  diesen  Formeln  finden  wir  wohl  eine  Erklärung  für  die  Verschieden- 
heit des  gemischten  Aethers  von  den  beiden  Alkoholen;  denn  in  dem 
Methyläthyläther  sind  eben  beide  Wasserstoflfatome  des  Wassers  durch 
kohlenstoffhaltige  Radicale  vertreten,  während  in  den  beiden  Alkoholen 
eines  derselben  unvertreten  enthalten  ist.  Warum  aber  sind  Propyl- 
alkohol  und  Isopropylalkohol  von  einander  verschieden,  wenn  beide  als 
Wasser  aufgefasst  werden  müssen,  in  welchem  die  Hälfte  des  Wasser- 
stoffs durch  ein  Radical  C3H7  (Propyl)  ersetzt  ist?  Offenbar  wird  dieses 
Radical  in  jedem  der  beiden  Fälle  eine  abweichende  rationelle  Zu- 
sammensetzung besitzen;  auf  die  Frage  aber,  worin  diese  Verschieden- 
heit bestehen  mag,  konnte  die  Typenlehre  keine  Antwort  geben;  sie 
konnte  wohl  die  gröbere  Isomerie  zwischen  den  Angehörigen  verschie- 
dener Körperklassen  erklären,  fiir  die  feinere  Isomerie,  wie  sie  zwischen 
Verbindungen  einer  und  derselben  Elasse  besteht,  konnte  ihr  eine  Deutung 
nicht  entnommen  werden. 

Also  weder  das  Aufsuchen  der  Radicale,  welche  sich  in  gewissen 
Reactionsfolgen  unverändert  erhalten,  noch  die  Ableitung  der  einzelnen 
Verbindungen  von  bestimmten  Typen  enthüllt  uns  die  rationelle  Zu- 
sammensetzung der  Molecüle  organischer  Verbindungen  so  weit,  dass 
das  berechtigte  Verlangen  nach  einer  Erklärung  aller  Isomeriefalle  er- 
füllt wird.  Nicht  bei  der  Erkenntniss  gewisser  Atomgruppen,  die  den 
Wandel  einiger  Reactionen  in  ihrer  Zusammengehörigkeit  überdauern, 
dürfen  wir  stehen  bleiben;  denn,  wie  das  eben  besprochene  Beispiel  der 
beiden  Propyl-Radicale  erkennen  lässt,  zeigen  auch  diese  Bruchstücke 
der  Molecüle  noch  Isomerie  d.  h.  Verschiedenheit  bei  gleicher  empirischer 
Zusammensetzung.  Die  Gliederung  der  Molecüle  muss  bis  auf  jene 
einzelnen  Bausteine  verfolgt  werden,  deren  weitere  Zerlegung  wir  zwar 
nicht  als  undenkbar,  aber  als  für  unsere  gegenwärtigen  Hülfsmittel  un- 
ausfiihrbaV  betrachten,  —  bis  auf  die  Elementaratome. 

Dieses  Ziel,  die  Constitution  der  chemischen  Verbindungen  durch 
das  Zurückgehen  bis  auf  die  einzelnen  Elementaratome  zu  erkennen, 
wird  in  der  seit  etwa  30  Jahren  geltenden  Atom  Verkettungstheorie 
erstrebt  Ihre  Grundzüge  entwickelten  unabhängig  von  einander  KsKUiif: 
und  Coüpee;  das  Verdienst,  durch  eine  systematische  Durchfuhrung  ihre 
Brauchbarkeit  ei'wiesen  und  ihr  dadurch  allgemeine  Geltung  verschafft 
zu  haben,  gebührt  unstreitig  in  erster  Linie  KekülS,  welcher  hierin  von 
BuTLEKOW  und  Eklenmeyer  in  erfolgreicher  Weise  unterstützt  wurde. 
Die  Atomverkettungslehre  hat  sich  nicht  nur  in  fast  allen  Fällen  als 
fäiig  bewährt,  die  Constitution  der  grossen  Zahl  der  bekannten  organischen 
Verbindungen  in  befiiedigender  Weise  zu  deuten;  sie  ist  seit  ihrer  Auf- 
stellung der  Leitstern  für  die  überwiegende  Mehrzahl  der  neuen  Unter- 
suchungen auf  dem  Gebiete  der  organischen  Chemie  geworden;  sie  hat 
Beziehungen  angedeutet,  welche  zwischen  gewissen  Verbindungsklassen 
bestehen  könnten  und  dann  durch  das  Experiment  erkannt  wurden;   sie 


Valenzlehre,  57 


liess  die  Existenz  gewisser  neuer  Verbindungsformen  als  möglich  er- 
scheinen, wies  die  Wege,  auf  welchen  man  die  Darstellung  dieser  neuen 
Verbindungen  in  Angriff  nehmen  könnte,  und  liess  den  Experimentator, 
der  sich  ihrer  Leitung  anvertraute,  nur  selten  unbelohnt;  kurz  sie  ver- 
lieh der  Forschung  einen  Impuls,  wie  er  wohl  selten  mächtiger  und 
nachhaltiger  von  einer  Theorie  ausgegangen  ist. 

Die  Atomverkettungstheorie  oder  Structurtheorie,  wie  man 
sie  auch  treffend  bezeichnet,  da  sie  die  Bauart  der  Molecüle  erkennen 
lassen  will,  geht  von  dem  Grundsatz  aus,  dass  jedes  Elementaratom  nur 
mit  einer  begrenzten  kleinen  Anzahl  anderer  Atome  in  unmittelbare 
Beziehung  treten  kann.  Für  jedes  Element  ist  diese  Zahl  von  Atomen, 
welche  von  je  einem  Atom  gebunden  werden  können,  eine  charakteristische 
Eigenschaft,  welche  als  Atombindekraft,  Sättigungscapacität  oder 
gewöhnlicher  als  Werthigkeit,  Valenz  bezeichnet  wird.  Die  Lehre 
von  der  Valenz  der  Elemente,  welche  vornehmlich  von  Coupeb,  Frankland, 
KEKUiifi,  KoLBE^  und  Odling  ausgebildet  ist  und  schon  frühzeitig 
(1852)  in  besonders  klarer  Weise  von  Feankland  dargelegt  wurde,  war 
daher  ein  nothwendiger  Vorläufer  der  Atomverkettungstheorie. 

Wie  bestimmen  wir  die  Valenz  der  einzelnen  Elemente?  Wir  ken- 
nen eine  Anzahl  von  Elementen,  welche  unter  einander  nur  Ver- 
bindungen bilden,  deren  Molecüle  aus  zwei  Atomen  bestehen;  es  sind  dies 
der  Wasserstoff  und  die  Halogene:  Chlor,  Brom  und  Jod.  Wir  schliessen 
daraus,  dass  die  Atome  dieser  Elemente  überhaupt  nicht  fähig  sind, 
mehr  als  ein  anderes  Atom  an  sich  zu  fesseln,  dass  ihre  Atombindekraft 
durch  die  Bindung  eines  anderen  Atoms  vollständig  erschöpft  ist.  Wir 
bezeichnen  sie  daher  als  einwerthig  und  haben  damit  eine  Einheit 
der  Valenz  und  ein  Mittel  gewonnen,  um  die  Valenz  der  übrigen  Ele- 
mente zu  bestimmen.  Einwerthige  Elemente  sind  solche,  welche 
mit  nicht  mehr  als  je  einem  Atom  eines  und  desselben  anderen 
Elementes  in  Verbindung  treten  können.  Die  Sättigungscapacität 
jedes  anderen  Elementes  wird  sich  am  klarsten  in  denjenigen  Verbin- 
dungen zu  erkennen  geben,  deren  Molecül  nur  ein  Atom  desselben  neben 
den  Atomen  dieser  einwerthigen  Elemente  enthält.  Aus  der  Zusammen- 
setzung dieser  Verbindungen  lesen  wir  direct  ab,  mit  wie  viel  einwerthigen 
Atomen  ein  Atom  des  zu  untersuchenden  Elementes  in  Verbindung  treten 
kann,  und  erfahren  somit  seine  Valenz. 

An  dieser  Stelle  haben  wir  uns  nur  mit  der  Valenz  derjenigen 
Elemente  zu  beschäftigen,  welche  in  der  Zusammensetzung  der  organischen 
Verbindungen  die  wichtigste  Rolle  spielen :  mit  dem  Wasserstoff,  Sauer- 
stoff und   Kohlenstoff.     Der  Wasserstoff   wurde    als    einwerthiges 


'  Zwar  wurde  Rolbe  in  seiDen  späteren  Jahren  ein  unermüdlicher  Bekämpfer  der 
Valenztheorie,  doch  hat  grade  er  mit  in  erster  Linie  zur  Klarlegung  des  Valenzbe- 
t^n&  beigetragen. 


58  Yierwerthigkeü  des  Kohlenstoffs. 


Element  bereits  erkannt.  Für  den  Sauerstoff  ergiebt  sich  aus  seinen 
Verbindungen  mit  WasserstoflF  und  Chlor: 

HjO  Wasser;    Cl^O  Unterchlorigsäureanhydridi 

die  Zweiwerthigkeit,  für  den  Kohlenstoff  aus  den  Verbindungen: 

CH4  Grubengas  (Methan);     CCI4  Tetrachlorkohlenstoff 

die  Vierwerthigkeit  zu  erkennen.  Während  wir  bei  vielen  anderen 
Elementen  —  wie  z.  B.  Schwefel,  Stickstoff,  Eisen  u.  s.  w.  —  einen 
Wechsel  der  Valenz  annehmen  müssen,  haben  wir  keinen  Grund  daran  zu 
zweifeln,  dass  der  Sauerstoff  in  allen  seinen  Verbindungen  zweiwerthig 
fungirt,  denn  alle  lassen  sich  unter  dieser  Annahme  in  plausibler  Weise 
deuten  1.  Ebensowenig  lässt  die  Zusammensetzung  der  nach  Tausenden 
zählenden  Kohlenstoffverbindungen  Zweifel  an  der  constanten  Vierwerthig- 
keit des  Kohlenstoffs  aufkommen;  eine  einzige  Verbindung  dieses  Ele- 
ments —  und  grade  die  einfachste  —  bildet  eine  Ausnahme:  das  Kohlen- 
oxyd CO,  in  dessen  Molecül  ein  Kohlenstoffatom  sich  mit  der  Bindung 
eines  zweiwerthigen  Sauerstoffatoms  begnügt  und  demnach  seine  Binde- 
kraft nicht  vollständig  ausnutzt  2. 

lieber  das  Wesen  der  Valenz  —  über  die  Ursache,  durch  welche 
die  verschiedene  Sättigungscapacität  der  Elemente  bedingt  ist  —  be- 
sitzen wir  noch  keine  klare  Vorstellung^.  Aus  den  Beobachtungen 
können  wir  zunächst  nur  ableiten,  dass  ein  Kohlenstoffatom  eine  viermal 
grössere  Atombindekraft  als  ein  Wasserstoffatom  besitzt,  weil  es  eben 
im  Stande  ist,  seine  Affinität  vier  anderen  Atomen  gegenüber  zu  äussern. 
Wir  können  daran  die  Vorstellung  knüpfen,  dass  die  Bindekraft  eines 
Kohlenstoffatoms  in  vier  Angriffspunkten  concentrirt  ist,  von  welchen  be- 
stimmte Affinitätsantheile  —  Affinitätseinheiten  —  ausgehen.  Nach 
dieser  Auffassung  würde  z.  B.,  wenn  im  Methan  ein  Wasserstoffatom 
durch  Chlor  ersetzt  wird : 

P^H     ^     p/-H 

Vh    ^    Vh  » 

^H  \C1 

in  dem  Substitutionsprodukte  das  Chloratom  durch  denselben  Affinitäts- 
antheil  festgehalten  werden,  wie  vorher  das  nun  verdrängte  Wasserstoff- 


^  Eine  Ausnahme  würde  die  Verbindung  von  Dimethylüther  und  Salzsäure 
(Friedel,    Bull.  24,    160  und  241)   bilden,    wenn   sie   atomistisch   nach  der  Formel 

CHjv  yE 

yO(^        und   nicht   als  Molecularverbindimg  (CH8)aO  +  HCl   aufzufassen  wäre. 
GH,/     XJl 

Doch  ist  in  Anbetracht  der  leichten  Dissociirbarkeit  dieser  Verbindung  (vgl.  Kap.  8 

d.  spec.  Theils)  letztere  Auffassimg  wohl  die  wahrscheinlichere. 

'  Zweiwerthigen  Kohlenstoff  nehmen  Einige  auch  in  den  Carbylaminen  (vgl. 
Kap.  5  d.  spec.  Theils)  an;  doch  ist  die  Deutung  dieser  Verbindungen  mit  vier- 
werthigem  Kohlenstoff  keineswegs  ausgeschlossen. 

'  Speculationen  über  das  Wesen  der  Valenz  vgl.  in  Kap.  12  d.  spec  Theils. 


Gl&ichwerthigkeit  der  Kohlenstoffvalenxen.  59 


atom.  Eine  solche  Annahme  ist  zulässig ,  wenn  auch  nicht  dringend 
geboten.  Es  ist  zur  Erklärung  der  Thatsachen  nicht  grade  nothwendig, 
bei  den  mehrwerthigen  Elementen  eine  gewisse  feststehende  Vertheilung 
ihrer  Atombindekraft  in  Affinitätseinheiten  vorauszusetzen.  Trotzdem 
hat  sich  diese  Auffassung  grade  für  die  Deutung  der  organischen  Ver- 
bindungen fast  allgemein  eingebürgei*t;  sie  hat  eine  erhöhte  Berechtigung 
gewonnen,  seit  es  mit  ihrer  Hülfe  möglich  geworden  ist,  die  räumliche 
Anordnung  der  Atome  innerhalb  des  Molecüls  in  erfolgreicher  Weise 
zu  discutiren. 

Wenn  wir  uns  nun  diese  Vorstellung  von  der  Theilung  der  einem 
Kohlenstoffatom  zukommenden  Atombindekraft  in  vier  Affinitätseinheiten 
oder  Valenzen,  wie  man  dieselben  kürzer  zu  bezeichnen  pflegt,  aneignen, 
so  wirft  sich  die  Frage  auf:  „Sind  diese  vier  Valenzen  einander  gleich- 
werthig  oder  nicht?"  Nehmen  wir  einmal  an,  sie  seien  ungleich werthig; 
es  sei  z.  B.  eine  derselben  (a)  vor  den  drei  übrigen  (ft,  c  und  d)  in  irgend 
welcher  Weise  ausgezeichnet,  was  wir  dadurch  versinnlichen  wollen,  dass 
eine  Valenz  durch  einen  punktirten  Strich,  die  anderen  durch  ausgezogene 
Striche  dargestellt  werden;  dann  erhielte  das  Methan  die  Formel: 

und  für  jedes  Monosubstitutionsproduct  desselben  —  z.  B.  für  das  Me- 
thylamin CH3NH2  —  erschiene  die  Existenz  zweier  isomerer  Modificationen 
möglich,  je  nachdem  das  Substituens  durch  die  Valenz  a  oder  durch  eine 
der  Valenzen  b,  c  und  d  mit  dem  Kohlenstoffatom  verknüpft  ist: 

(ejn^  ^U(b)  (e)Ks^   y^^tß) 

Eine  solche  Isomerie  ist  nun  nicht  beobachtet  worden;  auf  welchem 
Wege  man  auch  das  Methylamin  dargestellt  hat,  stets  resultirte  eine 
und  dieselbe  Substanz.  Von  solchen  Isomeriefällen,  welche  sich  nur 
unter  der  Annahme  der  Ungleichwerthigkeit  der  Kohlenstoffvalenzen  als 
möglich  ergeben,  ist  bisher  kein  einziger  aufgefunden  worden.  Die 
Gleichwerthigkeit  der  Kohlenstoffvalenzen  erscheint  hiemach  so  gut  wie 
zweifellos,  ist  aber  femer  durch  einen  von  Hjenbt^  erbrachten  directen 
Beweis  sicher  gestellt,  welcher  freilich  voraussetzt,  dass  bei  den  in  Be- 
tracht kommenden  Beactionen  nicht  eine  Wanderung  der  Atome  von 
einer  Valenz  an  eine  andere  stattfindet. 

Hevbt  stellte  ein  Monosubstitutionsderivat  des  Methans,  das  Cyanmethyl  (Aceto- 
nitril)  CH,-CN,  durch  vier  verschiedene  Processe  dar;  diese  Processe  waren  derart 
ausgewählt,  dass  bei  normalem  Reactionsverlauf  in  jedem  der  vier  Reactionsprodukte 


^  Bull,  de  racad.  roy.  de  Belgique  [3]  12,  644;  16,  388. 


60  Ableitung  von 


ein  anderes  Wasserstoffatom  des  Methanmolecüls  durch  die  Cyangmppe  vertreten  sein 
musste,  in  jedem  derselben  also  die  Cyangruppe  auch  durch  eine  andere  Valenz  an 
das  Kohlenstofiatom  gebunden  sein  musste.  Die  vier  Reactionsprodukte  erwiesen  sich 
als  durchaus  identisch;  es  folgt  daraus  die  Gleich werthigkeit  der  vier  Kohlenstoff- 
valenzen; doch  darf  man  die  Beweiskraft  dieser  Versuchsreihen  nicht  überschätzen, 
da  Umlagerungen  nicht  ausgeschlossen  erscheinen.  Auch  die  Darstellung  des  Nitro- 
methans  CHg'NO,  auf  vier  verschiedenen  ebenso  ausgewählten  Wegen  führte  zu  vier 
identischen  Präparaten. 

Mit  Hülfe  der  beiden  bisher  erkannten  Sätze  über  die  Natur  des 
Eohlenstoffatoms : 

1)  Das  Kohlenstoffatom  ist  vierwerthig, 

2)  Die  vier  Valenzen  des  Kohlenstoffatoms  sind  einander  gleich, 
lässt  sich  nun  für  Molecüle  von  bestimmter  empirischer  Zusammen- 
setzung entwickeln,  auf  welche  Arten  die  Atome  in  denselben  an  ein- 
ander gebunden  sein  können.  Für  das  Aethan  z.  B.,  dessen  moleculare 
Zusammensetzung  der  Formel  CgHg  entsprechend  festgestellt  ist,  ergiebt 
sich  überhaupt  nur  eine  einzige  Möglichkeit  der  Atomordnung.  Das 
Zusammenhalten  von  sechs  einwerthigen  und  zwei  vierwerthigen  Atomen 
kann  offenbar  nur  durch  die  Aneinanderbindung  der  beiden  öiehr- 
werthigen  Atome  bewirkt  werden.    Wenn  jedes  der  beiden  C- Atome  je 

eine  Valenz  zur  Bindung  des  anderen  verbraucht:  -^C — C^,  so  bleiben 

grade  sechs  Valenzen  zur  Bindung  der  sechs  einwerthigen  Wasserstoff- 
atome übrig.     Die  Structurformel: 

H\  yH 

H^C-CfH 

ist  die  einzig  mögliche;  die  Theorie  lässt  für  die  Zusammensetzung  C^Hg 
nur  einen  Structurfall  vorhersehen,  und  die  Erfahrung  hat  in  der  That 
nur  eine  Verbindung  von  der  Zusammensetzung  CjH^  kennen  gelehrt. 
Denken  wir  tms  nun  ein  Wasserstoffatom  des  Aethans  durch  ein 
anderes  einwerthiges  Atom,  z.  B.  ein  Chloratom  ersetzt,  so  wird  offenbar 
stets  dieselbe  Verbindung  entstehen  müssen,  welches  der  sechs  Wasserstoff- 
atome auch  der  Substitution  anheimfallen  möge;  denn  alle  sechs  Wasser- 
stoffatome des  Aethans  sind  ja  in  durchaus  gleicher  Weise  gebunden 
und  daher  einander  gleichwerthig.  Die  Verbindung  CaHgCl  wird  dem- 
nach ebenfalls  nur  in  einer  Modification  vorkommen,  deren  Structur 
durch  das  Schema: 

H-^C-C^Cl 

wiederzugeben  ist.  Die  Verhältnisse  liegen  ganz  ebenso,  wenn  anstatt  eines 
einwerthigen  Elementaratoms  eine  einwerthige  Atomgruppe,   z.  B.   die 


StriusturmÖglichkeüen,  61 


Methylgruppe:  — C^H,  eingeführt  wird.    Für  die  Verbindung  CjH.-CH- 

\h 

=  C3Hq  kann  wiederum  nur  eine  einzige  Bindungsweise  der  Atome 

H 
H\       I       /H 

H/         I        ^H 
H 

abgeleitet  werden.  In  Uebereinstimmung  mit  diesen  Deductionen  kennen 
wir  nur  eine  Verbindung  C3H5CI  (Chloräthyl)  und  nur  eine  Verbindung 
CjHg  (Propan). 

Nachdem  aber  einmal  ein  Wasserstoffatom  des  Aethanmolecüls  er- 
setzt ist,  sind  die  fünf  übrig  bleibenden  nicht  mehr  einander  gleich- 
werthig.  Zwei  derselben  sind  an  dasselbe  Eohlenstoffatom  gebunden,  an 
welchem  das  Substituens  haftet,  die  drei  anderen  an  dasjenige  Eohlen- 
stoffatom, dessen  Bindungsverhältnisse  durch  die  Substitution  nicht  un- 
mittelbar verändert  wurden.  Es  muss  einen  Unterschied  bedingen,  ob 
ein  Wasserstoffatom  der  ersten  oder  eines  der  zweiten  Art  durch  ein 
neu  eintretendes  Substituens  verdrängt  wird.  Für  die  Verbindung  C^H^Clj 
ergeben  sich  zwei  Structurmöglichkeiten : 

H^C-Cfci      und     CAC-Cfci 

und  zwei  analoge  Möglichkeiten  für  die  Verbindung  C3H4(CH3)2=C^Hj(,: 

C  H    H 

H\       I         /H  Hv         I      I       /H 

H-^C— C-C<-H  und         H-7C-C— C— C^H  . 
H^        I        \H  W         \      \         \H 

H  H    H 

Wir  kennen  thatsächlich  zwei  isomere  Verbindungen  CjH^Brg :  Aethylen- 
bromid  und  Aethylidenbromid,  und  ebenso  zwei  isomere  Kohlenwasser- 
stoffe C^H^o-  B^^A^  ^^d  Isobutan. 

Je  mehr  Atome  nun  zu  einem  Molecül  zusammentreten,  um  so 
grösser  wird  die  Zahl  der  theoretisch  möglichen  Constitutionsformeln. 
Für  ein  Molecül  C^Hj^Clj  lassen  sich  z.  B.  schon  50  verschiedene  Arten 
der  Atomanordnung  entwickeln.  Mit  welchen  Mitteln  können  wir  nun 
unter  den  vielen  Möglichkeiten  diejenigen  auswählen,  welche  den  wahr- 
scheinlichen Ausdruck  für  die  Structur  der  einzelnen  wirklich  beobach- 
teten Verbindungen  darstellen? 

Für  diesen  Zweck  —  für  die  Ableitung  der  Structur  der  organischen 
Verbindungen  —  lassen  sich  nicht  allgemein  anwendbare  Methoden  angeben, 


62  CofistütUu/n  der 


wie  es  für  die  Ermittelung  der  empirischen  Zusammensetzung  geschehen 
konnte.  Die  Constitutionsformeln ,  weiche  wir  den  organischen  Ver- 
bindungen beilegen,  sind  das  Besultat  einer  ßeihe  von  Schlussfolgerungen, 
welche  aus  den  Entstehungsweisen  und  den  Umwandlungen  der  zu  er- 
örternden Substanz  gezogen  werden,  sich  demnach  der  Natur  dieser 
Substanz  anpassen  müssen  und  in  den  einzelnen  Fällen  sehr  verschieden- 
artig sein  können.  In  dem  speciellen  Theile  sollen  fiir  alle  wichtigeren 
Verbindungen  die  Gründe  angegeben  werden,  welche  die  ihnen  zuge- 
schriebene Constitution  wahrscheinlich  machen.  An  dieser  Stelle  kann 
die  Art  und  Weise  der  Constitutionsableitung  nur  an  Beispielen  er- 
läutert werden;  dieser  Erläuterung  mögen  die  wichtigsten  sauerstofihaltigen 
Verbindungstypen  als  Gegenstand  dienen,  da  die  Kenntniss  ihrer  Structur- 
verhältnisse  für  die  im  speciellen  Theil  zu  liefernden  Ableitungen  von 
Nutzen  sein  wird. 

Die  Constitution  der  Alkohole,  Aethjer,  Carbonsäuren, 

(Ajldehyde  und  Eetone. 

Als  ein  Beispiel  der  Isomerie  wurden  schon  in  der  Einleitung  zwei 
Verbindungen  von  der  Zusammensetzung  CjHgO  citirt,  der  Aethyl- 
alkohol  und  der  Dimethyläther.  Sie  sind  die  Repräsentanten  zweier 
grosser  Verbindungsklassen,  der  Alkohole  und  Aether;  die  charakte- 
ristischen Structui'eigenthümlichkeiten  dieser  beiden  Klassen  wollen  wir 
an  ihnen  entwickeln. 

Von  dem  Aethan  C^Hg,  dessen  Structur  S.  60  festgestellt  wurde, 
unterscheiden  sie  sich  durch  den  Mehrgehalt  eines  Sauerstoffatoms.  Man 
kann  sich  den  Eintritt  eines  zweiwerthigen  Sauerstoffatoms  in  das 
Aethanmolecül: 

nur  auf  zweierlei  Weise  denken;  es  kann  sich  entweder  zwischen  ein 
Kohlenstoffatom  und  ein  Wasserstoffatom  oder  zwischen  die  beiden  Kohlen- 
stoffatome einschieben: 

I.  II. 

H\  /0-H  Hv  /H 

H-^C-  C^H      ;  H^-O-C^H . 

Diese  beiden  von  der  Theorie  zur  Auswahl  gestellten  Möglichkeiten 
können  auch  durch  die  Formeln: 

C^HsOH      und      CHgOCHa 

ausgedrückt  werden,  in  welchen  die  kohlenstoffhaltigen  Radicale  sum- 
marisch zusammengefasst  sind. 


Alkohole  wvd  Aether.  63 


Ein  Blick  auf  diese  Formeln  lässt  erkennen,  dass  nur  die  nach 
dem  ersten  Schema  construirte  Verbindung  ein  wirkliches  Derivat  des 
Aethans  mit  zwei  zusammenhängenden  Kohlenstoffatomen  ist,  während 
die  Molecüle  der  zweiten  Art  zwei  Methylgruppen  durch  ein  Sauerstoff- 
atom yerknüpft  enthalten,  und  demnach  die  aus  solchen  Molecülen  be- 
stehende Substanz  zum  Aethan  in  keiner  näheren  Beziehung  stehen  wird. 
Denken  wir  uns  die  beiden  Verbindungen  solchen  Beactionen  unterworfen, 
bei  welchen  das  zweiwerthige  Sauerstoffatom  durch  zwei  einwerthige 
Atome  ersetzt  wird,  so  wird  diese  Vertretung  bei  der  einen  Verbindung 
das  Zusammenbleiben  der  beiden  Eohlenstoffatome  in  einem  Molecül 
nicht  hindern,  bei  der  anderen  dagegen  noth  wendiger  weise  eine  Tren- 
nung hervorbringen,  die  das  Zerfallen  in  zwei  je  ein  Eohlenstoffatom 
enthaltende  Molecüle  zur  Folge  haben  wird. 

Das  Phosphorpentachlorid  PClg  ist  ein  Reagens,  welches  zur  Ent- 
scheidung solcher  Fragen  besonders  geeignet  ist,  da  es  in  vielen  orga- 
nischen Verbindungen  einen  Austausch  von  Sauerstoff  gegen  Chlor  be- 
wirkt, indem  es  dabei  selbst  in  Phosphoroxychlorid  POCI3  übergeht. 
Lassen  wir  es  auf  die  eine  der  in  Bede  stehenden  Substanzen,  den  Aethjl- 
alkohol,  einwirken,  so  beobachten  wir  eine  Beaction  im  Sinne  der 
Gleichung: 

CAO  +  PCI5  =  C^HjCI  +  HCl  +  POCl,. 

Diese  Beaction  entspricht  so  vollständig  dem  Verlauf,  den  wir  bei  einer 
nach  der  Formel  I  zusammengesetzten  Verbindung  erwarten  müssen, 
dass  kaum  noch  Zweifel  an  der  Bichtigkeit  dieser  Formel  für  den  Aethyl- 
alkohol  aufkommen  können.  Das  Sauerstoffatom  war  nach  jener  An- 
nahme durch  eine  Valenz  mit  dem  Aethylradical  C3H5,  durch  die  andere 
mit  einem  Wasserstoffatom  verknüpft;  wird  es  durch  zwei  einwerthige 
Chloratome  ersetzt,  so  müssen  zwei  Molecüle  entstehen,  deren  jedes  ein 
Chloratom  mit  dem  vorher  durch  eine  Sauerstoff^alenz  festgehaltenen 
Rest  vereinigt  enthält: 

.H  ^    CIH      * 


< 


Zudem  erweist  sich  nun  das  in  dieser  Beaction  entstehende  Chloräthyl 
CjHjCl  als  ein  echtes  Derivat  des  Aethans,  indem  es  durch  Beduction 
in  Aethan  übergeftlhrt  und  aus  dem  letzteren  durch  Chlorirung  wieder 
erzeugt  werden  kann: 

CjHbCI  +  H,  =  C,H,.H  +  HCl. 
C,He  +  Cl,  =  C^H^a  +  HCl. 

Die  Beaction  des  Phosphorpentachlorids  auf  den  Aethylalkohol  ver- 
läuft sehr  heftig;  man  könnte  vielleicht  denken,  dass  durch  dieselbe  eine 
völlig  andere  Atomgruppirung  bewirkt  wird,  als  sie  in  der  Ausgangs- 
snbstanz  bestand.    Ein  solcher  Einwand  gegen  die  eben  gegebene  Con- 


64  Constitution  der 


stitutionsableitung  erscheint  zwar  schon  in  Anbetracht  der  reichlichen 
Bildung  des  Chloräthyls  wenig  wahrscheinlich ,  bedarf  aber  immerhin 
einer  Prüfung.  Er  wird  am  schlagendsten  widerlegt  werden,  wenn 
es  gelingt,  das  Chloräthyl  wieder  durch  Austausch  des  Chloratoms  gegen 
die  OH-Gruppe  in  Aethylalkohol  zurückzuverwandeln ;  diese  Umwand- 
lung gelingt  nun  in  der  That,  z.  B.  durch  die  Einwirkung  von  feuchtem 
Silberoxyd: 

CjH,.  Ci 4-  Ag^  OH  =  CjHj.OH  +  AgCl. 

Der  Nachweis  der  Zusammengehörigkeit  von  einem  Sauerstoffatom 
und  einem  Wasserstoffatom  zu  einer  einwerthigen  Gruppe — OH  (Hydroxyl- 
gruppe), wie  er  hier  flir  den  Aethylalkohol  geliefert  ist,  ist  von  sehr 
allgemeiner  Anwendbarkeit.  Man  wird  in  den  meisten  Fällen  berechtigt 
sein,  in  einer  sauerstoffhaltigen  Verbindung  die  Gegenwart  einer  Hydroxyl- 
gruppe anzunehmen,  wenn  man  bei  der  Einwirkung  von  Phosphorpenta- 
chlorid  findet,  dass  ein  Chloratom  an  die  Stelle  von  einem  Sauerstoff- 
atom und  einem  Wasserstoffatom  zugleich  eintritt,  und  wenn  man  aus 
der  so  entstandenen  Chlorverbindung  durch  Einwirkung  von  Wasser 
oder  Alkalien  die  ursprüngliche  Verbindung  regeneriren  kann.^ 

Die  filr  den  Aethylalkohol  hiemach  sich  ergebende  Constitutions- 
formel  CgHg  — 0— H  entspricht  nun  seinem  chemischen  Verhalten  auch 
in  allen  übrigen  Reactionen  vollkommen.  Sie  lässt  voraussehen,  dass  von 
den  sechs  Wasserstoffatomen  sich  nicht  alle  gleichartig  verhalten  werden, 
dass  vielmehr  eines  unter  ihnen  —  das  an  Sauerstoff  gebundene  —  durch 


^  Es  sei  indessen  daran  erinnert,  dass  in  vereinzelten  Fällen  der  Austausch 
eines  Chloratoms  gegen  die  Elemente  OH  infolge  einer  Umlagerang  nicht  zur  Bil- 
dung einer  Hydroxylgruppe  führt;  aus  Thionylchlorid  SOCl,  entsteht  eine  schwef- 
lige Säure,  welcher  nicht  die  Formel  SO(OH]^,  sondern  H*SO,-OH  zugeschrieben 
werden  muss,  aus  Phosphortrichlorid  PCI,  die  phosphorige  Säure  H-PCXOH),,  aus 
Benzanilidchlorid  CeH^-CCl:  NCeHg  das  Benzanilid  CeH^-CONHCeH».  —  Umge- 
kehrt führt  zuweilen  die  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  auch  bei  nicht  hydroxyl- 
haltigen  Verbindungen  scheinbar  zum  Ersatz  der  Elemente  OH  durch  Ol;  so  liefert 
das  eben  genannte  Benzanilid  mit  Phosphorpentachlorid  das  Benzanilidchlorid: 

C^HnNO  +  PCI5  =  CxjHioClN  +  POCl,  +  HCl. 
Ein  derartiger  Beactionsverlauf  lässt  sich  stets  darauf  zurückführen,  dass  das  unmittel- 
bare Reactionsprodukt  gleich  eine  weitere  Zersetzung  erleidet  und  sich  daher  der  Be- 
obachtung  entzieht    Im   erwähnten   Falle  z.  B.    wird   zunächst   das   Sauerstoffiitom 
durch  2  Chloratome  ersetzt: 


CjHsv  CgHj., 

>C  =  0  +  PC1,    - 

..1x5.  nh/  c^h. 


>C  =  0  +  PCl,    -  >CC1,  +  POCla ; 

C.H..NH/  C«H«NH/ 


das  entstehende  Dichlorid  ist  indess  unbeständig  und  wird  sofort  imter  Verlust  von 
1  MolecÜl  Chlorwasserstoff  weiter  verändert: 

>CC1,  =  >CC1  -H  HCl. 

C.H5.NH/  CeHsN^ 


Alkohole  und  Äetker,  65 


besondere  Eigenschaften  sich  von  den  übrigen  unterscheiden  wird.  In 
der  That  giebt  sich  die  besondere  Function  dieses  einen  Wasserstoff- 
atoms  in  einer  sehr  grossen  Zahl  von  Reactionen  durch  seine  leichte 
Austauschbarkeit  gegen  andere  Atome  oder  Atomgruppen  zu  erkennen, 
welche  ganz  analog  der  Reactionsfähigkeit  des  Hydroxylwasserstoffs  in 
den  anorganischen  Hydroxyden  ist.  Dieses  eine  Wasserstoffatom  kann 
durch  Metallatome  ersetzt  werden: 

CsHg  •  0  •  Na  Natriumalkoholat, 
oder  durch  Säureradieale: 

CjHj.ONOa;    CjHg.OClO^;    C.Hg.O.SOaH, 

oder  auch  durch  Kohlen wasserstoffradicale: 

C2H5  •  0  •  CH3 ;    C2H5  •  0  •  C^Hs ;    C^Hs  •  0  •  O3H7. 

Im  letzteren  Falle  sehen  wir  Verbindungen  entstehen,  welche  zu 
derselben  Verbindungsklasse  gehören  wie  der  mit  dem  Aethylalkohol 
isomere  Dimethyläther,  für  welchen  von  den  auf  S.  62  aufgestellten 
Formeln  nun  nur  noch  die  zweite: 

CHs-O-CHg 

übrig  bleibt.  Diese  Foimel  drückt  nun  wirklich  das  Verhalten  desselben 
und  seine  genetischen  Beziehungen  in  durchaus  befriedigender  Weise 
aus.  Die  besondere  Beweglichkeit  eines  Wasserstoffatoms,  welche  den 
Aethylalkohol  charakterisirt,  finden  wir  am  Dimethyläther  im  Einklang 
mit  jener  Formel  nicht  wieder;  denn  alle  sechs  Wasserstoffatome  sind  ja 
gleichartig  an  Eohlenstoffatome  gebunden.  Das  Vorhandensein  von  zwei 
durch  ein  Sauerstoffatom  getrennten  Methylgruppen  (CH3)  kann  auf 
synthetischem  wie  analytischem  Wege  erwiesen  werden^.  Denn  einer- 
seits kann  der  Dimethyläther  aus  einer  dem  Aethylalkohol  ganz  analog 
gebauten  Verbindung  dem  Methylalkohol  CH^O,  für  welche  die  Structur- 
formel  CH3— 0— H  die  einzig  ableitbare  ist,  erhalten  werden,  wenn  man 
in  derselben  das  Hydroxyl -Wasserstoffatom  durch  die  Methylgruppe 
ersetzt: 

CH,-0-:Na  +  J  -CH,  =  NaJ  +  CH3— O-CH»; 


'  Die  hier  folgende  Bildimgsreaction  und  Spaltung  ist  freilich  grade  für  den 
Dimethylftther  bisher  noch  nicht  ausgeführt  —  wohl  nur  deshalb  nicht,  weil  der 
DimethyUther  als  ein  sich  erst  bei  —  24^  condensirendes  Gas  ein  schwieriger  zu  be- 
handelndes Versuchsobject  ist,  als  seine  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssigen  Homo- 
logen. Die  Reactionen  sind  indess  bei  anderen  Verbindungen,  welche  in  analogen 
Reactionen  wie  der  Dimethyläther  entstehen  und  demnach  zu  derselben  Klasse  ge- 
hören und  analoge  Structur  besitzen  müssen,  beobachtet  worden ;  es  kann  daher  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  der  Versuch  auch  ihre  Geltung  für  den  Dimethyläther  er- 
weisen würde.  Der  Einfachheit  halber  ist  in  der  obigen  Beweisführung  der  Dimethyl- 
äther nicht  durch  eine  jener  kohlenstoffireicheren  Verbindungen  ersetzt  worden,  an 
welchen  die  Reactionen  thatsächlich  ausgeführt  sind. 

T.  MxTKB  VL  Jacobson  I  org.  Chem.  L  5 


66  Constitution  der  Alkohole  und  Aether. 


umgekehrt  zerföUt  er  durch   die  Einwirkung  von  Jodwasserstoff  leicht 
in  Methylverbindungen: 

"\o  +  HJ  =  CH,.OH  +  CH,J. 

Die  Constitutions Verschiedenheit,  welche  im  Vorstehenden  fiir  den 
Aethylalkohol  und  Dimethyläther  nachgewiesen  wurde,  ist  typisch  für  die 
beiden  Klassen  der  Alkohole  und  Aether.  Die  Alkohole  sind  charakte- 
risirt  durch  ein  Sauerstoffatom,  das  einerseits  an  Wasserstoff,  anderer- 
seits an  ein  Kohlen wasserstoffradical  gebunden  ist,  die  Aether  dagegen 
durch  ein  Sauerstoffatom,  das  durch  beide  Valenzen  mit  je  einem 
Kohlenwasserstoffradical  verknüpft  ist.  Die  Alkohole  erkennt  man  an 
der  Beweglichkeit  eines  Wasserstoffatoms,  an  der  Austauschbarkeit  ihrer 
Hydroxylgruppe  gegen  Chlor  mit  Hülfe  von  Phosphorpentachlorid  und 
dem  Entstehen  von  solchen  Chlorverbindungen  in  dieser  Reaction,  welche 
in  ihrem  Molecül  ebensoviele  Kohlenstoffatome  enthalten  als  die  Aus- 
gangssubstanz;  die  Aether  dagegen  erkennt  man  an  ihrer  Indifferenz 
und  der  leichten  Spaltbarkeit  in  Verbindungen  von  niedrigerer  Kohlen- 
stoffzahl. 

Nach  diesen  Grundsätzen  können  wir  nun  z.  B.  die  drei  auf  S.  55 
erwähnten  Verbindungen  CgHgO  unter  die  beiden  Klassen  vertheilen. 
Zwei  dieser  Verbindungen  (Propyl-  und  Isopropylalkohol)  erweisen  sich 
als  wahre  Alkohole;  sie  reagiren  stürmisch  mit  Phosphorpentachlorid, 
und  es  entsteht  in  jedem  Fall  eine  andere  Verbindung  CjH^-Cl  von 
gleicher  Kohlenstoffzahl;  die  beiden  Verbindungen  erhalten  demnach  die 
Structurformel : 

C3IX7 — O — H. 

Die  dritte  Verbindung  dagegen  —  der  Methyläthyläther  —  ist  gegen 
Phosphorpentachlorid  in  der  Kälte  indifferent;  sie  zerfällt  bei  der  Ein- 
wirkung von  Jodwasserstoff  in  Aethylalkohol  (C^Hg^OH)  und  Jodmethyl 
(CH3J)  und  entsteht  andererseits  aus  Aethylalkohol  durch  Eintritt  des 
Methylradicals  in  die  Hydroxylgruppe;  die  Verbindung  gehört  in  die 
Gruppe  der  Aether  und  erhält  die  Structurformel: 

CsHs — O — CXI3. 

In  gleicher  Weise  fasste  schon  die  Typentheorie,  wie  wir  S.  55 
sahen,  den  Constitutionsunterschied  dieser  Substanzen  auf.  Aber  die 
Atomverkettungstheorie  zeigt  nun  ihre  Ueberlegenheit  darin,  dass  sie 
für  die  der  Typentheorie  unerklärliche  Isomerie  der  beiden  Propylalkohole 
eine  einfache  Deutung  giebt.  Denn  von  dem  Propan  CgHg,  dessen 
Structur  S.  61  dem  Schema 

H 

H-^C C C^H 

H^  1  \H 

H 


Constitutum  der  Fettsäuren,  67 


entsprechend  entwickelt  wurde,  lassen  sich  ja  zwei  verschiedene  Alkohole 

ableiten,  je   nachdem   die   Hydroxylgruppe   an  einem  der  endständigen 

KohlenstoJBTatome  oder  an  dem  mittelständigen  haftend  angenommen  wird. 

Die  Formeln: 

H  H 

I  I 

H~C-0-H  H-C-H 

H-C-H  und         H-C-O-H 

I  I 

H-C-H  H-C-H 

I  I 

H  H 

oder  abgekürzt: 

CH,(OH)-CH,-CHa  und  CHg— CH(OH)— CH, 

drücken  diese  Art  der  Isomerie  aus,  welche  man  auch  wohl  als  „Stel- 
lungs-'*  oder  „Orts-Isomerie"  bezeichnet.  Die  Beantwortung  der  Frage, 
welche  dieser  Formeln  dem  Propylalkohol  und  welche  dem  Isopropyl- 
alkohol  entspricht,  muss  noch  etwas  verschoben  werden,  bis  wir  die 
Constitution  einer  sehr  wichtigen  Klasse  von  Oxydationsproducten  der 
Alkohole  —  der  Fettsäuren  —  erkannt  haben. 

Eine  grosse  Zahl  von  Alkoholen  geht  durch  Oxydation  in  Ver- 
bindungen über  von  ausgeprägtem  Säurecharakter,  welche  in 
ihrem  Molecül  ebenso  viele  Kohlenstoffatome  enthalten  wie 
der  der  Oxydation  unterworfene  Alkohol.  Aus  dem  Aethylalkohol 
entsteht  so  nach  der  Gleichung: 

C,H«0  +  0,  =  H,0  +  CjHA 

die  Essigsäure  CgH^Og,  der  wichtigste  Vertreter  der  Fettsäurereihe. 
Aus  der  Bildungsgleichung  ist  ersichtlich,  dass  der  Vorgang  in  einer 
Vertretung  zweier  Wasserstoffatome  durch  ein  Sauerstoffatom  besteht; 
es  fragt  sich,  welche  zwei  Wasserstoffatome  des  Alkoholmolecüls 

H\  /OH 

H-^c — cen 
h/  \h 


dem  neu  eintretenden  Sauerstoffatom  Platz  gemacht  haben.  Zunächst 
lässt  sich  nachweisen,  dass  das  Wasserstoffatom  der  Hydroxylgruppe 
noch  unverändert  im  Essigsäuremolecül  vorhanden  ist.  Denn  die  Essig- 
säure reagirt  mit  Phosphorpentachlorid  heftig  in  der  für  hydroxylhaltige 
Verbindungen  charakteristischen  Weise  (S.  64): 

CäO,  +  PCI5  =  POCl,  +  HCl  +  C,H,0CL 

Es  entsteht  eine  chlorhaltige  Verbindung  —  das  Acetylchlorid,  welches 
in  Berührung  mit  Wasser  sein  Chloratom  wieder  gegen  die  Hydroxyl- 
gruppe austauscht  und  Essigsäure  regenerirt: 

C,H,0C1  +  H,0  =  HCl  +  C,H,0.0H 

CjH^O, 

5.* 


68  Constitution  der  Fettsäuren. 


Hiemach  bleiben  für  die  Essigsäure  noch  drei  Structurformeln  zur 

Auswahl  übrig: 

/OH  /OH  /OH 

I.    ^  n.    ^  m.    ^«« 

C^Ha  i^,  feg 

Von  diesen  ist  die  erste  die  richtige;  denn  es  lässt  sich  nachweisen, 
dass  die  Essigsäure  diejenigen  drei  Wasserstoffatome,  welche  an  Kohlen- 
stoff gebunden  sind,  an  ein  und  dasselbe  Eohlenstoffatom  angelagert 
enthält. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  nämlich  können  nach  einander  diese 
drei  Wasserstoffatome  durch  Chloratome  substituirt  werden: 


C,H40,  +  Gl,  =  HCl  +  CjHjClO,:  Mono- 
CjHjClOa  +  Cl,  =  HCl  +  C,H,C1,0,:       Di-  )  ChloreesigsÄure. 
CaH,Cl,0,  +  Cl,  =  HCl  +  CjHClaO,:       Tri- 


°"1 


Die  Substitution  erstreckt  sich  nicht  auf  das  Wasserstoffatom  der 
Hydroxylgruppe;  denn  auch  in  dem  Endprodukte  der  Chlorirung,  der 
Trichloressigsäure,  lässt  sich  das  Vorhandensein  der  Hydroxylgruppe  noch 
durch  die  Chlorphosphorreaction  erweisen.  Von  den  hiemach  für  die 
Trichloressigsäure  möglichen  Structurformeln: 

/OH  /OH  /OH 

i.    ^ö  n.    y^^         m.    y^^. 

CSJla  .  6^1,  C=g, 

I 

kann  nur  die  erste  richtig  sein;  denn  die  Trichloressigsäure  spaltet  sich 
beim  Kochen  ihrer  wässrigen  Lösung^  in  Kohlensäure  und  Chloroform: 

CjHClsO,  =  CHCl,  +  CO.. 

Das  Chloroform  als  eine  Verbindung,   deren  Molecül  neben  einem 
vierwerthigen  Atom  vier  einwerthige  Atome  enthält,  kann  nur  die  Structur: 

Cl/XJl 

besitzen;  es  muss  drei  Chloratome  an  dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden 
enthalten;  dies  gilt  demnach  auch  für  die  drei  Chloratome  der  Trichlor- 
essigsäure und  für  die  drei  an  Kohlenstoff  gebundenen  Wasserstoffatome 
des  Essigsäuremolecüls. 

Die  Constitution  der  Essigsäure  ist  hiemach  als  der  Formel: 

,0H 


«•^-<o 


^  Beokubts  u.  Otto,  Ber.  14,  ÖS9;  Seubebt,  Ber.  18,  8S89.  Noch  glatter  ver- 
läuft die  Spaltung  beim  Erhitzen  mit  etwas  Dimethylanilin ;  vgl.  Silbbbstein,  Ber. 
17,  266S. 


ConstituMon  der  Fettsäuren,  69 


entsprechend  erwiesen.  Die  Essigsäure  erscheint  als  eine  Verbindung  des 
einwerthigen  Methybradicals  mit  der  einwerthigen  Gruppe  — CO -OH, 
welche  als  Carboxylgruppe  bezeichnet  wird.  Die  Richtigkeit  dieser  Auf- 
fassung wird  nun,  wie  im  speciellen  Theile  hervortreten  wird,  durch  das 
gesammte  chemische  Verhalten  der  Essigsäure  bestätigt;  hier  sei  nur 
noch  eine  wichtige  sjmthetische  Bildungsweise  der  Essigsäure  erwähnt, 
welche  die  eben  gewonnene  Ansicht  in  besonders  schlagender  Weise 
stützt. 

In  dem  Jodmethyl  CH3J   lässt  sich  durch  Einwirkung  von  Cyan- 
kalium  das  Jodatom  durch  die  Cyangruppe  ersetzen: 


CHjJ  +  KiCN  =  KJ  +  CH3.CN; 

es  entsteht  Cyanmethyl  (auch  Acetonitril  genannt);  in  diesem  Cyanmethyl 
kann  n^in  durch  Kochen  mit  Alkalien  oder  Säuren  der  Stickstoff  der 
Cyangruppe  als  Ammoniak  abgespalten,  und  dadurch  die  Cyangruppe  in 
die  Carboxylgruppe  verwandelt  werden: 

H— ;0— H  yOH 


CHs-C 


Das  in  diesem  letzten  gewöhnlich  als  Verseifung  bezeichneten  Process 
entstehende  Produkt  ist  nichts  anderes  als  Essigsäure,  welche  wir  in 
dieser  Reactionsfolge: 

CH,-J    >-     CHs-CN     >     CHs-CO,H 

darstellen,  indem  wir  gewissermassen  eine  Methylgruppe  mit  einer  Car- 
boxylgruppe verknüpfen. 

Diese  Synthese  der  Essigsäure  ist  nun  typisch  für  die  Gewinnung 
von  organischen  Carbonsäuren  aus  den  Halogenderivaten  der 
um  ein  Kohlenstoffatom  ärmeren  Kohlenwasserstoffe.  Wenden 
wir  sie  z.  B.  auf  das  Jodäthyl  an: 

CA-J.     >-     C,Hj--CN    >-     CtHs-COsH, 

so  erhalten  wir  aus  der  in  ihrem  Molecül  zwei  Kohlenstoffatome  enthal- 
tenden Jodverbindung  eine  Säure  mit  drei  Kohlenstoffatomen  CjH^O^, 
Propionsäure,  deren  Structur  wir  nun  ohne  Weiteres  durch  die  Formel: 

H 
H\       I       ^0 

H-7C-C-CC 
H^       I       ^OH 

H 
oder  abgekürzt: 

CHs-CH,~CO,H 

wiederzugeben  berechtigt  sein  werden. 

Mit  Hülfe  der  im  Vorstehenden  begründeten  Ansichten  über  die 
Constitution  der   Essigsäure   imd   Propionsäure   kann  jetzt   die   vorher 


70  Constitution  von  Propyl- 


unbeantwortet  gelassene  Frage  nach  der  Constitution  der  beiden  isomeren 
Propylalkohole  entschieden  werden.  Wir  sahen,  dass  der  zwei  C-Atome 
enthaltende  Aethylalkohol  CH, — CH2(0H)  durch  Oxydation  in  die  eben- 
falls zwei  C-Atome  enthaltende  Essigsäure  CHg — COgH  tibergeführt  wird. 
Einer  analogen  Umwandlung  sind  offenbar  nur  solche  Alkohole  fähig« 
welche  die  Gruppe  — CH2(0H)  enthalten  (p|i*imä{re  Alkohole).  Von  den 
beiden  theoretisch  möglichen  Structurformeln  der  Propylalkohole  (S.  67): 

I.  II. 

CH,(0H)-CH,-CH8,  CHa— CH(OH)— CHs 

enthält  nun  nur  die  erste  diese  Gruppe;  der  dieser  Formel  entsprechende 
Alkohol  wird  daher  durch  Oxydation  in  die  Säure: 

CO3H— CHj Clig  ; 

in  welcher  wir  die  eben  besprochene  Propionsäure  wiedererkennen,  über- 
flihrbar  sein.  Der  Alkohol  von  der  zweiten  Formel  dagegen  enthält 
seine  Hydroxylgruppe  an  einem  Kohlenstoflfatom,  welches  zwei  Valenzen 
zur  Bindung  von  zwei  anderen  Kohlenstoflfatomen  verbraucht;  er  ent- 
hält den  für  die  „secundären  Alkohole"  charakteristischen  Complex: 

::^C-CH(OH)-C^ . 

Bei  einem  so  constituirten  Alkohol  kann  aus  dem  die  Hydroxylgruppe 
tragenden  Kohlenstoffatom  eine  Carboxylgruppe  — COgH  nur  dadurch  her- 
vorgehen, dass  eine  jener  Kohlenstoflfbindungen  gesprengt,  und  demnach 
ein  Kohlenstoffatom  abgespalten  wird.  Dieser  Alkohol  kann  demnach 
nicht  in  eine  zwei  Sauerstoffatome  enthaltende  Carbonsäure  von  gleicher 
Kohlenstoffzahl  überfiihrbar  sein,  sondern  bei  der  Oxydation  höchstens 
die  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmere  Essigsäure  CH3 — COjH  liefern. 

Die  von  der  Theorie  angedeutete  durchgreifende  Verschiedenheit 
im  Oxydationsverlauf  findet  sich  nun  bei  der  Untersuchung  der  beiden 
bekannten  Propylalkohole  durchaus  bestätigt.  Einer  derselben  (nor- 
maler Propylalkohol)  kann  in  glatter  Weise  zu  Propionsäure  oxydirt 
werden;  ihm  kommt  daher  die  Formel: 

CH,(OH)-CH,-CHa 

zu.  Der  andere  (Isopropylalkohol)  dagegen  giebt  bei  der  Oxydation 
zunächst  ein  nichtsaures  Oxydationsprodukt,  das  Aceton  CHg-CO-CHj 
(vgl.  S.  73),  und  zerfällt  bei  weiterer  Oxydation  in  Säuren  von  niedrigerer 
Kohlenstoffzahl;  er  liefert  Essigsäure  (neben  Ameisensäure  H-CO-OH 
oder  Kohlensäure)  und  besitzt  daher  die  Structur: 

CH,— CH(0H)-CH8. 

Aus  der  Stnictur  der  beiden  Propylalkohole  ergiebt  sich  nun  die 
Constitution  einer  Reihe  von  Verbindungen,  welche  durch  einfache  Reac- 
tionen   aus  denselben   dargestellt  werden  können.     Ersetzt  man  in  den 


und  Isopropyl-Verhindungen,  71 


beiden  Alkoholen  die  Hydroxylgnippe  durch  ein  Judatom,  so  resultiren 
die  beiden  isomeren  Monojodderivate  des  Propans: 

CHjJ-CH.-CH,  und  CHg-CHJ— CH,. 

Normales  Propyljodid  Isopropyljodid. 

Die  S.  69  besprochene  Synthese  von  Carbonsäuren  —  an  diesen  bei- 
den Propyljodiden  ausgeführt  —  muss  zu  zwei  verschiedenen  Säuren 
fuhren,  deren  Isomerie  sich  durch  die  Formeln: 

C0,H~CH,-CH,-CH8        und        CH3-CH< 

XJOjH 
Normale  Buttersfture  Isobuttersäure 

erklärt. 

Aus  diesen  Beispielen  ist  ersichtlich,  in  welcher  Weise  die  Auf- 
klärung der  Isomerie  in  einem  speciellen  Falle  zur  Entscheidung  vieler 
anderer  Probleme  verwerthet  wird.  Man  stützt  sich  bei  derartigen 
Folgerungen,  welche  aus  der  bekannten  Constitution  einer  Verbindung 
auf  die  Atomlagerung  in  einer  anderen  durch  chemische  Umsetzung 
aus  ihr  entstehenden  Verbindung  gezogen  werden,  in  derTRegel  auf  zwei 
Annahmen,  die  hier  noch  kurz  präcisirt  sein  mögen.  Man  nimmt  erstens 
au,  dass  bei  Beactionen,  welche  in  einem  Austausch  von  Atomen  bezw. 
Atomgruppen  gegen  einander  bestehen,  der  eintretende  Bestandtheil  den 
Platz  des  verdrängten  Bestandtheils  einnimmt.  Wenn  z.  B.  die  beiden 
eben  besprochenen  isomeren  Propyljodide  durch  die  Reaction: 

CgH^.  j  +  K  CN  =  CsH^CN  +  KJ 

in  Propylcyanide   übergeführt   werden,   so   schreibt   man   der   aus   dem 

normalen  Propyljodid: 

CH3 — CHj — CH]J 

entstehenden  Verbindung  die  Formel  eines  normalen  Propylcyanids: 

CH,-CHj-CH,(CN), 

der  aus  dem  Isopropyljodid: 

Cxig — CHJ — CHg 

gebildeten  Verbindung  dagegen  die  Formel  des  Isopropylcyanids: 

CHs-CH(CN)~CH8 

zu.  —  Man  macht  femer  die  Annahme,  dass  in  das  Molecül  einer  Ver- 
bindung eintretende  Atome  sich  nicht  zwischen  Atome  einschieben, 
welche  vorher  direct  nüt  einander  verbunden  waren.  Als  z.  B.  vorher 
die  Constitution   der    Essigsäure    auf   Grund    ihrer    Bildung   aus   dem 

Aethylalkohol : 

CjHeO  +  0,  =  H,0  +  CjH^Oj 

erörtert  wurde,  ist  die  Möglichkeit,  dass  das  eintretende  SauerstolFatom 
zwischen  die  beiden  Kohlenstoffatome  trete,  dass  aus  dem  Aethylalkohol : 

CHg  •CHjv 

I  etwa  eine  Verbindung:  0<         >0 

CH,(OH)  XIH/ 


72  Gonstüidion  der 


entstehen  könnte,  gar  nicht  discutirt  worden.  —  Sind  diese  beiden  An- 
nahmen auch  nicht  ganz  allgemein  zuverlässig,  so  führt  ihre  Anwendung 
doch  bei  der  weitaus  tiberwiegenden  Mehrzahl  der  Probleme  zu  Folge- 
rungen, welche  unter  einander  gut  tibereinstimmen.  Nur  in  vereinzelten 
Fällen  ist  man  gezwungen  einen  Reactionsverlauf  zuzugeben,  welcher 
ihnen  nicht  entspricht. 

Den  Schluss  dieser  Betrachtungen,  welche  die  Ableitung  der  Structur 
erläutern  sollen,  möge  endlich  die  Entwickelung  der  Constitution  der 
Aldehyde  und  Ketone  bilden,  zweier  Körperklassen,  welche  gewisser- 
massen  Mittelglieder  zwischen  den  Alkoholen  und  den  Carbonsäuren  dar- 
stellen. Die  Aldehyde  und  Ketone  sind  Verbindungen,  welche  durch 
gemässigte  Oxydation  von  Alkoholen  entstehen,  indem  einem  Molectil 
des  Alkohols  zwei  Atome  Wasserstoff  entzogen  werden.  So  entsteht  z.  B. 
aus  dem  Aethylalkohol  der  Acetaldehyd: 

CjHeO  +  0  =  HjO  +  CjH^O. 

Eines  der  aboxydirten  Wasserstoffatome  ist  jedenfalls  das  Wasser- 
stoffatom der  Hydroxylgruppe;  denn  der  Aldehyd  enthält  keine  Hydroxyl- 
gruppe mehr,  wie  der  Verlauf  der  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid 

zeigt: 

CjH^O  +  PCI5  =  POCls  +  CÄCl,; 

das  Sauerstoffatom  wird  durch  zwei  Chloratome  vertreten,  ohne  dass 
gleichzeitig  Wasserstoff  austritt,  wie  es  »bei  dem  Vorhandensein  einer 
Hydroxylgruppe  der  Fall  sein  mtisste.  Das  Sauerstoffatom  muss  dem- 
nach mit  beiden  Valenzen  an  Kohlenstoff  haften;  dieser  Bedingung  ge- 
nügen nur  die  beiden  Formeln: 

CH3  ^^» 

Nun  liefert  der  Aldehyd  durch  weitere  Oxydation  die  Essigsäure  CH3-CO  •  OH ; 
dieses  Verhalten  liefert  einen  bündigen  Beweis  zu  Gunsten  der  ersten 
Formel;  denn  aus  einer  Verbindung  der  zweiten  Formel,  welche  an 
jedes  Kohlenstoffatom  nur  zwei  Wasserstoffatome  gebunden  enthält,  wird 
schwerlich  durch  einen  Oxydationsprocess  die  an  einem  Kohlenstoffatom 
drei  Wasserstoffatome  enthaltende  Essigsäure  entstehen.  Die  erste  Formel 
dagegen  erläutert  in  vollkommener  Weise  die  Stellung  des  Aldehyds  als 
Zwischenprodukt  bei  der  Oxydation  des  Aethylalkohols  zu  Essigsäure: 

CH,.OH  CHO  CO.  OH 

I  >      I  >      I 

CHj  CHs  CHs 

Wie  der  Acetaldehyd  zwischen  dem  Aethylalkohol  und  der  Essigsäure, 
so  steht  zwischen  dem  normalen  Propylalkohol  und  der  Propionsäure 
der  Propionaldehyd  CjH^O: 


Aldehyde  mid  Ketone  73 


CH,(OH)  CHO  CO.  OH 

I  >-      I  ►      I 

CjHß  CfHe  C1H5 

Die  Aldehyde,   deren   Structur   durch   die  mit  einem  einwerthigen 

Eohlenwasserstoffradical   verbundene   Gruppe   — C^      charakterisirt  ist, 

können  nur  durch  Oxydation  jener  Alkohole  entstehen,  welche  die  Gruppe 
— CH^(OH)  enthalten  (primäre  Alkohole).  Wenn  den  Alkoholen  mit 
der  beiderseits  an  Kohlenstoff  gebundenen  Gruppe  —  C(OH)H  — 
(secundäre  Alkohole)  durch  einen  Oxydationsprocess  in  derselben 
Weise  zwei  Wasserstoffatome  entzogen  werden,  so  müssen  Verbindungen 
mit  der  beiderseits  an  Kohlenstoff  gebundenen  Gruppe  —  CO  —  ent- 
stehen. Es  sind  dies  die  Ketone,  deren  einfachster  Repräsentant  —  das 
dem  Propionaldehyd  isomere  Aceton  CjH^O  —  durch  Oxydation  des 
Isopropylalkohols  entsteht: 

>CH(OH)      >■  >C0 . 

ch/  cu/ 

Ihrer  Structur  gemäss  können  sie  durch  weitere  Oxydation  nicht  in 
einwerthige  Carbonsäuren  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  übergehen,  sondern 
zerfallen  in  solche  von  niedrigerer  Kohlenstoffzahl;  so  liefert  z.  B.  das 
Aceton  neben  Kohlensäure  Essigsäure: 

CHj— CO-CHg  +  40  =  CH3-CO.OH  +  CO,  +  H,0. 


Zusammenhang  zwischen  physikalischen  Eigenschaften  und 

chemischer  Constitution. 

Die  Constitutionsableitungen ,  welche  in  dem  vorhergehenden  Ab- 
schnitt als  Beispiele  zur  Erläuterung  der  für  die  Erforschung  der  Structui* 
zu  befolgenden  Methode  gegeben  wurden,  ruhen  auf  rein  chemischen 
Grundlagen.  Man  kann  sich  nun  die  Frage  vorlegen,  ob  nicht  auch  auf 
physikalischer  Basis  ein  Einblick  in  die  Structur  der  Molecüle  gewonnen 
werden  kann. 

Als  wir  uns  mit  dem  Problem  der  Moleculargewichtsbestimmung 
beschäftigten,  lernten  wir  in  dem  specifischen  Gewicht  der  Dämpfe  eine 
physikalische  Eigenschaft  kennen,  welche  direct  proportional  dem  Mole- 
cularge wicht  ist;  diese  Constante  ist  also  nur  von  der  Anzahl  und  Art 
der  zu  einem  Molecül  zusammentretenden  Elementaratome,  nicht  von 
ihrer  Anordnung  abhängig  und  besitzt  ftlr  isomere  Substanzen  gleichen 
Werth.  Giebt  es  nicht  andere  physikalische  Eigenschaften,  welche  auch 
von  der  Gruppirung  der  Atome  beeinfiusst  werden,  und  für  welche  eine 
gesetzmässige  Abhängigkeit  von  der  Structur  sich  nachweisen  und  for- 
muliren   lässt,   so  dass   sie  zur  Beurtheilung  der  Structur  in  ähnlicher 


74     Zusammenhang  xmschen  pkysik.  Eigenschaften  tmd  ehern,  Constitution. 


Weise  verwerthet  werden  können,  wie  die  Dampfdichte,  die  Gefrierpunkts- 
erniedrigung u.  s.  w.  zur  Erkenntniss  des  Moleculargewichts  ? 

Solche  von  der  Constitution  abhängigen  Eigenschaften  —  „constitu- 
tive*S  wie  sie  Ostwald  ^  im  Gegensatz  zu  den  „additiven"  Eigenschaften 
bezeichnet,  deren  Zahlenwerth  in  einer  Verbindung  einfach  die  Summe 
der  den  einzelnen  Bestandtheilen  zukommenden  Zahlen werthe  darstellt 
und  von  der  Art  ihrer  Aneinanderlagerung  nicht  beeinflusst  wird,  — 
giebt  es  in  grosser  Zahl.  Zu  ihnen  gehört  z.  B.  das  specifische  Gewicht 
der  Flüssigkeiten,  das  Lichtbrechungsvermögen,  das  elektrische  Leitungs- 
vermögen, das  optische  Drehungsvermögen,  welches  die  Flüssigkeiten 
im  magnetischen  Felde  erlangen.  Man  hat  für  eine  grosse  Anzahl  von 
Substanzen  bekannter  Constitution  diese  und  andere  Eigenschaften  sorg- 
fältig bestimmt  und  die  an  verschiedenen  Substanzen  beobachteten  Eigen- 
schaften mit  einander  verglichen  in  der  HoflEnung,  regelmässige  Differenzen 
aufzufinden,  welche  bestimmten  Aenderungen  in  der  Structur  entsprechen. 
Diese  Forschungsrichtung  wurde  durch  H.  Kopp*  begründet,  welcher  1842 
die  Molecularvolumina  von  Flüssigkeiten  nach  diesem  Gesichtspunkte  zu 
untersuchen  begann.  Aus  den  beobachteten  Zahlen  haben  sich  derartige 
Regelmässigkeiten  in  gewissem  umfang  ergeben;  dieselben  sollen  am 
Schluss  des  Werkes  in  einem  besonderen  Kapitel  näher  besprochen  werden. 
Auch  hat  man  schon  die  erkannten  Begelmässigkeiten  für  Constitutions- 
betrachtungen  zu  verwerthen  gesucht,  indem  man  bei  Substanzen,  deren 
chemische  Untersuchung  die  ihnen  zukommende  Structur  noch  zweifelhaft 
liess,  auf  Grund  der  physikalischen  Eigenschaften  eine  Auswahl  zwischen 
den  möglichen  Formeln  traf.  Die  in  dieser  Weise  gezogenen  Schlüsse 
konnten  in  einigen  Fällen  später  durch  die  weitere  chemische  Unter- 
suchung bestätigt  werden.  Solche  Erfolge  berechtigen  zu  der  Erwartung, 
dass  der  Erörterung  von  Structurfragen  einst  in  dem  Studium  der  physi- 
kalischen Eigenschaften  ein  wichtiges  Hülfsmittel  erwachsen  wird.  Zur 
Zeit  sind  indessen  jene  gesetzmässigen  Beziehungen  zwischen  physika- 
lischen Eigenschaften  und  chemischer  Constitution  noch  nicht  klar  genug 
erkannt,  um  eine  allgemeinere  Bedeutung  für  die  Ableitung  der  Structur 
beanspruchen  zu  können. 

Neueste  Entwicklung  der  Atomverkettungstheorie;  räumliche 
Configuration  der  Molecüle  (stereochemische  Theorien). 

Die  Erörterung  der  Atomanordnung  innerhalb  der  Molecüle  war 
durch  das  Bestreben  hervorgerufen,  die  zahlreich  beobachteten  Isomerie- 
fälle  zu  erklären.  Wenn  die  im  Vorstehenden  entwickelte  Atomver- 
kettungstheorie dieser  Anforderung  sich  in  jedem  einzelnen  Falle  ge- 
wachsen  erweist,    so   ist   ihre  Aufgabe  als  erfüllt  zu  betrachten.     Für 


*  Abhdlgn.  d.  säche.  Gesellsch.  d.  Wiss.  XV,  238.  »  Ann.  46,  212. 


Uebergang  xur  Erörterung  der  räumlichen  Atomanwdmmg,  75 


jede  der  einzelnen  beobachteten  Verbindungen  muss  es  mit  ihrer  Hilfe 
gelingen,  eine  Gonstitutionsformel  abzuleiten,  welche  alle  ihre  Entstehungs- 
weisen und  Umsetzungen  begreifen  lässt  und  ihr  besonderes  von  allen 
übrigen  Verbindungen  abweichendes  Verhalten  erklärt.  Dies  ist  die  erste 
Forderung,  welche  wir  bei  einer  Prüfung  unserer  Theorie  aufstellen 
müssen,  y  Wir  erwarten  von  einer  Theorie  noch  mehr;  wir  wollen  ihr 
Anregung  zu  neuen  Versuchen  entnehmen.  In  wie  hohem  Grade  die 
Atom  Verkettungstheorie  dieser  Erwartung  entsprochen  hat,  ist  bereits 
früher  (S.  56 — 57)  ausgeführt  worden. 

Als  ein  Widerspruch  gegeh  die  Theorie  ist  es  nicht  aufzufassen, 
wenn  sich  nicht  alle  Combinationen ,  die  vrir  als  möglich  aus  derselben 
ableiten  können,  als  wirklich  bestehend  erweisen  lassen.  Wir  dürfen 
nicht  erwarten,  dass  es  gelingen  wird,  jede  beliebige  Verbindung  dar- 
zustellen, welche  einer  gewissen  uns  möglich  erspheinenden  Atomanord- 
nung entspricht;  dass  alle  Umsetzungen,  die  von  der  Theorie  angedeutet 
werden,  wirklich  ausfiihrbar  sind.  Denn  es  wird  Ursachen,  deren  Natur 
uns  vorläufig  noch  unbekannt  ist,  geben,  welche  die  Existenz  bestimmter 
Atomlagerungen  überhaupt  unmöglich  machen.  Oder  das  Bestehen  ge- 
wisser Verbindungsformen,  das  Eintreten  gewisser  Umsetzungen  kann 
an  Bedingungen  geknüpft  sein,  deren  Bealisirung  zur  Zeit  noch  nicht 
in  unserer  Macht  steht. 

Wenn  also  die  Mannigfaltigkeit  der  Beobachtungen  hinter  der 
Mannigfaltigkeit  der  theoretischen  Möglichkeiten  zurückbleibt,  so  brauchen 
wir  deshalb  nicht  an  der  Zuverlässigkeit  des  Fundaments,  auf  welchem 
wir  unsere  theoretischen  Betrachtungen  aufbauen,  zu  zweifeln.  Wenn 
aber  die  Erfahrung  mehr  Combinationen  kennen  lehrt,  als  die  Theorie 
erwarten  lässt,  wenn  in  einzelnen  Fällen  die  Anzahl  der  beobachteten 
IsomeriefäUe  die  Anzahl  der  theoretisch  möglichen  übersteigt,  wenn  Ver- 
bindungen angefunden  werden,  denen  wir  auf  Grund  ihres  Verhaltens 
dieselbe  Structurformel  zuertheilen  müssen,  und  die  doch  von  einander 
verschieden  sind,  —  dann  erweist  sich  die  Theorie  als  unzulänglich  zur 
Lösung  der  ihr  gestellten  Aufgabe. 

Die  Existenz  solcher  Beobachtungen  kann  heute  nicht  mehr  in  Ab- 
rede gestellt  werden;  man  constatirte  „abnorme^'  IsomeriefäUe  zunächst 
nur  in  geringer  Zahl;  man  ging  ihrer  Erklärung  theils  aus  dem  Wege, 
theils  bemühte  man  sich  doch,  sie  auf  Structurverschiedenheit  zurückzu- 
führen, ohne  hierbei  vor  oft  sehr  gezwungenen  und  bedenklichen  Inter- 
pretationen der  Thatsachen  zurückzuschrecken.  Die  Beobachtungen, 
deren  Erklärung  in  dieser  Weise  Schwierigkeiten  verursachte,  häuften 
sich  immer  mehr  und  sie  veranlassten  endlich  eine  Erweiterung  der 
Theorie:  den  Uebergang  zur  Discussion  der  räumlichen  Anordnung 
der  Atome  innerhalb  der  Molecüle. 

Die  Atomverkettungstheorie  hatte  sich  ja  anfangs  mit  vollem  Recht 
in  der  Erörterung  der  Atomlagerung  eine  gewisse   Beschränkung  auf- 


76  üehergang  xur  Erörterung  der  räumlichen  Atomanordnung. 


erlegt;  sie  suchte  zunächst  nichts  anderes  zu  ermitteln  als  die  Reihen- 
folge, nach  der  die  einzelnen  Atome  mit  einander  verkettet  sind,  d.  h. 
zu  entscheiden,  zu  welchen  anderen  Atomen  jedes  einzelne  Atom  in  be- 
sonders naher  Beziehung  steht.  Wenn  z.  B.  die  Isomerie  des  Aethylen- 
chlorids  und  Aethylidenchlorids  durch  die  Structurformeln: 

Cl^ CA)1        und        H^ C^Cl 

ausgedrückt  wird,  so  spricht  sich  in  diesen  Formelbildem  nur  folgender 
Gedanke  aus :  Beide  Verbindungen  enthalten  zwei  EohlenstofiEatome  mit  je 
einer  Valenz  an  einander  gebunden,  die  hiemach  frei  bleibenden  Va- 
lenzen werden  durch  vier  Wasserstoffatome  und  zwei  Chloratome  gesättigt, 
und  zwar  in  der  einen  Verbindung  derart,  dass  an  jedes  Kohlenstoffatom 
sich  zwei  Wasserstoffatome  und  ein  Chloratom  anlagern,  in  der  anderen 
Verbindung  derart,  dass  beide  Chloratome  mit  einem  und  demselben 
Kohlenstoffatom  verbunden  sind.  Wir  können  die  Formeln  in  sehr  ver- 
schiedenartiger Weise  schreiben,  indem  wir  in  der  Ebene  des  Papiers 
den  einzelnen  Atomen  andere  Orte  zuweisen;  auch  die  Formeln: 

H       H  H       H  H       Gl 

II                           II                           II 
H-C C-H  H-C C-Cl  H-C C-H 

II  II  II 

Cl       Gl  Gl       H  Gl       H 

würden  z.  B.  die  Structur  der  ersten  Verbindung  wiedergeben;  sie  sind 
alle  gleichbedeutend,  ihre  Verschiedenheit  ist  nur  eine  scheinbare,  in 
der  Schreibweise  begründete,  denn  über  die  Lagerung  der  Atome  im 
Räume  sollten  die  Structurformeln  keine  Auskunft  geben. 

Dennoch  ist  es  sehr  wohl  denkbar,  dass  die  Atome  bei  gleicher 
Verkettungsweise  sich  zu  verschiedenartigen  räumlichen  Gebilden  zu- 
sammenlagem  können;  und  aus  dieser  Möglichkeit  eröffnet  sich  die  Per- 
spective auf  eine  grössere  Zahl  von  Isomeren,  als  sie  sich  vom  Stand- 
punkt der  älteren  Structurlehre  ergiebt.  Wenn  nun  die  Erfahrung  zeigt, 
dass  sich  nicht  alle  beobachteten  Isomeriefälle  durch  eine  Verschiedenheit 
in  der  Verkettungsweise  der  Atome  erklären  lassen,  so  liegt  es  nahe, 
jene  „abnormen"  Isomeriefälle  als  durch  verschiedenartige  räumliche 
Atomanordnung  bedingt  anzusehen  und  nach  neuen  theoretischen  Voraus- 
setzungen zu  suchen,  welche  die  räumliche  „Configuration"  der  Molecüle 
erfolgreich  zu  discutiren  gestatten.  Solche  Voraussetzungen  sind  von 
VAN  'tHoff*  1874  formulirt  worden,  und  ihre  Folgerungen  von  demselben 


^  J.  H.  VAN  *T  Hoff,  La  chimie  dans  Fespace.  (Rotterdam  1875.)  Deutsche  Be- 
arbeitung von  F.  HsHMAirK.  (Braonschweig  1877.)  —  Man  hat  bis  vor  Kurzem  auch 
Lb  Bsl  auf  Grund  seiner  1874  erschienenen  Abhandlung  (Bull.  22,  337)  stets  als 
Urheber  der  auf  S.  80  entwickelten  Vorstellung  über  die  Natur  des  Kohlenstofiatoms 
citirt;  Lb  Bel  erklärt  indess  neuerdings  (Bull.  [8]  8,  788)  diese  Auslegung  seiner 
früheren  Auseinandersetzungen  für  unrichtig. 


Uebergang  zur  Erörterung  der  räumlichen  Atomanordp^uyig,  11 


im  Hinblick  auf  die  beobachteten  Isomeriefälle  entwickelt  worden;  eine 
umfassendere  Anwendung  erhielten  sie  1887  durch  J.  Wisliceküs.  ^  Die 
Entwickelung  dieser  ^^stereochemischen'^  Lehre  gehört  demnach  der  neuesten 
Zeit  an;  lässt  sich  ihre  Tragweite  auch  noch  nicht  übersehen,  so  hat 
sie  doch  schon  Erfolge  gezeitigt,  welche  ihr  eine  dauernde  Stellung 
sichern.  Ihre  Geschichte  und  ihre  Grundzüge  sollen  in  dem  Schluss 
dieses  Kapitels  geschildert  werden'. 

Den  Anlass  zu  dieser  neuesten  Entwicklung  der  Structurlehre  gab 
die  Beobachtung,  dass  eine  grössere  Zahl  von  organischen  Verbindimgen 
in  verschiedenen  Modificationen  aufzutreten  vermag,  die  sich  durch  ihr 
Verhalten  gegen  den  polarisirten  Lichtstrahl  unterscheiden*.  Die  Wein- 
saure z.  B.  wurde  in  zwei  Formen  erhalten,  von  denen  die  eine  die 
Schwingungsebene  des  polarisirten  Lichtes  nach  rechts  ablenkt,  während 
die  andere  sie  um  ebenso  viel  nach  links  dreht;  mehr  oder  weniger 
analoge  Beobachtungen  wurden  an  der  Aepfelsäure,  Milchsäure  und 
vielen  anderen  Substanzen  gemacht.  In  chemischer  Beziehung  zeigen  die 
rechtsdrehende  und  linksdrehende  Modification  keine  Verschiedenheit  von 
einander;  sie  müssen  gleiche  Structur  besitzen,  denn  in  allen  Beactionen 
verhalten  sie  sich  gleich  bis  auf  den  Punkt,  dass  in  solchen  Processen, 
welche  zu  optisch  „activen^^  Umwandlungsprodukten  f&hren,  wieder  aus 
den  beiden  Modificationen  Reactionsprodukte  von  entgegengesetztem 
Drehungsvermögen  entstehen.  Ausser  in  dem  optischen  Verhalten  wurde 
ein  Unterschied  nur  in  manchen  Fällen  in  den  Löslichkeitsverhältnissen 
und  dem  Erystallwassergehalt  der  Salze  beobachtet. 

Es  muss  zunächst  befremdlich  erscheinen,  dass  die  Beobachtung 
des  Auftretens  von  optisch  verschiedenen  Modificationen  an  organischen 
Verbindungen  die  Discussion  der  räumlichen  Atomlagerungsverhältnisse 
herbeigeführt  hat.  Denn  auch  in  der  anorganischen  Chemie  sind  ja 
ähnliche  Erscheinungen  häufig  beobachtet,  ohne  dass  sie  so  weitgehende 
Speculationen  veranlasst  haben;  wir  kennen  rechtsdrehenden  Quarz  und 
linksdrehenden  Quarz;  Natriumchlorat,  Natriumperjodat  und  andere  Salze 
existiren  in  rechtsdrehenden  und  linksdrehenden  Modificationen.  Allein 
zwischen  der  optischen  Activität  dieser  anorganischen  Verbindungen  und 
jener  der  erwähnten  organischen  Substanzen  besteht  ein  grosser  Unter- 
schied; die  Activität  der  ersteren  ist  an  den  festen  Zustand  gebunden, 
die  Activität  der  letzteren  zeigt  sich  im  flüssigen  und  gasförmigen  Zu- 
stand. Wird  ein  Krystall  von  rechtsdrehendem  oder  linksdrehendem 
Natriumchlorat   in  Wasser  gelöst,   so   resultirt  in  beiden  Fällen  genau 


1  Abhdign.  d.  sfichs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  XXIV. 

*  Ansfälirliche  Daretellang  s.  in  Auwebs,  Die  Entwickelung  der  Stereochemie 
(Habilitationflecbrift;  Heidelberg,  1890);  vgl.  femer  V.  Meteb,  Ergebnisse  und  Ziele 
der  stereochemischen  Forschung,  Ber.  28,  567. 

*  Die  hierher  gehörigen  Erscheinungen  sind  zusammenfassend  behandelt  in 
Lahdolt,  Das  opt  Drehungsvermögen  organ.  Substanzen.    (Braunschweig  1879.) 


78  Stereocliemisclte  Erklärung  des 


dieselbe  Lösung,  welche  kein  Drefaungsvermögen  mehr  besitzt.  Es  geht 
daraus  hervor,  dass  in  diesem  Falle  das  Drehungsvermögen  nicht  eine 
Eigenschaft  der  einzelnen  Molecüle  ist,  sondern  erst  durch  eine  bestimmte 
Art  der  Zusammenlagerung  mehrerer  Molecüle  im  festen  Aggregatzustand 
bedingt  wird.  Wenn  bei  dem  üebergang  in  den  flüssigen  Aggregatzu- 
stand jene  eigenthümlichen  Molecularaggregate  in  die  einzelnen  Molecüle 
zerfallen,  so  verschwindet  das  Drehungsvermögen.  Es  liegt  daher  keine 
Veranlassung  vor,  im  rechtsdrehenden  Natriumchlorat  andere  Einzel- 
molecüle  anzunehmen  als  im  linksdrehenden. 

Wird  dagegen  Rechtsweinsäure  in  Wasser  gelöst,  so  entsteht  auch 
eine  rechtsdrehende  Lösung;  wird  Linksweinsäure  aufgelöst,  so  resultirt 
eine  Lösung,  welche  bei  gleicher  Concentration  die  Schwingungsebene 
des  polarisirten  Lichtes  um  ebenso  viel  nach  links  dreht.  In  diesem 
Falle  —  und  ebenso  bei  einer  grossen  Zahl  anderer  Kohlenstoffverbin- 
dungen —  bleibt  die  optische  Activität  auch  nach  dem  üebergang  in 
den  flüssigen  Zustand  bestehend  Wollte  man  auch  hier  das  entgegen- 
gesetzte Drehungsvermögen  durch  die  Existenz  verschiedenartiger  Mole- 
cularaggregate erklären,  welche  aus  gleichartigen  Einzelmolecülen  be- 
stehen, so  wäre  man  zu  der  ausserordentlich  unwahrscheinlichen  An- 
nahme genöthigt,  dass  jene  Complexe  von  mehreren  Molecülen  auch  in 
der  Lösung  unverändert  bestehen  bleiben.  Bei  solchen  Substanzen, 
welche  unzersetzt  verdampft  werden  können,  lässt  sich  diese  Vermuthung 
prüfen;  wäre  sie  richtig,  so  müsste  durch  den  Üebergang  in  den  Dampf- 
zustand, der  doch  zweifellos  die  Zerlegung  in  Einzelmolecüle  herbeifiihrt, 
die  optische  Activität  aufgehoben  werden.  Die  Weinsäure  lässt  diese 
Prüfung  freilich  nicht  zu,  da  sie  sich  beim  Erhitzen  zersetzt;  aber  der 
Versuch  ist  bei  einigen  Terpenen  und  dem  Campher  von  Biot  und 
Gebnez  ausgeführt  und  hat  ergeben,  dass  diese  Substanzen  auch  noch 
im  dampffönnigen  Zustand  ihr  Drehungsvermögen  in  voller  Litensität 
behalten.  In  diesen  Fällen  also  ist  die  optische  Activität  eine 
Eigenschaft  des  chemischen  Molecüls;  die  Molecüle  der  rechts- 
drehenden Modification  müssen  anders  beschaffen  sein  als 
diejenigen  der  linksdrehenden  Modification. 

Für  die  krystallisirten  mit  optischem  Drehungsvermögen  begabten 
Substanzen  ist  bekanntlich  ein  Zusammenhang  zwischen  ihrer  Krystall- 
gestalt   und   ihrem   Verhalten   gegen   das   polarisirte   Licht   festgestellt. 


^  Ob  die  in  Lösung  activen  organischen  Verbindungen  im  krystallisirten 
Zustand  überhaupt  ihre  Activität  besitzen ,  ist  nicht  bestimmt  festgestellt.  Man  be- 
obachtet bei  geschliffenen  Platten  von  Rohrzucker,  Weinsäure  etc.  keine  Cireuiar- 
polarisation;  es  liegt  dies  indessen  daran,  dass  diese  Krystalle  optisch  zweiaxig  sind, 
und  daher  die  circulare  Doppelbrechung  von  der  viel  stärkeren  gewöhnlichen  Doppel- 
brechung verdeckt  wird.  Gkgossene  Platten  zeigen  die  Erscheinung  der  Circularpola- 
risation;  im  amorphen  festen  Zustand  sind  demnach  die  in  Rede  stehenden  Sub- 
stanzen optisch  activ  (vgl.  Landolt,  a.  a.  0.,  S.  14—15). 


optischen  Drehungsvertnögens  im  flüssigen  Zustand.  79 


Diese  Substanzen  krystallisiren  in  Formen,  welche  keine  Symmetrie- 
Ebene  besitzen.  Die  Krystalle  mit  entgegengesetztem  Drehungsvermögen 
sind  zwar  von  denselben  Flächen  umgrenzt,  aber  diese  Flächen  ordnen 
sich  in  verschiedener  Weise  an  einander;  der  rechtsdrehende  Krystall 
ist  nicht  das  Ebenbild  des  linksdrehenden,  sondern  sein  Spiegelbild ; 
durch  keine  Drehung  kann  er  in  eine  solche  Stellung  gebracht  werden, 
dass  seine  Flächen  sich  mit  denen  des  linksdrehenden  Erystalls  decken ; 
die  beiden  Krystalle  sind  einander  „enantiomorph".  Der  Gedanke, 
dass  bei  jenen  Verbindungen,  deren  Drehungsvermögen  nicht  an  den 
festen  Zustand  gebunden  ist,  eine  analoge  Eigenthümlichkeit  in  der  räum- 
lichen Anordnung  ihrer  Molecttle  bestände,  dass  die  Molecüle  der  einen 
Modification  enantiomorph  seien  denen  der  anderen,  ist  zuerst  von 
Pasteub^  ausgesprochen  worden,  unabhängig  von  einander  zeigten 
Lb  Bkl*  und  VAN  t'Hoff*  1874,  dass  in  der  That  die  moleculare 
Structur  aller  jener  organischen  Verbindungen  eine  gewisse  Eigenthüm- 
lichkeit aufweist,  welche  einen  unsymmetrischen  Bau  des  Molecüls  und 
das  Auftreten  zweier  enantiomorpher  Formen  unter  bestimmten  einfachen 
Voraussetzungen  über  die  räumliche  Orientirung  der  vier 
Eohlenstoffvalenzen  nothwendigerweise  zur  Folge  haben  muss. 

Wenn  man  eine  Vorstellung  zu  gewinnen  sucht,  in  welcher  Art  die 
vier  Valenzen  von  einem  Eohlenstoffatom  ausgehen  können,  so  könnte 
man  zunächst  die  Annahme  in  Betracht  ziehen,  dass  ihre  Richtungen 
alle  in  einer  und  derselben  Ebene  liegen.  Die  gleichförmigste  Ver- 
theilung  würde  in  diesem  Falle  durch  das  Schema: 


<J 


ausgedrückt  werden,  nach  welchem  die  Richtungen  der  vier  Valenzen 
vier  rechte  Winkel  einschliessen.  Allein  diese  Annahme  führt  zu  Folge- 
rungen, welche  durch  die  Erfahrung  nicht  bestätigt  werden;  es  müsste 
schon  jedes  Disubstitutionsprodukt  des  Methans  CHgXj  in  zwei  isomeren 
Modificationen  auftreten  können: 

H  H 

I  I 

X-C-X  und  H-C~X , 

I  I 

H  X 

eine  derartige  Isomerie  ist  indessen  niemals  beobachtet  worden.  Bei 
jeder  anderen  weniger  gleichförmigen  Vertheilung  der  Valenzen  in  einer 
Ebene  würden  sich  bereits  fttr  Monosubstitutionsprodukte  des  Methans 
(CHjX)  Isomerie -Möglichkeiten  ergeben.     Da  indess  Mono-  und  Disub- 


»  Levons  de  chimie,  p.  25  (Paris  1860).  «  Bull.  22,  337.  «  a.  a.  0. 


80 


Bäumliehe   Vertheüung  der  KokhtKto/jvalenxen. 


stitationsprodukte  des  Methans  stets  nur  in  einer  einzigen  Modification 
erhalten  sind,  so  ist  die  Annahme  der  vier  Eohlenstoffvalenzen  in  einer 
und  derselben  Ebene  Überhaupt  zu  verwerfen. 

Wenn  man  demnach  genöthigt  ist  zuzugeben,  dass  die  vier  Kohlen- 
stofFvalenzen  nicht  in  einer  Ebene  liegen,  so  bleibt  nun  als  einfachst« 
Vorstellung  die  Annahme  Übrig,  dass  sie  in  dem  das  Kobleustoffatom 
umgebenden  Räume  yollkommen  gleichartig  vertheilt  sind,  derart  da^s 
die  Kichtung  jeder  einzelnen  Valenz  mit  der  Eichtung  jeder  anderen 
den  gleichen  Winkel  bildet.  Diese  Vorstellung  kann  dadurch  versinn- 
licht  werden,  dass  das  Eohlenstoffatom  im  Mittelpunkt  eines  regulären 
TetraÖders  befindlich,  seine  Valenzen  nach  den  Ecken  desselben  gerichtet 
gedacht  werden: 


Welche  Isomerie-Möglichkeiten  ergeben   sich  nun  aus  dieser  An< 
nähme,  wenn  in   einer  Verbindung  Ga^  successive  die  Gruppen  a  durch 
andersartige  ersetzt  werden?     Denken  wir  uns  zunächst  eine  Gruppe  b 
eintreten,  so  ist  es  selbstverständlich  gleichgültig,  an  welcher  Tetraeder- 
Ecke  die  Substitution   stattfindet;   audi   wenn  in  die  Verbindung  Ca,  b 
noch  eine  dritte  Gruppe  c  an  Stelle  von  a  eingeführt  wird,  ist  nur  eine 
Configuration  denkbar,  da  alle  drei  Gruppen  a  zar  Gruppe  6  genau  die- 
"'  "        '  isitzen.    Mono-  und  Disuhstitutionsprodukte  des  Methans 
,  der  Erfahrung  entsprechend,  nur  in  einer  Modification 
a  aber  jetzt  in  die  Verbindung  Co,  b  c: 


ler  Grnppe  a  die  von  a,  b  und  c  verschiedene  Gruppe  d 
eben  zwei  verschiedene  Configurationen,  je  nachdem  die 
echts   stehende   oder   die  linksstehende  Gruppe  a  sub- 


Optische  Activüät,  bedingt  durch  unsymmetrischen  Bau  der  Moledile.        81 


Denn  denken  wir  uns  in  der  Bindestelle  von  a  stehend,  so  müssen  wir, 
um  von  h  über  c  nach  d  zu  gelangen,  auf  der  Peripherie  des  durch  die 
drei  entsprechenden  Bindestellen  gelegten  Kreises  einmal  in  der  Richtung 
des  Uhrzeigers,  das  andere  Mal  in  entgegengesetzter  Sichtung  vorschreiten. 
Die  beiden  Systeme  sind  nicht  mit  einander  identisch,  sie  können  durch 
keine  Drehung  zur  Deckung  gebracht  werden;  sie  besitzen  keine  Sym- 
metrie-Ebene imd  verhalten  sich  zu  einander  wie  Gegenstand  und  Spiegel- 
bild, wie  zwei  enantiomorphe  Krystalle. 

Nach  jener  Annahme  über  die  [räumliche  Vertheilung  der  Kohlen- 
stoffvalenzen erscheint  demnach  das  Auftreten  von  zwei  verschiedenen 
einander  enantiomorphen  Conligurationen  bei  allen  Verbindungen  mög- 
lich, welche  ein  Kohlenstoffatom  enthalten,  das  durch  seine  vier  Valenzen 
an  vier  von  einander  verschiedene  Atome  bezw.  Radicale  gebunden  ist. 
Nun  weisen  in  der  That  die  Molecüle  aller  jener  in  flüssigem  Zustand 
optisch  activen  Verbindungen  solche  „asymmetrische  Kohlenstoff- 
atome^^  auf.     Die  Milchsäure  z.  B.  ist  nach  der  Formel: 

CHgv        yOH 

die  Aepfelsäure  nach  der  Formel: 

CO,Hv       X)H 

CO,H-CH,/\H 

constituirt,  die  Weinsäure  enthält  zwei  asymmetrische  Kohlenstoffatome: 

OH 

I 
H-C— CO,H 

I  u.  s.  w. 

H-C-CO,H 

I 
OH 

Die  optische  Activität  dieser  Verbindungen  und  ihre  Fähigkeit,  in 
zwei  entgegengesetzt  optisch  activen  Formen  aufzutreten,  wird  demzufolge 
nach  der  Theorie  von  Le  Bel  und  van  't  Hoff  eben  auf  die  un- 
symmetrische Gestalt  ihrer  Molecüle  und  die  Möglichkeit  der  Bildung 
solcher  enantiomorpher  Gonfigurationen  zurückgeführt.  Diese  Möglich- 
keit besteht  nur  bei  Verbindungen,  deren  Molecül  mindestens  ein  asym- 
metrisches Kohlenstoffatom  enthält,  und  wirklich  ist  optische  Activität 
im  flüssigen  Zustande  nur  bei  solchen  Verbindungen  beobachtet  worden. 
Das  optische  Drehungsvermögen  muss  demzufolge  erhalten  bleiben  bei 
Beactionen,  welche  die  Asymmetrie  des  Kohlenstoffs  nicht  aufheben. 
Wenn  wir  z.  B.  im  optisch  activen  Amylalkohol: 

CtHö/    x;h,(OH) 

V.  MrrKR  a.  jAOOBSoif,  org.  Chenu  I.  6 


82         Optische  AcHvität,  bedingt  dwrch  unsymmetrischen  Bau  der  MoleciUe, 


die  Hydroxylgruppe  durch  Jod,  Cyan,  Carboxyl  oder  Amid  ersetzen: 

C,H/     \CH,J;  C,H/      XJHj.CN;   C^R/     X)H,.COtH;   C^U/      XJHa-NH,, 

SO  bleibt  die  Asymmetrie  des  Kohlenstoffatoms  bestehen,  und  diese  Um- 
wandlungsprodukte des  optisch  activen  Ausgangsprodukts  werden  daher 
ebenfalls  optisch  activ  sein.  Wird  aber  die  Hydroxylgruppe  durch 
Wasserstoff  ersetzt: 

CHjv  yH. 

C,H,/\CH, ' 

so  wird  durch  diese  Substitution  eine  der  vier  verschiedenen  an  das 
asymmetrische  Kohlenstoffatom  gelagerten  Gruppen  einer  anderen  gleich 
gemacht;  die  Asymmetrie  ist  aufgehoben,  und  damit  muss  auch  die 
optische  Activität  verschwinden.  Diese  Folgerungen  der  Theorie  —  so- 
wie eine  grosse  Zahl  anderer  —  sind  durch  das  Experiment  durchaus 
bestätigt^. 

In  dem  speciellen  Theil  wird  sich  noch  oft  Gelegenheit  bieten,  auf 
die  Erscheinung  der  optischen  Activität  und  ihren  Zusammenhang  mit 
dem  Vorkommen  asymmetrischer  Kohlenstoffatome  zurückzukommen;  es 
sollen  dann  auch  die  Complicationen  besprochen  werden,  welche  das 
Vorhandensein  von  mehreren  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen  in  einem 
Molecül  bedingt.  Hier  sei  nur  noch  darauf  hingewiesen,  dass  alle  Ver- 
bindungen, welche  in  optisch  activen  Modificationen  vorkommen,  stets 
auch  in  einer  optisch  inactiven  Form  auftreten.  Das  Molecül  dieser 
inactiven  Modification  entsteht  durch  den  Zusammentritt  von  einem 
rechtsdrehenden  und  einem  linksdrehenden  Molecül;  sie  kann  einerseits 
durch  geeignete  Mittel  in  die  entgegengesetzt  activen  Foimen  zerleg 
andererseits  aus  den  letzteren  zusammengesetzt  werden.  Die  Verbin- 
dungen mit  asjonmetrischen  Kohlenstoffatomen  erhält  man  direct  in 
activer  Form  nur  dann,  wenn  man  sie  aus  Naturprodukten  oder  aus 
Gährungsprocessen  abscheidet  oder  sie  aus  anderen  optisch  activen  Ver- 
bindungen gewinnt.  Stellt  man  sie  synthetisch  aus  inactiven  Verbin- 
dungen her,  so  resultirt  stets  die  inactive  Modification,  welche  einer 
Zerlegung  bedarf,  um  die  optische  Activität  hervortreten  zu  lassen.  Es 
ist  dies  nach  der  im  Vorstehenden  entwickelten  Theorie  selbstverständ- 
lich; wenn  aus  einer  Verbindung  Ca^  b  c  durch  Substitution  die  Ver- 
bindung mit  asymmetrischem  Kohlenstoffatom  Ca  b  c  d  hervorgeht  (vgl. 
d.  Fig.  auf  S.  80),  so  ist  offenbar  die  Wahrscheinlichkeit  fUr  die  Ent- 
stehung der  beiden  enantiomorphen  Configurationen  genau  die  gleiche; 
es  werden  die  rechtsdrehenden  Molecüle  in  genau  ebenso  grosser  Menge 


*  Vgl.  die  2.  Auflage  der  citirten  Broschüre  vak  't  Hopf's:   Dix  ann^es   daDs 
rhistoire  d'une  th^orie.    (Rotterdam  1887.) 


Weitere  Entwickelung  der  stereochemischen  Anschauungen.  83 


wie  die  linksdrehenden  gebildet  werden,  und  infolge  der  Vereinigung  je 
eines  rechtsdrehenden  mit  je  einem  linksdrehenden  Molecül  muss  die 
inactive  Modification  hervorgehen. 

Der  Versuch,  zwischen  der  optischen  Activität  organischer  Verbin- 
dungen im  flüssigen  Zustand  und  ihrer  Constitution  einen  Zusammenhang 
zu  erkennen,  hatte  den  Anstoss  zur  Erörterung  der  räumlichen  Atom- 
lagerungsverhältnisse  innerhalb  der  Molecüle  gegeben.  Nachdem  dieser 
Versuch  so  erfolgreich  ausgefallen  war,  musste  es  verlockend  erscheinen, 
die  Consequenzen  der  neuen  Anschauung  über  die  räumliche  Vertheilimg 
der  Eohlenstoffv^alenzen  weiter  zu  entwickeln  und  zu  prüfen,  ob  sich  auf 
dieser  Grundlage  nicht,  wie  für  das  Auftreten  von  optisch  verschiedenen 
Modificationen,  auch  für  die  übrigen  abnormen  Isomeriefalle  eine  Er- 
klärung finden  lässt. 

Werden  zwei  Kohlenstoffatome  durch  je  eine  Valenz  mit  einander 
verknüpft,  während  die  sechs  übrigen  Valenzen  zunächst  in  beliebiger 
anderer  Weise  gesättigt  angenommen  werden,  so  kann  das  so  entstehende 
System : 


unendlich  viele  Configurationen  annehmen.  Jede  Valenzrichtung  des 
oberen  Kohlenstoffatoms  kann  vertical  über  einer  Valenzrichtung  des 
unteren  Kohlenstoffatoms  liegen,  oder  um  einen  Winkel  von  beliebiger 
Grosse  dagegen  verschoben  sein.  Wollte  man  annehmen,  dass  die 
beiden  Kohlenstoffatome  in  jeder  dieser  Lagen  mit  einander  zusammen- 
treten und  in  der  einmal  angenommenen  Lage  beharren  können,  so  er- 
gäbe sich  die  Existenzmöglichkeit  von  unzähligen  Isomeren  der  Formel 

C  abc 

gleichgültig,  ob  a,  b  und  c  gleich  oder  verschieden  wären.    Schon 
abc 

das  Aethan  CHg — CH3  oder  der  Chlorkohlenstoff  CCI3 — CClg  müssten 
in  unzählig  vielen  Modificationen  auftreten.  Eine  solche  Isomerie  ist 
nicht  beobachtet  worden;  zudem  muss  nicht  nur  die  Möglichkeit,  sondern 
auf  Grund  der  heutigen  physikalischen  Anschauungen  sogar  die  Noth- 
wendigkeit  von  Bewegungen  der  Atome  innerhalb  des  Molecüls  zuge- 
geben werden.  Eine  der  einfachsten  denkbaren  Bewegungen  wäre  die 
Rotation  der  Kohlenstoffatome  um  die  sie  verbindende  Axe;  wenn  man 

6* 


A 


84  Einfache  Kohlenstoffbindung. 


annimmt,  dass  beide  Atome  unabhängig  von  einander  in  gleicbem  oder. 

in  entgegengesetztem  Sinne  mit  gleicher  oder  verschiedener  Geschwindig- 
können,  so  ist  ersichtlich,  dasa  jede  ein- 
fignrationen  in  jedem  Augenblick  in  jede 
kann.  So  lange  nicht  besondere  Ursachen 
mmten  gegenseitigen  Lage  der  beiden  EoUen- 
st  diese  Annahme  einer  freien  Rotation 
lindung  verketteter  Kohlenstoffatome 
Axe  möglich  nnd  in  manchen  Fällen  wahr- 
nanderhaften  der  Bin  de  stellen  der  beiden 
r  ihre  Bindung  bewirkenden  Valenzen  wird 
äise  beeinfiusst. 

Herbeiführung  einer  bestimmten  gegenseitigeD  Stel- 
eme  wird  indeBs  vorliegen,  wenn  die  sechs  frei  blei- 
fatompoHreB  durch  von  einander  Terscbiedene  Atome 
rden.  Die  an  das  KohlenstofiatompiLar  herantretenden 
iu  gewisser  Weise  einwirken;  die  chemische  Af- 
e  wird  nicht  vollBtSndig  durch  die  Bindung  an  ein 
londem  sich  nnch  auf  andere,  wenn  auch  nicht 
sme  desaelben  Molecüls  erstrecIceD.  Es  wird 
offatome   beeinflusst  werden   durch   daa  Streben  der 

einander  wirkenden  Atome,  sich  einander  möglichst 
'H,C1— CH,C1  z.  B.  Bind  die  beiden  Kohlenstofititonie 
n  verbunden.  Ein  Atom  Chlor  besitzt  eine  grössere 
Wasserstoff,  als  ein  Atom  Wasserstoff  zm  einem  gleich- 

einem  gleichartigen.    Von  den  beiden  Hauptlagen: 


ir  je  ein  Chloratom  und  ein  Waseentoffatom  mcli  in 
line  besonders  begOnstigte  Confignration'  dar- 

che  begUnat:gt«n  Configurationen  nicht  als  absolut 
fiuas  von  WärmestJSssen  wird  das  Sjetem  aus  dieser 
errdckt  werden  und  dann  wieder  in  die  begünstigte 
.Cnnte  maji  daher  in  einem  bestimmten  Augenblick 
Q  in  ihren  Lagen  fixiren,  so  wttrde  man  zwar  alle 

;ilung  der  begünstigten  und  der  onbegfinstigtes  Con. 
lenden  Momente  vgl.  Baeveii,  Ann.  SSS,  183. 


Mehrfache  Kohlenstoffhindung,  85 


möglichen  Configorationen  vorfinden,  aber  die  durch  ^die  stärksten  anziehenden  E^räfte 
bedingte  Lage,  bezw.  wenig  davon  abweichende  Lagen  in  besonders  grosser  Zahl. 
Das  Verhftltmss  wird  sich  ändern  je  nach  der  Temperatur,  d.  h.  je  nach  der  Energie 
der  Wärmestdsse,  welcher  die  Molecüle  unterworfen  sind.  Bei  höherer  Temperatur 
werden  die  unbegünstigten  Configurationen  häufiger  werden,  aber  auch  dann  werden 
noch  die  begünstigten  Configurationen  in  grösserer  Anzahl  vorhanden  sein. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  Vorstellung  nehmen  gegenwärtig  mehrere  Forscher  eine 
dauernde  Fixirung  der  beiden  Kohlenstoff-Systeme  in  derjenigen  Configuration  an, 
welche  den  richtenden  Kräften  am  meisten  entspricht^. 

Ganz  anders  aber  liegen  die  Verhältnisse  ftlr  Eohlenstoffatome, 
welche  durch  doppelte  oder  dreifache  Bindung  mit  einander  verkettet  sind: 


Die  Botationsfähigkeit  der  Eohlenstoffatome  gegen  einander, 
welche  bei  einfacher  Bindung  eine  fortdauernde  Veränderung  der  gegen- 
seitigen Stellung  oder  das  Aufsuchen  der  stabilsten  Configurationen  ermög^ 
lichty  ist  aufgehoben.  Würde  das  eine  Kohlenstoffatom  z.  B.  schneller 
rotiren  als  das  mit  ihm  verbundene,  so  würden  die  Bindestellen  der  beiden 
Atome  abwechselnd  von  einander  losgerissen  werden  und  wieder  zur 
Deckung  kommen.  Nur  wenn  beide  Kohlenstoffatome  in  derselben  Rich- 
tung und  mit  gleicher  Geschwindigkeit  um  die  gemeinschaftliche  Axe  ro- 
tiren, können  ihre  Bindestellen  dauernd  an  einander  haften  bleiben.  Die 
stereochemischen  Erwägungen  führen  also  zu  der  Annahme,  dass  im 
Gegensatz  zur  einfachen  Bindung  die  mehrfache  Bindung  zweier 
Kohlenstoffatome  ihre  freie  Rotation  um  die  gemeinschaftliche 
Axe  unmöglich  macht.  Diese  Annahme  erhält  nun  eine  erhöhte  Be- 
rechtigung dadurch,  dass  sich  aus  ihr  gewisse  Isomeriefalle  bei  Verbin- 
dungen mit  doppelter  Kohlenstoffbindung  als  möglich  entwickeln  lassen, 
für  deren  wirkliche  Existenz  eine  grosse  Reihe  von  Beobachtungen  spricht. 

In  dem  oben  für  die  doppelte  Kohlenstoffbindung  gegebenen  Schema 
sind  die  zur  Verknüpfung  der  beiden  Kohlenstoffatome  dienenden  Va- 
lenzen als  in  der  Ebene  des  Papiers  liegend  gedacht;  von  den  vier  frei 
bleibenden  Valenzen  befinden  sich  je  zwei  zu  den  beiden  Seiten  dieser 
Ebene.   Denken  wir  uns  die  Ebene,  welche  die  vier  Valenzrichtungen  der 


^  Vgl.  Bethmahn,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  6,  408.  —  Baeter,  Ann.  268,  180. 
AuwEBB  XL  V.  Meyeb,  Her.  88,  2079. 


86  Stereochemiscke  Isomerie  ftet 

Doppelliindimg  enthält,  senkrecht  zur  Ebene  des  Papie 
wir  das  Schema: 


i   befinden  sich  rechts,   die  beiden  anderen 
■denen  Kohlenstoffatompaar,  was  künftig 


-4- 


rerden  möge.     Wenn  in  einer  Verbindung, 
a  durch  vier  gleichartige  Radicale  a  gesättigt 
ein  Kadical  b  ersetzt  wird,  so  ist  der  Ort  < 
hgültig.    Auch  wenn  in  die  Verbindung 
a-C-b 


adical  b  an  das  schon  mit  b  verbundene  '. 
eine  Conöguration : 


tt  aber  das  zweite  Substituens  —  sei  es  i 
ingleicb  —  an  das  andere  Kohlenstoffatt 
her  Verkettungsweise  je  zwei  räumlich  versc 
möglich: 

a-C-b  a— C— b 

{|  und  1 

a-d-b  b-C-a 

a-C-b  a-C-b 

J-.  -'  JL 

gen  Badicale  können  sich  entweder  auf  den 
»mpaares  oder  auf  verschiedenen  Seiten  befinden;  im  ersten 
et  man  die  Configuration  als  plansymmetrisch,  im  zweiten 
oder  axialsymmetrisch.  Zweckmässiger  unterscheidet  man 
r  Art  durch  die  Vorsilben:  „eis"  (=  plansymmetrisch)  nnd 
=   axial  symmetrisch)'. 


Verbindungen  mit  doppelter  Kohlenstoffbindti^ig,  87 


Nun  ist  in  der  That  eine  erhebliche  Zahl  von  IsomeriefäUen  an 
ungesättigten  Verbindungen  beobachtet  worden,  für  welche  auf  Grund 
der  Atomverkettungstheorie  eine  Deutung  kaum  gefunden  werden  konnte, 
während  ihr  Auftreten  bei  Mitberücksichtigung  der  räumlichen  Atom- 
lagerungsverhältnisse mit  den  oben  entwickelten  Folgerungen  durchaus 
im  Einklang  steht.  Das  Studium  der  Fumarsäure  und  Maleinsäure  z.  6. 
führte  dazu,  beiden  Säuren  die  Structurformel : 

CO,H-CH— CH— CO,H 

beizulegen;  ihre  Verschiedenheit  war  durch  Abweichungen  in  der  Structur 
gar  nicht  —  oder  doch  wenigstens  nur  mit  Hülfe  sehr  gewagter  An- 
nahmen —  zu  erklären;  sie  erscheint  selbstverständlich,  wenn  wir  in 
der  einen  Säure  die  plansymmetrische,  in  der  anderen  die  axialsymme- 
trische Form  erblicken: 

H-C-CO,H  H-C-COtH 

r 

H-C-CO,H '  CO,H-  C~H 

In  derselben  Weise  können  alle  übrigen  „abnormen"  Isomeriefälle ,  so- 
weit sie  ungesättigte  Verbindungen  betreffen,  erklärt  werden;  auch  kann 
man  in  den  meisten  Fällen  bereits  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit 
ableiten,  welche  Gonfiguration  jeder  einzelnen  der  beobachteten  isomeren 
Verbindungen  entspricht. 

Aus  der  Discussion  der  i^umlichen  Atomlagerungsverhältnisse  hat 
sich  uns  demnach  die  Möglichkeit  zweier  neuer  Gruppen  von  Isomerie- 
erscheinungen  bei  gleicher  Verkettungsweise  der  einzelnen  Atome  ergeben: 

1.  bedingt  durch  das  Vorhandensein  asymmetrischer  Kohlenstoff- 
atome. 

2.  bedingt  durch  das  Vorhandensein  doppelt  gebundener  Eohlen- 
stoffatompaare. 

Es  muss  hervorgehoben  werden,  dass  diese  beiden  Arten  der  Isomerie 
von  durchaus  verschiedener  Ordnung  sind.  Bei  Isomeren  der  ersten  Art 
(vgl.  die  Figuren  auf  S.  80)  ist  die  Anordnung  der  an  das  asym- 
metrische Eohlenstoffatom  angelagerten  Gruppen  nur  in  dem  Grade  ver- 
schiedenartig, wie  sich  Gegenstand  und  Spiegelbild  unterscheiden;  in 
den  beiden  isomeren  Molecülen  herrscht  derselbe  chemische  Gleich- 
gewichtszustand, und  die  Isomerie  solcher  Verbindungen  äussert  sich 
demzufolge  nur  in  physikalischen  Eigenschaften,  während  in  chemischer 
Beziehung  sich  beide  Isomere  gleichartig  verhalten.  Anders  bei  den 
Isomeren  der  zweiten  Art  (vgl.  S.  86);  hier  ist  der  Unterschied  in  der 
Constmction  der  isomeren  Molecüle  ein  viel  gröberer;  Atome,  welche 
in  einem  Falle  auf  derselben  Seite  des  Zweikohlenstoffsystems  sich  be- 
finden, sind  im  anderen  Falle  auf  beide  Seiten  vertheilt;  wo  die  Isomerie 
auf  solche  Verhältnisse  zurtickgeftlhrt  wird,  sind  auch  im  chemischen  Ver- 


88  Stereochemie  des  Stickstoffs. 


halten  erhebliche  Abweichungen  zu  erwarten,  wie  sie  z.  B.  Fumarsäure 
und  Maleinsäure  wirklich  zeigen. 

In  neuerer  Zeit  sind  vielfach  stickstoffhaltige  organische  Ver- 
bindungen in  isomeren  Formen  erhalten  worden,  welchen  man  auf  Grund 
ihres  chemischen  Verhaltens  gleiche  Structurformeln  zu  ertheilen  ge- 
nöthigt  war.  Auch  auf  die  oben  aus  der  Stereochemie  des  Kohlenstoffs 
abgeleiteten  Ursachen  für  das  Zustandekommen  räumlich  isomerer  Ver- 
bindungen Hessen  sich  diese  Erscheinungen  nicht  zurückführen.  Man 
hat  daher  den  weiteren  Schritt  gewagt,  die  stereochemischen  Elrörte- 
rungen  vom  Kohlenstoff  aus  auf  andere  Elemente  auszudehnen,  —  zu- 
nächst im  Anschluss  an  jene  unerwarteten  Isomerie-Erscheinungen  auf 
den  Stickstoff.  Hier  gentige  es,  auf  diese  Speculationen ^  hinzuweisen, 
auf  deren  Inhalt  gelegentlich  der  speciellen  Besprechung  jener  Isomerie- 
fälle  (vgl.  Bd.  II,  aromatische  Oxime)  näher  zurückzukommen  sein  wird. 

Im  Vorstehenden  ist  die  Richtung,  in  welcher  die  Stereochemie  zur 
Erklärung  von  Isomeriefällen  gegenwärtig  Boden  gewinnt,  skizzirt.  Die 
Auffindung  und  Erklärung  von  neuen  Isomerie-Erscheinungen  ist  indessen 
nicht  das  einzige  Ergebniss  der  stereochemischen  Erwägungen.  Von 
grosser  Bedeutung  werden  die  letzteren  für  die  Erscheinung  der  „Ring- 
schliessung". Das  Zustandekommen  und  die  Beständigkeit  ring- 
förmiger Atomcomplexe  hängt,  wie  die  Thatsachen  zeigen,  von  der  Zahl 
und  Art  der  für  die  Bildung  des  geschlossenen  Kernes  verfügbaren  Atome 
ab.  Baeyeb  ^  hat  zuerst  zur  Erklärung  dieses  Zusammenhangs  die  räum- 
lichen Atomverhältnisse  herangezogen.  Die  Verfolgung  der  stereochemischen 
Theorien  lässt  es  begreifen,  warum  gewisse  ringförmige  Complexe  sich 
leicht,  warum  andere  sich  schwerer  bilden.  Eine  nähere  Ausfährung 
dieser  Folgerungen  muss  den  Stellen  des  speciellen  Theiles  vorbehalten 
bleiben,  an  welchen  die  bezüglichen  Thatsachen  zur  Besprechung  ge- 
langen. 


*  VAN  V  Hopf,  Ansichten  über  d.  org.  Chem.  I,  79.  Willqbeodt,  J.  pr.  [2J  87, 
450;  41,  291,  526.  Bürsh  u.  Mabsh,  Joum.  Soc.  55,  656.  Hantzsch  u.  Werner,  Bei. 
28,  11,  1243.  Hantzsch,  Ber.  28,  2822.  Beerend,  Ber.  28,  454,  1776.  Bischoff, 
Ber.  28,  1967.    Aüwers  u.  V.  Meter,  Ber.  28,  2408. 

*  Ber.  18,  2277. 


Systematik  der  organischen  Verbindungen.  89 


Drittes  Kapitel. 

Die  Frincipieiiy  welche  für  die  Systematik  der  organischen 

Verbindungen  in  Betracht  kommen. 

(Offene  und  geschlossene  Ketten.  —  Homologie.  —  Classificirung  nach  der  Werthig- 

keit  und  nach  dem  Sättigungsgrade.) 


Es  ist  schon  mehrfach  darauf  hingewiesen,  dass  die  Anzahl  der 
KohlenstoflF^erbindungen  unvergleichlich  grösser  ist,  als  die  Zahl  der 
Verbindungen  irgend  eines  anderen  Elements.  Dieser  umstand  findet 
seine  Erklärung  einerseits  in  der  hohen  Werthigkeit  des  Kohlenstoffs, 
welche  es  bedingt,  dass  schon  jedes  einzelne  Eohlenstoffatom  in  sehr 
verschiedenartiger  Weise  mit  anderen  Atomen  zusammentreten  kann, 
andererseits  in  der  Neigung  der  Kohlenstoffatome,  sich  mit  einander 
durch  gegenseitige  Sättigung  ihrer  Valenzen  zu  Complexen  zu  vereinigen, 
welche  —  wie  es  scheint  —  aus  einer  beliebig  grossen  Zahl  einzelner 
Atome  bestehen  können.  Verbinden  sich  zwei  Kohlenstoffatome  mit 
einander  unter  Aufwendung  je  einer  Valenz,   so  resultirt  der  Complex: 


-i-i- , 


welcher  sechs  freie  Valenzen  zur  Verfügung  hat,  die  in  beliebiger  Weise 
durch  andere  Atome  gesättigt  werden  können;  tritt  ein  drittes  Kohlen- 
stoffatom dazu: 


C-Ö-Ö- 


80  steigt  die  Zahl  der  verfügbaren  Valenzen  auf  8,  bei  Zutritt  eines 
vierten  auf  10,  eines  fünften  auf  12  u.  s.  w.^  Eine  Grenze  flir  die 
Verbindungsfahigkeit  der  Kohlenstoffatome  mit  einander  lässt  sich  nicht 
angeben;  wir  kennen  einen  Kohlenwasserstoff,  dessen  Molecül  60  Kohlen- 


^  Auch  die  Atome  des  Schwefels  zeigen,  wie  aus  der  Zusammensetzung  der 
PoljBulfide  ersichtlich  ist,  die  Neigung,  sich  in  grösserer  Anzahl  mit  einander  zu 
verketten.  Aber  es  ist  klar,  dass  infolge  der  Zweiwerthigkeit  des  Schwefels 
die  Aneinanderbindung  von  mehreren  Atomen  nicht  Spielraum  für  das  Zustande- 
kommen so  vieler  Verbindtmgsformen  schafft,  wie  sie  von  längeren  Kohlenstoffketten 
sich  ableiten  können.  Denn  wie  lang  auch  eine  Kette  aus  Schwefelatomen  sein 
möge,  es  bleiben,  so  lange  die  Schwefelatome  zweiwerthig  fungiren,  stets  nur  zwei 
Valenzen  zur  Bindung  anderer  Atome  übrig: 

-S-S-S _s-s-s- 

Sx 


Offene  KoMmstoffkettm. 


1er  gebunden  enthält^;  und  wir  haben  keine 
reifein,    däss    diese  Zahl  noch  erheblich  über- 

!8  den  Molecülen  zu  Grunde  liegenden  Eohlen- 
inter  den  organischen  Verbindungen  zunächst 
ier  gegenüberstellen.  Wir  kennen  einerseits 
Verbindungen,  deren  Molecüle  nur  „offene 
thalten.  Diese  offenen  Ketten  können  bei 
,hl  sehr  verschiedenartige  Structur  besitzen; 
e   bieten  sich  z.  B.  die  folgenden  fünf  Mög> 

I     I     I     I     I     I 
-C-C-C-C-C-C- ; 

I      I      I      I      I      I 


■h-. 


I 

atome  so  an  einander  gelagei-t,  dass  jedes 
ifenden  Kette  darstellt;  man  bezeichnet  Ver- 
Eohlenstoffketten  enthalten,  als  normale; 
,  die  Anordnung  der  Kohlenstoffatome  nach 
;er  verzweigten  Eoblenstoffketten.  Zu  den 
Kohlenstoffketten  gehören  die  Fette  und  viele 
len  Fetten  gewonnen  werden  können.  Man 
üasse  der  Verbindungen  mit  offenen  KoHen- 
elnamen  „Verbindungen  der  Fettreihe" 
MN    „aliphatische   Verbindungen"    (von 

istoffketten  ist  jedes  Atom  direct  nur  mit  den 
I  oder  unmittelbar  darauffolgenden  Atomen 
«r  auch  möglich,  dass  zwei  Xohleustoffatome 
i,  welche  schon  indirect  durch  Vermittelung 
lit  einander  verbunden  sind,  noch  durch  directe 
lagern.  So  entstehen  die  „gescblossenen 
r  „Kohlenstoffringe",     Eine  derartige  An- 

S,  502. 


Oydische  Aiomcomplexe, 


91 


Ordnung  wird  bei   Gegenwart  von   mindestens   drei    Eohlenstoffatomen 
möglich;  das  Eohlenstoffskelett: 


Y 


/ 


\ 


stellt  den  ein&chsten  Ring  dar.    Eine  hervorragende  Wichtigkeit  besitzt 
die  ringförmige  Anordnung  von  sechs  Kohlenstoffatomen : 


I 

Sie  findet  sich  in  den  Molecülen  der  Benzolderivate,  einer  besonders 
interessanten  und  umfangreichen  Yerbindungsklasse. 

Als  Glieder  derartiger  ringförmig  angeordneter,  „cyclischer**  Atom- 
complexe  können  nun  neben  den  Kohlenstoffatomen  auch  andere  Elementar- 
atome fungiren;  wir  kennen  Verbindungen,  welche  Sauerstoff-,  Schwefel- 
oder Stickstoffatome  neben  Eohlenstoffatomen  als  Glieder  geschlossener 
Ketten  enthalten.    Die  Atomgruppirungen: 

XA 

Thiophenring 

/  \n/  \ 

Arinring 


1> 

Pyridinring 


Thiazolring 


sind  Beispiele  für  solche  „Ringe^^;  jede  derselben  ist  charakteristisch 
für  eine  grössere  Gruppe  von  Verbindungen.  Den  Bingsystemen,  welche 
aus  lauter  gleichartigen  Gliedern  —  Kohlenstoffatomen  —  bestehen, 
reihen  sich  demnach  solche  an,  deren  Glieder  verschiedener  Art  sind. 
Man  kann  die  ersteren  als  „isocyclische'S  die  letzteren  als  „hetero- 
cyclische'*  bezeichnen. 

Die  organischen  Verbindungen  können  demnach,   soweit  ihre 


92  Hauptklassen  der  organischen  Verbindungen. 


Constitution  erkannt  ist,  zunächst  in  drei  grosse  Klassen  ein- 
getheilt  werden: 

/.  Aliphatische  Verbindungen.  Verbindungen,  deren  Molecüle  nur  offene 
Ketten  von  Kohlenstoffatomen  enthalten.  (Verbindungen  der  Fett- 
reihe.) 

//.  Isocydische  Verbindungen,  Verbindungen,  deren  Molecüle  geschlos- 
sene Ketten  von  Kohlenstoffatomen  enthalten.     (Benzolderivate  u.  a.) 

III.  Heterocyclische  Verbindungen.  Verbindungen,  welche  in  ihrem  Molecül 
neben  Kohlenstoffatomen  auch  andere  Elementaratome  als  Glieder  ge- 
schlossener Ketten  enthalten.     (Pyridinderivate  u.  s.  w.) 

Die  Angehörigen  der  beiden  letzten  Klassen  stellt  man  in  der  Regel 
den  Verbindungen  der  Fettreihe  als  Verbindungen  der  aromatischen 
Eeihe  gegenüber,  weil  die  Mehrzahl  derselben  in  ihrem  chemischen 
Verhalten  gewisse  gemeinsame  Eigenthümlichkeiten  aufweist,  welche  in 
scharfem  Gegensatz  zu  dem  chemischen  Charakter  der  aliphatischen 
Verbindungen  stehen.  Eine  nähere  Kennzeichnung  dieses  „aromatischen" 
Charakters  kann  erst  im  zweiten  Bande  gegeben  werden. 

Das  Princip  der  Theilong  in  Verbindungen  mit  offenen  Ketten  und  in  cjcUsche 
Verbindungen  kann  nicht  in  allen  Fällen  mit  voller  Strenge  durchgefilhrt  werden. 
Verbindungen  z.  B.,  wie 

CH,-COv  CH,-COv^ 

CH,-CH/     '  CH,-C(K 

Butyrolacton  Bemsteinsäureanhydrid 

gehören  strenggenommen  in  die  Klasse  der  heterocydischen  Verbindimgen,  werden 
aber  mit  gutem  Grunde  stets  bei  den  aliphatischen  Verbindungen  abgehandelt  — 
deshalb,  weil  ihre  ringförmige  Atomgruppirung  sich  nicht  in  einer  grösseren  Zahl 
von  Umsetzungen  erhfilt.    Die  Verbindungen  mit  offener  Kette: 

CH,-CO.OH  CH,-CO.OH 


CH,-CH, .  OH  CH,-CO  •  OH 

Oxybuttersfture  Bemsteinsäure 

stehen  zu  ihnen  in  nächster  Beziehung;  aus  letzteren  bilden  sie  sich  durch  Wasser- 
abspaltung und  gehen  durch  Wasseraufnahme  wieder  leicht  in  dieselben  über;  sie 
sind  „innere  Anhydride"  jener  Verbindungen.  Der  cyclische  Kern  in  ihrem  Molecäl 
ist  bei  jedem  chemischen  Eingriff  bereit,  sich  zu  öffiien;  fast  alle  ihre  genetischen 
Beziehungen  verknüpfen  sie  mit  aliphatischen  Verbindungen,  und  es  wäre  daher  un- 
natürlich, sie  getrennt  von  ihren  nächsten  Verwandten  zu  behandeln.  Dagegen  sind 
die  Substanzen: 

CH  =  Cx-OHO  CH  =  Cv-CO.OH 

>0 

er 

Furfurol  Brenzschleimsäure 


CH  =  C\-OHO 

I  >      ; 

CH  =  CH 


l: 


welche  ein  aus  denselben  Atomen  gebildetes  Ringsystem  enthalten,  bei  den  cyclischen 
Verbindungen   abzuhandeln,   weil   ihre  Entstehungsweisen  und  Umwandlungen  den 


Homologie,  93 


cydischen  Complex  ihres  Molecüls  als  ihren  wirklichen  Stammkem  erkennen  lassen, 
der  seinen  Zusammenhang  in  einer  grossen  Zahl  von  Reactionen  wahrt 

Für  die  Classification  der  einzelnen  Verbindungen  innerhalb  jener 
drei  Hanptklassen  besitzen  wir  in  der  „Homologie"  ein  ausgezeichnetes 
Hülüsmittel.  Der  chemische  Charakter  einer  Verbindung  bleibt  im  Allge- 
meinen ungeändert,  wenn  in  ihrem  Molecül  ein  an  Kohlenstoff  gebundenes 
Wasserstoffatom  durch  die  Methylgruppe:  —  CHg  ersetzt  wird.  Zwei 
Verbindungen,  deren  eine  aus  der  anderen  durch  eine  solche  einmalige 
oder  mehrmalige  Einfuhrung  einer  Methylgruppe  entstanden  gedacht 
werden  kann,  bezeichnet  man  als  homolog.  Solche  Verbindungen  lassen 
sich  zu  Reihen  zusammenstellen,  in  welchen  jedes  Glied  von  dem  vor- 
hergehenden durch  den  Besitz  einer  Methylgruppe  an  Stelle  eines  Wasser- 
stoffatoms sich  unterscheidet.  Die  schon  öfters  erwähnten  Kohlenwasser- 
stoffe Methan,  Aethan,  Propan  und  Butan  bilden  z.  B.  die  Anfangsglieder 

einer  homologen  Reihe: 

Diff. 

Methan:  CHJcH, 

Aethan:    CHg •  CHg  =   C,Help„ 
Propan:  CjHg. CHg  =   CaHgP'^ 
Butan :     CgH,  •  CHs  =  C^nJ  CH, 

u.  s.  w. 

Zwei  einander  benachbarte  Glieder  einer  homologen  Reihe  müssen 
natürlich  stets  eine  Zusammensetzungsdifferenz  von  CHg  zeigen,  da  dem 
Austritt  eines  Wasserstoffatoms  der  Eintritt  eines  Kohlenstoffatoms  und 
dreier  Wasserstoffatome  entspricht  (CHj  =  CHg — H). 

Die  homologe  Reihe  der  Kohlenwasserstoffe,  deren  Anfangsglieder 
oben  zusammengestellt  sind,  bildet  eine  Gruppe  von  Verbindungen, 
welche  einander  in  ihrem  chemischen  Verhalten  äusserst  ähnlich  sind, 
welche  durch  analoge  Reactionen  erhalten  werden  können  und  sich  bei 
der  Einwirkung  von  Reagentien  fast  gleichartig  verhalten.  Dieselbe 
Analogie  in  dem  chemischen  Charakter  findet  sich  nun  wieder,  wenn 
wir  die  Verbindungen  betrachten,  welche  aus  jenen  Kohlenwasserstoffen 
durch  gewisse  Aenderungen  in  der  molecularen  Zusammensetzung  ent- 
stehen. Wird  z.  B.  ein  Wasserstoffatom  ersetzt  durch  Chlor  oder  durch 
Hydroxyl  oder  durch  Carboxyl,  so  resultiren  die  homologen  Reihen  der 
Chloralkyle,  Alkohole  und  Carbonsäuren: 

Methylchlorid:    CHsCl  Meüiylalkohol:    CHaCOH) 

Aethylchlorid:  CjHgCl  Aethylalkohol :  CjHgCOH) 

Propylchlorid:  C3H7CI  Propylalkohol :  CgH/OH) 

Butylchlorid:     C^W^QX  etc.  Butylalkohol:    C^HgCOH)  etc. 

Essigsäure:  CHjCCOaH) 

Propionsäure :  CjHgCCOsH) 

Buttersäure:  CsH^CCOgH) 

Baldriansäure:  C4He(C0,H)  etc. 


94  Homologie, 


Zwischen  den  einzelnen  Gliedern  dieser  Eeihen  besteht  dieselbe  weit- 
gehende Uebereinstimmung  in  dem  chemischen  Charakter.  Die  Be- 
sprechung der  organischen  Verbindungen  wird  demnach  durch  ihre  Ein- 
ordnung in  homologe  Reihen  wesentlich  erleichtert,  da  die  Beschreibung 
eines  einzigen  Gliedes  typisch  f&r  die  ganze  Eeihe  ist  und  für  die 
übrigen  Glieder  in  der  Begel  nur  durch  wenige  Angaben  ergänzt  zu 
werden  braucht.  Auf  die  Regelmässigkeit  in  der  Zusammensetzungs- 
differenz ähnlicher  Körper  und  die  sich  hieraus  ergebende  Möglichkeit 
ihrer  Einordnung  in  Reihen  hat  zuerst  Schiel^  auEmerksam  gemacht, 
welcher  sich  dadurch  ein  hervorragendes  Verdienst  um  die  Entwickelung 
der  organischen  Chemie  erworben  hat. 

Homologe  Verbindungen  wurden  vorher  als  solche  Verbindungen 
definirt,  welche  aus  einander  durch  Einführung  von  Methylgruppen  an 
Stelle  von  an  Kohlenstoff  gebundenen  Wasserstoffatomen  entstehen.  Es 
muss  indessen  noch  hervorgehoben  werden,  dass  man  es  nur  dann  mit 
einer  wirklichen  Homologie  zu  thun  hat,  wenn  durch  diese  Substitution 
nicht  diejenige  Atomgruppe  verändert  wird,  welche  für  den  chemischen 
Charakter   der   betreffenden  Verbindung   bestimmend   ist.     Beim  Acet- 

aldehyd:  CH« — C<f     z.  B.  bedingt  die  Gegenwart  der  Gruppe  — CHO 

die  chemischen  Eigenthümlichkeiten;  aus  dem  Acetaidehyd  kann  man 
sich  durch  Ersatz  eines  an  Kohlenstoff  gebundenen  Wasserstoffatoms 
mittelst  der  Methylgruppe  das  Aceton  CHg — CO — CHg  entstehend  denken; 
trotzdem  ist  das  Aceton  nicht  dem  Acetaldehyd  homolog,  denn  es  ent- 
hält nicht  mehr  die  für  die  Aldehyde  charakteristische  Gruppe  — CHO 
und  gehört  daher  in  eine  ganz  andere  Reihe  von  Verbindungen.  Tritt 
aber  in  das  Molecül  des  Acetaldehyds  eine  Methylgruppe  ein,  ohne 
den  Complex  — CHO  zu  beeinflussen,  so  entsteht  eine  Verbindung  aus 
derselben  Reihe;  der  Propionaldehyd  CH3 — CH^ — CHO  ist  ein  wahres 
Homologes  des  Acetaldehyds  CH3 — CHO. 

Die  Glieder  der  vorhin  erwähnten  homologen  Reihen  entstehen  aus 
den  zugehörigen  Kohlenwasserstoffen,  indem  ein  Wasserstoffatom  durch 
einwertiiige  Atome  oder  Atomgruppen  ersetzt  wird.  Man  kann  sie  daher  als 
einwerthige  Abkömmlinge  der  Kohlenwasserstoffe  bezeichnen.  Andere 
Verbindungsreihen  leiten  sich  von  den  Kohlenwasserstoffen  durch  Er- 
satz mehrerer  Wasserstoffatome  ab;  von  dem  Propan  CH3 — CH^ — CH3 
deriviren  z.  B.  die  Alkohole: 

CH,(OH)  CH, 

I 


CH,         ;  CH(OH)   :  Einwerthige  Alkohole, 

I  I 

CHg  CH3 

Propylalkohol  Isopropylalkohol 


»  Ann.  48,  107;  110,  141. 


Classificirung  nach  der  WertkigkeiL  95 


CH,(OH)  CH,(OH) 

I 


CH(OH)    ;  CH,  :  Zweiwerthige  Alkohole, 

CH,  CH,(OH) 

Propjlenglykol     Trimethylenglykol 

CHrfOH) 

I 

CH(OH)  :  Dreiwerthiger  Alkohol; 

1 
CH,(OH) 

Glycerin 

von  dem  Aethan  CHg — CHj  die  Carbonsäuren: 

CHg— CH,— CO,H  :  Einwerthige  Säure, 

Propionaäure 

/CO,H  CH,-CO,H 
CHg— CH<             ;        I  :  Zweiwerthige  Säuren, 

XJO,H  CH,-CO,H 

IsobemsteiuBäure  Bemsteinsäure 

/CO,H 
COjH— CH,— CH<  :  Dreiwerthige  Säure, 

XJOjH 

Aethenyltricarbonsäure 

COjHv  /CO,H 

>CH— CH<  :  Vierwerthige  Säure. 

CO,H/  XJOtH 

Acetylentetracarbonsäure 

Die  Abkömmlinge  der  einzelnen  EohlenwasserstofiEreihen  können  dem- 
nach unter  Berücksichtigung  einerseits  der  Art  der  an  Stelle  von  Wasser- 
stoffatomen eintretenden  Substituenten  und  andererseits  der  Anzahl  der 
vertretenen  Wasserstoffatome  in  homologe  Reihen  geordnet  werden.  Es 
bleibt  uns  noch  zu  besprechen,  nach  welchen  Gesichtspunkten  die  Kohlen- 
wasserstoffreihen selbst  classificirt  werden.  Es  ist  bisher  nur  eine  solche 
Reihe  erwähnt  worden  (S.  93):  die  mit  dem  Methan  CH^  beginnende 
homologe  Reihe  der  sogenannten  „Grenzkohlenwasserstoffe".  Diese 
Bezeichnung  führen  die  betreffenden  Kohlenwasserstoffe  deshalb,  weil 
in  ihren  Molecülen  zur  Bindung  der  Kohlenstoffatome  an  einander  so 
wenig  Valenzen,  wie  nur  irgend  möglich,  aufgewendet  sind,  und  daher 
die  Anzahl  der  zur  Bindung  von  Wasserstoffatomen  frei  bleibenden 
Valenzen  die  höchst  mögliche  Grenze  erreicht.     Aus  den  Formeln: 

CH^;     CH3— CH3;     CH3— CH,— CH3  u.  s.  w. 

ist  dies  sofort  ersichtlich.  Enthält  ein  Kohlenwasserstoff  dieser  Reihe 
nC- Atome  im  Molecül,  so  sind  zu  deren  Zusammenhang  (n — 1)  Bin- 
dungen von  je  2  C- Atomen  an  einander  erforderlich;  diese  Bindungen  be- 
dingen den  Aufwand  von  (2n — 2)  Valenzen;   da  nun  infolge  der  Vier- 


Classifiairung  nach 


itoffatoms   insgesamiut   4ii  Valenzen    vorhanden 

— 2)  =  2n  +  2  Valenzen  zur  Bindung  vonWasaer- 
e  Zusammensetzung  der  Kohlenwasserstoffe  dieser 
rch  die  allgemeine  Formel  CjHj||^_j  auBgedriickt 

schliessen  sich  andere  Kohlenwasserstoffireihen 
ärmer  sind,  weil   in  ihren  MolecUlen  Kohlen- 


9r  zur  Bindung  von  Wasserstoflfatomen  weniger 
[n  den  Molecülen  dieser  Kohlenwasserstoffe  und 
nach  an  einer  Stelle  oder  an  mehreren  Stelleu 
luDg  der  Eohlenstoffatome  an  einander  aufge- 
iusanuuenhalt  durchaus  notbwendig  ist.  Dieser 
is  diese  Verbindungen  oft  die  Fähigkeit  zeigen, 
—  namentlich  den  Wasserstoff  oder  die  Halo- 
le  aufnehmen  zu  können,  ohne  dafUr  andere 
en.  Während  z.  B.  in  einen  Kohlenwasserstoff 
e  nur  eintreten  können,  wenn  gleichzeitig  Wasser- 
bstitution): 
I,  +  2Brs  =  CjHjBr,  +  2HBr, 
irmeren  Kohlenwasserstoffe  Bromatome  durch 
[id  in  Verbindungen  der  Grenzreihe  Übergehen, 
hlenstoflfbindung  in  einfache  übergeht,  und  die 
ideu  Valenzen  sich  mit  den  Bromatomen  sättigen : 
CH,  CH.Br 

CH,  CH,Br 

Verhältnisse  bezeichnet  man  die  Verbindungen 

ttigte  Verbindungen,  die  wasserstoffärmeren 

indungen. 

gten  Koblenwasserstofifreihen  ist  die  wasserstoff- 

Glieder  nur  zwei  Wasserstoffatome  weniger  im 
iie  Glieder  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  in  der 
h  den  fUr  die  Zusammensetzung  ihrer  Einzel- 
n  Ausdruck  Cj^Hj^  charakterisirt;  sie  beginnt  mit 

führt  daher  auch  die  Bezeichnung  Aethylen- 
nel  jedes  einzelnen  Kohlenwasserstoffs  aus  dieser 
liges  MulUplum  von  CHj  dar; 

Aethylen:  C,Hj  =  (CH.l, 
Propylen:  C,Hg  =  (CH,)j 
Bullen:  C,H,  =  (CH,)j 
Amylen:    C.H.o  =  (CH,)^  etc.; 


dem  Sättigungsgrade,  97 


alle  diese  Kohlenwasserstofife  besitzen  demnach  gleiche  procentische  Zu- 
sammensetzung, sind  aber  von  einander  durch  verschiedene  Molecular- 
^  grosse  unterschieden.   Man  bezeichnet  eine  solche  Beziehung  in  der  Zu- 
sammensetzung als  Polymerie. 

Auf  die  Aethylenreihe  folgen  die  Kohlenwasserstofifreihen  mit  succes- 
sive  fallendem  Wasserstofifgehalt^: 

Von  den  ungesättigten  [Kohlenwasserstoffen  leiten  sich  nun  wieder 
zahlreiche  Verbindungen  durch  Substitution  der  Wasserstoffatome  in 
verschiedenartigster  Weise  ab.  Sie  können  ebenso  wie  die  Derivate  der 
Grenzkohlenwasserstoffe  in  einwerthige,  zwei-,  drei-  und  mehrwerthige 
Verbindungen  eingetheilt  und  in  homologe  Beihen  eingeordnet  werden. 

Im  Vorstehenden  sind  die  Gesichtspunkte  entwickelt,  welche  für  die 
Systematik  der  aliphatischen  Verbindungen  massgebend  sind.  Auch  fiir 
die  Classificirung  der  Verbindungen  aus  den  beiden  anderen  Haupt- 
klassen (S.  92),  welche  durch  das  Vorhandensein  von  ringförmigen 
Atomcomplexen  in  ihren  Molecülen  charakterisirt  sind,  kommen  die- 
selben Gesichtspunkte  in  Betracht;  doch  müssen  hier  noch  andere  Prin- 
cipien  hinzugezogen  werden,  wie  z.  B.  die  Anzahl  der  in  einem  Molecül 
vereinigten  cyclischen  Complexe  und  die  Art  ihrer  Aneinanderlagerung; 
auf  diese  Verhältnisse  soll  erst  bei  der  speciellen  Besprechung  dieser 
Verbindungen  näher  eingegangen  werden. 

Von  den  zahlreichen  organischen  Verbindungen,  denen  man  fertig 
gebildet  in  der  Natur  begegnet  ,^  ist  ein  erheblicher  Theil  in  ihrer  Con- 
stitution klar  gestellt;  diese  könnten  daher  an  der  ihnen  infolge  ihrer 
Structur  zukommenden  Stelle  des  Systems,  dessen  Grundzüge  oben  dar- 
gelegt sind,  besprochen  werden.  Allein  einstweilen  erweist  sich  eine 
derartige  Behandlung  noch  nicht  durchgehends  als  zweckmässig;  wich- 
tige Beziehungen  der  betreffenden  Verbindungen  zu  anderen  ihnen  augen- 
scheinlich nahe  verwandten  Substanzen,  welche  noch  nicht  genügend 
aufgeklärt  sind,  um  einen  bestimmten  Platz  im  System  angewiesen  zu 
erhalten,   würden  nicht   scharf  genug  hervortreten.     Es  empfiehlt  sich 


'  Man  dräckte  früher  die  Zugehörigkeit  der  einzelnen  Kohlenwasserstoffe  zu 
einer  dieser  Reihen  nach  A.  W.  HoFMAini's  Vorschlag  in  der  Weise  aus,  dass  man 
ihre  Namen  mit  Endungen  versah,  deren  Vocal  den  Sättigungsgrad  bezeichnen  sollte. 
IHe  charakteristische  Endung  war 

ftir  die  Reihe  C^^H^^,:  an, 

»»       »  »      ^ii">n      •  ^^f 

?>       »>  »      W*^«n— «•  ^^> 

n       »  »      W^n— «'  '*"• 

Der  Kohlenwasserstoff  C^Hi«  erhielt  also  die  Bezeichnung  Hexan,  CeHjs  Hexen, 
GeH,Q  Hexin  etc.  —  Diese  Nomendatur  ist  indessen  nur  für  die  erste  Reihe  in 
Gehrauch  geblieben. 

V.  MxTEB  n.  Jacobson,  org.  Chem.  L  7 


98  OperaHon^i  bei  organiach-ehemiachen  Arbeilen. 

daher,  jene  Gruppen  von  Naturstoffen  (Glukoside,  Alkalolde,  Eiweiss- 
stoffe  etc.),  welche  theilweise  oder  ausschliesslich  Verbindungen  von  noch 
imermittelter  Atomanordnung  umfassen,  einstweilen  zu  einer  besonderen 
vierten  Klasse  znsammenzufasBen,  welche  erst  nach  Besprechung  der  oben 
aufgestellten  drei  Hauptklassen  abzuhandeln  ist. 


Viertes  Kapitel. 

'  iten  Operationen,  welche  bei  der  I>8rBtelliuig 
l  oi^ranisclierVeTbindm^en  anBrnfOhren  sind. 

MD  mit  einander.  —  Einfache  and  iraclionirte  Destillation; 
dampf.  —  Trennung  von  Flfissigkeiten  nnd  festen  KOrpem; 
-  KrTstalliaation.  —  Trocknung.  —  Begtimmung  des  SchmeU- 
[ta  und  specidsclien  Gewichts.  —  Thennometerprllfbiig.) 


ationen,  welche  das  Studium  der  organischen  Ver- 
lig macht,  sind  bisher  nur  diejenigen  beschrieben 
lalyse  und  zur  Molecnlargewichtsbestimmung  dienen 
iem  Kapitel  sollen  einige  Operationen  mit  den  dabei 
inden  Apparaten  besprochen  werden,  welche  häufig 
ng  organischer  Verbindungen  angewendet  werden, 
ndelt  es  sich  bei  der  AusilÜinmg  irgend  einer  Reac- 
1  das  Erhitzen  von  Substanzen  mit  einander, 
(  dem  anzuwendenden  Apparat  je  nach  der  zu  er- 
len  Eeactionstemperatur  und  dem  Siedepunkte  der 
:tion  tretenden  Substanzen  eine  verschiedene  Form 
:  werden.  Ist  die  Reactionstemperatur  niedriger  als 
depunkt  des  Substanzgemisches,  so  kann  die  Ope- 
sinfäch  in  einem  Kolben  vorgenommen  werden,  in 
Hals  ein  Thermometer  mittelst  eines  Korks  eingefügt 
Ich  letzterer  seitlich  einen  Ausschnitt  besitzt,  um 
i-wärmen  die  sich  ausdehnende  Luft  ungehindert  ent- 
zu  lassen  (Fig.  25);  man  erhitzt  den  Kolben  in  einem 
bade  oder  fUr  höhere  Temperaturen  in  einem  Bade, 
t  Rilböl  oder  Paraffin  gefüllt  ist,  und  regulirt  die 
!  SO,  dass  das  Thermometer  die  gewünschte  Tempe- 
ligt.  Kleinere  Kölbchen  kann  mau  auch  vortheilhaft  in 
:ch  Fig.  50  (S.  1 13}  abgebildeten  Apparate  auf  constante 
atur  erhitzen;  man  ersetzt  dann  den  kupfernen  Deckel 
I  aus  Asbestpappe,  in  deren  Mitte  eine  kreisrunde 
:hstecken    des   Kolbenhalses    ausgeschlagen  wird,  — 


Erhitzen  unter  Rückfluss. 


99 


-  il 


i"C 


H> 


In  anderen  Fällen  ist  es  noth wendig,  das  Substanzgemisch  so  weit  zu 
erhitzen,  dass  der  flüchtigste  Antheil  ins  Sieden  geräth  und  während  der 
Dauer  der  Operation  auch  im  Sieden  erhalten  wird;  dann  muss  natür- 
lich dafür  gesorgt  werden,  dass  die  Dämpfe  wieder  condensirt  werden 
und  darauf  in  das  Beactionsgefäss  zurückfliessen.  Dieses  Erhitzen 
unter  Bückfluss  wird  in  dem  in  Fig.  26  abgebildeten  Apparat  aus- 
geführt; auf  den  Kolben  ist  in  aufsteigender 
Richtung  ein  LiEBia'scher  Kühler  aufgesetzt. 
Derselbe  besteht  aus  einem  inneren  Glasrohr 
a,  an  welches  mittelst  zweier  Kautschuk- 
schläuche c  ein  weiterer  mit  zwei  Ansatz- 
röhrchen  versehener  Glasmantel  b  befestigt 
ist;  durch  das  untere  Röhrchen  wird  nach 
Verbindung  mit  einem  Hahn  der  Wasserleitung 
Kühlwasser  eingeleitet,  welches  dann  durch 
das  obere  Röhrchen  wieder  abgeleitet  wird, 
nachdem  es  den  Raum  zwischen  dem  inneren 
Rohr  a  und  dem  Mantel  b  durchflössen  hat; 
die  aus  dem  Kolben  sich  entwickelnden 
Dämpfe  werden  in  dem  inneren  Rohr  a  con- 
densirt, und  die  condensirte  Flüssigkeit  tropft 
wieder  in  den  Kolben  zurück.  Arbeitet  man 
mit  sehr  flüchtigen  Flüssigkeiten,  z.  B.  mit 
Aether,  so  wendet  man  zweckmässig  einen 
Kühler  von  der  in  Fig.  26  a  abgebildeten  Form 
an,  welcher  eine  grössere  Kühlfläche  bietet, 
da  sein  inneres  Rohr  mit  einigen  kugelför- 
migen Erweiterungen  versehen  ist.  Bei  nicht 
sehr  niedrig  siedenden  Flüssigkeiten  dagegen 
kann  man  den  Wasserkühler  zuweilen  auch 
einfach  durch  ein  langes  Glasrohr  ersetzen 
und  die  Condensation  der  Dämpfe  ledig- 
lich durch  Luftkühlung  bewirken  lassen.  — 
Bei  solchen  Apparaten  ist  zur  Verbindung 
des  Kühlers  mit  dem  Kolben  ein  Kork  oder 
Gnmmistopfen  nothwendig,  welcher  mit  den 
sich  entwickelnden  Dämpfen  in  Berührung 
kommt.    Hat  man  es  mit  stark  corrodirenden 

Dämpfen  —  z.  B.  Salpetersäure,  Brom  —  zu  thun,  welche  die  An- 
wendung von  Kork-  und  Gummistopfen  ausschliessen ,  so  kann  man 
mit  Vortheil  zum  Ineinanderfügen  der  einzelnen  Theile  Asbestschnur 
benutzen.  Auch  der  in  Fig.  27  abgebildete  Kühler  leistet  in  solchen 
Fällen  oft  gute  Dienste.  Man  führt  die  Reaction  in  einem  Rundkolben 
mit  recht  langem  Halse  aus  und  lässt  in  diesen  ein  massig  weites  Glas- 


h-C 


a 


Flg.  26.    Kolben  mit 
RackflusskQhler. 


Fig.  26  a. 


^  *  • 


100 


Erhitzen  unier  Druck, 


röhr  c  hineinhängen,  das  unten  zugeschmolzen  ist  und  oben  einen  dop- 
pelt durchbohrten  Stopfen  trägt,  durch  dessen  Bohrungen  ein  engeres 
Glasrohr  a  bis  zum  unteren  Ende  geht,  während,  das  Böhrchen  h  un- 
mittelbar unter  dem  Stopfen  endigt.  Das  Glasrohr  c  wird  nun  von 
innen  gekühlt,  indem  durch  a  Wasser  zugeleitet  und  durch  h  abgeleitet 
wird;  die  im  Kolben  entwickelten  Dämpfe  condensiren  sich  an  der  kalten 
äusseren  Wand  von  c,  ohne  mit  Kork-  oder  Kautschukverbindungen  in 
Berührung  zu  kommen. 


cb  b 


Sehr  häufig  ist  es  nöthig,  das  Substanzgemisch 
noch  über  die  Temperatur  hinaus  zu  erhitzen,  welche 
es  beim  Sieden  in  einem  offenen  Gefass  erreicht. 
Soll  diese  Temperatur  nicht  sehr  beträchtlich  über- 
schritten werden,  so  kann  man  jenen  Zweck  er- 
reichen, indem  man  das  Sieden  unter  dem  Druck 
einer  Quecksilbersäule  vor  sich  gehen  lässt  und  da- 
durch die  Siedetemperatur  entsprechend  erhöht. 
Man  setzt  dann  auf  das  obere  Ende  des  Kühlrohrs 
mittelst  eines  Korkes  ein  doppelt  gebogenes  Glas- 
rohr und  lässt  dasselbe  in  ein  etwas  weiteres  Glas- 
rohr eintauchen,  das  mit  einer  Quecksilberschicht 
von  geeigneter  Höhe  beschickt  ist  (s.  Fig.  28).  — 
Oder  man  digerirt  in  verschlossenen  Druckflaschen, 
wie  sie  zum  Aufbewahren  von  Sodawasser  ge- 
bräuchlich sind  (Fig.  29);  dieselben  werden  in  einem 
Bade  langsam  auf  die  gewünschte  Temperatur  er- 
hitzt; sie  müssen  mit  einem  Handtuch  fest  umwickelt 
sein,  damit  bei  etwaiger  Explosion  die  Splitter  nicht 
herumgeschleudert  werden.  Auch  bei  Beachtung 
dieser  Vorsichtsmassregel  muss  man  sich  der  grossen 
Gefahr  bewusst  bleiben,  welche  die  Explosion  einer 
solchen  Druckflasche  für  in  der  Nähe  befindliche 
Personen  —  schon,  durch  das  ümherspritzen  der 
heissen  Heizflüssigkeit  —  involvirt.  Man  führe  da- 
her solche  Operationen  nur  in  Bäumen  aus,  die 
während  der  Erhitzungsdauer  nicht  betreten  werden  und  mit  Gas- 
leitungen versehen  sind,  welche  das  Auslöschen  der  Heizflanune  aus 
einiger  Entfernung  gestatten;  man  nähere  sich  dem  Apparat  erst  wieder 
nach  völligem  Elrkalten!  —  Will  man  die  Reactionstemperatur  sehr 
weit  über  die  Siedetemperatur  des  Gemenges  steigen,  so  dass  im 
Beactionsgefäss  sehr  erheblicher  Druck  entsteht,  so  operirt  man  mit 
zugeschmolzenen  starkwandigen  Glasröhren  in  derselben  Weise,  wie  dies 
für  die  CABius'sche  Schwefelbestimmung  S.  23 — 25  beschrieben  worden 
ist;  die  Bohren  werden  in  dem  daselbst  abgebildeten  Kanonenofen  auf 
die   erforderliche  Temperatur   erhitzt;   beim  Oefl&ien   derselben  beachte 


Fig.  27.  XahlTorriehtang 
fQr  jkxbeiten  mit  corrodl- 
renden  Dftmpfen  zur  Ver- 
meidung TOD  Korkverbin- 
dungen. 


Erhitzen  unter  Druck. 

man  stets  die  S.  26  ange- 
gebenen Yorsichtsmassregein, 

da  inuner  die  Möglichkeit  be- 
steht, dasB  sich  in  der  Reac- 

tion  Gase  gebildet  haben,  nnd 

die  Bohren  infolgedessen  auch 

nach     dem     Erkalten     noch 

starken  Dmck  enthalten.  — 

Bei    Verarbeitung    grösserer 

Mengen  nach  dieser  Methode 

wäre  man,  da  der  FasBungs- 

ra)im  auch  weiter  Glasröhren 

doch    immer   noch   ziemlich 

beschränkt  ist,  genSthigt,  viele 

einzelne  Eöhren  gleichzeitig 

oder  nach  einander  einzu- 
legen. Man  bedient  sich  dann 

besser  eiserner  Drnckge- 

fässe    (Autoklaven,     Di- 

gestoren)  ton  grösserer  Ca- 

pacität. 

Eine  der  am  häufigsten 

ausznfOhr enden  Operationen 
ist  die  Destillation.  Man 
kann  mit  derselben  sehr  ver- 
schiedenartige Zwecke  im 
Auge  haben.  Es  kann  sieb 
z.  B.  dämm  handeln,  ans 
einer  Lösang  das  Lösungs- 
mittel vollständig  oder  zum 
grössten  Theil  zu  verdampfen 
und  durch  Destillation  wieder- 
zngevrinnen.  Mau  destiUirt 
dann  aus  einem  Kolben, 
welcher  in  der  ans  Fig.  30 
ersichtlichen  Weise  mit  einem 
absteigenden  Liebio'  sehen 
Kohler  in  Verbindung  steht, 
und  braucht  in  diesem  Falle 
nicht  die  Temperatur  der 
Dämpfe  zu  controUiren.  Hier- 
bei stellt  sich  oft  das  sehr 
lästige  durch  Siedeverzug  be-  fii.  as.  ErutMn  m 

wirkte  ,.Stossen"  der  Flfissig- 


102  DesHliation. 

keit  ein;  die  Flüssigkeit  hört  zuweilen  auf  zu  sieden,  wird  iofolgedessen 
über  ihren  Siedepunkt  „überhitzt"  und  geräth  dann  nach  einiger  Zeit 
wieder  unter  so  plötzlicher  Dampfentwicklung  ins  Sieden, 
dass  der  Kolbeninhalt  übersteigt,  oder  der  Kolben  selbst  gar 
zertrümmert  werden  kann.  Man  kann  dieses  Stossen  in  der 
Regel  vermeiden,  indem  man  in  die  Flüssigkeit  eine  Spirale 
aus  Platindraht  oder  einige  Porzellanscherben  hineinbringt; 
von  diesen  festen  Körpern  pflegt  dann  eine  regelmässige 
Dampfblasenent Wicklung  auszugehen;  sehr  gut  wirkt  auch 
ein  Faden,  der  am  unteren  Ende  zu  einer  Schlinge  ge- 
knüpft ist,  und  den  man  derart  zwischen  der  Wandung  des 
Kolbenhalses  und  dem  Korken  festklemmt,  dass  die  Schlinge 
während  der  ganzen  Dauer  der  Destillation  in  die  Flüssig- 
v^,^<.     keit  eintaucht. 

In  anderen  Fällen  will  man  durch  die'  Destillation  die 
Reinheit  einer  Substanz  controlliren,  indem  man  zusieht,  ob  sie  bei 
constanter  Temperatur  siedet,  und  sie  dabei  zugleich  eventuell  von  geringen 
Mengen  nicht  flüchtiger  Verunreinigungen  befreien.  Man  bedient  sich 
dann  der  in  Fig.  31   abgebildeten  Siedekolben  oder  Fractionirkolben ;  das 


Flg.  30.    DMtlUmlJoIi. 

Thermometer  muss  in  der  Weise  eingesetzt  werden,  dass  die  Kugel  nicht 
in  die  Flüssigkeit  eintaucht,  aber  doch  allseitig  von  den  Dämpfen  umspielt 
wird;  sie  muss  sich  daher  etwas  unterhalb  des  seitlichen  Abflussrobres 
befinden.  Bei  höher  siedenden  Flüssigkeiten  genügt  die  Luftkühlung  zur 
Condensation  des  Dampfes;  man  .wählt  dann  das  Ablaufrohr  je  nach  der 
grösseren  oder  geringeren  Flüchtigkeit  länger  oder  kürzer.  Bei  leicht 
flüchtigen  Flüssigkeiten  verbindet  man  das  Ablaufrohr  noch  mit  einem 
Wf^serkUhler.    Hat  man  grössere  Quantitäten  zu  verarbeiten,  so  benutzt 


Destillation  im  Vacun/m, 


103 


man  einen  gewöhnlichen  Kolben,  auf  welchen  vermittelst  eines  Korks  ein 
T-ßohr  aufgesetzt  wird  (Fig.  32). 


Flg.  31.    FVaktionlrkoIben  mit 
Thermometer. 


Fig.  82.    Kolben  mit  T-Rohr 
und  Thermometer. 


Viele  Substanzen,  welche  unter  gewöhnlichem  Druck  nicht  ohne 
Zersetzung  destillirt  werden  können,  vertragen  eine  Destillation,  wenn 
ihre  Siedetemperatur 
durch  Anwendung 
von  vermindertem 
Druck  herabgesetzt 
wird.  Für  diese  De- 
stillation im  luft- 
verdünnten 
Räume  1  ist  der  fol- 
gende Apparat  (Fig. 

33)  sehr  bequem:  Der 

Siedekolben  a  ist  das 
Destillationsgefäss 

und  wird   durch  ein 

Paraffinbad  oder  für 

höhere  Temperaturen 

durch  ein  Graphitbad 

geheizt,  die  Kugel  des 

Siedekolbens  b  dient  pig.  33.  vacuum-DestiiiaUon. 


a- — 


^  Eine  Zusammenstellang  von  hierfür  zweckmässigen  Apparaten  findet  sich  in 
der  Broschüre  von  R.  AxsghÜtz:  Die  Destillation  unter  vermindertem  Druck  im  Labora 
torium.    (Bonn  1887.) 


104  Destillation  im  Vacuum, 


zur  Aufnahme  des  Destillats,  seine  Ableitungsröhre  f  zur  Verbindung 
mit  einem  die  Druckverringerung  anzeigenden  Quecksilbermanometer 
und  der  Wasserstrahlluftpumpe  (vgl.  S.  109).  In  den  Kolben  a  ist  ein 
Glasrohr  d  eingesetzt,  welches  unten  zu  einer  capillaren  Spitze  aus- 
gezogen ist  und  oben  einen  mit  einer  Klemmschraube  c  versehenen 
Gummischlauch  e  trägt;  innerhalb  dieses  Glasrohrs  befindet  sich  ein 
Thermometer.  Man  evacuirt  nun  bei  geschlossener  Schraube  c  niit  der 
Wasserstrahlpumpe,  bis  der  Druck  genügend  herabgesetzt  ist,  öffnet  dann 
die  Schraube  o  ganz  wenig,  so  dass  durch  die  capillare  Spitze  des  Glas- 
rohrs d  langsam  Luftblasen  eintreten,  der  Druck  sich  aber  auf  dem  ge- 
wünschten Stande  erhält.  Dieses  langsame  Durchleiten  von  Luft  durch 
die  zu  destillirende  Flüssigkeit  hat  den  Zweck,  die  Destillation  in  regel- 
mässigem Gange  zu  erhalten  und  ein  Stossen  der  Flüssigkeit  zu  ver- 
meiden. An  dem  im  Glasrohr  d  befindlichen  Thermometer  liest  man 
die  Siedetemperatur  ab  und  notirt  gleichzeitig  die  Temperatur  des  Heiz- 
bades, welche  die  Siedetemperatur  nicht  mehr  als  um  etwa  20 — 30® 
übersteigen  soll.  —  Das  regelmässige  Sieden  der  Flüssigkeit  kann  oft 
auch  einfacher  als  durch  das  Durchleiten  von  Luftblasen  erreicht  werden; 
sehr  wirksam  erweist  sich  das  Einstellen  einiger  Holzstäbchen  von 
Streichholzdicke;  man  kann  dieselben  für  Substanzen  anwenden,  die 
unter  200®  sieden  und  Holz  nicht  angreifen;  für  höher  siedende  oder 
Holz  corrodirende  Substanzen  benutzt  man  linsengrosse  Stückchen  von 
Bimstein  oder  porösem  Thon.  Arbeitet  man  mit  diesen  Mitteln  zur  Er- 
leichterung des  Siedens,  so  wird  das  Thermometer  natürlich,  wie  bei 
gewöhnlichen  Destillationen,  im  Kork  des  Fractionirkolbens  befestigt 
(s.  Fig.  31).  —  Bei  allen  Vacuum -Destillationen  ist  anzurathen,  das 
Destillirgefäss  höchstens  zu  ein  Drittel  anzufallen,  da  die  sich  ent- 
wickelnden Dampfblasen  grösser  sind  als  bei  der  Destillation  unter  Luft- 
druck, und  demnach  leichter  ein  üebersteigen  stattfinden  kann.  Schäumen 
die  zu  destillirenden  Flüssigkeiten  sehr  stark,  so  wende  man  nicht  ein 
zu  hohes  Vacuum  (etwa  ein  solches  von  nur  60 — 100  mm)  an. 

Sehr  wichtig  ist  die  fractionirte  Destillation,  welche  den  Zweck 
hat,  Gemenge,  die  Bestandtheile  von  verschiedenem  Siedepunkte  ent- 
halten, in  ihre  einzelnen  Bestandtheile  zu  zerlegen.  Destillirt  man  z.  B. 
ein  Gemenge  von  zwei  Flüssigkeiten,  deren  Siedepunkte  bei  100®  und 
150®  liegen,  so  geht  nicht  etwa  bei  100®  allein  die  niedriger  siedende,  bei 
150®  allein  die  höher  siedende  Flüssigkeit  über,  sondern  das  Thermometer 
steigt  allmählich  von  100®  bis  150®,  und  bei  jeder  Temperatur  destillirt 
ein  Gemisch  der  beiden  Flüssigkeiten  ^  Im  vorliegenden  Falle  z.  B. 
wird  man   von  100 — 110®  ein  Destillat  auffangen  können,   welches   die 


^  Näheres  über  das  VerhSltniss  der  Gemengtheile  in  den  Destillaten  siehe  in 
den  Arbeiten  von  Wanklyk,  Ann.  128,  328;  Berthelot,  Ann.  128,  821;  Brown, 
Joum.  Soc.  89,  304;  Konowalow,  Pogg.  (N.  F.J  14,  34. 


Fractionirie  Destillation, 


105 


w 


niedriger  siedende  Flüssigkeit  zwar  in  vorwiegender  Menge,  aber  keines- 
wegs rein  enthält;  von  110 — 140^  ein  Gemisch,  welches  von  beiden  Be- 
standtheilen  beträchtliche  Procentgehalte  aufweist;  endlich  von  140®  ab 
ein  Destillat,  in  welchem  die  hoch  siedende  Flüssigkeit  vorwiegt.  Man 
unterwirft  nun  zunächst  die  „Mittelfraction"  (110 — 140^  einer  erneuten 
Destillation,  bei  welcher  wiederum  eine  gewisse  Menge  zu  der  niedrigen 
Fraction  und  eine  gewisse  Menge  zu  der  hohen  Fraction  gewonnen  wird, 
und  wiederholt  dies  so  oft,  bis  die  Mittelfraction  fast  ganz  in  die  bei 
100 — 110®  und  bei  140 — 150®  siedenden  Destillate  gespalten  ist.  Dann 
müssen  die  hoch  siedende  und  die  niedrig  siedende  Fraction 
für  sich  einer  Fractionirung  innerhalb  engerer  Grenzen  unter-  ^ 
worfen  werden  (etwa  von  5  zu  5®,  dann  von  2  zu  2®);  durch 
sehr  oft  wiederholte  Destillation  gelingt  es  schliess- 
lich, von  jeder  Flüssigkeit  einen  Theil  rein  und  5 
constant  siedend  abzuscheiden. 

Damit  man  bei  dieser  fractionirten  Destilla- 
tion einigermassen  rasch  zum  Ziele  kommt,  ist  es 
nothwendig,  dass  die  aus  der  Flüssig- 
keit sich  entwickelnden  Dämpfe  nicht 
sogleich  in  das  Abfluss-  und  Kühl- 
rohr gelangen,  sondern  erst  Zeit 
finden,  den  Antheil  an  schwerer 
flüchtigen  Bestandtheilen ,  welchen 
sie  mit  sich  führen,  grösstentheils 
durch  theilweise  Condensation  wieder 
abzugeben.  Diesen  Zweck  kann  man 
bei  Anwendung  gewöhnlicher  Siede- 
kolben dadurch  erreichen,  dass  man 
das  Abflussrohr  möglichst  hoch  an- 
bringt; besser  bedient  man  sich  eines 
besonderen  Fractionir-Aufsatzes. 
Es  sind  verschiedene  Formen  solcher 
Aufsätze  angegeben;  die  gebräuch- 
lichsten sind  in  Fig.  84  abgebildet. 
Fig.  34  a  stellt  einT-Rohr  mit  einigen 
kugelförmigen  Erweiterungen  (von  Wuetz  angegeben)  dar.  Fig.  346  ist 
die  LiNKBMANN'sche  Fractionir- Vorrichtung,  bei  welcher  in  dem  T-Rohr 
eine  Reihe  von  Näpfchen  aus  Platindrathnetz  befestigt  sind;  in  diesen 
Näpfchen  condensirt  sich  der  schwerer  flüchtige  Antheil,  und  die  nach- 
folgenden Dämpfe  werden  nun,  indem  sie  die  condensirte  Flüssig- 
keit durchstreichen  müssen,  gewissermassen  gewaschen.  Fig.  34c  giebt 
eine  sehr  einfetche  von  Hempel  angegebene  Vorrichtung  wieder,  welche 
sich  namentlich  für  niedrig  siedende  Flüssigkeiten  vortrefflich  eignet;  sie 
besteht   aus   einem   gewöhnlichen   Glasrohr,   welches   unten   etwas   ver- 


Flg.  34.    FractIonir-AafUltse  nach 

WURTZ  LINKKMA2IN  HmfPBL- 


DesiiUation  mit  Wasserdampf. 


engert   ist,    mit  Qlasscherben    angefüllt    wird    und   oben  ein  T-Rohr 
tjäfct^ 

Um  im  tu ftver dünnten  Raum  frac- 
tionirte    Destillationen    ausführen    zu 
können,  ohne  genöthigt  zu  sein  bei  dem 
Wechsel  der  Vorlage  jedesmal  das  Va- 
cuum   aufheben  zu  müssen,  dient  der 
Apparat  Fig.  35*.    In  einem  starkwan- 
digen   GlasgefUss  Ä   befindet   sich   ein 
Halter   mit   mehreren   Reagensgläsem, 
welcher   an    dem    in    dem   Kautschuk- 
stopfen  a  drehbaren  Giasstab  h  mittelst 
Bayonnettverschluss      angehängt      ist  \ 
durch  Drehung  des   ßlasstabs  b  kann 
eines  der  Beagensgläser  nach  dem  an- 
deren unter  die  Oefihung  des  Abfluss- 
rohrs e  geschoben  werden,  aus  welchem 
das  Destillat  hemntertropft. 
sser  nicht   mischbare   Substanzen,    welche    für 
flüchtig  sind  oder  erst  bei  hohen  Temperaturen 
sich,  wenn  man  ihre  Mischung  mit  Wasser  er- 
:leich  mit  den  sich  entbindenden  Wasserdämpfen, 
beruht  die  Destillation   im   Wasserdampf- 
)eration,  welche  besonders  häufig  in  der  orga- 
ligung   von  Substanzen  und  zur  Trennung  von 
wendet   wird.      In   einem   Blechkessel  a   bringt 
;   der  Kessel  trägt  einen  doppelt  durchbohrten 
hrungen  ein  längeres  bis  zum  Boden  reichendes 
t  unter  dem  Korken  endigendes  Knierohr  c  zur 
mpfe    geht.      Durch   letzteres   leitet   man   nun 
om  auf  den  Boden  des  gleichfalls  mit  doppelt 
ihenen  Rundkolhens  d,   in   welchem  sich  die  zu 
findet.    Der  Dampfstrom  durchstreicht  das  Ge- 
itigen  Antheil  in  das  innere  Bohr  des  Kühlers  e. 
in   auch  den  Inhalt  des  Kolbens  d,   wenn  sich 
tammelt,  noch  direct  erwärmen.  —  Zuweilen  — 
iibstanzen  —  ist  es  nothwendig,  die  Destillation 
fstrom  auszuführen.     Dann   schaltet  man  zwi- 
und   den  Destillationskolben   ein  spiralförmiges 
Zdjcke)  ein,  in  welchem  der  Dampf  durch  eine 
1   brennende  Flamme  über  löO"  erhitzt  werden 


t  der  TenchiedeDen  ÄulsSte6  Tgl.  Kbbis,  Ann.  234,  2i 
1535.  —  BbOhl,  Ber.  21,  3389. 


JVwmunff  von  Ftiissigkeüen. 


kann.  In  diesem  Falle  darf  sich  natürlich  im  Destillationskalben  kein 
Wasser  befinden.  Auch  erhitzt  man  denselben  zuweilen  noch  im  Oelbad, 
wenn  man  es  mit  Substanzen  zu  thtin  hat,   die  sehr  schwer  Übergehen. 


ilg.  SC    DcaUlUllOD  mll  Wuscidsmpr. 

zogen  hat.    Man  bedient  sich  in  solchen  Fällen  eines  Scheidetrit^ters 

(Fig.  38),    dessen  Ablaufrohr  mit   einem   Hahn   versehen   ist;    nachdem 

sich  in  der  Engel  desselben  die 

beiden   Flüssigkeiten    in    zwei 

scharf  von  einander  geschiedene 

Schichten  gelagert  haben,  öffnet 

man  den  Hahn  und  lässt  die 

untere  Schicht  ablaufen,  schliesst 

darauf  den  Hahn  wieder   und 

giesat  nun   die  obere  Schicht 

durch  den  Hals  des  Trichters  in 

ein  anderes  Gefäss  ab.  —  Hat 

man  es  mit  kleinen  Quantitäten 

—  wie  z.  B.  bei  Reagensglasversuchen  —  zu  thun,  so  ist  die  Anwendung 

von  C&pillarpipetten  sehr  zu  empfehlen  {Fig.  39);  über  dieselben  wird 

das  eine  Ende  eines  engen  Gammischlauchs  gezogen,  dessen  anderes  Ende 

•lerExperimentator  im  Munde  hält.  Man  bringt  nun  die  capiltar  ausgezogene 


108 


MÜraiion. 


Ftg.  39.    Trennimg  iweler 
Fin»l«kelt»^blchtan 
dorch  CapUlupipMU. 


Spitze  unmittelbar  über  die  Trennungsfläche  der  beiden  Schichten,  saugt 
die  obere  Schicht  in  der  Pipette  auf,  kneift  dann  den  Gummiachlanch 
fest  zu,  zieht  die  gefüllte  Pipette  her- 
aus und  lässt  ihren  Inhalt  in  ein  an- 
deres Glas  auslaufen. 

Um  feste  Körper  von  Flüssig- 
keiten zu  trennen,  bedient  man  sich 
bekanntlich  der  Filtration.     Ausser 
der  gewöhnlichen  Filtration  durch  glatte 
Filt«r  oder  durch  Falt«nfilter  wendet 
man   sehr  häufig  zur  Beschleunigung 
der  Operation  die  von  BüifBEN>  einge- 
führte Filtration   unter  Druck  an. 
In  einer  Saugäascbe  a  (Fig.  40),  welche 
,  durch  das  seitliche  Eohr  b  und  einen 
sehr  starkwandigen  Gummiscblanch  mit 
einer  Wasser  Luftpumpe  (vgl,  S.  109)  in 
Verbindung  gesetzt  wird,  erzeugt  man 
einen  luftverdUnnten  Eaum  und   bewirkt  dadurch  ein  rascheres  Durch- 
laufen der  auf  den  Trichter  aufgegossenen  Flüssigkeit.   In  diesen  Trichter 
kann  man  ein  gewöhnliches  glattes  Filter  einsetzen, 
muss  dann  aber  die  in  das  Ablaufrohr  hineinragende 
Spitze  desselben,    welche  leicht  durch   den  Druck 
zerrissen  werden  könnt«,  schützen,   indem  man  das 
Filter  in  einen  kleinen  mit  einigen  feinen  Löcbem 
versebenen    „Conus"   o    aus   Platin- 
blech oder  aus  Pergamentpapier  ein- 
setzt.  Für  präparative  Arbeiten  aber 
ist  die  Anwendung  von  Siebplatten' 
mit  abgeschrägten  Rändern  aus  Por- 
zellan (Fig.  41)  zweckmässiger,  weil 
sie     eine    grössere    Filtrationsfläche 
bieten  und  daher  noch  schnellere  Fil- 
tration gestatten;   diese  Siebplatten, 
welche  man   in   den   verschiedensten 
Grössen  anwenden  kann,  werden  hori- 
""'l.iMw.^'''^     zontal   in    den   Trichter   gelegt   und 
dann  mit  zwei  kreisrunden  Scheiben 
Filtrirpapier  belegt,  von  denen  die  untere  ebenso  gross  wie  die  Platt« 
ist,   die  obere  einen  etwa  4  mm  grösseren  Durchmesser  besitzt.     Man 
befeuchtet    nun    die    Filterscbeiben    mit    einigen   Tropfen    Wasser   und 
lässt   die   Pumpe   wirken;    die   Scheiben    werden  fest  an  die  Siebplatte 


uter  in  einen 

T 


■  AnD.  148,  276. 


'  0.  N.  Witt,  Bot.  18,  918. 


Flg.  12.   Pomllu- 
trlehWr  mit 
aiabpliU«. 


Filtraiiim. 


und  die  Filtration  kann  beginnen.  Anch  die  Anwendung 
der  von  E.  Hibbch  '  und  Büchner  '  angegebenen  Porzellantrichter,  welche 
eine  solche  Siebplatte  in  fester  Verbindung 
mit  dem  Trichter  enthalten,  ist  empfehlens- 
werth;  Fig.  42  giebt  eine  sehr  zweckmässige 
Form  derselben  wieder.  —  Hat  man  kleine 
Quantitäten  in  dieser  Weise  zu  filtriren,  so 
ist  es  oft  zur  Vermeidung  von  Verlusten 
wün  Sehens werth ,  das  Filtrat  nicht  in  die 
verhältnissmässig  zu  geräumige  Saugäasche 
äiessen  zu  lassen;  mau  setzt  dann  in  der 
durch  Fig.  43  erläuterten  Weise  ein  Reagens- 
glas  ein,  in  welchem  sich  das  Filtrat  an- 
sammelt. —  Zur  Erzeugung  der  für  diese 
Filtrationen  erforderlichen  Druckverringe- 
rung bedient  man  sich  meist  der  in  Fig.  44  abgebildeten  gläsernen 
Wasserstrahlluftpumpen,  welche  mittelst  eines  mit  zwei  Draht- 
ligatnren  versehenen  Kautschukschlauches  b 
an  jeden  beliebigen  Hahn  a  der  Wasser- 
leitung angebracht  werden  können.  Der 
oßter  Druck  in  das  Rohr  c  einströmende 
und  durch  das  Bohr  d  wieder  abtliessende 
Wasserstrahl  reisst  durch  das  sich  unten  zu 
einer  feinen  Spitze  verengende  Rohr  e  Luft 
mit  sich,  welche  er  dem  Apparate  entnimmt, 
der  mit  dem  Röhrchen  f  durch  einen  stark- 
waadigen  Schlauch  in  Verbindung  gesetzt 
wird.  Innerhalb  sehr  kurzer  Zeit  kann  da- 
durch in  dem  mit  der  Pumpe  verbundenen 
Apparat  eine  betiilchtltche  Druckvermin- 
denmg  [bis  ca.  15  mm  Quecksilberdruck] 
erreicht  werden.  Damit  bei  etwaigen  Druck- 
fichwaoknngen  in  der  Leitung  oder  bei  Ver- 
ringerung des  Wasserzullusses  nicht  ein 
Znrficksaugen  des  Wassers  in  den  eva- 
cnirten  Apparat  eintreten  kann,  ist  an  das 
Röhrchen  f  ein  EnöKio'sches  Sicherheits- 
ventil g  angebracht.  Letzteres  besteht  aus 
einem  unten  durch  ein  Glasstäbeben  ver- 
schlossenen StückcheD  Eautschnkschlanch, 
in  welchen  mit  einem  scharfen  Messer  ein  Schlitz  eingeschnitten  ist. 
Dieser  Schlitz  kann  sich  nach  aussen  öBaen  nnd  gestattet  daher  das 


-d 


Flf,  U.    Wunnlnhl-Liinpiimpe. 


'  Chem.-Ztg.  1888,  340. 


»  ebenda,  1277, 


110 


Exiraction. 


Fig.  46.    Filtrlrrahmen. 


Heraussaugen  von  Luft  durch  den  Wasserstrahl;  bei  jedem  nach  innen 
wirkenden  Druck  aber  schliesst  er  sich  fest,  und  das  etwa  zurücksteigende 
Wasser  findet  demnach  durch  ihn  keinen  Durchtritt. 

Hat  man  grössere  Quantitäten 
zu  filtriren,  so  wendet  man  zweck- 
mässig, wenn  der  Niederschlag  nicht 
zu  fein  ist,  Tuchfilter  an.  Man 
spannt  ein  vorher  benetztes  vier- 
eckiges Stück  unappretirten  Baum- 
wollenzeugs auf  einen  aus  vier  Lei- 
sten bestehenden  Filtrirrahmen 
(Fig.  45)  nicht  zu  straff  aus^  legt  den 
Bahmen  auf  eine  tiefe  Schale  und 
giesst  nun  die  zu  filtrirende  Flüssig- 
keit auf  das  Tuch;  die  Filtration  verläuft  in  der  Begel  sehr  rasch. 
Nach  ihrer  Beendigung  und  nach  dem  Auswaschen  des  Niederschlags 

kann  man  aus  letzterem,  nachdem  man  ihn  all- 
seitig mit  dem  Filtrirtuch  umhüllt  hat,  durch 
Auspressen  mit  der  Hand  oder  einer  Schrauben- 
presse die  anhaftende  Flüssigkeit  grösstentheils 
entfernen.  Ist  die  Menge  des  Niederschlags  sehr 
bedeutend,  so  ist  es  vortheilhaft,  dem  Tuchfilter 
die  Form  eines  Spitzbeutels  zu  geben. 

DieTrennung  festerKörper  von  einander 
gründet  sich  meistens  auf  ihre  verschiedene  Lös- 
lichkeit. Man  behandelt  das  Gemisch  mit  einem 
Lösungsmittel,  welches  einen  Bestandtheil  reichlich 
auflöst,   während  es   die  anderen   gar  nicht  oder 

nur  in  geringer  Menge  auf- 


Ä 


1 


y 


:-  a 


nimmt.  Für  diesen  Zweck 
ist  eine  grosse  Zahl  von  Ex- 
traction sapparaten  an- 
gegeben worden;  sehr  gute 
Dienste  leistet  der  in  Fig.  46 
abgebildete  Apparat.  Das 
Eölbchen  a  enthält  das  Lö- 
sungsmittel; auf  dasselbe  ist 
der  weite  Glasmantel  h  auf- 
gesetzt, welcher  den  Kühler 
c  trägt  und  den  Glaseinsatz  d 
enthält;  letzterer  ist  in  Fig. 
466  noch  besonders  gezeich- 
net. Er  besteht  aus  einem  weiteren  Glasrohr,  in  welches  man  die  zu 
extrahirende  Substanz,  von  einer  mit  einigen  Fäden  zusammengehaltenen 


Fig.  46  a. 

Extractions- 

Appant. 


Fig.  46  h. 


Fig.  46  c. 


KrystaÜisation.  111 


und  unten  zugekniffenen  Rolle  Filtrirpapier  umbilUt,  hineinbringt;  an 
dieses  weitere  (rlasrohr  schliesst  sich  ein  in  der  aus  der  Figur  ersicht- 
lichen  Weise  gebogenes  Capillarrohr.  Der  Apparat  functionirt  nun  in  fol- 
gender Weise:  Bringt  man  die  im  Kölbcben  a  befindliche  Flüssigkeit  zun 
Sieden,  so  steigen  die  Dämpfe  durch  den  Glasmantel  b  in  den  Kuhler 
und  condensiren  sich  dort;  die  condensirte  Flüssigkeit  tropft  in  den  Glae- 
einsatz  d,  wird  durch  die  umgebenden  Dämpfe  nahezu  auf  der  Siedetem- 
peratur erhalten  und  bewirkt  den  Lösungsprocess ;  hat  sich  soviel  Lösang 
angesammelt,  dass  ihr  Niveau  den  obersten  Punkt  des  Capillarrohrs  von  d 
zu  übersteigen  beginnt,  so  wirkt  letzteres  als  Heber,  und  die  Lösung 
fliesst  dnrch  dasselbe  aus  dem  Glaseinsatz  in  das  Kölbcben  ab.  Der 
nunmehr  entleerte  Glaseinsatz  d  beginnt  sich  sofort  wieder  zu  ftÜlen,  es 
beginnt  ein  neuer  Lösungsprocess  und  dauert  an,  bis  die  Lösung  wieder 
das  Niveau  erreicht  hat,  bei  welchem  sie  abgehebert  wird;  dann  folgt 
ein  dritter  Lösungsprocess  u.  s.  w.  —  Als  Kühler  könnte  man  ein 
LiEBio'sches  Euhlrobr  anwenden;  da  der  Apparat  aber  dann  durch  seine 
Höhe  unhandlich  wurde,  benutzt  man  besser  einen  Soxhlet' sehen  Kugel- 
kohler  aus  Metall,  dessen  Construction  aus  dem  durch  Fig.  46c  dar- 
gestellten Durchschnitt  ersichtlich  ist;  durch  das  Böhrchen  a  wird  Kühl- 
wasser in  den  inneren  Raum  c  geleitet,  durch  b  fliesst  es  ab;  die  Dämpfe 
gelangen  in  den  Hohlraum  d  und  condeusiren  sich  dort,  indem  sie  von 
innen  durch  das  Wasser,  von  aussen  durch  die  Luft  gekühlt  werden. 

Die   Reinigung    fester   Substanzen  geschieht,   wenn  es  angeht, 
dorch  Krystallisation;  man  löst  die  zu  reinigende  Substanz  in  einem 
geeigneten  Lösungsmittel  auf,  filtrirt  von  etwa  ungelöst  gebUebenen  An- 
theilen  und  Uberlässt  die  Lösung  der  Krystalliaation.     Bei  dieser  Gelegen- 
heit hat  man  oft  heisse  Lösungen  zu  filtriren,  welche  schon  bei  geringer 
Abkühlung  Kristalle  absetzen  und    daher    während   der  Filtration  heisa 
erhalten    werden   müssen,    damit   nicht    das  Filter  und  das  Ablaufrohr 
des  Trichters  sich  verstopfen,  und  die  weitere  Filtration  dadurch  gehindert 
wird.     Bei  kleineren  Mengen  kann  man  dies  meist  verhüten,  wenn  man 
Trichter  anwendet,  deren  Ablaufrohr  abgeschnitten  (Fig.  47) 
ist,   diese  Trichter  vor  dem  Aufgiessen  der  Flüssigkeit 
über  einer  Flamme  etwas  anwärmt  und  dnrch  Benutzung 
eines  Faltenfilters  aus  sehr  durchlässigem  Papier  für  mög- 
lichst rasche  Filtration  sorgt.    Für  grössere  Mengen  be- 
dient  man  sich  der  Heisslufttrichter  oder  Heiss- 
wassertrichter,  in  welchen  der  Trichter  dauernd  wäh- 
rend der  Filtration  warm  erhalten  wird.  Fig.  47. 

Die  Krjatallisation  aus  der  Lösung  wird  entweder        Triv-hter  mit 
durch  Abkühlung  oder  durch  Verdunstung  hervor- 
gerufen.   Ersteres  Ver&hren  —  das  bei  weitem  bequemere  —  kann  an- 
gewendet werden,  wenn  die  Löslichkeitsdifferenz  im  heissen  und  kalten 
Lösungsmittel  beträchtlich  ist;   hei   seiner  Ausftlhrung  ist  vor  Allem  zu 


112  JG-ystalHaatimi. 

beachten,  dass  die  erkaltende  Lösung  vor  Erschütterungen  geschützt  wird, 
welche  die  Erystallisatioa  stören  und  die  Ausbildung  guter  Erystalle  ver- 
hindern würden.  Bedeckt  man,  wie  es  sehr  hänfig  geschieht,  eine  in 
einem  Becherglase  erkaltende  LOsung  zur  Verhütung  des  HineinlallenB  von 
Staub  derart  mit  einem  Uhrglas,  daas  seine  Wölbung  nach  unten  kommt, 
so  sind  solche  Störungen  unvermeidlich;  denn  die  aus  der  heissen  Lösung 
aufsteigenden  Dämpfe  werden  an  dem  kalten  Uhrglase  condensirt,  es 
sammelt  sich  an  seiner  tiefeten  Stelle  ein  FlUssigkeitstropfen  an,  und 
dieser  fällt,  wenn  er  eine  gewisse  Grösse  erreicht  hat,  in  die  Lösung 
hinab  und  stört  dadurch  die  Erystallisation.  Um  dies  zu  verhüten,  legt 
man  zweckmässig  eine  Scheibe  Filtrirpapier  unter  das  aufzudeckende 
Uhrglas,  oder  man  legt  letzteres  in  der  Weise  auf,  dass  seine  hohle 
Seite  nach  unten  kommt;  dann  ßiesst  die  an  ihm  condensirte  Flüssigkeit 
continuirlich  an  den  Wandungen  des  Becberglases  hinab,  ohne  Er- 
Schütterungen  der  Flüssigkeit  zu  venursachen. 

Die  Erystallisation  durch  Verdunstung  wird  entweder  ausge- 
führt, indem  man  die  Lösung  in  einem  offen  stehenden  Sachen,  nur  mit 
Fliesapapier  bedeckten  Gefässe 
der  freiwilligen  Verdunstung 
überlässt,  oder  indem  man  sie 
unter  einer  Glocke  bei  Gegen- 
wart eines  Mittels,  welches  das 
Lösungsmittel  absorbirt,  vor  sich 
gehen  lässt  Zu  letzterem  Zwecke 
dienen  die  Glocken-Exsicca- 
toren  (Fig.  48),  welche  ans  einer 
abgeschliffenen  Glasplatte  a  und 
einer  darauf  passenden  stark* 
wandigen  Glasglocke  b  mit  ab- 
geschliffenem Kande  bestehen; 
beide  Theile  werden  mit  etwas 
Fett  an  einander  gedichtet.  Unter 
ng.  48.  Giocken-Eiriator.  ^^^  Qlocke  setzt  man  eine  Schale 

mit  concentrirter  Schwefelsäure, 
welche  flir  die  beiden  gebräuchlichsten  Lösungsmittel  —  Wasser  und 
Alkohol  —  bekanntlich  ein  grosses  Absorptionsvermögen  besitzt,  darüber 
auf  geeigneter  Unterlage  das  GefS.ss,  welches  die  zu  verdunstende  Lösung 
enthält.  Um  den  Verdunstungsprocess  beschleunigen  zu  können,  hat  man 
die  Möglichkeit,  vermittelst  des  Glashahns  c  die  Glocke  durch  eine 
Wasserluftpumpe  zu  evacuiren  und  demnach  die  Verdunstung  im  luft- 
verdünnten  Raum  vor  sich  gehen  zu  lassen. 

Nachdem  die  Substanz  sich  krystaliisirt  aus  der  Lösung  abgeschieden 
hat,  wird  sie  durch  Filtration  von  der  Mutterlauge  getrennt,  mit  reinem 
Lösungsmittel  nachgewaschen  und  muss  nun  getrocknet  werden.     Man 


TStKkena^Ktrate.  IIS 

schafft  zunächst  die  Hauptmenge  der  anhatlenden  Feuchtigkeit  durch 
Abpressen    zwischen   Fliesspapier   oder   durch  Aufstreichen    auf  poröse 
Platten  aus  gebranntem  Tbon,  welche  ein  grosses  Aufsaugungsvermögen 
ftlr  Flüssigkeiten  besitzen,  fort.     Den  Kest  beseitigt  man  am  einfachsten 
durch    Erwärmen    auf   eine   Temperatur,    welche    den   Siedepunkt    des 
Lösnngsmittels  um  5 — 10"  übersteigt.     Man  kann  diese  Trockenoperation 
in  einem  kupfernen  Luftb&de  (Fig.  49}  vornehmen,  welches  durch  eine 
Grasflamme  geheizt  wird;  an  einem  in  das  Innere  des  Kastens  hineinragen- 
den Thermometer  liest  man  die  Temperatur  ab  und  reguUrt  die  Heizflamme 
derart,  daas  eich  die  gewüna( 
Temperatur  constant  erhält, 
solches    Luftbad   erfordert  t 
dauernde  Beau&ichtigung,  w 

man   dasselbe    nicht   mit    ei  i 

automatisch  wirkenden  Begi 
vorrichtung(Thennoregulal  *■'«■  '**■ 


versieht.  Dieser  Controlle  ist  man  Überhoben  bei  Anwendung  der  in  Fig.  50 
abgebildeten  doppelwandigen  Trockenapparate'  aus  Kupfer;  in  den 
Zwischenraum  zwischen  den  beiden  Wandungen  (vgl.  den  Durchschnitt 
in  Fig.  506)  bringt  man  einige  Cubiccentimeter  einer  constant  siedenden 
Flüssigkeit,  welche  durch  ein  kleines  Flämmchen  in  so  starkem  Sieden 
erhalten  wird,  dass  sich  die  Dämpfe  in  einer  Höhe  von  mehreren  Centi- 
metem  im  Glasrohr  a  condensiren.  Durch  das  die  Doppelwandung 
durchsetzende  Röhrchen  b  und  die  durch  einen  Schieber  verschliessbare 
Oeffhung  c  im  Deckel  wird  ein  aufsteigender  Luftstrom  unterhalten. 
Die  Temperatur  im  lunenraum  beträgt  bei  Anwendung  von  Wasser:  97°, 
Tolnol:  107",  Xylol:  136»,  Anisol:   150»,  Theer-Cumol:  Itil— 162". 

'  V.  Mevbk,  Ber.  18,  2909;  19,  419. 
V.  Mrxk  n.  jAuOMoa,  arg.  Chun.   1  9 


114  Sckmelxpunktbeslintmuvg. 

Substanzen,  welche  das  Erhitzen  auf  höhere  Temperatur  nicht  ver- 
tragen,   trocknet  man  bei  gewöhnlicher  Temperatur  im  Exsiccator  Aber 
einem  Trockenmittel,  welches  für  das  betreffende  Lösungsmittel  Absorp- 
""' ■  '    ■'    '     litzt.      Man    kann    die    Wirkung   des   letzteren    durcb 
äccators  beschleunigen;  Fig.  51  giebt  eine  zweckmässige 
;uum-ExBiccatoren  wieder,  welche  stets  sehr  starke 
esitzen  müssen,   damit   sie   nicht   durch   den    äasseren 
nmert  werden.     Vor  dem   Oeffnen  dieser  Exsiccatoreo 
Pacuum  wieder  aufzuheben,  indem  man  durch  das  mit 
le  Kohr  a  allmählich  Luft  einströmen  lässt.    Verföhrt 
irsichtig,  so  könnte  durch  die  mit  Gewalt  eintretende 
z  verstäubt  werden.    Um  dies  zu  verhüten,    ist  auch 
des  Rohres  a  in   der  aus   Fig.  51  (vgl.  auch  Fig.  48) 
e  derart  gebogen,  dass  der  eintretende  Luftstrahl  nicht 
iccator  liegende  Substanz  treffen  kann. 


rstehenden  beschriebenen  Operationen,  welche  besonder» 
ativen  Arbeiten  auszuführen  sind,  sei  die  Besprechung 
fachen  physikalischen  Üntersuchungamethoden 
Iche  der  Chemiker  zur  Charakterisirung  von  organischen 
izuwenden  hat, 

rer  Wichtigkeit  ist  die  Bestimmung  des  Schmelz- 
e  wird  nicht  nur  angestellt,  um  neue  Verbindungen 
aliscbe  Constante  zu  charakterisiren,  sondern  besonders 
Dontrolle  der  Reinheit  von  Präparaten.  Der  Schmelz- 
tanz wird  nämlich  schon  durch  die  Anwesenheit  sehr 
einer  Verunreinigung  meist  erheblich  herabgedrückt; 
bstanzen  geben  sich  femer  meist  dadurch  zu  erkennen, 
f '  schmelzen,  d.  h.  dass  zwischen  dem  Punkt,  bei  dem 
beginnen,  und  dem  Punkt,  bei  welchem  sie  vollkommen 
,  ein  Intervall  von  mehreren  Graden  liegt.  FVeilicb 
Substanzen ,  welche  auch  in  reinem  Zustand  keinen 
Izpunkt  zeigen,  weil  sie  sich  vor  oder  bei  dem  Schmelzen 
iie  meisten  organischen  Verbindungen  besitzen  einen 
Schmelzpunkt  und  können  daher  durcb  Bestimmung 
re  Reinheit  geprüft  werden.  Insbesondere  ist  es  ein 
die  Reinheit  eines  Präparats,  dass  der  Schmelzpunkt 
Krystallisation  nicht  geändert  wird.  Die  Schmelzpunkts- 
ät ferner  ein  Mittel,  um  rasch  zu  erkennen,  ob  ein 
rodnkt  etwa  mit  einer  auf  anderem  Wege  gewonnenen 
Substanz  identisch  sein  kann. 

mnng,  welche  bei  organisch-chemischen  Arbeiten  sonacJi 
liches  Hülfsmittel  ist,  läset  sich  mit  ganz  winzigen  Sub- 
Uhren.    Man  bringt  die  fein  gepulverte  Substanz  in  ein 


SckmelzpunktsbesHinmung. 


115 


dünnwandiges,  an  einem  Ende  zugeschmoizenes  Gapillarröhrchen  und 
stopft  sie  darin  fest,  so  dass  sich  am  geschlossenen  Ende  eine  2 — 3  mm 
hohe  Schicht  des  Pulvers  findet;  das  Gapillarröhrchen  wird  an  einem 
Thermometer  derart  befestigt,  dass  sich  die  Substanz  dicht  an  der 
Kugel  des  Thermometers  befindet.  Das  Thermometer  ist  durch  einen 
einfach  durchbohrten  Kork,  der  ausserdem  noch  mit  einer  Oeffnung  zum 
Entweichen  der  Luft  versehen  ist,  in  den  Hals  des  Glasgefässes  a  (Fig.  52) 
gesteckt,  dessen  Kugel  mit  concentrirter  Schwefelsäure  zu  etwa  zwei 
Drittel  angefüllt  ist.  Man  erhitzt  nun  die  Schwefelsäure  ganz  allmählich 
und  beobachtet  zugleich  den  Stand  des  Thermometers  und  das  Verhalten 
der  Substanz  im  Gapillarröhrchen.  —  Zur  Be- 
festigung des  Röhrchens  am  Thermometer  bedient 
man  sich  eines  sehr  feinen  Platindrahtes;  sind  die 
Rohrchen  dünnwandig  genug,  so  haften  sie  auch 
ohne  jede  Ligatur  nach  Benetzung 
mit  einem  Tropfen  Schwefelsäure 
fest  genug  am  Thermometer.  Die 
in  der  Kugel  befindliche  Schwefel- 
säure lärbt  sich  durch  das  Hinein- 
fallen von  Staub  nach  einiger  Zeit 
so  dunkel,  dass  eine  genaue  Beob- 
achtung nicht  mehr  möglich  ist; 
um  sie  länger  brauchbar  zu  er- 
halten, kann  man  ihr  ein  Körn- 
chen Salpeter  zusetzen.  —  Für 
Verbindungen,  welche  oberhalb 
250^  schmelzen,  ersetzt  man  das 
Schwefelsäurebad  durch  ein  Pa- 
raffinbad; man  bedient  sich  dann  Cli^B— -fl^ 
statt  des  in  Fig.  52  abgebildeten 
Schmelzpunktskolbens  besser  eines 
kleinen  Becherglases  in  der  durch 
Fig.    53    erläuterten    Weise;    in 

diesem  Falle  kann  man  durch  Anwendung  eines  Rührers  a,  der  aus 
einem  Glasstab  gefertigt  wird,  flir  gleichmässige  Temperaturvertheilung 
des  Bades  sorgen,  oder  man  hängt  das  Thermometer  derart  auf,  dass 
man  dieses  selbst  als  Rührer  benutzen  kann. 

Diese  äusserst  bequeme  und  in  wenigen  Minuten  ausfuhrbare  Methode 
ist  keineswegs  besonders  exact^,  —  schon  deshalb  nicht,  weil  die  Gor- 
rectur,  welche  wegen  des  aus  dem  Erhitzungsbade  herausragenden  und 
eine  niedrigere  Temperatur  besitzenden  Quecksilberfadens  eigentlich  noth- 
wendig   wäre,   unberücksichtigt   bleibt.     Es  wäre  daher  ganz  zwecklos. 


Fig.  62. 

Schmelzpunkts- 

Kolbea. 


Fig.  öS.    Schmelzpunkts- 

BeatimiuuDg  im  Paraflin- 

bade. 


*  Vgl.  Lahdolt,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  4,  349.  —  Keisseut,  Ber.  23,  2239. 

8* 


116 


Siedepimktsbesiimmung, 


bei  Anwendung  dieses  Verfahrens  eine  höhere  Genauigkeit  als  etwa  auf 
halbe  Grade  erzielen  zu  wollen.  Bei  gleichartiger  Ausführung  liefert 
dasselbe  aber  Resultate,  welche  für  die  Zwecke  des  Chemikers  eine  voll- 
kommen ausreichende  Uebereinstimmung  zeigen.  Fast  alle  Schmelz- 
punktsangaben der  chemischen  Literatur  gründen  sich  auf  Bestimmungen 
nach  dem  beschriebenen  Verfahren. 

Erwähnt  sei  femer  die  Bestimmung  des  Schmelzpunkts  im  Queck- 
silberbade; man  legt  die  Krystalle  oder  das  Pulver  des  zu  untersuchen- 
den Körpers  einfach  auf  das  allmählich  zu  erwärmende  Quecksilber, 
dessen  Temperatur  gleichzeitig  an  einem  Thermometer  abgelesen  wird, 
und  bedeckt  sie  mit  einem  aus  dünnem  Glas  geblasenen  Trichterchen,  um 
den  Luftwechsel  und  die  Abkühlung  von  aussen  zu  verhüten.  Für  sehr 
hohe  dem  Siedepunkt  des  Quecksilbers  nahe  liegende  oder  denselben 
übersteigende  Temperaturen  ersetzt  man  das  Quecksilber  durch  die 
WooD'sche  Legirung;  die  Anwendung  der  letzteren  leistet  namentlich 
dann  oft  gute  Dienste,  wenn  es  sich  darum  handelt,  die  Identität  oder 
Nichtidentität  zweier  auf  verschiedenen  Wegen  gewonnenen  Substanzen 
von  sehr  hohem  Schmelzpunkt  zu  entscheiden.  Man  legt  die  beiden 
Proben  auf  das  geschmolzene  Metallbad,  erhitzt  langsam  (ohne  Thermo- 
meter) und  beobachtet,  ob  sie  zu  gleicher  Zeit  schmelzen. 

Die  Bestimmung  des  Siedepunkts  geschieht  in  Siedekölbchen 
(Fig.  54),  bei  denen  das  Ablaufrohr  —  für  leicht  erstarrende  Substanzen 

möglichst  weit,  wie  in 
Fig.  545,  zu  wählen 
—  so  hoch  angebracht 
ist,  dass  der  Quecksil- 
berfaden des  Thermo- 
meters in  seiner  ganzen 
Länge  sich  im  Damdfe 
befinden  kann ,  ohne 
dass  das  Thermometer 
in  die  siedende  Flüssig- 
keit eintaucht,  um 
dies  auch  bei  hoch  siedenden  Flüssigkeiten  zu  ermöglichen,  bedient  man 
sich  solcher  Thermometer,  deren  Scala  erst  bei  100^  bezw.  200®  beginnt. 
Hat  man  solche  Thermometer  nicht  zur  Verfügung,  so  muss  man  dem 
beobachteten  Siedepunkte  eine  der  Ausdehnung  des  ausserhalb  der 
Dämpfe  befindlichen  Quecksilberfadens  entsprechende  Correctur  zufügen. 
Man  berechnet  die  Grösse  derselben  gewöhnlich  aus  der  Länge  N  des 
herausragenden  Quecksilberfadens  (in  Graden  gemessen)  und  seiner  mit 
einem  zweiten,  in  der  Mitte  des  herausragenden  Fadens  angelegten 
Thermometer  zu  messenden  mittleren  Temperatur  /.  Ist  T  der  beob- 
achtete Siedepunkt,  so  ist  der  zu  addirende  Betrag: 

N{T^t)0'00015A; 


Fig.  51.    Kölbchen  eur  Sledepunkts-Bestiiiimttng. 


Thermometerconiroüe, 


117 


denn  0*000 154  ist  der  scheinbare  Ausdehnungscoefficient  des  Queck- 
silbers im  Glaset 

Zweckmässiger  ist  es  indessen,  unmittelbar  nach  Beendigung  des 
Versuchs  aus  demselben  Eölbchen  unter  Benutzung  desselben  und  ebenso 
tief  hineingesteckten  Thermometers  eine  Substanz  zu  destilliren,  deren 
Siedepunkt  genau  bekannt  ist  und  dem  Siedepunkt  der  vorher  unter- 
suchten Substanz  nahe  liegt.  Man  beobachtet  dadurch  direct  die  Differenz, 
um  welche  unter  den  gewählten  Yersuchsbedingungen  der  abgelesene 
Siedepunkt  hinter  dem  wirklichen  Siedepunkt  zurückbleibt,  und  eliminirt 
gleichzeitig  die  etwaigen  Fehler  des  Thermometers. 

Die  käuflichen  Thermometer  sind  fast  niemals  genau;  man  muss 
daher,  bevor  man  sie  zu  Bestimmungen  des  Schmelzpunkts  und  Siede- 
punkts anwendet,  ihre  Fehler  kennen  lernen.  Zu  diesem  Zwecke  kann 
man  sie  mit  einem  Normalthermometer  vergleichen,  indem  man  letzteres 
mit  dem  zu  prüfenden  Thermometer  zusammen  in  einem  Bade  von 
gleichmässiger  Temperatur  langsam  erhitzt  und  eine  Tabelle  über  die 
Abweichungen  entwirft.  Für  die  meisten  Zwecke  genügt  es  auch,  wenn 
man  die  Abweichungen  seines  Thermometers  nur  an  einigen  Punkten 
constatirt;  als  solche  kann  man  z.  B.  den  Schmelzpunkt  des  Eises  (0^, 
den  Siedepunkt  des  Wassers  (100^  bei  760  mm),  des  Naphtalins  (218-1  <*) 
und  des  Benzophenons  (306.1^  benutzen.  Die  den  Druckänderungen 
entsprechenden  Siedepunktsänderungen  dieser  leicht  rein  zu  beschaffenden 
Substanzen  ergeben  sich  aus  der  folgenden  Tabelle. 


Tabelle  Nr.  1. 


Wasser. 

Naphtalin. 

Benzo- 
phenon. 

720  mm: 

98*5 

215.7 

303*5 

725     „ 

98-7 

2160 

303. 8 

730    „ 

98-9 

216.3 

304. 2 

735    „ 

99-1 

216.6 

304. 5 

740    „ 

99*3 

216. 9 

304*8 

745     „ 

99*4 

217-2 

305*  2 

750     „ 

99-6 

217-5 

305-5 

755     „ 

99*8 

217. 8 

305. 8 

760     „ 

100. 0 

218*1 

306.1 

765    „ 

100. 2 

218*4 

306*4 

770    „ 

100.4 

218*7 

306*7 

Da  die  Thermometer  durch  öfteren  Gebrauch  —  namentlich  in  der 
ersten  Zeit  der  Benutzung  —  ihre  Angaben  ändern,  so  ist  die  Prüfimg 
von  Zeit  zu  Zeit  zu  wiederholen*. 


>  Vgl.  hienm:  Rhibaoh,  Her.  22,  3072. 

*  YgL  über  den  Grebranch  des  Quecksilberthermometers  bei  Schmelzpunkts-  und 
ftedepuiikta-Beatimmungen ;  Cbafts,  Americ.  Chem.  Joum.  5,  307. 


118  Speci fische  QevrichUihesiimmung  von  Flüssigkeiten, 


Unter  den  übrigen  physikalischen  Untersuchungsmethoden,  welche 
auszuführen  der  Chemiker  in  die  Lage  kommt,  sei  noch  die  Bestim- 
mung des  specifischen  Gewichts  Ton  Flüssigkeiten  hervorgehoben. 
Sie  wird  ausgeführt,  indem  man  ein  vorher  gewogenes  Fläschchen  (Pykno- 
meter) mit  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  füllt,  durch  nochmalige 
Wägung  das  Gewicht  der  eingefüllten  Flüssigkeit  erfährt  und  nun  den 
Rauminhalt  des  Pyknometers  dadurch  ermittelt,  dass  man  dasselbe  jetzt 
bei  derselben  Temperatur  ebenso  weit  mit  Wasser  gefüllt  wägt.  Ist  das 
Gewicht  des  leeren  Pyknometers  A,  des  mit  der  zu  untersuchenden  Flüssig- 
keit gefüllten  J9,  des  mit  Wasser  gefüllten  C,  so  ist  das  specifische  Gewicht 
der  Substanz  —  bezogen  auf  Wasser  von  der  Versuchstemperatur  ^  — : 

_B-A 

Fig.  55  a  zeigt  eine  gebräuchliche  Form  der  Pyknometer;  man  füllt, 
während  der  eingeschliflfene,  von  einer  Capillarröhre  durchsetzte  Glas- 
stopfen entfernt  ist,  das  Fläschchen  bis  zum  Rande  und 
drückt  nun  wieder  den  Stopfen  auf,  wobei  sich  das  Capillar- 
röhrchen  vollständig  mit  der  Flüssigkeit  füllt,  und  von 
letzterer  noch  ein  Theil  herausgetrieben  wird.  Fig.  556 
zeigt  eine  andere  Form  der  Pyknometer,  welche  man  jeder- 
zeit selbst  vor  der  Gebläselampe  rasch  in  der  für  die  gerade 
zur  Verfügung  stehende  Menge  des  Untersuchungsobjectes 
Pyknometer.       passcndcu  Grössc  —  bis  ZU  Yj  ccm  herab —  herstellen  kann; 

man  versieht  den  Hals  an  der  verengten  Stelle  durch  einen 
Feilstrich  mit  einer  Marke  und  füllt  das  Gefäss  nun  mit  Hülfe  einer 
Capillarpipette  (s.  Fig.  45  auf  S.  12)  bis  zur  Marke  an. 

Zur  CharakterisiruDg  der  einzelnen  organischen  Verbindungen  können  nun 
natürlich  auch  alle  anderen  physikalischen  Constanten  dienen;  doch  wird  ihre  Be- 
stimmung seltener  im  chemischen  Laboratorium  ausgeführt  und  bleibt  gewöhnlich 
dem  Physiker  überlassen.  Bezüglich  der  Beschreibung  der  zu  ihrer  Bestimmung  an- 
wendbaren Methoden  muss  daher  auf  die  physikalischen  Lehrbücher  verwiesen  werden. 
Erwähnt  sei  indess  noch,  dass  die  Bestimmung  des  Lichtbrechungsver- 
mögens in  neuerer  Zeit  oft  unternommen  wird;  ein  besonders  für  chemische  Zwecke 
geeignetes  und  nur  eine  geringe  Menge  des  Untersuchungsobjects  erforderndes 
Refractometer  ist  von  Pulprich*  construirt  worden.  —  Femer  kommt  der  Chemiker 
häufiger  in  die  Lage,  das  optische  Drehungs vermögen  bei  Substanzen,  welche  die 
Erscheinung  der  Circularpolarisation  zeigen,  zu  bestimmen;  die  hierzu  dienenden 
Methoden  sind  von  Landolt'  eingehend  beschrieben. 


^  Ueber  die  Correction  der  Beobachtungen  wegen  der  Temperatur  und  die 
Keduction  der  Wägnngen  auf  den  leeren  Baum  vgl.  Kohlrausch's  Leitfaden  der 
praktischen  Physik  (6.  Aufl.,  Leipzig  1887),  p.  38—43.  —  Ueber  ein  Pyknometer  für 
genauere  Untersuchungen  vgl.  BRttnL,  Ann.  203,  4. 

•  Chem.  Centralblatt  1888,  315. 

*  Das  optische  Drehungsvermögen  organ.  Substanzen  (Braunschweig  1 879),  p.  90  ff. 


SPECIELLER  THEIL. 


ERSTES  BUCH. 


DIE  VEKBINDÜNGEN  DER  PETTREIHE. 


A.    Die  GrenzkoUenwasserstoffe  nnd  ihre  einwerthigen - 

Abkömmlinge. 


Erstes  Kapitel. 
IMe  Orenzkohlenwasserstoffe  oder  Faraffline. 

(Methanreihe  oder  Sumpfgasreihe.) 
Allgemeine  Zusammensetzung:  C„H2„^3. 


Zusammensetzung,  Nomenclatur,  Constitution. 

Es  ist  bereits  gezeigt  worden  (S.  95 — 96),  dass  die  Zusammen- 
setzung der  denkbar  wasserstoffreichsten  Kohlenwasserstoffe  in 
der  allgemeinen  Formel 

ihren  Ausdruck  finden  muss.  Man  bezeichnet  die  Kohlenwasserstoffe 
dieser  Seihe  im  Hinblick  auf  den  Umstand,  dass  in  ihnen  die  Aufnahme- 
fähigkeit des  Kohlenstoffskeletts  f&r  Wasserstoff  ihre  Grenze  erreicht 
hat,  als  Grenzkohlenwasserstoffe,  oder  im  Hinblick  auf  die  Trägheit 
im  chemischen  Verhalten,  welche  ihnen  eigen  ist,  als  Paraffine  (von 
parum  affinis).  Auch  nennt  man  wohl  die  ganze  Eeihe  nach  ihrem 
ersten  Gliede  —  dem  Sumpfgas  CH^  —  die  Sumpfgasreihe.  Für 
die  vier  ersten  Glieder  dieser  Reihe  braucht  man  die  Namen:  Methan 
(CH^),  Aethan  (CjH^),  Propan  (CjHg)  und  Butan  (C^Hj^);  die  Namen  der 
höheren  Glieder  drücken  die  Anzahl  der  in  einem  Molecül  enthaltenen 
Kohlenstoffatome  aus,  indem  sie  aus  einem  griechischen  Zahlwort  und 
der  Endung  „an"  (s.  S.  97  Anm.)  gebildet  werden.  Der  Kohlenwasser- 
stoff CgHjj  erhält  also  die  Bezeichnung  „Pentan",  C^H^^  „Hexan"  u.  s.  w. 
Die  einwerthigen  Beste  (Badicale),  welche  man  sich  aus  den  Grenz- 
kohlenwasserstoffen durch  Fortnahme  eines  Wasserstoffatoms  entstehend 
denken  kann,  werden  durch  die  Endung  „yl"  charakterisirt.  Das  Ba- 
dical  CH3  heisst  also  Methyl,  CjHg  Aethyl,  CjH^  Propyl  u.  s.  w.;  als 
allgemeine  Bezeichnung  f&r  die  einwerthigen  Reste  der  Grenzkohlen- 
wasserstoffe benutzt  man  den  Ausdruck  „Alkyl",  um  ihre  Beziehungen  zu 
der  Reihe  der  Alkohole  hervortreten  zu  lassen  (vgl.  Kap.  2).  Man  kann 
demnach  die  Kohlenwasserstoffe  selbst  auch  als  Methylwasserstoff,  Aethyl- 
wasserstoff  u.  s.  w.  und  insgesammt  als  Alkylwasserstoffe  bezeichnen. 


122  Orenzkohlemvasserstoffe  oder  Paraffine, 


Für   die   drei   ersten   Glieder   dieser  Reihe   giebt   es   nur  je  eine 
Structurmöglichkeit : 

H  H 

I  H\  /H  H\  I  /H 

I  H^  ^H  H/  I  ^H 

^  ^hT^  CH,  ^ 


CH4  CH|  —  CHg  —  CH3 

für  den  Kohlenwasserstoff  mit  4  G- Atomen  giebt  es  die  beiden  Möglich- 
keiten: 


CH,  -  CH,  -  CHj  -  CHj    und     CH,  -  Ch/ 


CH, 
CH, 


(vgl.  S.  61),  für  CjHjj,  drei,  für  G^E^^  fünf  Möglichkeiten;  mit  weiter 
steigender  Kohlenstoffzahl  erhöht  sich  nun  die  Anzahl  der  möglichen 
Isomeriefalle  sehr  rasch.  Es  ergeben  sich  für  C^Hj^  9,  für  CgHig  18, 
für  C3H30  35,  für  CjoHaa  75,  für  C^Hj^  159,  für  C^jH^g  355  und  für 
CjjHgg  802  Möglichkeiten  1.  Bei  der  Berechnung  dieser  Zahlen  sind  nur 
die  auf  verschiedener  Structur  beruhenden  Isomeriefalle  berücksichtigt. 
Sie  würden  sich  noch  erhöhen,  wenn  man  auch  die  durch  Asymmetrie 
der  Kohlenstoffatome  bei  gleicher  Structur  ermöglichten  Isomerien  heran- 
ziehen würde. 

Zur  Unterscheidung  der  einander  isomeren  Kohlenwasserstoffe  bildet 
man  Bezeichnungen,  aus  welchen  sich  die  Structur  des  zu  benennenden 
Kohlenwasserstoffs  ergiebt.  Diejenigen  Kohlenwasserstoffe,  deren  Kohlen- 
stoffskelett aus  einer  unverzweigten  Kette  von  Kohlenstoffatomen  besteht, 
werden  „normale"  genannt.  Die  Kohlenwasserstoffe  mit  verzweigten 
Ketten  belegt  man  am  zweckmässigsten  mit  Namen,  welche  ihre  Be- 
ziehung zum  ersten  Gliede  der  Reihe  ausdrücken;  so  kann  man  z.  B. 
die  beiden  nicht  normalen  Kohlenwasserstoffe  CgHu: 

<CH,  CJH,v      yCH, 

und  >C< 

CH,  CH,/     XIH, 

als  Dimethyläthylmethan  und  als  Tetramethyl  methan  von  einander  unter- 
scheiden ;  denn  der  erste  lässt  sich  als  ein  Methan  betrachten,  in  dessen 
Molecül  zwei  Methylgruppen  und  eine  Aethylgruppe  an  Stelle  von  Wasser- 
stoffatomen eingetreten  sind: 

CH(  CH, ; 
X),H, 

der  zweite  erscheint  als  ein  Methan,  dessen  sämmtliche  Wasserstoffatome 
durch  Methylgruppen  vertreten  sind:  C(CH3)^. 


^  Catlbt,  Ber.  8,  1056;  F.  Hebmakn,  Ber.  18,  792. 


Vorkommen  und  Entstehungsweisen.  123 


Vorkommen  und  Entstehungsweisen. 

Die  Kohlenwasserstoffe  der  Grenzreihe  finden  sich  in  ausserordentlich 
grossen  Quantitäten  fertig  gebildet  in  der  Natur  vor.  Die  niederen  gas- 
förmigen Glieder  treten  an  einigen  Orten  als  Exhalationen  auf,  die  mittleren 
flüssigen  Glieder  bilden  den  Hauptbestandtheil  des  amerikanischen  Erd- 
öls (Petroleum)  und  finden  sich  auch  in  anderen  Erdölsorten,  die  höch- 
sten festen  Glieder  endlich  kommen  im  Ozokerit  (Erdwachs)  Tor.  Sie 
entstehen  femer  bei  der  trockenen  Destillation  vieler  natürlicher  Stoffe, 
so  in  besonders  grosser  Menge  bei  der  aus  diesem  Grunde  industriell 
ausgeführten  Destillation  der  Braunkohle,  femer  aus  Holz,  aus  bituminösen 
Schiefem,  aus  Fischthran,  wenn  die  Destillation  unter  starkem  Druck 
ausgeführt  wird,  in  geringerer  Menge  auch  aus  Steinkohlen.  Allein  so- 
wohl jene  directen  natürlichen  Quellen  wie  auch  diese  Destillationspro- 
dukte von  Naturstoffen  stellen  stets  ein  Gemisch  von  sehr  vielen  ein- 
ander im  Siedepunkte  bezw.  Schmelzpunkte  sehr  nahe  stehenden  Gliedern 
der  homologen  Reihe  dar;  die  einzelnen  Kohlenwasserstoffe  von  einander 
durch  fractionirte  Destillation  bezw.  Krystallisation  zu  trennen  und  sie 
aus  dem  Gemisch  rein  abzuscheiden,  ist  eine  äusserst  mühevolle  Aufgabe, 
und  daher  bedient  man  sich  zur  Gewinnung  einzelner  Repräsentanten 
von  bestimmter  Zusammensetzung  besser  solcher  Reactionen,  welche  von 
einheitlichen  Produkten  ausgehend  auch  nur  ein  bestimmtes  Glied  der 
Heihe  entstehen  lassen.  Diese  Reactionen  können  in  drei  Gruppen  ein- 
getheilt  werden,  je  nachdem  in  denselben  der  Kohlenwasserstoff  sich  aus 
einer  Verbindung  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  bildet  oder  aus  Ver- 
bindungen von  höherer  Kohlenstoffzahl  durch  Kohlenstoffabspaltung  oder 
endlich  aus  solchen  von  niederer  Kohlenstoffzahl  durch  Kohlenstoffsynthese 
hervorgeht. 

1)  Bildung  von  Grenzkohlenwasserstoffen  aus  Verbin- 
dungen von  gleicher  Kohlenstoffzahl:  In  den  Alkoholen  der 
Grenzreihe  C„Hj„^j(OH),  welche  sich  von  den  Grenzkohlenwasserstoffen 
durch  Ersatz  eines  Wasserstoffatoms  mittelst  der  Hydroxylgruppe  ab- 
leiten, kann  die  Hydroxylgrappe  in  verschiedener  Weise  (s.  Kap.  3)  durch 
Halogenatome  ersetzt  werden;  es  entstehen  so  die  Halogenalkyle 
C^Hj^^jCl,  C^Hj^^iBr,  C^Hj^^^jJ,  aus  welchen  nun  die  Kohlenwasser- 
stoffe durch  Austausch  des  Halogenatoms  gegen  ein  Wasserstoffatom 
erhalten  werden  können.  Zu  diesem  Austausch  eignen  sich  am  besten 
die  Jodide;  er  kann  bewirkt  werden  durch  nascirenden  Wasserstoff 
(Einwirkung  von  Natriumamalgam,  von  Zink  und  Salzsäure): 

oder  durch   Erhitzen  mit   starker  Jodwasserstoff  säure,   welche   für 
sehr  viele  Zwecke  als  energisches  Reductionsmittel  angewendet  wird: 

G1H5J  +  HJ  =  C^Hq  +  Jj. 

Besonders  glatt  verläuft  in  vielen  Fällen  die  Reduction,  wenn  man  das 


124  Büduingstoeisen  der 

Jodid,  mit  Alkohol  oder  Wasser  gemischt,  auf  verkupfertes  Zink 
tropfen  lässt^,  oder  wenn  man  dasselbe  mit  Aluminiumchlorid  in 
geschlossenen  Röhren  auf  120 — 150^  erhitzt'.  Im  letzteren  Falle  spaltet 
das  Aluminiumchlorid  zunächst  aus  einem  Theile  des  Jodids  Jodwasser- 
stoff ab,  welcher  dann  auf  die  übrige  Masse  desselben  reducirend  wirkt. 
Da  sich  beim  Erhitzen  der  Alkohole  mit  Jodwasserstoffsäure  die  Alkyl- 
jodide  bilden,  so  kann  zuweilen  auch  in  einer  Reaction  der  Alkohol  in 
das  zugehörige  Paraffin  verwandelt  werden: 

CjHft.COH)  +  2HJ  =  H,0  +  CjHjJ +  HJ 

Aus  den  Jodalkylen  entstehen  durch  Einwirkung  von  Zink  die  Zink- 
alkyle,  z.  B.  aus  Jodäthyl  C3H5J  das  Zinkäthyl  Zii{G^'Rg\\  diese  Zink- 
alkyle  zersetzen  sich  mit  Wasser  heftig  unter  Bildung  der  entsprechen- 
den Paraffine  (Wasserstoffalkyle): 


.iC,H,       H.iOH 
iCsHs       H-jOH 


Zn<^  +  =  Zn(OH,)  +  2CaH5.H 


Auch  durch  Erhitzen  der  Jodalkyle  mit  Zink  und  Wasser 
im  geschlossenen  Rohr  auf  150 — 160^  kann  man  die  Paraffine  gewinnen 
(Fbankland  1849 — 50.^  Vielleicht  bilden  sich  hierbei  die  Zinkalkyle  als 
Zwischenprodukte  in  einer  ersten  Phase  der  Reaction  und  werden  dann 
in  der  zweiten  durch  Wasser  zersetzt: 

2C,H5J  +  2Zn  +  2HjO  =  ZnJ,  +  Zn(CaHg),  +  2H,0 

=  Zn(OHi  +  2C,He 

Das  oben  erwähnte  Reductionsvermögen  der  Jodwasserstoffsäure 
wird  durch  den  Zusatz  von  rothem  Phosphor  noch  erhöht,  da  letzterer 
das  bei  der  Reduction  abgeschiedene  Jod  in  Gegenwart  von  Wasser 
immer  wieder  in  Jodwasserstoffsäure  verwandelt: 

P  +  Ja  +  3fl,0  =  P(OH),  +  3HJ 

und  demnach  das  verbrauchte  Reductionsmittel  wieder  erzeugt,  unter 
der  Einwirkung  dieses  Reductionsgemisches  —  etwa  10  Th.  Jodwasser- 
stoffsäure vom  spec.  Gewicht  1-7  auf  1  Th.  rothen  Phosphor  —  gehen 
bei  erhöhter  Temperatur  (220 — 240^  auch  sauerstoffreichere  Abkömm- 
linge der  Paraffine,  als  die  Alkohole,  in  die  Kohlenwasserstoffe  über; 
so  z.  B.  die  Fettsäuren: 

CijH^.COOH  +  6HJ  =  C„H,tCH,  +  2H.0  +  6  J 
und  noch  glatter  die  Ketone,  wenn  man  ihren  Sauerstoff  zuvor  mittelst 

^  Gladstoke  u.  Tribe,  Ber.  6,  202,  454,  1136.    Joam.  Soc.  1884  I,  154. 
•  KöHKUUN,  Ber.  16,  560.  »  Ann.  71,  203;  74,  41. 


Orenxkohlmtwasserstoffe.  125 


Pho^horpentachlorid   durch   Chlor  ersetzt  und   die  Chloride  dann  der 
Beduction  unterwirft: 

(C,.H„),CO  +  POl,  =  (C,5H„),CC1,  +  POCl,. 
(C,H„),CC1,  +  4HJ  =  (C„H,,),CH,  +  2HC1  +  4J. 

C. 


'81 -"«4 

Diese  Beactionen  eignen   sich   besonders   zur   Gewinnung   der  höheren 

Glieder  der  Sumpfgasreihe  (Kbafft^). 

Von  theoretischem  Interesse  ist  endlich  die  Bildung  von  Paraffinen 

durch  Vereinigung  wasserstoffärmerer  Kohlenwasserstoffe  mit 

Wasserstoff: 

G9H4  +  Hj  =  CI^Hf. 
C,H,  +  2H,  =  C.He. 

Diese  Vereinigung,  welche  sonst  erst  bei  höherer  Temperatur  (etwa  500  ^ 
erfolgt*,  findet  in  Gegenwart  von  Platinschwarz  für  die  niederen  gas- 
förmigen Glieder  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  statt*.  Für  die 
flüssigen  und  festen  Kohlenwasserstoffe  der  höheren  Beihen  bewirkt  man 
sie   durch  Erhitzen  mit  Jodwasserstoffsäure  im  geschlossenen  Rohr^. 

2)  Bildung  von  Grenzkohlenwasserstoffen  durch  Kohlen- 
stoffabspaltung: Die  Fettsäuren  sind  Paraffine,  in  welchen  ein  Wasser- 
stoffatom durch  die  Carboxylgruppe  CO^H  ersetzt  ist:  C^Hjjj^j(C03H); 
destillirt  man  ihre  Salze  mit  kohlensäureentziehenden  Ägentien  (über- 
schüssige Basen:  Natronkalk  oder  Baryt),  so  wird  die  Carboxylgruppe 
in  Form  von  Kohlensäure  abgespalten,  und  es  entsteht  das  um  ein 
Kohlenstoffatom  ärmere  Paraffin: 


CH,.iCOaNa  +  NaOH  =  Na^CO,  +  CH^. 

In  derselben  Weise  lässt  sich  aus  zweibasischen  Carbonsäuren  ein  um 
zwei  Kohlenstoffatome  ärmeres  Paraffin  erzeugen,  so  aus  Korksäure 
das  Hexan: 

yCO, 


•^'O 


Ba  +  Ba(OH,)  =  2BaC0,  +  CeH,^. 


In  den  höheren  Beihen  gelingt  die  Koblensäareabspaltnng  nicht,  wenn  man 
die  Sake  der  Fettsäuren  mit  Natronkalk,  wohl  aber  wenn  man  rie  mit  Natrium- 
methylat  (CH^-ONa)  im  Vacuum  djestUHrt''. 

3)  Bildung  von  Grenzkohlenwasserstoffen  durch  Kohlen- 
stoffsynthese: Behandelt  man  die  Jodalkyle  mit  jodentziehenden  Ägen- 
tien, so  treten  zwei  nach  Entfernung  des  Jodatoms  frei  werdende  ein- 
werthige  Alkylreste  unter  Bildung  eines  Paraffins  von  höherer  Kohlenstoff- 
zahl zusammen: 


>  Ber.  15,  16S7  u.  1711;  19,  2218. 

*  BnTHBLOT,  Ann.  ch  [4]  9,  4SI.  —  Bull.  89,  145. 

»  V.  WiLDB,  Ber.  7,  358.  *  KaArPT,  Ber.  16,  1718. 

*  Mai,  Ber.  SS,  2133. 


126  Bildungsweis&n  der  Orenzkokienwasseraioffe, 


CäJ 

+  Na, 
CjHsiJ 


=  2NaJ  +  [ 

CjHj 


C«H 


10 


Diese  Beaction  kann  ausgeführt  werden  durch  Einwirkung  von  metal- 
lischem Natrium  in  absolut-ätherischer  Lösung  (Wüetz  i)  oder  durch  Er- 
hitzen mit  Zink  im  geschlossenen  Rohr  (Feankland  *).  Im  letzteren 
Falle  dürfte  man  sich  die  Reaction  unter  intermediärer  Bildung  von 
Zinkalkylen  in  folgenden  Phasen  verlaufend  vorzustellen  haben: 

C8H5J  +  Zn  =  CjH5.Zn.J 
2CjHß.ZiiJ  =  (C8H5)jZn  +  ZnJj  (vgl.  Kap.  7). 
(CaH5),Zn  +  2C,HßJ  =  ZnJ,  +  2C4H10. 

Die  in  der  letzten  Phase  angenommene  Reaction  kann  auch  als  be- 
sondere Darstellungsmethode  angewendet  werden,  indem  man  Jodalkyle 
auf  fertige  Zinkalkyle  wirken  lässt: 

^"•\  J        J-iCH,  CHg.CH. 

Zn     +  =  ZnJ,  + 

ch7  i ^-m      ^^-^^^ 

Bei  der  Einwirkung  von  Natrium  auf  die  Alkylhalogene  scheinen  gleich- 
falls metallhaltige  Zwischenprodukte  zu  entstehen'.  —  Durch  diese  Re- 
actionen  können  auch  ungleichartige  Alkylreste  mit  einander  zu  Paraffin- 
Molecülen  vereinigt  werden,  z.  B.: 

CjHjJ  +  C3H7J  +  Na,  =  2NaJ  +  C.Hs.C.H, 

CßHi, 

Eine  ähnliche  synthetische  Methode  zur  Gewinnung  von  Paraffinen  besteht  in 
der  Einwirkung  von  Zinkalkylen  auf  das  Acetonchlorid:  CH3 — CGI, — CH3  (Fribdel 
und  Ladenburg^): 

CHj\      CH,*v       /CH3 

>CiCI^  +  Zn:(CH,)8  =  ZnCl,  +         >C< 
CH3/     ^  qyl/    X5H3 

Es  müssen  hierbei  stets  solche  Kohlenwasserstoffe  entstehen',  in  deren  Molecül  ein 
Kohlenstoffatom  an  vier  andere  Kohlenstoffätome  gebunden  ist  (quatemäre  Kohlen- 
wasserstoffe). 

Eine  Bildung  von  Paraffinen  durch  Vereinigung  zweier  Alkylreste 
findet  auch  bei  der  Elektrolyse  der  Fettsäuren  (bezw.  ihrer  Salze) 
statt  (EoLBE®);  ihre  Zerlegung  vollzieht  sich  in  der  Weise,  dass  an  den 
negativen  Pol  das  Wasserstoffatom  der  Carboxylgruppe  (bezw.  bei  Salzen 


>  Ann.  eh.  [3]  44,  275  (1855). 

•  Ann.  71,  171;  74,  41  (1849—1850). 

'  vgl.  Krafft  u.  Göttig,  Ber.  21,  3185. 

*•  Ann.  142,  315;  s.  auch  Lwow:  Ztschr.  Chem.  1871,  257. 

•  Ann.  69,  257  (1849). 


Allgemeine  Charakteristik  der  Qrenxkohlenwasserstoffe.  127 


das  Metallatom),  an  den  positiven  Pol  der  damit  verbunden  gewesene 
Rest  wandert.  Aus  C^Hg^^iCOjH  wird  das  Kation  H  und  das  Anion 
^n^to  +  i'COj — ;  letzteres  zerfällt  nun  in  Kohlensäure  und  den  Eest 
^n^^an  +  iJ  welcher  sich  mit  einem  gleichartigen  vereinigt.  So  entwickelt 
sich  also  bei  der  Elektrolyse  der  Essigsäure  am  positiven  Pol  neben 
Kohlensäure  Aethan: 

CHg-CO.H      CH, 

=   1       +  2C0,     +     H, 
CH3-C0,H       CH,     j^-|^ 

Anion 

Neben  diesem  Process  stellen  sich  indess  auch  andersartige  Reactionen 
ein,  so  dass  namentlich  die  Homologen  der  Essigsäure  bei  der  Elektro- 
lyse ihrer  Hauptmenge  nach  in  anderer  Richtung  zerfallen,  als  obige 
Gleichung  es  darstellte 

Erwähnt  sei  endlich  noch  die  Entstehung  von  Grenzkohlenwasser- 
stoffen beim  Auflösen  von  Gusseisen  oder  Spiegeleisen  in  Säuren  ^ 

Allgemeine  Charakteristik  der  Grenzkohlenwasserstoffe. 

Die  Glieder  mit  1  bis  4  Kohlenstoffatomen  sind  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  gasförmig;  dann  folgen  flüssige  Kohlenwasserstoffe  bis  etwa 
zum   15.  Gliede;   die  höheren  Homologen  sind   fest,   ihr  Schmelzpunkt  1 

steigt  langsam  mit  wachsender  Kohlenstoffzahl;  der  Siedepunkt  steigt 
viel  rascher  und  erreicht  für  die  höheren  Homologen  eine  solche  Höhe, 
dass  dieselben  nur  im  luftverdtinnten  Räume  unzersetzt  destillirt  werden  i 

können.     Von   den   isomeren   Kohlenwasserstoffen  mit  gleicher  Kohlen-  I 

stoffzahl   siedet    immer    derjenige    am    höchsten,    welcher    die   normale  ' 

Structur  besitzt;  je  verzweigter  die  Kohlenstoffkette  ist,  um  so  niedriger  | 

liegt  der  Siedepunkt.  Das  specifische  Gewicht  steigt  langsam;  bei  den 
höheren  normalen  Gliedern  besitzt  es  für  die  Schmelztemperatur  einen 
nahezu  constanten  Werth,  so  dass  vom  ündecan  aufwärts  gleiche  Volume 
geschmolzener  Normalparaffine  fast  gleiches  Gewicht  zeigen.  Die  folgende 
Tabelle  enthält  die  bez.  Constanten  f&r  eine  grössere  Zahl  von  Paraf- 
finen; vom  Heptan  aufwärts  beziehen  sich  dieselben  nur  auf  die  normalen 
Kohlenwasserstoffe  (s.  Tabelle  Nr.  2  auf  S.  128). 

Die  Paraffine  sind  farblos.  Mit  Wasser  sind  sie  nicht  mischbar, 
in  Alkohol  und  Aether  lösen  sich  die  mittleren  Glieder  leicht,  die  höheren 
nur  schwer  auf.  Ihr  chemisches  Verhalten  ist  durch  ihre  grosse  Wider- 
standsfähigkeit und  die  Unfähigkeit,  glatte  Umsetzungen  einzugehen, 
charakterisirt.  Rauchende  Salpetersäure,  cencentrirte  Schwefelsäure,  ja 
selbst  ein  Gemisch  beider  Säuren,  Chromsäure  —  alle  diese  energischen 
Reagentien  sind  in  der  Kälte  ohne  Wirkung  auf  die  Paraffine;  in  der 


'  Vgl.  Jahn*8  Beobachtungen  über   die  Elektrolyse   der  Propionsäure:  Wiede- 
XAKV*8  Ann.  87,  430. 

*  Gloez,  Bull.  80,  174;  82,  405;  Compt  rend.  86,  1008. 


raicht  über  die  Orenzkohl^matsentoffe. 
Tabelle  Nr.  2. 


Schmelz- 


Siedepunkt 


Specifiaches  Gewicht 


—  6" 
+  4« 
+  10° 


I        ,5. 


Kr,  2:  •  WBOfiLGWBKr,  Compt  rend.  66,  I3G.  — 
—  '  OuzBWSET,  Wiedshahh's  Ann.  81,  58.  — 
*  RoHALDS,  J.   pr.   04,  424.   —   *  Bütlbbow,   Ann. 


Chemisches  Verhalten  der  Orenzkohlenwasserstoffe,  129 


Wärme  wirken  Salpetersäure  und  ander^Oxydationsmittel  langsam  ein, 
und  es  erfolgt  Verbrennung  zu  Kohlensäure  und  Wasser;  daneben  ent- 
stehen geringe  Mengen  von  Fettsäuren,  Bernsteinsäure  und  anderen  Oxyda- 
tionsprodukten. Nur  das  Chlor  wirkt  auch  in  der  Kälte  auf  die  Paraf- 
fine ein,  indem  es  sich  ihres  Wasserstoffs  bemächtigt;  im  Sonnenlicht 
kann  sich  diese  Seaction  beim  Methan  bis  zur  Explosion  und  Ab- 
scheidung von  Kohlenstoff: 

CH4  +  2C1,  =  4HC1  +  C 

steigern;  im  zerstreuten  Tageslicht  tritt  in  der  Kälte  langsame,  in  der 
Wärme  raschere  Substitution  des  Wasserstoffs  durch  Chlor  ein: 

CH4  +  01,  =  CH3CI  +  HCl; 

doch  ist  es  schwer,  die  Reaction  auf  der  Stufe  der  Monosubstitutions- 
produkte  festzuhalten,  da  diese  im  Augenblicke  des  Entstehens  leicht 
weiter  chlorirt  werden.  Im  Methan  und  Aethan  kann  man  durch  fort- 
gesetzte Behandlung  mit  Chlor  alle  Wasserstoffatome  substituiren  und 
so  zu  den  Verbindungen  CCl^  und  CgCl^  gelangen.  Die  substituirende 
Wirkung  des  Chlors  wird  hier,  wie  in  vielen  anderen  Fällen,  durch  die 
Gegenwart  einer  geringen  Menge  Jod  begünstigt;  es  beruht  dies  auf  der 
vorübergehenden  Bildung  von  Chlorjod,  welches  leicht  wieder  unter  Ab- 
gabe des  nun  im  Entstehungszustande  befindlichen  und  daher  energischer 
wirkenden  Chlors  zerfällt.  Die  Chlorirung  kann  noch  weiter  getrieben 
werden,  wenn  man  das  Chlorjod  bei  erhöhter  Temperatur  unter  Druck 
in  geschlossenen  Röhren  wirken  lässt;  auf  diese  Weise  gelingt  auch  die 
Gewinnung  des  völlig  chlorirten  Propans  CgClg  (Perchlorpropan).  Da- 
gegen konnten  die  Perchlorderivate  der  höheren  Paraffine  (z.  B.  C^Cl^^ 
aus  C^Hjq)  nicht  erhalten  werden,  da  das  Chlorjod  auch  eine  spaltende 
Wirkung  ausübt  und  die  Bildung  der  besonders  beständigen  Chlor- 
derivate CCI4,  CgCl^,  C^Clß  (Perchlormesol)  und  CgCIg  (Hexachlorbenzol) 
herbeizufuhren  sucht  ^. 


144,  10.  —  '  Wabbbn,  Ztschr.  Chem.  1866,  668.  —  ^  Schorlemmeb,  Ann.  126,  103.  — 
•  Williams,  Ann.  102,  127;  126,  107.  —  *o  Lachowicz,  Ann.  220,  189.  —  "  Just, 
Ann.  220,  152.  —  "  Franklakd,  Ann.  74,  41.  —  "  Schipp,  Ann.  220,  87.  — 
'*  Lwow,  Ztschr.  Chem.  1870,  520;  1871,  257.  —  "  Erlenmeyeb  u.  Wamklyn,  Ztechr. 
Chem.  1868,  279.  —  "  Schoblkmmeb,  Ann.  161,  263.  —  "  Riohe,  Ann.  113,  106.  — 
"  Dalb,  Ann.  182,  243.  —  "  Brühl,  Ann.  200,  183.  —  ^  Zakdeb,  Ann.  214,  165.  — 
*^  ScHOBLSKifER,  Ann.  144,  184.  —  *'  Bouchardat,  Ztschr.  Chem.  1871,  699.  — 
"■  WüBTZ,  Ann.  96,  369.  —  "  Wislicenus,  Ann.  219,  312.  —  "  Goriainow,  Ann. 
166,  107.  —  ^  Dalb,  Ann.  182,  247.  —  "  Thorpe,  Ann.  198,  364.  —  "  Sohor- 
LEXMBR  CL  Thorpe,  Ann.  217,  149.  —  '*  Riche,  Ann.  117,  265.  —  '^  Sohorlemmer, 
Ann.  147,  227.  —  »*  Zdtcke,  Ann.  162,  15.  —  »*  Thorpe,  Joum.  Soc.  87,  213—218. 
—  »»  Krafft,  Ber.  16,  1687,  1711;  16,  1714;  19,  2218.  —  »*  Lachowicz,  Ann.  220, 
168.  —  »*  SoBABJi,  Joum.  Soc  47,  37.  —  »•  Eiohler,  Ber.  12,  1882.  —  »'  Mai,  Ber. 
,  2133.  —  ^  Vgl.  die  Citate  auf  S.  130—133. 

1  KsAFFT  u.  Mbbs,  Ber.  8,  1296.  —  Ksapft,  Ber.  9,  1085;  10,  801. 
T.  Mxm  n.  Jaoobsoit,  org.  Chem.  L  9 


130  Die  einzelnen  Qrenxkoiüenwasserstoffe, 


Die  einzelnen  Glieder  der  Reihe. 

Das  Methan  CH^  (Grubengas,  Sumpfgas)  ist  ein  Bestandtheil 
sehr  vieler  natürlicher  Gasquellen.  Die  Gase,  welche  den  Bohrlöchern 
der  Petroleumquellen  entströmen,  enthalten  reichliche  Mengen  Methan; 
die  seit  alten  Zeiten  brennenden  heiligen  Feuer  von  Baku  in  Kaukasien 
werden  durch  das  Entweichen  von  Methan,  welchem  Stickstoff,  Kohlen- 
säure und  Steinöldämpfe  beigemengt  sind,  unterhalten;  aus  dem  Schlamm- 
vulcan  bei  Bunganak  in  der  Krim  tritt  fast  reines  Methan  aus  (Bunsen^). 
—  In  den  Höhlungen  der  Steinkohlenflötze  ist  ein  Gas  eingeschlossen, 
welches  80 — 90^0  Methan  und  daneben  wesentlich  nur  Stickstoff  ent- 
hält; beim  Abbau  der  Flötze  entweicht  dasselbe,  Methan  ist  daher  stet« 
der  Grubenluft  beigemengt  und  fuhrt  aus  diesem  Grunde  die  Bezeich- 
nung Grubengas.  Tritt  es  bei  der  Grubenarbeit  plötzlich  in  grossen 
Mengen  an  einer  Stelle  aus,  so  verursacht  es,  wenn  es  sich  aus  irgend 
einem  Grunde  sofort  entzündet,  die  „feurigen  Schwaden";  weit  ver- 
hängnissvoller ist  es,  wenn  sich  das  Gas  zunächst  mit  der  atmosphä- 
rischen Luft  zu  den  unter  dem  Namen  der  „schlagenden  Wetter" 
bekannten  explosiven  Gemengen  mischt;  die  Entzündung  derselben  durch 
Grubenlichter  ruft  jene  furchtbaren  Explosionen  hervor,  in  welchen  jähr- 
lich so  viele  Bergarbeiter  ihren  Tod  finden.  —  Mit  Kohlensäure  und 
Stickstoff  gemengt,  bildet  das  Methan  femer  das  aus  dem  Bodenschlamm 
von  Sümpfen  und  Teichen  aufsteigende  Gas,  in  welchem  es  von  Volta 
1778  entdeckt  wurde;  seine  Entstehung  verdankt  es  hier  der  Fäulniss 
organischer  Substanzen;  vielleicht  bildet  es  sich  hauptsächlich  aus  Cellulose, 
denn  es  ist  festgestellt,  dass  Cellulose  unter  dem  Einfluss  der  im  Cloaken- 
schlamm  und  Flussschlamm  vorkommenden  Mikroorganismen  zu  Kohlen- 
säure und  Methan  vergährt: 

CeHjoOft  +  H,0  =  SCO,  -f-  3CH4. 
Cellulose 

Auch  das  Vorkommen  in  den  Darmgasen  des  Menschen,  deren  Gehalt  an 
Methan  nach  Genuss  von  Hülsenfrüchten  bis  zu  56  ^f^  sich  erheben 
kann,  könnte  auf  ähnliche  Ursachen  zurückzuführen  sein-. 

Bei  der  trockenen  Destillation  sehr  vieler  organischer  Stoffe,  bei 
dem  Durchleiten  von  organischen  Dämpfen  durch  glühende  Röhren  bildet 
sich  Methan;  daher  bildet  es  einen  Hauptbestandtheil  des  Leuchtgases, 
welches  30 — 40%  Methan  enthält. 

Zur  Darstellung  des  Methans  kann  man  die  Destillation  eines 
Gemenges  von  1  Th.  Natriumacetat  und  4  Th.  Natronkalk  benutzen 
(s.  S.  125);  das  entwickelte  Gas  kann  von  geringen  Mengen  Aceton  durch 


*  Gasometrische  Methoden  p.  213  (2.  Aufl.). 

'  Vgl.  hierüber  TAPPEruEB,  Ber.  16,  1737,  1740.  Ztschr.  f.  Biologie  20,  51; 
24,  105.  —  Heknebero  u.  Stohmann,  ebenda  21,  613.  —  Hoppe- Setleb,  Ztschr.  f. 
physiol.  Chem.  10,  201  u.  401. 


Methan  (Oruhengas  oder  Sumpfgas).  131 


Waschen  mit  Wasser,  von  Aethylen  durch  Waschen  mit  concentrirter 
Schwefelsäure  gereinigt  werden,  behält  aber  dann  noch  eine  nicht  un- 
erhebliche Menge  Wasserstoff  (bis  zu  87o)  beigemengt.  —  Reines  Methan 
erhält  man  am  bequemsten  und  in  vortrefflicher  Ausbeute  durch  Reduc- 
tion  von  Jodmethyl  CH3J  in  alkoholischer  Lösung  mit  verkupfertem  Zink^; 
man  präparirt  letzteres,  indem  man  granulirtes  Zink  viermal  mit  zwei- 
procentiger  EupfervitrioUösung  übergiesst  und  auf  dieselbe  bis  zur  Ent- 
färbung wirken  lässt,  dann  mit  Wasser  gut  auswäscht  und  mit  Alkohol 
benetzt;  lässt  man  nun  eine  Mischung  von  Jodmethyl  mit  Alkohol  — 
zweckmässig  unter  Zusatz  einiger  Tropfen  Schwefelsäure  —  darauf 
tropfen,  so  entwickelt  sich  schon  ohne  Erwärmen  ein  langsamer  aber 
stetiger  Strom  von  Methan,  das  von  Jodmethyldämpfen  mittelst  con- 
centrirter Schwefelsäure  und  anderen  Mitteln  zu  befreien  ist.  Auch  aus 
Zinkmethyl  und  Wasser  kann  reines  Methan  erhalten  werden. 

Von  theoretischem  Interesse  ist  die  Bildungsweise  des  Methans  aus 
Schwefelkohlenstoff  und  Schwefelwasserstoff  beim  üeberleiten  über  glühen- 
des Kupfer  (Bebthelot  *) : 

CS,  +  2H,S  +  8Cu  =  CH4  +  4Cu,S. 

Da  Schwefelkohlenstoff  aus  Kohlenstoff,  Schwefelwasserstoff  aus  Wasser- 
stoff durch  Vereinigung  mit  Schwefel  gewonnen  werden  kann,  so  wird 
durch  diese  Reactionen  die  Synthese  des  Methans  aus  seinen  Elementen, 
welche  direct  nicht  ausführbar  ist,  vermittelt.  Aus  Schwefelkohlenstoff 
entsteht  Methan  auch  durch  die  Einwirkung  des  bei  der  Zersetzung  des 
Phosphoniumjodids   PH^J   durch   Erhitzen    auf   120 — 140®   nascirenden 

Wasserstoffs  (Jahk^: 

CS,  +  4H,  =  CH4  +  2H,S. 

Hierher  gehört  femer  seine  Bildung  aus  einem  Gemenge  von  Kohlenoxyd 
und  Wasserstoff  unter  der  Wirkung  elektrischer  Entladungen  (Bbodie  *) : 

CO  +  3H,  =  CH4  +  H,0. 

Das  Interesse  an  diesen  synthetischen  Bildungsweisen  wird  noch 
durch  den  Umstand  erhöht,  dass  man  vom  Methan  fortschreitend  die 
grosse  Mehrzahl  der  organischen  Verbindungen  synthetisch  aufbauen 
kann.     So  gelangt  man  z.  B.  auf  den  Wegen: 

^HjCOH)  (Methylalkohol) 

GH4 >^  CH8C1< 

XCH,-CO,H >-  CH3-CHO >-  CH8-CH,(0H) 

(EssigBäare)  (Acetaldehyd)  (Aethylalkohol) 

zum  Methylalkohol,  zu  der  Essigsäure,  dem  Acetaldehyd,  Aethylalkohol: 
Verbindimgen,  deren  jede  wieder  den  Ausgangspunkt  zur  Darstellung 
zahlloser  anderer  bildet.  Durch  die  oben  angegebenen  Bildungen  des 
Methans  aus  seinen  Elementen  wird  es  ermöglicht,  auch  für  alle  jeiie 
complicirteren  Verbindungen  Wege  zu  ermitteln,  auf  welchen  sie  synthe- 


^  Gladütone  u.  Taibb,  Joum.  Soc.  46,  154. 

'  Compt  lend.  48,  236.  '  Ber.  18,  127.  *•  Ann.  169,  270. 

9* 


132  Aeikan. 

tisch  durch  Zusammentritt  der  einzeben  Elemente  mit  einander  ge- 
wonnen werden  könnten. 

BaB  Methan  ist  ein  gemch-  und  geschmackloses,  sehr  schwer  con- 
densirbares  Gas.  Es  gehört  zu  den  wenigen  Gasen,  welche  man  vor 
noch  nicht  langer  Zeit  für  überhaupt  nicht  condensirbar  hielt  und  daher 
als  „permanente  Gase"  bezeichnete.  Seine  Verflüssigung  gelang  end- 
lich 1877  Cäilletet*;  es  bedarf  dazu  bei  — 11"  eines  Druckes  von  180 
Atmosphären.  Bas  flüssige  Methan  bildet  eine  farblose  durchsichtige 
Flüssigkeit;  bei  einer  Druckverminderung  auf  80  mm  H^  kühlt  es  sich 
auf  — 185-8''  ab  und  beginnt  zu  erstarren^.  —  Das  Methan  brennt  mit 
kaum  leuchtender  Flamme.  Beim  Durchleiten  durch  stark  glühende 
Röhren,  ebenso  unter  dem  Einfluss  von  elektrischen  Entladungen,  zer- 
fällt es  in  seine  Elemente  Kohlenstoff  und  Wasserstoff;  daneben  bilden 
sich  indess  auch  Aethan,  Äethylen  f'aH^,  Acetylen  C^Hj  und  höher 
condensirte  Kohlenwasserstoffe,  wie  Benzol  und  Naphtalin. 

Aethan  C^H,  (Dimethyl:  CHgCHg)  findet  sich  ebenfalls  in  der 
Natur.  Es  ist  im  Rohpetroleum  aufgelöst  ^  und  bildet  einen  Bestand- 
theil  der  aus  den  Petroleumquellen  entweichenden  Gase,  welche  bei 
Pittsbui^  für  gewerbliche  Zwecke  als  Heizgas  und  zur  Beleuchtung  ver- 
wendet werden*.  Zu  seiner  Darstellung  kann  man  eine  der  S.  123 — 127 
erörterten  allgemeinen  Methoden  anwenden;  empfehlenswerth  ist  die 
Reduction  von  Jodäthyl  bei  Gegenwart  von  Wasser  oder  Alkohol  mit 
verkupfertem  Zink^  oder  durch  Erhitzen  mit  Aluminiumchlorid ,  femer 
die  Zersetzung  von  Zinkäthyl  mit  Wasser.  Aus  seinen  Elementen  kann 
das  Aethan  durch  Vermittelung  des  Acetylens  CjHj  erhalten  werden: 
letzteres  bildet  sich  durch  directe  Vereinigung  von  Kohlenstoff  und 
Wasserstoff  im  elektrischen  Flammenbogen  (Kap.  13)  und  kann  mit  mehr 
Wasserstoff  nach  der  Gleichung: 

CH,  +  2H,  =  C,H, 
zu  Aethan  zusammentreten  (s.  S.  125).  Die  Untersuchung  des  auf  ver- 
schiedenen Wegen  gewonnenen  Aethans  ist  von  erheblicher  Bedeutung 
für  die  Entwickelung  der  chemischen  Theorien  gewesen.  Man  hielt  früher 
das  durch  Elektrolyse  der  Essigsäure  und  aus  JodmeÜiyl  mit  Zink  ge- 
wonnene Dimethyl  CHj-CHg  für  verschieden  von  dem  Aethylwasserstoff 
CgHg-H,  welcher  aus  Aetliyljodid  mit  Zink  und  Wasser  erhalten  war. 
Erst  ScHORLGUHER  *  wies  1863  die  Identität  beider  Gase  nach  und 
schuf  dadurch  eine  der  wesentlichsten  Stützen  der  VaJenzÜieorie.  —  Das 
Aethan  kann  bei  4"  durch  einen  Druck  von  46  Atmosphären  ver- 
flüssigt werden.     Wie  das   Methan  ist  ea   in  Wasser   kaum   löslich;    in 

■  ßcT.  13,  274.  ■  Olbzewsei,  Compt.  rend.  100,  940. 

■  BoMALDB,  J.  pT.  94,  420.  *  L.  Shith,  Ann.  eh.  [&]  8,  566. 

'  Oui>8TOHB  n.  Tube,  Ber.  6,  202.  —  Pebct  Fraheund,  Joum.  Soc.  1886, 1,  835. 
*  Ana.  181,  76;  ISS,  234. 


Propan  bis  Heptan,  133 


Alkohol  ist  es  etwas  löslicher  als  das  Methan;  1  Vol.  absoluter  Alkohol 
löst  1  ^2  Vol.  Aethan.  —  Aethan  brennt  mit  schwach  leuchtender  Flamme. 

Propan:  CjHg  (Methyläthyl:  CHg-C^Hg,  Dimethylmethan: 
(CH3)2CHj)  wird  am  zweckmässigsten  durch  Reduction  von  Isopropyl- 
jodid  mit  verkupfertem  Zink  ^  oder  mit  Aluminiumchlorid  *  gewonnen. 
Es  ist  in  Alkohol  bedeutend  löslicher  als  Methan  und  Aethan;  1  Vol. 
Alkohol  löst  6  Vol.  Propan.  Seine  Leuchtkraft  übertrifft  diejenige  des 
Aethans  um  etwa  das  anderthalbfache  ^ 

Bntane:  Von  der  vierten  Reihe  ab  treten  nun  die  Grenzkohlen- 
wasserstoffe in  isomeren  Modificationen  auf.  Für  das  Butan  C^Hj^j 
giebt  es  zwei  Structurmöglichkeiten: 

CH,-CH,-CH,~CH8 ;  CH,-CH< 

normales  Butan,  Diäthyl;         Isobutan,  Trimethylmethan. 

Der  Kohlenwasserstoff,  welcher  aus  Jodäthyl  durch  Einwirkung  von 
Zink  entsteht: 

CH,— CH,  J  +  JCHj-CHs  +  Zn  =  ZnJ,  +  CII,-CH,-CH,— CH,, 

muss  dieser  Bildungsweise  zufolge  das  Diäthyl  oder  normale  Butan 
sein.  Ein  Kohlenwasserstoff  C^Hj^  von  anderen  Eigenschaften  ist  durch 
Reduction  von  zwei  isomeren  Jodiden  C^H^J  (dem  Jodid  des  Isobutyl- 
alkohols  und  des  tertiären  Butylalkohols,  s.  Kap.  2  u.  3)  gewonnen;  für 
ihn  bleibt  die  zweite  Formel  übrig,  welche  auch  durch  diese  Bildungs- 
weisen bestätigt  wird;  es  ist  das  Isobutan.  (Eigenschaften  und  Lite- 
raturangaben vgl.  Tabelle  No.  2  auf  S.  128.) 

Pentan  bis  Heptan:   Den   in  der  5.  Reihe  sich  als   möglich   er- 
gebenden drei  StructurfäUen : 

CHa-CHj-CHj-CHj-CHa  CHg-CHj-CH/ 

N:5Hs 

normales  Pentan  Dimethyläthylmethan 

CHjv       /CHj 

>C<  :  Tetramethylmethan  (Bildung  s.  S.  126) 

CH /     XJH, 

entsprechend  sind  drei  isomere  Pentane:  CgH^  (Eigenschaften  und  Lite- 
raturangaben s.  Tabelle  No.  2  auf  S.  128)  aufgefunden;  auch  in  der 
6.  Reihe  sind  alle  fünf  aus  der  Theorie  ableitbaren  Formen  (vgl.  S.  90) 
erlialten  worden.  Von  der  7.  Reihe  an  aufwärts  bleibt  die  Zahl  der 
bisher  dargestellten  Isomeren  hinter  der  Zahl  der  berechneten  erheblich 
zurück;  von  der  11.  Reihe  an  aufwärts  sind  fast  ausschliesslich  die  nor- 
malen Kohlenwasserstoffe  bekannt. 


*  PnoT  Fravkland,  Joom.  Soc.  1886,  I,  235. 

*  KaHKLnir,  Ber.  16,  560. 


> 


134  Höhere  Paraffine, 


Normales  Pentan,  Hexan  und  Heptan  sind  aus  dem  pennsyl- 
vanischen  Steinöl  und  aus  den  Destillationsprodukten  der  Boghead-  und 
Cannelkohle  abgeschieden  worden.  Doch  muss  es  als  zweifelhaft  be- 
zeichnet werden,  ob  die  so  gewonnenen  Kohlenwasserstoffe  einheitlich 
waren.  Diese  namentlich  von  Schoblemmeb  ^  näher  untersuchten  Kohlen- 
wasserstoffe sind  farblose  Flüssigkeiten  von  schwachem,  angenehm  äthe- 
rischem Geruch.  Sehr  bemerkenswerth  ist  das  Vorkommen  von  normalem 
Heptan  im  Harzsaft  der  an  der  Küste  Califomiens  verbreiteten  Fichte 
Pinus  Sabiniana;  aus  diesem  Harzsaft  wird  durch  Destillation  eine  aus 
fast  reinem  normalen  Heptan  bestehende  ^  flüchtige  Flüssigkeit  gewonnen, 
welche  sich  unter  dem  Namen  Abietin  (Eranin,  Aurantin,  Theolin)  als 
Handelsartikel  in  San  Francisco  findet  und  statt  Petroleumbenzin  zur 
Beseitigung  von  Flecken  und  zur  Vertilgung  von  Insecten  verwendet  wird. 

Höhere  Paraffine:  Die  Eeihe  der  normalen  Kohlenwasserstoffe  vom 
Nonan:  CgH^^  bis  zum  Tetracosan:  Ca^Hg^,  ferner  die  normalen  Kohlen- 
wasserstoffe: Cg^Hgg,  CjjHg^,  CggHßß  und  Cj^H^j  (vgl.  Tab.  No.  2)  hat 
Krafft'  eingehend  untersucht;  er  gewann  sie  grösstentheils  durch  Reduc- 
tion  von  entsprechenden  Fettsäuren,  Ketonen  und  Alkoholen  {s.  S.  124 — 125). 
Der  Nachweis  ihrer  normalen  Structur  beruht  auf  der  normalen  Structui* 
der  zu  ihrer  Darstellung  benutzten  Ausgangsprodukte  und  wird  bei  der 
Besprechung  der  höheren  Fettsäuren  näher  erörtert  werden.  Heptacosan 
CgyHßg  und  Hentriacontan  Cg^Hg^  kommen  im  Bienenwachse  vor^. 

Das  Hexaeontan  C^oBi^^i  —  ^^^  höchste  bis  jetzt  bekannte  Glied 
der  Sumpfgasreihe  und  überhaupt  unter  allen  Verbindungen  von  be- 
kannter Constitution  diejenige,  welche  die  gross te  Zahl  von  Kohlenstoff- 
atomen zu  einer  zusammenhängenden  Kette  vereinigt  enthält,  —  ist  von 
Hell  und  Häqele  *  aus  dem  Myricyljodid  Cg^Hg^  J  durch  Schmelzen  mit 
Natrium  erhalten: 


C„H6^,.CH,;J  +  J  CH,;C„H4,  +   Na,   =  2NaJ  H-  C^H^,  CH, > CH, •  C^Ha,. 

Es  schmilzt  bei  102®,  ist  in  heissem  Alkohol  und  Aether  nur  noch  sehr 
schwer  löslich  und  selbst  unter  vermindertem  Druck  nur  theilweise  un- 
zersetzt  destillirbar.  Unter  der  wahrscheinlichen,  bisher  freilich  noch 
nicht  bewiesenen  Annahme,  dass  das  Myricyljodid  normale  Structur  be- 
sitzt, erhält  dieser  Kohlenwasserstoff  die  Structurformel: 

CHs-CHj-CH,- -CH,-CU,-CH,. 

(CH,),,. 

Die  Existenzfähigkeit  und  Beständigkeit  dieser  Verbindung  lässt  voraus- 


^  Ann.  125,  103;  127,  811;  144,  184;  147,  214;  161,  263. 

'  Thorpe,  Ann.  198,  864;  Schoblemmeb  u.  Thobpe,  Ann.  217,  149. 

•  Ber.  16,  1687,  1711;  10,  1714;  19,  2218. 

*  Schwalb,  Ann.  286,  110.  ^  Ber.  22,  502. 


Indthstrie  der  Paraffine. 


135 


sehen,  dass  auch  Verbmdungen  mit  noch  viel  längeren  KohlenstoflTketten 

herstellbar  sein  werden:  eine  Aufgabe,  welche  sowohl  in  Hinblick  auf 

das  Auffinden  einer  etwaigen  Grenze  in  der  Verbindungsfähigkeit  der 

Kohlenstoffatome  mit  einander  wie  auch  in  Rücksicht  auf  die  mit  dem 

Atomreichthum  immer  wachsenden  räumlichen  Dimensionen  der  Molecüle 

reizvoll  erscheint. 

i 

Industrielle  Gewinnung  und  Verwerthung  der  Paraffine. 

Das  Vorkommen  von  Erdöl  ^  war  nachweislich  schon  den  Völkern 
des  Alterthums  bekannt  und  wurde  von  ihnen  zu  mancherlei  Zwecken 
ausgenutzt.  Doch  ist  erst  in  unserem  Jahrhundert  seit  1859  die  Aus- 
beutung der  bedeutenderen  Erdölquellen  Gegenstand  einer  mächtigen 
Industrie  geworden,  welche  sich  hauptsächlich  die  Erzeugung  von  Leucht- 
ölen und  Schmierölen  zur  Aufgabe  macht.  Am  27.  August  1859  gelang 
es  bei  Titusville  (Pennsylvanien)  zum  ersten  Male,  bedeutendere  Erdöl- 
mengen durch  Bohrung  zu  fordern.  Seit  1859  hat  sich  die  Produktion 
an  rohem  Erdöl  in  Pennsylvanien  bis  zum  Jahre  1874  von  3180  Hekto- 
liter bis  auf  16  Millionen  Hektoliter  erhoben,  während  der  Preis  für  ein 
Barrel  (159  Liter)  in  demselben  Zeitraum  von  20  Dollars  bis  auf  1*29 
Dollars  sank.  Die  gegenwärtig  wichtigsten  Fundorte  des  Erdöls  sind 
folgende:  in  Nordamerika  die  „Oelregion"  Pennsylvaniens,  ein  schmaler 
etwa  100  Kilometer  langer  Landstrich,  der  sich  in  der  Richtung  von  SSW 
nach  NNO  zwischen  dem  Eriesee  und  Pittsburg  hinzieht,  ferner  die  Erd- 
öllager Canada's ;  in  Europa  die  galizischen  und  inimänischen  Erdölquellen 
und  vor  Allem  die  unerschöpflich  scheinenden  Naphtaquellen  des  russischen 
Gouvernements  Baku  auf  der  Halbinsel  Apscheron  am  Caspischen  Meere; 
in  Asien  die  indischen  Oellager.  Deutschland  hat  Erdöllager  im  Elsass, 
in  der  Provinz  Hannover  und  an  anderen  Orten;  doch  besitzt  ihre  Aus- 
beutung bisher  nur  geringen  Umfang.  Von  der  gesammten  Erdöl-Erzeugung 
der  Erde  giebt  die  folgende  Tabelle  ein  Bild;  sie  gilt  für  das  Jahr  1885 
und  enthält  in  Columne  I  die  Rohölproduktion,  in  Barrels  angegeben, 
in  n  die  Leuchtölproduktion,  in  IIL  den  Werth  in  deutschen  Reichsmark: 


1           I. 
Rohöl. 

TT. 

Leuchtöl. 

III. 

Werth. 

Nordamerika 

22  092  041 

16  881  500 

81  069  000 

Bufldand     

18  198  286 

8  916  800 

9  072  000 

Oesterreich 

500  000 

1 

5  310  000 

Bnm&nien 

Die  übrigen  Gebiete    .    . 

350  000 
395  506 

\    993  000 

2  912  000 
8  955  000 

Summa: 

36  535  833 

21  291  300 

102  818  000 

'  AuBfiihrliche  Besprechung  s.  in  H.  Höpeb:  daa  Erdöl  etc.  (Braunschweig 
1888);  femer  in  dem  Artikel  „Mineralöle,  Paraffin  und  Ceresin":  Ladembubq's  Hand- 
wörterbuch der  Chemie,  Bd.  VII  (Breslau  1889). 


136  Amerikanisches  Erdöl. 

Bas    amerikanische   Erdöl  (Petroleum)   besteht  zum   grössten  Theil 

aus  den  Kohlenwasserstoffen  der  Greiizreihe^;  eine  Anzahl  von  normalen 

MetliaTi.TTnninlnffAn  anaie  auch  solchc  mit  verzweigten  Kolilensto0ketten 

in.    Es  wird  durch  Behandlung  mit  Säuren  und 

urch  Destillation  in  mehrere  Äntheile  von  Ter* 

serlegt.     Die  Hüchtigeren  Äntheile,  welche  von 

m,  fuhren  die  Bezeichnungen  Petroleumäther, 

nzin,LigroIu;  sie  finden  Benutzung  als  Lösungs- 

Harze,    als  Fleckwasser  und  Putzöl;    auch  zur 

schon  verwendet,  indem  sie  entweder  in  eigen- 

Lmpen  verbrannt  werden  oder  zur  Sättigung  von 

4er    von    Wasserstoff  mit    leuchtenden    Stoffen 

von  etwa  150 — 300"  endlich  bilden  das  wich- 

ju  Petroleumlampen  zu  verbrennende  eigentliche 

dgDD  ganz  gefahrlos,  weDn  es  bei  der  höchsten  Tem- 
len  UmstÄnden  die  Oelbehälter  der  Petroleamlampen  ao- 
ife  entwickelt,  die  mit  Lnft  gemischt  eiplodiren  kSimen. 
iction  kann  man  Sl"  als  höcbste  im  OelbehSiter  vor- 
shen;  der  zoläBsige  , ,Kn tflam mungepunkt"  wird  etwaa 
icrator  fiiirt  werden  müssen,  nnd  es  sollte  daher  kein 
a,  dessen  Entflammungspunkt  nicht  oberhalb  33°  liegt 
wäre  offenbar  das  rationellste  Verfahren,  das  Petroleuin 
Q  und  zuzusehen,  ob  das  Gemenge  der  Dämpfe  mit  Luft 
mmbar  ist'.  Obwohl  zur  Durchführung  dieses  Princip« 
ite  vorgeschlagen  sind,  ist  in  Deutschland  amtlich  der 
ingefilhrt,  in  welchem  für  eine  genügende  Mischung  der 
licht  gesorgt  wird.  Bei  diesem  Apparate  befindet  eich 
in  einem  geschlossenen  Behfilter  nnd  wird  darin  durch 
;ewärmt,  während  nach  jedesmaliger  Temperatuieteigening 

in  den  darüber  lagernden  Dampf  eingesenkt  wird  und 
ckziehL  Man  beobachtet,  bei  welcher  Tempei^tur  die 
aasiges  EntflammungEminimum  ist  in  Deutschland  S1°C. 
erfahren  findet  man  nicht  den  wahren  Entflammungs- 
"Ch  die  willkürliche  Construction  des  Apparats  bedingt'- 
licht  flüchtigen  Biickständen  des  amerikaniscbeii 
in  gewonnen:  eine  gelblichweisse  oder  weisse, 
;he  als  Salbenkörper,  zur  Bereitung  von  Pom- 
n  von  Metallgegen ständen,  um  sie  vor  Oxydation 
breitung  gefunden  hat,  da  es  vor  allen  pflanz- 
Fetten  (vielleicht  mit  Ausnahme  des  Wollfetts, 
isitzt,  dass  es  säurefrei  ist,   nicht  trocknet  und 


n.  C^BOtras,  Ann,  eh.  [1]  1,  5. 

iten,  der  Justiz-  und  Polizeidirection  Zürich  erstatteL  1879. 
chen  zur  Petroleumpräüing  vorgeschlagenen  Apparate: 
m.  Analyse  (2.  Aufi.,  Brannschweig  1888)  I.  S.  278—306. 


Kaukasisches  ErdöL  137 


Auch  das  kaukasische  Erdöl  möge  hier  besprochen  werden,  ob- 
gleich es  die  Grenzkohlenwasserstoffe  nur  in  unbedeutender  Menge  ent- 
hält. Dass  es  von  dem  amerikanischen  Erdöl  wesentlich  verschieden  ist, 
giebt  sich  schon  darin  zu  erkennen,  dass  die  Antheile  von  bestimmter 
Siedetemperatur  specifisch  beträchtlich  schwerer  als  die  entsprechenden 
Antheile  des  amerikanischen  Petroleums  sind: 

Specifisches  Gewicht: 
Fraction:  Erddl  von  Baku:       Amerikanisches  Erdöl: 

140—160®  0782  0-755 

190—2100  0-820  0786 

240—260®  0845  0-812 

Es  enthält  femer  viel  mehr  schwerflüchtige  Antheile,  als  das  amerika- 
nische ErdöL 

Das  kaukasische  ErdöP  besteht  seiner  Hauptmenge  nach  (zu  etwa 
80®/jj)  aus  Kohlen  Wasserstoffen  von  der  Zusammensetzung  Cj^H,j^;  man 
hat  ihnen  den  Namen  „Naphtene"  gegeben;  sie  sind  isomer  mit  den 
Kohlenwasserstoffen  der  Aethylenreihe  und  zeigen  das  Verhalten  ge- 
sättigter Kohlenwasserstoffe;  es  liegen  in  ihnen  Wasserstoffadditionspro- 
dukte der  Benzolkohlenwasserstoffe  vor.  Neben  den  Naphtenen  enthält 
es  etwa  10®/^  aromatische  Kohlenwasserstoffe,  femer  sauerstoffhaltige  Ver- 
bindungen (Erdölsäuren  [Naphten-Carbonsäuren]).  —  Bei  der  Verarbei- 
tung des  kaukasischen  Petroleums*  ist  die  Gewinnung  von  Leuchtölen 
nicht  in  demselben  Mass  das  Hauptziel  wie  bei  der  Verarbeitung  des 
amerikanischen  Erdöls  (vgl.  d.  TabeUe  S.  135).  Gerade  die  schwer  flüch- 
tigen Sückstände  sind  hier  ein  mindestens  ebenso  wichtiges  Produkt; 
aus  ihnen  werden  ausgezeichnete  Schmieröle  erzeugt.  Ein  anderer  Theil 
dieser  Bückstände  wird,  da  es  in  der  Umgebung  von  Baku  fast  ganz  an 
Holz  und  Kohlen  fehlt,  an  Ort  und  Stelle  als  Brennstoff  zur  Heizung  der 
Destillationskessel  in  den  Fabriken,  der  Kessel  auf  den  Dampfschiffen 
des  Kaspischen  Meeres  etc.  verwendet.  Die  Verbrennung  geschieht  in 
eigenthümlich  construirten  Rückstandsbrennern  („Forsunken"),  in  welchen 
die  Bückstande  durch  gespannten  Dampf  zerstäubt  und  dann  verbrannt 
werden. 

Das  galizische  Petroleum  enthält  die  Kohlenwasserstoffe  der 
Grenzreihe  neben  aromatischen  Kohlenwasserstoffen  und  wahrscheinlich 
auch  Naphtenen*;  auch  in  den  deutschen  Erdölen  ist  das  Vorkommen 
der  Naphtene  nachgewiesen*. 

Von  den  zahlreichen  Hypothesen  über  die  Entstehung  des  Erd- 


^  Behstbin  n.  Küsbatow,  Her.  18,  1818;  14,  1620.  —  Marko wnikow  u.  Ooloblik, 
Ber.  16,  1873.  —  Maskownikow,  Ann.  284,  89.  -—  Mabkownikow  u.  Spady,  Ber.  20, 
1850.  —  KovowALow,  Ber.  20  o,  570. 

*  Euglxb,  Jahiesber.  d.  ehem.  Technologie,  1886,  1075. 

'  Lachowigz,  Ann.  220,  188.  ^  Kbaeher  u.  Böttoheb,  Ber.  20,  595. 


138  Paraffin. 

öls^  ist  diejenige  die  wahrscheinlichste,  welche  die  Thierreste  firüherer 
geologischer  Epochen  (und  zwar  besonders  solche  der  marinen  Fauna) 
als  Rohstoffe  ftir  die  Erdölbildung  heranzieht  und  ihrer  bei  nicht  allzu- 
hoher Temperatur,  aber  unter  starkem  Druck  erfolgten  Zersetzung  die 
Bildung  der  Erdöllager  zuschreibt.  Es  spricht  dafür  u.  A.  der  Um- 
stand, dass  an  allen  primären  Lagerstätten  des  Erdöls  sich  regelmässig 
Thierreste  (fast  niemals  Pflanzenreste)  zeigen,  dass  mit  dem  Erdöl  meist 
gleichzeitig  kochsalzhaltiges  Wasser  hervorquillt,  dass  Erdöl  als  eine  Art 
Ausschwitzung  eines  den  Meeresspiegel  jetzt  überragenden  Korallenriffs 
am  Ufer  des  rothen  Meeres  beobachtet  wurde,  dass  im  Muschelkalk 
wiederholt  mit  Erdöl  angefüllte  kleine  Zellen  aufgefunden  sind.  Eine 
besonders  bemerkenswerthe  Stütze  erhielt  diese  Anschauung  durch  den 
Nachweis,  dass  Fischthran  bei  der  Destillation  unter  Druck  ein  Oel 
liefert,  welches  zum  grossen  Theile  aus  einem  dem  amerikanischen  Pe- 
troleum sehr  ähnlichen  Kohlenwasserstoffgemisch  besteht  (E^gleb^). 

Unter  der  Bezeichnung  „Paraffin"  schlechthin  versteht  man  ein 
hauptsächlich  zur  Kerzenfabrikation  dienendes  Handelsprodukt,  welches 
ein  Gemisch  der  höheren  festen  über  300  ®  siedenden  Grenzkohlenwasser- 
stoffe darstellt;  einige  der  normalen  Kohlenwasserstoffe  konnten  aus  dem- 
selben isolirt  werden^.  Es  ist  eine  weisse,  wachsähnliche,  geruch-  und 
geschmacklose  Masse.  Je  nach  der  Darstellung  schwankt  sein  Schmelz- 
punkt zwischen  45®  und  80®,  das  specifische  Gewicht  zwischen  0-869 
und  0-943.  —  Es  kann  aus  dem  Erdöl  gewonnen  werden;  grosse  Mengen 
liefert  namentlich  der  aus  Indien  stammende  „ßangoontheer"  (die 
Naphta  von  Burmah)  und  das  Erdöl  von  Java,  während  das  pennsyl- 
vanische  Steinöl  nur  wenig  Parafiin  enthält.  —  Sehr  wichtig  ist  seine 
Gewinnbarkeit  durch  trockene  Destillation  der  verschiedensten  Natur- 
stoffe. Reichenbach  fand  es  zuerst  1830  unter  den  Destillationsprodukten 
des  Holzes  auf;  seit  etwa  1850  ist  die  Paraffingewinnung  durch  trockene 
Destillation  Gegenstand  einer  bedeutenden  Industrie.  Während  in  Schott- 
land hauptsächlich  bituminöse  Schiefer  und  die  Bogheadkohle  als  Roh- 
stoff dienen,  ist  in  Deutschland  die  sächsische  Braunkohle  (Schweel- 
kohle)  der  Ausgangspunkt  der  Paraffin -Industrie  geworden.  Durch 
„Schweelerei'^  der  Braunkohle  aus  Retorten  wird  zunächst  der  Braun- 
kohlentheer gewonnen,  welcher  nach  dem  Entwässern  nun  einer  erneuten 
Destillation  unterworfen  wird,  bei  der  man  entweder  bis  zur  Trockne  auf 
Cokes  destillirt  oder  als  Destillationsrückstand  Asphalt  gewinnt.  Den 
Destillationsprodukten  werden  die  sauren  Bestandtheile  (Kreosot)  durch 
Behandlung  mit  Natronlauge  entzogen,  darauf  werden  sie  mit  Schwefel- 
säure gemischt,  um  die  basischen  Verbindungen  und  andere  übelriechende 
und  färbende  Beimengungen  fortzuschaffen,  und  nun  nach  dem  Waschen 
mit  Wasser  und  schwacher  Natronlauge  rectificirt.     Bei   dieser   Recti* 


^  Vgl.  HöPBB,  a.  a.  0.,  S.  101.  »  Ber.  21,  1816;  22,  592. 

»  Kbafft,  Ber.  10  o,  891. 


Oxokerü.  139 


fication  werden  die  übergehenden  Produkte  nach  ihrer  Flüchtigkeit  und 
ihrem  specifischen  Gewicht  getrennt;  man  erhält  zunächst  ölige  Destil- 
late: das  flüchtige  Photogen  und  das  weniger  flüchtige  Salaröl,  dann, 
wenn  das  Destillat  zu  erstarren  beginnt,  das  Kohparaffin  (Paraffin- 
butter). Aus  dem  Bohpai*affln  gewinnt  man  die  Handels waare  durch 
Erystallisation  in  kalten  Räumen  unter  Zuhülfenahme  künstlicher  Ab- 
kühlung mit  Eälteerzeugungsmaschinen,  Waschen  mit  Photogen  und  Ab- 
pressen unter  starkem  Druck  in  hydraulischen  Pressen.  Endlich  ver- 
setzt man  es,  um  weisses  Paraffin  zu  erhalten,  mit  2 — 3®/^^  Entfärbungs- 
pulver  (kohliger  Bückstand  Yon  der  Blutlaugensalzfabrikaüon),  filtrirt  es 
in  geschmolzenem  Zustand  durch  Faltenfilter  und  lässt  es  in  Blechformen 
zu  Tafeln  erstarren.  Ausser  zur  Eerzenfabrikation  wird  das  Paraffin 
noch  zu  vielen  anderen  Zwecken  verwendet,  so  zum  Conserviren  von 
Holz,  als  Dichtungsmittel  für  Wein-  und  Bierfässer,  in  erheblicher  Menge 
zum  Tränken  der  Zündhölzer.  —  Die  mit  dem  Paraffin  gleichzeitig  ge- 
wonnenen flüssigen  Destillationsprodukte  werden  zum  Theil  als  Lampenöl 
(Solaröl,  deutsches  Petroleum)  und  als  Maschinenschmieröl  ver- 
wendet; grosse  Bedeutung  haben  sie  als  Material  zur  Oelgasbereitung. 
Man  lässt  sie  zu  diesem  Zweck  in  stark  erhitzte  gusseiseme  Betorten 
tropfen;  hier  werden  sie  grösstentheils  in  gasförmige  Produkte  zersetzt, 
und  man  erhält  neben  Theer  ein  schweres  Gas  von  grosser  Leuchtkraft. 
Da  diese  „Vergasung"  keine  grossen  Anlagen  erfordert  und  leicht  zu 
beaufsichtigen  ist,  so  bedient  man  sich  vielfach  des  Oelgases  zur  Be- 
leuchtung von  Fabrikanlagen,  Hotels  etc.,  welche  von  den  Steinkohlen- 
gasfabriken  entfernt  liegen.  Comprimirtes  Oelgas  wird  zur  Beleuchtung 
der  Eisenbahnwagen  verwendet. 

Ein  natürliches  Material  zur  Paraf&ngewinnung  bildet  ferner  der 
Ozokerit  oder  das  Erdwachs;  sein  wichtigster  Fundort  ist  die  Gegend 
von  Boryslaw  in  Ostgalizien,  wo  es  gegenwärtig  auf  bergmännische  Art 
gewonnen  wird.  Man  stellte  früher  daraus  durch  Destillation  Paraffin 
dar,  während  man  es  jetzt  gewöhnlich  durch  Beinigung  mit  concentrirter 
Schwefelsäure,  Umschmelzen  und  Bleichen  ohne  Destillation  auf  Ceresin 
verarbeitet:  eine  wachsähnliche  Masse,  welche  vielfach  als  Ersatz  für 
Bienenwachs  verwendet  wird.  —  Auch  in  Kaukasien  findet  sich  Ozokerit 
und  wird  daselbst  ausgebeutet.  Beilstein  und  Wiegand  ^  isolirten  aus 
kaukasischem  Ozokerit  einen  bei  79^  schmelzenden  Kohlenwasserstoff: 
das  Leken,  dessen  Zusammensetzung  noch  nicht  sicher  festgestellt  ist. 


»  Ber.  16,  1547. 


Mnwertftige  Alkohole  der  Qrenxreihe. 


Zweites  Kapitel. 
Die  einwerthigen  Alkohole  der  Qrenzreihe. 

Allgemeine  Zusammenaetznng:   C„Hj„  ^  ^0. 


Zusammensetzung,  Constitution,  Eintbeilung  und 
Nomenclatur. 
Die  einwerthigen  Alkohole  der  Grenzreihe  sind  Verbindungen,  welche 
sich  von  den  GreuzkohlenwaBseratoffea   durch  £rsatz  eines  WasserstofF- 
atoms  mittelst  der  Hydroxylgruppe  ( — OH)  ableiten,     ihre  Zusammen- 
setzung lässt  sich  demnach  allgemein  durch  die  Formel: 

CA,.  +  i(0H)  =  C„Hg„^30 
ausdrücken.     Die  Berechtigung   der  Annahme  einer  Hydroxylgruppe  in 
den   Molecülen    dieser    Verbindungen    ist    schon   im    allgemeinen    Theil 
(S.  63 — 65)  ausfllhrlich  erwiesen  worden.   Hier  genügt  daher  die  Rekapi- 
tulation der  Beweisgründe: 

1)  In  den  Alkoholen  zeichnet  sich  ein  Wasserstoffatom  vor  allen 
anderen  durch  leichte  Austauschbarkeit  (gegen  Metallatome,  Säureradieale, 
Kohlenwasserstoffradicale)  aus : 

CbH,„^,-OH;    CnH„^.,.ONa;    C„H,b  +  ,-0-NO,;    C„H,„^,.0-C„H,„^.i. 

2)  Beim  Ersatz  des  Sauerstoffatoms  durch  Halogenatome  wird 
gleichzeitig  ein  Wasserstoffatom  eliminirt,  und  es  entsteht  ein  Mono- 
halogenderivat  des  Grenzkofalenwasserstoffs  von  gleicher  Eohlenatoffzahl; 
aus  C^Hj^+i-OH  wird  C„H3„+,C1. 

3)  Aus  den  Monohalogenderivaten  der  GrenzkohlenwasBerstoffe  ent- 
stehen umgekehrt  die  Alkohole,  indem  an  Stelle  des  Halogenatoms  ein 
Sauerstoffatom  und  ein  Wasserstoffatom  eintreten: 

CBH„^.,C1  +  H^  0H  =  HC1  +  C„H,„^,-OH. 
Für  die  Alkohole  ist  eine  grössere  Zahl  von  Isomeriefällen  denkbar, 
als  für  die  Kohlenwasserstoffe  von  gleicher  Eohlenstoffzahl.  Während 
bei  den  letzteren  die  Isomerie  nur  durch  die  verschiedene  Structur  des 
Kohlenstoffskeletts  bedingt  wurde,  ist  für  die  Alkohole  auch  bei  gleich- 
artigem Kohlenstoffgerüst  eine  Isomerie  möglich,  indem  die  Hydroxyl- 
gruppe an  verschiedenen  Stellen  desselben  eintreten  kann.  Zu  der 
„Stamm-Isomerie"  tritt  hier  die  „Stellungs- oder  Orts-Isomerie" 
hinzu. 

Vom  Hethan  und  Aethan  ist  allerdings  nur  je  ein  Alkohol  ab- 
leitbar : 

CH,(OH)       und      CH,-CH,(OH) 
Methylalkohol  Aethrlslkohol; 

das  Propan  dagegen  kann  schon  zwei  Alkohole  liefern: 

CH,-CH,— CH,{OH)        und       CH.-CH(OH)— CH, 
primärer  I^pyl&lkobol  aecand&rer  Propjlalkohol 

oder  Isopropylälkohol; 


Primäre,  secimdäre  und  tertiäre  Alkohole. 


141 


und  ebenso  können  aus  dem  normalen  Butan  und  aus  dem  Isobutan  je 
zwei  Alkohole  entstehen: 

CHs-CH,— CH,-CH,(OH)       und        CHj-CHj— CH(OH)— CH,) 
normaler  primärer  Butylalkohol  normaler  secundärer  Butylalkohol; 


CHs-CH< 

M:JH,(0H) 

primSrer  Isobutylalkohol 


yCHs 
und  CH,-d(OH) 

tertiärer  IsobutylalkohoL 


Elin  Ueberblick  über  die  hier  für  die  vier  ersten  Reihen  entwickelten 
Structurmöglichkeiten  zeigt  bereits,  dass  sich  unter  den  Alkoholen  drei 
Klassen  scharf  Yon  einander  absondern  lassen.  In  einigen  Formeln 
sehen  wir  das  mit  der  Hydroxylgruppe  beladene  KohlenstoflFatom  in  Ver- 
bindung mit  nur  einem  anderen  Kohlenstoffatom,  in  anderen  mit  zwei 
und  endlich  in  dem  letzten  Beispiel  mit  drei  Kohlenstoffatomen  ver- 
knüpft. Man  theilt  aus  diesem  Grunde  nach  Kolbe's  Vorschlagt  die 
Alkohole  in  primäre,  secundäre  und  tertiäre  Alkohole  ein.  Von 
dem  ersten  Gliede  der  Beihe  —  dem  Methylalkohol  CHg-OH  —  leiten 
sich  die  primären  Alkohole  ab,  indem  ein  Wasserstoffatom  der  Methyl- 
gruppe durch  einen  Kohlenwasserstoffrest  vertreten  wird,  die  secundären 
und  tertiären  Alkohole  durch  Vertretung  von  zwei  bezw.  drei  Wasser- 
stoffatomen der  Methylgruppe: 


/CH, 

c  :^ 

primärer, 

Ee  ist  demnach  für  die 

primären  Alkohole 


/CH, 

c;_CH3 

\0H 
secundärer, 


/CH3 

\CH3 

tertiärer  Alkohol. 


secundären 


tertiären 


» 


.  .  .  die  Gruppe:  C— CH^(OH), 

\CH(0H), 
0> 


» 


» 


7i 


... 


» 


)J 


C-)G(OH) 


charakteristisch.  Der  umstand,  dass  in  den  primären  Alkoholen  neben 
der  Hydroxylgruppe  an  demselben  Kohlenstoffatom  noch  zwei  Wasser- 
stoffatome, in  den  secundären  nur  eines,  in  den  tertiären  aber  gar  kein 
Wasserstoffatom  mehr  haftet,  bedingt  erhebliche  Unterschiede  in  dem 
Verhalten  der  einzelnen  Klassen,  wie  später  (S.  152 — 154)  hervortreten 
wird.  Die  primären  Alkohole  sind  am  längsten  bekannt;  die  Ekistenz 
der  secundären  und  tertiären  Alkohole  ist  von  Kolbe  *  1860  aus  theore- 


1  Ann.  182,  102. 


'  Ann.  IIB,  807. 


142  Vorkommen  und  Entstehungsweisen 


tischen  Schlussfolgerungen  abgeleitet  worden  und  wurde  bald  darauf 
durch  die  Entdeckung  des  secundären  Propylalkohols  (Fbiedel)  und  des 
tertiären  Butylalkohols  (Butleeow)  bestätigt 

Zur  Bezeichnung  der  einzelnen  Alkohole  genügt  in  den  Tier  ersten 
Reihen  die  Nennung  des  mit  der  Hydroxylgruppe  verknüpften  Eohlenwasser- 
stoffradicals  und  die  Angabe  der  Zugehörigkeit  zu  einer  der  eben  defi- 
nirten  drei  Klassen.  In  den  höheren  Reihen  würden  diese  Principien  der 
Nomenclatur  nicht  mehr  ausreichen;  die  Bezeichnung  ,, normaler,  secun- 
därer  Pentylalkohol"  z.  B.  wäre  schon  nicht  mehr  eindeutig,  da  sie  die 
Wahl  zwischen  den  beiden  Structurmöglichkeiten : 

CH8--CH,-CH(0H)-'CH,-CH8    und    CH8-CH(0H)-CH,-CH,-CH, 

lässt.  Eine  sehr  gebräuchliche  und  zweckmässige  Nomenclatur  gründet 
sich  auch  hier  wieder  auf  die  Wiedergabe  der  Beziehungen,  in  welchen 
der  zu  benennende  Alkohol  zum  ersten  Gliede  der  Reihe  —  dem  Methyl- 
alkohol CH3(0H)  —  steht.  Man  hat  für  letzteres  zu  diesem  Zweck  die 
Bezeichnung  „Carbinol"  eingeführt  und  würde  also  z.  B.  jene  beiden 
Isomeren  als  „Diäthylcarbinol"  und  als  „Methylpropylcarbinol"  von  ein- 
ander zu  unterscheiden  haben.  Die  Berechtigung  dieser  Namen  wird  aus 
der  folgenden  Schreibweise  der  Formeln: 

CjHgv  CH,v 

>CH(OH)        und  >CH(OH) 

C,H/  C,h/ 

leicht  ersichtlich. 

Vorkommen  und  Entstehungsweisen. 

Man  findet  die  Alkohole  —  in  Form  von  Estern  an  organische 
Säuren  gebunden  —  sehr  häufig  im  Pflanzenreiche.  Viele  der  soge- 
nannten „ätherischen  Oele",  welche  durch  Destillation  von  Pflanzen- 
theilen  mit  Wasserdampf  gewonnen  werden  können,  enthalten  solche 
Ester  der  Grenzalkohole,  aus  welchen  durch  „Verseifung"  die  Alkohole 
erhalten  werden  können.  So  enthält  z.  B.  das  Gaultheriaöl  (Winter- 
grünöl)  den  Salicylsäureester  des  Methylalkohols  CHj-O-C^HgOj;  durch 
Kochen  mit  Alkalien  wird  es  verseift,  d.  h.  es  zerfällt  unter  Wasser- 
aufhahme  in  Methylalkohol  und  Salicylsäure. 

CHs-OC^HA  +  H,0  =  CHjOH  +  C^HA-OH. 

Derartige  Ester  —  und  zwar  solche  der  kohlenstofireicheren  Alkohole  — 
bilden  femer  den  wesentlichsten  Bestandtheil  der  Wachsarten.  —  Das 
Vorkommen  von  Methyl-  und  Aethylalkohol  in  freiem  Zustand  ist  an 
den  Heracleumfrüchten  constatirt^ 

Für  die  Gewinnung  der  Alkohole  ist  indessen  weit  wichtiger  die 
reichliche  Bildung  von  einzelnen  Gliedern  in  Gährungsprocessen, 
und  zwar  besonders  die  Bildung  der  primären  Alkohole  von  der  2.  bis 


^  Gützeit,  Ann.  240,  243. 


der  einwerthigen  Orenxalkohole,  143 


zur  5.  Reihe  durch  Gährung  der  Zuckerarten.  Das  Gährungsge- 
misch,  welches  dieser  in  grosstem  Massstabe  ausgeführte  technische 
Process  liefert,  ist  recht  eigentlich  eine  der  Hauptquellen,  welcher  der 
synthetisch  arbeitende  Chemiker  die  Hülfsmittel  entnimmt,  um  nicht  nur 
die  verschiedenen  Alkohole,  sondern  auch  zahllose  Verbindungen  anderer 
Klassen  auf  künstlichem  Wege  herzustellen. 

Von  Bedeutung  ist  femer  das  Vorkommen  des  Prototypen  der  Reihe, 
des  Methylalkohols,  unter  den  Produkten  der  trockenen  Destillation 
des  Holzes. 

Für  die  Betrachtung  der  zahlreichen  künstlichen  Bildungs- 
weisen von  Grenzalkoholen  empfiehlt  sich  eiae  Eintheilung  in  solche, 
welche  zur  Darstellung  von  Alkoholen  aus  allun  drei  Klassen  benutzt 
werden  können,  und  in  solche,  welche  nur  fiir  die  Gewinnung  von 
Gliedern  einer  bestimmten  Klasse  Geltung  haben. 

L  Allgemeine  Blldungsirelsen.  1.  Aus  den  Monohalogen- 
derivaten  der  Grenzkohlenwasserstoffe  von  gleicher  Kohlenstoffzahl 
durch  Austausch  des  Halogenatoms  gegen  die  Hydroxylgruppe: 

CjHß  Ci  +  H  ;]0H  =  HCl  +  CjHgOH. 

Für  diesen  Auslausch  erweisen   sich   wieder  die  Jodide  als  besonders 

reactionsfähig.     Er  kann  in  vielen  Fällen  durch  Erhitzen  mit  Wasser 

auf  100 — 120®  bewirkt  werden^;  dann  ist  zur  völligen  Umwandlung  die 

Gegenwart  von  viel  Wasser  nothwendig,  damit  die  während  der  Reaction 

entstehende  Jodwasserstoffsäure   nicht  concentrirt  genug  wird,   um  die 

umgekehrte  Reaction: 

C2H5.OH  +  HJ  r=  H,0  +  CjHjJ 

einleiten  zu  können.  In  der  Regel  beschleunigt  man  die  Reaction  durch 
Znsatz  einer  Base;  feuchtes  Silberoxyd,  welches  wie  Silberoxydhydrat 
Ag-OH  wirkt,  führt  die  Umwandlung  meist  schon  in  der  Kälte  herbei; 
Kochen  mit  Bleioxyd  und  Wasser  ist  zuweilen  zweckmässig.  In  anderen 
Fällen  empfiehlt  es  sich,  einen  Umweg  über  den  Essigsäureester  ein- 
zuschlagen, welchen  man  zunächst  durch  Erhitzen  des  Jodids  mit  essig- 
saurem Silber  oder  Kalium  erzeugt: 

C4H,J  +  Äg.  OCjHaO  =  AgJ  +  C4H9  0.C,H80 

und  dann  durch  Kochen  mit  Alkalien  wieder  spaltet: 

CA-O.CjHsO  +  H,0  =  CA- OH  +  CjHsO.OH. 

2.  Aus  den  ungesättigten  Kohlenwasserstoffen  der  Reihe 
C„Hjn  (Alkylene)  von  gleicher  Kohlenstoffzahl:  Die  Alkylene  ver- 
einigen sich  mit  concentrirter  Schwefelsäure  zu  den  sauren  Schwefel- 
säureestem  der  Alkohole  (Aetherschwefelsäuren,  vgl.  Kap.  3  u.  13),  z.  B.: 

CH,      OSOjOH      CHj.OSO.OH 
CH,     H  CHs 


^  VgL  N1BDEBI8T,  Ann.  186^  388. 


144  Bildungsweisen  der  Qrenxalkohole, 


diese  Aetherschwefelsäuren  zerfallen  schon  beim  Kochen  mit  Wasser  in 
die  Alkohole  und  Schwefelsäure: 

CH3 .  CH, .  0 .  SO, .  ÖH  +  H ;ÖH  =  CHg  •  CH,  •  OH  +  SO,(OH),. 

Nur  bei  dem  in  diesen  Gleichungen  dargestellten  üebergang  von  Aethylen 
in  Aethylalkohol  entsteht  durch  diese  Reaction  ein  primärer  Alkohol; 
in  allen  anderen  Fällen  bilden  sich  secundäre  oder  tertiäre  Alkohole, 
da  sich  der  SO^H-Rest  (bezw.  die  OH -Gruppe)  an  das  mit  weniger 
Wasserstoff  beladene  Kohlenstoffatom  anlagert.    So  liefert 

CH,  CH, 

Propylen    CH    den  secundären  Propylalkohol  CH-OH, 

CH3  CH3 

CH  CH 

Isobutylen       'Nc  =  CH,  den  tertiären  Isobutylalkohol       'yC(OH)  —  CH,. 

8  9 

Aus  den  Alkylenen  kann  man  auch  zunächst  durch  Anlagerung  der  Halogen- 
wasserstofisäuren  die  Halogenalkyle  und  aus  diesen  nach  Bildungsweise  1)  die  Alko- 
hole gewinnen: 

CH, :  CH,  +  HBr  «  CH,CH,Br. 
CH,.CH,Br  +  Ag.OH  =  CH,.CH,.OH  +  AgBr. 

—  In  manchen  Fällen  Ifisst  sich  durch  längeres  Stehenlassen  in  der  Kälte  oder  ge- 
lindes Erwärmen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  oder  Salpetersäure  direct  eine  Wasser- 
anlagerung an  die  Alkylene  ausführen^ : 

CHjv  CHjv 

>C  =  CH,  +  H,0  «  >C(0H)-CH3. 

CH,/  CH,/ 

3.  Aus  den  Amidoderivaten  der  Grenzkohlenwasserstoffe 
(primäre  Amine)  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  durch  Kochen  der 
wässrigen  Lösung  ihrer  salpetrigsauren  Salze  ^: 

CH8(NH,).N0.0H  =  N,  +  H,0  +  CH,.OH. 

Der  Vorgang  ist  ganz  analog  der  Zersetzung  des  Ammoniumnitrits  in 
Stickstoff  und  Wasser. 

IL  Specielle  Blldungsweisen.  A.  Für  primäre  Alkohole. 
4.  Reduction  der  Aldehyde^  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  mit 
nascirendem  Wasserstoff: 

CeHij-COH  +  H,  =  CeH,,  •  CH,(OH). 

Als  Reductionsmittel  wird  Natriumamalgam  angewendet.  Für  die  Reduc- 
tion der  kohlenstoffreicheren,  schwer  löslichen  Aldehyde  empfiehlt  sich 
die  Anwendung  von  Eisessig  und  Zinkstaub*;  es  entstehen  dann  zunächst 
die  Essigsäureester  der  Alkohole,  welche  darauf  verseift  werden  müssen. 


^  BüTLEROW,  Ann.  180,  245.  '  Iühmsmann,  Ann.  144,  129. 

•  WuBTz,  Ann.  128,  140.  *  Krapft,  Ber.  16,  1716. 


Bildtmgsweisen  der  Grenzalkohole.  145 


Aach  durch  Reduct'ion  von  Säureanhydriden  ^  entsteht  der  zugehörige 
Alkohol  unter  intermediärer  Bildung  von  Aldehyd,  z.  B.: 

CH3.COV 

>0  +  2H  =  CHgCOH  +  CHsCOOH: 
CHgCO'^ 

CHgCOH  +  2H=-CH8.CH,.OH. 

Statt  des  fertigen  Säureanhydrids  kann  man  auch  ein  Gembeh  von  Säurechlorid  und 
Säurehydrat  anwenden',  welches  das  Anhydrid  entstehen  lässt  Diese  Reactionen 
liefern  indess  nur  schlechte  Ausbeuten. 

B.  Für  secundäre  Alkohole.  5.  Reduction  der  Ketone  von 
gleicher  Eohlenstoffzahl  durch  Wasser  und  Natriumamalgam  ^: 

CH3-CO-CH8  +  H,  =  CH,— CH(0H)-CH3. 

6.  Aus  den  Aldehyden  entstehen  durch  Einwirkung  von 
Zinkalkylen  und  Zersetzung  des  Additionsproduktes  mit  Wasser  secun- 
däre Alkohole  unter  Kohlenstoffsynthese: 

CH,.COH  +  ZnCCjH^),  =  CHsCh/  '  ; 

^OZnCaHa 


1<C 


CH,.CH<  +  H,0  =  CH,.CH(0H).C,H5  +  ZnO  +  C,He . 

Die  Bildung  des  in  der  ersten  Phase  entstehenden  Additionsproduktes 
erfordert  mehrwöchentliches  Stehen  in  der  Kälte;  die  Beaction  verläuft 
bei  Anwendung  von  Zinkmethyl  und  Zinkäthyl  sehr  glatt;  bei  Anwen- 
dung von  Zinkpropyl  wird  sie  complicirter,  da  neben  der  den  obigen 
Gleichungen  entsprechenden  Wirkung  auch  eine  Reduction  des  Aldehyds 
zu  dem  entsprechenden  primären  Alkohol  stattfindet  ^  —  Eine  ähnliche 
Bildnngsweise  der  secundären  Alkohole  besteht  in  der  Einwirkung  von 
Zinkalkylen  (bezw.  eines  die  Zinkalkyle  erzeugenden  Gemisches  von 
Halogenalkylen  mit  Zink  und  etwas  Zinknatrium)  auf  den  Ameisen- 
säureester (H-CO-O-CgHg)  und  Zersetzung  des  Beactionsproduktes  mit 
Wasser^;  man  kann  sich  die  Beaction  in  folgenden  Phasen  verlaufend 
vorstellen: 

H .  Cf  +  Zn(C,H5),  =  H .  CC  0  'Zn .  CjHj  ; 

^OCjH»  N).C,H5. 

CjHjV  CJB.g\  /CjHg 

CjHsZn.O  X-  O.C,H»  +C,H5.;Zn.C,H5  ==C,H5.Zn.O  )C-^C,H5  +  Zn<  ; 

>C<  +H,0=  >C<        +ZnO  +  C,H,. 

CH./     M).Zn.C,H5  C,H/    N)H 


*  LiKXEicAMH,  Ann.  148,  249.  *  Linkemann,  Ann.  161,  184. 

*  Fbibdkl,  Ann.  124,  326. 

*  G.  Waonbb,  Ann.  181,  264.  —  Ber.  17  o,  314. 

*  G.  Waqneb  u.  Sattzbff,  Ann.  176,  360, 

y.  MsYEB  u.  Jacobson,  org.  Cheoi.  I.  10 


146  ,  Bildungsweisen  der  eimcerthigen 


Wendet  man  in  dieser  Reaction  ein  Gemisch  zweier  verschiedener 
Halogenalkyle  mit  Zink  an  ^,  so  treten  beide  Alkylradicale  in  das  Molecül 
des  sich  bildenden  Alkohols  ein;  z.  B. : 

HCC  +  Zn(C,H5),  =  H.C^^OZnCjH»; 

C,H5\  C,H,\  .CH, 

aH. . Zn .  0  /C-0 . CoH.  +  CHg  •  Zn •  CH»  =  C,Hj •  Zn •  0->C— CHg  +  Zn<  ; 

>C<  +H,0=  >C<        +ZnO  +  C,He. 

CH,/     ^OZn.CjH.  CHg-^    ^OH 

7.  Aus  den  mehratomigen  Alkoholen  kann  man  stets  das  einem 
secnndären  Alkohol  von  gleicher  KohlenstoiBFzahl  entsprechende  Jodid 
durch  Erhitzen  mit  überschüssiger  Jodwasserstofifsäure  erhalten  und  letz- 
teres nach  Bildungsweise  1)  in  den  Alkohol  überfuhren.  So  gelangt 
man  vom 

CH,(OH)  CH3  CH, 

Glycerin  CH(OH)   über  CHJ   zum  secund.  Propylalkohol  CH(OH), 

CH,(OH)  CH,  CH, 

CH,(OH)  CH,  CH, 

,,      ,    .    CH(OH)      ^        djHJ  ,     ^      ,  „    ,    ,    CH(OH) 

vom  Erythrit  über    1        zum   secund.    Butylalkohol    i 

CH(OH)  CH,  CH, 

CH,(OH)  CH,  CH, 

C.  Für  tertiäre  Alkohole.  8.  Die  Einwirkung  der  Zink- 
alkyle  (2  Mol.)  auf  Säurechloride  (1  Mol.)  fuhrt  nach  Zersetzung  des 
Reactionsproduktes  mit  Wasser  zur  Entstehung  von  tertiären  Alkoholen 
(BuTLEROw^.  Die  Wirkung  des  Zinkalkyls  besteht  wieder  zunächst  in 
einer  Addition: 

CH,-C/^      +  Zii(CH,),  =  CH,--C<^ .  in  -  CH, ; 
^Cl  XJl 

die  Zersetzung  dieses  Additionsproduktes  mit  Wasser  würde  ein  Keton 
liefern  (s.  Kap.  11);  bei  längerer  Einwirkung  des  Zinkalkyls  erfolgt  nun 
aber  ein  Austausch  des  Halogenatoms  gegen  eine  Alkylgruppe: 

/CH,  /CH, 

CH,-C(^.Zn.CH,  +  Zn(CH,),  =  CH,-C(-O.Zn.CH,  +  ZnCl(CH,), 

*  Kanonnikoff  u.  Sattzbff,  Ann.  176,  374. 

*  Zeitschr.  Chem.  1864,  885;  1866,  614. 


Ch'enxalkohole.  147 


und  jetzt  entsteht  bei  der  Zersetzung  mit  Wasser  ein  tertiärer  Alkohol: 


yCIL  yCH, 

[j— CvOZn- 


CHs-a  OZnCHg  +  H,0  =  CHj-C^OH  +  ZnO  +  CH^. 

Zur  Vollziehung  der  ersten  energisch  verlaufenden  Reactionsphase 
lässt  man  das  Säurechlorid  unter  starker  Abkühlung  zu  dem  Zinkalkyl 
zutropfen;  die  zweite  Phase  bedarf  zu  ihrer  Vollendung  mehrwöchent- 
lichen Stehens  bei  Zimmertemperatur.  —  Durch  Anwendung  verschiede- 
ner Zinkalkyle  in  den  beiden  Beactionsphasen  kann  man  Carbinole  mit 
zwei  oder  drei  verschiedenen  Alkylradicalen  erhaltend  —  Auch  hier 
verläuft  die  Beaction  nur  bei  Anwendung  von  Zinkmethyl  und  Zinkäthyl 
normal  (vgl.  S.  145);  bei  der  Einwirkung  von  Zinkpropyl  erhält  man 
unter  Abspaltung  von  Propylen  secundäre  Alkohole^. 

Terdfire  Alkohole  können  femer  durch  die  Einwirkung  von  Zinkmethyl 
oder  Zinkäthyl  (nicht  Zinkpropyl  etc.)  auf  solche  Ketone  erhalten  werden, 
welche  keine  Methylgruppen  im  Zusammenhang  mit  der  Carbonylgruppe 
enthalten*.  Lässt  man  z.  B.  ein  Gemisch  von  Dipropylketon  CsH^'CO'CgH,  mit 
Jodäthyl  und  Zink  einige  Tage  stehen  und  erwärmt  dann  zur  Beendigung  der  Ein- 
wirkung gelinde  auf  dem  Wasserbade,  so  erhält  man  bei  der  Zersetzung  des  Reac- 
tioosprodnktes  mit  Wasser  das  Aethyldipropylcarbinol: 

>C0  +  »CjHftJ  +  Zn,  =  Zn  J,  +  >C<  ; 

C,H/  CjH/     ^OZnCgHs 

XK  +  H,0  =  ZnO  +  C,H«  +  >C< 

C,H/      M).Zn.C,H5  CsH/      \0H 

Neben  den  tertiären  Alkoholen  bilden  sich  Kohlenwasserstoffe  der  Aethylenreihe  von 
gleicher  Kohlenstoffzahl. 

Im  Vorstehenden  sind  die  Reactionen  geschildert,  durch  welche 
Grenzalkohole  aus  Verbindungen  anderer  Körperklassen  erhalten  werden 
können.  Diese  Reactionen  geben  aber  gleichzeitig  die  Möglichkeit,  ver- 
schiedene Alkohole  in  einander  umzuwandeln.  So  lassen  sich  auf  Grund 
der  Bildungsweise  2)  (aus  den  Alkylenen)  primäre  Alkohole  in  secundäre 
bezw.  tertiäre  ihnen  isomere  Alkohole  überführen;  denn  aus  den  primären 
Alkoholen  werden  durch  Wasserabspaltung  Alkylene  erhalten(vgl.  S.  152): 

CH, .  CH, .  CH,(OH)-H,0  =  CH,  •  CH :  CH, , 
und  diese  Alkylene  liefern  nun  bei  der  Wasseranlagerung  nicht  wieder  den 
primären  Alkohol  zurück,  sondern  einen  secundären  oder  tertiären;  z.  B.: 

CH,(OH)  CH,  CH3 

!  1 

CH,     . ►  CH  >.  ÖH(OH); 

ÖHg  CHs  CH3 

prim.  Propylalk.  Propylen  secund.  Propylalk. 

«  Pawlow,  Ann.  188,  122.  *  Markownikow,  Ber.  16,  2284. 

■  Sattzbff  mit  Tschebotakeft,  Gobtalofp,  Barataepp,  Ustinopp,  J.  pr.  [2]  88, 
193;  84,  468;  Sokolofp,  J.  pr.  [2]  80,  480. 

10* 


148  AUgemeifie  Charakteristik  der  Gre/nxalkoliole, 


CH3V      /CH,(OH)  CH3V  CHsv      /CHs 

>C<  -      -V  >C  =  CH,  -^  >C<        . 

prim.  Isobutylalk.  Isobutylen  tert.  Isobutylalkohol. 

—  Eine  andere  Reactionsfolge  gestattet  die  Umwandlung  jedes  Alkohols 
in  einen  primären  Alkohol  der  nächsthöheren  Reihe;  man  hat  zu  diesem 
Zweck  an  Stelle  der  Hydroxylgruppe  des  Alkohols  zunächst  die  Cyan- 
gruppe  einzuführen  (vgl.  Kap.  8),  aus  dem  Cyanid  die  Carbonsäure 
darzustellen  (vgl.  Kap.  9)  und  diese  nach  Bildungs weise  4)  durch  die 
Zwischenstufe  des  Aldehyds  in  den  entsprechenden  Alkohol  zu  ver- 
wandeln : 

C„H,„+,.(OH)  -^     C„H,„+,.CN     _-^     C„H,„^.,.CO.OH  • 

Alkohol  Cyanid  Carbonsäure 

—     v     CnHgn^i-COH      -    ->.     C„H2„^.,-CH,(0H). 
Aldehyd  Alkohol. 

Durch  fortgesetzte  Anwendung  dieser  Reactionen  könnte  man  vom  Methyl- 
alkohol ausgehend  auf  synthetischem  Wege  die  ganze  Reihe  der  normalen 
primären  Alkohole  aufbauen;  ein  solcher  Aufbau  ist  thatsächlich  bis 
zum  normalen  primären  Hexylalkohol  ausgeführt  worden  ^  —  Auch- das 
entgegengesetzte  Problem  —  der  Abbau  eines  Alkohols  zu  einem  solchen 
der  nächstniedrigen  Reihe  —  ist  durch  eine  Combination  von  Reactionen 
lösbar,  wenn  man  von  einem  primären  Alkohol  ausgeht;  man  oxydirt 
denselben  zu  der  entsprechenden  Carbonsäurc  und  verwandelt  diese  in 
ihr  Amid;  aus  den  Säureamiden  kann  man  nun  durch  Einwirkung  von 
Brom  in  alkalischer  Lösung  das  Amin  der  nächstniedrigen  Reihe 
(s.  Kap.  5)  und  aus  letzterem  nach  Bildungsweise  3)  den  Alkohol  ge- 
winnen : 

C„H,„^.,.CH,(()H)  y   C„H,„+,.CO.OH  ^  C„H,„+,.CO.NH, 

Alkohol  Carbonsäurc  Säureamid 

>  O.H,„+,.(NH»)  v    C.H,„+..(OH). 

Amin  Alkohol. 

Allgemeine  Charakteristik  der  Grenzalkohole. 

Die  Alkohole  sind  neutral  reagirende,  farblose  Verbindungen;  die 
niederen  Glieder  der  Reihe  sind  mit  Wasser  mischbare,  leicht  bewegliche 
Flüssigkeiten  von  charakteristischem  Geruch  und  brennendem  Geschmack. 
Aus  ihren  wässerigen  Lösungen  können  sie  durch  leicht  lösliche  Salze 
(am  besten  Pottasche)  abgeschieden  werden.  Die  Löslichkeit  in 
Wasser  nimmt  mit  wachsendem  Kohlenstoffgehalt  rasch  ab;  während 
der  primäre  Propylalkohol  noch  in  jedem  Verhältniss  mit  Wasser 
mischbar  ist,  erfordert  der  primäre  normale  Butylalkohol  schon  12  Theile 
Wasser   zur  Lösung.     Die  Alkohole  von   der  4.  bis  zur  11.  Reihe  sind 


*  8.  Lieben  u.  R088I,  Ann.  168,  177;  169,  70.  —  Ropsi,  Ann.  169,  79.  —  Libben 
u.  Janeczek,  Ann.  187,  126. 


Tabellarische  Uebersicht  über  die  normalen  pri/niären  Alkohole,         149 


demnach  ölige,  mit  Wasser  nicht  mischbare  Flüssigkeiten.  Dann  folgen 
Verbindungen,  welche  bei  gewöhnlicher  Temperatur  fest  sind  und  aus 
Aethylalkohol  oder  Aether  krystallisirt  erhalten  werden  können.  Die 
höchsten  Glieder  sind  geschmack-  und  geruchlos.  Durch  den  Eintritt 
der  Hydroxylgruppe  in  den  Grenzkohlenwasserstoff  ist  die  Flüchtigkeit 
erheblich  vermindert;  die  Alkohole  sieden  stets  beträchtlich  höher,  als 
ihre  Stammkohlenwasserstoffe.  Von  der  16.  Reihe  ab  können  sie  nur 
noch  im  Vacuum  unzersetzt  destillirt  werden.  Die  folgende  Tabelle  Nr.  3 
giebt  einige  Eigenschafben  der  normalen  primären  Alkohole,  soweit 
dieselben  bekannt  sind,  wieder: 

Tabelle  Nr.  3.     Normal-primäre  Alkohole^ 


Schmelzpunkt. 

Siedepunkt. 

,  Specifischefl 

Gewicht. 

CH,(OH) 

66  0 

0.812] 

C.H.(OH) 

—1300» 

78  0 

0-806 

C,H,(OH) 

970 

0-817 

C«H,(OH) 

— 

117<> 

0823 

i  0 

»  © 

C,H„(OH) 

— 

138° 

0-829 

C,H.,(OH) 

— 

157<> 

0-833 

0  s 

0  ?» 

C,H„(OH) 

1760 

0-836 

0  M 

C,H„(OH) 

1950 

0-839 

^^  i-ti 

C,H,^OH) 

~5<> 

2130 

0-842 J 

C„H„(OH) 

^70 

231  0 

0-839 

o* 

C.,H„(OH) 

240 

1430  1 

0-831 

9-1- 

ii. 

<  ^^ 

C„H„(OH) 

38  <» 

167° 

15  mm 

0-824 

0  g  0 

ig 

C„H„(OH) 

i              50» 

190  0 

ö 

0-818 



1             

— 

0 

CD    M 

*^   TT 

C„H„(OH) 

1               59<> 

1 

211«  J 

« 

0-813 J 

Es  ist  daraus  ersichtlich,  dass  die  Siedepunkts-Difierenz  zweier  auf 
einander  folgender  Alkohole  bis  zur  10.  Reihe  eine  ziemlich  gleich- 
bleibende ist  (18 — 22^.  Ueber  die  Aenderung  der  physikalischen  Eigen- 
schaften durch  verschiedene  Structur  bei  gleicher  Kohlenstoffzahl  giebt 
die  Tabelle  Nr.  4  auf  S.  150  Aufschi uss;  sie  umfasst  die  in  der  3.  bis 
5.  Reihe  bekannten  isomeren  Alkohole  und  enthält  in  Columne  I  die 
Siedepunkte,  in  11  das  specifische  Gewicht  bei  20®  bezogen  auf  Wasser 
von  4®  (d  Y)>  iii  HI  den  Brechungsindex  (/i.)  und  in  IV  den  Capillaritäts- 
coefficienten  (a*)  beim  Siedepunkt.    Die  Columne  I  zeigt,  dass  unter  den 

^  Zajider,  Ann.  224^  85.  —  Krafft,  Ber.  16,  1714;  19,  2221;  28,  2360.  —  Weitere 
literatnrangaben  v^l.  bei  der  Bpeciellen  Besprechung  der  einzelnen  Alkohole  S.  154—169. 
*  Wboblewbky  u.  Olszewsky,  Monatsh.  4,  338. 


1 50      Tabellarische  Vebersidä  über  die  it 


AlkohoU  der  3.  big  5.  Iteihe. 


ifiomeren  Alkoholen  stets  der  primäre  normale  deü  höclisten  Siedepunkt 

besitzt,    das8    der    Siedepunkt    sowohl   mit    grösserer   Verzweigung    der 

Kohlenstoffkette  als  auch  mit  dem  Hineinrücken  der  Hydroxylgruppe  von 

ilpm  F.nr!«   dor   Kohlenstoffkette    nach    der   Mitte   sinkt.     Aus    den  Co- 

und  IV    lässt  sich  für  die   betreffenden  Constanteu,    so- 

skannt  sind,  derselbe  Schluss  ziehen.   Die  Verbindung  mit 

inkte  besitzt  auch  die  grössere  Dichte,  grösseren  Brechungs- 

ere  Capillarerhebung.    Eine  solche  Proportionalität  dieser 

:t  sich  auch  bei  den  meisten  anderen  Verbindungsgmppeii 

ieder', 

i.    Die  isomeren  Alkohole  der  3.  bis  5.  Reibe'. 


!  CH,-CH,.CH,iOH) 
1  CH,.CH(OH)-CH. 


I  C,H,-CH,-CH,(OH| 
C,Hi-CH(OH)-CH, 
(CH,l,CHCri,!OH) 

'  (CH.i,C(OH)-CH, 


0-815 
0-810 


l-383fi 
1-8767 

1-3971 

1-3940 


....  I  C,Hs-CII,-CH,  CH,(OH) 

>l  .  .  .  :  (CH,),CH-CH,-CH,(OH) 
»rbinol.  CH,-CH(C,H,).GH,(OH) 
u-biDoI  .  C,H,-CH,-CH(OH)-CH, 
■Icarbinol     (CH,),CHCH(OH)-CH. 

1    ...  I  C,Hs-CH(OH)-C,H. 

;arbinol.  Ii  {CH,1,C(0H)-C,H, 

n  Alkohole,  welche  unter  ihren  Isomeren  den  niedrigsten 
zen,  zeigen  im  Gegensätze  hierzu  den  hSchsten  Schmelz- 
in Tier  Butylalkoholen  ist  bisher  nur  der  tertiäre  fest 
;  er  schmilzt  bei  +25".  Von  den  7  Amylalkoholen  er- 
äre  ebenfalls  am  leichtesten  (bei  — 12"),  während  das 
'  erst  bei  —134"  fest  wird.  Auf  den  Schmelzpunkt 
I  erhöhend  die  Anhäufung  von  Methylgruppen  im  Moleciil 
rläthol,  S.  167). 

^sche  Verhalten  der  Alkohole  wird  hauptsächlich  durch 
fähigkeit  der  Hydroxylgruppe   beeinflusst;   das    an 

,  Ann.  208,  276.  —  B.  Schiff,  Ann.  328,  89. 
.  203,  1.  255.  363.  —  R.  Schii-p,  Ann.  228,  70.  —  Weitere  literatur- 
er Besprechung  der  einzelnen  Alkohole  S.  160  —  166, 
Monateh.  6,  128. 


Chemisches  Verhalten  der  Alkohole,  151 


Sauerstoff  gebundene  Wasserstoffatom  ist^  wie  schon  öfter  hervorgehoben 
wurde,  mannigfachen  Austausches  fähig.  Die  Alkalimetalle  wirken  unter 
Wasserstoffentwickelung  ein : 

CjH^.OH  +  Na  =  C^HaONa  +  H, 

und  es  entstehen  so  die  Alkoholate,  welche  indess  schon  von  Wasser 
wieder  in  die  Alkohole  und  Alkalien  zerlegt  werden: 

CJIs-ONa  +  HjO  =  CjUgOH  +  NaOH 

und  daher  keine  echten  Salze  sind.  —  Bei  der  Einwirkung  von  Sauer- 
stoffsäuren tritt  das  Wasserstoffatom  mit  der  Hydroxylgruppe  des  Säure- 
molecüls  als  Wasser  aus,  an.  seine  Stelle  tritt  das  Säureradical,  und 
es  bilden  sich  die  Ester  der  Alkohole: 

GjHjO-  II  +  OH- NOj      =  H,0  -h  CjHftONO,:  Salpeterafiureester, 
CjHsO'  H  +  OH.  C,H,0  =  H,0  +  CjHsO.CjHjO:  Essigsäureester. 

Dieselben  Verbindungen  entstehen  unter  Austritt  von  Chlorwasserstoff 
und  heftiger  Reaction  bei  der  Einwirkung  von  Säurechloriden: 

CjHj.O.  H  +  ClCjHjO  =  HCl  +  C.Hs •  0 - CjHsO. 

Die  Halogenverbindungen  des  Phosphors  bewirken  die  Substitution  der 
Hydroxylgruppe  durch  ein  Halogenatom: 

CjHß.OH  +  PCI5  =    C.HöCl  +  HCl  +  POCls, 
SCjHjOH  +  PBrj  =  SC^Hs-Br  +  P(OH),; 

die  in  dieser  Reaction  entstehenden  Halogenalkyle  bilden  sich  auch 
beim  Erhitzen  der  Alkohole  mit  concentrirten  Halogen  wasserstoffsäuren: 

C.HjOH  +  HCl  =  CjHftCl  +  H,0, 
CjHß.OH  +  HJ    ^CaHj.J    +H,0. 

Die  Berechtigung  der  schon  von  der  Typentheorie  (s.  S.  55)  einge- 

f&hrten  Auffassungsweise  der  Alkohole  als  „einfach  alkylirtes  Wasser", 

C  H 
^   *°^yO,  wird  durch  einigender  eben  behandelten  Reactionen  besonders 

ersichtlich.  Denn  in  der  That  ist  ja  der  Reactionsverlauf  mit  den 
Alkalimetallen,  den  Säurechloriden  und  den  Halogenverbindungen  des 
Phosphors  ganz  analog  bei  der  Anwendung  von  Wasser: 

H,0  +  Na  =H.O.Na  +  H 

HaO  +  ClCjHjO  =  HCl         +  HO-CjHjO 
.  H,0  +  PCls  =  HCl         +  HCl  +  POCls 

3H,0  +  PBr,  =  3  HBr       +  P(0H)3. 

In  dem  einen  Falle  entstehen  die  Wasserstoffverbindungen: 
H-ONa         ^  CjHgONa 

H  ri    *    ^    '  ^^  anderen  die  Alkylverbindungen :  p^xr**  ni    *    ^ 
HBr  cX'Br 


152  Oiemiaches  VerhaUm  der  Alkohole. 

Die  nahen  Beziehungen  zwischen  ilem  Wasser  und  dem  Alkoholen  treten  «neb 
in  dem  Umstand  herror,  dass  die  Alkohole  —  ebenso  wie  das  Wasser  —  mit  Salzen 
2U  krystollisirten  Verbindungen  Eosammeutreten  können.  Solche  „KiTStatUlkohol'- 
enthaltenden  VerbinduDgen  bilden  sich  z.  B.  mit  Chlorcalcium  (CaCl,  +  4CH,0: 
CuCIi  4-  iCtlI,Oy,  Chlorcalcium  darf  daher  nicht  ab  EDtwOsserungsmittel  für  Alko- 
hole benutzt  werden. 

Die  Hydroxylgruppe  der  Alkohole  kann  auch  gegen  Ammoniakreste 

ausgetauscht  werden;  erhitzt  man  die  Alkohole  längere  Zeit   mit  Chlor- 

-260",   80  bilden   sich   primäre,   secundäre  und 

■OII  +  NH,=    H,0  +  C,H,.NH„ 
■OH  +  NH,  =  2H,0  +  (C4H,).NH, 
■  OH  +  NH,  =  9H,0  +  (C.H^N. 
rkung    von    wasserentzieheuden    Agentien 
äure,    Chlorzink)   tritt   die  Hydroxylgruppe   mit 
I  Kohlenstoffatom  befindlichen  "Wasserstoffatom 
bilden  sich  ungesättigte  Kohlenwasserstoffe  der 

,-CH,-OH  -  H,0  =  CH, :  CH„ 
.CH^OH)  -  H,0  =  CH,.OH:CH,; 
tritt  bei  den  secundären  und  tertiären  Alkoholen 
nären  ein.  Bei  der  Einwirkung  der  concentrirten 
Ire  Alkohole  ist  der  Process  nicht  als  einfache 
eben,  sondern  verläuft  unter  intermediärer  Bil- 
änren  (vgl.  Kap.  13). 

litteln  werden  die  Alkohole  sehr  leicht  ange- 
Produkte  sind  bei  den  drei  Alkoholklaasen  ganz 
►as  Oxydationsmittel  richtet  seine  Wirksamkeit 
snige  Kohlenstoffatom,  welches  schon  im  Molecfll 
iff  verbunden  war.  Aus  einem  primären  Alkohol 
daher,  indem  der  Rest  C„Hj,„^,  unveritudert 
lehyd : 

DH,-OH  +  0  =  H,0  +  C,H,B^.,-COH 
ige   CarboQSäure  von  gleicher  Kohlen- 

^■COH -f  0  =  CaH,„^.,■C0■0H. 

chenprodukte  der  Oxydation:  Säureester,  Acetale, 

lären  Alkohol      "^"^'NCH^OH)  dagegen  en(- 

Keton  von  gleicher  KohlenstofFzahl : 

:!H(OH)  +  0  =  H.O  -f    "   "  * '  V;o; 
C„H,„  .  ,/ 


Verschiedenes  Verhalten  der  primären,  secundären  und  tertiären  Alkohole.     153 


allein  die  weitere  Einwirkung  des  Oxydationsmittels,  welches  nun  aus  der 
beiderseits  an  Kohlenstoff  gebundenen  Carbonylgruppe  =  CO  die  Caiboxyl- 
gruppe  — CO -OH  zu  bilden  strebt,  muss  zu  einer  Spaltung  des  Mole- 
cüls  führen;  es  können  sich  in  diesem  Falle  nur  solche  einwerthige 
Carbonsäuren  (C^Hj^^j-CO-OH  oder  C^H^^^i-CO-OH)  bilden,  welche 
weniger  Kohlenstoffatome  als  die  Ausgangssubstanz  enüialten. 

Bei  den  tertiären  Alkoholen  C^IL^^^j  ^C(OH)  endlich  bewirkt  die 

Oxydation,  wenn  sie  sich  auf  das  mit  Hydroxyl  beladene  Kohlenstoff- 
atom richtet,  sofort  einen  Zerfall  der  Kohlenstoffkette;  ein  Keton  (z.  B. 

C  BL 
°     °'*'^\C0)  kann  nur  nach  Loslösung  eines  Alkylrestes,,  eine  einwer- 

thige  Carbonsäure  erst  nach  Loslösung  zweier  Alkylreste  entstehen. 

Primäre  Alkohole  also  können  durch  Oxydation  in  Alde- 
hyde und  einwerthige  Säuren  von  gleicher  Kohlenstoffzahl, 
secundäre  zunächst  in  Ketone  von  gleicher  und  dann  in  ein- 
werthige Säuren  von  niederer  Kohlenstoffzahl  übergeführt 
werden;  aus  tertiären  Alkoholen  können  nur  Ketone  und  ein- 
werthige Carbonsäuren  von  niederer  Kohlenstoffzahl  hervor- 
gehen. Dieser  Unterschied  ist  von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Dia- 
gnose der  Zugehörigkeit  eines  Alkohols  zu  einer  der  drei  Klassen;  er 
wurde  bereits  zur  Ableitung  der  Constitution  der  beiden  Propylalkohole 
(9.  S.  70)  benutzt. 

Carbonsänren,   welche   mehr   als  zwei  Sauerstoffatome  enthalten,  könnten  sich 

indesB  auch  unter  Wahrung  des  gesammten  Kohlenstoffgehalts  aus  secundfiren  und 

GH.. 
tertifiren  Alkoholen  bilden,  z.  B.  aus  >CH(OH)  unter  intermediärer  Bildung  von 

cu/ 

CH,v  CHgv 

>C0  die  Säure  >C0  (vgl.  Kapitel  11  über  die  Oxydation  der  Ketone). 

CE/  COOH'^ 

CHgv        vCOjH 
—  AIb  eine  Anomalie  sei  die  Bildung  von  Isobuttersäure  yC<  bei    der 

CH,/    \h 

CHgv  yCHg 

Oxydation   des  tertiären  Butylalkohols  >C<^  erwähnt^ ;  sie  ist  wohl  dadurch 

CHg/    ^OH 

CHg. 
zu  erklären,  dass  zunächst  durch   Wasserabspaltung   das   Isobutylen         >C  =  Cllg 

CH,/ 

entsteht,   aus   welchem   sich    nun    durch   Wasseranlagerung    der    primäre    Alkohol 

CHgx      yCHg(OH) 

^C<^  bilden  kann,  dessen  normales  Oxydationsprodukt  die  Isobuttersäure 

ist  Es  bildet  sich  übrigens  nur  sehr  wenig  Isobuttersäure,  die  Hauptprodukte  der 
Oxydation  sind  der  obigen  Begel  entsprechend  Aceton  CHg-CO'CHg  und  Essigsäure 
CHgCOGH. 


^  BuTLEBOw,  ZtBchr.  Chem.  1871,  484.    Vgl.  auch  Ann.  180,  78. 


™'  einxelTien  Glieder  dfr  Reihe. 

iehungen  sind  wesentliche  Unterschiede  zwischeu 
itet  worden.   Während  sich  z.  B.  die   primäreD 

beim  Kochen  mit  Bariumoxyd  zu  Alkoholaten 
\),  liefern  die  tertiären  Alkohole  hierbei  keine 
imäre  Alkohole  werden  am  raschesten,   tertiäre 

bei  der  Einwirkung  von  Säuren  In  £ster  (wie 
Ihrt;  erhitzt  man  einen  Alkohol  mit  der  äquiva- 
eine  Stunde  auf  150" — 155"  und  titrirt  hierauf 
ire  zurUck,  so  findet  man,  dass  tod  primäreo 
r  der  Methylalkohol  macht  eine  Ausnahme,  s. 
' — 26*/o,  von  tertiären  aber  nur  1 — 2''/g  „esteri- 
i).  —  In  den  niederen  Reihen  kauo  man  auch 
die    drei  Klassen   von   einander  unterscheiden: 

durch  Vermittelung  der  Halogeualkyle  in  die 
indangen  über: 

-  >-    C„H,„^.,.J    ,.     C„H„^.,.NO, 

Iten  der  letzteren  gegen  salpetrige  Säure,  wobei. 
tr  ausgeMirt  werden  wird,  die  primären  und 
Igen  charakteristische  und  andersartige  Farben- 
en  dagegen  keine  Färbung  liefern. 

zelnen  Glieder  der  Eeihe. 

CHjOH  führt  auch  den  Namen  Holzgeist, 
idukten  der  trockenen  Destillation  des  Holzes 
idet.  Unter  diesen  vrarde  er  zuerst  1661  von 
iwärtig   wird   er   in  erheblichen  Mengen   theils 

Holz,    theils  ans  der  Rübenmelassenschlempe 

nthetisch   kann   er  auB  dem   Grubengas   uiit«r 

(i: 

l  +  HCl;    CH,-C1  +  H-0H  =  CH,-0H  +  HC1 


ibsolut  reinem  Methylalkohol  aiu  dem  kftuf li^eu 
den  Alkohol  iu  Form  eiaea  Esters  an  eine  oi^anische 
lUB  dem  Ester  wieder  durch  VerseiAing  ab.  Man  13b' 
»laÄure  in  eiedendem  Holzgeist;  beim  EIrkalten  krystalJi- 

COO  CH, 
I  ,    welcher   nun   durch  Kochen  mit  Wasser 

COOCH, 

daSure  und  reinen  HethjUlkohol  zerlegt  wird';  leiderer 
Pottasche  oder  Kalk  entwüssert    Statt  des  UialBinre- 

r,  204. 

>,  334  u.  187,  193. 

.  —  Eklehhbvbb,  Jb.  1874,  &12. 


MeihylalkohoL  155 


estere  kann  man  sich  auch  des  Benzoösäureesters  ^*^  oder  Ameisensäureesters'  zur 
Reinigung  bedienen.    S.  ferner  die  Angaben  von  Rbqnauld  und  Villgjean'. 

Der  Methylalkohol  brennt  mit  blassblauer,  nicht  leuchtender  Flamme; 
er  mischt  sich  mit  Wasser  in  jedem  Verhältniss;  bei  der  Mischung 
tritt  Contraction  ungefähr  in  demselben  Mass  wie  beim  Aethylalkohol 
(s.  S.  157)  ein.     Er  wirkt  berauschend,  in  concentrirtem  Zustand  giftig. 

In  seinen  Umsetzungen  zeigt  er  ganz  das  Bild  eines  primären 
Alkohols  (S.  151 — 152).  Durch  seine  Stellung  als  erstes  Glied  der  Reihe 
wird  indessen  in  einigen  Fällen  ein  besonderes  Verhalten  bedingt.  So 
kann  die  bei  seinen  Homologen  zur  Bildung  eines  Alkylens  fuhrende 
Abspaltung  von  Wasser  durch  Austritt  der  Hydroxylgruppe  mit  einem 
Wasserstoffatom  des  benachbarten  Kohlenstoffatoms  (vgl.  S.  152)  hier  selbst- 
verständlich nicht  eintreten,  da  eben  nur  ein  Kohlenstoffatom  im  Molecül 
vorhanden  ist.  Die  Einwirkung  von  warmer  concentrirter  Schwefelsäure 
lässt  daher  —  je  nach  den  Bedingungen  —  Dimethyläther  CHg-OCHg 
oder  Schwefelsäuremethylester  S03(0-CH3)2  entstehen*;  Erhitzen  mit 
Chlorzink  liefert  neben  geringen  Mengen  von  Dimethyläther  und  Hexa- 
methylbenzol  der  Hauptsache  nach  gasformige  gesättigte  Kohlenwasser- 
stoffe ^  —  Da  femer  der  Methylalkohol  der  einzige  Alkohol  ist,  welcher 
an  das  mit  der  Hydroxylgruppe  verbundene  Kohlenstoffatom  noch  drei 
Wasserstoffatome  gekettet  enthält,  so  kann  er  im  Gegensatz  zu  seinen 
Homologen  durch  Sauerstoffzufiihrung  zu  diesem  Kohlenstoffatom  drei 
Oxydationsproduxte  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  liefern: 

OH  OH  OH  OH 

cH  .  pOH  ^          pOH  .             pOH 

^H                  ^  ^     H  ^          ^OH  '     "^            ^OH 

H  H  II  OH 


=  H,0  +  CH,0  r=H80 +  H.CO.OH  =  2H,0  +  CO,. 

(Formaldehyd)  .  (Ameisensäure)  (Kohlensäure) 

Unter  allen  Alkoholen  besitzt  der  Methylalkohol  die  grösste  Fähig- 
keit zur  Esterbildung;  beim  Erhitzen  mit  der  äquivalenten  Menge  Essig- 
säure auf  150 — 155®  werden  in  der  ersten  Stunde  56  ^/^  esterificirt, 
von  seinen  primären  Homologen  dagegen  nur  46 — 47  ^o  (s-  S.  154)®. 

Bemerkenswerth  ist  endlich  der  Zerfall  des  Methylalkohols  in  Kohlen- 
oxid und  Wasserstoff: 

CH4O  =  CO  +  2H8 

beim  üeberleiten  über  erwärmten  Zinkstaub  ^. 

Aethylalkohol:  C^H^O  (Methylcarbinol :  CHg-CH^lOH),  Weingeist, 
auch  Alkohol  schlechthin  genannt).  Die  culturelle  Wichtigkeit  dieser 
Verbindung  ist  zu  bekannt,  als  dass  es  nöthig  wäre,  sie  hier  noch  be- 
sonders hervorzuheben.     Die  enormen  Quantitäten,  in  welchen  der  Aethyl- 


*  Camus,  Ann.  HO,  210.  «  Kbamee  u.  Geodsky,  Ber.  7,  1494  u.  9,  1928. 
'  Compt.  rend.  09,  82.            ^  Dumas  u.  P^ugot,  Ann.  15,  12  u.  22. 

*  Lb  Bbl  u.  Grbekb,  Jb.  1878,  388.  ®  Mensohutkin,  Ann.  195,  356. 
^  Jahn,  Ber.  18,  983. 


156  Aethylalkohol  (Vorkommen  und  Bildung), 


alkohol  durch  menschliche  Gewerbethätigkeit  erzeugt  wird,  um  in  ver- 
schiedenartigster Weise  in  das  tägliche  Leben  einzugreifen ,  verdanken 
ihre  Entstehung  einem  Gährungsprocesse  von  Zuckerarten,  welcher  der 
Hauptsache  nach  einen  Zerfall  derselben  in  Kohlensäure  und  Aethyl- 
alkohol bewirkt,  z.  B.: 

CeHijOe  =  2C0,  +  2C,HeO. 

Seit  den  ältesten  Zeiten  schon  ist  dieser  Process  zur  Herstellung  geistiger 
Getränke  benutzt  worden.  Die  Abscheidung  wasserhaltigen  Alkohols 
aus  dem  Gährungsgemisch  durch  Destillation  und  die  theilweise  Ent- 
wässerung des  Alkohols  gelang  im  Mittelalter;  wasserfreien  Alkohol 
stellte  zuerst  Lowitz  1796  dar;  die  Zusammensetzung  des  Alkohols 
stellte  Saussube  1808  fest.  Der  Verlauf  jenes  Gährungsprocesses  und 
seine  technische  Ausbeutung  wird  später  (s.  S.  172 — 178)  eingehender 
besprochen.  Hier  sei  nur  darauf  hingewiesen,  dass  sich  auf  der  Erd- 
oberfläche bei  der  Zersetzung  der  organischen  Materien  auch  oft  ohne 
menschliches  Zuthun  die  Bedingungen  der  Alkoholentstehung  durch 
Gährung  einstellen  werden.  Aus  diesem  Grunde  wohl  findet  sich  Alkohol 
—  freilich  in  minimalen  und  nur  nach  geeigneter  Concentration  durch 
äusserst  scharfe  Reactionen  (vgl.  S.  159)  nachweisbaren  Mengen  —  im 
Erdboden,  in  allen  Wässern  und  in  der  Atmosphäre.  Nur  in  sehr 
reinen  Quellwässem  konnte  kein  Alkohol  nachgewiesen  werden,  Regen- 
wasser enthält  ungefähr  ein  Millionstel,  Schnee  etwas  mehr  Alkohol 
(MtTNTz)^.  Erwähnt  sei  ferner  das  Vorkommen  von  Alkohol  im  Harn  der 
Diabetiker*  und  kleiner  Mengen  desselben  im  Steinkohlentheer'. 

Der  Aethylalkohol  kann  nach  den  allgemeinen  Bildungsweisen  1 — 4) 
erhalten  werden.  Ein  Weg  zu  seiner  Synthese  aus  den  Elementen  ist 
schon  S.  131  angegeben  worden.  Ein  anderer  Weg  nimmt  seinen  Aus- 
gangspunkt vom  Acetylen  CgHg,  das  durch  directe  Vereinigung  von 
EoÜenstoff  und  Wasserstoff  erhalten  wird,  und  führt  über  das  durch 
Wasserstoffaddition  daraus  erhältliche  Aethylen  C^H^  nach  Bildungs- 
weise 2)  zum  Alkohol  (Fabaday,  Bebthblot,  de  Wilde): 

CH  CH,  CHjOSOgH  CH,(OH) 

,1       ^     r         V      I  ^      I 

CH  CH]  CHg  CH3 

Auch  der  stärkste  Alkohol  des  Handels  ist  nicht  ganz  wasserfrei; 
er  enthält  noch  0-5 — 2^/^^  Wasser.  Um  vollständig  wasserfreien 
(absoluten)  Alkohol  herzustellen,  kocht  man  den  käuflichen  absoluten 
Alkohol  am  Riickflusskühler  eine  Stunde  lang  mit  so  viel  gebranntem 
Kalk  (in  massig  grossen  Stücken),  dass  der  Kalk  nicht  ganz  von  dem 
Alkohol  bedeckt  ist,  und  destillirt  dann  aus  dem  Wasserbade  ab*.  Setzt 
man  hierbei  etwas  wasserfreien  Aetzbaryt  zu,  so  erkennt  man  den  Punkt, 
wo  vollständige  Entwässerung  erreicht  ist,  an  der  Gelbfärbung  des  Alkohols, 

^  Compt.  rend.  82,  499.  *  Mabkowkixow,  Ann.  182,  362. 

'  Witt,  Ber.  10,  2227.  ^  Erlemmeteb,  Ann.  leO,  249. 


Aethylalkohol  (Entwässerung,  Eigenschaften).  157 


da  sich  Aetzbaryt  erst  in  ganz  absolutem  Alkohol  unter  Bildung  von 
Bariumalkoholat  mit  gelber  Farbe  löst^  Zur  Entfernung  der  letzten 
Wasserspuren  eignet  sich  beim  Aethylalkohol  sowohl  wie  bei  anderen 
Alkoholen  vortrefflich  die  wiederholte  Destillation  über  kleinen  Mengen 
metallischen  Natriums*.  Um  Alkohol  auf  einen  Wassergehalt  zu  prüfen, 
benutzt  man  das  Wasserfreie  Kupfersulfat;  dasselbe  behält  beim  Schütteln 
mit  wasserfreiem  Alkohol  seine  weisse  Farbe,  während  es  sich  mit 
wasserhaltigem  Alkohol  blau  färbt.  Sehr  empfindlich  ist  auch  die  Prü- 
fung mit  einer  Lösung  von  flüssigem  Paraffin  in  absolutem  Alkohol  oder 
wasserfreiem  Chloroform;  fügt  man  zu  derselben  einige  Tropfen  eines 
wasserhaltigen  Alkohols,  so  findet  sofort  Trübung  statt  ^. 

Der  Alkohol  ist  eine  leicht  entzündliche,  mit  blassblauer  nicht 
leuchtender  Flamme  verbrennende,  wasserhelle  Flüssigkeit.  Er  wirkt 
berauschend,  in  concentrirtem  Zustand  als  tödtliches  Gift.  Er  ist  ein 
Lösungsmittel  für  viele  organische  und  auch  manche  anorganische  Ver- 
bindungen (Fette,  Oele,  Harze,  Alkalien).  Er  ist  sehr  hygroskopisch 
und  mischt  sich  mit  Wasser  in  jedem  Verhältniss  unter  Contraction 
und  geringer  Wärmeentwicklung;  das  Maximum  der  Contraction  (3 — 4%) 
tritt  ein,  wenn  auf  1  Mol.  Alkohol  annähernd  3  Mol.  Wasser  kommen*; 
52  Vol.  Alkohol  +  48  Vol.  Wasser  geben  bei  20<^  statt  100  nur  96-3  Vol. 
Mischung.  Die  Tabelle  Nr.  5  (S.  158)  zeigt  das  specifische  Gewicht* 
von  Mischungen  zwischen  Alkohol  und  Wasser  bei  verschiedenen  Tem- 
peraturen, bezogen  auf  Wasser  von  4^ 

Der  Bestimmung  des  specifischen  Gewichts  mit  Hülfe  des  Aräo- 
meters bedient  man  sich  im  Handel  allgemein,  um  den  Alkoholgehalt 
von  wässerigem  Alkohol  zu  ermitteln  ^.  Im  Handel  wurde  der  Alkohol- 
gehalt bisher  allgemein  nicht  nach  Gewichtsprooenten,  sondern  nach 
Volumprocenten  angegeben.  Zur  Bestimmung  dienen  die  „Alko- 
holometer" von  Tballbs:  Aräometer,  deren  Scala  nicht  das  specifische 
Gewicht,  sondern  direct  den  Alkoholgehalt  in  Volumprocenten  angiebt; 
in  ihnen  ist  ein  Thermometer  angebracht,  damit  man  die  Temperatur 
bei  der  Messung  erfährt  und  die  Angabe  des  Alkoholometers  nach  be- 
sonderen fiir  diesen  Zweck  berechneten  Tabellen  auf  die  Normaltemperatur 
von  15*/9®C.  reduciren,  aus  der  direct  abgelesenen  „scheinbaren  Stärke" 
die  „wahre  Stärke"  berechnen  kann.  Die  Alkoholometer  müssen  geaicht  sein. 
Neuerdings  werden  von  den  deutschen  Behörden  Gewichtsalkoholo- 
meter*  eingefiihrt,  welche  den  Alkoholgehalt  in  Gewichtsprooenten  der 
Mischung  bei  der  Normaltemperatur  von  15®  C.  angeben. 


^  Mendelejeff,  Pogg.  188,  246.  '  Lieben,  Ann.  158,  151. 

*  Cbibmer,  Ber.  17,  649. 

*  Meitdelbxeff,  Ztachr.  Cbem.  1866,  257.  —  Pogg.  188,  103,  230. 

'  Ausführliche  Angaben  über  „Alkoholometrie")  sowie  die  dabei  zu  benutzenden 
Tabellen  finden  sich  in  Btohmann-Rebl,  Technische  Chemie  (Braunschweig  1888) 
Bd.  I,  S.  639—702;  vgl.  auch  Ost,  Techn.  Chemie  (Berlin  1890)  S.  439. 

*  YgL  F.  Fischeb's  Jahresber.  d.  ehem.  Technologie  1889,  S.  1096  ff. 


158      JeihylfUkokol  (BesHnvmung  desseiben  in  Mischungen  mit  Wasser). 
Tabelle  Nr.  5. 


10° 

20» 

30» 

35 

0-99113 

0-98945 

0-98680 

»3 

0 .9^409 

0-98195 

0-97892 

95 

0- 97316 

0-97527 

0-97U2 

86 

0-97263 

0-96877 

0-96413 

15 

0-96672 

0-96185 

0-95628 

40 

0-95998 

0-95403 

0-94751 

B4 

0-95174 

0-9451 4 

0-93813 

39 

0-94255 

0-93511 

0-92787 

77 

0-93251 

0-92493 

0-91710 

40 

0-921S2 

0-91400 

0-90577 

48 

0-91074 

0- 90275 

0-89456 

42 

0-89944 

0-89129 

0-88304 

95 

0-88790 

0-87961 

0-87125 

20 

0-87613 

0-86781 

0-85925 

45 

0-86427 

0-85580 

0-84719 

0-85215 
0-83967 
0-82665 
0-81291 
0-79788 


0-78945 


0-83483 
0-82232 
0-80918 
0-79553 
0-78096 


on  niederea  Alkoholgeliftlten  ist  nenerdings  die  Ermittelung 
empfohlen,  da  diese  bei  geringem  Alkoholgehalt  dnitb 
schiede  relativ  erhebliche  Aenderungen  erleidet.  Zw 
.läge  dient  das  Stalagmometer;  ein  einfacher  Appai*', 
1  Constanten  Volum  enthaltene  Tropfenzahl  bestimmt  wird '. 
tstimmnng  des  Alkoholgehalts  in  solchen  Flfissig- 
ohol  und  Wasser  noch  andere  Stoffe  enthalten, 
n,  anszufiihren.  In  solchen  Fällen  besteht  die  zuverlSssigst« 
tioD  einer  bestimmten  Menge  der  eu  untersuchenden 
<  Destillats  und  Ermittelung  seines  Alkoholgehalts  dttrch 
len  Gewichts.  Ausser  dieser  DeBtillationsmethodc 
kop  und  das  Vaporimeter  für  solche  Zwecke  verwendet. 
!rem  Instroment  beruht  darauf,  daas  der  Siedepunkt  der 
ad  Wasser  niedriger  liegt  als  der  des  Wassers,  und  mau 
welchen  eine  alkoholhaltige  Flüssigkeit  zeigt,  auf  ibrra 
.UD.  Mit  dem  Vaporimeter  misst  man  die  Dampftension 
»sigkeit;  die  Tension  des  Alkohols  ist  weit  grösser  ale 
Ireicher  die  Flüssigkeit  ist,  nro  so  grösser  ist  ihre  Dsmpf- 
ck  kann  demnach,  wenn  er  einmal  für  verschiedene  Gf- 
tlass  dea  Alkoholgehalts  benutzt  werden'. 

,  2646,  2824. 

'.  Methoden  and  Beschreibung  der  Apparate  s.  tn  Posts 

inschweig   1881)  S.  837—839;    BeoKiuini'B  chemisch- tecbn- 


Aethylalkokol  (qtuüitcUiver  Nachweis,  chemisdies  Verlialten),  159 


Zam  qualitativen  Nachweis  des  Aethylalkohols  kann  man  sich  oft  mit 
Voiiheil  der  Jodoformreaction  von  Lieben  bedienen*.  Sie  beruht  auf  der  Bildung 
des  leicht  erkennbaren  Jodoforms  CHJg  bei  der  Einwirkung  von  Jod  in  alkalischer 
Lösung  auf  Alkohol.  Man  erwärmt  die  zu  prüfende  Flüssigkeit  gelinde,  fügt  ein 
Kömchen  Jod  und  darauf  eine  gerade  zur  Entf^bung  ausreichende  Menge  Kalilauge 
hinzu;  es  bildet  sich  bei  grösseren  Mengen  gleich  ein  hellgelber  Niederschlag  des 
durch  einen  charakteristischen  Geruch  ausgezeichneten  Jodoforms;  bei  grossen  Ver- 
dünnungen muss  man  bis  zum  nächsten  Tage  stehen  lassen,  um  die  aus  mikroskopischen 
sechsseitigen  Tafeln  oder  sechsstrahligen  Sternen  bestehende  Fällung  zu  erhalten. 
Diese  Reaction  giebt  noch  einen  Alkoholgehalt  von  1 :  2000  an.  Mit  ihrer  Hülfe  hat 
MvxTz  den  Alkoholgehalt  der  natürlichen  Wässer  (s.  S.  156)  nachgewiesen,  indem  er 
aus  einer  Quantität  von  15  Lit.  zunächst  150  ccm  überdestillirte,  diese  150  ccm  noch- 
mals destillirte  und  nur  die  ersten  5  ccm  auffing,  mit  welchen  nun  die  Beaction 
ansgeiilhrt  wurde.  Bei  ihrer  Anwendung  muss  man  indess  beachten,  dass  auch  sehr 
viele  andere  organische  Verbindungen,  wie  z.  B.  Aldehyd,  Aceton,  Isopropylalkohol, 
dieselbe  Beaction  zeigen;  Methylalkohol,  Aethyläther,  Essigsäure,  normaler  Propyl- 
alkohol  liefern  die  Beaction  nicht  —  Becht  scharf  ist  auch  der  Alkoholnachweis 
durch  gelindes  Erwärmen  mit  einigen  Tropfen  Benzoylchlorid',  welches  die 
Bildung  des  durch  seinen  charakteristischen  Geruch  sich  kundgebenden  Benzo^säure- 
äthylesters  CtHs'O-CyHgO  bewirkt;  der  Geruch  tritt  hervor,  nachdem  man  das  über- 
schüssige Benzoylchlorid  durch  Zusatz  von  Kalilauge  zersetzt  hat.  Doch  ist  auch  hier 
zu  beachten,  dass  andere  Alkohole  Ester  mit  ähnlichem  Geruch  erzeugen.  —  Am 
sichersten  weist  man  den  Aethylalkohol  natürlich  nach,  indem  man  ihn  als  solchen 
abscheidet  und  durch  seinen  Siedepunkt  und  Ueberfuhrung  in  andere  charakteristische 
Aethylverbindungen,  wie  z.B.  Aethyljodid,  Aethylnitrolsäure  (Schmelzpunkt 81—82®, 
8.  Kap.  5),  identificirt. 

Das  chemische  Verhalten  des  Aethylalkohols  bedarf  nach  der  allge- 
meinen Schildemng  auf  S.  151 — 154  nur  einiger  ergänzenden  Angaben. 
Wendet  man  Salpetersäure  als  Oxydationsmittel  an,  so  bleibt  —  wohl 
anter  vorübergehender  Bildung  von  Nitroderivaten  —  die  oxydirende 
Wirkung  nicht  bei  der  Bildung  von  Aldehyd  und  Essigsäure  durch  Oxy- 
dation der  —CHg-OH-Gruppe  stehen,  sondern  sie  erstreckt  sich  auch 
auf  die  CHg-Gruppe;  es  bilden  sich  die  Verbindungen: 

CH,(OH) .  CO.H .         CHO  •  CHO ,        COH  •  CO,H  .        COjH  -  CO^H 
Glykolsäure    '  Glyoxal      '       Glyoxylsäure '  Oxalsäure 

Chlor  und  Brom  wirken  zunächst  ebenfalls  als  Oxydationsmittel,  dann 
aber  auf  die  Methylgruppe  substituirend ;  es  entstehen  die  Halogen- 
substitutionsprodukte des  Aldehyds  CClg-CHO  (Chloral)  und  CBrg-CHO 
(Bromal).  Einwirkung  von  Jod  s.  oben.  —  Der  Alkoholdampf  ist  bis 
300®  beständig;  bei  Glühhitze  entstehen  aus  ihm  Wasserstoff,  Sumpfgas, 
Aethylen,  Acetylen  und  complicirtere  Verbindungen  (Benzol,  Naphtalin 
u.  8.  w.)'.  Von  erwärmtem  Zinkstaub  wird  er  unterhalb  der  Glühhitze 
in  Aethylen  und  Wasser  zerlegt,  welch  letzteres  durch  weitere  Reaction 
des  Zinkstaubs   zu  WasserstoflF  reducirt  wird,   bei  Dunkelrothgluth  da- 


üntersochungsmethoden  (Berlin  1888)  II,  8.  745—750;   Horn^s  Anleitung  zur  chem.- 
teduL  Analyse  organ.  Stoffe  (Wien  1890)  S.  86—95. 

*  Ann.  Suppl.  7,  218,  877. 

'  BxBTHXLOT,  Compt  rend.  78,  496.  ^  Bebthelot,  Ann.  81,  109, 


160  Aethylalkohol  (AlkohokUe), 


gegen   wird   er  glatt  in   Wasserstofif,   Gmbengas   und  Kohlenoxyd  ge- 
spalten^: 

C,H^O  =  H,  +  CH4  +  CO. 

unter  den  Alkoholaten  ist  das  wichtigste  das  Natriumäthylat 
CgHgONa,  dessen  alkoholische  Lösung  durch  Auflösen  von  metallischem 
Natrium  in  absolutem  Alkohol  erhalten  wird.  Concentrirt  man  dieselbe 
durch  Abdampfen  im  WasserstoflFstrom,  so  scheiden  sich  farblose  durch- 
sichtige Krystalle  der  Verbindung:  CjHg'ONa  +  2C3HgO  ab;  analog 
zusammengesetzte  krystallisirte  Natriumalkoholate  erhält  man  auch 
aus  dem  Methyl-,  Propyl-  und  Amylalkohol;  durch  weiteres  Erhitzen 
(beim  Methylat  auf  170^  beim  Aethylat  auf  200  <>)  wird  der  Kry- 
stallalkohol  ausgetrieben,  und  es  bleiben  die  alkoholfreien  Alkoholate 
zurück^.  Ihre  Lösungen  röthen  sich  beim  Stehen  an  der  Luft,  weil 
eine  langsame  Oxydation  unter  Bildung  von  Aldehyd  eintritt,  welch 
letzterer  durch  das  Alkali  in  Aldehydharz  verwandelt  wird ;  infolge  dieser 
Oxydirbarkeit  können  alkoholische  Lösungen  von  Alkalien  zuweilen  als 
B-eductionsmittel  benutzt  werden  (z.  B.  bei  der  Beduction  von  Nitro- 
verbindungen zu  Azoxyverbindungen).  —  Bariumäthylat  und  Cal- 
ci um  äthylat  bilden  sich  beim  Erhitzen  von  absolutem  Alkohol  mit  den 
entsprechenden  wasserfreien  Oxyden';  Zinkäthylat  ist  noch  nicht 
bekannt*.  —  Durch  seine  Destillirbarkeit  im  Vacuum  ist  interes- 
sant das  Aluminiumäthylat  AI (0- 03115)3;  behandelt  man  Alu- 
miniumfolie mit  Jod  und  absolutem  Alkohol,  so  erhält  man  unter 
Wasserstoifentwickelung  die  Doppelverbindung  AIJ3.  AI (0 -03115)3,  aus 
welcher  beim  Erhitzen  im  Vacuum  das  Aluminiumalkoholat  sich  ab- 
spaltet und  als  eine  gelblichweisse  bei  130®  schmelzende  Masse  ab- 
destillirt^.  (Analog  verhalten  sich  auch  die  Aluminiumverbindungen 
anderer  Grenzalkohole.) 

Propylalkohole :  OgHgO.  Die  Constitution  der  beiden  bekannten 
Propylalkohole  ist  schon  früher  (S.  70)  eröi-tert  worden.  Sie  ergiebt 
sich  unzweifelhaft  aus  dem  verschiedenen  Verhalten  bei  der  Oxydation; 
derjenige  Alkohol,  welcher  hierbei  in  Propionaldehyd  CHg -0113 -OHO 
und  Propionsäure  CHj-CB^-COgH  überfuhrbar  ist,  ist  der  primäre 
Propylalkohol  (Aethylcarbinol)  CH3.CH3-OH3(OH);  derjenige  Alko- 
hol, welcher  zunächst  Aceton  CHg- CO -CHg  und  dann  Säuren  von  niederer 
KohlenstofFzahl  liefert,  ist  der  Isopropylalkohol  (Dimethylcarbinol) 
CH3.CH(OH)CH3  (vgl.  S.  152—153). 

Der  primäre  Propylalkohol  ist  zuerst  von  Chancel'  1853  als 
Nebenprodukt  der  Alkoholgährung  beobachtet  worden.     Die  Antheile  des 

*  Jahn,  Ber.  18,  987. 

>  Fröhuch,  Ann.  202,  294. 

'  Berthelot,  Bull.  8,  389.  —  Destreh,  Ann.  eh.  [5]  27,  5. 

^  Demüth  u.  y.  Meyer,  Ber.  28,  398. 

^  Gladrtone  u.  Tribe,  Joum.  Soc.  29,  158;  89,  1;  41,  5. 

^  Ann.  161,  298;  8.  auch  Frrrio,  Ann.  149,  318. 


Fropylalkohole.  161 


Rohspiritus ,  welche  zwischen  dem  Aethylalkohol  und  Amylalkohol 
destiUiren,  bilden  eine  reiche  Quelle  für  diesen  AlkohoP,  so  dass  man 
zu  seiner  Gewinnung  nicht  auf  die  synthetischen  Reactionen,  nach  denen 
er  erhalten  werden  kann*,  zu  recurriren  braucht. 

Der  Isopropylalkohol  dagegen,  welcher  1855  von  Berthelot^ 
aus  Propylen  nach  Bildungsweise  2  (S.  143 — 144),  1862  von  Friedel* 
durch  Reduction  von  Aceton  erhalten  war,  und  dessen  Natur  als  erster 
Repräsentant  der  secundären  Alkohole  von  Kolbe^  erkannt  wurde,  kommt 
unter  den  Produkten  der  Alkoholgährung  nicht  vor®.  Man  gewinnt  ihn 
am  zweckmässigsten  durch  Behandlung  des  aus  Glycerin  leicht  erhält- 
lichen Isopropyljodids  CHg-CHJ-CHg  durch  Kochen  mit  Bleihydroxyd 
und  Wasser^  (vgl.  S.  143  u.  146).  Sehr  bemerkenswerth  ist  seine  Bil- 
dung in  zwei  Reactionen,  welche  bei  normalem  Verlauf  den  primären 
Propylalkohol  entstehen  lassen  sollten;  aus  GlycoljodhydrinCHgJ -0113(00!) 
bildet  sich  durch  Einwirkung  von  Zinkmethyl  Zn(CH3)3  nicht  nach  der 
Gleichung : 

CHjCOHjCIIjJ  +  ZnCCIVa  =  CH^fOHjCHa.CHa  +  ZaJ(CIIs) 

der  primäre  Alkohol,  sondern  infolge  einer  noch  unerklärten  Umlagerung 
der  Isopropylalkohol®;  aus  normalem  Propylamin  CHg-CH^-CHj'NHg 
entsteht  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  (s.  S.  144)  neben  pri- 
märem Propylalkohol  eine  sehr  erhebliche  Menge  von  Isopropylalkohol^; 

^  Krämer  u.  Pinner,  Ber.  8,  77. 

•  LiNliBMANN,  Ann.  148,  251;  161,  18.  —  Rossr,  Ann.  169,  80.  —  Tollbns, 
ZtBchr.  Chem.  1870,  457  u.  1871,  249.  —  Sühorlehmer,  Ztschr.  f.  Chcm.  1868,  49. 

■  Ann.  94,  78. 

^  Ann.  124,  324;  vgl.  auch  Linnehann,  Ann.  186,  88. 

*  ZtBchr.  Chem.  1862,  687. 

•  Die  entgegenstehende  Behauptung  Rabüteaü's  (Compt.  rcnd.  87,  500)  ist 
ntich  freundl.  Privatmittheilung  von  Herrn  Dr.  A.  Bannow  —  dem  langjährigen 
Leiter  der  KAHLSAüM'schen  Fabrik  für  Alkoholpräparatc  in  Berlin  —  unrichtig.  Die 
von  Rabuteau  für  Isopropylalkohol  gehaltene  Fraction  ist  ein  Hydrat  des  unreinen 
norm.  Propylalkohols  (vgl.  Jb.  1887,  1253),  welches  sich  beim  Entwässern  mit  Pott- 
asche und  Fractioniren  schnell  in  norm.  Propylalkohol  und  Isobutylalkohol  spaltet. 
Ebenso  is^  auch  Rabcteau's  Behauptung,  dass  normaler  Butylalkohol  und  normaler 
Amylalkohol  im  Fuselöl  enthalten  seien,  zu  berichtigen.  Nach  den  von  Herrn  Dr. 
A.  Banitow  in  grossem  Massstabe  ausgeführten  Versuchen  kommen  von  den  Alko- 
holen der  ersten  fünf  Reihen  im  Fuselöl  nur  Aethyl-,  norm.  Propyl-,  Isobutyl-  und 
die  beiden  primären  Isoamyl- Alkohole  (S.  164)  vor.  Die  Behauptungen  Trommsdorp  s 
(Tageblatt  d.  Naturforscher-Versammlg.  Dresden  1868)  und  Butlbrow's  (Ann.  144,  34) 
aber  das  Vorkommen  des  tertiären  Butylalkohols  erklären  sich  nach  den  Versuchen 
von  Freund  (J.  pr.  [2]  12,  25)  durch  Umwandlung  des  Isobutylalkohols  in  tertiäres 
Batylchlorid  bezw.  Butyljodid  (vgl.  S.  163). 

'  Flawitzkt,  Ann.  176,  380;  Niedebist,  Ann.  186,  391. 
"  BoTLEBOW  u.  OssoKiN,  Ann.  146,  257. 

*  LimfEiiAiiN  u.  SiEBSCH,  Ann.  144,  140;  Linnemann,  Ann.  160,  370;  161,  44; 
Ber.  10,  1111;  V.  Meter  u.  Förster,  Ber.  9,  535. 

Y.  Meyeh  u   Jacoiron,  on?.  Cl»cni.    I  .11 


(Isopropjlcarbinol) ,  welcher  bei  der  Al- 


162  Butyhikokole. 

vielleicht  erklärt  sich  in  diesem  Falle  die  Eeaction  durch  einen  theil- 
weisen  Zerfall  des  salpetrigsaareii  Propylamius  in  Propjlen  and  Stick- 
stoff: 

CH,.CH,-CH,NH,-HNO,  =  CH,-CH:CH,  +  N,  +  2H,0, 
welchem   eine   Vereinigung   des    nascirenden  Propylens  mit  Wasser    zxx 
Isopropylalkohol 

CH,.CH:CH,  +  H,0  =  CH,-CH(OHVCHs 

rd  in  der  That  hei  der  Reaction  reichlich  gebildet. 
b:     C^H,„0.       Den     vier     auf    S.  141     entwickelten 
lichkeiten      entsprechend     sind      vier    Butylalkohole 
liesen    ist   der    wichtigste    der   primäre   Isobntvl- 

eht   und    aus    dem  Fuselöl  {dem  Nachlauf  der  Spiri- 

erhehlichen     Mengen     gewonnen      werden      kann'. 

ergiebt   sich   daraus,    dass  er  bei  der  Oxydation'  in 

len  Essigsäure,  Kohlensäure,  Aceton)  übergeht,  deren 

/CO.H 
71    als  der   Formel   CHj— CHC  entsprechend 

zugänglicli  sind  die  Isomeren  des  Isnbutylalkobdls. 
imäre  Butylalkohol  CHj-CHjCHjCH,(ÜH)  kann 
n  normalem  Buttersäureanhydrid  •'  oder  —  weit  besser  — 
t'raldehyd*  gewonnen  werden.  Diese  Bildungsweise  ist 
le  Constitution,  da  für  die  normale  Buttersäure  die 
CH,-COj,H  bereits  S.  71  begi-ilndet  ist.  Für  seine 
en  ist  von  grösserer  Bedeutung  die  reichliche  Bil- 
ning  des  Glycerins  CH3(0H)-CH(0H)-CH,(0H)  durch 
er  durch  die  Bacterien,  welche  sich  in  einer  wässrigen 
niumtartrat  hei  Gegenwart  von  Nähraalzen  entwickeln". 
i  secundäre  Butylalkohol  OH3CH,-CH(OH)-CH3 
(1)  kann  nach  der  Bildungsweise  6)  aus  Aldehyd ' 
Bester*,  nach  7)  aus  Erythrit'  erhalten  werden.  Seine 
)t  sich  ans  dem  Uebergang  in  ein  Keton  —  das 
DjHg-GOCHj  —  durch  Oxydation».  Er  entsteht 
e  der  secundäre  Propylalkohol  (vgl.  oben)  —  in  zwei 

Chem.   98,   IGT;   Cbapmah   u.  Shith,  Ber.  2,  127;    K&Xmbr  u. 

8,  11. 

7,  252;  E.  SCHMUW,  Ber.  7,  1301- 

n.  lei,  178.  —  SiYTZBPP,  Ztschr.  Chem.  1870,  107. 

I,  Ann.  168,  137. 

348.  '  ViONA,  Ber.  16,  H3B. 

181,  261.  '  Kanhonniko w- u.  Savtebff,  Ann.  17B,  874. 

LS5,  252;  138,  331;  183,  2T6;  8.  auch  Lieben,  Ann.  ISO,  106. 


BiUylalkohole,  163 


Reactionen,  die  eigentlich  zur  Bildung  des  primären  normalen  Alkohols 
f&hren  sollten,  nämlich  durch  Einwirkung  von  Zinkäthyl  auf  Glycol- 
jodhydrin  ^  und  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  normales 
Butylamin  CHj-CHg-CHj'CHg-NHj*,  bei  letzterer  Beaction  neben  dem 
primären  Butylalkohol. 

Der  tertiäre  Butylalkohol  (CH3)3COH  (Trimethylcarbinol)  wird 
aus  Acetylchlorid  und  Zinkmethyl  nach  Bildungs weise  8)  erhalten '.  Zu 
seiner  Darstellung  kann  man  auch  vom  Isobutylalkohol  ausgehen,  indem 
man  diesen  in  Butylen  überführt  und  an  das  Butylen  durch  Einwirkung 
von  Schwefelsäure  Wasser  addirt*  (vgl.  S.  144  u.  147).  Auch  folgender 
Weg  führt  vom  Isobutylalkohol  zum  Trimethylcarbinol;  durch  Erhitzen 
mit  concentrirter  Salzsäure  entsteht  neben  dem  normalen  Reactionsprodukt 

CH3.CH/  ^       das    tertiäre    Butylchlorid    CHg-CCl/  Z^    infolge  der 

Reactionen : 

/CII3  /CH3 

CH3— CH<  =C1[3-C<;         +HC1, 


X!H,Cl  ^CHj 


+  HCl  =  CH3-CCK         ; 
CH,  \CIIs 

erhitzt  man  nun  das  Gemenge  der  Chloride  mit  Wasser  auf  100^,  so 
wird  das  tertiäre  Chlorid  in  den  Alkohol  übergeführt: 

yCH.  .CH3 

CH,-CC1<         +  H,0  =  HCl  +  CH,  -  C(0H/ 

^CH,  \CH, 

während  das  weniger  reactionsfähige  primäre  Isobutylchlorid  nicht  an- 
gegriffen wird*.  —  Das  Trimethylcarbinol  ist  1863  von  Butleeow  ent- 
deckt und  war  der  erste  Repräsentant  der  von  Eolbe  prognosticirten 
Klasse  der  tertiären  Alkohole  (vgl.  S.  141 — 142).  Seine  Constitution  er- 
giebt  sich  daraus,  dass  die  ihm  zuertheilte  Formel  von  den  vier  möglichen 
Formeln  die  einzige  ist,  welche  noch  zur  Verfugung  steht,  und  aus  der 
Bildungsweise  aus  Zinkmethyl  Zn(CH3)2  und  Acetylchlorid  CHg-COCl 
(S.  146),  welche  die  Gegenwart  von  drei  Methylgruppen  im  Molecül  be- 
weist.    Ueber  sein  Verhalten  bei  der  Oxydation  vgl.  S.  153. 

Amylalkohole:  C^HigO.     Für   die   fünfte  Reihe  lässt  die  Theorie 
die  Existenz  der  folgenden  acht  Alkohole  als  möglich  vorhersehen: 

1)  CH,— CH,— CH,-CH,-CH,(OH)| 

2)  CH3-CH,-CH,-CH(OH)-CH3  i  Derivate  des  normalen 
8)  CH8-CH,-CH(0H)-CH,-CH3  J  A'entans. 


^  BuTLBBow  u.  OssoKiN,  Ann.  145;  263. 

*  V.  Mevbb,  Barbieri  u.  Fobstbb,  Her.  10,  180. 

*  BuTLBROw,  Ztfichr.  Chem.  1864,  885;  Ann.  144,  1. 

*  BoTLBBOW,  Ztschr.  Chem.  1870,  287;  Ann.  180,  246. 

*  Fäeükd,  J.  pr.  [2J  12,  87. 

11 


164  Amylalkohole. 


/CHs 
4)  CH,~CH,~CH< 

XJH^COH) 

/GH, 
6)  CH8(0H)-CH,--CH< 

6)  CH3-CH(0H)-Ch/ 

XJHa 

7)  CHj-CHj-CCOHK 


^  Derivate  des  Dimethyläthylmethans. 


CH,v        .CH,(OH) 


\  Den 

B  J 


8)  yC<f  >  Derivat  des  TetrainethylinethaiiB. 


Von  diesen  Alkoholen  sind  sieben  bekannt;  nur  das  Tertiäxbutylcarbinol 
(Formel  8)  ist  noch  nicht  aufgefunden  worden.  Das  grösste  Inter- 
esse unter  ihnen  beanspruchen  die  beiden  primären  Alkohole ,  welche 
sich  vom  Dimethyläthylmethan  ableiten:  das  optisch  inactive  Isobutylcar- 
binol  (Formel  5)  und  das  Secundärbutylcarbinol  (Formel  4),  welch  letzte- 
res ein  asymmetrisches  Eohlenstoffatom  aufweist  und  daher  in  optisch 
activen  Modificationen  auftreten  kann.  Ein  Gemisch  dieser  beiden  Al- 
kohole stellt  den  schon  seit  Scheele  bekannten  Gährungsamyl- 
alkohol  dar,  welcher  nächst  dem  Aethylalkohol  der  bei  der  alkoho- 
lischen Gährung  in  grösster  Menge  sich  bildende  Alkohol  ist  und  aus 
dem  Nachlauf  der  Spiritusdestillation  —  dem  Fuselöl  —  abgeschieden 
werden  kann.  In  diesem  Gemisch  ist  das  Isobutylcarbinol  der  vorwiegende 
Bestandtheil,  das  Secundärbutylcarbinol  bildet  nur  etwa  10 — 20%  des- 
selben. Der  Gährungsamylalkohol  ist  eine  stark  lichtbrechende  ölige 
Flüssigkeit  von  durchdringendem  Geruch,  welche  bei  131 — 132®  siedet; 
infolge  der  Anwesenheit  des  optisch  activen  Amylalkohols  lenkt  er  die 
Polarisationsebene  des  Lichtes  ab  und  zwar  nach  links.  Das  Einathmen 
seines  Dampfes  bewirkt  starken  Hustenreiz,  Kopfschmerzen  und  Schwindel. 
Er  wirkt  viel  stärker  berauschend  als  der  Aethylalkohol  und  ist  der 
verderblichste  Bestandtheil  des  Branntweins.  Man  bezeichnet  dieses  Ge- 
misch der  beiden  Amylalkohole  auch  wohl  schlechtweg  als  „Amylalkohol^^ 
und  Verbindungen,  welche  aus  ihm  gewonnen  werden  und  daher  gleich- 
falls Gemische  darstellen,  als  „Amylverbindungen".  Die  Trennung  des 
Gemenges  in  seine  beiden  Componenten  ist  eine  sehr  langwierige  Operation. 
Sie  kann  ausgeführt  werden,  indem  man  durch  Einwirkung  von  concentrirter 
Schwefelsäure  das  Gemisch  der  beiden  Amylschwefelsäuren  CjHj^-O-SOjH 
herstellt  und  deren  Bariumsalze  durch  fractionirte  Krystallisation  von 
einander  trennt  (Pastbüb^);  aus  den  Salzen  werden  dann  durch  Destil- 
lation mit  verdünnter  Schwefelsäure  die  Alkohole  regenerirt;  das  schwerer 
lösliche  Bariumsalz  liefert  den  optisch  inactiven  Amylalkohol  (Isobutyl- 

^  Ann.  96;  255;  s.    auch   Erlekmeyer   u.    Hell;    Ann.    160,   275;   Ley,  Bot. 
6,  1863. 


Amylalkohole.  1 65 


carbinol),  das  leichter  lösliche  den  optisch  activen  Amylalkohol.  Oder 
man  kann  die  Trennung  darauf  gründen,  dass  beim  Einleiten  von  Chlor- 
wasserstoff zunächst  der  inactive  Alkohol  in  sein  Chlorid  verwandelt 
wird  (C^Hii-OH  +  HCl  =  CgHi^Cl  +  H^O),  während  der  active  Alkohol 
bedeutend  schwerer  angegriffen  wird  (Le  Bbl^). 

Dass  der  inactive  Gährungsamylalkohol  die  Constitution  des 
Isobutylcarbinols  (CH3)jCH-CH3-CH2(OH)  besitzt,  beweist  seine  Syn- 
these aus  dem  IsobutylalkohoP: 

CHg  CH3        CHg  CHg        CH3  CHg       CHg  CHg        CHg  CHg      CHg  CHg 

CH  —^   CH  _).   CH  _).   CH  — >   CH  —^  CH 

I         I         I         I         I        I 
CH,(OH)    CH,J      CHg.CN    CH,.CO,H  CHj-COH  CHg.CHg(OH). 

Der  optisch  active  Gährungsamylalkohol'  erweist  sich  ebenfalls 
als  primärer  Alkohol,  da  er  durch  Oxydation  in  eine  Säure  von  der  Zu- 
sammensetzung CjHjqOj  (Valeriansäure)  tibergeht.  Unter  den  vier  mög- 
lichen Formeln  von  primären  Alkoholen  C^H^jO  (No.  1,  4,  5  u.  8  auf 
S.  163 — 164)  ist  nun  diejenige  des  Secundärbutylcarbinols  (No.  4) 

CHg— CHgv        •H 

CHg^    \CHg(OH) 

die  einzige,  welche  ein  asymmetrisches  Kohlenstoffatom  enthält  und  daher 
die  optische  Activität  im  flüssigen  Zustand  erklärt  (vgl.  S.  77 — 82). 
Diese  Formel  wird  auch  durch  das  Verhalten  bei  der  Oxydation  ge- 
stützt; es  entsteht  eine  Säure,  welche  höchstwahrscheinlich  die  Constitu- 
tion der  Methyläthylessigsäure: 

CHg CHjv  yli. 

CHg/      XJO.OH 

besitzt  (vgl.  Kap.  9).  Der  active  Amylalkohol,  wie  er  bisher  erhalten 
worden  ist,  scheint  ein  Gemenge  der  rechtsdrehenden  und  der  links- 
drehenden Modiflcation  in  wechselnden  Verhältnissen  zu  sein,  da  sein 
Drehungsvermögen  je  nach  der  Darstellung  sehr  wechselnde  Werthe  zeigte. 
Erhitzt  man  ihn  in  Form  des  Natriumamylats  einige  Zeit,  so  wird  das 
Drehungsvermögen  aufgehoben,  und  man  erhält  die  —  vermuthlich  aus  glei- 
chen Theilen  rechtsdrehenden  und  linksdrehenden  Alkohols  bestehende  — 
inactive  Modification,  aus  welcher  nun  durch  Zerlegung  (vermittelst  Pilzaus- 
saat) wieder  activer  Amylalkohol  —  und  zwar  rechtsdrehender  —  gewonnen 
werden  kann.  Die  Bildung  der  inactiven  Modification  durch  Erhitzen 
der   activen  ist   eine   allgemein   bei   den   im  flüssigen   Zustand  optisch 


*  Bol].  [2]  26,  545;  b.  auch  Jüst,  Ann.  220,  148. 

*  Balbiavo,  Ber.  9,  1437;  s.  auch  Eblenubteb,  Ann.  Suppl.  6,  387. 

*  Lb  Bel,  Bull.  25,  545;    81,  104.     Compt.   rend.  87,  213.    —   Juot,   Ann. 
220,  146.  —  Lbt,  Ber.  6,  1362. 


166  Amylalkohole. 


activen  Substanzen  zu  beobachtende  Erscheinung;  sie  findet  ihre  Er- 
klärung in  der  Umwandlung  der  rechtsdrehenden  und  linksdrehenden 
Modificationen  in  einander,  welche  ein  Ende  erreicht,  wenn  durch  die 
Anwesenheit  von  gleichen  Mengen  der  entgegengesetzt  activen  Modifi- 
cationen ein  Gleichgewichtszustand  geschaffen  ist^ 

Der  normale  primäre  Amylalkohol  CHg-CHg-CHj-CHj -011,(011) 
ist  synthetisch  ^  aus  dem  normalen  Butylalkohol  durch  Vermittelung  des 
entsprechenden  Cyanids  und  der  Carbonsäure  (s.  S.  148)  gewonnen; 
hieraus  ergiebt  sich  seine  Constitution. 

Secundärc  Amylalkohole.  Das  Diäthylcarbinol  CHs.Cn,.CH(OH). 
CHs  *  CH,  ist  aus  AmeisensSureester  durch  Einwirkung  von  Jodäthyl  und  Zink  (S.  1 45) 
erhalten  und  liefert  durch  Oxydation  Difithylketon  C2H5— CO— CjHj'.     Das 

Methylpropylcarbinol*    und    Methylisopropylcarbinol*'® 
CHs  •  CH(OH)  •  CH, .  CH,  •  CH,  CH,  •  CH(OH)  •  CH(CH8>, 

entstehen  bei  der  Reduction  der  entsprechenden  Ketone: 

Methylpropylketon     und    Methylisopropylketon 
Cllg  •  CO .  CH, .  CH, .  CHj  CH,  •  CO  •  CH(CH,),. 

Beide  enthalten  asymmetrische  Kohlenstoffatome,  besitzen  aber  zunächst,  da  sie  auf 
synthetischem  Wege  gewonnen  sind,  kein  optisches  Drehungsvermogen  (vgl.  S.  82). 
Doch  ist  es  Lb  Bel®  gelungen,  aus  dem  inactiven  Methylpropylcarbinol  die  links- 
drehende Modification  abzuscheiden,  indem  er  darin  eine  Aussaat  von  Penicillium 
glaucum  sich  entwickeln  Hess;  über  diese  Methode  zur  Zerlegung  inactiver  Verbin- 
dungen mit  asymmetrischem  Kohlenstoffatom  vgl.  Näheres  bei  „Weinsäure". 

Der  tertiäre  Amylalkohol  (CH8),C(0H)  •  CH,  -  CH,  (Dimethyläthylcarbi- 
nol,  Amylenhydrat)  kann  aus  Propionylchlorid  mit  Zinkmethyl''®  gewonnen  werden. 
Bequemer  ist  seine  Darstellung  aus  dem  Amylen  CgHjo,  welches  durch  Wasserah- 
spaltung  aus  dem  Fuselöl  erhalten  wird  und  zum  grossen  Theil  aus  Trimethyläthyl- 
äthylen  (CH,),C  =  CH-CH,  besteht  (s.  Kap.  13);  durch  Vermittelung  von  Schwefelsäure 
geht  es  unter  Wasseraddition  in  Dimethyläthylcarbinol  über': 

(CHs^C  :  CHCH,  +  H,0  =  (CH,\C(OH)  •  CH,  •  CH,. 

Der  tertiäre  Amylalkohol  ist  als  Schlafmittel  empfohlen  worden'. 

Hexylalkohole:  Von  den  17  der  Theorie  nach  möglichen  Alkoholen  C^Hj^O 
sind  13  bekannt.  Erwähnt  sei,  dass  sich  ein  Hexylalkohol  im  Weintreberfuseldl '^ 
findet;  über  seine  Constitution  lässt  sich  nur  sagen,  dass  er  ein  primärer  Alkohol  ist, 
da  er  durch  Oxydation  in  eine  Capronsäure  CeH„02  übergeht  Zwei  primäre  Hexyl- 
alkohole  ündensich  als  E^ter  in  der  Natur.  Der  eine  kann  aus  dem  ätherischen  Oel 
der  Samen  von  Heracleum  giganteum  gewonnen  werden;  da  er  auch  aus  der  normalen 
Capronsäure  CH, •  (CH,)4 •  CO,H   durch  Reduction    entsteht,   so   ist  es  der   normale 


*  Vgl.  VAN  't  Hopp,  Dix  anndes  dans  ITiistoire  d'une  thöorie,  p.  49—51. 

*  Lieben  u.  Rossi,  Ann.  159,  70. 

'  Saytzefp  u.  Waoner,  Ann.  175,  351.  *  Bielohoubek,  Ber.  9,  924. 

»  MCnch,  Ann.  180,  339.  •  Bull.  88,  106.     Compt.  rend.  89,  312. 

^  Popow,  Ann.  145,  292;  Ermolaien,  Ztschr.  Chcm.  1871,  275. 

*  W18CHNEORAD8KY,  Ann.  190,  328. 

«  Vgl.  Pharmac.  Centmlhalle,  28,  338;  29,  15;  80,  7,  68. 
"  Faqet,  Ann.  88,  325. 


HexykUkokole  bis  (Mylalkokole,  167 


Hexylalkohol»  CHj.CH,.CHj.CH,.CH,.CH2(0H).  Ein  anderer«  kommt  —  an  unge- 
sättigte Säuren  gebunden  —  im  Römisch-Kamillenöl  vor;  er  liefert  durch  Oxy- 

CjHjv 
dation  Secundftrbutyl- Essigsäure:  >CH-CH,*COsH;  ihm  ist  daher  die  Formel: 

CHj'CHjv 

yCU '  CHj  •  CHjCOH)  zu  ertheilen.  —  Relativ  leicht  zugänglich  ist  femer  der 

normale  secundäre  HezylalkohoH,  welcher  aus  dem  Mannit  —  einem  sechsatomigen 
Alkohol  CH^OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH,(OH)  —  durch  Vermittelung 
des  secundären  Hezy^jodids  CeHi,J  nach  Bildungsweise  7)  (S.  146)  erhalten  werden 
kann.  Er  giebt  bei  der  Oxydation  ein  Keton,  dessen  Constitution  als  Methylbutyl- 
keton  CHj'CO'CHj'CHj'CHj'CHj  aus  seinem  Zerfall  bei  weiterer  Oxydation  in 
Essigsäure  und  normale  Buttersäure  hervorgeht ,  und  ist  demnach  als  normales 
Butylmethylcarbinol  CH8CH(0H).CHa.CHa.CH,.CH8  aufzufassen. 

Heptylalkohole:  C^HieO:  Der  primäre  normale  Heptylalkohol  wird 
durch  Reduction  des  Oenanthols  —  des  durch  Destillation  von  Ricinusöl  leicht  ge- 
winnbaren normalen  Aldehyds  der  7.  Reihe  CHg^CCHglg-CHO  —  erhalten*.  Ausser 
ihm  sind  noch  zwölf  andere  Heptylalkohole  bekannt.  Nur  auf  einen  der  tertiären 
Alkohole  —  das  Tertiärbutyldimethylcarbinol: 

CHjv  /CHj 

CHs->C~C<-rpH), 
CH/  ^CHj 

welches  aus  Trimethylessigsäurechlorid  und  Zinkmethyl  nach  Bildungsweise  8)  ent- 
steht^, —  sei  noch  hingewiesen,  da  dieser  durch  seine  Constitution  einige  Beachtung 
verdient.  Er  ist  ein  fünffach  methylirter  Aethylalkohol  und  führt  daher  auch  die 
Bezeichnung  Pen  tarn  ethyläthol;  die  Anhäufung  der  Methylgruppen  bedingt  hier,  wie 
in  den  meisten  anderen  Fällen,  Erhöhung  des  Schmelzpunkts;  unter  allen  Heptyl- 
alkoholen  ist  dieser  der  einzige,  welcher  krystalHsirt  erhalten  wurde;  sein  Schmelz- 
punkt liegt  bei  +17^,  er  siedet  schon  bei  131^.  Bemerkens werth  ist  auch  seine 
Neigung  zur  Bildung  eines  hochschmelzcnden  Hydrats;  schon  in  Berührung  mit 
feuchter  Luft  erstarrt  der  Alkohol  zu  dem  Hydrat  2C7H18O  +  HjO,  welches  lange 
bei  83^  schmelzende  Nadeln  bildet. 

Oetylalkohole :  C^HjgO:  Der  primäre  normale  Octylalkohol  kommt  in 
Form  von  Estern  in  dem  Oel  der  Früchte  von  Heracleum  Sphondylium,  Heracleum 
giganteum  und  Pastinaca  sativa  vor  und  wird  durch  Verseifung  dieser  Oele  gewonnen^. 
Seine  Constitution  folgt  daraus,  dass  er  durch  Oxydation  die  normale  Caprylsäure 
CHj-(CH,)e'CO'OH  liefert  —  Ein  secundärer  normaler  Octylalkohol  —  das 
Mcthylhexylcarbinol  CH3.CH(OH).(CH,)6.CH3  (Siedepkt  179.5«)  —  wird  bei  der 
raschen  Destillation  von  Ricinusölseife  mit  Aetzkali  oder  Aetznatron  erhalten^.   Durch 


*  Franchimont  u.  ZixcKB,  Ann.  168,  193.  —  Müslinger,  Ann.  185,  26.  —  Lieben 
u.  Jakegzek,  Ann.  187,  135.  —  Frentzel,  Ber.  16,  744. 

*  KöBiG,  Ann.  196,  102.  —  P.  v.  Romburoh,  Ber.  20  o,  375  u.  468;  Rec.  tiav. 
chim.  1887,  150  u.  219. 

'  Erlexkeyeb  u.  Wanklyn,  Ann.  185,  129.  —  Schorlehmer,  Ann.  161,  272. 

*  Grihshaw  u.  Schorlehmer,  Ann.  170,  148.  —  Schorlehmer,   Ann.  177,  308. 
—  Gross,  Ann.  189,  1.  —  Jourdan,  Ann.  200,  102.  —  Krapft,  Ber.  16,  1723. 

^  Butlbrow,  Ann.  177,  176;  s.  femer  Bogoholez,  Ann.  209,  78. 

*  ZiHCKS,  Ann.  152,  1.  —  Möslimger,  Ann.  185,  26.  —  Remesse,  Ann.  166,  80; 
171,  380. 

'  Boüis,  Ann.  80,  304;    92,  395.    —    Neison,  Joum.  Soc.  [2]  12,   507,   837.  — 
ScHOBLEMMXB,  Ann.  147,  222;  152,  155. 


168  Alkohole  der  höheren  Reihen. 


Oxydation  liefert  er  ein  Keton,  dessen  Constitution  als  normales  Methylhezylketon 
CH3  •  CO  •  (CHj)6  •  CHg  sich  aus  dem  Zerfall  durch  weitere  Oxydation  in  Essigsäure  und 
normale  Capronsäure  CHg-CCHj^-COgH  ergiebt. 

Nonylalkobol :  C9H20O  bis  Oetadeeylalkobol:  Gi^B^O.  —  Die  normalen 
primären  Alkohole  mit  9,  10,  12,  14,  16  und  18  Kohlenstoffatomen 
(Eigensch.  s.  Tab.  3  auf  S.  149)  sind  von  Krafft*  durch  Reduction  der  entsprechenden 
Aldehyde  dargestellt.  —  Ein  normaler  secundärer  Alkohol  mit  11  Kohlen- 
stoffatomen, das  Methylnonylcarbinol  CHj -011(011).  (CH,)8-CH8  (Siede- 
punkt 228—229*^)  ist  durch  Reduction  des  Kautenöls  (normales  Methylnonylketon 
CHg- CO  (0114)8.0118)  erhalten«.  —  Alkohole  mit  13,  15  und  17  Kohlenstoffatomen 
sind  bisher  überhaupt  nicht  bekannt. 

Der  normale  primäre  Hexadecylalkohol  oder  Cetylalkohol  (auch 
Aethal  genannt)  CH3-(CHj5)j4-CH3. OH  ist  unter  den  höheren  Alkoholen 
der  wichtigste,  da  er  aus  einem  im  Handel  vorkommenden  Naturprodukte, 
dem  Wallrath  (s.  Kap.  10),  leicht  gewonnen  werden  kann.'-*  Der  Haupt- 
bestandtheil  des  Wallraths  ist,  wie  Chevueul  1818  nachwies,  der  Pal- 
mitinsäureester  des  Cetylalkohols  CigHjj-O-CjgHjjO.  Durch  Kochen  mit 
alkoholischem  Kali  wird  letzterer  verseift: 

CieHss'O'CjeHjjO  +  KOH  =  CiflHgj-OH  +  C^HgiOjK, 

und  es  entsteht  neben  palmitinsaurem  Kali  der  freie  Cetylalkohol.  Die 
normale  Structur  des  Cetylalkohols  folgt  aus  seiner  Bildung  durch  Re- 
duction der  Palmitinsäure,  deren  normale  Structur  später  (Kap.  9)  be- 
gründet werden  wird.  —  In  untergeordneter  Menge  kommt  auch  der 
Oetadeeylalkobol  CjgHggO  in  Form  von  Estern  im  Wallrath  vor*. 
Diese  höheren  GUieder  der  Alkoholreihe  erinnern  in  ihren  äusseren  Eigen- 
schaften durchaus  nicht  mehr  an  die  niederen.  Es  sind  krystallisirbare, 
geruchlose  Körper,  welche  sich  fettartig  anfühlen. 

Alkohole,  welche  noch  reicher  an  KohlenstoJBF  sind,  finden  sich  in 
den  Wachsarten  theils  in  freiem  Zustande,  theils  in  Form  von  Estern  an 
kohlenstofi*reiche  Säuren  gebunden  (s.  Kap.  10,  Fettsäureester).  Als  Ccryl- 
alkohol  bezeichnet  man  einen  zuerst  aus  chinesischem  Wachs  ^isolirten,  bei 
76 — 7 9°  schmelzenden  Alkohol  C27Hg5(OH),  welcher  sich  «auch  imCamauba- 
wachs®  und  Bienenwachs'  findet,  —  als  Myrlcylalkohol  den  Alkohol  mit 
30  KohlenstoflFatomen  C3j,Hgj(0H),  welcher  am  besten  aus  dem  Camauba- 
wachs®'®  gewonnen  wird  (Schmelzpunkt  86®;  spec.  Gewicht  beim  Schmelz- 
punkt 0-808®).  Dem  bei  85—85-5®  schmelzenden  Alkohol,  welcher  aus 
dem  Bienenwachs  erhalten  wird,  wurde  von  Brodie  ^®  ebenfalls  die  Formel 
C3^,H«^(0H)   beigelegt,   während  Schwalb '   die   Formel  C3iH^,3(OH)  für 


»  Ber.  16,  1714;  19,  2220;  28,  2360. 

*  G1B8ECKE,  Ztschr.  Chem.  1870,  431. 

'  Chevreül,  Ann.  eh.  7,  157;  —  Bebthelot  und  P6an,  Ib.  1862,  413. 

*  Heintz,  Ann.  84,  306;  92,  299.  —  Krafpt,  Ber.  17,  1627. 
^  Brodie,  Ann.  67,  201. 

®  Stürcke,  Ann.  228,  283.  '  Schwalb,  Ann.  285,  106. 

Mabeelyke,  Ztschr.  f.  Chem.  1869,  300.  —  Pievebling,  Ann.  188,  344. 

*  Menschutkin,  Ztschr.  physik.  Chem.  1,  619.  *®  Ann.  71,  147. 


hidtistrie  der  Alkohole  (Holzgeist),  169 


wahrscheinlicher  hält;  vielleicht  ist  die  Zusammensetzung  der  Bienen- 
wachs-Bestandtheile  eine  mit  der  Gegend  und  dem  Jahrgange  wechselnde. 
Alle  diese  Wachsalkohole  sind  primär,  da  sie  in  Carhonsäuren  von 
gleicher  KohlenstofFzahl  ühergef&hrt  werden  können;  die  Umwandlung 
geschieht  sehr  glatt  beim  Erhitzen  mit  Natronkalk  unter  Wasserstoffent- 
wicklung: 

RCH,(OH)  +  NaOH  =  RCOONa  +  2  Hj. 

Bei  quantitativer  Messung  des  entwickelten  Wasserstoffs  kann  diese 
Reaction  mit  zur  Ermittelung  der  Zusammensetzung  der  höheren  Alkohole 
benutzt  werden^.  —  Auch  die  Wachsalkohole  besitzen  wahrscheinlich 
normale  Structur,  da  fast  alle  hochmolecularen,  in  der  Natur  vorkommen- 
den Verbindungen  der  Fettreihe  sich  als  normal  constituirt  erwiesen 
haben.  Ein  endgültiger  Beweis  ihrer  Structur  steht  indessen  bislang 
noch  aus. 

Industrielle  Gewinnung  und  Verwerthung  der 

Grenzalkohole. 

Din  Hauptquelle  für  die  Gewinnung  des  Methylalkohols  liefert,  wie 
bereits  erwähnt,  die  trockene  Destillation  des  Holzes  2.  Die  Destillation 
wird  in  eisernen  Retorten  ausgefiihrt;  man  erhält  neben  den  entweichen- 
den Gasen  und  der  zurückbleibenden  Holzkohle  ein  aus  Holztheer  und 
einer  wässrigen  Flüssigkeit  bestehendes  Destillat.  Die  Ausbeute  an 
letzteren  Produkten  ist  um  so  grösser,  je  niedriger  die  Temperatur  bei 
der  Destillation  gehalten,  und  je  langsamer  erhitzt  wurde.  Die  wässrige 
Flüssigkeit  —  der  Holzessig  —  enthält  den  Methylalkohol  neben  Ace- 
ton, Essigsäure  und  vielen  anderen  Verbindungen.  Man  destillirt  den 
Holzessig  aus  kupfernen  Blasen,  indem  man  die  Dämpfe  durch  Kalkmilch 
streichen  lässt,  wobei  sie  die  Essigsäure  abgeben,  während  Holzgeist,  Aceton 
und  andere  leicht  flüchtige  nichtsaure  Verbindungen  —  wie  Methylacetal, 
AJlylalkohol,  Ammoniak,  Methylamin  —  weiter  gehen.  Dieser  rohe  Holz- 
geist wird  zur  Reinigung  zunächst  mit  Wasser  verdünnt,  wodurch  ölige 
Verunreinigungen  ausfallen,  und  dann  über  Kalk  der  fractionirten 
Destillation  unterworfen.  Zur  völligen  Reinigung  dient  Behandlung  mit 
schwachen  Oxydationsmitteln  und  fractionirte  Destillation  aus  Colonnen- 
Apparaten.  —  Erhebliche  Mengen  von  Methylalkohol  werden  auch  aus 
den  Rückständen  der  Zuckerfabrikation  gewonnen,  indem  man  die  Ab- 
dampfungsprodukte der  Melassenschlempe  (d.  i.  der  Rückstand,  welcher 
nach  dem  Vergähren  der  Melasse  und  dem  Abdestilliren  des  entstandenen 
Alkohols  bleibt)  der  trockenen  Destillation  unterwirft. 

Der  rohe  Holzgeist  findet  Verwendung  zur  Denaturirung  des  Spi- 
ritus,  der  reine  Methylalkohol  wird  vielfach  in  der  Anilinfarben-Fabri- 


^  Hell,  Ann.  223,  269. 

'  Näheres  vgl.  Ost,  Lehrbuch  der  techn.  Chemie  (Berlin  1890)  S.  294. 


170  i^f-i(iMÄreMn«rei. 

kation  (z.  B.  zur  Heretellung  von  Dimethylanilin ,  Gumidin,  Methjt- 
Tiolett  etc.)  benutzt. 

Für  die  Verwenilnng  des  Holzgeiats  in  der  AniliDfubentechnik  ut  eine  Prniniif 
seines  Reinlieitagradcs  erforderlicli ;  dieselbe  hat  sieb  2U  eratrecken  &Qf  den  Geball 
an  Methylalkohol,  der  Datürüch  möglichst  hoch  seio  soll,  und  auf  den  Gehalt  an 
Aceton,  der  möglichst  gering  sein  muss,  da  das  Aceton  bei  der  Mcthylimng  toh 
aromatischen  Ba^en  besonders  schSdlich  wirkt  Den  Methylalkohol  bestimmt  man 
durch  UebcrfUhrung  in  Jodmethyl  CH,J,  indem  man  die  zu  untersnchende  Probe 
mit  Jodphospbor  und  Jodwassersto^Snre  digerirt,  abdeatillirt  und  das  gebildete  Jod- 
methyl in  einer  Measriihre  auffttnjjt'.  —  Die  Beatimmniig  des  Acetons  gründet  sich 
auf  die  Ueberfahrbarkeit  desselben  in  Jodoform  durch  alkalische  JodlSsnng  (s.  S.  159). 
Man  mischt  nach  KbÄmkh'  in  einem  Messcylinder  von  50ccm  Inhalt  lOccm  Doppel- 
normalnatronlauge mit  1  ccm  Holzgeist,  filgt  5  ccm  Doppelnonnaljoiliösung  hinzu  obA 
schüttelt  nach  einigem  Stehen  mit  10  ccm  alkoholfreiem  Aether  durch;  nach  dem  Ab- 
sitzen liest  man  das  Volum  der  obenauf  schwimmenden  Aetherscbicht,  welche  du 
gebildete  Jodoform  gelöst  enthält,  ab  und  verdunstet  einen  mit  der  Pipette  abge- 
zogenen aliquoten  Theil  derselben  auf  einem  tarirten  Uhrglase;  dss  zurückbleibende 
Jodoform  wird  nach  kurzem  Stehen  über  Schwefelsäure  gewogen ;  1  Mol-  Aceton 
(58  Th.)  liefert  1  Mol.  Jodoform  (394  Th.).  —  Für  grössere  Acetongehalte  ist  nach 
ViOHOH  u.  Aeacheqoenne  *  die  anzuwendende  Jodmenge  zu  erheben.  —  Auch  katm 
man  derart  verfahren,  dass  zu  dem  Gemisch  von  Holzgeist  und  Alkali  ÜberschüMge 
titrirte  Jodlösung  zugegeben,  und  dann  nach  dem  AnsSuem  der  Ueberschuss  der  Jod- 
lösung mit  Natriumthioeulfat-Lösung  zuruckütrirt  wird';  1  Mol.  Aceton  (58  Th.l 
braucht  3  Mol.  Jod  (762  Th.)  auf. 

Die  industrielle  Erzeugung  des  Aethylalkohols  —  die  Spfritns- 
brennerel  *  —  ist  fiir  das  wirthschaftiiche  Leben  der  Völker  Ton  einer 
so  eminenten  Bedeutung,  wie  sie  kaum  irgend  einer  anderen,  die  Her- 
stellung einer  organischen  Verbindung  bezweckenden  Industrie  zukommt. 
Sie  ist  ein  landwirthschaflliches  Geweibe,  welches  die  Möglichkeit  bietet, 
aus  Bodenarten,  die  für  die  Cultur  der  meisteu  Feldfrüchte  wenig  ge- 
eignet sind,  noch  reichen  Gewinn  zu  ziehen;  denn  einerseits  gedeiht  der 
wichtigste  Rohstoff  der  Spritfabrikation  —  die  Kartoffel  —  auch  auf 
Bodenarten,  die  den  Anbau  des  Getreides  kaum  lohnen;  andererseiti; 
liefern  die  EUckstände  der  Brennerei  (die  Schlempe}  werthvoUes  Futter 
zur  Haltung  eines  grossen  Viehstands,  welcher  durch  die  Prodaktiou  von 
Dünger  dem  Landwirth  wieder  ein  Material  zur  Verbesserung  seines 
Ackers  giebt.  Die  Erkenntniss  dieser  Vortheile  für  die  Landwirthschaft 
hat  eine  ausserordeutliche  Steigerung  der  Spiritusproduktion,  damit  aber 
auch  ein  Sinken  des  Preises  und  eine  Zunahme  des  Branutweingenusses 
im  Gefolge  gehabt,  welche  die  ernstesten  Besorgnisse  fllr  die  Volkswobl- 
fahrt   hervorrufen   muss.     Die    Eegierungen   sahen    sich   veranlasst,   die 

'  Kreli^   Bcr.  e,  1310.  —  Grodzei  u.  KiaHBa,  Ber.  7,   1*94;  9,  1926. 

'  Ber.  18,  lOOO.  '  Corapt  rend.  110,  634  u.  642. 

*  MEHstHORR,  Bor.  21,  -■J.iee.  —  ViscEMT  u.  Delacbahai.,  BuII,  [3]  S,  681, 

'  Ausführliche  Angaben  s.  in  Maerckeii's  Handbuch  der  Spiritusfabrieation. 
4.  Aufl.  (Berlin  1886),  und  in  dem  Artikel  „Alkohol"  des  encyklopädischcn  Haiiii- 
buchs  d.  techn.  Chemie,  herausgegeben  von  Stohhann  u.  Keht.  (Braunschweig  1888> 
femer  in  Osr's  techn.  Chemie  (Berlin  1890)  S.  435—466. 


Spiritttsbrennerei  (WirthsckafÜiche  Bedeutung).  171 


Spiritusfabrikatiou  durch  Erhebung  von  Steuern  zu  einer  Einnahme- 
quelle für  den  Staat  zu  machen,  um  gleichzeitig  durch  die  mit  der  Be- 
steuerung verbundene  Preis-Steigerung  auf  einö  Verminderung  des  Brannt- 
weingenusses hinzuwirken.  In  den  Budgets  aller  Culturstaaten  spielt  der 
Ertrag  der  Branntweinsteuer  eine  erhebliche  RoUe.  In  Deutschland 
wurden  1887/88  ca.  3  058  000  Hektoliter  Alkohol  (auf  absoluten  Alkohol 
berechnet)  producirt;  die  Einnahme  des  Staates  aus  der  Spiritus-Steuer 
betrug  ca.  116  Millionen  Mark^ 

Welches  die  zweckmässigste  Form  der  Spiritus -Besteuerung  sei,  ist  eine  viel- 
umstrittene  wirthschaftspolitische  Frage  von  hoher  Bedeutung.  Bis  1887  erhob 
Deutschland  eine  „Maischraumsteuer";  d.  h.  die  Höhe  der  Steuer,  welche  eine 
Brennerei  zu  entrichten  hatte,  richtete  sich  nach  dem  Fassungsraum  ihrer  Gährbottiche. 
Diese  Besteuerung  veranlasste  die  Industrie  natürlich,  ihr  Verfahren  so  einzurichten, 
dass  mit  möglichst  geringem  Maischraum  möglichst  viel  Spiritus  erzeugt  wird  (Dick- 
maischen). Die  Steuer  war  ziemlich  gering  und  betrug  auf  den  Hektoliter  100  pro- 
centigen  Alkohol  etwa  16  Mark.  Seit  1887  besteht ,  nachdem  die  Absicht  der  B,c- 
giemng,  ein  staatliches  Monopol  einzuführen,  an  der  Stimmung  weiter  Kreise  der 
Bevölkerung  und  der  Volksvertretung  gescheitert  war,  ein  neues  Steuergesetz, 
wonach  nur  noch  in  den  kleineren  landwirthschaftlichen  Brennereien  die  Maisch- 
raomsteuer,  in  den  grösseren  gewerblichen  Brennereien  dagegen  eine  in  ihrer 
Höhe  entsprechende  Fabrikatsteuer  erhoben  wird.  Dazu  kommt  eine  Ver- 
brauchsabgabe von  50  bezw.  70  Mark  for  1  Hektoliter  abs.  Alkohol;  der  niedere 
Satz  wird  für  die  4'/!  1  &uf  den  Kopf  der  Bevölkerung  nicht  überschreitende  Pro- 
duktion, der  höhere  Satz  für  das  darüber  hinaus  producirte  Quantum  erhoben.  Die 
Einnahme  des  Staates  aus  der  Spiritus-Steuer  hat  sich  durch  das  neue  Gesetz  erheb- 
lich vermehrt  Ob  eine  Einschränkung  des  Branntweingenusses  dadurch  erreicht  ist, 
bedarf  noch  genauerer  Feststellung.  —  Frankreich  hat  Fabrikat-  und  Verbrauchs- 
steuer, Russland  Fabrikatsteuer;  in  England  wird  eine  hohe  Verbrauchsabgabe 
entrichtet,  die  Schweiz  hat  das  Staats-Monopol  eingeführt.  —  Ueber  dieDcnaturi- 
rnng  des  Spiritus,  welcher  steuerfrei  bleiben  soll,  s.  S.  179.  — 

Der  industriell  hergestellte  Alkohol  wird,  wie  bereits  erwähnt,  durch 
einen  Gährungsprocess  von  Zuckerarten^  gewonnen.  Man  pflegt  unter 
der  Bezeichnung  „Gährungen"  gewisse  Zersetzungsprocesse  organischer 
Substanzen  zusammenzufassen,  welche  die  Anwesenheit  von  bestimmten 
an  der  Reaction  scheinbar  selbst  sich  nicht  betheiligenden  Stoflfen  (Gäh- 
rungserzeuger)  zur  Voraussetzung  haben  und  die  Eigenthümlichkeit  be- 
sitzen, dass  eine  verhältnissmässig  sehr  geringe  Menge  des  betreifenden 
Gährungserzeugers  eine  sehr  grosse  Menge  des  zu  zersetzenden  Stoffes 
umwandeln  kann*.  Die  Gährungserzeuger  nennt  man  Fermente,  und 
man  unt€rscheidet  zwischen  geformten  und  ungeformten  Fermenten. 
Erstere  sind  organisirte  lebende  Wesen  (Mikroorganismen);  sie  ernähren 
sich  in  der  gährenden  Flüssigkeit  und  pflanzen  sich  darin  fort;  ihre 
Function  beim  Gährungsprocess  hängt  mit  ihrem  Lebensprocess  unmittel- 
bar zusammen,  ihre  Wirksamkeit  erlischt  mit  dem  Abstarben.    Die  unter 


*  Vgl.  F.  FiscHEit's  Jahresber.  d.  ehem.  Technologie  1889,  1105. 

*  Ausführlichere   Behandlung   der    Gährungserscheinungen   s.    in   Ad.    Mayer's 
L^rbuch  der  Gfthrungschemie.    3.  Aufl.    (Heidelberg  1879). 


172  Spirittisbrennerei  (Älkoholgährung  der  Zuckerarten). 


der  Einwirkung  von  organisirten  Fermenten  verlaufenden  Gährungen 
sind  demnach  physiologische  Vorgänge.  Dagegen  sind  die  angeformten 
Fermente,  die  man  auch  wohl  Enzyme  nennt,  bestimmte  chemische 
Verbindungen,  welche  den  Eiweissstoffen  nahe  zu  stehen  scheinen;  ihre 
Zusammensetzung  indess  ist  noch  nicht  mit  Sicherheit  erkannt,  ihre 
Wirkungsweise  ist  vorläufig  völlig  räthselhaft.  Zu  ihnen  gehört  z.  B. 
die  Diastase,  deren  verzuckernde  Wirkung  auf  die  Stärke  gleich  zu  be- 
sprechen sein  wird. 

Die  Zersetzungen,  welche  durch  geformte  Fermente  bewirkt  werden, 
sind  in  ihrem  Verlauf  ganz  abweichend  von  denjenigen,  welche  durch 
chemische  Agentien  herbeigeführt  werden  können;  dagegen  stehen  die 
Wirkungen  der  ungeformten  Fermente  den  gewöhnlichen  chemischen  Um- 
setzungen viel  näher.  Die  Zersetzung  des  Zuckers  z.  B.  in  Alkohol  und 
Kohlensäure,  wie  sie  durch  die  Lebensthätigkeit  des  Hefepilzes  bewirkt 
wird,  —  oder  auch  nur  eine  ihr  ähnliche  Zersetzung  —  kann  auf  rein 
chemischem  Wege  überhaupt  nicht  eingeleitet  werden^;  dieselbe  Wirkung 
aber,  welche  die  Diastase  auf  die  Stärke  ausübt,  lässt  sich  dnrch  Er- 
wärmen mit  verdünnten  Säuren  erzielen.  Es  erscheint  demnach  nicht 
zweckmässig,  zwei  so  durchaus  verschiedenartige  Erscheinungsgruppen 
durch  dasselbe  Wort  zu  bezeichnen;  rationeller  ist  es,  die  von  Mikro- 
organismen verursachten  Zersetzungsprocesse  als  eigentliche  „Gährungs- 
erscheinungen"  von  den  „chemischen  Fermentwirkungen"  zu  unter- 
scheiden. 

Die  geistige  Gährung  des  Zuckers  ist  ein  unter  der  Einwirkung 
eines  geformten  Ferments  verlaufender  Process;  ihr  Zusammenhang  mit 
dem  Leben  eines  pflanzlichen  Organismus  ist  zuerst  fast  gleichzeitig 
von  Cagniaed  de  la  Tour  *  und  von  Schwann  ^  richtig  erkannt  worden 
(1836).  Doch  haben  die  Beobachtungen  dieser  Forscher  lange  Zeit  nicht 
die  ihnen  gebührende  Beachtung  gefunden,  da  sie  der  von  Liebig  auf- 
gestellten und  eifing  vertheidigten  mechanisch-chemischen  Gährungstheorie 
entgegenstanden.  Erst  seit  den  umfassenden,  von  1857  ab  fortgesetzten 
Untersuchungen  Pasteub's  *  ist  der  ursächliche  Zusammenhang  zwischen 
der  Älkoholgährung  und  dem  Lebensprocess  des  Hefepilzes  (Saccharo- 
myces)  allgemein  anerkannt.  Finden  sich  Hefepilze  in  einer  Flüssigkeit, 
welche  alle  zu  ihrer  Ernährung  nothwendigen  Bestandtheile  —  Zucker, 
anorganische  Salze,  stickstoffhaltige  Verbindungen  (Eiweissstoffe  oder 
Ammoniaksalze)  —  enthält,  so  tritt  eine  rasche  Vermehrung  der  Pilze 
und  Älkoholgährung  ein,  vorausgesetzt  dass  die  Temperatur  nicht  unter 


*  Die  Alkoholbildung,  welche  nach  Berthelot  (Compt  rend.  87,  951)  in  Glu- 
kose-Lösungen unter  dem  Einfluss  von  Wechselströmen  eintreten  soll,  bt  bisher  wohl 
weder  sicher  genug  erwiesen,  noch  als  ein  der  Gährung  analoger  Vorgang  erkannt. 

«  Ann.  eh.  [2]  68,  206. 
»  Pooo.  41,  184. 

*  Compt.  rend.  45,  1032. 


Spiriiusbrennerei  (KartoffüspiHttLs).  173 


+  3  bis  4®  und  nicht  über  +40^  liegt.  Die  Zersetzung  des  Zuckers  er- 
folgt nicht  streng  nach  der  Gleichung: 

CeHijOe  -=  2C,HeO  +  2  CO,, 
bezw.  Ci,H„On  +  HjO  =  4C,HeO  +  400,; 

neben  Alkohol  und  Kohlensäure  sind  kleine  Mengen  von  Bemsteinsäure 
(auf  100 Th.  Zucker  durchschnittlich  0-4  bis  0-7  Th.)  und  Glycerin  (2-5  bis 
3-6  ®^)  normale  Gährungsprodukte.  Es  entstehen  ferner  stets  bei  den 
alkoholischen  Gährungen  der  Praxis  andere  Verbindungen  als  Neben- 
produkte: Homologe  des  Aethylalkohols,  Fettsäuren,  zusammengesetzte 
Aether,  Aldehyd.  Man  fasst  diejenigen  Nebenprodukte,  welche  höher 
als  der  Aethylalkohol  sieden  und  demnach  bei  der  unten  näher  zu  be- 
sprechenden Destillation  des  Rohprodukts  den  Nachlauf  bilden,  gewöhn- 
lich imter  der  Bezeichnung  Fuselöl  zusammen;  die  Fuselöle  von  ver- 
schiedenem Rohmaterial  sind  verschieden  zusammengesetzt;  manche  — 
wie  z.  B.  das  Weinfuselöl  —  haben  angenehmen  Geruch  und  Geschmack 
und  ertheilen  den  sie  enthaltenden  Getränken  (z.  B.  Gognac)  ihren  Werth, 
andere  Fuselöle  —  wie  das  Korn-  und  Kartoffelfuselöl  —  riechen  widrig 
und  unangenehm.  Die  Bedingungen  ihrer  Entstehung  sind  noch  nicht 
klargestellt. 

Als  wichtigster  Rohstoff  der  Spritbrennerei  wurde  oben  die  Kar- 
toffel bezeichnet;  es  gilt  dies  wenigstens  fär  Deutschland,  und  die  Ge- 
winnung des  Spiritus  aus  Kartoffeln  sei  daher  zunächst  besprochen. 
Die  Kartoffel  enthält  an  sich  nicht  den  Zucker,  aus  welchem  durch 
Gährung  Alkohol  erzeugt  werden  kann,  wohl  aber  in  grosser  Menge  ein 
Material,  welches  leicht  in  gährungsfähigen  Zucker  übergeführt  werden 
kann.  Es  ist  dieses  das  Stärkemehl  (CQHjoOg)x,  welches  unter  der 
Einwirkung  der  Diastase  —  eines  ungeformten  Ferments^  das  sich  im 
Malz  (der  keimenden  Gerste)  findet  —  in  einen  Maltose  genannten  Zucker 
C„H„0„  (etwa  80  7^)  und  in  Maltodextrin  C33H33O31  (etwa  20  7^)  zer- 
fällt; ersterer  ist  direct  gährungsfähig,  während  das  Maltodextrin  an 
sich  durch  Hefe  zwar  nicht  vergohren  wird,  bei  der  langen  Dauer  des 
Gährungsprocesses  aber  durch  eine  Nachwirkung  der  noch  vorhandenen 
Diastase  doch  in  eine  gährungsfähige  Zuckerart  verwandelt  zu  werden 
scheint  und  daher  auch  in  die  Gährung  hineingezogen  wird.  Bei  der 
Spriterzeugung  handelt  es  sich  demnach  zunächst  um  die  Verzuckerung 
der  Stärke  durch  Diastase.  Die  Kartoffeln  werden  in  geschlossenen 
Apparaten  mit  gespanntem  Dampf  von  140 — 150^  behandelt,  nach  der 
Dämpfung  lässt  man  die  Füllung  plötzlich  durch  ein  Ventil  austreten; 
der  Druck  gleicht  sich  nun  mit  dem  der  Atmosphäre  aus,  und  aus  dem 
überhitzten  Zellsafte  der  Kartoffel  entwickelt  sich  gewaltsam  Dampf, 
wodurch  die  Kartoffeln  in  eine  homogene  dünnbreiige  Masse  verwandelt 
werden.  Es  folgt  nun  die  Einmaischung  dieses  stärkemehlhaltigen 
Materials  mit  dem  zur  Verzuckerung  dienenden  Malz,  welche  in  mit 
Böhrwerken  versehenen  Apparaten  (Maischbottichen)  geschieht.     Für  die 


Spirili*sbrennerei  (KartofftUpirihie). 

am  günstigsten  eine  Temperatur  von  60 — 62  *;  sie  kann 
lendigt  sein.  Die  Temperatur  wird  darauf  entweder 
selbst  oder  seltener  in  besonderen  KuhlapparateD  anf 
setzt,    und  die  Maische  kann  nun  zur  Gälming  ange- 

welchem  Zwecke  sie  in  den  Gährbottichen  mit  der 
on  Hefe,  die  in  den  Brennereien  jedesmal  besonders 
unstbefe),  versetzt  wird.  Die  Gäbrung  bringt  eine  be- 
ntwicklung   mit   sieb;    es   ist    daher   zweckmässig,  die 

Kühlvorricbtungen  zu  vergeben,  um  die  Temperatur 
en.  Eine  Temperatursteigerurig  über  33**  würde  der 
ier  Hefe  sebr  nachtbeilig  sein  und  die  Älkoholausbeat* 
en,  dagegen  gerade  das  Eintreten  anderer  Gährungs- 
;en.  Der  Zucker  erleidet  nämlich  unter  dem  Einfluss 
erreger,  als  des  Kefepilzes,  die  „Milcbsäuregährung'- 
Ȋhrnng".  In  der  Luft  linden  sich  nun  bekanntlich 
n  Mikroorganismen  verbreitet;  ea  könnten  daher  leicht 
nte    der   Milchsäure-   und    Buttersäuregährung   in    die 

und,  wenn  sie  darin  günstige  Lebensbedingungen  vor- 
"ungen,  welche  der  Spiritusfabrikant  natürlich  zu  ver- 
eiten.  Nun  sind  für  die  Entwickelung  dieser  fremden 
höhere  Temperaturen  günstig;  das  Temperaturoptimuni 
(lents  liegt  bei  40—50",  dasjenige  des  Butter  säur  eferraents 
ist  daher  namentlich  in  der  ersten  Zeit  des  Gälir- 
^,ß  die  Maische  noch  viel  unzersetzten  Zucker  enthält, 
lerer  Temperaturen  zu  vermeiden. 
hrenen  Maische  sind  nun  neben  den  durch  die  Gährung 

Bestandtheileii  des  Bohmaterials  —  Faaeni,  Eiweiss- 
j  Salze  u.  s.  w.  —  die  Gährungsprodukte  Alkohol, 
nsäure  und  Glycerin  in  wässriger  Lösung  vorhanden. 
it  einer  durch  Gährung  erhaltenen  Flüssigkeit  kann 
.g  von  ]4  7o  übersteigen,  da  in  alkoholreicheren  Flüssig- 
;tliätigkeit  der  Hefe  erlischt;    auch   ist  der  an&ngbche 

Briiuntweinmaiscben  niemals  so  gross,  dass  nach  voU- 
■ung   diese  Grenze   erreicht  ist.     Durch  einen  Destil- 

wird  nun  der  Alkohol  mit  den  anderen  tlüchtigen 
m  den  nichttlüchtigen  Bestand theilen  der  vergobre- 
xennt,  und  mau  ist  dabei  natürlich  bestrebt,  ein 
ten,  welches  die  gesammte  Menge  des  erzeugten  Alko- 
möglichst  geringen  Menge  von  Wasser  enthält.  Man 
weck  durch  Apparate,  in  denen  das  Princip  der  Recti- 
egmation  angewendet  wird.  Die  alkoholhaltigen  Dämpfe, 
Cheile  des  Apparats  sich  entwickeln,  werden  gezwuugeo, 
leren  Theile  zu  condensiren;  die  condensirte  Flüssigkeit 
ibströmenden  Dampf  von  neuem  zur  Destillation  gebracht; 
i  Destillation  entwickelt  sich  ein  alkoholreicherer  Dampf 


^ritusbrenner^  (Kartoffelspiritus).  175 


als  bei  der  ersten;  vermittelst  einer  solchen  mehrmaligen  Wiederholung 
von  Condensation  und  Wiederverdampfung  im  gleichen  Apparat  gelingt 
68,  durch  eine  Operation  einen   ziemlich  starken  Alkohol  {durchschnitt- 
lich von  90  7o)  a.u8  der  Maische  herauszudestilliren.     Sehr  gebräuchlich 
i8thierfilrderinFig.56 
abgebildete     Apparat 
von  PisTOBius.      Aus 
der    D es tillir blase    A 
gehen   die  Dämpfe  in 
die    zweite    Blase    B, 
aus   letzterer   in    den 
„Vorwärmer"  D,  wel- 
cher   aus    zwei    Ab- 
theilnngen       besteht; 

die  innere  (C)  enthält  c  | 

Maische,     durch     die  1 

äussere      Abtheilung  ^ 

streichen  die  Dämpfe,  * 

indem   sie  sich  theil-  3 

weise    darin    conden-  1 

siren,    und    gelangen  a 

schliesslich     in     den  S 

,.Becken-Apparat"  E,  § 

welchen     sie    in    der  g 

Bichtuüg    der    Pfeile  2 

durchströmen  müssen ;  I 

hier  findet  wieder  be-  8 

trächtliche  Condensa-  9: 

tion    statt ,    und    die 

condensirte     Flüssig-  * 

keit  fliesst  theils  zu-  E 

rück,  theils  wird  sie 
schon  im  Beckenappa- 
rat durch  den  nach- 
strömende n  Dampf 
wieder  verdampft.  Der 
starke  Alkoholdampf 
geUogt  endlich  dordi 
Aaa  Kobr  F  in  den 
CoDdeosatiousapparat 
Ist  aas  der  Blase  A 

aller  Alkohol  ausgetrieben,  so  wird  sie  entleert  und  mit  dem  Inhalt  der 
Blase  B  gefüllt,  während  die  Maische  aus  dem  Vorwärmer  C  nach  B  ge- 
Bchafft,  und  der  Vorwärmer  mit  frischer  Maische  beschickt  wird.  —  Die 
durch  Destillation  vom  Alkohol  befreite  Maische  nennt  man  ,, Schlempe"; 


Spiritushrentierei  (liectifieiTung  des  Itohapirüus). 


176 

sie  enthält  die  Asche  und  die  durch  die  Gährung  nicht  veränderten  Nähr- 
stofiFe  der  KartofiFel,  ferner  die  nicht  flüchtigen  Gäbiuugsprodukte  (Gly- 
cerin,  Bernsteinsäure)  und  wird  als  Tiehfutter  benutzt. 

Der  „Bohspiritus",  wie  er  auf  diese  Weise  erhalteu  wird,  iet  noch 
von  Fusel   begleitet  und    muas    daher  für  viele  Zwecke  —  wie  fÖr  die 
Darstellung   besserer  Trinkbranntweine,    zum  Verschneiden  des  Weines 
—    noch    einer   Bcinigung   unterworfen    werden'.     Die  Verwandlung  in 
„Feinsprit"    wird  nur  ganz  ausnahmsweise  in  den  Brennereien  selbst 
ausgeführt;  in  der  Kegel  geschieht  sie  in  besonderen  Spiritus-Raftinerien, 
welche  an  den  grossen  Handelsorten  ihren  Sitz  haben.     Zur  Entfuselung 
wird  der  Rohsprit  zunächst,    nachdem   er  durch  Wasser  bis  zur  Stärke 
von   etwa  50" j^   verdünnt  ist,   über  Holzkohle  flltrirt.     Durch  die  Ver- 
dünnung   wird    ein   Theil    der   hochsiedenden 
Beimengungen,   welche  in  Wasser  nicht  lös- 
lich sind,   in   feiuen  Tröpfchen  abgeschieden, 
welche  bei  der  Filtration  an  den  Flächen  und 
in  den  Poren  der  Holzkohle  hängen  bleiben; 
die  Holzkohle  wirkt  ferner  durch  ihr  Absorp- 
tionsvermögen  für   übelriechende  St^itfe,   viel- 
leicht auch  dadurch,  dass  die  an  ihrer  Ober- 
fläche verdichtete  Luftmenge  Verunreinigungen 
des  Robspiritus  durch  Oxydation  zerstört.  Auf 
die  Filtration  folgt  eine  sehr  sorgfältige  Recti- 
fication,  bei  welcher  zunächst  ein  aus  dem  sehr 
leicht  flüchtigen  Acetaldehyd  bestehender  „Vor- 
lauf"  abgesondert  wird;    nach   dem   Vorlauf 
fängt  man  hochgradigen  Feinsprit  {vou  etwa 
967J,   dann  Secundasprit  (von  90—94%), 
darauf  schwächereu  Sprit,   welcher  wieder  iu 
den    Betrieb    zurückkehrt,    und    endlich    den 
Nachlauf  auf,  welcher  die  hochsiedenden  Bei- 
mengungen   (homologe    Alkohole ,    Fettsäure- 
est«r)  enthält.    Die  zur  Rectiflcation  benutzten 
Destillirapparate  besteben  stete  aus  einer  De- 
stillirblase ,  auf  welche  eine  Rectificircolonne 
von  sehr  mannigfaltiger  Construction  aufgesetzt 
ist.     Fig.   57    giebt   eine   gebräuchliche   Ein- 
richtung  einer   solchen   Colonne   wieder;    sie 
besteht  aus   einer  grossen  Zahl  von  einzelnen   AbtJieilungen   (zwei   der- 
selben sind  in  Fig.  57a  in  grösserem  Massatab  abgebildet),  welche  durch- 
löcherte Böden  besitzen;  jede  einzelne  derselben   ist  —  abwechselnd  an 
der  rechten  und  linken  Seite  —  mit  einem  Abflussrohr  versehen,  welches 


Fig.  07.    SpIrilm-KecUaclr- 


'  Ucber  neuere   VorschlSge  zur  Reinigung  des  Spiritus  vgl.  Chem.   Indiutrie 


Spirihtsbrennerei  (Prüfung  auf  Fuselöl,     Kombranntwein).  177 


sich  80  weit  über  den  Boden  erhebt,  dass  immer  nur  eine  dünne 
Flüssigkeitsschicht  auf  demselben  befindlich  ist.  Während  der  Destil- 
lation bedecken  sich  die  Böden  mit  condensirter  Flüssigkeit,  welche  durch 
den  nachströmenden  Dampf  beständiger  ßectification  unterworfen  wird. 
Absoluter  Alkohol  wird  im  Grossen  durch  Entwässern  von  hoch- 
gradigem Feinsprit  mit  Aetzkalk  oder  gewöhnlicher  mit  Chlorcalcium 
hergestellt.     Er  findet  Verwendung  zur  Darstellung  von  Lacken. 

Um  den  rectificirten  Alkohol  auf  einen  Gehalt  an  Amylalkohol  (Fuselöl) 
zu  untersuchen,  spült  man  ein  grosses  Becheiglas  mit  etwa  5  com  des  Alkohols  aus 
und  schwenkt  es  mehrmals  in  der  Luft  umher;  der  Aethylalkohol  verdunstet  dabei 
sehr  rasch  und  der  etwaige  Fuselgeruch  macht  sich  deutlich  bemerkbar.  —  Quan- 
titativ kann  man  das  Fuselöl  auf  capillarimetrischem  Wege  bestimmen  durch  Er- 
mittelung der  Steighöhe  in  capillaren  Rohren  oder  durch  Ermittelung  der  Tropfen- 
z&hl  im  Stalagmometer  ^  (vgl.  S.  158).  Gewöhnlich  wird  indees  das  Ver&hren  von 
RoESE-SrüTZER-RErrHEYER-HERZFELD  angewendet,  welches  darauf  beruht,  dass  Chloro- 
form einem  Gremisch  von  SO-procentigem  Alkohol  und  Fuselöl  das  letztere  beim 
Schütteln  entzieht  und  dadurch  sein  Volum  vermehrt.  In  einem  eigens  dafür  con- 
Btruirten  Apparat  wird  eine  bestimmte  Chloroformmenge  mit  100  ccm  des  auf  30 
Vol.-Proc  verdünnten,  zu  untersuchenden  Alkohols  durchgeschüttelt,  und  die  Zu- 
nahme der  Chloroformschicht,  deren  Absitzen  man  durch  Zusatz  von  etwas  verdünnter 
Schwefels&ore  erleichtert,  abgelesen;  eine  Tabelle  giebt  an,  welcher  Fuselölgehalt 
einer  bestimmten  Volumvermehrung  entspricht'.  —  Der  Gehalt  an  Fuselöl  ist  von 
besonderer  Wichtigkeit  für  die  Trinkbranntweine  wegen  des  nachtheiligen  Einflusses, 
welchen  der  Amylalkohol  und  die  höheren  Alkohole  auf  die  Gesundheit  ausüben. 
Ein  Grehalt  von  3  ®/o  Fuselöl  wirkt  entschieden  giftig;  die  deutschen  Trinkbrannt- 
weine enthalten  Indess  höchstens  0*3— 0*6%,  in  der  Regel  bedeutend  weniger^; 
bei  einem  so  geringen  G«halt  kommt  die  Schädlichkeit  des  Fuselöls  gegenüber  der 
des  Aethylalkohols  selbst  kaum  mehr  in  Betracht. 

Der  Spritgewinnung  aus  Kartoffeln  sehr  ähnlich  ist  die  Herstellung 
von  Alkohol  aus  Getreidearten  (Kornbranntwein).  Auch  hier 
geht  man  von  einem  stärkemehlhaltigen  Material  aus,  dessen  Stärkegehalt 
zunächst  durch  Diastase  verzuckert  wird.  In  England  wird  fast  aller 
Alkohol  aus  Getreide  gewonnen.  Man  verwendet  nur  selten  eine  Ge- 
treidesorte allein;  in  England  mischt  man  meist  Gerste  mit  Weizen 
oder  Hafer,  in  Deutschland  benutzt  man  vorzugsweise  Roggen  unter 
Zusatz  von  Gerste  („Kornbranntwein");  in  Ungarn  und  Italien,  besonders 
aber  in  Amerika,  wird  Mais  zur  Spritbereitung  angewendet.  In  Ost- 
indien wird  aus  Reis  der  Arrac  gewonnen. 

Während  bei  der  Alkoholgewinnung  aus  Kartoffeln  und  Getreide 
ein  stärkemehlhaltiger  Rohstoff  den  Ausgangspunkt  bildet,  liegt  der 
Spiritusfabrikation    aus    Zuckerrüben    ein     zuckerhaltiges    Ausgangs- 

*  J.  Traube,  Ber.  19,  892;  20,  2644. 

*  K&heres  8.  in  Hobm  s  Anleitang  zur  chem.-techn.  Analyse  organ.  Stoflfe  (Wien 
1890)  S.  95— -99.  —  Ausführliche  Darlegung  und  Kritik  der  Methoden  zur  Untersuchung 
dtt  Bruintweins  auf  Fuselöl  vgl.  in  den  Arbeiten  aus  dem  kais.  Gesundheitsamte  4, 
109  (von  Sbll)  und  6,  378  (von  Windisch). 

*  Vgl.  die  Tabelle  m  den  Arbeiten  a.  d.  kais.  Gesundheitsamte  4,  216—218. 
V.  Mkyee  u.  Jaoobsos,  org.  Chemie.   I.  12 


178  Spiritiisbretvnerei  (Rühenspiritus,     ObstbranntweinJ. 


material  zu  Grunde.  Die  in  der  Zuckerrübe  enthaltene  Zuckerart  — 
der  Rohrzucker  C^^H^^O^^  —  ist  zwar  an  sich  nicht  gährungsfähig,  wird 
aber  durch  ein  in  der  Hefe  sich  findendes  ungeformtes  Ferment,  das 
Invertin,  in  zwei  gährungsf&hige  Zuckerai*ten  —  Dextrose  und  Lävu- 
lose  —  zerlegt  (Inversion  des  Rohrzuckers,  vgl.  Näheres  in  dem  Kap. 
,, Zuckerarten"): 

Cj,H„Oh  +  H,0  =  CeH,,Oe  +  CeH^Oe 

Dextrose     Lfivulose. 

Rübenspiritus  wird  in  Frankreich  im  grössten  Massstabe  erzeugt.  In 
Deutschland  stand  der  Benutzung  der  Rüben  die  nach  dem  Maischraum 
sich  richtende  Besteuerung  des  Spiritus  entgegen;  es  ist  nicht  möglich, 
mit  Rüben  den  Maischraum  so  hoch  auszunutzen  wie  mit  Kartoffeln. 
Der  Rübensprit  ist  schwerer  zu  reinigen  als  der  Kartoffelsprit.  —  Hier- 
her gehört  femer  die  Verwerthung  der  Melasse  —  des  bei  der  Rüben- 
zuckerfabrikation bleibenden  unkrystallisirbaren  Rückstands,  der  noch 
reichliche  Mengen  Rohrzucker  enthält,  —  zur  Gewinnung  von  Spiritus. 
Das  Fortbestehen  dieser  nicht  unbedeutenden  Industrie  erscheint  fraglich, 
seitdem  die  Methoden  zur  Entzuckerung  der  Melasse  sich  immer 
mehr  Eingang  in  der  Zuckertechnik  verschaffen,  und  sich  der  Werth 
der  Melasse  dadurch  erheblich  gesteigert  hat. 

Durch  Vergähruiig  der  indischen  Rohrzuckermelasse  wird  in  den 
englischen  Colonien  der  durch  sein  eigenthümliches  Aroma  ausgezeichnete 
Rum  gewonnen.  Im  Anschluss  daran  sei  die  Erzeugung  von  Brannt- 
weinsorten, welche  durch  ihren  angenehmen  Geschmack  und  ihr  Aroma 
geschätzt  sind,  aus  Obst  erwähnt.  Im  Schwarz wald  wird  in  grossem 
Umfang  die  Erzeugung  von  Kirschwasser  aus  der  schwarzen  Wald- 
kirsche betrieben,  in  Böhmen  fabricirt  man  den  Sliwowitz  aus  Zwet- 
schen,  indem  man  den  Fruchtbrei  zugleich  mit  den  gröblich  zerkleinerten 
Kernen  der  freiwilligen  Gährung  überlässt  und  darauf  abdestillirt.  — 
Durch  Destillation  von  Wein  gewinnt  man  den  Cognac;  doch  ist  der 
grösste  Theil  des  gegenwärtig  im  Handel  sich  findenden  Cognacs  durch 
Vermischen  von  Kartoffelsprit  mit  künstlichem  Weinöl  hergestellt.  — 
Der  Alkoholgehalt  der  Trinkbranntweine  ^  schwankt  meistens  zwischen 
40 — 50  Vol.-Proc. ,  geht  jedoch  auch  bis  zu  70  ^/^  hinauf. 

Die  Gewinnung  der  alkoholhaltigen  Getränke  (Bier,  Wein)  durch 
geistige  Gährung  ohne  darauffolgende  Destillation  wird  in  dem  Kapitel 
„Nahrungs-  und  Genussmittel"  (Band  II)  besprochen  werden. 

Bei  weitem  die  grösste  Menge  des  producirten  Alkohols  wird  gegen- 
wärtig vertrunken.  Die  Einschränkung  des  Branntweingenusses  muss 
als  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  bezeichnet  werden,  welcher  sich  im 
Interesse  der  Volkswohlfahrt   die  Regierungen  sowohl  wie  der  Einzelne 


^  Vgl.  König,  Chem.  Zusammensetzung  d.  menschl.  Nahrungs-  u.  Genussmittel, 
3.  Aufl.  (Berlin  1889),  I. 


SpirituJbrennerei  (Verwendung  des  Spirittts.     DencUurirtmg).         179 


zu  widmen  haben^.  Wohl  hat  man  dem  Alkohol  nützliche  Wirkungen, 
wie  Erhöhung  des  Wärmegeflihls  und  der  Leistungsfähigkeit,  Förderung 
der  Verdauung  zuschreiben  wollen;  man  hat  behauptet,  dass  durch  die 
bei  der  Verbrennung  des  Alkohols  im  Körper  erzeugte  Wärme  dem 
Arbeiter  zum  Theil  Ersatz  für  wirkliche  Nahrungsstofl'e  geboten  würde. 
Aber  wenn  auch  vielleicht  derartige  nützliche  Wirkungen  bei  massigem 
Alkoholgenuss  in  geringem  Umfang  zuzugeben  sind,  so  verschwinden  sie 
völlig  gegen  die  furchtbaren  Folgen  —  Krankheiten,  sittliche  Verrohung, 
Verarmung  — ,  welche  das  gewohnheitsmässige  Branntweintrinken  heute 
namentlich  unter  den  niederen  Klassen  der  civilisirten  Nationen  äussert. 
Fast  eben  so  sehr  zu  beklagen  ist,  dass  auch  uncivilisirte  Völker- 
schaften zum  Branntweingenuss  verführt  und  ihrem  Untergange  dadurch 
nahe  gebracht  werden.  Gegenwärtig  gehen  namentlich  nach  Afrika  grosse 
Mengen  von  Trinkbranntwein  und  bringen  dort  den  Eingeborenen  Ver- 
derben. 

Aber  auch  zu  culturireundlichen  gewerblichen  Zwecken  werden  er- 
hebliche Mengen  Alkohol  verwendet.  Alkohol  dient  zur  Herstellung  von 
Essig,  als  Lösungsmittel  für  Lacke,  Firnisse,  Farben,  zur  Darstellung 
von  Theerfarbstoffen  und  mehreren  wichtigen  pharmaceutischen  Präpa- 
raten, wie  Chloroform,  lodoform,  Chloral,  in  den  Haushaltungen  zum 
Brennen  und  Putzen,  in  Sammlungen  zum  Conserviren  anatomischer 
Präparate  u.  s.  w. 

Nur  der  zum  Trinken  bestimmte  Alkohol  soll  versteuert  werden,  der  für  andere 
Zwecke  zu  benutzende  Alkohol  ist  steuerfrei,  nachdem  er  durch  gesetzlich  vorge- 
schriebene Zusätze  zum  Trinken  untauglich  gemacht,  „denaturirt^'  ist  An  das 
Denaturirungsmittel  muss  die  Anforderung  gestellt  werden,  dass  es  den  Alkohol  un- 
geniessbar  macht,  seine  Verwendung  zu  technischen  Zwecken  aber  nicht  schädlich 
beeinfluflst  und  sich  femer  nicht  durch  einfache  Operationen  wieder  aus  deui  Alkohol 
herausschaffen  lässt  In  Deutschland  ist  auf  100  Liter  Alkohol  ein  Zusatz  von  2-5 
Liter  eines  Gremisches  aus  4  Th.  Holzgeist  und  1  Th.  Pyridinbasen  vorgeschrieben 
(einigen  Industrien  ist  die  Benutzung  bestimmter  anderer  Denaturirungsmittel  gestattet); 
dieses  Denaturirungsmittel  hat  zu  vielfachen  Klagen  Anlass  gegeben,  namentlich  weil  bei 
der  Verwendung  des  Spiritus  zu  Brennzwecken  in  den  Haushaltungen  der  Greruch 
der  Pyridinbasen  lästig  empfunden  wird.  Doch  scheinen  diese  Beschwerden  allmählich 
zu  yerstammen,  und  sie  haben  in  Deutschland  zu  einer  Aenderung  der  Denaturi- 
nuigByoraebriften  nicht  geftihrt'. 


^  YgL  aber  die  Alkoholfrage:  Bukge,  Lehrb.  d.  physiol.  u.  pathol.  Chemie  (Leip- 
zig, 2.  Aufl.  1889),  p.  124. 

"  Vgl.  Chem.  Ztg.  Rep.  1889,  152  u.  357.  —  F.  Fischeb's  Jahresber.  d.  ehem. 
Technologie  1889,  593  ff. 


t>^ 


12 


Drittes  Kapitel. 

deren  Alkylrest  an  Halogenatome 
Sauerstoff  gebunden  ist. 

Fluomlkylc.     Einfache  und  gembchte  Aether. 
Mi  DeraUSuTeester.) 


(Ml  wir  Verbindungen  kennten  gelerut,  dereu 
Keste    der   Grenzkohlenwassei-stoffe  (Älkvi- 

B  Hydroxylgruppe  gebunden  enthalten.     Vun 

[aun  mau  durch  directen  oder  indirecten  Au^- 
eine  grosse  Zahl  von  anderen  Verbinduiif!;eu 
Alkylrest  noch  unverändert  enthalten.     Man 

der  Alkohole   daher  sämmtlich  als  „Alkyl- 

n;  sie  zerfallen  in  folgende  Gruppen; 

^.Ikylrest  an  Halogenatome  (oder  an  Fluor)  ge- 

dkyle.) 

llkylrest  an  Sauerstoff  gebunden  ist.    (AeÜier, 

Llkylrest  an  Schwefel  gebunden  ist.    (Mercap- 

uren  etc.) 

llkylrest  an  Stickstoff  gebunden  ist.     (Amine, 

1  Wasserstoffe  etc.) 

Llkylrest  an  andere  Metalloid -Atome  gebunduii 

n-,  Bor-,  Silicium-  etc.  -Verbindungen.) 

.Ikylrest  an  Metallatome  gebunden  ist.  {Metall- 

;en.) 

Igen  sind  die  Halogenalkyle  besonders  wichtig, 

den  Alkoholen  sehr  leicht  gewinnbar,  auderer- 

ingen  fUhig  sind,  and  man  daher  durch  ihie 

[n  die  verschiedenartigsten  Yerbindungsformen 

h  rechtfertigt  sich  ihre  Besprechung  an  erster 

.   Halogenalkyle. 

etzung:  C„H,„^,C1,  C„H,„^,Br,  C„H,„^,J. 
I  erhält  die  Halogenalkyle  am  leichtesten  ans 
en  einwerthigen  Alkoholen  der  G-renz- 
der  Hydroxylgruppe  gegen  Halogen, 
ntweder  durch  Krhitzen  der  Alkohole  mit 
iter  Wasserabspaltung : 

I  +  HCI  =  It-OH  +  CaH„  +  ,CI 


Bildungsweisen  der  Halogenalkyle,  181 


oder  durch  Einwirkung  von  Halogenverbindungen  des  Phosphors  auf  die 
Alkohole  bewirkt  werden: 


3CnH,^  +  i.  OH  +  P  J3  =  P(OH),  +  3C^H,^  +  iJ. 

Während  erstere  ßeaction  längeres  Erhitzen  erfordert,  verläuft  die  Ein- 
wirkung der  Phosphorhalogen -Verbindungen  heftig  und  fast  momentan. 
Beide  Beactionen  gestatten  indess  keine  völlig  quantitative  üeberfiihrung 
des  Alkohols  in  Halogenalkyl ;  der  Umsetzung  von  Alkohol  mit  Halogen- 
wasserstoff entgegen  wirkt,  wenn  die  Reactionsprodukte  Wasser  und 
Halogenalkyl  in  beträchtlicherer  Menge  gebildet  sind,  die  umgekehrte  Um- 
setzung: 

CnH,„  +  i.  CI  +  H.  OH  =  HCl  +  C^Ha^  +  rOH; 

es  ist  daher  die  Anwendung  eines  grossen  Ueberschusses  von  Halogen- 
wasserstoff erforderlich,  um  eine  möglichst  vollständige  Umwandlung  des 
Alkohols  zu  erzielen.  —  Der  glatte  Verlauf  der  Eeaction  zwischen 
Phpsphorhalogen -Verbindungen  und  Alkoholen  andererseits  wird  beein- 
trächtigt durch  Nebenreactionen,  in  welchen  sich  esterartige  Verbindungen 
der  Phosphorsäuren  bilden  (vgl.  S.  209),  z.  B.: 

PClg  +  3  Ca- OH  =  P(O.CjH5)8  +  3  HCl. 

Für  die  Gewinnung  der  Chloride  nach  der  ersten  Methode  hat 
sich  in  der  Methyl-  und  Aethyl-Reihe  ein  Zusatz  von  Chlorzink  als  be- 
sonders vortheilhaft  erwiesen;  man  löst  das  Chlorzink  in  dem  betreffen- 
den Alkohol  auf,  leitet  Salzsäuregas  bis  zur  Sättigung  ein  und  erhitzt^ 
(vgl.  die  Darstellung  des  Chloräthyls,  S.  188).  In  den  höheren  Reihen 
bietet  der  Chlorzink-Zusatz  keinen  VortheiP;  auch  treten  bei  seiner  An- 
wendung leicht  theilweise  Umlagerungen  ein,  indem  neben  der  Haupt- 
reaction  durch  Wasserentziehung  eine  Bildung  von  Kohlenwasserstoffen 
der  Aethylenreihe  stattfindet,  an  welche  sich  dann  Anlagerung  des  Chlor- 
wasserstoffs  unter  Entstehung  eines  isomeren  Chlorids  schliessen  kann^, 

z.  B.: 

C8H„.CH5,.CHj.OH-H,0  =  CgHu-CHrCHg 
C^HnCH:  CH,  +  HCl  =  C^Hh  •  CHCl  •  CHj 

(vgl-  auch  S.  163).  —  Derartige  Umlagerungen  treten  auch  häufig  bei 
der  Gewinnung  von  Alkyljodiden  aus  Alkoholen  und  Jodwasserstoff  ein. 
Die  Methode  der  Einwirkung  von  Phosphorhalogen -Verbindungen 
wird  besonders  häufig  zur  Darstellung  der  Bromide  und  Jodide  an- 
gewendet. Es  ist  hierbei  nicht  nöthig,  von  den  fertigen  Brom-  bezw. 
Jodverbindungen  des  Phosphors  auszugehen,  sondern  man  kann  die 
Bildung  und  Zersetzung  der  Phosphorhalogen -Verbindung  in  einer  und 
derselben  Operation  bewirken,  indem  man  zu  dem  Gemisch  des  Alkohols 


^  Gbovbs,  Ann.  174,  372.  —  Kbüqeb,  J.  pr.  |2j  14,  195. 
'  Malbot  u.  Gentil,  Ann.  eh.  [6]  19,  405. 
'  SaBOBLnoiBB,  Ann."  177,  301. 


182  Bildungsu^eisen  der  Halogenalkyle. 


mit  rothem  Phosphor   allmählich    die  nöthige  Menge  Brom  bezw.  Jod 

zuf&gt,  z.  B.: 

aCjHßOH  +  8J  +  P  =  SCjHgJ  +  P(OHV 

Aus  mehrwerthigen  Alkoholen  erhält  man  durch  Erhitzen  mit 
Jodwasserstoffen  secundäre  Alkyljodide,  indem  an  Stelle  einer  mittel- 
ständigen Hydroxylgruppe  ein  Jodatom  tritt,  während  alle  anderen 
Hydroxylgruppen  durch  Wasserstoff  ersetzt  werden;  aus  dem  Glycerin 
OH2(OH).CH(OH)-CH2(OH)  wird  z.  B.  in  dieser  Weise  Isopropyljodid 
CHg-CHJ.GHg  dargestellt  (vgl.  S.  146  u.  188). 

Die  Halogenalkyle  werden  ferner  häufig  durch  Addition  von 
Halogenwasserstoff  an  Kohlenwasserstoffe  der  Aethylenreihe 
gewonnen: 

CH,:CH,  +  HBr  =  CHjCHjBr. 

Die  Homologen  des  Aethylens  geben  in  dieser  Beaction  nicht  primäre, 
sondern  secundäre  oder  tertiäre  Halogenalkyle,  da  die  Anlagerung  so 
erfolgt,  dass  das  Halogenatom  an  das  mit  weniger  Wasserstoff  beladene 
Kohlenstoffatom  tritt,  z.  B. 

CHs-CHiCHj +  HJ  «  CHjCHJCH,; 
(CH,),C :  CH,  +  HCl  =  (CH3),CC1  •  CH,. 

Es  beruht  hierauf  die  schon  öfter  erwähnte  Bildung  von  secundären 
oder  tertiären  Halogenalkylen  aus  primären  Alkoholen  (vgl.  S.  163  u.  181). 
Von  theoretischem  Interesse  ist  endlich  die  Bildung  von  Ghlor- 
alkylen  und  Bromalkylen  durch  directe  Substitution  der  Grenz- 
kohlen Wasserstoffe: 

CH4  +  Cl,  =  CHsCl  +  HCl; 
CH8(CH,)3.CH,.CH3  +  Br,  =  CHs.(CH,),.CHBr.CH8  +  HBr. 

Die  Substitution  wird  durch  Operiren  im  Sonnenlichte  befordert.  Als 
Darstellungsmethode  ist  diese  Bildungsweise  nicht  empfehlenswerth, 
einerseits  weil  die  reinen  Grenzkohlenwasserstoffe  kein  leicht  zugäng- 
liches Ausgangsmaterial  darstellen,  andererseits  weil  die  Chlorirung  und 
Bromirung  nicht  zu  einheitlichen  Produkten  führt.  Bei  der  Einfiihrung 
von  Chlor  z.B.  entstehen  stets  zugleich  primäre  und  secundäre  Chloride ^ 
aus  normalem  Pentan  wird 

CHjCH.CHjCH.CH.Cl    und    CHj-CHjCHjCHClOHs; 

bei  der  Bromirung  liefern  die  normalen  Paraffine  hauptsächlich  secun- 
däre Bromide  von  der  Formel  C^Hj^^j'CHBr-CHj  (vgl.  obige  Gleichung) 
neben  anderen  Produkten*.  Auch  geht  die  Substitution  leicht  über  die 
Bildung  von  Monosubstitutions-Produkten  hinaus,  namentlich  wenn  man 
die  Halogene  auf  die  flüssigen  Kohlenwasserstoffe  wirken  lässt  und  ihre 
Einwirkung  durch  Gegenwart  von  Jod  (s.  S.  129)  befördert;  die  Bildung 
der  höheren  Substitutionsprodukte  wird  dagegen  fast  ganz  vermieden, 
wenn  man  die  Halogene  auf  die  Kohlenwasserstoffe  in  Dampfform  ein- 

^  ScHOBLEMMBB,  Ann.  161,  268.  '  Schorlemiob,  Ann.  188,  249. 


Allgemeine  Charakteristik  der  Halogenalkyle,  183 


wirken  lässt.  —  Die  Einführung  von  Jod  in  die  Grenzkolilen Wasserstoffe 
durch  Substitution  gelingt  überhaupt  nicht. 

Allgemeine  Charakteristik.  Bis  auf  die  drei  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  gasforniigen  Verbindungen  Chlormethyl,  Chloräthyl  und  Brom- 
methyl sind  die  Halogenalkyle  der  niederen  und  mittleren  Reihen  ölige 
Flüssigkeiten,  welche  in  Wasser  fast  unlöslich,  mit  Alkohol  und  Aether 
dagegen  meist  in  jedem  Verhältniss  mischbar  sind.  Die  höchsten  Glieder 
sind  bei  gewöhnlicher  Temperatur  feste  Substanzen  von  salbenartiger  Be- 
schaffenheit; in  kaltem  Alkohol  und  Aether  lösen  sie  sich  kaum.  Die 
Halogenalkyle  sind  farblos,  die  Jodide  färben  sich  indess  durch  geringe 
Zersetzung  leicht  etwas  röthlich.  Sie  besitzen  meist  einen  angenehm  süss- 
lichen  Geruch.  Sie  sind  brennbar;  Chlormethyl  und  Chloräthyl  geben  eine 
grüngesäumte  Flamme.  Der  Siedepunkt  der  Bromide  liegt  durchschnitt- 
lich um  20 — 25®,  derjenige  der  Jodide  um  40 — 60®  höher,  als  der  Siede- 
punkt der  entsprechenden  Chloride.  Ebenso  besitzen  die  Jodide  das 
höchste,  die  Chloride  das  geringste  specifische  Gewicht.  Das  specifische 
Gewicht  sinkt  in  den  homologen  Reihen  mit  zunehmendem  Kohlenstoff? 
gehalt,  da  der  das  specifische  Gewicht  erhöhende  Einfluss  des  Halogen- 
atoms um  so  mehr  zurücktritt,  je  grösser  das  Molecül  wird.  Die  folgende 
Tabelle  (Nr.  6  auf  S.  184)  enthält  für  eine  Anzahl  von  Halogenalkylen 
der  ersten  8  Reihen  die  Siedepunkte  und  specifischen  Gewichte. 

Das  Halogenatom  besitzt  in  diesen  Verbindungen  eine  verhältniss- 
mässig  grosse  Beweglichkeit,  vermöge  welcher  sein  Austausch  gegen 
andere  Atome  oder  Atomgruppen  in  einer  Reihe  von  doppelten  Um- 
setzungen möglich  wird.  Diese  Reactionsfahigkeit  ist  am  grössten  bei 
den  Jodiden  (vgl.  S.  123  u.  143),  am  schwächsten  bei  den  Chloriden. 
Während  z.  B.  Jodäthyl  schon  in  der  Kälte  mit  alkoholischer  Silber- 
nitrat-Lösung einen  Niederschlag  von  Jodsilber  giebt  und  Bromäthyl 
ebenfalls  mit  alkoholischer  Silbernitrat-Lösung  wenigstens  beim  Erwärmen 
reagirt,  tritt  zwischen  Chloräthyl  und  Silbemitrat  in  alkoholischer  Lösung 
selbst  bei  Siedehitze  keine  Umsetzung  ein.  Es  verdient  ferner  bemerkt 
zu  werden,  dass  die  Reactionsfahigkeit  der  Jodüre  von  analoger  Structur 
mit  steigendem  Moleculargewicht  abnimmt,  dass  aber  namentlich  das 
Hethyljodür  allen  seinen  Homologen  gegenüber  eine  bedeutend  grössere 
Reactionsfahigkeit  besitzt;  das  Methyljodür  reagirt  in  manchen  Reactionen 
etwa  zehnmal  rascher  als  das  Aethyljodür  ^. 

Von  den  Umsetzungen  der  Halogenalkyle  ist  ihr  Uebergang  in 
Alkohole  durch  Austausch  des  Halogenatoms  gegen  die  Hy- 
droxylgruppe schon  bei  den  Bildungsweisen  der  Alkohole  (S.  143)  be- 
sprochen.    Hier  sei  nur  noch  hervorgehoben,  dass  dieser  Austausch  mit 


'  WiSLicEHüB,  Ann.  212,  239.  —  Hecht,  Combad  u.  BrOckkkb,  Ztschr.  f.  physik. 
Ghem.  4,  278,  631.  —  Mekschutkin,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  5,  589.  —  Vgl.  femer 
ober  die  relative  Bestftndigkeit  der  Alkylbromide:  Reusen  und  Hillybr,  Jb.  1886, 
625.  —  Lbkoefeld,  Ber.  22  o,  298. 


184 


TabeUariscke  Üebersicht  über  die  Halogenalkyle, 


Tabelle  Nr.  6. 


Formel 

des 
Alkyl- 
restes 

CHa 
CJI, 


Bezeichnung 

des 
Alkylrestes 


Chlorid 


Siede- 
punkt 


Specif. 
Gewicht 


Bromid 


Siede- 
punkt 


Specif. 
Gewicht 


Jodid 


Specif. 
Gewicht 


CH 


CßHia 
C7H1B 


MethyP-5-*«-'^o  .  .  . 
Aethyl*-*-«"-"'*»'^^  .  . 
Propyl«-"»^-"*»  .  . 
Isopropyl*"*-®'®*"-""*«-*^ 
Prim.  norm.  Butyl  *•*•**•**•** 
l8obutyl«-8-i»'"»*-*8     . 

See- ßutyl  "-»••"     .  . 

Tert.-Butyl~-«*»8-««  . 

Prim.  norm.  Amyl"  . 

Isoamyl*-"'"^-'* .    .  . 

[(CH,),CH.CH,.CH,X] 

Prim.  norm.  Hexyl**—^* 
See.  norm.  Hexyl*®— ^® 

CCH,.(CH,),.CHX.CH,] 

Prim. norm. HeptyP«*»  "•" 
Prim.  norm.  Octyl  *''****® . 


- 23. 7<^  0-952(0«) 

+ 12. 2^0 -918(80) 

4-46.5<>io-912(0<>) 

36-50  0-882(0°) 

78«     10-907(00) 

68  •  50  0  •  895  (00) 


550 
1070 
1010 


0-866(00) 
0-901(00) 
0  •  893  (00) 


1330     10-892(160) 


1590      0-881(160) 
1800      !o- 880  (160) 


-f-4-50 

38-40 

710 

600 
1010 

920 

720 
1290 
1210 

1560 
1440 

1790 
1990 


1 

ii 

t 

1 


732(00) 
468  (I30) 
383  (00) 
340  (00) 
305  (00) 
204(160) 


11-215(200) 
1-246(00) 
1-236(00) 

1-193(00) 


1-113(160) 
1-116(160) 


+450       12 

-f- 72.30  ji 

102-50  ,1 

890        1 

1300        I 

1190        1 


119—1200 
1000 
1560 
1480 

1820 
168* 

2010 
2210 


293  (180) 
944  (I40) 
786  (OOj 
744  (00) 
643  (00) 
640  (00) 
626  (00) 
571  (00) 
543  (00) 
468  (00) 

461  lOO) 
453  (00) 

386  (160) 
345  (160) 


Bezüglich  der  höheren  Halogenalkyle  sei  hinzugefügt,  dass  Cetylbromid**  CieH„Br 
bei  150,  Cetyljodid"  bei  220,  norm.  Octadecyljodid*«  CigHs^J  bei  42— 43«,  Myricyl- 
chlorid*^-"  (^HeiCl  bei  64-50  „n^  Myricyljodid*^-"  bei  69-5-70-50  schmilzt 

Citate   zu    der   Tabelle  Nr.  6:    *  Vincent  u.  Dblachanal,  Bull.  31,  11.  — 

*  ViNüENT  u.  Cbappuis,  Compt.  rend.  101,  427.  —  *  MERBttL,  J.  pr.  [2]  18,  293.  — 

*  PfiiBRAM  u.  Handl,  Monatsh.  2,  644—650.  —  *  Regnaült,  Jb.  1863,  70.  —  *  Lenne- 
MANN,  Ann.  136,  41;  160,  201,  212,  238;  161,  38.  —  '  Pierre  u.  Puchot,  Ann.  163, 
266,  275.  —  ö  Brühl,  Ann.  200,  179;  203,  13—15,  20—21.  —  »  Zander,  Ann.  214, 
156—163.  —  *o  K  Schiff,  Ann.  220,  98.  —  "  Chancel,  Bull.  39,  648.  —  "  R.  Meyer 
u.  Müller,  Ber.  16,  1904.  —  "  Brown,  Jb.  1877,  22.  —  '*  Lieben  u.  Rossi,  Ann. 
168,  160.  —  "  LiNNEMANN,  Auu.  161,  196;  162,  16;  192,  67.  —  "  Wübtz,  Ann. 
93,  113.  —  "  LuTNEs,  Bull.  2,  3.  —  "  Lieben,  Ann.  150,  97.  —  "  Würtz,  Ann. 
162,  23.  —  '0  BuTLEROw,  Ann.  144,  5,  33.  —  '*  Zalewrky,  Ber.  5,  480.  —  "  Malbot, 
Bull.  [3]  1,  603;  2,  136.  —  «'  Puchot,  Ann.  eh.  [5]  28,  544.  —  >♦  Eltekow,  Ber.  8, 
1244.  —  «*  Reboul,  Compt  rend.  93,  70.  —  **  Roozeboom,  Ber.  14, 2^96.  —  "  Lieben 
u.  Rossi,  Ann.  159,  72.  —  "  Kopp,  Ann.  96,  337,  345.  —  »  Balbiano,  Jb.  1876, 
348.  —  «0  l^cHowicz,  Ann.  220,  171.  -  "  R.  Schiff,  Ber.  14,  2766.  —  "  Mhnde- 
lbjepp,  Compt.  rend.  61,  97.  —  *'  Pelouze  u.  Cahoubs,  Ann.  eh.  [4]  1,  21,  49.  — 
^  Lieben  u.  Janeczek,  Ann.  187,  137.  —  '^  Franohimont  u.  Zincke,  Ann.  163,  196. 
—  ■•  Erlenmeyeb  u.  Wanklyn,  Jb.  1861,  731;  1862,  480;  1864,  509.  Ann.  135, 
130.  —  "  Schoblemmer,  Ann.  161,  272;  188,  250;  199,  141.  —  "  Morgan,  Ann. 
177,  305.  —  80  DoMAC,  Monatsh.  2,  310.  —  *o  Hecht,  Ann.  166,  148;  209,  311.  — 
*»  Cboss,  Ann.  189,  3.  —  **  Jourdan,  Ann.  200,  102.  —  "  Zincke,  Ann.  162,  24.  — 
**  Möslinoeb,  Ann.  186,  55.  —  **  Fbidau,  Ann.  83 ,  9.  —  *•  Schweitzbb,  Ber.  17  c, 
570.  —  *'  Pieverling,  Ann.  183,  346.  —  "  Menschutein,  Ztschr.  f.  physik.  Chem. 
6,  596.  —  *o  Hell  u.  Hagele,  Ber.  22,  503.  —  ^  Vgl.  auch  die  Citate  bei  d.  spec 
Besprechung  S.  187—189. 


Chemisches  Verhalten  der  Halogenalkyle.  185 


ganz  besonderer  Leichtigkeit  bei  den  tertiären  Jodiden  erfolgt^.  Das 
tertiäre  Amyljodid  z.  B.  geht  schon  durch  ein-  bis  zweistündiges  Schütteln 
mit  Wasser  in  der  Kälte  vollständig  in  den  tertiären  Amylalkohol  über: 

(CH,),CJ.C,H5  +  H.OH  =  HJ  +  (CH3),C(0H).CjH5. 
Andere  doppelte  Umsetzungen  der  Halogenalkyle  werden  durch  die 
folgenden  Gleichungen  wiedergegeben: 

CAJ  +  NaOCHj         =  NaJ    +  CsH^OCH,; 

„     +NaO.CO.CH3  =  NaJ    +  C^Hs-OCOCHa; 

„     +AgNO,  =AgJ    +C,H5.N0,; 

2CjH6J  +  (AgO),SOs        =  2AgJ  +  (CjH5.0)jS0,; 
CjHs  J  +  NH3  =  C2H5 .  NHj .  H  J ; 

„     +KCN  =KJ      +CJH5.CN. 

Diesen  Beispielen  könnten  noch  zahlreiche  andere  zugefügt  werden;  sie 
werden  indess  genügen,  um  die  grosse  Bedeutung  der  Halogenalkyle  für 
die  organische  Synthese  hervortreten  zu  lassen.  Durch  ihre  Vermittelung 
lässt  sich  eben  gewissermassen  der  Alkylrest  aus  dem  Molecül  des  Al- 
kohols in  beliebige  andere  Molecüle  „transportiren". 

Erw&hnt  sei  indees  noch  eine  eigenthümliche  doppelte  Umsetzung,  welche  zwi- 
schen tertiären  Jodiden  und  primären  Alkoholen  sich  vollzieht  und  in  einem  gegen- 
seitigen Austausch  des  Jodatoms  und  der  Hydroxylgruppe  besteht^: 

(CH3)gCJ  +  CHs-OH  =  (GH3)8C(OH)  +  CH3J. 

Endlich  sei  noch  an  die  Möglichkeit  erinnert,  das  Halogenatom  durch  Reduction  gegen 
Wasserstoff  auszutauschen  (s.  S.  123—124): 

C2H5»J  +  H2  =  CgHs'H  -h  HJ 
and  so  zu  den  Stammkohlenwasserstoffen  zurückzugelangen. 

Wenn  sonach  die  Halogenalkyle  auch  durch  eine  bemerkenswerthe 
Reactionsfähigkeit  ausgezeichnet  sind,  so  können  sie  doch  in  dieser  Be- 
ziehung keineswegs  mit  den  anorganischen  Halogen-Verbindungen  von 
salzartigem  Charakter  gleichgestellt  werden.  Die  doppelten  Umsetzungen 
der  letzteren,  wie  z.  B.: 

KCl  -h  AgNOg  =  AgCl  +  KNOs 

vollenden  sich  momentan  beim  Zusammenbringen  der  Reagentien;  die 
Beactionen  der  Halogenalkyle  bedürfen  stets  einer  längeren  Zeit,  um 
vollständig  zu  Ende  geführt  zu  werden.  Der  Grund  für  diese  charakte- 
ristische Verschiedenheit  ist  nach  Abbhenius  und  Ostwald  darin  zu 
suchen,  dass^ne  anorganischen  Verbindungen  zur  Klasse  der  Elektrolyte 
gehören,  die  Halogenalkyle  dagegen  Nichtelektrolyte  sind.  Elektrolyte 
werden  nach  Abbheniijb  in  wässriger  Lösung  grösstentheils  in  ihre  Jonen 
gespalten;  in  einer  Chlorkalium-Lösung  existiren  also  nach  dieser  An- 
schanung  nur  noch  wenige  Chlorkalium-Molecüle,  die  Mehrzahl  ist  schon 
in  isolirte  Ealiumatome  und  Chloratome  zerfallen  (welche  durch  ihre  elek- 
trischen Ladungen  in  der  Lösung  existenzfähig  erhalten  werden),  und 
letztere  sind  daher  sofort  bereit,  in  Beaction  zu  treten.  Die  Molecüle 
dee  Halogenalkyls   dagegen   sind    nicht   in  merklicher  Menge  in  Jonen 

^  K.  Bausb,  Ann.  880,  158. 


186  Chemisches  Verhalten  der  Halogenalhyle, 


gespalten,  im  Laufe  der  ßeaction  erst  muss  die  Kraft  überwunden  wer- 
den, welche  den  Alkylrest  und  das  Halogenatom  zu  einem  Molecüle  ver- 
einigt. 

In  allen  bisher  besprochenen  Reactionen  der  Halogenalkyle  findet 
ein  einfacher  Ersatz  des  austretenden  Halogenatoms  durch  ein  anderes 
Atom  bezw.  eine  Atoragruppe  statt,  und  der  Alkylrest  bleibt  unverändert. 
Das  Halogenatom  kann  nun  aber  auch  mit  einem  Wasserstoffatom  des 
Alkylrestes  zusammen  als  Halogenwasserstoff  austreten,  wodurch  die 
Bildung  eines  ungesättigten  Kohlenwasserstoffs  der  Alkylenreihe  ver- 
anlasst wird: 

CH^CHgCl— HCl  =  CH, :  CH^; 
CH3 .  CHJ .  CHj-H J  =  CHs .  CH  :  CH, ; 

dieser  ßeaction  (vgl.  Kap.  13)  unterliegen  die  Jodide  meist  schon  beim 
Kochen  mit  alkoholischem  Kali,  die  Chloride  beim  üeberleiten  über 
glühenden  Kalk  oder  beim  Erhitzen  mit  Bleioxyd  auf  220 — 225  ^ 

Die  Halogenalkyle  mit  gleichem  Alkylrest,  aber  ungleichem  Halogen- 
atom können  in  einander  übergeführt  werden.  So  wird  in  den  Jodiden 
bei  der  Einwirkung  von  Chlor  oder  Brom  das  Jodatom  durch  Chlor  bezw. 
Brom  verdrängt  1;  Bromide  werden  zwar  nicht  durch  Chlor  ^,  wohl  aber 
durch  Antimonpentachlorid  in  Chloride  verwandelt*: 

2CsH5Br  +  SbClß  =  2C,H5C1  +  Br,  +  SbCl,. 

Derartige  Reactionen  verlaufen  zuweilen  sehr  glatt  durch  gegenseitigen 
Austausch  zwischen  anorganischen  Halogenverbindungen  und  Halogen- 
alkylen  ^.  So  eignet  sich  z.  B.  zur  Ueberführung  von  Jodiden  in  Bromide 
besonders  gut  Kupferbromid  *,  in  Chloride  Quecksilberchlorid  ^  und  Kupfer- 
chlorid'^.  Chloride  werden  meist  durch  Digestion  mit  Jodkalium,  Jod- 
natrium oder  Jodcalcium®  in  die  entsprechenden  Jodide  verwandelt. 

Im  Anschluss  hieran  sei  der  Reactionen  gedacht,  in  welchen  primäi^e 
Halogenalkyle  in  isomere  secundäre  bezw.  tertiäre  übergehen  (vgl.  S.  181), 
und  demnach  gleichsam  eine  Verschiebung  des  Halogenatoms  von  einem 
Kohlenstoffatom  zum  anderen  stattfindet.  Dieser  Umlagerungsprocess  ist 
eingehender  an  den  Propyl Verbindungen  untersucht  worden;  primäres 
Propylbromid  geht  schon  durch  längeres  Erhitzen  auf  280^  zum  grossen 
Theil  in  Isopropylbromid  über^,  wahrscheinlich  infolge  der  Reactionen: 
CHs-CHj.CHjBr  =  CHs-CH :  CH,  +  HBr  =  CHjCHBr-CH,; 

ebenso®  entsteht  aus  Isobutylbromid  (CH3)3CH •  CH^Br  tertiäres  Butyl- 
bromid  (CH3)2CBr  •  CH3.      Die  ümlagerung    wird    durch   die  Gegenwart 

*  R.  Meyeb,  J.  pr.  [2]  84,  104. 
«  LÖ8SEBN,  J.  pr.  [2]  18,  421. 

*  S.  hierüber  Bsn,  Ann.  226,  146;  Köhklein,  Ann.  226,  171. 

*  Oppenheiu,  Ber.  8,  442. 

^  Oppenheim,  Ann.  140,  207;  Liebem,  Ann.  160,  100. 

*  Vgl.  P.  VAN  BoMBüRGH,  Ber.  16,  392;  Henry,  Bull,  de  Tacad.  royale  de  Bel- 
gique  [8]  19,  848. 

'  Abonstein,  Ber.  14,  607;  16,  891.  ^  Eltbkovf,  Ber.  8,  1244. 


Einzelne  Halogenalki/le.  187 


von  Bromaluminium  sehr  begünstigt*;  das  primäre  Propylbromid  ist  dui'ch 
4®/^  AlBrj  bei  gewöhnlicher  Temperatur  schon  nach  eintägigem  Stehen 
vollständig  umgewandelt,  bei  Gegenwart  von  10%  AlBrg  genügt  fiint 
Minuten  langes  Kochen*.  (Das  Bromaluminium  bewirkt  daneben  Ab- 
spaltung von  BromwasserstofF  und  Grenzkohlenwasserstoffen.) 

Die  einzelnen  Glieder:  Chlormethyl  CH3CI  wird  in  Frankreich 
aus  der  Schlempe  der  Rübenzuckermelassen  (vgl.  S.  169)  fabrikmässig 
hergestellt.  Wird  der  Abdampfungsrückstand  derselben  der  trockenen 
Destillation  unterworfen,  so  erhält  man  neben  geringen  Mengen  von  Theer 
ein  wässriges  Destillat,  dessen  Hauptbestandtheile  Methylalkohol,  Ara- 
moniaksalze  und  Salze  des  Trimethylamins  N(CH3)g  sowie  anderer  me- 
thylirter  Amine  sind;  letztere  sind  entstanden  aus  dem  in  den  Rüben 
enthaltenen  Betain  (s.  d).  Durch  Erhitzen  des  salzsauren  Trimethylamins 
mit  Chlorwasserstoff  werden  nun  die  Methylgruppen  in  Form  von  Chlor- 
methyl vom  Stickstoff  abgespalten: 

NCCHs^s.HCl  +  3HC1  =  SCHsCl  +  NH4CI. 

Das  Chlormethyl  wird  zur  Flüssigkeit  comprimirt  und  kommt,  in  stark- 
wandigen  länglichen  Metallcylindern  aufbewahrt,  in  den  Handel'.  Es 
wird  zur  Kälteerzeugung  verwendet  (auch  in  der  Medicin*  zur  Hervor- 
bringung localer  Anästhesie  durch  seine  Yerdunstungskälte  in  Form 
von  „Eältetampons^*)  und  dient  ferner  zur  Herstellung  von  reinem  Chloro- 
form*; fi-üher  fand  es  auch  vielfache  Verwendung  in  der  Anilinfarben- 
technik, namentlich  zur  Darstellung  des  Methylgrüns,  hat  aber  jetzt  für 
die  Farbstoff-Fabrikation  an  Bedeutung  verloren. 

Auch  andere  Halogenalkyle  sind  zeitweise  in  der  Anilinfarbenindustrie 
verwendet  worden  —  so  das  Chloräthyl,  welches  —  obwohl  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  eigentlich  gasförmig  —  doch,  in  grösseren  Mengen 
verflüssigt,  sich  durch  seine  Verdunstungskälte  in  offenen  Gefässen  so 
lange  flüssig  erhält,  dass  man  bequem  damit  manipuliren  kann,  ferner 
das  Jodmethyl  und  Bromäthyl.  Chloräthyl  wird  gegenwärtig  wieder 
in  grossem  Massstab  fabricirt,  da  es  zur  Gewinnung  von  Aethylmercap- 
tan,  welches  zur  Herstellung  des  Schlafmittels  „SulfonaP'  dient,  benutzt 
wird  (vgl.  S.  213  u.  216).  Die  übrigen  Halogenalkyle  werden  jetzt  fast 
nur  Aar  wissenschaftliche  Zwecke  (vgl.  S.  185)  und  Heilzwecke  dar- 
gestellt. Jodmethyl,  Bromäthyl,  Jodäthyl  gehören  zu  den  unentbehr- 
lichen Reagentien  bei  organisch-chemischen  Arbeiten;  Bromäthyl®  (Aether 
bromatus)  wird  neuerdings  vielfach  als  Narcoticum  —  namentlich  bei 
zahnärztlichen  Operationen  —  verwendet.  Die  wichtigsten  Eigenschaften 
der  einzelnen  Halogenalkyle  sind  in  der  Tabelle  Nr.  6  auf  S.  184  ent- 


*  RxKin.6  u.  ScHBöTTBB,  Ber.  12,  2279.  '  Gustavson,  Ber.  18,  958. 

*  ViNCEHT,  Jb.  1878,  1185.  ^  Vgl.  Pharmac.  Centralhalle  80,  85. 

^  LüNOB,  Schweiz.  Ber.  über  die  Klasse  45  der  PariBer  Weltausstellung  1889 
rZüricfa,  1890X  p.  42. 

*  Vgl.  Pharmac  Centralhalle  28,  272. 


Darsteüung  der  wv-iUigsten  HalogenaikyU. 


halten ;  es  genüge  daher  hier  die  Äofdlirung  der  im  Laboratorium  ge- 
blichen Darstellungsmethoden  ftr  die  am  häufigsten  benutzten  Ver- 
agen  dieser  Gruppe,  da  daS'  chemische  Verhalten  der  einzeben 
adungen  keine  besonderen  Züge  bietet,  durch  welche  die  allgemeine 
kteristik  (S.  183 — 186)  zu  ergänzen  wäre. 

>ftrstellung  von  Chloräthyl  C,HjCl:  Eio  Gemisch  von  1  Th.  Chlomnl 
Th.  Alkohol  (9S%)  (e.  S.  181),  welches  sich  in  einer  mit  Bückfluaskfihler  m 
len  Retorte  befindet,  wird  mit  SalzsSuregas  gesfittigt.  Dfuin  wird  zum  Kochro 
;  das  ChlorSthyl  entweicht  durch  den  Kühler,  w&hrend  der  Alkohol  Eurflckdiesji: 
ährt  mit  dem  Einleiten  von  Chlorwaaaerstoff  fort,  bu  lange  noch  ChlorSIhTl 
^t.  Letzteres  wird  durch  lauwarmea  Wasser  gewaschen,  dorch  couc.  Schwell 
retrocknet  und  in  einem  mit  einer  KAltemiachuug  mngebenen  OeiSss  coDdamrf 
ventnelj,  wenn  man  es  in  alknholiacher  Lösung  benutzen  will,  in  Alkoliol  iuf- 
üD.  —  Da  das  Ghloräth;!  zur  Zeit  technisch  hergestellt  wird  und  daher  kinflicb 
rd  man  indeas  kaum  mehr  in  die  Lage  kommen,  es  im  Labor&toriuni  selbst 
len  zu  müssen. 

)arstellung  von  BrumSthyl  C,HsBr;  Zu  einem  Gemisch  von  10  g  rulii^i 
lor  und  60  g  Alkohol  (95%)  Ifisst  man  allmählich  60  g  Brom  unter  Umschüttfln 
bkiihlung  fliessen.  Nach  einigen  Stunden  destillirt  man  das  gebildete  Brom- 
lus  dem  Wssserbade  ab;  das  Destillat  wird  znr  Entfernung  von  etwas  freiem 
lind  Alkohol  mit  schwacher  SudaJSsung,  dann  mehrmals  mit  Wasser  gewasebeo. 
mit  Chlorcalcium  getrocknet  und  rectificirt. 

L.uch  aus  Aethylschwefelsänre  dnrch  Einwirkung  von  Bromkalium  ISsst  ^cli 
thyl  vortheilhaft  darstellen';  diese  Daratellungsart  wird  besonders  für  dsa  in 
dicin  zu  verwendende  BromSthyl  empfohlen*. 

)arBtellung  von  Jodäthyl  C,HsJ:  Zu  einem  Gemisch  von  10  g  rothem  Phi» 
ind  50  g  Alkohol  (95%)  bringt  man  100  g  Jod  in  kleinen  Portionen;  iwh 
^wSHetüudigem  Stehen  wird  das  Jodäthyl  aus  dem  Waeserbade  abdestilliil. 
Waschen  mit  verdünnter  Natronlaupi'  und  Wasser  gereinigt,  mit  Chlorcaltinm 
:net  und  rectificirt 

0  ganz  analoger  Weise  können  normales  Brom-  und  Jodpropyl,  Broo- 
odisobutyl,  Brom-  und  Jodamyl  aus  den  entsprechenden  Alkoholen  dw- 
;  werden;  nach  dem  Zusammenbringen  von  Phosphor,  Alkohol  und  Brom  h(XK. 
ird  das  Gemisch  abdestillirt  —  bei  den  höheren  über  100°  siedenden  Gliedern 
ch  nicht  aus  dem  Wasserbade,  sondern  über  freiem  Feuer  — ,  darauf  dfc 
nt  durch  Waschen  und  Recti&ciien  gereinigt. 

)arstellung  von  Jodisopropyl'  CHs^CHJ-CHj:  Den  Ausgangspunkt  büdrf 
en>   Falle  daa  Glycerin,  welches  durch  Jodwasserstofi'  in  Isopropyljodid  übeige- 
vird.     Als  Zwischenprodukt  bildet  sich  hierbei  Äliyljodid  CH,:GH.CH,J: 
CH,(OH)-CH(OH)CH^OH)  +  3HJ  =  3H,0  +  OH,J.GHJ-CH,J 

=  3H,0  +  J,  +  CH,:OH-CH^, 
eses  wird  durch  weitere  Einwirkung  der  Jodwasseratof&äure  unter  intermedilnr 
g  von  Propylenjodid  in  Isopropyljodid  umgewandelt; 

CH,:CH-CH,J  +  HJ  =  CH,-CHJCH,J, 
CHs-Cnj-CHjJ  +  HJ  =  CH.CHJ.CH,  +  J,. 
■flgt  5S  Th.  gelben  Phosphor  allmählich  in  kleinen  Stücken  in  ein  Oemeng«' 
0  Th.  Glycerin  (spec.  Gew.  1.25),  160  Tb.  Wasser  und  SOO  Th.  Jod  an  '^^ 

Waobkb's  Jahresber.  1878,   588.  »  Vgl.  Pharmac.  Centralballe  Sl,  l^'' 

Vgl.  Markownikow,  Ann.  188,  S64.  —  Maibot,  Ann.  eh.  [Gl  IB,  345. 


Fliuyralkyle.  189 


destillirt  darauf,  so  lange  noch  ölige  Flüssigkeit  übergeht;  das  Destillat  ^ird  zurück- 
gegoesen  und  nochmals  destillirt;  mau  wäscht  es  darauf  mit  Sodalösung  und  Wasser, 
trocknet  es  mit  Chlorcalcium  und  rectificirt. 

Isopropjlbromid  CH3 •  CHaBr •  CHg  wird  zweckmässig  durch  Einwirkung  von 
Brom  auf  Isopropyljodid  gewonnen*. 

In  ähnlicher  Weise,  wie  Isopropyljodid  aus  Glycerin,  wird  secundäresButyl- 
Jodid'  CHaCHjCHJ.CHs  aus  Erythrit,  secundäres  Hexyljodid»  CHaCHjCH,. 
CHs-CHJ-CHs  aus  Mannit  dargestellt. 

Fluoralkyle*:  C,ft„^iFI. 

Die  Fluoralkyle,  welche  viel  geringere  Wichtigkeit  als  die  Halogen- 
alkyle  besitzen,  können  durch  Erwärmen  der  alkylschwefelsauren  Salze 
mit  Fluorwasserstoff-Fluorkalium: 

^nH.i„  +  ,  O-SOsK  +  KPIHPI  =  C„H,„  +  i  Fl  +  K^SU^  +  HFl 

iKler  durch  Einwirkung  von  Jodalkylen  auf  Fluorsilber  (in  der  Kälte 
oder  ganz  gelinder  Wärme): 

C,H,„  +  ,J  +  AgFl  =  C„H,^  +  i  -Fl  +  AgJ 

erhalten  werden.  — 

Fluormethyl:  CHsFl  ist  ein  farbloses  Gas,  welches  bei  einem  Druck  von 
:{2  Atm.  flüssig  wird,  und  von  dem  sich  193  ccm  in  100  ccm  Wasser  von  18*^  lösen. 
—  Fluoräthyl:  CjHgFl  wird  unter  gewöhnlichem  Druck  bei  —32®,  unter  8  Atm. 
bei  +19®  flüssig  und  verwandelt  sich  bei  rascher  Veixiampfung  vorübergehend  in 
eine  schneeige  Masse.  Es  riecht  ätherisch,  greift  Glas  nicht  an;  100  ccm  Wasser  von 
14®  absorbiren  198  ccm,  beim  Erwärmen  wird  das  Gas  wieder  ausgetrieben.  Es  ver- 
brennt mit  blauer  Flamme  unter  Entwickelung  von  Fluorwasserstotf.  Durch  Kali- 
lauge wird  es  bei  100®  in  Fluorkalium,  Aether  und  Alkohol  zerlegt.  Auf  Thiere 
wirkt  es  in  kleineren  Mengen  aufregend,  in  grösseren  Mengen  tödtlich.  —  Fluor- 
propyl:  CH3  •  CH,  •  CHjFl  ist  ein  ätherisch  riechendes,  mit  leuchtender  Flamme  bren- 
nendes Gas,  dessen  Mischung  mit  Sauerstoff  mit  violettrothem  Lichte  verpufft;  es 
verflüssigt  sich  gegen  +2®.  —  Fluorisopropyl:  (CH8)jCHFl  verflüssigt  sich  gegen 
— 5®.  —  Fluorisobutyl:  (CH8)s  ('H-CHjFl  condensirt  sich  bei  +16®  zu  einer  wenig 
angenehm  riechenden  Flüssigkeit  und  verbrennt  unter  Abscheidung  von  Buss  und 
Flosssänre. 

IL  Einfache  und  gemisehte  Alkyläther. 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^K^n  ^  3O. 

Zusammensetzung,  Constitution  und  Isomerien.  Als  Aether 
bezeichnet  man  Verbindungen,  welche  durch  Zusammentritt  von  zwei  Mole- 

»  R.  Meyer,  J.  pr.  [2]  84,  105.  *  Lüyneö,  Ann.  eh.  [4J  2,  407. 

•  Erlenkeyer  u.  Wanklyn,  Ann.  186,  130.  —  Hecht,  Ann.  186,  147;  209,  311. 
—  DoMAc,  Monatsh.  2,  310. 

*  Dumas  u.  PtuaoT,  Ann.  16,  59.  —  Fr^hy,  Ann.  92,  247.  —  Younq,  Joum. 
Soc.  80,  489.  —  Seubert,  Ber.  18,  2646.  —  Moissan,  Compt  rend.  107,  260,  992, 
1155:  Ann.  eh.  [6]  19,  266.  —  Collie,  Joum.  Soc.  1889  I,  110.  —  Meblans,  Compt. 
rend.  108,  352. 


EinfarJie,  und  gemisehis  Aether. 


lesselben  oder  zweier  verschiedener  Alkohole  unter  Aus- 
üs  Wasser  entstehen: 

2C,H,0-H,0  =  C^H,„0;  Aethyläther; 
0  +  CHjO-H,0  =  CjHgO;  MethyläthylÄther. 

,  dass  diese  Verbindungen  ebenso  wie  die  Alkohole  die 
imensetzung  (^uH^,,  ^  jO  besitzen  milsseu,  und  Verbin- 
ler  Kohlenstoffzahl  aus  beiden  Klassen  demnach  einandej- 
r  Grund  dieser  Isomerie  ist  bereits  in  der  Einleituug 
ickelt  worden  (S.  62  —  66).  In  den  MolecOlen  der 
wir  ein  Sauerstoffatom  einerseits  an  einen  Älkjlrest. 
ein  Wasserstoffatom  gebunden,  in  den  Molecfilen  der 
s  an  Älkylreste  gebunden: 
■H:  AethjUIkohol;  CH,~0— CH,:  Dimethyläther. 

inen  als  Hydroxyde,  die  Aether  als  Oxyde  der  Alkyl- 

werden : 

H,n  +  iOH:  Alkohol;        (C„H,„^,),0:  Aether. 

beiden  durch  das  Sauerstoffatom  verknüpften  Älkylreste 

angleichartig  sind,  unterscheidet  man  „einfache"  und 

ether, 

:he  Älkylreste  von   gleicher   Kohlenstoffzahl    enthalten, 

Btändlich   einander   isomer   sein,    wenn   die   Älkylreste 

ictur  besitzen: 

,.  CH,-CH,-CH,v  {CH,),CH, 

/     '  (CH,),CH/     '  (CH,),CH/ 

lei  PropyliBopropylÜtheT  DiUopropylSther. 

:,  welche  Älkylreste  von  ungleicher  Kohlenstoffzabl  ent- 
dieselbe   Zusammensetzung   und    sind    daher   einander 

e  Summe  der  in  den  beiden  Alkylresten  enthalteDen 
gleich  bleibt: 

hyUmyl-,  Aethylbutyl-,  DipropylSther. 

der  Isomerie  bezeichnet  man  wohl  auch  als  Meiamerie. 

isen.    Besonders   beweisend   filr  die  Constitution  der 

Bildung   aus    Natrinmalkobolaten   und  Haloge»- 

mbom'): 

CH,-ONi  + J.  C,H,  =  NaJ  +CHb.OC,Hj. 


;  81,  13.  —  Vgl.  auch  RBWut,  Compt  rend.  108,  S9  «.  162.  - 
idigkeit  dieser  Reactiou  in  verschieden eu  Ffillen  e.  Coiib*d  u- 
physik.  Chem.  4,  631. 


Bildungsweisen  der  AeÜier.  191 


Nach  dieser  Reaction  können  sowohl  einfache  wie  gemischte  Aether  er- 
halten werden;  sie  wird  besonders  zur  Gewinnung  der  einfachen  Aether 
aus  den  höheren  Reihen  und  der  gemischten  Aether  angewendet. 

Die  einfachen  Aether  der  drei  ersten  Reihen  ^  können  in  sehr  bequemer 
Weise  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure  auf 
die  Alkohole  dargestellt  werden.  Diese  Reaction  gehört  zu  den  am 
frühesten  beobachteten  Vorgängen  der  organischen  Chemie;  nach  ihr 
wurde  bereits  im  16.  Jahrhundert  Diäthyläther  aus  Weingeist  dargestellt. 
Ihre  Erklärung  hat  in  der  ersten  Hälfte  unseres  Jahrhunderts  Discussionen 
zwischen  den  hervorragendsten  Chemikern  hervorgerufen,  welche  auf  die 
Entwickelung  der  chemischen  Theorien  grossen  Einfluss  gehabt  haben. 
Man  glaubte  den  Aetherbildungsprocess  zunächst  als  in  einer  einfachen 
durch  die  Schwefelsäure  bewirkten  Wasserentziehung  bestehend  auffassen 
zu  dürfen.  Diese  Ansicht  wurde  hinfällig,  als  es  sich  zeigte,  dass  alles 
bei  der  Reaction  gebildete  Wasser  zugleich  mit  dem  Aether  abdestillirt, 
und  dass  man  mit  einer  kleinen  Menge  Schwefelsäure  eine  unverhältniss- 
mässig  grosse  Menge  Alkohol  in  Aether  verwandeln  könne.  Man  schrieb 
dann  der  Schwefelsäure  eine  „katalytische"  Wirkung  (Contactwirkung)  zu, 
womit  eben  nur  der  Mangel  einer  genügenden  Erklärung  zugegeben  wurde. 
Die  Reaction  wurde  endlich  durch  Williamsou's  ^  scharfsinnige  und  sorg- 
faltige Versuche  (1851)  in  abschliessender  Weise  aufgeklärt.  Die  Bildung 
des  Aethers  aus  Alkohol  erkannte  Williamson  als  in  zwei  einander 
folgende  Reactionen  zerfallend;  es  entstehen  zunächst  aus  Alkohol  und 
Schwefelsäure  Aethylschwefelsäure  und  Wasser: 

C,H».OH  +  OHSOfOH  =  C.HöOSOjOH  +  H,0; 

die  Aethylschwefelsäure  reagirt  dann  auf  neu  zufliessende  Mengen  von 
Alkohol  unter  Bildung  von  Aethyläther  und  Wiedererzeugung  der  Schwe- 
felsäure: 

CjHjO.  SOj.OH   +  CjHj.  OH  =  (C8H5),0  +  OH- SO,.  OH. 

Würde  nicht  gleichzeitig  die  Schwefelsäure  theilweise  zu  schwefliger 
Säure  reducirt  werden,  so  könnte  dieser  continuirliche  Aetherbil- 
dungsprocess beliebig  lange  fortgesetzt  werden,  und  die  kleinste  Menge 
Schwefelsäure  würde  zur  Umwandlung  beliebiger  Quantitäten  von  Alkoholen 
aasreichen.  —  Der  in  den  obigen  Gleichungen  angenommene  Reactions- 
verlauf  wird  besonders  durch  den  Nachweis  gestützt,  dass  bei  der  Ein- 
wirkung von  Schwefelsäure  auf  ein  Gemisch  von  zwei  Alkoholen  (z.  B. 
Methyl-  und  Aethylalkohol)  sich  der  gemischte  Aether  (Methyläthyläther) 
neben  den  beiden  einfachen  Aethem  (Dimethyl-  und  Diäthyläther)  bildet'. 
—  Phosphorsäure  und  Arsensäure  wirken  der  Schwefelsäure  ähnlich. 

Die  ErklftruDg  des  Aetherbildungsprocesses  war  nicht  die  einzige  Frucht  jener 
UntenocfaiiDgen  Wiluaxson^s,  welche  vielmehr  von  grösster  allgemeiner  Bedeutung 

^  YgL  NoBTox  u.  pRBsooTT,  Amer.  ehem.  Joum.  6,  241. 

•  Ann,  77,  87;  81,  73. 

'  Vgl.  auch  NoBTON  u.  Poescott,  Amer.  ehem.  Joum.  6,  244. 


192  Allgemeine  Charakteristik  der  Aether, 


für  die  Umgestaltung  der  theoretisch -chemischen  Anschauungen  wurden.  Die  Ent- 
deckung, dass  aus  Kaliumäthylat  und  Jodäthyl  der  Aethyläther  entsteht,  und  die 
Auffindung  der  gemischten  Aether  brachten  die  lange  umstrittene  Frage  nach  dem 
gegenseitigen  Verhältniss  von  Alkohol  und  Aether  zum  Abschluss.  Während  man 
vorher  vielfach  dem  Alkohol  und  Aether  Formeln  mit  gleich  viel  Rohlenstoffiitomen 
zuertheilt  hatte,  konnte  es  nun  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  dass  die  Formel  des 
Aethers  doppelt  so  viele  Kohlensto£6ätome  aufweisen  müsse  als  diejenige  des  Alkohols. 
Die  Richtigkeit  des  schon  früher  aufgetauchten  Gedankens,  dass  Alkohole  und  Aether 
als  Abkömmlinge  des  Wassers  amsusehen  sein,  wurde  durch  die  neuen  Thatsachen 
auf's  deutlichste  erwiesen.  Dies  aber  hatte  wieder  zur  Folge,  dass  man  die  mole- 
üulare  Zusammensetzung  des  Wassers  als  der  Formel  H^O  entsprechend  anerkennen 
musste.  Die  Durchfuhrung  der  Reform  der  Atomgewichte,  welche  schon  mehrere 
Jahre  vorher  von  Gerhardt  und  Laurent  angeregt  war,  wurde  nun  unabweisbar. 

Aether  bilden  sich  ferner  bei  der  Einwirkung  von  trockenem  Silber- 
oxyd auf  die  Halogenalkyle  ^ : 

Ag,0  +  2C,H5J  =  2AgJ  -f.  (C,H5),0. 

Auch  bei  der  Zersetzung  der  Halogenalkyle  durch  Erhitzen  mit 
Wasser  unter  Druck  entstehen  zuweilen  Aether,  wenn  nur  eine  geringe 
Menge  Wasser  zugegen  ist: 

2C,H6C1  -f-  H,0  =  C,H,C1  -t-  CjH^OIi  +  HCl 

=  (OaH5),0  -\-  2  HCl. 

Allgemeine  Charakteristik.  Der  Dimethyläther  ist  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  ein  Gas ;  vom  Diäthyläther  aufwärts  stellen  die  Aether 
Flüssigkeiten  dar,  welche  leichter  als  Wasser  und  darin  nur  wenig  lös- 
lich sind.  Während  die  niederen  Glieder  der  Alkoholreihe  mit  Wasser 
sich  in  jedem  Verhältniss  mischen,  giebt  es  keinen  einzigen  Aether,  der 
mit  Wasser  mischbar  wäre.  Es  ist  dies  ein  specieller  Fall  einer  all- 
gemeinen Erscheinung;  die  Gegenwart  der  Hydroxylgruppe  — OH  be- 
dingt eine  gewisse  Löslichkeit  in  Wasser;  wird  aber  das  Wassei-stoff- 
atom  der  Hydroxylgruppe  durch  Radicale  ersetzt,  so  wird  die  Löslicb- 
keit  aufgehoben  oder  wenigstens  erheblich  vermindert  (vgl.  S.  200). 
Die  hochmolecularen  Aether  sind  krystallisirbar.  Der  Siedepunkt  des 
Dimethyl-  und  Diäthyläthers  liegt  erheblich  niedriger  als  der  Siede- 
punkt der  entsprechenden  Alkohole.  Ueberhaupt  siedet  ein  Aether, 
welcher  durch  Eintritt  einer  Methyl-,  Aethyl-,  Propyl-  oder  Isopropyl- 
Gruppe  in  die  Hydroxylgruppe  eines  Alkohols  entsteht,  stets  niedriger 
als  dieser  Alkohol;  durch  den  Eintritt  von  Isobutyl- Gruppen  wird  der 
Siedepunkt  des  Alkohols  nicht  erheblich  verändert,  durch  den  Eintritt 
von  normalem  Butyl  oder  von  höheren  Alkylresten  dagegen  wesentlich 
erhöht.  —  Die  folgende  Tabelle  Nr.  7  enthält  oben  die  Eigenschaften 
einiger  einfacher  Aether,  unten  einiger  gemischter  Aether,  deren  eines 
Radical  stets  Aethyl  ist. 


1  WüETZ,  Ann.  eh.  [3]  46,  222. 


Tabellarische  lieber  sieht  über  die  Alkyläther. 


193 


Tabelle  Nr.  7 

« 

• 

Siedepunkt 

1 

Spec. 
Gewicht 

C,H,0 

Dimethyl-Aether  *•'•*'  .     .     . 

—23.60 

C4H.0O 

Diäthyl-          „     »-*"»7.     . 

+  34-60 

0-731(40) 

C,H„0 

Dipropyl-       „     ^    ^    .     .     . 

+  90-7° 

0-763(00) 

C.H„0 

Diisopropyl-  „'*... 

690 

0-743(00) 

C,H„0 

Di-n-butyl-    „     »-»0  .     .     . 

1410 

0-784(00) 

C,H„0 

Di-sec.-butyl-Aether"      .     . 

1210 

0-756(210) 

C,H„0 

Diisobutyl-         „     »«"   .     . 

1220 

0-762(150) 

C,oH„0 

Diisoamyl-          „     "       .     . 

170—1750 

0-799(00) 

CjjHjgO 

Di-sec-Hexyl-    „     ^*       .     . 

203—2080 

— 

C.,H„0 

Di-norm.Octyl-  „     "       .     . 

280—2820 

0-805(170) 

Dicetylfither**:  C82HaaO  schmilzt  bei 


55 


C,H«0 


'«■•8 


Siedepunkt 


Spec. 
Gewicht 


C,H„0 
C.Hj.O 
C,H,«0 
C.H„0 
C^HigO 
CgHigO 
CgHggO 


-methyl-äther*'-*^ 


+  11 


6.18 


>» 


>> 


V 


18 

17.S>— 98 

24 

S5 

15 


63—640 

540 

920 

78—800 

1120 

134—1370 

1650 
182—1840 


0-739(200) 
0-745(00) 
0-769(0  0) 
0-751 
0-764(180) 


0-790(160) 
0-794(170) 


-propyl-    „ 
-isopropyl-ätber*®    . 
-norm.  butyl-äther*o 

-isobutyl- 
-isoamyl- 
-norm.  hexyl- 
-norm.  heptyl-  „ 
-norm,  octyl-    „ 

Aethylcetyläther'^rCigHjgO  schmilzt  bei  200. 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  7:  ^  Erlenmeyer  u.  Kriechbaumer,  Ber.  7,  699.  — 
'  Reonault,  Jb.  1863,,  70.  —  «  E.  Schiff,  Ann.  220,  332.  —  *  Squibbs,  Chem.  News  51, 
66,  76.  —  *  Cha>xel,  Ann.  151,  304.  —  •  Linnemann,  Ann.  161,  37.  —  '  Zander, 
Ann.  214,  163.  —  ^  Erlenmever,  Ann.  126,  306.  —  *  Lieben  und  ßossi,  Ann.  165, 
110.  —  *o  Reboul,  Compt.  rend.  108,  39,  162.  —  **  Kessel,  Ann.  175,  50.  — 
"  WuKTz,  Ann.  eh.  [3]  42,  153.  —  **  Würtz,  J.  pr.  68,  150.  —  '*  Erlenmeyer  und 
Wanklyn,  Ztschr.  Chem.  1863,  282.  —  ^^  Möslinoer,  Ann.  186,  56.  —  *«  Fridau, 
Ann.  83,  22.  —  "  Williamson,  Ann.  81,  77.  —  "  Brühl,  Ann.  200,  177.  —  "  Mar- 
KowsiKOw,  Ann-  138,  374.  —  *o  Ligg^jj  ^  Rossi,  Ann.  158,  167.  —  "  Kopp,  Ann. 
64,  214.  —  "  Rbboül  u.  Pruchot,  Ztschr.  Chem.  1867,  439.  —  "  Guthrie,  Ann.  105, 
37.  —  •*  Lieben  u.  Janeczek,  Ann.  187,  139.  —  ^^  Cross,  Ann.  189,  5.  —  *®  Becker, 
Ann.  102,  220.  —  "  Vgl.  ferner  die  Citate  auf  S.  194—198. 

In  ihrem  chemischen  Verhalten  sind  die  Aether  durch  grosse  Be- 
ständigkeit ausgezeichnet.  Alkalien  und  verdünnte  Säuren,  Phosphor- 
pentachlorid  in  der  Kälte  wirken  nicht  ein;  Natrium  entwickelt  keinen 
Wasserstoff.  —  Beim  Erhitzen  mit  angesäuertem  Wasser  findet 
unter  Wasseraufhahme  Spaltung  in  zwei  Molecüle  Alkohol  statt: 

(C,H5),0  +  HjO  =  2CjH6  0H; 
V.  Mkyxii  o.  Jacobson,  org.  ChenL  I.  13 


194  Chemisches   Verhalten  der  Aether, 


sehr   langsam   tritt   diese   Alkoholbildnng  auch  schon  bei  gewöhiüicher 

Temperatur  ein;  die  Aether  mit  secundären  Radicalen  erleiden  sie  yiel 

leichter   als   die   Aether    mit  primären   Radicalen  ^   —   Concentrirte 

Schwefelsäure  erzeugt  in  der  Wärme  mit  den  Aethem  Aetherschwefel- 

säuren : 

(CjH5),0  +  2SO4HJ  =  2C,H5.S04H  +  H,0. 

Sättigt  man  die  Aether  bei  0®  mit  Jodwasserstoff,  so  werden  sie  in 
Jodalkyle  und  Alkohole  gespalten: 

und  zwar  tritt  bei  gemischten  Aethem  das  kohlenstoffarmere  Radical  an 
Jod  gebunden  aus;  die  Spaltung  erfolgt  besonders  leicht  bei  Aethem, 
welche  die  Methylgruppe  enthalten*.  Auch  Jodphosphonium  bewirkt 
schon  in  der  Kälte  Abspaltung  von  Jodalkylen  aus  Aethem.  —  Beim 
Erhitzen  mit  starker  Jodwasserstoffsäure  werden  beide  Radicale  in  Jod- 
alkyle übergeführt: 

Durch  Salpetersäure  und  Chromsäure  werden  die  Aether  zu  denselben 
Produkten  oxydirt,  wie  die  Alkohole  mit  gleichem  Alkylrest.  Dagegen 
wirkt  Chlor  einfach  unter  Ersetzung  von  Wasserstoffatomen  der  Alkyl- 
reste  ein. 

Einzelne  GUieder.  Dimethylftther  (0113)20  wird  aus  Methylalkohol 
und  Schwefelsäure  gewonnen;  man  hat  vorgeschlagen,  ihn,  zur  Kälte- 
erzeugung zu  benutzen';  doch  hat  er  wohl  kaum  in  grösserem  Massstab 
Verwendung  gefunden.  Bemerkenswerth  ist  sein  Verhalten  zu  Chlor- 
wasserstoff*; die  beiden  Gase  vereinigen  sich  unter  Contraction ;  es  ent- 
steht eine  flüssige  Verbindung,  welche  bei  —1^  siedet  und  sich  dabei 
theil weise,  aber  nicht  vollständig  dissociirt;  von  Wasser  wird  sie 
sofort  zersetzt.  Ihre  Analyse  ergab  auf  die  Formel  (CH3)20.HC1  an- 
nähernd stimmende  Werthe  (vgl.  S.  58  Anm.). 

Diäthyläther  (Schwefeläther,  auch  Aether  schlechthin  genannt) 
(C2Hß)20  ist  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  entdeckt.  Seine 
Zusammensetzung  wurde  1807  von  Saussure  und  1815  von  Gay-Lussac 
festgestellt.  Er  wird  fabrikmässig^  aus  Aethylalkohol  und  concentrirter 
Schwefelsäure  gewonnen  (vgl.  S.  191).  Zu  seiner  Darstellung  erhitzt  man 
eine  Mischung  von  5  Th.  Alkohol  (90^/^)  und  9  Th.  concentrirter  Schwefel- 
säure auf  etwa  130 — 140^;  es  destillirt  ein  Gemisch  von  Aether,  Wasser 
und  etwas  Alkohol  ab,  und  in  demselben  Mass  lässt  man  in  die  er- 
hitzte  Flüssigkeit,   deren   Temperatur   auf   130 — 150^  zu  erhalten  ist. 


»  Eltkkopp,  Ber.  10,  1902.  '  Silva,  Ber.  8,  1352;  9,  852. 

»  Tellier,  Arch.  Pharm.  [3]  10,  57.  —  Jb.  1877,  1157. 
*  Friedel,  Ber.  8,  548,  642,  777,  1193,  1348. 

^  Vgl.  über  die  technische  Darstellung:  Stohmann-Kerl,  Encjklop.  Handb.  der 
techn.  Chemie  I.,  8--16  (4.  Aufl.    Braunschweig  1888). 


Diäthyläther  (Darstellung,  Prüfu/ng,  Eigenschaften),  195 


neue  Mengen  von  Alkohol  nachfliessen.  Man  kann  im  Ganzen  etwa  die 
sechsfache  Menge  des  ursprünglich  in  der  Mischung  enthaltenen  Alkohols 
umwandeln.  Das  Destillat  wird  zur  Entfernung  von  Alkohol  und  von 
schwefliger  Säure  mit  alkalihaltigem  Wasser,  dann  mit  reinem  Wasser 
gewaschen,  darauf  mit  Chlorcalcium  getrocknet  und  rectificirt.  Käuflich 
sind  verschiedene  Aethersorten  vom  spec.  Gew.  0-728,  0-722  und  0-720 
(reiner  Aether  hat  bei  15-6^  ein  spec.  Gew.  von  0-718).  —  Der  beige- 
mengte Alkohol  haftet  dem  Aether  höchst  hartnäckig  an;  man  kann  ihn 
durch  sehr  oft  wiederholtes  Schütteln  mit  immer  erneuten  kleinen  Mengen 
von  Wasser^  entfernen.  Um  ganz  wasser-  und  alkoholfreien  Aether  zu 
erhalten,  lässt  man  nach  dem  Ausschütteln  mit  Wasser  und  dem  Trock- 
nen mit  Chlorcalcium  noch  etwa  12  Stunden  über  dünnen  Natrium- 
scheiben oder  Natriumdraht  stehen  und  destillirt  dann  aus  dem  Wasser- 
bade ab.  —  Auf  einen  Wassergehalt  kann  man  durch  Schütteln  mit  dem 
gleichen  Volum  Schwefelkohlenstoff  prüfen;  bei  wasserfreiem  Aether  tritt 
keine  Trübung  ein.  Ein  Alkoholgehalt  zeigt  sich  beim  Schütteln  mit 
etwas  essigsaurem  Rosanilin;  wasser-  und  alkoholfreier  Aether  färbt  sich 
nicht  mit  diesem  Reagens^. 

Der  Aethyläther  ist  eine  äusserst  bewegliche  Flüssigkeit  von  ange- 
nehmem Geruch.  Er  erstarrt*  bei  —129^  krystallinisch  und  schmilzt 
bei  — 117-4 ^  Wasser  und  Aether  lösen  sich  gegenseitig  in  gewissen 
Mengen;  bei  25®  erfordert  1  Vol.  Aether  11-1  Vol.  Wasser  zur  Lösung 2; 
umgekehrt  können  100  Vol.  Aether  bei  12*'  2  Vol.  Wasser  lösen*.  Sehr 
reichlich  löst  sich  Aether  in  starker  Salzsäure  auf;  1  Vol.  38-5procentige 
Säure  löst  bei  10®  1-67  Vol.  Aether*-^  (man  darf  daher  stark  salzsaure 
Lösungen  nicht  ausäthern).  —  Der  Aetherdampf  bewirkt  beim  Ein- 
athmen  Bewusstlosigkeit.  Aus  diesem  Grunde  wurde  Aether  vor  der 
Einfuhrung  des  Chloroforms  bei  chirurgischen  Operationen  als  Betäu- 
bungsmittel angewendet. 

Aether  ist  ein  vortreffliches  Lösungsmittel  für  sehr  viele  orga- 
nische Verbindungen;  wegen  dieser  Eigenschaft  wird  er  bei  der  Dar- 
stellung organischer  Verbindungen  sowohl  im  Laboratorium  wie  in  der 
Technik  vielfach  als  Lösungsmittel  —  theils  zum  Krystallisiren,  theils 
zum  Ausschütteln  von  wässrigen  Lösungen  oder  Gemischen  von  wässrigen 
und  öligen  Schichten  (Ausäthern)  —  benutzt.  Aber  auch  viele  an- 
organische Substanzen  —  so  z.  B.  Jod,  Chromsäure,  Eisenchlorid,  Queck- 
silberchlorid, Quecksilberjodid,  Zinnchlorür  —  lösen  sich  in  Aether  auf, 
worauf  man  bei  der  Reinigung  organischer  Verbindungen  durch  Aether 
stets  Rücksicht  nehmen  muss.  —  Beim  Manipuliren  mit  Aether  muss 
man  wegen  seiner  Entzündlichkeit  und  der  Eigenschaft  seines  Dampfes, 


*  Vgl.  Lieben,  Ann.  Suppl.  7,  221. 

*  Vgl.  über  diese  Prüfungen  Squibbs,  Chem.  News  61,  69  u.  76. 

*  Olszewski,  Monatsh.  6,  128.  *•  Napier,  Bull.  29,  122. 

*  Dbapeb,  Jb.  1877,  76. 

13* 


196      Diäthyläther  (Verwendung  im  Laboratorium  ufid  in  der  Technik, 


mit  Luft  ein  heftig  explodirendes  Gemenge  zu  geben,  vorsichtig  ver- 
fahren. Hat  man  ätherische  Lösungen  im  Laboratorium  abzudestillireii. 
so  destillirt  man  daher  nicht  über  freiem  Feuer,  sondern  aus  einem 
Wasserbade,  das  vor  Beginn  der  Destillation  mit  warmem  Wasser  be- 
schickt wird,  und  füllt,  wenn  während  der  Destillation  das  Wasserbad 
sich  zu  sehr  abkühlt,  von  Neuem  warmes  Wasser  ein,  welches  an 
einem  entfernten  Ort  erwärmt  wurde.  Auf  diese  Weise  vermeidet  man 
das  Brennen  von  Flammen  in  der  Nähe  des  Destillationsapparates, 
welche  eine  Entzündung  der  Dämpfe  verursachen  könnten.  Selbst- 
verständlich hat  man  stets  in  Anbetracht  der  Flüchtigkeit  des  Aethei> 
einen  möglichst  langen  Wasserkühler  anzuwenden.  —  Sehr  häufig  hat 
man  in  einer  grösseren  Menge  Aether  eine  verhältnissmässig  kleine 
Menge  einer  höher  siedenden  Flüssigkeit  gelöst,  welche  nach  dem  Ab- 
destilliren  des  Aethers  für  sich  destillirt  werden  soll.  Würde  man  nun 
einen  grossen  Kolben  anwenden,  welcher  die  ganze  Menge  der  ätherischen 
Lösung  fassen  kann,  so  hätte  man  nach  dem  Verjagen  des  Aethers  die 
Flüssigkeit  in  einem  unverhältnissmässig  grossen  Gefäss  und  würde 
durch  Umgiessen  in  ein  Destillirgefäss  von  angemessener  Grösse  be- 
trächtlichen Verlust  erleiden.  Man  benutzt  daher  von  vornherein  einen 
Siedekolben  (s.  Fig.  31,  S.  103)  von  solcher  Grösse,  dass  er  voraussicht- 
lich zur  Aufiiahme  der  rückständigen  Flüssigkeit  passen  wird,  befestigt 
im  Hals  desselben  mittelst  eines  durchbohrten  Korks  einen  Tropftrichter 
mit  Glashahn,  steckt  die  Kugel  des  Siedekolbens  in  ein  warmes  Wasser- 
bad und  verbindet  sein  Abflussrohr  mit  einem  Wasserkühler;  nun  lässt 
man  aus  dem  Tropftrichter  die  ätherische  Lösung  allmählich  in  den 
Siedekolben  fliessen  in  demselben  Mass,  als  der  Aether  abdestillirt.  So 
gelingt  es,  ohne  Verlust  die  im  Aether  gelöste  Substanz  nach  dem  Ab- 
treiben des  Aethers  unmittelbar  in  einem  für  die  weitere  Destillation 
passenden  Gefäss  zu  erhalten. 

Von  technischen  Verwendungen  des  Aethers  sei  seine  Benutzung 
zur  Herstellung  des  Collodiums  und  zur  Reinigung  der  Schiessbaumwolle 
für  die  Darstellung  von  Sprengstoffen  erwähnt. 

Der  Aethyläther  tritt  mit  vielen  anderen  Substanzen  zu  Additions- 
produkten zusammen.  Mit  Brom^  entsteht  die  Verbindung  C^HjjjO.Br^, 
welche  unter  0^  zu  einer  chromsäureähnlichen  Masse  erstarrt  und  bei 
+  22^  wieder  schmilzt.  Mit  vielen  Metallbromiden  und  Metall- 
chloriden bilden  sich krystallinische  Verbindungen^ (z.B.  HgBr2.3C4Hi(,Ü. 
AlBrg.C^HjoO,  SnCl^.C^Hi^^O  u.  s.  w.). 

Aether,  auf  Platinschwarz  getropft,  entzündet  sich.  Wenn  man 
durch  reinen  Aether  längere  Zeit  ozonhaltige  Luft  leitet  oder  ihn  mit 
Wasserstoffsuperoxyd  anhaltend  schüttelt,  so  bilden  sich  kleine  Mengen 
von  Vinylalkohol  CH2:CH(0H).     Letzterer  entsteht  aber  unter  gleicb- 

*    ScHt'TZENBEROER,   Anii.    167,    86. 

*  8.  Kuhlmann,  Ann.  88,  107.  —  Nickles,  Jb.  1861,  199,  593;  1864,  252. 


Additionsprodukte,   Oxydationsprodukte).  197 


zeitiger  Bildung  von  Wasserstoffsuperoxyd  ^  auch  schon  bei  der  Einwirkung 
des  atmosphärischen  Sauerstoffs  auf  den  Aether: 

CHj .  CH,v  _  CH,  :  CH .  OH      HO  |^ 


CH,.CH 


/-  -T-  -3  -  ^      ^  CH-OH  ^  HO 


Vinylalkohol  ist  daher  ein  ständiger  Begleiter  des  Aethers^ 
Man  erkennt  seine  Gegenwart,  wenn  man  ein  klares  Gemisch  von  4-5 
Yol.  einer  gesättigten  Kaliumbicarbonatlösung  und  1  Vol.  gesättigter 
yuecksilberchloridlösung  mit  dem  Aether  durchschüttelt,  daran,  dass  sich 
nach  10 — 20  Minuten  in  dem  wässrigen  Theil  der  Mischung  ein  weisser 
amorpher  Niederschlag  (Vinylquecksilberoxychlorid  HggClgOgCgHg)  bildet. 
Es  sind  häufig  beim  Abdampfen  von  Aether,  welcher  längere  Zeit  auf- 
bewahrt war,  heftige  Explosionen  vorgekommen^;  dieselben  sind  wahr- 
schemlich  auf  die  Gegenwart  des  Wasserstoffsuperoxyds,  welches  bei  der 
Luftoxydation  neben  Vinylalkohol  entstanden  ist,  zurückzuführen.  Man 
reinigt  den  Aether  von  Wasserstoffsuperoxyd,  indem  man  ihn  mit  wäss- 
riger  schwefliger  Säure  schüttelt  und  dann  von  schwefliger  Säure  wieder 
durch  Schütteln  mit  Kalkmilch  befi'eit.  Den  Vinvlalkohol  entfernt  man 
durch  Destillation  des  Aethers  mit  Phenylhydrazin,  wobei  er  als  Acetal- 
dehyd-hydrazon  zurückbleibt,  oder  auch  durch  wiederholtes  Schütteln 
mit  Wasser  oder  obiger  Quecksilberoxychloridlösung,  ferner  durch  Be- 
handeln mit  Brom  oder  Kaliumhydroxyd. 

Beim  Einleiten  von  trockenem  Ozon  in  absoluten  Aether  bildet  eich  Aethyl- 
8uperoxyd*  (CaHj^Os  (Vj:  ein  dicker  Syrup,  der  bei  —40°  nicht  erstarrt  und  sich 
mit  Wasser  unter  Zerfall  in  Alkohol  und  Wasserstoffsuperoxyd  mischt.  Beim  Erhitzen 
destillirt  es  theilweise  über,  zuletzt  aber  tritt  eine  heftige  Explosion  ein.  —  Bei  der 
langsamen  Verbrennung  des  Aethers  —  wenn  man  Aetherdampf  mit  Luft  ge- 
mengt über  schwach  glühendes  Platin  streichen  lässt,  wobei  man  im  Dunkeln  das 
Auftreten  einer  mattblauen  Flamme  beobachtet,  —  erhält  man  durch  Condensation 
tler  Verbrennungsprodukte  eine  saure  Flüssigkeit:  die  sogenannte  Aether-  oder 
Lampensäure.  Sie  ist  ein  Gemisch  von  verschiedenen  Substanzen;  Ameisensäure, 
Essigsäure,  Formaldehyd,  Acetaldehyd  sind  in  ihr  enthalten,  ferner  eine  eigenthümliche 
krystallisirbare Substanz :  das  Hexaoxymethylenhyperoxyd^  (CHaO^Og  -f  SH^O, 
dessen  wiissrige  Lösung  mit  Alkalien  Wasserstoff  unter  gleichzeitiger  Bildung  von 
Ameisensäure  entwickelt  und  aus  Jodkalium  in  schwefolsaurer  Lösung  Jod  abscheidet. 

Chlorderivate  des  Aethers^:  Giesst  man  einige  Tropfen  Aether 
in  eine  mit  Chlor  gelullte  Flasche,  so  erfolgt  Explosion.  Leitet  man 
aber  Chlor    anfangs   unter  starker  Abkühlung  und  im  Dunkeln,    später 

*  Vgl.  dagegen  Dinstän  u.  Dymond,  Journ.  Soc.  57,  574. 
«  Poleck  u.  Thümmel,  Ber.  22,  2863. 

'  Vgl.  Schab,  Chem.  Centralbl.  1887,  1100.  —  König,  Landwirthschaftl.  Versuchs- 
Stationen  87,  1. 

*  Berthelot,  Bull.  86,  72.  ^  Legler,  Ann.  217,  381;  Ber.  18,  3343. 

*  Liebig,  Ann.  1,  220.  —  Reonault,  Ann.  34,  27.  —  .Malaoutj,  Ann.  32,  15;  Ann. 
cL  '3;  16,  5.  —  Lieben,  Ann.  111,  121 ;  146,  ISO;  178,  29.  —  Abeljanz,  Ann.  164,  197.  — 
Jacobsen,  Ber.  4.  215.  —  Natterer,  Monatsh.  5,  491.  —  Wislicenus,  Ann.  226,  261. 


198  Diäthyläther  (Chlorderivute), 


bei  höherer  Temperatur  in  Aether  ein,  so  findet  eine  ruhige  Substitution 
der  Wasserstoifatome  durch  Chlor  statt.  Sehr  merkwürdig  ist  die  Reihen- 
folge, in  welcher  die  einzelnen  Wasserstoflfatome  substituirt  werden. 
Der  zuerst  entstehende  Monochloräther  (Sdpkt.  98®)  besitzt  die  Con- 
stitution CgH.-O-CHCl-CHg,  wie  aus  dem  durch  Schwefelsäure  bewirkten 
Zerfall: 

'\o  +  H,0  =  CsHjOH  +  CHgCHO  +  HCl 
CH,.CHCK 

in  Salzsäure,  Alkohol  und  Aldehyd  sich  ergiebt.  Das  zweite  Chloratom 
tritt  nun  nicht  etwa  in  die  symmetrische  Stelle  der  zweiten  Aethylgruppe 
ein;  dem  Dichloräther  kommt  vielmehr  die  Formel  CHjCl-CHCl-O-C^Hg 
(s.  unten)  zu.  Auch  die  weiter  eintretenden  Chloratome  suchen  zunächst 
stets  die  schon  chlorirte  Aethylgruppe  auf;  es  entstehen  Trichloräther 
CHCl^-CHClO-CgHs,  Tetrachloräther  CClg-CHCl-OCj^Hß,  Penta- 
chloräther  CClg-CClg-OCgHg.  Auf  die  zweite  Aethylgruppe  erstreckt 
sich  die  Substitution  erst  beim  Arbeiten  im  directen  Sonnenlicht.  Man 
erhält  endlich  den  Perchloräther  CgClg-O-CjClg!  einen  festen,  stechend 
nach  Campher  riechenden  Körper  vom  Schmelzpunkt  69  ^  Von  diesen 
Chlorsubstitutionsprodukten  des  Aethers  wird  der  Dichloräther  häufiger 
zu  Synthesen  angewendet.  Er  siedet  unter  geringer  Zersetzung  bei  140 
bis  145®  und  besitzt  bei  23®  das  specifische  Gewicht  1-174.  Die  Stellung 
der  Chloratome  in  demselben  ergiebt  sich  als  obiger  Formel  entsprechend 
g,us  seiner  Zersetzung  in  Alkohol  und  Chloraldehyd  (CHgCl-COH)  durch 
Erhitzen  mit  Wasser: 

CHsClCHClO.CsHj  +  H,0  =  CH.Cl.CHCl.OH  +  CjH^.OH 

=  CHjClCHO  +  HCl  -f-  CA- OH. 

Als    Beispiel    seiner    Anwendbarkeit    sei    die   Beaction    mit   über- 
schüssigem Zinkäthyl  erwähnt: 

CjHj .  0 .  CHCl  C4H5 . 0 .  GH .  CjHj 

I  +  ZnCCsHs),  =  ZnCl^  -f-  I  ; 

CHjCl  CHj.CjHg 

die  beiden  Chloratome  werden  durch  Aethylgruppen  ersetzt,  und  es  ent- 
steht ein  gemischter  Aether:  Aethyl-sec.-Hexyläther  (auch  Biäthyl- 
äther  =  zweifach  äthylirter  Aether  genannt;  Siedepunkt  132®). 

III.    Alkylester  der  Mineralskuren. 

Zusammensetzimg,   Constitution  und  Eintheilung.     Von   den 

Aethern,  welche  in  ihrem  Molecül  zwei  Alkoholreste  durch  ein«Sauer- 
stofifatom  verknüpft  enthalten,  unterscheidet  man  nach  einem  Vorschlage 
von  Gmelin  diejenigen  Verbindungen,  in  deren  Molecül  ein  Sauerstoff- 
atom mit  einer  Valenz  einen  Alkoholrest,  mit  der  anderen  einen  Säure- 
rest bindet,  wie 

^>0 ;  >0 ;  >0 

NO/  NO/  CH,-CO/ 


Alkylesier  der  Mineralsäuren,  199 


als  Ester;  im  Sprachgebrauch  wird  diese  zweckmässige  Unterscheidung 
freilich  leider  nicht  immer  festgehalten,  wie  die  ihr  widersprechenden 
sehr  gebräuchlichen  Bezeichnungen  Salpeteräther  (für  CjHg-O'NOg), 
Essigäther  (C^Hg-O-CO-CHj)  u.  a.  zeigen.  Die  Ester  können  einerseits 
als  Alkoholabkömmlinge  aufgefasst  werden,  welche  das  Wasserstoffatom 
der  alkoholischen  Hydroxylgruppe  durch  ein  Säureradical  ersetzt  ent- 
halten, z.  B.  CgHß-O-NO,  CaHßO-NOj  (aus  CJl^OB)  u.  s.  w.  Sie 
können  ebenso  gut  als  Abkömmlinge  der  Säurehydrate  angesehen  werden 
—  entstanden  durch  Eintritt  eines  Alkoholradicals  in  die  Hydroxylgruppe 
des  Säuremolecüls:  NO-O-C^Hg  (aus  NO -OH),  NOa-OC^Hß  (aus  NOgOH). 
Der  Alkylrest  ist  in  ihnen  auf  gleiche  Weise  gebunden,  wie  das 
Metallatom  in  den  Salzen  der  Säuren;  die  Ester  erscheinen  gewisser- 
massen  als  die  „Alkylsalze"  der  Säuren.  Diese  Auffassung  ihrer  Con- 
stitution findet  ihre  Begründung  hauptsächlich  in  der  Bildung  der  Ester 
durch  .doppelte   Umsetzung   zwischen  Metallsalzen  und  Halogenalkylen: 

SO,(O.Ag),  +  2C^U,J  =  SOjCOCjHft),  +  2AgJ. 

Alle  anderen  Bildungsweisen  und  Reactionen  stehen  mit  derselben  im 
besten  Einklang,  wie  \mieji  hervortreten  wird. 

Von  mehrbasischen  Säuren  können  sich  mehrere  Arten  von  Estern 
ableiten,^  je  nachdem  die  Hydroxylgruppen  des  Säuremolecüls  sämmtlich 
oder  nur  zum  Theil  esterificirt  sind,  z.  B.: 

so,  und  SO, 

OCJI.a  +  1.  OH. 

Im  letzteren  Falle,  wenn  nicht  in  alle  Hydroxylgruppen  Alkylreste  ein- 
getreten sind,  enthalten  die  Verbindungen  noch  Wasserstoffatome,  welche 
durch  Metallatome  vertretbar  sind.  Sie  besitzen  demnach  noch  Säure- 
charakter, man  bezeichnet  sie  daher  als  „Estersäuren"  und  unter- 
scheidet von  ihnen  die  vollständig  esterificirten  Verbindungen  als  „neu- 
trale Ester".  Estersäuren  und  neutrale  Ester  stehen  zu  einander  in 
demselben  Verhältniss,  wie  saure  und  neutrale  Salze. 

Blldungsweisen.  Die  Ester  entstehen  oft  direct  aus  den  Alko- 
holen und  Säurehydraten  durch  Wasserabspaltung,  z.  B.: 

CgHsOit  +  OH-  NO,  =  H,0  +  C^ONO,. 

Da  indessen  das  in  der  Beaction  entstehende  Wasser  umgekehrt  wieder 
eine  Spaltung  des  Esters  in  seine  Componenten: 

CgH^ONO,  +  H,0  =  CjHjOH  +  NO^OH 

zu  bewirken  sucht,  so  erfolgt  eine  solche  Esterificirung  bei  Anwendung 
von  äquivalenten  Mengen  niemals  vollständig,  sondern  schreitet  nur  bis 
zur  Herstellung  eines  bestimmten  Gleichgewichtszustandes  zwischen 
Alkohol,  Säure,  Ester  und  Wasser  vor.  (Näheres  hierüber  vgl.  in  Kap.  10, 
3.  Abschn.  unter  „Alkylester  der  Fettsäuren".)  Ein  Ueberschuss  eines 
der    in   Reaction    tretenden   Bestandtheile    erhöht   die   Ausbeute.     Aus 


200  Alkylester  der  Mineralsäuren, 


mehrbasischen  Säuren  entstehen  in  dieser  Reaction  hauptsächlich  die 
Estersäuren. 

Der  glatten  Bildung  von  Estern  aus  Metallsalzen  der  Säuren 
und  Halogenalkylen: 

As(0Ag)3  +  3JC2H5  =  3AgJ  +  Ab(O.CjH3)3 

wurde  bereits  gedacht  (S.  199). 

Eine  sehr  gute  Ge\vinnungsmethode  der  Ester  stellt  in  vielen  Fällen 
die  Wechselwirkung  zwischen  den  Säurechloriden  und  Alko- 
holen (bezw.  Alkoholaten)  dar: 

SOCI2  +  20,115. OH  =  SOiO.C.Hß),  -h  2 HCl, 
POCI3  +  aCjHß.OXa  =  PO(O.C,H5)8  +  3NaCL 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  neutralen  Ester  sind  meist 
ölige,  in  Wasser  gar  nicht  oder  nur  wenig  lösliche  Flüssigkeiten;  auch 
hier  zeigt  sich  wieder  der  J^infiuss  der  Hydroxylgruppe  auf  die  Löslich- 
keit in  Wasser  (vgl.  S.  192);  während  beide  Componenten  eines  Esters 
(wie  z.  B.  NOg-OH  und  CgHg-OH)  von  Wasser  in  jedem  Verhältniss 
gelöst  werden,  ist  der  durch  ihren  Zusammentritt  entstehende  Ester 
(CgHg-O-NOg),  welcher  eben  keine  Hydroxylgruppe  mehr  enthält,  in 
Wasser  kaum  löslich.  Die  Ester  besitzen  oft  angenehmen  Geruch  und 
sind  in  der  Regel  unzersetzt  flüchtig.  Dieser  Umstand  macht  die  Unter- 
suchung der  Ester  wichtig  für  die  Kenntniss  der  ihnen  entsprechenden 
Säuren.  Denn  da  die  Flüchtigkeit  der  Ester  eine  Moleculargewichts- 
Bestimmung  durch  Dampfdichtemessung  gestattet,  so  erfährt  man  durch 
dieselbe,  wie  viele  einwerthige  Alkylgruppen  in  ein  Säuremolecül  einge- 
treten sind,  und  kann  demnach  die  Basicität  der  Säuren  auf  diesem  Wege 
ermitteln.  Die  Ester  können  mehr  oder  weniger  leicht  wieder  in  Alkohol 
und  Säure  gespalten  werden,  z.  B.: 

dieser  sogenannte  Verseifungsprocess  tritt  zuweilen  schon  durch  Ein- 
wirkung von  Wasser  bei  gewöhnlicher  oder  wenig  erhöhter  Temperatur, 
stets  beim  Kochen  mit  Alkalien  ein. 

Die  Estersäuren  sind  meist  weniger  beständig  als  die  neutralen 
Ester.  Sie  sind  in  Wasser  l(")sliche,  sauer  reagirende  Substanzen,  welche 
gewöhnlich  schon  beim  Kochen  ihrer  wässrigen  Lösung  eine  Zersetzung 
in  Alkohol  und  Säure  erleiden.  In  Form  ihrer  Salze  sind  sie  meist 
beständiger.   Die  Estersäuren  shid  geruchlos  und  nicht  unzersetzt  flüchtig. 

1.    Ester  der  Sauerstoffsäuren  des  Chlors. 

Die  Ester  der  unterchlorigeii  S»ureS  wie  ClOCHg,  ClOO^H^, 
entstehen  beim  Vermischen  der  Alkohole  mit  starker  wässriger  unter- 
chloriger Säiu'e.     Man   lässt  zweckmässig  die   unterchlorige  Säure   erst 

*  Sandmeyer,  Ber.  18,  1767;  19,  857. 


Ester  der  unterchlorigen  Satire  und>  üeberchlorsäure,  201 


während  der  Darstellung  entstehen,  indem  man  in  ein  Gemisch  des 
betreflfenden  Alkohols  mit  Natronlauge  unter  Kühlung  Chlor  einleitet. 
Arbeitet  man  mit  Methylalkohol,  so  entweicht  das  Methylhypo- 
chlorit Cl'O-CHg  gasförmig;  in  einer  Kiiltemischung  kann  es  zu 
einer  gelben  Flüssigkeit  von  durchdringendem  Chlorgeruch  condensirt 
werden,  welche  bei  +12^  (unter  726mm  Druck)  siedet  und  bei 
der  Entzündung  sich  unter  äusserst  heftiger  Explosion  zersetzt.  Das 
Aethylhypochlorit  Cl-O-CgHg  erhält  man  bei  obiger  Darstellung  als 
eine  gelbe  obenauf  schwimmende  Oelschicht;  es  besitzt  einen  starken 
unterchlorigsäureähnlichen  Geruch,  greift  die  Athmungsorgane  in  hohem 
Mass  an  und  siedet  unzersetzt  bei  36^  (unter  752  mm  Druck).  Ange- 
zündet verbrennt  es  rasch  mit  leuchtender  grüngesäumter  Flamme. 
TJeberhitzt  man  aber  den  Dampf  im  ßeagensrohr,  so  findet  heftige 
Explosion  statt,  ebenso  schon  in  der  Kälte  beim  Eintragen  von  Kupfer- 
pulver und  durch  die  Wirkung  des  Sonnenlichtes.  Aber  auch  im  zer- 
streuten Lichte  hält  sich  das  Aethylhypochlorit  nur  einige  Stunden; 
dann  zersetzt  es  sich  unter  Selbsterhitzung  und  plötzlichem  Aufsieden, 
indem  der  grösste  Theil  sich  verflüchtigt.  —  Mit  schwefliger  Säure  ver- 
einigen sich  die  Alkylhypochlorite  zu  Estern  der  Chlorsulfonsäure : 

CHg.O.Cl  +  SO2  =  Cllg.O.SOjCl. 

Ester  der  Chlorsäure  sind  nicht  bekannt. 

Der  Aethylester  der  Üeberchlorsäure  CgHgOClOg  entsteht 
durch  Destillation  eines  Gemenges  von  Bariumperchlorat  und  äthyl- 
scliwefelsaurem  Barium: 

Ba(C104),  +  BaCSO^-Cgiya  =  2BaS04  +  2CJH5.CIO4; 

er  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  im  trockenen  Zustand  derart 
explosiv  ist,  dass  sie  schon  beim  Umgiessen  detonirt;  unter  einer  dünnen 
Wasserschicht  lässt  er  sich  aber  unzersetzt  bei  74®  destilliren^ 

2.    Ester  der  schwefligen  Säure  und  der  Schwefelsäure. 

Die  neutralen  Ester  der  schwefligen  Säure  ^  S0(0  •  Cj^Ha^^  ^  1)2 
werden  durch  Einwirkung  von  Alkoholen  auf  Thionylchlorid : 

SO-Cla  +  2C2H5.OH  =  2HCI  +  S0(0 -0,115)8 

oder  auf  Chlorschwefel  (SgClg)  erhalten.  —  Das  Dimethylsulfit  SO(0-CH3)2 
siedet  bei  121-5^  spec.  Gew.  bei  16-2ö  :  1-046.  Diäthylsulfit 
SO(0-C2Hg)2  riecht   pfefifermünzähnlich ,    siedet   bei    161-3^   und   besitzt 


'  RoscoE,  Ann.  124,  124. 

'  EsEUfEN  u.  BoüiiUET,  Ann.  eh.  [3]  17,  66.  —  Cariüs,  Ann.  110,  209 ;  111,  93. 
J.  pr.  [2]  2,  283.  —  Endemann,  Ann.  140,  339.  —  Warlitz,  Ann.  148,  72.  — 
Michaelis  u.  Wagneb,  Ber.  7,   1074.  —  Päintz,  Ann.  223,  374.  —  Geüthee,  Ann. 

L,  223. 


Ester  der  sahwefligen  und  sekmtgen  Säure. 


>w>i  no  dft«  «Tiec.  Gew.  1-106.     Es  zerföllt  bei  200*'  in  Schwefeldio^d 

SO(OC,Hs),  =  SO,  +  (C,Hs),0. 
liefert  es  in  der  Kälte  das  sehr  unbeständige  Raliumsalz 
wefligen  Säure: 

<0  C,H, 
+  C,H,-OH; 

entacblorid  entsteht  das  ebenfalls  sehr  zersetzliche  Cblorid 
CjHgO-SOCl,  welches  leicht  in  Schwefeldioxyd  und  Chlor- 

C,H,-OSOCI  =  SO,  +  C,HjCI 
iser    in   Alkohol ,    Salzsäure    und    schweflige    Säure    zer- 


»<  +  H,0    = 


SO^^  +H,0    =    SO, +  C,Hj-OH  +  HCl. 

besprochenen  Ester  leiten  sich  von  einer  schwefligen  Säure 

.OH 
Institution  S0<;  zuzuschreiben    wäre.     Die    schwetlig- 

\0H 
Lgegen  leiten  sich  von  der  isomeren  Säure  H — SO, — OH  ab. 
iprechenden  Alkylderivate  sind  die  Ester  der  Sullösäuren. 
0-CjHj.     (Näheres  vgl.  S.  223). 

seleniiren  Sgnre':  Diathylselenit  SeO(OC,H(),  entsteht  aowohl 
d  SeOCl,  durch  EiDwirkung  von  Natrium äthjlat,  wie  auch  aus  Jod- 
jelenit  (vgl.  S.  226—227): 
SeO(O-Ag),  +  2J-C,H,  =  2ÄgJ  +  SeO(0-C,H,),; 

partieller  Zersetzung  bei  183 — 185°,  besitzt  das  spec.  Gew.  l-<9 
Wasser  in  aelenige  Säure  und  Alkohol  gespalten.  Das  Chlorid 
ligen  Säure  C,H,-0-SeO-CI  entsteht  bei  der  Einwirkung  von 
f  Selenylchlorid ;  Schmelzpunkt:  +10°,  Siedepunkt:  IIb". 

sftureester:  Von  grosser  Wichtigkeit  sind  die  Ester- 
ichwefelsäure  oder  AetherschwefelsSuren: 

C„H,„^.,-0-SO,OH; 
iht  durch  Mischen  der  primären  Alkohole  mit  concentrJrter 
gewonnen  werden  (secußdäre  und  tertiäre  Alkohole  liefern 
ihwefelsäuren) : 

B  +  ,-OH  +  OH. SO,. OH  =  H,0  +  OnH,„  ^.  ,OSO,OH; 
3t  niemals  ganz  vollständig*  (vgl,  S.  199);  das  Reactions- 

u.  Landmamn,  Ann.  241,  150. 
NEL,  Adu.  eh.  43,  77.  —  Milloh,  Ann.  eh.  [3]  18,  227.  —  Bebthblot. 
'  Claessom,  J.  pr.  [2]  10,  246. 


Aetherschwefelsäuren.  203 


gemisch  enthält  demnach  stets  neben  der  Alkylschwefelsäure  noch  Schwefel- 
säure; die  beiden  Säuren  sind  indess  leicht  von  einander  zu  trennen,  da 
alle  Salze  der  Alkylschwefelsäuren  —  also  auch  die  Calcium-,  Barium- 
und  Blei-Salze  —  leicht  in  Wasser  löslich  sind.  Man  braucht  daher 
nur  das  saure  Gemisch  mit  Calcium-,  Barium-  oder  Bleicarbonat  abzu- 
sättigen,  um  die  überschüssige  Schwefelsäure  in  Form  eines  unlöslichen 
Sulfats  niederzuschlagen,  während  das  entsprechende  ätherschwefelsaure 
Salz  in  Lösung  bleibt.  —  Aetherschwefelsäuren  können  femer  durch 
Eintropfenlassen  von  Alkoholen  in  kalt  gehaltene  Chlorsulfonsäure  ge- 
wonnen werden^: 

CjHj.OH  +  Ol.  SO,.  OH  =  HCl  +  CjHsOSOjOH. 

Aethylschwefelsäure  entsteht  auch  durch  Zusammentritt  von  Aethylen 
und  concentrirter  Schwefelsäure  (vgl.  S.  143): 

CH,:CHa  +  OHSOjOH  =  CH,  •  CH,  •  0  •  SO,  •  OH. 

Die  freien  Aetherschwefelsäuren  erhält  man  aus  ihren  Barium- 
salzen durch  vorsichtiges  Zersetzen  mit  der  genau  erforderlichen  Menge 
Schwefelsäure  oder  aus  den  Bleisalzen  durch  Zersetzen  mit  Schwefel- 
wasserstoflF  und  darauffolgendes  Eindunsten  der  Lösung  im  luftverdtinnten 
Baum.  Sie  reagiren  stark  sauer  und  lösen  sich  leicht  in  Wasser.  Ihre 
wässrige  Lösung  zersetzt  sich  langsam  beim  Aufbewahren,  rasch  beim 
Kochen  in  Schwefelsäure  und  den  entsprechenden  Alkohol: 

CjHeO.SOj.OH  +  HÖH  =  CjHjOH  +  OH-SO^OH. 

Die  ätherschwefelsauren  Salze  sind  meist  leichtlöslich  und  gut 
krystallisirbar.  Ihre  concentrirte  Lösung  erleidet  bei  anhaltendem  Kochen 
Zersetzung  in  Alkohol,  Schwefelsäure  und  Sulfat,  während  die  verdünnte 
Lösung  ohne  Zersetzung  gekocht  werden  kann.  Durch  Zusatz  einer 
kleinen  Menge  von  Alkali  oder  Alkalicarbonat  wird  die  Beständigkeit 
der  Lösungen  erhöht.  Sie  sind  mannigfacher  Umsetzungen  fähig,  bei 
welchen  der  Alkylrest  in  andere  Verbindungsformen  übertritt,  z.  B. : 

C.Hs-OSOj.OK  +  KSH  =  C^HeSH  -f  KOSOjOK; 
CsHgOSOjOK  +  KCN  =  CjHaCN  -f  KOSOjOK. 

Sie  wirken  demnach  genau  wie  die  Halogenalkyle  und  sind,  wie  diese, 
besonders  geeignete  Vermittler  zur  Uebertragung  der  Alkylreste.  Als 
solche  haben  namentlich  die  beiden  ersten  Glieder  der  Reihe  in  den 
älteren  Untersuchungen  eine  grosse  Bedeutung  gehabt;  viele  der  wichtigsten 
Methyl-  und  Aethylverbindungen  sind  zuerst  mit  Hülfe  der  methyl-  und 
äthylschwefelsauren  Salze  gewonnen  worden.  Gegenwärtig  werden  sie 
weniger  häufig  benutzt;  man  verwendet  zum  Zweck  der  Alkylirung  mei- 
stens —  in  den  höheren  Reihen  ausschliesslich  —  die  modellieren  Halogen- 
alkyle (vgl.  S.  185). 


^  Claessoh,  J.  pr.  [2]  19,  240  u.  245. 


l  Aethersdiicefelsäuren. 

Aus  den   äth  er  schwefelsauren   Salzen    entstehen    durch  Kinwirkuii!.' 

.  Phosphorpentachlorid   die   Chloride   der  Aetherschwefelsäuren 

r  Chlorsulfousäureester':  Cl-SOj-OC„Hj^^,.   Dieselben  bilden  sJcL 

im  Eintropfen  der  Alkohole  in  die  äiinivalente  Menge  Sulfiirj-l. 


der  Reactioii  zwischen  CMorsulfousäure  und  Alkoholen  trete» 
vemi  während  der  Mischung  nicht  abgekühlt  wird: 

CI-SOj.OlI  +  C,Hs  OH  =  11,0  +  CISO,  0-C,Hj. 
iwefelsäurechlorid   wird  am  bcijueinsten  durch  Vereinigung  von 

mit  Chloi'sulfonsäure 

CISO,OH  +  CH,  ;CH,  =  ClSOj-O-CH.-ClIj 
und   bildet   sicli  auch  reichlich  durch  Addition   von    Schwel'el- 
^'drid  zu  Chloräthyl: 

SO,  +  CiHjCl  =  ClSO,-OC,Hj. 
loride  sind   stechend   riechende  Flüssigkeiten,   welche   sich  nut 
11  der  Kälte  langsam,  mit  Alkoholen  augenbHcklich  unter  heftiger 
;  zersetzen. 

lylachwefelsfiure'  CUa'O.SO^-OlI  ist  eine  Slartige  Flüssigkeit,  welilii' 
cht  adhürirt,  bei  —30°  uitbt  erstarrt  uiiU  in  wasserfreiem  Aotlier  in  jedeui 
I  löslich  ist. 

lylschwcfelsäure»  CsH.vü-SU,-OiI.  Ihre  Salze  wurden  ewbon  ItfOi' 
'beobachtet.  Diu  freie  Säure  bililct  ciuen  in  Wasser  sehr  leicht  löslichen 
B  Kaliumsalz  rVU'SO.K  bildet  wasserfreie  monokliuc  Tafclu  uod  l&üsicb 
)-8  Tb.  Wasser;  das  CaU'iumsalz  (C,IU-SO,),Ca  +  211,0  löst  sich  bei  l^: 
,,  das  Bariumaalz  {C,HsSO,>,Ba  +  211,0  in  0-92  Th.  Wasser.  —  Dar- 

Auf  355  g  rohe  Schwefelsäure  giesst  man  vorsichtig  600  g  absuluieu 
Shrt  darauf  rasch  durch,  so  dass  eine  Temperaturerhöhung  auf  etwa  80— JHi' 
d  erwärmt  eiuige  Zeit  am  RückHusskühler  auf  dem  Wasserbade.  Xav'i 
rkaltcn  verdllont  man  nun  zunächst  mit  Eis,  dann  mit  ziemlich  viel  Waaüi'i' 
neidung  von  Temperatiu'erhöhung  und  neutraüsirt  mit  aufgeschlenimle"' 
rbonat  oder  IJleicarbonat.  Die  filtrirte,  das  Calcium-  oder  Bleisalz  ent- 
lösung  kann  man  durch  vorsichtigen  Zusatz  von  l\«numcarbonat  bis  zuni 
kalischer  Keaetion  in  eine  Lösung  des  Kaliunisalzos. verwaudoln,  welfh'' 
1  Filtration  von  dem  niedergeschlagenen  Carbonat  trennt  und  nach  Zu- 
wenig überschüssigem    Kaliumcarbouat  (zur  Erhöhung  der  Beständigkeit. 

HiJiiüK,  Ann.  88,  108.  —  Williamson.  J.  pr.  73,  74.  —  v.  Praooi.DT,  An"- 
Itcr.  6,  505.  —  MClleh,  Ber.  G,  228.  —  Behbend,  J.  pr.  [2]  15,  28.  -• 
J.  pr.  [2]  10,  231.  ' 

His  u.  l'tuoQt,  Ann.  15,  40.  —  Kane,  Ann.  20,  190.  —  Cwesfo/j»!-  P^- 
).  U 

I.  u.  A.  Sehulms,  Pogg.  15,  20,  —  JUiichanp,  Pogg.  32,  45i;  41,  5^5.  - 


Neutrale  Ester  der  Schwefelsäure  und  Selensäure,  205 


vgl.  S.  203)  bis  zur  Krystallifiation  eindampft.  —  Das  Aethylschwefelsäurechlorid 
(Chlorsulfonsäureäthylester)  Cl  •  SOj  •  0  •  CjHg  siedet  unter  gewöhnlichem  Druck  bei 
151 — 154^  unter  geringer  Zersetzung,  im  Vacuum  ganz  unzersetzt  und  besitzt  bei  0° 
das  spec.  Gew.  1-379. 

Amylschwefelsäure:  CgH,! •  0 •  SO, •  OH.  Es  sei  daran  erinnert,  dass  die 
Trennung  des  Gährungsamylalkohols  in  optisch  inactiven  und  activen  Amylalkohol 
durch  die  verschiedene  Löslichkeit  der  Bariumsalzc  der  beiden  Amylschwefelsäuren 
bewirkt  werden  kann  (vgl.  S.  164). 

Die  neutralen  Schwefelsäureester ^  803(0 •Cj^Hg^^j)^  bilden  sich 
beim  Erhitzen  der  Aetherschwefelsäuren: 

/O.CH3 
2S0j<  =  S0,(0H)2  +  SOj(0 .  CHs), ; 

auch  entstehen  sie  neben  den  Aetherschwefelsäuren  in  geringen  Mengen 
direet  bei  der  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure  auf  Alkohole, 
femer  unter  anderen  Produkten  durch  Einwirkung  von  Alkoholen  auf 
Chlorsulfonsäureester : 

C,H5.0.S0,.C1  +  CsHbOH  =  HCl  +  CjHgOSOj.O.CjHs. 

Glatter  bilden  sie  sich  durch  Umsetzung  zwischen  Silbersulfat  und 
Halogenalkylen.  —  Dimethylsulfat  (CH3)2SO^  siedet  unter  geringer 
Zersetzung  bei  187— 188^  spec.  Gew.  bei  18<^  1-327.  Diäthyl- 
sulfat  (C3Hß)2S04  siedet  bei  208^  und  erstarrt  bei  — 24-5^;  spec.  Gew. 
bei  19®  1-184.  Es  entsteht  auch  in  grosser  Menge  beim  Einleiten  von 
Schwetelsäureanhydrid  in  alkohol-  und  wasserfreien  Aether: 

SOs  +  OCCaHJj  =  SOsCO-C^H,),.  ~ 

Diese  Ester  sind  farblose,  in  Wasser  unlösliche  Oele  von  angenehmem, 
pfeffermünzähnlichem  Geruch;  mit  kaltem  Wasser  zersetzen  sie  sich  sehr 
langsam  unter  Bildung  von  Alkoholen  und  Aetherschwefelsäuren;  beim 
Erwärmen  mit  Alkoholen  entstehen  Aetherschwefelsäuren  und  Aether: 

mit  Ammoniak  und  Aminen  reagiren  sie  heftig  unter  Bildung  von  äther- 
schwefelsauren Aminsalzen. 

SelensSnreester:  Aus  Selensäure  und  Alkohol  ist  die  sehr  unbeständige  Aethyl- 
selensäure  CgIIg-O-SeOj'OH  erhalten  worden,  deren  Salze  mit  den  entsprechenden 
Sthjlfichwefelsauren  Salzen  zusaramenkrystallisiren  können*. 

3.    Ester  der  Stickstoffsäuren. 

Dlazoäthoxan^  (Aethylester  der  untersalpetrigen  Säure?) 
CgHj-O-N  =  N-O-CgHg  entsteht  durch  Einwirkung  von  Jodäthyl  auf  das 
Silbersalz   der  untersalpetrigen  Säure  AgjNgOg  (Nitrosylsilber).     Ob  die 

*  Wethkrill,  Ann.  66,  117.  —  Erlenmeyer,  Ann.  162,  378.  —  Stempnewsky, 
Ber.  11,  514.  —  Claesson,  J.  pr.  [2]  19,  243  u.  255.  —  Claesson  u.  Lundvall,  Ber. 
18,  1699.  —  ViLLHSRS,  Bull.  84,  26. 

•  Fabian,  Ann.  Suppl.  1,  244.  ^  Zorn,  Ber.  11,  1630. 


206  Diaxoäthoxan,     Älkylniirite. 


Verbindung  ein  wirklicher  Ester  der  untersalpetrigen  Säure  ist,  muss 
indessen  als  zweifelhaft  bezeichnet  werden,  da  es  nicht  gelungen  ist, 
durch  Verseifung  daraus  wieder  Hyponitrite  zu  regeneriren.  Sie  stellt 
eine  farblose,  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit  von  angenehm  ätherischem 
Geruch  dar,  welche  specifisch  leichter  als  Wasser  ist  und  schon  bei  ge- 
ringer Temperaturerhöhung  (45^)  und  durch  mechanische  Erschütterung 
mit  grösster  Heftigkeit  explodirt.  Ihre  Moleculargrösse  ist  durch  die 
Dampfdichte-Bestimmung  (unter  vermindertem  Druck)  festgestellt.  Durch 
Reduction  wird  sie  in  Stickstoff  und  Alkohol  gespalten: 

CjHg.ONiNOCjHs  +  2H  =  Ns  +  20^. OH. 

Bei  gelindem  Erwärmen  mit  Wasser  zersetzt  sie  sich  unter  Entwickelung 
von  Stickstoff  und  Bildung  von  Alkohol  und  Aldehyd: 

Diese  Zersetzungen,  welche  an  das  Verhalten  der  aromatischen  Diazo- 
verbindungen  erinnern,  machen  die  Structurformel  C2Hg-0-N:N0-CjH5 
sehr  wahrscheinlich. 

Ester  der  salpetrigen  Säure  (Alkylnitrite)  C^Hj^^j-ONO: 
Man  erhält  sie  am  besten  direct  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure 
auf  die  Alkohole,  z.  B. : 

2CJH5.OH  +  NjOa  =  2C2H5.ONO  +  HjO; 

man  leitet  entweder  gasförmige  salpetrige  Säure  in  den  betreffeoden 
Alkohol  ein,  oder  man  mischt  den  Alkohol  mit  Schwefelsäure,  lässt 
dieses  Gemisch  zu  einer  Natriumnitrit-Lösung  fliessen  und  auf  diese 
Weise  die  salpetrige  Säure  sich  in  Gegenwart  des  Alkohols  entwickeb. 
Die  Alkylnitrite  entstehen  auch  zugleich  mit  den  ihnen  isomeren  Nitro- 
kohlen Wasserstoffen  C^Hg^^j-NOg  bei  der  Umsetzung  zwischen  Halogen- 
alkylen  und  Silbernitrit  (s.  S.  253).  Auch  bei  der  Einwirkung  von 
Salpetersäure  auf  Alkohole  bilden  sie  sich  stets  neben  anderen  Produkten, 
da  die  Salpetersäure  einen  Theil  des  Alkohols  oxydirt  und  hierbei  selbst 
zu  salpetriger  Säure  reducirt  wird,  welch  letztere  nun  mit  einem  an- 
deren Theile  des  Alkohols  den  Salpetrigsäure-Ester  bildet.  —  Die  Alkyl- 
nitrite sind  leicht  flüchtige  Flüssigkeiten  (Methylnitrit  ist  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  gasförmig)  von  augenehm  obstartigem  Geruch,  welche 
sich  in  Wasser  nicht  lösen  und  mit  heller  weisser  Flamme  verbrennen. 
Durch  Alkalien  werden  sie  leicht  zu  Alkoholen  und  Nitriten  verseift: 

CjHsO-NO  -h  KOH  =  CjHßOH  +  KONO; 

bei  der  Reduction  liefern  sie  neben  Alkoholen  Ammoniak  oder  Hydro- 
xylamin.  Da  sie  ihre  salpetrige  Säure  leicht  abgeben,  werden  sie 
in  vielen  Reactionen  anstatt  freier  salpetriger  Säure  verwendet  (z.  B. 
zur  Darstellung  von  Nitroso-  und  Diazo-Verbindungen).  Bemerkens- 
werth  ist,  dass  Amylnitrit  die  weniger  kohlenstofifreichen  Alkohole 
ziemlich    vollständig   in   ihre   Salpetrigsäureester   überführt;    so    setzen 


Älkylnürate.  207 


sich  z.  B.  Amylnitrit  und  Methylalkohol  mit  einander  in  Amylalkohol 
und  Methylnitrit  um^: 

CsHu-ONO  +  CHg-OH  =  CftHu-OH  +  CHgONO. 

Die  Eigenschaften  der  einzelnen  Alkylnitrite  s.  in  der  Tabelle  Nr.  8  auf 
S.  208.  Aethylnitrit  und  Amylnitrit  finden  beschi-änkte  Verwendung  in 
der  Pharmacie. 

Darstellung  von  Aethylnitrit*.  Zu  einer  abgektlhlten  Mischung  von  32ccm 
Alkohol  und  32ccm  Wasser  gicbt  man  13-5  ccm  Schwefelsäure  und  verdünnt  auf 
120  0003;  diese  Mischung  lässt  man  langsam  zu  einer  von  einer  Kfiltemischung 
umgebenen  Losung  von  34« 5  g  Natriumnitrit  in  120  com  Wasser  fliessen.  Man 
trocknet  den  abgehobenen  Ester  über  Chlorcalcium  und  reinigt  ihn  eventuell  durch 
Destillation. 

Darstellung  von  Amylnitrit'.  Man  fügt  ein  Gemisch  von  30  Th.  Schwefel- 
säure and  30  Th.  Amylalkohol  zu  einer  Lösung  von  21  Th.  Natriumnitrit  in  15  Th. 
Wasser  und  destillirt 

Ester  der  Salpetersäure  (Alkylnitrate)  C^Hg^^i-O-NOg:  Die- 
selben entstehen  bei  der  Einwirkung  von  concentrirter  Sailpetersäure  auf 
die  Alkohole: 

CnH,a  +  iOH  +  OH. NO,  =  H,0  +  CnH,„  ^lONO,; 

es  ist  indessen  nothwendig,  die  störende  Wirkung  der  salpetrigen  Säure, 
welche  infolge  von  Oxydationswirkungen  der  Salpetersäure  auftritt  (vgl. 
S.  206),  zu  verhindern;  man  setzt  zu  diesem  Zwecke  dem  Gemisch  von 
Alkohol  und  Salpetersäure  eine  gewisse  Menge  von  Harnstoff  C0(NH2)a 
zu,  welch  letzterer  die  salpetrige  Säure  infolge  der  Umsetzung: 

CO(NH,),  +  2HN0,  =  3H,0  +  CO,  +  2N, 

zerstört.  Auch  durch  Eintropfen  der  Alkohole  in  ein  mit  Eiswasser  ge- 
kühltes Gemisch  von  Salpetersäure  mit  dem  dreifachen  Volum  concentrirter 
Schwefelsäure  unter  beständigem  Umrühren  können  die  Alkylnitrate  ge- 
wonnen werden.  —  Dieselben  sind  bewegliche,  farblose  Flüssigkeiten 
von  angenehmem  Geruch;  ihr  Siedepunkt  liegt  bedeutend  höher  wie  der- 
jenige der  entsprechenden  Nitrite  (s.  die  Tab.  Nr.  8  auf  S.  208).  Angezündet 
brennen  sie  mit  weisser  Flamme;  über  ihren  Siedepunkt  erhitzt,  zersetzen 
sie  sich  unter  heftiger  Explosion;  man  muss  daher  bei  ihrer  Destillation 
vorsichtig  verfahren  und  Ueberhitzung  vermeiden.  —  Bei  der  Reduction 
mit  Zinn  und  Salzsäure  liefern  sie  Hydroxylamin: 

CjHj.ONO,  +  3H,  =  CaHg.OH  +  OHNH,  +  H,0. 

Methylnitrat:  CHg-O-NO,  ist  eine  Zeit  lang  für  Zwecke  der  Parbenindustrie 
in  grossem  Masastab  gewonnen  worden;  seine  technische  Darstellung  ist  indess  infolge 
von  mehreren  verheerenden  Explosionen  wieder  aufgegeben  worden*. 


»  Beotoxi,  Ber.  16,  786;  17  o,  251;  20  o,  209;  22  o,  240. 

*  DüxsTAN  u.  Dymond,  Ber.  21  o,  515. 
»  Rexnard,  Jb.  1874,  352. 

*  Vgl.  Gibard,  Chem.  Centralblatt  1876,  561. 


208  Tabdlarische   UebersicIU  über  die  Mkyl-NitrUe  und  -Nitrate. 

Daratellang  tod  Äethylnttrat '.  200g  reine  S&lpetereäure  vom  spec.Gei. 
1-4  werden  mit  2  g  salpcterBaurem  Harnstoff  aufgekocht,  dano  wieder  abgekähli  nn'i 
mit  l&Og  abBolutcm   Alkohol   vermischt.     Das   Gemisch   wird  nach   Zusatz  von  .^<>: 
Harnstoff  aus  dem   Wasserbade  bis  auf  etwa  ein  Drittel  abdt^tillin. 
'"itand  läaat  man  dann  ein   stets  frisch   bereitetes  Gemisch  von  4  T)i. 
,  Harnstoff  aufgekochter  Salpetersäure  und  3  Th,  Alkohol  iu  dcmsoll^ii 
,   als  Flüssigkeit  abdestillirt;   der   ursprüngliche  Zusatz   von   Harnsluc 
innung  von  2 — R   Kilo   Aelhylnitrat   aus.     Letzteres  scheidet  man  xa^ 
■ölhaltigen  Destillat  durch  ZdebIz  von  Wasser  ab,  wäscht  es  mit  Wa.4>«r 
hlorealtium  und  rectificirt  aus  dem  Wasserhade. 
ieude  Tabelle  enthält  die  Siedepunkte  und  specifischeu  Gc- 
T  Nitrite  und  Nitrate. 


Tabe 

He  Nr.  8. 

Nitrit. 

Nitrat. 

.      Siede- 

Spccifischcs 

Siede-       Specifisches 

punkt 

Gewicht. 

punkt.        Gewicht. 

..... , 

—12" 

^'^  - 

-K66"     '    1-182(22°) 

-1.15 

+  170 

0-900(15-5") 

87»         1-109(20»1 

>rm.)-'— "■" 

hl" 

0-998  (0°) 

110-5°         1058(20»J 

■"     .     .     . 

45" 

0-856(0") 

101-5"         1-054(0'') 

™»««,; 

75" 

0-911  (0») 

—                    — 

67" 

0-908(0») 

123°         1-015{20'') 

-'*... 

68»         0.898(0'') 

—                    — 

■i-"» .  . 

63»         0-892(0'') 

—                    — 

■">■■'—"■»' , 

94—95» 

0-902 

147-148» 

0-999  (20  "J 

!-"   .     .     . 

92" 

0-903  (0") 

- 

- 

.lyl-"    .     . 

155» 

0-894  (0») 

_ 

_ 

J-1-"      .    . 

176" 

0-862(17») 

^        1            _ 

Cetylnitrat"  erstarrt 

bei  -H 

10—12». 

i  der  Tabelle  Nr.  8:  '  Strökkii,  Ann.  91,  82.  —  '  Dcma.s  u.  Pficioin. 
■  '  C.  Lea,  Jb.  1862,  387,  -  '  Dl-mas  u.  Bopleav,  Ann.  eh.  [2]  37. 
US,  Ann.  126,  71.  —  «Brown,  Jb.  1856,  575.  —  '  Milios,  Ann.  47. 
Ann.  98,  367.  —  •  Lüivenuebz,  Ber.  23,  2180.  —  »°  CAHorR.",  C<m\'\. 

—  "  Pkibkam  und  Hakdl,  Monatsh.  2,  655,  658.  —  "  Wallach  uiil 
14,  421.  —  "Silva,  Bull.  12,  226.  -  "  Bewtom,  Ber.  19  c.  98;  20c. 

-  "  Chai-man  n.  Smith,  Ztechr.  Chcm.  1868,  172;  1869.  433-  - 
Ann.  ISO,  155.  —  "  Balabu,  Ann.  52,  315.  —  "  Hjloeb,  Jb.  1874, 
iRiE,  Ann.  lU,  82.  —  "■  Chapman-,  Ztechr.  Cliem.  1866,  570;  1867, 
HBit,  Jb.  1847/48,  699.  -    "  W.  Hofmanx,  J.  pr.  45,  3,13.  —  »Wiiw- 

-  "  Eichleb,  Ber.  12,  1887.  -  "  Chaih-i.,n,  Ztschr.  Cliem.  1871,  <«!'■ 
.  Thofpi,  Jb.  1883,  853.  —  "  Dcnmtan,  Ber.  32  0,  345. 


Ann.  Siippl.  6,  220.  —  \'^\.  auch  Bektoni,  Jb.  1876,  333. 


Ester  der  Säuren  des  Phosphors.  209 


4.    Ester  der  Säuren  des  Phosphors  und  Arsens. 

Die  neutralen  Ester  der  phosphorig:enSänre(Alk7lphosphite)^  P(0- €„112^^.1)3 
entstehen  durch  Einwirkung  von  Phosphortrichlorid  auf  Natriumalkylate : 

PCls  +  3NaO.C^H,„  +1  =  PCO-C^Hg^  +  ^8  +  3NaCl. 

Triäthylphosphit:  PCO-CjHg)«  siedet  bei  191  <>,  besitzt  bei  \b^  das  spec.  Gew.  1-075, 
riecht  angenehm  ätherisch  und  geht  leicht  durch  freiwillige  Oxydation  in  Triäthjiphos- 
phat:  P0(0 -0,115)8  über.  —  Beim  Eintragen  von  Phosphortrichlorid  in  Alkohole 
entstehen  sehr  unbeständige  Estersäuren',  monalkylphosphorige  Säuren 
(C„H,„  +  ,-0)P(OH)„z.B: 

POlg  +  SOsHj-OH  =  (OaHa.O)P(OH)j  +  20,H6.01  +  HOL 

Sie  sind  isomer  mit  den  Phosphinsäuren  (OnHj^  ^  j)PO(OH),  (vgl.  S.  265).  —  Ihre 
Chloride*:  (O^Han  +  ^ - 0)P01j  bilden  sich,  wenn  man  Alkohole  in  die  äquivalente 
Menge  Phosphortrichlorid  einiliessen  lässt: 

P0l8  +  OH-OA  =  HOl  +  PClsO-OsHg. 

Das  Aethoxylphosphordichlorid  (Aethylphosphorigsäure-Ohlorid):  P01j(0-02H5) 
siedet  bei  117°  nnd  wird  von  Wasser  heftig  unter  Bildung  von  phosphoriger  Säure, 
Salzsäure  und  Alkohol  zersetzt.  —  Diäthylphosphorige  Säure*:  (0sH5-0)jP-0H 
entsteht  durch  Auflösen  von  Phosphoroxyd  (P^Og)  in  Alkohol,  wobei  eine  heftige,  durch 
starke  Abkühlung  zu  mässigende  Reaction  eintritt;  sie  bildet  eine  farblose,  schwach  saure, 
knoblauchartig  riechende  Flüssigkeit,  deren  Dampf  giftig  wirkt;  im  Kohlensäurestrom 
siedet  sie  ohne  Zersetzung  bei  184  — 185**;  ihr  spec.  Gew.  beträgt  1-075  bei  15- 5^ 
Von  Wasser  wird  sie  leicht  in  Alkohol  und  phosphorige  Säure  zersetzt. 

Ester  der  Unterphosphorsttnre'^,  wie  z.  B.  (0sHg)4Ps0e,  sind  durch  Einwirkung 
von  Jodalkylen  auf  unterphosphorsaures  Silber  erhalten  worden.  Es  sind  dicke,  farb- 
lose Flüssigkeiten,  welche  nicht  unzersetzt  destillirt  werden  können  und  beim  Kochen 
mit  Wasser  in  Alkohol,  phosphorige  Säure  und  Phosphorsäure  zersetzt  werden. 

Ester  der  PhosphorsSnre^:  Bei  der  Einwirkung  von  starker  Phosphorsäure 
oder  von  Phosphoroxychlorid  (POOl,)  auf  Alkohole  bilden  sich  je  nach  den  Mengen- 
verhältnissen und  Bedingungen  der  Einwirkung  Monoalkylphosphorsäuren 
(CaHtB  +  i-0)PO(OH)„  Dialkylphosphorsäuren  (O^Hsn  +  1  •  0)jPO •  OH  oder  Tri- 
al ky Iphosphate  (OqÜ^q  ^.  |  - 0)gPO.  Die  Estersäuren  sind  syrupöse,  geruchlose 
Fläasigkeiten,  ihre  Salze  sind  krystallisirbar;  die  Salze  der  Dialkylphosphorsäuren  sind 
leichter  löslich  als  diejenigen  der  Monoalkylphosphorsäuren.  Die  neutralen  Ester, 
welche  auch  durch  Einwirkung  von  Halogenalkylen  auf  phosphorsaures  Silber  ent- 
stehen, sind  destillirbare  Flüssigkeiten.  Trimethylphosphat  PO(0-OH8)8  siedet 
bei  lö7.2<>und  besitzt  d.  spec.  Gew.  1-2378  bei  0<>;  Triäthylphosphat  POCO-OÄ)« 
siedet  bei  215®  und  besitzt  bei  12®  das  spec.  Gew.  1-072. 


^  Kailtok,  Ann.  92,  348.  —  Zixmermakk,  Ann.  175,   8.  —  Wichelhaüs,  Ann. 
SappL  6,  262.  —  Geuther,  Ann.  224,  274.  —  Jahne,  Ann.  266,  269. 
'  WüiETz,  Ann.  58,  72.  —  Schiff,  Ann.  108,  164. 
'  Menschütkik,  Ann.  189,  343.  —  Ohambon,  Jb.  1876,  205. 

*  Thorpe  u.  North,  Joum.  Soc.  57,  634. 

*  Sauger,  Ann.  282,  8. 

*  Lassaigke,  Ann.  eh.  18,  294  (1820).  —  Pelouze,  Ann.  6,  129.  —  Liebig,  Ann. 
6.  149.  —  VöQEU,  Ann.  69,  180.  —  Olermont,  Ann.  91,  375.  —  Schiff,  Ann.  101,  306; 
los,  334.  —  LmpRicHT,  Ann.  184,  347.  --  Geuther  u.  Brockhoff,  J.  pr.  [2]  7,  101. 
—  Cabius,  Ann.  137,  121.  —  Ohurch,  Jb.  1865,  472.  —  Wichelhaus,  Ann.  Suppl. 
6,  262. 

T.  MxTXB  Q.  Jacobson,  org.  Chem.  L  14 


210  Arsenigsäure-,  Ärsensäure-,  Borsäure-,  Kieselsäure-Ester, 

Aus  pyTophoephorsaurem  Silber  und  Jodfithyl  ist  Tetraäthylpjrophosphat 
(C,H5'0)4P808  als  eine  z&he  Flüssigkeit  vom  spec.  Gew.  1'172  bei  17®  erhalten. 

Die  neutralen  Ester  der  arsenigren  Säure  ^  (OaHaQ  ^.  ^  •  0), As  wurden  aus 
arsenigsaurem  Silber  und  Halogenalkjlen  erhalten ,  ebenso  aus  arsensaurem  Silber 
und  Halogenalkjlen  die  neutralen  Ester  der  ArsensSnre^  (0^11,^  ^.  i-0)sA80. 
Estersäuren,  welche  sich  von  der  arsenigen  Säure  oder  der  Arsensäure  ableiten,  sind 
nicht  bekannt  Triäthylarsenit  kaiO'C^K^  siedet  bei  165 — 166®  und  besitzt  bei 
0®  das  spec.  Gew.  1'224.  Triäthylarseniat  AsO(0-C2H5)8  siedet  unter  60  mm  Druck 
bei  149®;  spec.  Gew.  bei  0®:  1-326. 

5.    Borsäureester^. 

Die  neutralen  Alkylborate  B(0  •  CqHsq  ^  i\  entstehen  durch  Einwirkung  von 
Bortrichlorid  auf  Alkohole,  bei  der  Destillation  von  Borax  mit  ätherschwefelsauren 
Salzen  und  durch  Erhitzen  von  Borsäureanhydrid  mit  Alkoholen.  Sie  sind  untersetzt 
flüchtig  (Trimethylborat  siedet  bei  65®,  Triäthylborat  bei  120®),  brennen  mit 
grüner  Flamme  (es  beruht  hierauf  der  bekannte  Nachweis  der  Borsäure  durch  Flammen- 
färbung) und  werden  durch  Wasser  sofort  in  Borsäure  und  Alkohole  zersetzt.  Beim 
Erhitzen  mit  Borsäureanhydrid  liefern  sie  die  nicht  unzersetzt  flüchtigen  symposen 
Alkylmetaborate:  {BOCO-C^Hsa  +  OU- 

6.    Kieselsäureester®. 

Bei  der  Einwirkung  von  Chlorsilicium  auf  Alkohole  entstehen  zugleich  Tetra- 
alkylsilieate  Si(0 •  CttHj^  + 1)4  und  Hexaalkyldisilieate  Si,0(0CnH,a  +  i)6;  Tetra- 
äthylsilicat  siedet  bei  165®,  Hexaäthyldisilicat  bei  235—237®.  Durch  Wasser  wer- 
den diese  Ester  allmählich  unter  Abscheidung  von  Kieselsäure  zersetzt.  Sie  sind  leicht 
entzündlich,  verbrennen  mit  glänzend  weisser  Flamme  und  besitzen  angenehmen 
Geruch.  Aus  den  Tetraalkylsilicaten  entstehen  durch  Erhitzen  mit  Siliciumchlorid 
je  nach  den  angewendeten  Mengenverhältnissen  die  unzersetzt  flüchtigen  Chloride: 
SiCl(0.C„H,a  +  i)8,  SiCl,(O.CnH,„+i),  oder  SiCUO-C^Hs^  + »);  bei  der  Ein- 
wirkung von  Alkoholen  tauschen  dieselben  ihr  Chlor  wieder  leicht  aus,  und  es  können 
daher  mit  ihrer  Hülfe  gemischte  Alkylsilicate,  wie  z.  B.  Si(0  •  C2H5XO  •  CH,),  erhalten 
werden. 

Ueber  Ester  der  Kohlensäure  vgl.  d.  Kapitel:  „Kohlensäurederivate". 

^  Crafts,  Bull.  14,  99.  —  Schiff,  Ann.  111,  370. 

*  Ebelhen  u.  Boüa^TET,  Ann.  60,  251.  —  Rose,  Jb.  1856,  574.  —  Schiff,  Ann. 
Suppl.  5,  154.  —  Fbanklakd,  Ann.  124,  131. 

*  Ebelhen,  Ann.  57,  331.  —  Klipfert,  Ber.  8,  713.  —  Fmedel  u.  Cbaffts,  Ann. 
eh.  [4]  9,  5.  —  Friedel  u.  Ladenbüro,  Ann.  147,  362.  —  Cahoürs,  Jb.  1874,  349,  497. 


Uebersicht  über  die  schwefelhaltigen  Verbindungstypen.  211 


Viertes  Kapitel. 

Alkylverbindungen,  deren  Alkylrest  an  Schwefel  (Selen  oder 

Tellur)  gebunden  ist. 

(Mercaptane,  Sulfide',  Snlfin Verbindungen,  Di-  und  Polysulfide,  Sulfozyde  und  Sulfone, 
Sulfosäuren  und  Thiosulfosäuren,  Thioschwefelsäuren,  Sulfinsäuren.) 


Uebersicht  über  die  schwefelhaltigen  Verbindungstypen: 
Werden  im  SchwefelwasserstoflF  nach  einander  die  beiden  Wasserstoflf- 
atome  durch  Alkylreste  vertreten,  so  entstehen  die  Verbindungsformen: 

"""""  "  >  und  '''^''"  "  > 

Die  Verbindungen  der  ersteren  Form  können  als  Alkylsulfhydrate, 
diejenigen  der  letzteren  Form  als  Alkylsulfide  bezeichnet  werden, 
entsprechend  den  anorganischen  Schwefelwasserstoff- Abkömmlingen  NaSH, 
Natriumsulfhydrat,  und  NajS,  Natriumsulfid.  Man  erkennt  in  ihnen  sofort 
die  schwefelhaltigen  Analoga  der  Alkohole  und  Aether;  Alkylsulfhydrate 
sind  Thioalkohole,  Alkylsulfide  sind  Thioäther;  die  Sulfhydrate  werden 
gewöhnlicher  Mercaptane  genannt  (Begründung  dieses  Nafdens  s.  S.  214). 
Entspricht  nun  auch  die  Constitution  der  Mercaptane  und  Sulfide 
vollkommen  derjenigen  der  Alkohole  und  Aether,  und  ist  daher  das 
Verhalten  der  beiden  Körperklassen  in  vielen  Stücken  ein  gleichartiges, 
so  sind  doch  andererseits  die  schwefelhaltigen  Verbindungen  zu  manchen 
Umwandlungen  fähig,  welche  an  ihren  sauerstoffhaltigen  Constitutions- 
Analogen  nicht  ausgeführt  werden  können.  Diese  Verschiedenheit  ist 
bedingt  durch  die  Neigung  der  Schwefelatome,  sich  mit  einander  zu  ver- 
ketten, und  durch  ihre  Fähigkeit,  eine  höhere  Valenz  anzunehmen.  Beide 
Umstände  ermöglichen  die  Existenz  von  eigenartigen  schwefelhaltigen 
Verbindungsklassen,  welche  im  Folgenden  einer  kurzen  Uebersicht  unter- 
zogen werden  sollen. 

Wenn  Alkohole  oder  Aether  Oxydationswirkungen  ausgesetzt  werden, 
so  erstreckt  sich  die  Oxydation  sofort  auf  den  Alkylrest;  die  Oxydations- 
produkte  —  Aldehyde,  Ketone,  Carbonsäuren  —  enthalten  nicht  mehr 
denselben  Alkylrest,  welcher  in  der  Ausgangssubstanz  mit  Sauerstoff  in 
Verbindung  stand.  Die  entsprechenden  Schwefelverbindungen  dagegen 
können  infolge  der  erwähnten  Umstände  in  eine  Eeihe  von  Oxydations- 
stiifen  übergehen,  welche  den  Alkylrest  noch  ganz  unverändert  enthalten; 
die  Wirkung  des  Oxydationsmittels  richtet  sich  bei  ihnen  zunächst 
lediglich  auf  das  Schwefelatom  bezw.  das  damit  verbundene  Wasserstoff- 
atom.  So  entstehen  durch  gelinde  Oxydation  der  Mercaptane  die  sehr 
bestandigen  Disulfide: 

14* 


212  Ueber sieht  über  die  schwefelhaltigen   Verbindungsiiff>en. 


indem  das  Oxydationsmittel  das  Wasserstofifatom  der  SH-Gnippe  ent- 
fernt, und  zwei  Reste  C^Hga^i'S —  an  einander  kettet.  Analoge  Sa uei- 
Stoffverbindungen  C^Hg^  +  i '  ^  —  0  •  C^Hg^  ^  ^  wären  bei  den  Valenz- 
verhältnissen des  Sauerstoffs  allerdings  noch  denkbar,  sind  aber  bisher 
nicht  erhalten  worden.  Sie  w^ären  als  Alkylsuperoxyde  zu  bezeichnen 
und  voraussichtlich  im  Gegensatz  zu  den  Disulfiden  sehr  unbeständige 
Verbindungen,  wie  die  entsprechende  Wasserstoffverbindung,  das  Wasser- 
stoffsuperoxyd HO  — OH  (vgl.  auch  Acetylsuperoxyd  in  Kap.  10). 

Bei  energischerer  Oxydation  der  Mercaptane  treten  an  das  Schwefel- 
atom, indem  letzteres  vier-  oder  wahrscheinlicher  sechswerthig  Trird. 
Sauerstoffatome  heran;  es  entstehen  die  Sulfon säuren: 

IV    0  VI  .0 

CnH,n  +  1  -Sfo     >   bezw.  C„H,^  +  ^  S^^O    , 

Derivate  der  unsymmetrischen  schwefligen  Säure  H  — SOg  — OH,  in 
welchen  das  an  Schwefel  gebundene  Wasserstoffatom  durch  Alkylreste 
vertreten  ist. 

Ebenso  zieht  das  Schwefelatom  der  Sulfide  bei  energischer  Oxydation 
unter  Annahme  einer  höheren  Valenz  —  der  Vier-  oder  wahrscheinlicher 
der  Sechswerthigkeit  —  Sauerstoffatome  an  sich;  so  entstehen  die  Sul- 
fone: 

bei  gelinderer  Einwirkung  des  Oxydationsmittels  bleibt  die  Sauerstoff- 
anlagerung nach  Erreichung  der  Vierwerthigkeit  auf  der  Stufe  der 
Sulfoxyde: 


CnH.n  +  IV   IV 


S  =  0 


^n"2tt  +  1 


stehen. 

Die  Neigung  des  Schwefelatoms,  höhere  Werthigkeit  anzunehmen, 
kann  nun  nicht  nur  durch  Heranziehung  von  Sauerstoffatomen,  sondern 
auch  durch  Anlagerung  anderer  Atome  oder  Atomgruppen  befriedigt 
werden.  So  entstehen  aus  Sulfiden  durch  Addition  von  Halogenalkylen 
die  durch  besonders  merkwürdige  Eigenschaften  ausgezeichneten  S ulfin- 
Verbindungen: 

^nll2n  +  i\       /^nll2n  +  i 

CmH2m  +  /      H:Jl(Br,J). 

Unter  den  schwefelhaltigen  Verbindungen  mit  an  Schwefel  gebundenem 
Alkylrest  sind  endlich  die  esterartigen  Abkömmlinge  solcher  Säuren  des 
Schwefels,  welche  W^asserstoff  an  Schwefel  direct  gebunden  enthalten, 
zu  nennen.  Als  Abkömmlinge  der  unsymmetrischen  schwefligen  Säure 
H-SO^-OH  wurden  die  Sulfonsäuren  C^Hg^^^j-SOj-OH  bereits  erwähnt. 


Mercapiane  (Bildungsiveisen),  213 


Von  der  unterschwefligen  Säure  HS- SOg- OH  leiten  sich  die  Alkylthio- 
schwefelsäuren: 

^nl^an  +  rS-SOj-OH, 

IV  VI 

von  der  hydroschwefligen  Säure  H-SO-OH  bezw.  H-SOg-H  die  Alkyl- 

sulfinsäuren: 

rv  VI 

CnHjn  +  i-SOOH  bezw.    C^Hja  +  » •  SO, ■  H 
ab. 

1.   Hereaptane  oder  Alkylsulfhydrate,  Thloalkohole. 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hgn  +  i'SH. 

Blldnngsweisen.  Aus  den  entsprechenden  Alkoholen  können 
die  Mercaptane  durch  Austausch  des  Sauerstoffs  gegen  Schwefel 
erhalten  werden.  Dieser  Austausch  wird  hier,  wie  in  vielen  anderen 
Fällen,  durch  Erhitzen  mit  Schwefelphosphor  bewirkt  (KEKULfi^).  Doch 
verläuft  diese  Umsetzung  nicht  glatt  (das  Mercaptan  bildet  sich  dabei 
durch  weitere  Zersetzung  primär  entstandener  Alkylthiophosphate  ^,  und 
die  Reaction  bildet  daher  nicht  eine  praktische  Darstellungsmethode  der 
Ifercaptane. 

Aus  den  Halogenalkylen  erhält  man  die  Mercaptane  leicht  durch 
Einwirkung  von  alkoholischem  Kaliumsulfhydrat: 

CgHjCl  +  KSH  =  KCl  +  CjHsSH. 

Nach  dieser  Reaction  wird  gegenwärtig  Aethylmercaptan  in  sehr  grossem 
Massstabe  fabrikmässig  gewonnen  (vgl.  S.  216);  man  erhitzt  zur  Flüssig- 
keit condensirtes  Chloräthyl  mit  einer  concentrirten  Lösung  von  Kalium- 
solfhydrat  in  stark  wandigen,  geräumigen  Druckgefässen  aus  Metall  im 
Wasserbade  und  destillirt  darauf  das  gebildete  Mercaptan  aus  dem 
Wasserbade  ab. 

Im  Laboratorium  bereitete  man  Mercaptan  bisher  meist  durch 
Destillation  von  ätherschwefelsauren  Salzen  mit  wässrigem 
Kaliumsulfhydrat: 

CjHs.OSOjOK  +  KSH  =  CjHg.SH  +  SO^COK),. 

Eis  ist  zweckmässig,  in  concentrirter  Lösung  und  mit  einem  grossen 
üeberschuss  von  Kaliumsulfhydrat  zu  arbeiten.  Man  braucht  nicht  von 
reinen  krystallisirten  ätherschwefelsauren  Salzen  auszugehen,  sondern 
kann  die  erforderliche  Lösung  bereiten,  indem  man  den  betreffenden 
Alkohol  mit  concentrirter  Schwefelsäure  mischt,  nach  dem  Erkalten  ver- 
dünnt, mit  Sodalösung  schwach  alkalisch  macht,  die  alkalische  Lösung 
stark  concentrirt  und  nun  die  grösste  Menge  des  Glaubersalzes  aus- 
krystallisiren  lässt.  Die  Mutterlauge,  welche  das  ätherschwefelsaure 
Natriumsalz  neben  Glaubersalz  enthält,   wird  nun  nochmals  durch  Ein- 


^  Ann.  90,  311. 

*  Vgl  Cabius,  Ann.  112,  195;  119,  289.  —  Kovalewsky,  Ann.  119,  303. 


214  Mercapla^ie  (allgemeine  Charakteristik). 


dampfen  concentrirt,  mit  einer  mit  Schwefelwasserstoff  gesättigten  Lösung 
von  1  Th.  Kali  in  2  Th.  Wasser  gemischt,  und  die  Mischung  destillirt^. 
Theoretisch  interessant  (vgl.  S.  222)  ist  die  Bildung  von  Mercap- 
tanen  durch  Reduction  der  Alkylsulfochloride*: 

CjHj.SOsCl  +  6H  =  CjHfiSH  +  2H,0  +  HCl. 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  Mercaptane  sind  flüchtige  Flüssig- 
keiten (Methylmercaptan  ist  bei  Zimmertemperatur  gasförmig),  deren 
Siedepunkt  erheblich  niedriger  liegt,  als  derjenige  der  entsprechenden 
Alkohole.  In  Wasser  sind  sie  kaum  löslich,  in  Alkohol  und  Aether  leicht 
löslich;  die  hochmolecularen  Glieder  sind  krystallisirbar.  Die  Mercaptane 
—  namentlich  diejenigen  der  niederen  Reihen  —  besitzen  einen  höchst 
widerwärtigen  und  durchdringenden  Geruch.   Vom  Aethylmercaptan  reicht 

noch  eine  Quantität  von  yfi/^  7.^.^  ^^^^/^  °^g   zur   Geruchswahmehmung   aus^; 

diese  Menge  ist  etwa  250  mal  geringer  als  die  kleinste  durch  die  Spek- 
tralanalyse erkennbare  Natriummenge. 

Die  Mercaptane  besitzen  schwachen  Säurecharakter,  welcher  auf  der 
Vertretbarkeit  des  Wasserstoffatoms  der  SH-Gruppe  durch  Metallatome 
beruht;  man  nennt  die  so  entstehenden  Salze*  „Mercaptide".  Die 
Mercaptide  der  Alkalimetalle,  wie  CgHg-SNa,  sind  in  Wasser  leicht 
löslich;  infolge  ihrer  Bildung  lösen  sich  daher  die  Mercaptane  in  wäss- 
rigen  Alkalien  auf  und  werden  aus  dieser  Lösung  durch  Ansäuern  wieder 
gefällt.  Dies  Verhalten  unterscheidet  sie  scharf  von  den  Alkoholen, 
welche  zwar  auch  ein  durch  Metallatome  vertretbares  Wasserstoffatom 
besitzen,  deren  saure  Natur  aber  nicht  ausreicht,  um  die  in  Wasser 
unlöslichen  Glieder  —  wie  z.  B.  den  Amylalkohol  —  in  Alkalien  lös- 
lich zu  machen.  Die  Mercaptide  der  Alkalimetalle  sind  indess  nicht 
sonderlich  beständig;  durch  viel  Wasser  werden  sie  in  der  Kälte  theil- 
weise,  beim  Kochen  mit  Wasser  vollständig  in  freies  Mercaptan  und 
Alkali  zerlegt;  auch  Schwefelwasserstoff  treibt  aus  ihnen  die  Mercap- 
tane aus. 

Besondere  Neigung  besitzen  die  Mercaptane  zur  Bildung  von  Salzen 
mit  den  Schwermetallen.  Mit  Quecksilberoxyd  entstehen  in  leb- 
hafter Reaction  die  meist  aus  Alkohol  krystallisirbaren,  farblosen  Queck- 
silber mercaptide: 

2C2H6.SH  +  HgO  =  H,0  +  (CjHsS^^Hg. 

Von  diesem  Verhalten  rührt  der  Name  Mercaptan  (Corpus  mercurio 
aptum)  her.  Analoge  Verbindungen  mit  anderen  Schwermetallen  bilden 
sich  beim  Vermischen  der  Mercaptane  mit  essigsauren  Metallsalzen  in 
alkoholischer  Lösung.  Die  Blei-  und  Kupfersalze  sind  meist  gelb  ge- 
färbt.    Von   Salzsäure   werden   diese   Mercaptide  zu   Metallchlorid  und 

*  Klasün,  Ber.  20,  3407.  «  Voot,  Ann.  119,  152. 
'  E.  Fischer  u.  Penzoldt,  Ann.  239,  131. 

*  Vgl.  besonders  Klason,  J.  pr.  [2]  16,  193.     Ber.  20,  3410. 


Einzelne  Mercaptane.  215 


Mercaptan  zersetzt.  Beim  Erhitzen  zerfallen  die  meisten  Mercaptide 
in  HetaUsulfid  und  Alkylsulfid^: 

(CH3.S),Pb  =  PbS  +  (CH8),S, 

die  Quecksilbermercaptide  dagegen  in  Quecksilber  und  Alkyldisulfid^: 

(C,Hö.S),Hg  =  Hg  +  (C,H,.S),. 

Mit  alkoholischen  Lösungen  von  Quecksilberchlorid  bilden  die  Mercap- 
tane  schwer  lösliche  Verbindungen  von  der  Formel  (C^Hg^  ^  j  •  S)HgCL 
Concentrirte  Schwefelsäure^  erzeugt  aus  den  Mercaptanen  keine  den 
Aetherschwefelsäuren  analoge  Verbindungen,  sondern  oxydirt  sie  zu  Disul- 
fiden,  wie  (023^5)283.  In  letztere  gehen  sie  häufig  auch  schon  durch 
Oxydation  an  der  Luft  —  namentlich  in  Gegenwart  von  Ammoniak  — 
über,  femer  durch  Einwirkung  von  Jod  auf  ihre  Natriumsalze*: 

2C,Ha.S.Na  +  2J  =  2NaJ  +  (CjEgS), 

und  durch  Einwirkung  von  Sulfurylchlorid  ® : 

2C8H5.SH  +  SOjCl,  =  2HC1  +  SOj  +  (CjHj.S),. 

Oxydation  mit  Salpetersäure  fahrt  zu  den  Alkylsulfonsäuren: 

C.Hg.SH  +  30  =  CjHg.SOsH. 

Einzelne  Glieder.  Methylmercaptan  CHg-SH  kann  nach  den 
angegebenen  allgemeinen  Bildungs weisen  erhalten  werden®.  Es  bildet 
sich  ferner  bei  der  Gährung  des  Eiweisses,  ist  daher  ein  Bestandtheil  des 
menschlichen  Darminhalts  und  der  Darmgase  und  bedingt,  neben  Skatol, 
wohl  wesentlich  den  Gestank  der  Excremente^.  Ein  interessantes  Derivat 
desselben,  das  Perchlormethylmercaptan®  CClg-SCl,  muss  noch  Er- 
wähnung finden.  Es  entsteht  neben  Chlorschwefel  durch  Einwirkung 
von  Chlor  auf  Schwefelkohlenstoff  bei  Gegenwart  einer  Spur  von  Jod. 
Es  ist  ein  gelbes  Oel  von  äusserst  unangenehmem  Geruch,  siedet  unter 
geringer  Zersetzung  bei  149®  und  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  1-722. 
Beim  Erhitzen  mit  Wasser  wird  es  in  Kohlensäure,  Salzsäure  und 
Schwefel  zersetzt: 

CCla-SCl  +  2H,0  =  COs  +  4HC1  +  S, 

von  Salpetersäure  zu  Trichlormethylsulfonsäurechlorid  CClg-SOgCl  (s. 
S.  223)  oxydirt.  Wichtig  ist  seine  Ueberflihrbarkeit  in  Thiocarbonyl- 
chlorid  CSClj  durch  Eeduction  (Darstellung  des  Thiophosgens,  s.  d.  Kap. 
, Kohlensäure-Derivate**) : 

CCI3.SCI  +  2H  =  2HC1  +  ClCSCl. 

>  Klabon,  Ber.  20,  3412.  *  Otto,  Ber.  18,  1289. 

*  Erlenmeyer  u.  Lisekko,  Jb.  1861,  590. 
^  KekulA  IL  LiNNEMANN,  Adh.  128,  277. 

*  CouHAJST  u.  V.  HicHTER,  Bsr.  18,  3178. 

®  Greooby,  Ann.  16,  239.  —  Obermeyer,  Ber.  20,  2918.  —  Klabon,  Ber.  20,  3408. 
^  M.  Nbncki  u.  Siebbr,  Monatsb.  10,  526.  —  L.  Xencki,  Monatsh.  10,  862. 
»  Rathke,  Ann.  167,  195.  —  Klason,  Ber.  20,  2376. 


216  SiUfide, 

Aethylmercaptan  CgHg-SH  wurde  als  erster  Repräsentant  derMer- 
captane  1833  von  Zeise^  entdeckt.  —  Kühlt  man  seine  Mischung  mit  Wasser 
unter  8®  ab,  so  bilden  sich  farblose Krystalle  desHydratsCjHgS  +  lSHjO; 
das  Quecksilbermercaptid  (CjjH5S)2Hg  bildet  farblose  Blättchen  vom 
Schmelzpunkt  76®,  das  Bleimercaptid  (CjHß-S)3Pb  einen  gelben  krystal- 
linischen  Niederschlag  vom  Schmelzpunkt  150°;  die  durch  Fällung  mit 
Quecksilberchlorid  in  alkoholischer  Lösung  entstehende  Verbindung  C^Hg  - 
SHgCl  krystallisirt  in  hübschen  farblosen  Blättchen.  —  Das  Aethylmer- 
captan  wird  gegenwärtig  in  grossem  Massstabe  hergestellt,  da  es  zur 
Gewinnung  des  Schlafnaittels  „Sulfonal"  (s.  d.)  gebraucht  wird.  Seine 
Fabrikation  geschieht  an  möglichst  abgelegenen  Orten,  da  der  furchtbare 
Geruch  des  Mercaptans  noch  in  weiter  Entfernung  von  der  Fabrik  die 
grössten  Belästigungen  der  Anwohnerschaft  hervorruft. 

Ueber  die  Eigenschaften  der  Mercaptane  siehe  femer  die  Tabelle 
Nr.  9  auf  S.  221. 

2.    Alkylsulflde  oder  Thioäther. 

Allgemeine  Zusammensetzung:  (C^Hgn ^.  1)28. 

Die  Sulfide  können  aus  den  entsprechenden  Aethem  durch  Be- 
handlung mit  Schwefelphosphor  erhalten  werden*.  Man  stellt  sie  durch 
doppelte  Umsetzung  von  Halogenalkylen  oder  alkylschwefelsauren  Salzen 
mit  Kaliumsulfid  dar: 

2C,H6.  J  +  K,S  =  2KJ  +  (CjH^),»; 
2C,Hö.0.S0,.0K  +  KjS  =  2K0.S0,.0K  +  (C,H5),S. 

Im  letzteren  Falle  ist  es  wieder  zweckmässig,  mit  einem  erheblichen 
Ueberschuss  von  Kaliumsulfid  zu  arbeiten;  die  Darstellung  ist  ganz 
analog  derjenigen  der  Mercaptane  (s.  S.  213),  nur  wendet  man  statt  der 
ganz  mit  Schwefelwasserstoff  gesättigten  Kalilauge  eine  zur  Hälfte  ge- 
sättigte Lauge  (KSH  +  KOH  =  KgS  +  H^O)  an^ 

Aus  den  erwähnten  Bildungsweisen  ergiebt  sich  die  Constitution 
der  Sulfide  ohne  Weiteres  als  analog  derjenigen  der  Aether.  Es  war 
vorauszusehen,  dass  ebenso,  wie  es  neben  einfachen  auch  gemischte 
Aether  giebt,  zu  den  einfachen  Sulfiden  eine  Reihe  von  gemischten 
Sulfiden,  welche  zwei  verschiedene  Alkylradicale  enthalten,  treten  werde. 
Dieselben  werden  durch  Einwirkung  von  Halogenalkylen  auf  die  Natrium- 
verbindungen der  Mercaptane*: 

C^HfiSNa  +  CH5J  =  NaJ  +  C.H^.SCHs 
oder  durch  Destillation  der  Mercaptane  in  alkalischer  Lösung  mit  äther- 
schwefelsauren Salzen  5: 

CaH^OSOj-OK  +  CHa-SK  =  CHg-SCÄ  +  KOSOjOK 
erhalten. 


^  Ann.  11,  1.  —  s.  femer  Liebig,  Ann.  11,  14.  —  Reonault,  Ann,  84,  25.  — 
Klabon,  J.  pr.  [2]  15,  193. 

*  Kekülä,  Ann.  90,  311.  ^  Klason,  Ber.  20,  3412. 

*  Kbüoer,  J.  pr.  [2]  14,  206.  *  Klason,  Ber.  20,  3413. 


Sulfinverbindimgen.  217 


Die  Sulfide  sind  mit  Wasser  nicht  mischbare  Flüssigkeiten  von  wider- 
wärtigem Geruch.  Während  der  Siedepunkt  der  Aether  oft  erheblich 
niedriger  als  derjenige  der  entsprechenden  Alkohole  liegt,  sieden  die 
Sulfide  stets  beträchtlich  höher  als  die  entsprechenden  Mercaptane  (vgl. 
die  Tabelle  Nr.  9  auf  S.  221).  Die  Sulfide  sind  indifferente  Verbindungen, 
in  denen  kein  durch  Metallatome  vertretbarer  Wasserstoff  vorhanden  ist, 
wie  ihre  Constitution  es  voraussehen  lässt.  Dagegen  vereinigen  sie  sich 
mit  verschiedenen  Halogenverbindungen  der  Metalle  zu  gut  krystallisir- 
baren  Verbindungen^,  wie  z.  B.  (C2H5)2S.HgCla ,  (CH3)3S.HgJ2  etc.  — 
Auch  mit  Brom  und  Jod  liefern  sie  krystallinische  Additionsprodukte* 
(^nHan  +  JaS-Brj,  und  (C^H2„^i)2S.Jjj.  —  Bei  der  Einwirkung  von  con- 
centrirter  Salpetersäure  entstehen  aus  den  Sulfiden  die  Nitrate  der 
Sulfoxyde    (C^^Hg^  ^j)2SO.HN03,    bei    stärkerer    Einwirkung   die   Sulfone 

(CiAn  + 1)2^02. 

3.    SalfinTerbindangen. 

Als  SulfinTerbindungen  bezeichnet  man  eine  Gruppe  von  mit 
merkwürdigen  Eigenschaften  begabten  Verbindungen,  denen  einwerthige 
aus  einem  Schwefelatom  und  drei  Kohlenwasserstoffradicalen  bestehende 
Complexe: 

^n"an  +  i\  IV 
^'m"8m  +  1  y  S  — 

gemeinsam  sind.     Diese  Complexe   spielen  in  ihnen  die  Rolle  von  stark 
basischen  Radicalen;  ihre  Verbindungen  mit  Halogenatomen  oder  Säure- 

sind  neutrale,  krystallisirbare  Salze;  die  Verbindungen  mit  Hydroxyl: 

(CnHjn  + 1  )8S  •  OH 

"^ind  in  Wasser  lösliche  Basen,  welche  den  stärksten  anorganischen 
Basen  —  den  Alkalien  —  gleichen  (s.  S.  218). 

Den  Ausgangspunkt  zur  Gewinnung  dieser  von  v.  Oefele^  1864  ent- 
deckten Verbindungen  bilden  die  Sulfinjodide: 

welche  leicht  durch  Addition  von  Halogenalkylen  zu  Alkylsulfiden  ent- 
stehen, 2.  B.: 

(C,H5),S  +  CjH,.  J  =  (C,Hs),SJ-, 

diese  Addition  vollzieht  sich  zuweilen  schon  in  der  Kälte,  oder  man 
unterstutzt  sie  durch  Erwärmen.  Man  erhält  die  Sulfinjodide  ferner 
durch  Erhitzen  von  Halogenalkylen  mit   Schwefel*  oder  mit  Schwefel- 

*  8.  besonders  Lom,   Ann.  87,  369;  107,  234;  ferner  Blomstrand,  J.  pr.  [2] 
W,  190;  88,  345  u.  497. 

*  Cahoübs,  Ann.  186,  355.  —  Patein,  Bull.  50,  202. 
^  Ann.  182.  82. 

*  Ejjkoer,  Ber.  10,  1880.  —  Masson  u.  Kibkland,  Journ.  Soc.  1889  I,  185. 


218  Sulfinverbindungm, 


metallen^,  wie  Na^S,  CdS,  As^Sj  (z.  B.  aus  Jodmethyl  Trimethylsulfin- 
jodid).  Bei  der  Destillation  zerlegen  sie  sich  wieder  in  Halogenalkjie 
und  Alkylsulfide.  —  Aus  den  Jodiden  kann  man  durch  doppelte  Um- 
setzung eine  Reihe  von  anderen  Salzen^  herstellen: 

(CHs^SJ  +  AgCl     =  AgJ  +  (CH3),SC1, 
(CH^SJ  +  AgNO,  -  AgJ  +  (CH3),S.N03  etc. 

Digerirt  man  die  wässrige  Lösung  der  Jodide  mit  feuchtem  Silber- 
oxyd, so  erhält  man  die  Lösungen  der  Sulfinhydroxyde: 

(CH^SJ  +  Ag.OH  =  AgJ  +  (CH8)8S.0H 

als  stark  alkalisch  reagirende  Flüssigkeiten,  aus  welchen  durch  Ein- 
dampfen im  Vacuum  die  Basen  in  zerfliesslichen  Krystallen  erhalten 
werden  können.  Dieselben  fallen  aus  den  Lösungen  der  Schwermetall- 
salze die  Metalloxyde,  sie  treiben  das  Ammoniak  aus  seinen  Salzen  aus. 
sie  ziehen  an  der  Luft  begierig  Kohlensäure  an  und  erinnern  demnach 
in  allen  Stücken  an  das  Verhalten  der  Alkalien. 

Die  Sulfinjodide  mit  gemischten  Alkylresten  gehen  unter  verschiedenen  Be- 
dingungen leicht  in  solche  Sulfinjodide  über,  welche  gleichartige  Reste  enthalten^. 
So  erhält  man  z.  B.  schon  beim  Erwärmen  einer  wässrigen  Lösung  von  Diäthyl- 
methylsulfinjodid  auf  dem  Wasserbade  Trimethylsulfinjodid.  Es  beruht  dies  auf  einer 
Beihe  von  Spaltungen  und  Wiedervereinigungen.  Es  spaltet  sich  z.  B.  zunächst 
AcgMeSJ  (Ae  =  CjHg;  Me  =  CH3)  theilweise  in  Ae^S  und  MeJ  und  theilweise  in 
AeMeS  und  AeJ;  nun  entsteht  aus  AeMeS  +  MeJ :  AeMe^SJ;  letzteres  zerföUt 
einerseits  in  AeMeS  und  MeJ,  andererseits  in  McgS  und  AeJ;  und  endlich  vei*einigen 
sich  Me^S  und  MeJ  zu  McgSJ. 

In  den  obigen  Formeln  sind  die  Sulfinverbindungen  von  vierwerthigem 
Schwefel  abgeleitet  und  als  atomistische  Verbindungen  aufgefasst.  Nach 
ihrer  Entstehungsweise  aus  Sulfid  und  Halogenalkyl  und  im  Hinblick 
auf  den  Zerfall  in  die  beiden  Componenten  durch  Erhitzen  könnte  man 
auch  geneigt  sein,  sie  als  Molecularverbindungen : 

anzusprechen.  Aber  diese  Auffassung  würde  den  merkwürdigen  che- 
mischen Charakter  der  Verbindungen  ganz  unerklärt  lassen.  Es  ist 
schon  schwer  zu  begreifen,  dass  durch  moleculare  Aneinanderlagerung 
von  zwei  in  Wasser  unlöslichen  flüssigen  Verbindungen,  wie  Methylsulfid 
und  Jodmethyl,  ein  leicht  lösliches  krystallisirbares  Salz,  das  Trimethyl- 
sulfinjodid, entstehen  soll.  Noch  grössere  Schwierigkeiten  würde  aber 
das  Verständniss  der  freien  Basen  bieten;  erschiene  doch  das  stark 
basische  Trimethylsulfinhydroxyd  als  eine  Molecularverbindung  der  beiden 
indifferenten  Verbindungen  Methylsulfid  und  Methylalkohol: 

(CHs),S,  CHs-OH. 

^  Klinoer,  Ber.  15^  881.  —  Klinoeb  u.  Maassen,  Ann.  252,  256. 

*  s.  besonders  Dehn,  Ann.  Suppl.  4,  90—100.  —  Brown  u.  Blaikib,  J.  pr.  [2, 
28,  395.  —  DoBBiN  u  Massou,  J.  pr.  [2]  81,  37.  —  Patein,  Bull.  49,  678;  60,  201: 
[3]  2,  159;  8,  164. 

'  Klinger  u.  Maassen,  Ann.  252,  241. 


DisiUfide  und  Polysulfide.  219 


Es  liegt  auf  der  Hand^  dass  eine  solche  Auffassung  nicht  zutreffend  sein 
kann.  Für  die  Beurtheilung  der  Constitution  der  Sulfinverbindungen 
ist  ferner  von  Bedeutung  die  Entscheidung  der  Frage,  ob  aus  Aethyl- 
sulfid  und  Jodmethjl  einerseits  und  aus  Methyläthylsulfid  und  Jodäthyl 
andererseits  identische  oder  verschiedene  Verbindungen  entstehen.  Als 
Molecularverbindungen  müssten  die  beiden  Beactionsprodukte: 

(C,H,),S,  CH,J    und  '\s,  CHsJ 

c,h/ 

verschieden  sein;  als  atomistische  Verbindungen  des  vierwerthigen  Schwe- 
fels erhalten  beide  die  Formel: 

CHgV 

C,H,/ 

und  ihre  Gleichheit  erscheint  bei  Voraussetzung  der  Gleichheit  der  vier 
Valenzen  des  Schwefels  als  theoretische  Forderung.  Diese  Frage  ist 
von  EiiiNGEB  und  Maassen  ^  zu  Gunsten  der  Identität  entschieden  worden. 
Definitiv  ist  das  Problem  der  Constitution  der  Sulfinverbindungen  damit 
freilieh  nicht  zum  Austrag  gebracht,  da  ein  gegenseitiger  Austausch  der 
Alkylgruppen  zvrischen  den  Sulfiden  und  Halogenalkylen  nicht  ganz  un- 
denkbar erscheint. 

4.    Dlsulfide  und  Polysalfide. 

Die  Alkyldisulfide,  C^H^„^.i-S-S-C„H2„^i,  entstehen  bei  der  De- 
stillation von  ätherschwefelsauren  Salzen  mit  Kaliumdisulfid*: 

2CjH6.0.S0,0K  4-  KjSj  =  (C^HaS),  4-  2K0.S0,0K, 

ebenso  bei  der  Umsetzung  von  Halogenalkylen  mit  Kaliumdisulfid^,  femer 
aus  den  Mercaptanen  durch  Oxydationswirkungen  verschiedener  Art 
(Einwirkung  von  Luft,  von  Jod  auf  die  Natriummercaptide,  von  conc. 
Schwefelsäure,  von  Sulfiirylchlorid,  vgl.  S.  215).  Gemischte  Alkyldisulfide 
können  durch  Einwirkung  von  Brom  auf  ein  Gemenge  zweier  Mercaptane 
erhalten  werden*,  z.  B. 

CjHs.SH  +  CßHiiSH  +  Bfj  =  2HBr  +  CjUs-SSC^Hh. 

Die  Disulfide  sind  in  Wasser  kaum  lösliche  Flüssigkeiten  von  un- 
angenehmem Geruch  und  sieden  bedeutend  höher  als  die  zugehörigen 
Mercaptane  und  Sulfide  (vgl.  Tab.  Nr.  9  auf  S.  221).  Durch  Reductions- 
mittel  werden  sie  leicht  in  Mercaptane  zurückgeführt: 

•    CjHs.S.SCjHft  +  2H«2C,H5.SH; 

fast  augenblicklich  findet  diese  Reduction  beim  Erwärmen  mit  einer 
alkoholischen  Lösung  von  Einfach-Schwefelkalium  statt  ^: 

(CjHbS),  +  2K,S  =-  2C2H6.SK  +  KÄ. 

*  Ann.  848,  193;  252,  241. 

'  Zeisb,  Ann.  11,  1.  —  Moun,  Ann.  32,  267.  —  Cahours,  Ann.  61,  92. 

»  Milch,  Ber.  19,  3131.  *  Otto  u.  Eössikq,  Ber.  19,  3132. 

^  Otto  u.  Rössiko,  Ber.  19,  3129. 


220  Sulfoxyde  und  Sulfone. 


Durch  Oxydation  mit  verdünnter  Salpetersäure  liefern  die  Disulfide 
Thiosulfonsäureester  (vgl.  S.  224): 

VI 

CjHö — S  ^3^5 — SO2 

I    4-  20=  I 

C2H5 — S  ^2^5 — S. 

Polysnlflde^:  Bei  der  Einwirkung  von  Chlorschwefel  (SjCl,)  auf  Mercaptane 
entstehen  gelbliche  nicht  unzersetzt  destillirbare  Oele  von  höchst  widerwärtigem  Cre- 
ruch,  welche  wahrscheinlich  Tetrasulfide  darstellen: 

2CgHßSH  +  ClÄ  =-  2HC1  +  C^H^  •  S4  •  CjHg. 

Erhitzt  man  die  so  erhaltene  Methylverbindung  im  Vacuum,  so  geht  Metfayltri- 
sulfid  CHj-Sa'CHj  als  schwach  gelbes  Oel  vom  spec.  Gew.  1-216  (bei  0®)  über;  es 
siedet  im  Vacuum  bei  62°,  bei  gewöhnlichem  Druck  unter  geringer  Zersetsning 
bei  110  \ 

5.    Sulfoxyde  und  Sulfone  ^ 

Sulfoxyde  C^Hg^^i-SO-C^Hg^^i  (von  Sä.ytzeff  1866  entdeckt): 
Bei  der  Einwirkung  von  concentrirter  Salpetersäure  auf  die  Sulfide  ent- 
stehen die  Nitrate  der  Sulfoxyde  {C^Hgn^  1)280. HNOg;  aus  diesen  un- 
beständigen Nitraten  werden  die  Sulfoxyde  selbst  zuweilen  schon  durcli 
Wasser,  in  anderen  Fällen  durch  Bariumcarbonat  oder  andere  Carbonate 
in  Freiheit  gesetzt.  Es  sind  dies  farblose,  geruchlose,  neutral  reagirende 
Verbindungen,  welche  nicht  unzersetzt  destillirbar  sind ;  sie  sind  in  Alkohol 
und  Aether  leicht  löslich,  die  niederen  Glieder  lösen  sich  auch  in  Wasser; 
durch  Reductionsmittel  (nascirender  WasserstoflF),  ebenso  durch  Phosphor- 
pentachlorid  werden  sie  leicht  wieder  in  die  Sulfide  zurückverwandelt. 
Methyl-  und  Aethylsulfoxyd  sind  dicke  Flüssigkeiten,  welche  in  der 
Kälte  erstarren;  Schmelzpunkte  der  höheren  Sulfoxyde  s.  in  der  Tabelle 
Nr.  9  auf  S.  221. 

Sulfone  C„H2^^.i-S02-C„H2„^i  (1864  entdeckt  durch  v.  Obfele): 
Sie  entstehen  durch  Oxydation  der  Sulfide  oder  Sulfoxyde  vermittelst 
rauchender  Salpetersäure  oder  Kaliumpermanganat.  Sulfone  bilden  sich 
ferner  bei  der  Einwirkung  von  Halogenalkylen  auf  die  Natriumsalze  der 
Sulfinsäuren  (vgl.  S.  226): 

CHß.SOjNa  +  Br.C,H5  =  NaBr  +  CHs-SOjCaHs. 

Es  sind  farblose,  geruchlose,  krystallisirbare  und  unzersetzt  destillirbare 
Verbindungen  von  grosser  Beständigkeit.  Die  niederen  Glieder  sind  in 
Wasser  löslich.  Durch  nascirenden  Wasserstoff  un#  durch  Phosphor- 
pentachlorid  werden  die  Sulfone  im  Gegensatz  zu  den  Sulfoxyden  nicht 
verändert.  —  Schmelzpunkte  und  Siedepunkte  einzelner  Sulfone  s.  in 
der  folgenden  Tabelle: 


*  Klason,  J.  pr.  |2]  15,  214.  —  Ber.  20,  3413. 

'  V.  Oefele,  Ann.  182,  86.  —  Saytzefp,  Ann.  189,  354;  144,  148.  —  Beck- 
mann, J.  pr.  [2]  17,  439.  —  Wissinger,  Ber.  20  o,  364.  —  Grabowsey,  Ann.  176,  348. 
—  Otto,  Ber.  18,  1278. 


Tabellarische  üebersicht  über  die  Schwefdverhindungen  der  Alkylreste.    221 


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6 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  9:  *  ELlason,  Ber.  20,  3408.  —  '  Beckmann,  J. 
pr.  [2]  17,  439.  —  ■  Cahoues,  Ann.  61,  92.  —  *  Pierre,  Ann.  80,  128-  —  '  Saytzeff, 
Ann.  139,  354;  144,  148.  —  •  Lov^,  Ber.  17,  2820,  2823.  —  '  Kanonnikow,  J.  pr. 
[2]  31,  342.  —  «  Nasini,  Ber.  16,  2882.  —  »  BöiraBR,  Ann.  223,  348.  —  ^^  Prinz, 
Ann.  223,  374,  878.  —  "  Römer,  Ber.  6,  784.  —  "  Cahoues,  Compt.  rend.  76,  133. 
—  *•  Spring  u.  Legros,  Ber.  16,  1940.  —  "  Sprino  n.  Winssinoer,  Ber.  16,  329.  — 

"  Winssinoer,  Jb.  1887,  698.  —  "Claus,  Ber.  6,  659;  8,  532.  —  "  Grabowsky  u. 

Sattzeff,  Ann.  171,  251;  176,  348.  —  "Hümann,  Ann.  96,  256.  —  *^  Reymann,  Ber. 


222  StUfosäuren, 


7,  1287.  —  *°  DoBBiN,  Joum.  Soc.  57,  639.  —  "^  Kbutzsch,  Ann.  52,  317.  —  "  Balabd, 
Ann.  52,  313.  —  *»  Kopp,  Ann.  95,  346.  —  •*  v.  Oefkle,  Ann.  132,  86.  —  »•  Spruio 
u.  WiNssiNGEB,  Ber.  17,  538.  —  '•  Henby,  Jb.  1847/48,  699.  —  "^  Erlenveter  und 
Wanklyn,  Ann.  136,  150.  —  "  Möslinger,  Ann.  185,  59.  —  "  Fridau,  Ann.  83,  16. 

—  '<*  Pieverlino,  Ann.  183,  349.  —  **  Winssinoer,  Jb.  1887,  1280.  —  "  Regnault, 
Ann.  34,  24.  —  "  vgl.  ferner  die  Citate  auf  S.  214—216. 

6.    SalfosSuren  und  Thiosulfosäuren. 

Die  AlkylsnlfosSuren   (oder  Alkylsulfonsäuren)  C^Hj^^^-SOj-SH 

entstehen  durch  Oxydation  der  Mercaptane  mit  Salpetersäure^: 

CjHftSH  +  0,  =  CjHsSOjH; 

ihre  Alkalisalze  bilden  sich  bei  der  Einwirkung  von  Halogenalkylen  ^ 
oder  alkylschwefelsauren  Alkalien'  auf  Alkalisulfite: 

CjHj.  J  +  KSOaK  =  KJ  +  CsHft.SOsK, 
C,H5.S04Na  +  Na.SOjNa  =  Na,S04  +  CjHjSOsNa, 

ihre  Ester  bei  der  Einwirkung  von  Halogenalkylen  auf  Silbersulfit*: 

2C,H5.J  +  AgSOj-OAg  =  CjHftSOj.O.CgHj. 

Die  Sulfonsäuren  sind  sehr  stark  saure ,  beständige  Verbindungen; 
sie  lösen  sich  sehr  leicht  in  Wasser,  sind  meist  krystallisirbar,  aber  sehr 
zerfliesslich.  Durch  Kochen  mit  Alkalien  oder  mit  Säuren  werden  sie 
nicht  verändert.  Phosphorpentachlorid  erzeugt  aus  ihnen  die  Alkyl- 
sulfochloride  *  C^Hj^ ^ j •  SOgCl :  unzersetzt  siedende  Flüssigkeiten, 
welche  sich  mit  Wasser  wieder  langsam  zu  den  Sulfosäuren ,  mit  Alko- 
holen (bezw.  Alkoholaten)  zu  ihren  Estern  umsetzen.  Durch  nascirenden 
Wasserstoff  (Zink  und  Salzsäure)  werden  die  Chloride  wieder  zu  den 
Mercaptanen  reducirt: 

CjHftSO.Cl  +  6H  =  CsH^.SH  +  2H,0  4-  HCl. 

Die  Bildung  der  Sulfosäuren  durch  Oxydation  der  Mercaptane  im 
Verein  mit  der  Rückflihrbarkeit  ihrer  Chloride  in  die  Mercaptane  zeigt, 
dass  in  ihren  Molectilen  der  Alkylrest  direct  —  ohne  Vermittelung  von 
Sauerstoffatomen  —  am  Schwefel  haftet.  Die  Bildung  eines  Chlorids 
durch  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  und  die  Umsetzungen  dieses 
Chlorids  in  die  freie  Säure  bezw.  ihre  Ester  zeigt  die  Gegenwart  einer 
Hydroxylgruppe  an.  Diese  Hydroxylgruppe  kann  nicht  im  Alkylrest 
enthalten  sein,  da  dann  die  Bildung  aus  Halogenalkylen  und  Sulfiten 
unverständlich  wäre,  sondern  sie  muss  ihren  Sitz  am  Schwefel  haben. 
Die  Constitution  der  freien  Säuren  ist  demnach  durch  die  Formel: 

Cn^su  +  1  •  SOj  •  OH, 
diejenige  der  Ester  durch  die  Fonnel: 

^  Löwio  u.  Weidmann,  Kopp,  Ann.  85,  846. 

'  &RAEBE,  Ann.  146,  37.  —  Strecker,  Ann.  148,  90.  —  Bender,  Ann.  148,  96. 

—  CoLLMANN,  Ann.  148,  101.  —  Hemilian,  Ann.  108,  145. 

'  Fr.  Mater,  Bei*.  28,  908.  *  Kurbatow,  Ann.  178,  7. 

^  Carius,  J.  pr.  [2]  2,  262. 


SiUfosäuren,  223 


wiederzugeben.  Letztere  sind  isomer  mit  den  aus  Thionylchlorid  und 
Alkoholen  entstehenden  Schwefligsäureestem  (S. 201—202)  C^Hg^  ^  ^  -O-SO- 
O-C^Hg^^j,  welche  beide  Alkylreste  an  Sauerstoff  gebunden  enthalten, 
während  in  den  Sulfonsäureestem  nur  der  eine  mit  Sauerstoff,  der  andere 
mit  Schwefel  verbunden  ist.  Dieser  Constitutionsunterschied  prägt  sich 
besonders  deutlich  in  dem  Verhalten  bei  der  „Verseifung"  durch  kochende 
Alkalien  oder  Säuren  aus;  nur  die  an  Sauerstoff  gebundenen  Alkylreste 
werden  hierdurch  in  Form  von  Alkoholen  abgespalten,  während  die 
Bindung  des  Alkylrestes  an  Schwefel  jenen  Angriffen  widersteht.  Die 
Schwefligsäureester  werden  demnach  vollständig  zu  Alkoholen  und  schwef- 
liger Säure  verseift: 

SOCO.CjHj)  +  2H,0  =  SO(OH)a  4-  2 OH- CA, 

aus  den  Sulfonsäureestem  aber  wird  nur  ein  Alkylrest  abgespalten: 

CÄSOjO.CiHj  +  H,0  =  CsHftSOjOH  +  OHCA; 

es  entstehen  die  Sulfonsäuren,  welche  durch  kochende  Alkalien  und 
Säuren  nicht  verändert  werden. 

Die  im  Vorstehenden  begründete  Auffassung  der  Sulfonsäuren  ist 
von  Wichtigkeit  fiir  die  Frage  nach  der  Constitution  der  schwefligsauren 
Salze.  Wenn  Sulfonsäuren  und  ihre  Ester  aus  schwefligsauren  Salzen 
durch  Austausch  der  Metallatome  gegen  Alkylreste  entstehen  (s.  S.  222), 
so  drängt  sich  die  Ansicht  auf,  dass  die  Metallatome  in  den  Sulfiten 
auf  dieselbe  Weise  gebunden  sind,  wie  die  Alkylreste  in  den  Sulfon- 
säureestem, d.  h.  dass  eines  derselben  direct  an  dem  Schwefelatom,  das 
andere  durch  Vermittelung  von  Sauerstoff  daran  haftet: 

Na-SO,-ONa; 

wahrscheinlich  wird  auch  der  freien  schwefligen  Säure  nicht  die  den 
sogenannten  Schwefligsäureestem  entsprechende  Formel  OH -SO -OH, 
sondern  die  unsymmetrische  den  Sulfonsäureestem  entsprechende  Formel 
H-SOj-OH  zugeschrieben  werden  müssen. 

Methylsulfonsäure  ^  CHj-SOgH  ist  ein  farbloser  Syrup,  der  sich 
oberhalb  130^  zersetzt.  Ein  besonderes  Interesse  bietet  ihre  1845  von 
KoLBE  ausgeführte  Synthese  aus  den  Elementen;  durch  Einwirkung  von 
Chlor  auf  feuchten  Schwefelkohlenstoff  (vgl.  S.  215)  erhält  man  das 
Trichlormethylsulfochlorid  CCI3SO2CI: 

CS,  +  loci  +  2H,0  =  CCljSOgCl  +  4HCi  +  SCI,. 

Dieses  Chlorid  —  campherartige,  leicht  sublimirende  Krystalle  von  charak- 
teristischem durchdringendem  Geruch,  welche  bei  135®  schmelzen  und 
bei  170®  sieden,  —  liefert  bei  der  Zersetzung  mit  Wasser  die  Trichlor- 
methylsulfosäure  CClj-SOgH,  welche  mit  1  Mol.  H^O  in  zerfliesslichen 

*  KoLBE,  Ann.  54,  1 45.  —  Muspratt,  Ann.  65,  259.  —  Loew,  Ztschr.  Chem.  1869, 
92.  —  NrraACK,  Ann.  218,  283.  —  Mo.  Govan,  J.  pr.  [2]  30,  280.  —  Bassett,  Jb, 
1886,  1534. 


224  Thiostäfosäuren, 


kleinen  Prismen  krystallisirt.  Durch  Reduction  der  letzteren  mit  nas- 
cirendem  Wasserstoff  entsteht  nun  unter  Bildung  der  Zwischenstufen 
CHCI3J.SO3H  und  CiEIgCl-SOgH  endlich  die  Methylsulfosäure  CH3.SO3H. 

Aethylsulfonsäure^  C2H5 •  SO9H :  zerfliessliche ,  kr jstalliniflche  Masse ;  das 
Chlorid  CjHg.SOgCl  siedet  bei  Hl«  und  besitzt  bei  22-5«  das  spec.  Gew.  1-35T: 
der  Aethylester  CgHg •  SO, •  OCjHg  siedet  bei  203°  und  besitzt  bei  0"  das  spec. 
Gew.  1-171. 


Die  ThlosulfonsSuren  C^Hg^^i-SO^-SH  enthalten  an  Stelle  der 
Hydroxylgruppe  der  Sulfosäuren  eine  Sulfhydryl-Gruppe.  Ihre  Salze 
bilden  sich  bei  der  Einwirkung  von  Schwefelkalium  auf  die  Sulfochloride*: 

CjHftSOjCl  +  K,S  =  KCl  +  CsHjSO.SK; 

diese  Reaction  besteht  indess  nicht  in  einem  einfachen  Austausch  des 
Chloratoms  gegen  die  Gruppe  — SK,  sondern  es  bildet  sich  zunächst 
unter  Abscheidung  von  Schwefel  sulfinsaures  Salz: 

CgHgSOjCl  +  KjS  =  CjHj.SOjK  +  KCl  +  S, 

welches  dann  erst  durch  Wiederaufiiahme  des  Schwefels  in  thiosulfon- 
saures  Salz  übergeht: 

CjHgSOjK  +  S  =  CjHg.SOjSK. 

Die  Ester  der  Thiosulfonsäuren»  C^Hj^^^i-SOg-SC^Hj^^i  ent- 
stehen aus  den  Salzen  durch  Einwirkung  von  Halogenalkylen: 

CjHj.SOsSK  +  Br.CjHs  =  KBr  +  CjHs  •  SO,  •  SC.Hg ; 

mit  ihnen  sind  identisch  die  Oxydationsprodukte,  welche  aus  den  Alkyl- 
disulfiden  (vgl.  S.  220)  bei  der  Oxydation  mit  verdünnter  Salpetersäure 
durch  Aufnahme  von  zwei  Sauerstoffatomen  sich  bilden: 

C,H5 — S  C,H5 — SO, 

1+20=  I     . 

C,H6 — S  CjHg — S 

Man  bezeichnet  sie  daher  auch  als  Alkyldisulfoxyde.  Es  sind  Flüssig- 
keiten von  höchst  unangenehmem  Geruch,  welche  für  sich  nicht  ohne 
Zersetzung  flüchtig  sind,  wohl  aber  mit  Wasserdämpfen.  Durch  Kalium- 
sulfid in  alkoholischer  Lösung  werden  sie  zu  Mercaptiden  und  thiosul- 
fonsauren  Salzen  verseift: 

C,H5  •  SO,  •  SCjHg  +  K,S  =  C,H5*S0, 'SK  +  KS'CjHj, 

von  Zinkstaub  in  Sulfinsäuren  und  Mercaptane  zerlegt: 

2C,H5.SO,.SC,H5  +  2Zn  =  (CjHg-SOs^Zn  +  Zn(S.C,H5),. 


^  Fr.  Mayes,  Ber.  28,  908.  —  Franchimont  u.  Klobbie,  Reo.  trav.  chim.  6,  275. 

"  Spring,  Ber.  7,  1162. 

'  Löwio  u.  Weidmann,  Kopp,  Ann.  85,  343.  —  Lueaschewicz,  Ztscbr.  Cham. 
1868,  641.  —  Pauly  u.  Otto,  Ber.  11,  2073.  —  Otto,  Ber.  15,  121.  —  Otto  u. 
BÖB8ING,  Ber.  19,  3131. 


Älkylthioscfiwefelsäuren.  225 


7.  Alkylthioseh wefelsäuren  \ 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hg^^i-S-SOg-SH. 

Durch  Digeriren  von  thioschwefelsaurem  Natrium  mit  Halogenalkylen 
sind  eine  Reihe  von  Natriumsalzen  der  Alkylthioschwefelsäuren  er- 
halten worden: 

NaOSOgSNa  +  BrCgH^  =  NaBr  4-  NaO  •  SO,  •  SCjHß ; 
das  äthylthioschwefelsaure  Natrium  (BuNTE'sches  Salz)  entsteht 
auch  durch  Einwirkung  von  Jod  auf  ein  Gemenge  von  Natriumsulfit  und 
Natriummercaptid : 

NaOSOj.Na  +  J,  +  NaSCA  =  2NaJ  +  NaO-SOj.SC.Hj,. 
Diese  Salze  sind  in  Wasser  und  Alkohol  löslich  und  krystallisiren  sehr 
schön.   Sie  gleichen  in  ihrer  Constitution  den  ätherschwefelsauren  Salzen : 

CgHj  •  Ov  CjHft  •  S\ 

>SOj  >S0, 

NaCK  NaO/ 

fithjlschwefels.  Natrium  äthylthioschwefels.  Natrium. 

Dem  entsprechend  zersetzen  sie  sich  in  angesäuerter  Lösung  leicht  in 
Mercaptan  und  Schwefelsäure: 

0H.S0,.SC,H5  4-  H,0  =  OH- SO,- OH  +  SHCaHg. 
Beim  Erhitzen   zerfallen  die  Natriumsalze  in  Alkyldisulfide,    Schwefel- 
dioxyd und  Natriumsulfat: 

2C,H5.S.SO,.ONa  =  (CjH^.S),  +  SO,  +  SO^CONa),.  ' 

8.  Alkylsulfinsäuren^ 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hgn^i-SOgH* 

Als  SalflnsSaren  bezeichnet  man  eine  Reihe  von  Säuren,  welche 
um  ein  Sauerstoffatom  ärmer  sind  als  die  entsprechenden  Sulfonsäuren. 
Ihre  Zinksalze  werden  aus  den  Chloriden  der  letzteren  durch  Austausch 
des  Chloratoms  bei  der  Einwirkung  von  Zinkstaub  unter  Wasser  gewonnen: 

2C2H5.S0,C1  +  2Zn  =  (CjHs •  SO,)gZn  4-  ZnCl,; 

sie  entstehen  ferner  durch  Einwirkung  von  Schwefeldioxyd  auf  Zinkalkyle: 

(C,Hg)8Zii  +  2S0,  =  (CaH5.S0j),Zn. 

Die  Bildung  der  Sulfinsäuren  aus  den  Sulfonsäuren  durch  Vermitte- 
lang  der  Sulfochloride  erfährt  die  einfachste  Deutung,  wenn  man  in 
den  Sulfinsäuren  einem  Wasserstoffatom  denselben  Platz  zuweist  wie  der 
Hydroxylgruppe  in  den  Sulfosäuren: 

>0  yO  ^0 


C„H,„  +  ,.S^0   ;  C,H,„  +  ,.S^O;  C^H^  +  ,.S^O 

Salfonsäure  Sulfonchlorid  Sulfinsäure. 


»   BüMTE,  Ber.  7,  646.  —  Spring,  Ber.  7,  1162.  —  Spring  u.  Legros,  Ber.  15, 
1938.   —  Farbenfabr.  vorm.  Bater  u.  Co.,  D.  P.  46333;  Ber.  22  o,  115. 

«  HoBSON,  Ann.  102,  72;  106,  287.  —  Wischin,  Ann.  189,  364.  —  Pauly, 
Ber.  lO,  941.  —  K.  Otto,  Ber.  18,  1278.  —  Claesson,  J.  pr.  [2]  15,  222. 
V.  M Kirnt  n.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  ^^ 


226  Sulfinsäuren. 


Diese  Auffassung  findet  ferner  eine  Stütze  in  der  Bildung  von  Sulfonen 
aus  den  Salzen  der  Sulfinsäuren  durch  Einwirkung  von  Halogenalkylen: 

CjH^-^SO,— Na  +  CjHgBr  =  NaBr  +  CjH,— SOj-CjHg. 

An  den  aromatischen  Sulfinsäuren  (s.  dort)  sind  indess  Beobachtungen 
gemacht,  welche  zeigen,  dass  die  Sulfinsäuren  auch  im  Sinne  der  von 
vierwerthigem  Schwefel  abgeleiteten  Formel: 

.0 


R-SC 

reagiren  und  den  Sulfonen  isomere  Ester  von  der  Structur  R-SO — O-C^Hg 
bilden  können. 

Die  freien  Sulfinsäuren  der  aliphatischen  Reihe  sind  syrupartig,  in 
Wasser  leicht  löslich  und  leicht  zu  den  Sulfosäuren  oxydirbar. 

Die  Sulfonsäuren  sind  Abkömmlinge  der  Schwefelsäure,  in  denen 
eine  Hydroxylgruppe  des  Schwefelsäurehydrats  durch  einen  Kohlenwasser- 
stofirest  vertreten  ist;  ebenso  können  die  Sulfinsäuren  von  dem  Hydrat 
der  schwefligen  Säure  abgeleitet  werden: 

/OH  .R 

\0H  \0H 

Schwefelsäurehydrat.  Sulfonsäure. 

/OH  /R 

so/  '   S0,< 

^H  \H 

Schwefligsäurehydrat.  Sulfinsäure. 


Selen-  und  Tellur-Verbindungen. 

Aus  Kaliumhydroselenid  (KHSe)  und  äthylschwefelsaurem  Calcium  ist  das 
Aethylselenmercaptan  CaHj'SeH  als  eine  flüchtige  Flüssigkeit  von  widrigem 
Geruch  erhalten,  welche  lebhaft  mit  Quecksilberoxyd  reagirt  ^  —  Genauer  untersucht 
sind  einige  Selenide'  fC„Hs„  ^  i)aSe,  welche  durch  Destillation  von  Selenkalium  KjSe 
mit  ätherschwefelsauren  Salzen  erhalten  werden.  Methylselenid  (CH3)jSe  siedet  bei 
58^,  Aethylselenid  (CaHs^Se  bei  108°.  Mit  concentrirter  Salpetersäure  liefern  sie  die 
Nitrate  der  Selenoxyde  (C„H2a  ^  jl^SeO-HNOg,  aus  deren  Lösungen  Salzsäure  die 
Chloride  (CnHjn  ^  jl^SeClj  niederschlägt.  Mit  Halogenalkylen  treten  sie  zu  Selenin- 
verbindungen  wie  z.  B.  (CaHjlgSeJ  zusammen,  welche  sich  den  Sulfin Verbindungen 
analog  verhalten.  —  Aus  Kaliumdiselenid  KjScj  und  ätherschwefelsauren  Salzen  ent- 
stehen Alkyldiselenide  0^11211  +  i  •  Se •  Se •  CßH^n  + 1 ,  welche  bei  der  Oxydation  mit  Sal- 
petersäure den  Sulflnsäuren  analog  zusammengesetzte  Se leninsäuren  CnH,n^,  -SeOjH 
liefern. 

Selenverbindungen,  welche  den  Sulfonen  entsprechen,  sind  nicht  bekannt,  ebenso- 
wenig die  den  Sulfosäuren  entsprechenden  Alkylselenosäuren  CflHjn  ^  j  •  SeOjH.  Die 
Alkylverbindungen,  welche  aus  selenigsaurem  Silber  und  Halogenalkylen  entstehen, 
sind  —  abweichend  von  den  in  der  entsprechenden  Reaction   gebildeten   Schwefel- 


*  Siemens,  Ann.  61,  360. 

-  LöwiG.  PoQo.  87,  552.  —  Jor,  Ann.  86,  35.  —  Wöhler  u.  Dean,  Ann.  97,  5. 
Rathke,  Ann.  152,  210,  216.  —  Jackson,  Ann.  179,  1.  —  Pibveruno,  Ann.  185,  331. 


Seleri'  und  Tellur -Verbindungen,  227 


VI 

Verbindungen  —  nicht  als  Alkylselenosäureester  C^Hj^  ^.i'SeOg-OCaHgn  + 1,  sondern 

IV 

als  Ester  einer  symmetrischen  selenigen  Säure  CnHjn^.  i-OSeO-0-CnHjQ  ^  i  anzu- 
sprechen, da  sie  vollständig  in  Alkohol  und  selenige  Säure  verseifbar  sind  (vgl. 
S.  202  und  222 — 223)  *.  Demzufolge  besitzen  wahrscheinlich  die  Selenite  die  von  den 
Sulfiten  abweichende  Constitution: 

I         IV  I 

MeO.SeOOMe. 

Tellurmercaptane  sind  nicht  bekannt.  —  Telluride*  (CnH2n^i)8Te  ent- 
stehen durch  Destillation  von  Tellurkalium  KgTe  mit  ätherschwefelsauren  Salzen. 
Aethyltellurid  (CgH^laTe  siedet  bei  137 «5^  Durch  Oxydation  mit  Salpetersäure 
liefern  die  Telluride  die  Nitrate  der  Telluroxyde  (0^11,^  ^.  iljTeO •  HNOj ;  aus  den 
Losungen  derselben  schlägt  Salzsäure  die  Chloride  (C^H^^  ^  J^TeCla  nieder,  und  aus 
letzteren  erhält  man  durch  Silberoxyd  die  wasserlöslichen,  alkalisch  reagirenden  freien 
Oxyde  (CnHj„  ^  j  ),TeO.  —  Den  Sulfin Verbindungen  entsprechende  Tellurverbindungen 
sind  durch  Addition  von  Halogenalkylen  zu  Telluriden  darstellbar;  Triäthyltellur- 
chlorid  (CjHslaTeCl  entsteht  auch  durch  Einwirkung  von  Zinkäthyl  auf  Tellurtetra- 
chlorid; es  schmilzt  bei  174*^,  das  entsprechende  Bromid  bei  162^,  das  Jodid  bei  92  ^ 


Fünftes  Kapitel. 

Alkylverbindungeiiy  deren  Alkylrest  an  Stickstoff 

gebunden  ist. 

(Amine.  —   Quatemäre  Ammonium  Verbindungen.  —   Hydrazine   und  Tetrazone. 
Hydroxylamin-Derivate.  -^  Carbylamine.  —  Nitroparaffine.) 


Uebersicht  über  die  wichtigsten  Verbindungsformen  mit 
an  Stickstoff  gebundenen  Alkylresten:  In  den  Estern  der  Stick- 
stoffsäuren (S.  205  ff.)  lernten  wir  schon  stickstoffhaltige  Alkyl Verbindungen 
(wie  z.  B.  CgHßO-NOg)  kennen,  in  welchen  indess  der  Alkylrest  nicht 
direct,  sondern  erst  durch  Vermittelung  eines  Sauerstoffatoms  an  das 
Stickstoffatom  gebunden  ist  Den  Gegenstand  dieses  Kapitels  bilden 
solche  Alkylverbindungen,  welche  ihren  Alkylrest  in  unmittelbarer  Bin- 
dung mit  Stickstoff  enthalten. 

Die  wichtigsten  dieser  Verbindungen  leiten  sich  von  der  einfachsten 
Wasserstoffverbindung  des  Stickstoffs,  dem  Ammoniak,  durch  Vertretung 
der  Wasserstoffatome  mittelst  der  Kohlenwasserstoffreste  ab.  Man  be- 
zeichnet sie  als  Amine  und  unterscheidet  —  je  nachdem  ein,  zwei  oder 
alle   drei    Wasserstoffatome   substituirt   sind   —  primäre,    secundäre 


'  Michaelis  u.  Landhakn,  Ann.  241,  150. 

•  WöHLEH,  Ann.  85,   111;  84,   69.  —  Mallet,  Ann.  79,  223.   —  Wöhler  u. 
Dea>',  Ann.  98,  233;  97,  1.  —  Heeren,  Jb.  1861,  565.  —  Becker,  Ann.  180,  263. 

—   MAJiai^AKDT   U.    MiCBAELIS,   BCT.    21,    2042. 

15* 


228  Uebersicht  über  die  Stickstoffverbindungen  der  Alkylreste, 


und  tertiäre  Amine;  auch  nennt  man  die  drei  Klassen  zuweilen  Amid- 
basen,  Imidbasen  und  Nitrilbasen: 

CjHj)  CjHft)  CjHg) 

h)  Hl  C,HhI 

primftres  Amin  secuudflres  Amin  tertiäres  Amin 

od.  Amidbase  od.  Imidbase  od.  Nitrilbase. 

In  diesen  Aminen  besitzt  das  Stickstoffatom  ebenso  wie  im  Ammoniak 
die  Fähigkeit,  aus  dem  Zustand  der  Dreiwerthigkeit  in  den  der  Fünf- 
werthigkeit  überzugehen.  Dies  äussert  sich  zunächst  in  der  Neigung 
zur  Bildung  von  Salzen,  welche  —  analog  dem  Salmiak  —  von  fiinf- 
werthigem  Stickstoff  abzuleiten  sind,  wie  z.  B.: 

C,H,\v  .H 

H/     \C1 

Ferner  wird  dadurch   die  Existenz  von  Verbindungen  bedingt,   welche 
von  dem  hypothetischen  Ammoniumhydroxyd: 

V 

H4I  N-OH 

durch   Substitution   seiner   vier   an   Stickstoff   gebundenen   Wasserstoff- 
atome deriviren: 

oh' 


c,h,)n< 


Man  bezeichnet  diese  besonders  stark  basischen  Verbindungen,  ans 
welchen  durch  Austausch  des  Hydroxylwasserstoffatoms  gegen  Säurereste 
Salze  entstehen,  als  quaternäre  Ammoniumbasen. 

Das  Ammoniak  war  bis  vor  Kurzem  die  einzige  bekannte  Wasser- 
stoffverbindung des  Stickstoffs;  jetzt  steht  ihm  zur  Seite  das  von  Cubtius 
entdeckte  Diamid: 

HjN-NHj. 

Die  organischen  Abkömmlinge  dieses  Diamids,  welche  ein  Wasserstoff- 
atom: 

CjHßNH.NH, 

oder  mehrere  durch  Kohlenwasserstoffreste  vertreten  enthalten,  sind  schon 
viel  länger  bekannt,  als  das  Diamid  selbst.  Die  Existenz  dieser  „Hy- 
drazine"  genannten  Verbindungen  war  einer  der  Anlässe  für  die  viel- 
fachen, endlich  von  Erfolg  gekrönten  Bemühungen  zur  Auffindung  des 
Stamrakörpers  NHj-NHj. 

Bei  den  basischen  Stickstoffverbindungen  sind  ferner  die  Alkyl- 
derivate  des  Hydroxylamins  zu  erwähnen,  wie  z.B.: 

CHa\  H\  G,H,\. 

h)N;  h)N;  H^N. 

OH/  CH3.O/  CgHj.O^ 


Alkylamine.  229 


Zu  den  Alkylabkömmlingen  des  Ammoniaks  gehören  endlich  noch 

die  Carbylamine  (Isonitrile,  Isocyanide)  —  Verbindungen,  in  welchen 

an  ein  StickstoflFatom  ein  Alkylradical  gebunden  ist,  während  die  übrigen 

Valenzen  des  Stickstoffatoms  durch  ein  Kohlenstoffatom  gesättigt  sind: 

in  _  V 

CnH,n  +  iN=C=     oder     C^H^^  +  i-N^a 

Den  Ammoniakabkommlingen  gegenüber  stehen  die  nicht  basischen 
Nitroverbindungen,  welche  von  der  Salpetersäure  OH-NOg  abgeleitet 
werden  können.  Sie  enthalten  an  Stelle  der  Hydroxylgruppe  einen  Alkyl- 
rest  und  sind  demnach  durch  die  allgemeine  Formel: 

auszudrücken. 

1.  Alkylamine. 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hg^^gN. 

Die  Entdeckung  der  aliphatischen  Amine  verdanken  wir  Wuetz^, 
welcher  1848  als  erste  Repräsentanten  der  primären  Amine  das  Methyl- 
amin und  Aethylamin  gewann.  Kurze  Zeit  darauf  (1850)  lehrte  A.  W.  Hof- 
mann* die  unter  den  unten  folgenden  Bildungs weisen  zuerst  besprochene 
Keaction  kennen,  welche  die  Kenntniss  der  secundären  und  tertiären 
Amine  und  der  quaternären  Ammoniumverbindungen  erschloss.  Seine 
klassischen  Untersuchungen  sind  für  die  Chemie  dieser  Körpergruppe 
von  grundlegender  Bedeutung. 

Die  Constitution  der  Amine  kann  nach  den  unten  angegebenen 
Bildungsprocessen  nicht  zweifelhaft  sein.  Aus  dem  Ammoniak  durch 
Austausch  der  Wasserstoffatome  gegen  Alkylreste  entstehend,  sind  sie 
eben  als  dem  Ammoniak  ganz  analog  gebaut  aufzufassen,  zumal  auch 
das  Verhalten  in  mancherlei  Reactionen  zeigte,  dass  der  Alkylrest  in 
ihre  Molecüle  unverändert  eingetreten  ist;  so  lässt  sich  z.  B.  das 
Aethylamin  CgH^-NH,  durch  salpetrige  Säure  in  den  Aethylalkohol 
CjHg-OH  zurückführen,  und  aus  dem  Trimethylamin  (CH3)gN  lassen  sich 
durch  Erhitzen  des  salzsauren  Salzes  alle  drei  Methylgruppen  in  Form 
von  Chlormethyl  CHj-Cl  wiedergewinnen. 

£ntstehungswelsen  und  Darstellungsmethoden.  1.  Durch 
directe  Einführung  von  Alkylresten  in  das  Ammoniak  (A.  W. 
Hofmann).  Der  Ersatz  der  Ammoniak- Wasserstoffatome  durch  Alkylreste 
erfolgt,  wenn  man  auf  wässriges  oder  alkoholisches  Ammoniak  die 
Halogenalkyle  in  der  Wärme  einwirken  lässt.  Das  Halogenatom  tritt  mit 
einem  Wasserstoffatom  des  Ammoniaks  als  Halogenwasserstoff  aus,  und 
an  die  Stelle  des  letzteren  tritt  der  Alkylrest;  so  entsteht  ein  Molectil 
Alkylamin  und  ein  Molecül  Halogenwasserstoff,  welche  sich  mit  einander 
zu  einem  Salz  vereinigen: 

1-  C^H,„^.,.Br  +  NH,  =  C^H.n  +  j.NHj.HBr. 

»  Ann.  71,  380;  76,  317.  «  Ann.  78,  91;  74,  159;  78,  253;  79,  16. 


230     Oleichzeüige  Bildg,  v.  prim,,  secund.,  tert,  Aminen  w.  Amrnonmmverhindgn. 


Aber  die  Reaction  bleibt  nicht  bei  der  Bildung  des  primären  Amins 
stehen,  vielmehr  reagirt  nun  das  Halogenalkyl  auf  das  aus  dem  Salz 
durch  noch  vorhandenes  Ammoniak  frei  gemachte  primäre  Amin  in  der- 
selben Weise  wie  vorher  auf  das  Ammoniak: 

und  es  bildet  sich  das  secundäre  Amin,  aus  welchem  nun  durch  weitere 
Einwirkung  des  Halogenalkyls : 

3.  CaH,„  + 1 .  Br  +  (C^H,„  +  J,NH  =  (C„H,„  ^,\^,  HBr 

das  tertiäre  Amin  entsteht.  Endlich  vereinigt  sich  das  tertiäre  Amin 
mit  Halogenalkyl  zu  einem  quaternären  Ammoniumsalz: 

4.  C^Hja  + 1  •  Br  +  (CnHjn  ^  i),N  =  (CnHjn  +  i)4NBr. 

Diese  vier  Reactionen  ^  verlaufen  bei  Anwendung  von  primären  Halogen- 
alkylen  (C^Hg^^j-CH^Br)  meist  neben  einander,  und  man  erhält  daher 
ein  Gemisch  von  Amidbasen,  Imidbasen,  Nitrilbasen  und  quaternären 
Ammoniumbasen,  deren  Trennung  gleich  besprochen  werden  wird.  Es 
hängt  von  der  Natur  des  einzuführenden  Alkylrestes  ab,  welche  Reactions- 
phase  besonders  bevorzugt  ist^.  Bei  den  Jodiden  der  tertiären  Alkohole 
versagt  die  Reaction,  da  dieselben  durch  Ammoniak  in  Jodwasserstoff 
und  Alkylene  GJ3^^  gespalten  werden. 

Statt  der  Halogenalkyle   kann   man    sich    auch  der  Alkylester  von 

Mineralsäuren',   z.  B.    in   vielen  Fällen   mit  Vortheil   der  Alkylnitrate, 

bedienen : 

CjHg.ONO,  +  NH,  =  CjHsNHj.HNOj  etc. 

Aus  den  Alkoholen  direct*  erhält  man  die  Amine  durch  Erhitzen 
mit  Chlorzinkammoniak  auf  250 — 260^,  z.  B.: 

(C,Ho)OH  4-  NHj  =  (C,H^)NHa  +  H,0, 
2(C4He)On  +  NHg  =  (CJIgljNH  -h  2HjO, 
3(C,H«)0H  +  NH3  =  (CJl9)3N  +  3H,0. 

Quaternäre  Ammoniumverbindungen  bilden  sich  in  diesem  Falle  nicht. 
Nach  diesen  auf  der  directen  Einführung  der  Alkylreste  in  das 
Ammoniak  beruhenden  Methoden  erhält  man  also  meist  ein  Gemisch 
von  primären,  secundären  und  tertiären  Aminen  und  eventuell  auch  von 
quaternären  Ammoniumverbindungen,  welche  nun  von  einander  zu  trennen 
sind.  Die  Trennung  der  Ammoniumbasen  von  den  Aminen  ge- 
lingt sehr  leicht,    da  ihre  Salze  im  Gegensatz  zu  den  Aminsalzen  von 

^  Ueber  d.  Theorie  des  Vorgangs  vgl.  Malbot,  Ann.  eh.  [6]  18,  451. 

*  Vgl.  hierüber  Malbot,  Compt.  rend.  104,  64,  998;  105,  574.  —  Jahk,  Monatsh. 
8,  165.  —  v.  D.  Zande,  Rec.  trav.  chim.  8,  202. 

^  Vgl.  z.  B.  Lka,  Jb.  1861,  493;  1862,  331.  —  Erlknmeyeh  u.  Carl,  Jb.  1875, 
617.  —  Clabsson  u.  Lundvall,  ßer.  18,  1699.  —  Wallach  u.  Schulze,  Ber.  14,  421. 
—  Dovillier  u.  Büisine,  Ann.  eh.  [5]  28,  321.  —  Duviluer  u.  Malbot,  Ann.  eh.  [6] 
10,  284. 

*  Merz  u.  Gasiorowsky,  Ber.  17,  623. 


TYennung  der  primären,  secund,,  tertiären  Amine  u.  Ammoniumverbindgn.     231 

Alkalien  nicht  zerlegt  werden;  man  braucht  daher  nur  das  Salzgemenge 
mit  einer  Alkalilösung  zu  destilliren,  um  sämmtliche  Amine  (neben  dem 
nicht  in  Reaction  getretenen  Ammoniak)  im  Destillate  anzusammeln^ 
während  die  nicht  flüchtigen  Ammoniumverbindungen  als  Salze  im  Rück- 
stand bleiben.  Die  einzelnen  Amine  der  drei  Klassen  nun  von  einander 
durch  fractionirte  Destillation  zu  trennen  ist  praktisch  in  vielen  Fällen 
kaum  ausfllhrbar,  selbst  wenn  zwischen  ihren  Siedepunkten  nicht  un- 
erhebliche Differenzen  bestehen;  man  muss  daher  für  die  Trennung  der 
Amine  1  meist  Methoden  anwenden,  welche  auf  dem  verschiedenartigen 
chemischen  Verhalten  der  Amid-,  Iraid-  und  Nitrilbasen  beruhen. 

Ein  allgemein  brauchbares  Verfahren  zur  Erreichung  dieses  Zieles 
lässt  sich  kaum  angeben;  man  muss  vielmehr  die  Trennungsmethode 
den  einzelnen  Fällen  anpassen.  Für  die  Aethylbasen  führt  z.  B.  folgen- 
der von  A.  W.  HoFMANN^  vorgeschlagener  Weg  zum  Ziel.  Man  bringt 
das  Gemenge  der  wasserfreien  Amine  mit  trockenem  Oxalsäurediäthyl- 
ester  0203(0-02115)2  zusammen;  hierdurch  entsteht  aus  dem  Aethylamin 
Diäthyloxamid : 

CA(0-C,H5)j  +  2NHa.CaHß  =  2CJII5.OH  +  CACNH.CjHg),, 

aus  dem  Diäthylamin  Diäthvloxaminsäureester: 

/N(C,H5), 

während  das  Triäthylamin  überhaupt  unverändert  bleibt  und  daher  beim 
Erwärmen  des  Reactionsgemisches  direct  abdestillirt  werden  kann.  Von 
jenen  beiden  Reactionsprodukten  kann  nun  das  Diäthyloxamid,  da  es 
fest  ist,  leicht  durch  Absaugen  des  öligen  Antheils  rein  erhalten  werden ; 
durch  Destillation  mit  Kali  wird  daraus  das  Monoäthylamin  unter  gleich- 
zeitiger Bildung  von  Kaliumoxalat  regenerirt: 

CACNH-CgHs)^  +  2K0H  =  C^O^COK),  +  2NH,CaHß. 

Aus  dem  öligen  Antheil  erhält  man  durch  Rectificiren  und  Waschen 
mit  Wasser  reinen  Diäthyloxaminsäureester,  welcher  durch  Destillation 
mit  KaU  in  oxalsaures  Kalium,  Alkohol  und  Diäthylamin  zerfallt: 

\(C  H  ) 
C,0,<^^     *   *  '  +  2K0H  =  CA(OK),  +  OH.CjHa  +  NHCCgHs)^. 

Eine  andere,  namentlich  für  die  Reindarstellung  secundärer  Amine 
wichtige  Trennungsmethode,  bei  welcher  freilich  die  primären  Amine 
verloren  werden,  beruht  auf  der  Einwirkung  von  salpetriger  Säure 
auf  die  Amine  (Hjbintz*).  .  Aus  primären  Aminen  erzeugt  salpetrige 
Säure  unter  Stickstoffentwickelung  Alkohole,  z.  B.: 

CH^NH,  +  NOjH  =  C4H5OH  +  N,  +  H,0, 

»  Vgl.  Malbot,  Ann.  eh.  [6]  13,  527. 

*  Ber.  8,  109  u.  776.  —  Vgl.  ferner  Wallach,  Ann.  184,  64. 

'  Ann.  188,  319;  vgl.  auch  Geutheh,  Ann.  128,  153. 


232  TVennung  der  primären,  secundären  und  tertiären  Amine. 


aus  secundären  Aminen  dagegen  die  Nitrosoamine  (vgl.  S.  238 — 239): 

(CH,),NH  +  NO,H  =  (CHsljNNO  +  H,0; 

tertiäre  Amine  bleiben  der  Hauptmenge  nach  unverändert,  ein  Theil 
derselben  geht  indess  unter  Abspaltung  einer  Alkylgruppe  (in  Form  von 
Aldehyd)  ebenfalls  in  das  Nitrosoderivat  des  secundären  Amins  übe^^ 
Wenn  man  daher  das  Gemenge  der  Basen  in  salzsaurer  Lösung  mit  einer 
concentrirten  Lösung  von  Natriumnitrit  behandelt,  so  wird  das  primäre 
Amin  zerstört.  Das  secundäre  Amin  wird  in  Form  seines  Nitrosamins 
erhalten;  letzteres  —  in  den  höheren  Reihen  ein  in  der  salzsauren  Flüssig- 
keit kaum  lösliches  Oel  —  wird  durch  Abheben  (eventuell  Ausäthem) 
oder  in  den  niederen  Beihen  auch  durch  Destillation  mit  Wasserdampf 
isolirt;  aus  dem  Nitrosamin  kann  nun  durch  Erwärmen  mit  concentrirter 
Salzsäure  die  secundäre  Base  in  reinem  Zustand  wiedergewonnen  werden: 

(CH8),N.N0  +  2HC1  =  (CH8)8NH.HC1  +  NOCl. 

Das  tertiäre  Amin  ist  zum  Theil  in  das  secundäre  übergeführt  worden, 
zum  grössten  Theil  aber  in  der  salzsauren  Lösung  unverändert  als  Chlor- 
hydrat vorhanden  und  kann  daher  aus  letzterer,  nachdem  das  Nitrosamin 
entfernt  ist,  durch  Destillation  mit  Alkali  rein  erhalten  werden. 

In  vielen  Fällen  kann  die  Trennung  der  primären,  secundären  und  tertiären 
Basen  mit  Vortheil  auf  das  verschiedenartige  Verhalten  zu  Acetylchlorid  oder 
Essigsäureanhydrid  gegründet  wefden.  Primäre  und  secundäre  Basen  gehen  in 
ihre  Acetylderivate  über: 

R.NHj  +  ClCO-CHg  =  R.NHCO^CHa  -f  HCl, 
Ra:NH  +  ClCOCHj  =  RjiN.CO.CHs  +  HCl; 

tertiäre  Basen  liefern  keine  Acetylderivate ,  sondern  gehen  einfach  bei  Anwendung 
von  Acetylchlorid  und  darauffolgender  Behandlung  mit  Wasser  in  ihre  salzsauren, 
bei  Anwendung  von  Essigsäureanhydrid  in  ihre  essigsauren  Salze  über.  Wenn  nun, 
wie  z.  B.  bei  den  aromatischen  Aminen  (vgl.  Bd.  II),  jene  Acetyl Verbindungen  in 
kaltem  Wasser  kaum  oder  schwer  löslich  sind,  so  kann  man  die  in  Wasser  löslichen 
Salze  der  tertiären  Amine  leicht  davon  trennen  und  erhält  die  letzteren  nach  dem 
Zersetzen  mit  Alkali  sofort  rein;  aus  den  Acetyl  Verbindungen  gewinnt  man  durch 
Verseifung  (Abspaltung  der  Acetylgruppe  unter  Ersatz  derselben  durch  Wasser- 
stoÜ)  ein  Gemisch  der  primären  und  secundären  Amine  zurück,  aus  welchem  das 
secundäre  Amin  dann  durch  Vermittelung  des  Nitrosamins  rein  abgeschieden  wer- 
den kann. 

Endlich  sei  erwähnt,  dass  in  manchen  Fällen  die  tertiären  Basen,  da  sie  schwer 
lösliche  saure  Ferrocyanide  bilden,  durch  Fällung  mit  Ferrocyankalium  in  saurer 
Lösung  von  den  übrigen  Basen  getrennt  werden  könnend 

Für  die  Reindarstellung  der  tertiären  Amine  ist  ihre  Gewinn- 
barkeit  aus  den  leicht  in  reinem  Zustand  erhältlichen  quatemären  Ammo- 
niumverbindungen von  Bedeutung.  Wenn  man  die  freien  Ammonium- 
hydroxyde  destillirt,  so  spalten  sie  ein  tertiäres  Amin  ab,  z.  B.: 

(CH3)^N .  OH  =  (CHs^aN  +  CH3 .  OH. 

*  Privatmittheilung  von  Dr.  A.  Bannow. 

•  E.  Fischer,  Ann.  190,  185. 


Bildungsweisen  primärer  Amine.  233 


Dieses  Verfahren  kann  auch  zur  Gewinnung  gemischter  Amine  dienen^; 
so  spaltet  sich  z.  B.  das  Hydroxyd  der  aus  Triäthylamin  und  Jodmethyl 
entstehenden  Ammoniumverbindung  im  Sinne  der  Gleichung  (vgl.  S.  246): 

(C,H6),(CH,)N.0H  =.  (C,H5WCHs)N  +  C^  +  H,0. 

2.  Durch  Einführung  von  Alkylresten  in  Ammoniakderi- 
Tate.  Einige  wichtige  Bildungsweisen  primärer  Amine  gehen  von  stick- 
stoffhaltigen Verbindungen  aus,  welche  an  ihrem  Stickstoffatom  ein  durch 
Metallatome  vertretbares  Wasserstoffatom  enthalten  und  beim  Kochen 
mit  Säuren  oder  Alkalien  den  Stickstoff  leicht  als  Ammoniak  abgeben; 
man  lässt  auf  ihre  Metallverbindungen  ein  Halogenalkyl  wirken  und  er- 
setzt auf  diese  Weise  das  Wasserstoffatom  (bezw.  Metallatom)  durch 
einen  Alkylrest;  führt  man  jetzt  die  Spaltung  mit  Säuren  oder  Alkalien 
aus,  so  erhält  man  statt  des  Ammoniaks  ein  einfach  alkylirtes  Ammoniak. 

Die  Isocyansäure  z.  B.,  0  =  C  =  NH,  zerfällt  leicht  in  wässriger 
Lösung  in  Kohlensäure  und  Ammoniak: 


CO :  NH  +  H,  0:  =  CO^  +  HjNH; 


destillirt  man  ihr  Kaliumsalz  CO:NK  mit  ätherschwefelsauren  Salzen, 
oder  setzt  man  ihr  Silbersalz  CO-NAg  mit  Alkyljodiden  um,  so  erhält 
man  die  Isocyansäureester,  wie  z.  B.  CO:N*C3H5,  welche  nun  beim 
Kochen  mit  Kali  primäre  Amine  liefern: 

CO  :  N.CjHj  +  H,  0  =  CO,  +  HjNC.Hj. 

Diese  Entstehungsweise  ist  besonders  von  historischem  Interesse;  sie 
fahrte  zur  Entdeckung  der  Amine  durch  An.  Wüetz*  (1848),  —  Bei 
glattem  Verlauf  sollten  sich  bei  dieser  Reaction  nur  primäre  Basen 
bilden;  es  treten  indess  auch  hier  secundäre  und  tertiäre  Basen  als 
Nebenprodukte  auf^. 

Bei  der  Einwirkung  von  Halogenalkylen  auf  Cyansilber  CNAg  ent- 
stehen die  Isonitrile,  z.B.  CijzN — CjH^;  diese  spalten  sich  bei  Berüh- 
rung mit  Säuren  in  Ameisensäure  und  primäre  Amine  ^: 

CNCgH,  +  2H,0  =  HCOOH  +  H^N-CsH,. 

Besonders  geeignet  zur  Darstellung  von  primären  Aminen  hat  sich 
das  leicht  zugängliche  Phtalimid  NH:C202:CßH^  erwiesen  (Gabeiel^). 
Vermischt  man  dasselbe  in  absolut-alkoholischer  Lösung  mit  alkoholischem 
Kali,  so  scheidet  sich  das  Phtalimidkalium  NK :  CgOj :  C^H^  ab,  welches 
leicht  mit  Halogenalkylen  doppelte  Umsetzungen  eingeht,  z.  B.: 

CeH^ :  C,0,  :  NK  +  CJM  =  K  J  +  CeH^  :  C,0,  :  NC^H^. 

*  A.  W.  HoFMANN,  Ann.  78,  281.  —  V.  Meyer  und  Lecco,  Ann.  180,  184.  — 
Lo6.«cK,  Ann.  181,  878. 

«  Ann.  71,  330;  76,  317. 

'  Silva,  Bull.  8,  363.  —  Heiktz,  Ann.  129,  34.  —  A.  W.  Hofhanm,  Ber.  16,  762. 

♦  Gaütieb,  Ann.  146,  122;  149,  159.  *  Ber.  20,  2224. 


234  Büdungsweisen  primärer  Amins, 


Die  80  erhaltenen  Alkylphtalimide  spalten  sich,  mit  rauchender  Salzsäure 
erhitzt,  in  Phtalsäure  und  primäre  Amine: 

CcH,  :  CjO, :  NC^Hs  +  211,0  =  CaH^CCO.H),  +  H.NCaH^. 

3.  Durch  Reduction  von  Nitroverbindungen  (Zinin).  Von  den 
Halogenalkylen  ausgehend,  kann  man  auch  durch  Vermittelung  der  aus 
ihnen  durch  Einwirkung  von  Silbernitrit  entstehenden  Nitroverbin- 
dungen: 

C.Hß.J  +  AgNOa  =  AgJ  +  CaH^NO, 

zu  den  primären  Aminen  gelangen^;  in  diesen  Nitroverbindungen  haftet 
das  Stickstoflfatom  direct  am  Alkylrest;  bei  der  Reduction  (mit  Eisen  und 
Essigsäure)  entsteht  daher  das  entsprechende  primäre  Amin  (vgl.  S.  254), 
z.  B.  Aethylamin  aus  Nitroäthan: 

C.Hfi .  NOg  +  6H  =  C  JI5 .  NH,  +  2HjO. 

4.  Aus  Verbindungen  mit  mehrfach  an  ein  Kohlenstoffatom 
gebundenem  Stickstoff  durch  Wasserstoffzufuhr.  Eine  Gruppe 
weiterer  Bildungsweisen  beruht  auf  der  Zuftihrung  von  Wasserstoflfatomen 
zu  solchen  Stickstoffverbindungen,  deren  Stickstoffatom  durch  mehrere 
Valenzen  an  ein  und  dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden  ist.  So  werden 
z.  B.  aus  den  Säurenitrilen(Alkylcyanide,  vgl.  S.  292ff.)  C^Hgn  +  i-C^N 
durch  Reduction  mit  Zink  und  Salzsäure  (öder  Schwefelsäure)  die  pri- 
mären Amine  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  erhalten,  z.  B.: 

CH3.C     N  +  4H  =  CHa-CH^NH,. 

Diese  von  Mendius^  entdeckte  Reaction  ist  freilich  mehr  von  theo- 
retischem als  von  praktischem  Interesse,  da  einerseits  die  Nitrile  der 
Fettreihe  nicht  ganz  leicht  zugänglich  sind,  und  andererseits  die  Reduc- 
tion mit  Zink  und  Salzsäure  nur  massige  Ausbeuten  liefert.  —  Bessere 
Resultate  erhält  man  bei  Ausführung  der  Reduction  durch  Natrium  in 
alkoholischer  Lösung^;  bei  Anwendung  dieses  Reductionsmittels  bietet 
die  MENDiüs'sche  Reaction  namentlich  zur  Gewinnung  der  Amine  aus 
den  höheren  Reihen  einen  recht  vortheilhaften  Weg^ 

Praktisch  von  grösserer  Wichtigkeit   ist  die  Reduction   der  aus 
I  den    Ketonen    und    Aldehyden    durch    Einwirkung    von    Hydroxylamin 

oder  Phenylhydrazin  (CßH--NH-NHj)  äusserst  leicht  erhältlichen  Oxime 
V.  Meyee's  oder  der  Hydrazone  E.  Fischer's: 

!  (CH3),  :  CO  +  n,.NOH  =  HjO  +  (CII3), :  C  :  N-OH; 

I  CHs  •  CHO  +  H,N .  XII  •  CeHfi  =  Wfi  +  CH3  •  CH  :  N •  NH  •  Cß^, 

Diese  Verbindungen  liefern,  wie  Tafel  ^  zuerst  bei  den  Hydrazonen,  dann 
H.  Goldschmidt  ^  bei  den  Oximen  fand,  bei  der  Behandlung  mit  Natrium- 


»  V.  Mever,  Ann.  71,  25.  «  Ann.  121,  129. 

'  Ladenbukq,  Ber.  18,  2956;  19,  782.  *  Kilvpft  und  Moye,  Ber.  22,  811. 

*  Ber.  19,  1924;  22,  1854.  «  Ber.  19,  3232;  20,  728. 


Bildufi{i8 weisen  primärer  Amine,  235 


amalgam  und  Eisessig  in  alkoholischer  Lösung  primäre  Amine  (aus  den 
Hydrazonen  entsteht  gleichzeitig  Anilin): 

(CH8)2C:N.OH  +  4H  =  (CH8),CH(NH4)  +  H^O; 
CHsCH-.NNH.CeHs  +  4H  =  CHgCHjlNH,)  +  NKs-CeH^. 

5.  Durch  Abbau  der  Amide  der  Carbonsäuren.  Eine  eigen- 
thümliche,  von  A,  W.  Hofmann ^  entdeckte  Reactionsfolge  fuhrt  von  den 
Carbonsäuren  zu  primären  Aminen,  welche  an  Stelle  der  in  den 
Ausgangssubstanzen  befindlichen  Carboxylgruppe  die  Amidgruppe  ent- 
halten und  daher  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmer  als  die  letzteren 
sind.  Die  Carbonsäuren  werden  zunächst  in  ihre  Amide  übergeführt 
(s.  Kap.  10  Abschn.  5),  z.  B.  Essigsäure  CHg-COOH  in  Acetamid  CHg- 
CO-XH^;  die  Säureamide  werden  in  Brom  gelöst,  und  diese  Lösung  wird  mit 
Kalilauge  bis  zur  Entfärbung  vermischt,  dann  mit  überschüssiger  Kalilauge 
destillirt.  Das  nun  übergehende  primäre  Amin  wird  in  Salzsäure  auf- 
gefangen; es  ist  ganz  frei  von  secundären  und  tertiären  Basen,  enthält 
aber  Ammoniak  beigemengt;  von  letzterem  trennt  man  es,  indem  man 
das  durch  Eindampfen  der  salzsauren  Lösung  erhaltene  Chlorhydrat- 
gemenge mit  absolutem  Alkohol  auszieht,  wobei  der  Salmiak  ungelöst 
bleibt,  das  Chlorhydrat  des  Amins  aber  in  Lösung  geht. 

Die  Einwirkung  der  alkalischen  Bromlösung  auf  das  Säureamid  er- 
zeugt hierbei  zunächst  ein  monobromirtes  Amid  (vgl.  Kap.  10  Abschn.  5): 

CHa.QO.NH,  +  Brj  +  KHO  =  CHaCONHBr  +  KBr  +  H^O. 

Aus  dem  Bromamid  entsteht  dann  durch  Entziehung  von  Bromwasser- 
stoflf  ein  Isocyansäureester : 

CHa-CO.NHBr-HBr  =  COiNCHj, 

welcher   nun   durch   weitere  Einwirkung   des  Aetzkali   in    schon   früher 
(S.  233)  besprochener  Weise  zerfällt: 

COiNCHs  +  H2O  =   CO2  +  HjNCHa. 

Diese  Reaction  liefert  in  den  niederen  Reihen  vortreffliche  Aus- 
beuten, weniger  gute  in  den  höheren,  da  hier  neben  den  Aminen  be- 
trächtliche Mengen  der  entsprechenden  Nitrile  gebildet  werden  2;  dieselben 
entstehen  durch  eine  Einwirkung  der  alkalischen  Bromlösung  auf  die 
Amine  im  Sinne  der  Gleichung  (vgl.  S.  295): 

CyHisCHjNH,  -f  4Br  =  4HBr  +  C^Hi^C     N. 

Die  Ausbeute  an  Amin  in  den  höheren  Reihen  wird  zuweilen  besser, 
wenn  man  —  anstatt  das  Amid  zunächst  in  Brom  zu  lösen  und  dann  mit 
Kali  zu  behandeln  —  das  Amid  in  einer  alkalischen  Lösung  von  unter- 
bromigsaurem  Kali  löst  und  darauf  einen  überhitzten  Dampfstrom  hin- 
durchleitet'. 


»   Ber.  16,  762.  «  Ber.  17,  1406  u.  1920. 

•  HoooEWERF  und  V.  DoRP,  Rec.  trav.  chim.  6,  376. 


236  Allgemeine  Charakteristik  der  Amine. 


Unter  der  grossen  Zahl  von  Methoden,  welche  sonach  für  die  Ge- 
winnung der  aliphatischen  Amine  zur  Verfugung  stehen,  ist  indess  keine 
derart  expeditiv,  dass  sie  die  Gewinnung  grösserer  Mengen  von  reinen 
Basen  im  Laboratorium  zu  einer  leichten  Arbeit  macht.  Auch  in  den 
Katalogen  der  Präparatenfabriken  sind  die  aliphatischen  Amine  mit  sehr 
hohen  Preisen  ausgezeichnet.  Im  Gegensatz  zu  den  aromatischen  Basen 
gehören  noch  immer  die  Amine  der  aliphatischen  Beihe  zu  den  schwer 
beschaffbaren  Materialien. 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  kohlenstoffärmsten  Amine  sind 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  Gase,  welche  dem  Ammoniak  durch  ihren 
Geruch  und  durch  die  Bildung  weisser  Nebel  mit  den  Dämpfen  flüch- 
tiger Säuren,  sowie  auch  sonst  in  jeder  Hinsicht  zum  Verwechseln 
gleichen.  Ebenso  wie  das  Ammoniak,  lösen  sie  sich  leicht  in  Wasser  zu 
einer  stark  alkalisch  reagirenden  Flüssigkeit;  vom  Ammoniak  unter- 
scheiden sie  sich  durch  ihre  Brennbarkeit  Dieser  Umstand  hat  zu  ihrer 
Entdeckung  gefuhrt;  als  Wuetz  die  Zersetzung  des  Cyansäureäthyl- 
esters  durch  Kali  untersuchte,  glaubte  er  geraume  Zeit,  dass  das  sich 
in  dieser  Reaction  entwickelnde  Gas  nichts  anderes  als  Ammoniak  sei, 
bis  er  durch  einen  Zufall  die  Brennbarkeit  des  vermeintlichen  Ammoniaks 
beobachtete^.  —  Die  kohlenstoflfreicheren  Glieder  sind  Flüssigkeiten, 
welche  leichter  als  Wasser  und  darin  löslich  sind,  die  höchsten  Glieder 
sind  fest;  mit  zunehmender  Kohlenstoffzahl  nimmt  die  Löslichkeit  in 
Wasser  ab  und  der  ammoniakähnliche  Geruch  tritt  zurück;  die  höchsten 
Glieder  sind  geruchlos  und  in  Wasser  unlöslich.  Die  folgende  Tabelle 
Nr.  10  (S.  237)  enthält  die  physikalischen  Constanten  einiger  Amine. 

Eine  Bestimmung  der  Basicität,  gegründet  auf  die  Messung  der 
elektrischen  Leitfähigkeit,  ist  für  die  Alkylamine  der  ersten  fünf  Reiben 
ausgeführt  worden;  die  Basicität  wurde  bedeutend  grösser  als  diejenige 
des  Ammoniaks  gefunden^.  Aus  vielen  Metallsalzlösungen  fallen  die 
Amine  die  Metalloxyde.  Ihre  Chlorhydrate  sind  meist  in  Wasser  leicht 
löslich  und  lösen  sich  auch  in  Alkohol  (Trennung  von  Salmiak,  vgl. 
S.  235).  Mit  Platinchlorid  und  Goldchlorid  bilden  sie  gut  krystallisirbare 
Doppelsalze  von  der  allgemeinen  Zusammensetzung: 

(AmHCl),PtCl4     und     AmHCl.AuCls  (Am  =  Amin), 

welche  sich  zur  Identificirung  der  Amine  meist  als  sehr  geeignet  er- 
weisen. 

Das  chemische  Verhalten  ist  für  die  drei  Klassen  von  Aminen  in 
den  meisten  Reactionen  ein  verschiedenes.  Die  tertiären  Amine  er- 
weisen sich  gegenüber  vielen  Reagentien  indifferent,  durch  welche  die 
primären  und  secundären  Amine,  da  sie  noch  an  ihrem  Stickstoffatom 
vertretbare  Wasserstoffatome  enthalten,  leicht  verändert  werden.  Während 


*  Vgl.  A.  W.  HoFMAKX,  Nekrolog  auf  Wurtz,  Ber.  20  o,  932. 

*  Vgl.  Ostwald,  J.  pr.  [21  33,  352. 


Tabellarische  Uebersicki  über  die  Alkylamine. 


237 


Tabelle  Nr.  10. 


Alkylrest. 


Primäres  Amin. 
(Methylamin  etc.) 


Schm.- 
ponkt 


Siede- 
punkt. 


Specifiacbes 
Gewicht. 


Methyl-  ^ — ••e.ii.it.so.sr.ss 
Aethyl-^ — 6.ii'is.2a.s5'So<37.52 

Propyl- **-"""^**'     .  . 
Isopropyl-  »•"•"•»»•»5-M.61 

Prim.  norm.-butyl- "— •^ 
Isobutyl- »-"•"-»•**.  .  . 

Sec-biityl-*»" 

Tert.-butyl-»»»  .... 

JgQ^IUy].  6.11.i5.S0— S4.87-^0 

Prim.  DOTm.-hezyl-  **•**•*• 
-heptyl- "•»*•*» 


II 


56 


6S 


-octyl- 


U.>9.49 — 46 


Prim.  norm.-duodecy !-**•*'  . 
-tridecyl-**  .  .  . 
-tetradecyl-*'.  . 


j' 


n 


Prim.  norm.-hexadecjl-^^ 

„    -heptadecyl-  ^*'** 


»» 


49<> 


—  6<> 
-hl9ö 

490 

32<> 

63<> 

46«' 

95« 
129*^ 
1550 
180<^ 

248<» 
265<» 

187<*i  *^° 
835-340« 


0-699  (—11«) 

0-708  (—2«) 

0-728(0«) 

0-690(18«) 

0-755(0«) 

0-736(15«) 

0-700(15«) 
0-750(18«) 


Secundäres 

Amin. 

(Dimethylamin  etc.) 

Siede-    Specifisches 


punkt. 

+  7« 

56« 

98« 

84« 

160« 

136« 


187« 


Gewicht. 


Tertiäres  Amin. 
(Trimethylamin  etc.) 


Siede- 
punkt. 


Specifisches 
Gewicht. 


297< 


0.686(-6«) 
0.711(  +  15«) 
0-756    (0«) 
0-724  (15«) 


0-782  (0«) 


Dimyricyl- 

amin(?)" 

(CaoHeOaNH 

schmilzt  bei  78« 


+  3-5« 
90« 
156« 

215« 
187« 


235« 
260« 

366« 


0-662(-5«) 
0-735(+15«) 
0-771  (0«) 

0-791  (0«) 
0-785  (21«) 


Tricetylamin*« 

(CieH,3),N 
schmilzt  bei  39« 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  10:  '  Vgl.  die  Citate  auf  S.  241—244.  —  «  Vincent 
u.  Chappuis,  Compt  rend.  101,  427;  103,  379.  —  •  A.  W.  Hopmann,  Ber.  22,  699.  — 
*  OuDEMANs,  Kec.  trav.  chim.  1,  56.  —  ■  Brühl,  Ann.  200,  185.  —  «  Mendius,  Ann. 
121,  129.  —  '  SiERSCH,  Ann.  144,  137;  148,  263.  —  *  Silva,  Ztschr.  Chem.  1869, 
638.  —  •  LiNNEUANN,  Ann.  161,  44;  162,  19.  —  *«  Wallach  u.  Schulze,  Ber.  14,  421. 

—  "  A.  W.  Hopmann,  Ber.  16,  762.  —  "  Topsoe,  Jb.  1883,  618.  —  "  Römek,  Ber. 
6,  1101.  —  "  Zandeb,  Ann.  214,  171.  —  "  Gautier,  Ann.  149,  159.  —  ^«  H.  Gold- 
scHMLDT,  Ber.  20,  728.  —  "  Lieben  u.  Rossi,  Ann.  158,  172;  166,  113.  —  "  V.  Meyer, 
Bakbieri  u.  Forster,  Ber.  10,  130.  —  *'  Linnbmann  u.  Zotta,  Ann.  162,  3.  — 
•«  ZüBLiN,  Ber.  10,  2083.  —  •*  Hughes  u.  Römer,  Ber.  7,  511.  —  »•  Merz  u.  Gasiorowski, 
Ber.  17,  623.  —  ••  Ladenburg,  Ber.  12,  949.  —  ^  Reimer,  Ber.  3,  756.  —  ■*  Malbot, 
Compt.  rend.  104,  63,  228,  366,  998;  105,  574.  Ann.  eh.  [6]  13,  474.  —  "  Reymann, 
Ber.  7,  1289.  —  "  A.  W.  Hopmann,  Ber.  7,  510.  —  *«  Brauner,  Ann.  192,  65.  — 
»  RiTDXEFP,  Ber.  U,  988,  1938.  —  »«  Wubtz,  Ann.  71,  330;  76,  317.  —  "  Brazier 
Q.  Go8si*eth,  Ann.  76^  253.  —  "  Anderson,  Ann.  105,  335.  —  ^'  Schwanert,  Ann. 
102,  225.  —  •*  Berthelot,  Ann.  87,  372.  —  ■*  v.  d.  Zande,  Rec.  trav.  chim.  8,  202. 

—  »•  Thomas,  ebenda  9,  69.  —  "  Hesse,  Müller,  J.  pr.  70,  60,  66;  71,  479.  — 
«  A.  W.  Hopmann,  Ann.  79,  20.  —  »«  Silva,  Ztschr.  Chem.  1867,  457.  —  *«  Bell, 
Ber.  10,  1867.  —  *'  Frentzel,  Ber.  16,  744.  —  "  Petersen,  Ann.  101,  310;  102, 
312.  —  *•  HoooEWERP  u.  V.  Dorf,  Rec.  trav.  chim.  6,  386.  —  **  Renesse,  Ann.  166, 
85.  —  *»  EicHLER,  Ber.  12,  1885.  —  *•  Lutz,  Jb.  1886,  1402.  —  *'  Krafft,  Ber.  23, 
2360.  —  **  Krafft  u.  Moye,  Ber.  22,  811.  —  *«  Turpin.  Ber.  21,  2486.  —  *«  Fridau, 
Ann.  83,  25.  —  "  Pievbrling,  Ann.  183,  351.  —  "  Tafel,  Ber.  19,  1924.  —  "  Vin- 
cent, Compt  rend.  103,  694.  —  **  Sachtleben,  Ber.  11,  733.  —  **  Franchimont,  Rec. 
tiav.  chim.  2,  332,  338. 


238      Verschiedenes  Verhalten  der  pritnären,  secundären  u.  tertiären  Aniifie, 


z.  B.  Essigsäureanhydrid  (CHg-C0)20  auf  tertiäre  Amine  nicht  ein- 
wirkt, tritt  beim  Vermischen  desselben  Reagens  mit  primären  und 
secundären  Aminen  lebhafte  Erwärmung  ein,  indem  die  Acetylgruppe 
(CHgCO-)  an  Stelle  von  WasserstofiFatomen  eingeführt  wird. 

Schwefelkohlenstoff  wirkt  auf  primäre  und  secundäre  Amine  im 
Sinne  der  Gleichungen: 

.NH-CÄ 

CS, +  2NH,.C8H5  =  ds 

\sH.NHaCaH5 

CSj  +  2NH(CA),  =  CS 

\SH .  XllfC  JI,)j 

unter  Bildung  von  Aminsalzen  der  Alkylsulfocarbaminsäuren.  Von  diesen 
zeigen  die  aus  primären  Aminen  hervorgegangenen  ein  charakteristische^ 
Verhalten  bei  der  Einwirkung  von  entschwefelnden  Agentien  (Metall- 
salzen); sie  liefern  unter  Abspaltung  von  Schwefelwasserstoflf  ein  Senföl 
(C,H3„^,.N:CS),  z.  B.: 

/NII.C,H, 
CS 


\SH.NH,.C,H. 


=  CSiNCgHg  +  SH,  +  NHj.CjHs. 

Diese  Senföle  sind  durch  einen  charakteristischen,  noch  in  äusserst  ge- 
ringen Mengen  wahrnehmbaren  Geruch  ausgezeichnet.  Man  kann  sich 
daher  ihrer  Bildung  zur  Prüfung  auf  die  primäre  Natur  eines  Amins 
bedienen.  Als  entschwefelndes  Agens  wendet  man  bei  dieser  „Senf- 
ölprobe"  A.  W.  Hofmann's  ^  Quecksilberchlorid  in  alkoholischer  Lösung 
oder  Eisenchlorid  *  an. 

Ebenfalls  ausschliesslich  den  primären  Aminen  eigen  ist  die  Isoni- 
trilreaction  A.  W.  Hofmanx's^  Erwärmt  man  ein  primäres  Amin  in 
alkoholischer  Lösung  mit  Aetzkali  und  einigen  Tropfen  Chloroform,  so 
bildet  sich  ein  Isonitril  (Carbylamin,  vgl.  S.  251): 

CjHft.NHj,  +  CHCI9  +  3K0H  =  CA- NC  +  3KC1  +  aHgO; 

auch  von  diesen  Isonitrilen  geben  sich  noch  sehr  geringe  Mengen  durch 
ihren  furchtbar  heftigen  Geruch  zu  erkennen. 

Für  secundäre  Amine  ist  charakteristisch  das  schon  S.  231 — 232  er- 
wähnte Verhalten  gegen  salpetrige  Säure;  während  primäre  Amine 
von  salpetriger  Säure  in  die  Alkohole  verwandelt,  tertiäre  Amine  über- 
haupt nicht  leicht  von  salpetriger  Säure  verändert  werden,  gehen  die 
secundären  Amine  in  die  von  Geütheb*  entdeckten  Nitrosoamine,  wie 
{CH3)2N-NO,  über;  es  sind  dies  gelbliche  Flüssigkeiten,  welche  mit 
Wasserdämpfen   unzersetzt  flüchtig  sind   und  meist  auch  für  sich  ohne 


^  Ber.  8,  107.  *  Weith,  Ber.  8,  461.  «  Bor.  3,  767. 

*  Ann.  128,  151. 


Nitrosoamine,  Nitroamine,  Dinitroalkylsäuren,  Sulfa7ninsäuren.      239 


Zersetzung  destillirt  werden  können.  Mit  concentrirter  Salzsäure  regene- 
riren  sie  die  secundären  Amine,  von  Zinkstaub  und  Essigsäure  in  alko- 
holischer Lösung  werden  sie  zu  Hydrazinen  reducirt^,  z.  B.: 

(CgHslgN-NO  +  2H,  =  (CaHjljN.NH,  +  H^O. 

Es  ist  bisher  nur  in  einem  Falle  constatirt  worden,  dass  der  Bildung  des 
Nitrosamins  die  Bildung  eines  Nitrits  vorausgeht.  Das  Düsopropylamin  bildet  ein 
woblkrystallisirbares  salpetrigsaures  Salz  (C8H7)2NH.;HNO,,  welches  in  kalter  wäss- 
riger  Lösung  beständig  ist  und  erst  in  kochender  Lösung  sich  langsam  in  das  Nitroso- 
amin  umwandelt.  Das  normale  Dipropjlamin  liefert  dagegen  mit  salpetriger  Säure 
schon  in  der  Kälte  das  Nitrosamin*. 

Die  Nitrosoamine  bilden  sich  auch  beim  Erhitzen  der  Nitrate  der  secundären 
Amine'  auf  etwa  150*^: 

(CHs^jNH.HNOa  =  (CH8)8N.NO  +  H,0  +  0. 

Auch  Nitro d eri vate  ^  der  primären  und  secundären  Amine,  wie  z.  B. 
CH3'NH(N02),  (CH8)2N-N02,  sind  bekannt.  Die  Monoalkylnitroamine  sind  aus 
den    Monoalkylurethanen,    wie    CHg-NH«  CO  •  OCHg,    oder   Dialkyloxamiden,   wie 

CO— NH .  CH3 

zu  erhalten ;  diese  Verbindungen  liefern  mit  reinem  Salpetersäurehydrat 
CO— NH.CH3, 

C0-N(N0,)CH3 
behandelt    Nitroverbindungen,    wie   CH3 •  NCNO^) •  CO •  OCH3    oder     |  , 

C0-N(N0»)CH3 
auB  welchen  nun  durch  Ammoniak  das  Nitroamin  als  Ammoniumsalz  abgespalten  wird; 
beim  Rochen  mit  Alkohol  giebt  das  Ammoniumsalz  das  Ammoniak  ab  und  hinter- 
lässt  das  freie  Nitroamin.  Die  Monoalkylnitroamine  besitzen  saure  Eigenschaften  und 
gehen  bei  der  Behandlung  mit  Jodalkylen  und  Kalilauge  in  Dialkylnitroamine 
(z.  B.  (CHgjjN'NOj)  über.  Letztere  werden  auch  direct  bei  der  Einwirkung  von 
raachender  Salpetersäure  auf  verschiedene  Säurederivate  der  secundären  Amine  er- 
halten, z.  ß.  auf  das  aus  Benzolsulfochlorid  CoHg-SOaCl  und  Dimethylamin  ent- 
stehende Benzolsulf  osäuredimethylamid  CeHB>S02-N(CH3)2;  sie  werden  von  Zinkstaub 
and  Essigsäure  zu  Hydrazinen  (wie  (CHj^jN-NHj)  reducirt. 

An  dieser  Stelle  seien  ferner  einige  Verbindungen  von  noch  nicht  aufgeklärter 
Stmetur  erwähnt,  welche  den  Nitroaminen  isomer  sind  und  jedenfalls  auch  Alkylreste 
direct  an  Stickstoff  gebunden  enthalten.  Es  sind  dies  die  Dinitroalkylsäuren^, 
welche  durch  Einwirkung  von  Stickoxyd  auf  Zinkalkyle  erhalten  sind.  Aus  Zink- 
Sthvl  und  Stickoxyd  z.  B.  bildet  sich  zunächst  eine  Verbindung  von  dinitroäthyl- 
sanrem  Zink  und  Zinkäthyl  (CaH6N202)2Zn  4-  ZniC^K^^j  aus  welcher  man  bei  der  Zer- 
setsEung  mit  Wasser  unter  Aethan-Entwickelung  das  basische  Zinksaiz  C2H5N2O2  •  Zn(OH) 
erhält;  letzteres  liefert,  in  wässriger  Lösung  mit  Kohlensäure  zersetzt,  das  neutrale 
Zinksaiz  (C2H5N202)2Zn.  Aus  dem  Zinksalz  sind  nun  andere  Salze  darstellbar. 
Die  freie  Säure  ist  sehr  unbeständig;  ihre  verdünnte  wässrige  Lösung  kann  zwar 
ün  Yacnum  destillirt  werden,  doch  zersetzt  sie  sich  allmählich  schon  in  der  Kälte, 
sie  riecht  stechend  und  röthet  Lakmus.  Dass  in  diesen  Verbindungen  der  Alkylrest 
am  Stickstoff  haftet,    ergiebt  sich  daraus,    dass  bei  der  Reduction   mit  nascirendeni 


^  E.  Fischer,  Ann.  199,  808. 

*  V.  D.  Zande,  Rec.  trav.  chim.  8,  207.  ^  P.  v.  Romburgh,  ebenda  5,  246. 

*  Frakchdcont,  Rec  trav.  chim.  2,  121,  343;  3,  427.  —  Franchimont  u.  Klobbie, 
ebenda  7,  343;  8,  295.  —  v.  Romburgh,  ebenda  3,  9.  —  Thomas,  ebenda  9,  69. 

*  Frankland,  Ann.  99,  342.  —  Zückschwerdt,   Ann.  174,  302.  —  Zorn,  Ber. 
16,  1007.  —  Frankland  u.  Graham,  Joum.  Soc.  87,  570. 


240  Chemisches  Verhalten  der  Amine. 


Wasserstoff  die  Hälfte  des  Stickstoffs  als  Ammoniak,  die  andere  Hftlfte  aber  als 
primäres  Alkylamin  abgespalten  wird;  ebenso  erzeugt  die  Einwirkung  von  alkoho- 
lischem Kali  Alkjlamin  neben  salpetersaurem  Salz.    Vielleicht  ist  die  Constitution 

<JNÜ  p    TT    T^ 1^ Qu 

oder      '^    V        y 
OH  ^CK 

auszudrücken. 

Die  Nitrosoamine  und  Nitroamine  sind  Aminderivate  der  salpetrigen  Sftore  bezw. 
Salpetersäure;  von  den  Aminen  leiten  sie  sich  ab,  indem  ihre  am  StickstofißEttom  noch 
disponiblen  Wasserstoffatome  durch  die  Radicale  jener  Säuren  (NO — ,  bezw.  NOj— i 
ersetzt  werden.  Auch  von  der  Schwefelsäure  giebt  es  ähnlich  constituirte  Amin- 
derivate^, wie  z.  B.: 

,NH.C,H,                                /NCCH«),  /N(CH,\ 
SO  /                 ,  so/              ,  S0,<  ; 
^OH                                         \C1                                       ^N(CH3>, 
Aethjlsulfamin-  Dimethvlamido-  Tetramethyl- 
säure sulfurylchlorid                               sulfamid 

sie  werden  durch  Einwirkung  von  Sulfurylchlorid  oder  Schwefelsäureanhydrid  anf 
primäre  und  secundäre  Amine  erhalten. 

Der  oben  erwähnten  Reactionen  kann  man  sich  bedienen,  um  durch 
qualitative  Prüfungen  festzustellen,  ob  ein  Amin  ein  primäres,  secun- 
däres  oder  tertiäres  sei.  Dieselbe  Frage  kann  nach  A.  W.  Hofmanx 
allgemein  beantwortet  werden,  indem  man  die  Anzahl  der  Methylgruppen 
bestimmt,  welche  dem  fraglichen  Amin  noch  zugeführt  werden  können. 
Man  behandelt  die  Base  mit  Methyljodid  so* lange,  bis  man  sie  in  ein 
quaternäres  Ammoniumjodid  —  erkennbar  an  seiner  Unzerlegbarkeit  durch 
Kalilauge  —  übergeführt  hat.  Aus  der  quantitativen  Analyse  des  letzteren 
ergiebt  sich  nun  die  Anzahl  der  eingeführten  Methylgruppen;  waren  drei 
Methylgruppen  zur  Bildung  des  Ammoniumjodids  nötiiig,  so  lag  eine 
primäre  Base  vor,  bei  zwei  Methylgruppen  eine  secundäre;  genügte  eine 
Methylgruppe,  so  war  das  Amin  ein  tertiäres.  Auf  diese  Weise  ist  z.  B. 
zuerst  nachgewiesen  worden,  dass  die  aus  der  Häringslake  erhaltene 
Base  CgHgN  nicht,  wie  man  ursprünglich  glaubte,  Propylamin  CjH^-NHj, 
sondern  vielmehr  Trimethylamin  (CH3)3N  ist^. 

Zu  interessanten  Verbindungen  fuhrt  die  Einwirkung  der  Halogene^ 
(in  alkalischer  Lösung,  z.  B.  in  Form  von  Chlorkalk  angewendet)  auf 
die  primären  und  secundären  Amine;  die  am  Stickstoff  haftenden  Wasser- 
stoffatome werden  durch  Halogenatome  substituirt;  es  entstehen  demnach 
organische  Abkömmlinge  des  Chlorstickstoffs  (bezw.  Brom-  oder  Jodstick- 
stoffs), wie  CH3.NCI2,  (C5Hii)2NCl,  C^Hß-NBra  etc.  Dieselben  besitzen 
nicht  die  heftig  explosiven  Eigenschaften  dieser  ihrer  Stammkörper;  von 
den  Chlorderivaten  können  sogar  einige  ohne  Zersetzung  destillirt  werden; 


•  R.  Behrend,  Ann.  222,  116.  —  Beilstein  u.  Wieoand,  Ber.  16,  1264.  — 
Franchimont,  Rec.  trav.  chim.  8,  417. 

•  Winkler,  Ann.  98,  326. 

•  WüRTz,  Ann.  76,  319,  327.  —  Tscherniak,  Ber.  9,  143.  —  Kohler,  Ber.  12, 
770.  —  A.  W.  HoFMAXN,  Bei«.  15,  767;  16,  558.  —  Raschid,  Ann.  280,  222.  - 
Pierson  u.  Heümann,  Ber.  16,  1047.  —  Berg,  Compt.  rend.  110,  862.  Bull.  [3]  8,  685. 


Chemisckes  Verhalten  der  Amine,  241 


sie  stellen  Oele  von  höchst  stechendem  Geruch  dar.  Dass  in  diesen  Ver- 
bindungen die  Halogenatome  am  Stickstoff  haften  ^  beweist  die  Um- 
setzung des  Aethyldichloramins  mit  Zinkäthyl  zu  Triäthylamin : 

CjHsNCl,  +  ZnCCaH^),  =  ZnCl,  +  N(C,H5)8.  — 

Die  Chlorderivate  entwickeln  beim  Erwärmen  mit  concentrirter  Salzsäure 
Chlor  unter  Rückbildung  des  halogenfreien  Amins: 

CftHiiNHCl  -f  2HC1  =  Clj  +  C8HiiNH,.HCl. 

Die  Bromderivate  der  höheren  primären  Amine  gehen  bei  Einwirkung 
von  Natronlauge  unter  Bromwasserstoffverlust  in  Nitrile  über: 

C7H,5.CH,.NBr8-2HBr   =   C.HjßCN. 

Die  Oxydation  der  Amine  ^  führt  zur  Abspaltung  des  Alkylrestes 
vom  Stickstoffatom;  der  Alkylrest  wird  zu  dem  entsprechenden  Aldehyd 
oder  der  Carbonsäure  oxydirt;  so  entsteht  z.  B.  Acetaldehyd  aus  Aethyl- 
amin,  Ameisensäure  aus  Trimethylamin. 

Eine  Abtrennung  des  Kohlenwasserstoffrestes  tritt  auch  bei  der 
Einwirkung  hoher  Temperaturen  auf  die  Haloldsalze  der 
Amine  2  ein;    ein   Alkylrest   tritt  mit   dem   Halogenatom  als  Halogen- 

alkyl  aus: 

N(C,H5)3.HC1  =  NHCCjH»),  +  CH^Cl, 

NH(C,H,)a.HCl  =  NH,(C,H5)  +  C.HsCl, 
NH,(C,H6).HC1  =  NH,  +  CHjCl. 

Auf  diesem  Verhalten  beruht  die  technische  Gewinnung  des  Chlormethyls 
aus  rohem  Trimethylamin  (s,  S.  187). 

Die  einzelnen  Glieder.  Für  die  Darstellung  der  Methyl-  und 
Aethylamine  in  grossem  Massstab  ^  benutzt  man  (in  der  Kahlbaum'- 
schen  Fabrik  zu  Berlin)  ausschliesslich  die  Methode  der  Einwirkung  von 
Ammoniak  auf  die  entsprechenden  Chloride  und  Bromide.  Vom  Ammo- 
niak werden  die  Rohbasen  getrennt,  indem  man  ihre  mit  Hülfe  von 
sehr  wenig  Wasser  geschmolzenen  Chlorhydrate  vom  Salmiak  absaugt. 
Die  Beingewinnung  der  primären  Basen  geschieht  durch  wiederholtes 
Umkrystallisiren  der  Chlorhydrate  resp.  Oxalate;  dies  Verfahren  ist  nur 
anwendbar,  wenn  man  grosse  Mengen  zur  Verfügung  hat,  giebt  dann 
aber  die  besten  Resultate.  Aus  den  hierbei  bleibenden  Rückständen 
werden  die  secundären  und  tertiären  Basen  vermittelst  des  Trennungs- 
verfahrens mit  salpetriger  Säure  abgeschieden  (vgl.  S.  231 — 232). 

Methylamin  CHg-NH^  ist  nach  fast  allen  S.  229 — 235  ange- 
fahrten allgemeinen  Bildungsweisen  erhalten  worden;  zu  seiner  Dar- 
stellung im  Laboratorium  eignet  sich  besonders  die  Einwirkung  von 
Brom  auf  Acetamid  (CHj-CO-NH^)  in  alkalischer  Lösung  (S.  235).    Er- 

*  Wallach  u.  Claiben,  Ber.  8,  1237. 
»  A.  W.  HoFMANN,  Jb.  1860,  343. 

•  Privatmittheilang  von  Dr.  A.  Bannow. 

V.  MsYXK  Q.  JA00B80H,  org.  Chem.  I.  16 


242  Methylamin  und  Dimethylamin. 

wähnt  sei  femer  seine  Bildung  beim  Ueberleiten  eines  Gemisches  von 
Blausäuredampfund  Wasserstoff  über  auf  110^  erhitztes  Platinschwarz  ^ : 

HCN  +  4H  =  CHjNH, 

und  durch  Reduction  des  Chlorpikrins  *  (CClg-NOj): 

CCla-NO,-  +  12H  =  CHa-NH,  +  3HCI  +  2H,0. 

Letztere  Reaction  eignet  sich  auch  zur  Gewinnung  der  Base  im  Grossen. 
Methylamin  findet  sich  natürlich  gebildet  in  Mercurialis  annua  und  perennis 
vor^  und  entsteht  sehr  häufig  bei  Zersetzungsprocessen  von  natürlichen 
Stoffen,  z.  B.  aus  Morphin,  Kreatin,  Sarkosin  etc.;  es  beruht  dies  darauf, 
dass  in  den  Molecülen  dieser  Stoffe  Methylgruppen  an  Stickstoff  gebunden 
enthalten  sind,  welche  nun  bei  der  Zersetzung  zugleich  mit  dem  Stick- 
stoffatom abgespalten  werden.  Auch  unter  den  Destillationsprodukten 
des  Holzes  und  der  Knt)chen  findet  sich  das  Methylamin,  ferner  in  der 
Häringslake  *.  —  Das  Methylamin  ist  ein  farbloses  Gas,  das  dem  Ammo- 
niak sehr  ähnlich,  zugleich  aber  etwas  fischartig  riecht;  ein  Volum 
Wasser  löst  bei  12-5«  1150  Vol.,  bei  2b^  959  Vol.  Methylamin.  Von 
dem  Ammoniak  unterscheidet  es  sich  wesentlich  dadurch,  dass  es 
Aluminiumhydroxyd  aufzulösen  vermag,  und  durch  seine  Brennbarkeit; 
bei    der    Verbrennung    einer    wässrigen    Methylaminlösung    bildet    sich 

Blausäure : 

CHjNHj  +  0,  =  2H,0  +  HCN. 

Methyldichloramin  CHj-NClj  siedet  bei  59 — 60^;  Methyldijodamin 
CHj-NJg  ist  ein  granatrothes  Pulver.  — Methylnitramin*  CH3-NH(N02) 
schmilzt  bei  38^  und  liefert  ein  beim  Erhitzen  heftig  explodirendes 
Kaliumsalz:  CHg-NKNOg. 

Dlmethylamin  (CHg)jNH  findet  sich  in  der  Häringslake  und  bildet 
sich  bei  der  Fäulniss  von  Fischen®.  Kleinere  Mengen  gewinnt  man  vor- 
theilhaft  aus  dem  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  Dimethyl- 
anilin  leicht  erhältlichen  Nitrosodimethylanilin  ^  (CH3)2N-CgH4-NO,  wel- 
ches sich  durch  Kochen  mit  Alkalien  in  Dimethylamin  und  Nitroso- 
phenol  spaltet®: 

NOCeH^NCCHg),  +  HgO  =  NOCeH^-OH  +  HNCCHj),. 

Das  Nitrosophenol  bleibt  an  Alkali  gebunden  zurück,  während  das 
Dimethylamin  entweicht  und  in  Salzsäure  aufgefangen  werden  kann.  — 


^  Debus,  Ann.  128,  200.  '  Geisse,  Ann.  109,  282. 

*  £.  Schmidt,  Ann.  198,  73. 

^  ToLLENS,  Ztschr.  Chem.  1866,  516. 

°  Franchimont  u.  Klobbie,  Bec.  trav.  chim.  7,  353;  8,  295. 

^  Bocklisch,  Ber.  18,  87  n.  1924. 

'  Die  hier  der  Uebeisichtlichkeit  wegen  beibehaltene  ältere  Formulirung  des 
Xitrosodimethylanilins  nnd  Nitrosophenols  entspricht  nicht  mehr  der  heutigen  Anffimmmg 
ihrer  Constitution  (vgl.  Bd.  II). 

®  Baeyeb  u.  Cabo,  Ber.  7,  964. 


Trimethylamin.  243 


Auch  das  im  Handel  vorkommende  sogenannte  „Trimethylamin**,  welches 
grosse  Mengen  von  Dimethylamin  enthält  (vgl.  unten),  kann  zweckmässig 
zur  Gewinnung  des  Dimethylamins  dienen^.  Bemerkenswerth  ist  die 
Löslichkeit  des  salzsauren  Dimethylamins  (und  Diäthylamins)  in  Chloro- 
form*, durch  welche  es  leicht  von  dem  in  Chloroform  unlöslichen  Sal- 
miak getrennt  werden  kann. 

Dimethyljodamin'  (CH8)gNJ  entsteht  bei  der  Einwirkung  von  Jod  und 
Natronlauge  auf  salzsaures  Dimethylamin  als  schwefelgelber,  leicht  zersetzlicher  Nie- 
derschlag. —  Dimethylnitrosamin*  (CHg)jN  •  NO  wird  aus  seiner  wässrigen 
Loeung  durch  Kaliumcarbonat  als  gelbliches  Oel  abgeschieden,  siedet  bei  149^  und 
besitzt  schwach  basische  Eigenschaften;  das  Chlorhydrat  (CH8)sN •  NO . HCl  scheidet 
sich  beim  Einleiten  von  Salzsäuregas  in  die  ätherische  Lösung  in  weissen  Krystallen 
ab  und  wird  durch  Wasser  und  Alkohol  wieder  zersetzt.  —  Dimethylnitramin^ 
(CH3),\.N0j  schmilzt  bei  57 «,  siedet  bei  187<>und  ist  in  Wasser  und  Aether  leicht 
löslich. 

Trimethylamin  (CH3)3N  ist  in  der  Natur  ziemlich  verbreitet;  so 
hat  man  es  z.  B.  in  Chenopodium  vulvaria®,  in  Crataegus  oxyacantha^ 
und  anderen  Pflanzen  aufgefunden.  Wichtig  ist  sein  reichliches  Vor- 
kommen in  der  Häringslake^.  Auch  aus  Wein  erhält  man  beim  Destil- 
liren mit  Natronlauge  Trimethylamin®.  Seine  Bildung  (aus  Betain)  bei 
der  trockenen  Destillation  der  Rübenzucker-Melassenschlempe  ist  bereits 
früher  erwähnt  (S.  187).  Das  durch  diesen  Process  gewonnene  und  in 
den  Handel  gebrachte  „Trimethylamin"  besteht  indessen  zum  grössten 
Theil  (etwa  50  ^o)  ^tus  Dimethylamin,  enthält  femer  Mono-methyl-,  -äthyl-, 
-propyl-  und  -butylamin  und  nur  etwa  S^o  Trimethylamin^".  Es  ist  daher 
keine  geeignete  Quelle  zur  Darstellung  von  reinem  Trimethylamin.  Letz- 
teres gevrinnt  man  im  Laboratorium  am  besten  durch  Destillation  von 
Tetramethylammoniumhydroxyd  ^^ : 

(CH,),N.OH  =  CH,(OH)  +  NCCHs),, 

dessen  Jodid  das  leicht  rein  erhältliche,  schwer  lösliche  Hauptprodukt 
der  Einwirkung  von  Jodmethyl  auf  Ammoniak  bildet.  Das  unreine  tech- 
nische Trimethylamin  ist,  wie  schon  erwähnt,  werthvoll  fiir  die  Gewinnung 
von  Chlormethyl  und  Ammoniak  (S.  187).  Auch  hat  man  vorgeschlagen, 
es  für  die  Gewinnung  von  Kaliumcarbonat  aus  Chlorkalium  nach  einem 
dem  Ammoniaksodaprocess  analogen  Verfahren  zu  benutzen ;  doch  dürfte 
dieser  Vorschlag  bisher  kaum  ausgeftihrt  sein.  —  In  concentrirtem  Zu- 
stand riecht  das  Trimethylamin  dem  Ammoniak  äusserst  ähnlich,  in  der 

^  DuviLUER  a.  BuisiNE,  Ann.  eh.  [5]  28,  317.' 

>  R.  Behkend,  Ann.  222,  119.  ^  RASCHia,  Ann.  289,  '^^^• 

*  Renouf,  Ber.  18,  2170. 

^  FiLANCHnfOHT,  Rcc  trav.  chim.  2,  121,  843;  8,  427.  —  v.  Rombüboh,  ebenda  8,  9. 

*  Debsaiohbs,  Ann.  81,  106.  ^  Wicke,  Ann.  91,  121. 

*  Wertbeim,  Jb.  1851,  480.  —    Winkler,   Ann.  98,  321.    —  Bogklisch,    Ber. 
18.  1922. 

^  Ludwig,  J.  pr.  108,  46. 
^<*  Vgl.  DovauER  u.  BuieiNE,  Ann.  eh.  [5]  28,  298. 

16* 


244  Aetkylamine,     Septadecylamin, 

Verdünnung  aber  höchst  widerwärtig;  man  empfindet  daher ,  während 
man  mit  dieser  Base  arbeitet,  den  Geruch  nicht  gerade  besonders  un- 
angenehm, wohl  aber  einige  Zeit  darauf,  da  der  in  der  Verdünnung  an 
faule  Fische  erinnernde  Geruch  den  Fingern  und  Kleidern  äusserst  hart- 
näckig anhaftet. 

Trimethylamin  vereinigt  sich  mit  Schwefelkohlenstoff  unter  Wärmeent- 
wickelung zu  einer  bei  125^  schmelzenden  Verbindung  N(CHg)3 .  CSg,  welche  sich  mit 
verdünnten  Sfiuren  zu  Salzen  vereinigt,  von  concentrirten  Säuren  und  Alkalien  aber 
in  ihre  Bestandtheile  zerlegt  wird^ 

Aethylamin  CjHg-NHj  unterscheidet  sich,  wie  das  Methylamin, 
vom  Ammoniak  durch  sein  Lösungsvermögen  für  Aluminiumhydroxyd*. 
—  Aethyldichloramins-*:  CaHg-NClg  siedet  bei  88  —  89«  und  besitzt 
bei  15«  das  spec.  Gew.  1.230.  —  Aethylni tramin«  C2H3-NH(N02) 
schmilzt  bei   +  3  «. 

Diäthylamin:  (C2H,)2NH.  Für  seine  Darstellung  im  Laboratorium 
geht  man  zweckmässig  vom  Diäthylanilin  C^Hg  •  N(C2Hß)j  aus ,  indem 
man  dasselbe  entweder  zu  Nitrosodiäthylanilin  N0-CgH4-N(C3Hg)2  nitro- 
sirt®  oder  zu  Dinitrodiäthylanilin  (N02)2CßH3-N(C2H.)2  nitrirt';  beide 
Produkte  spalten  beim  Kochen  mit  Alkalien  Diäthylamin  unter  Bildung 
von  Nitrosophenol  NOCeH^-OH  bezw.  Dinitrophenol  (N02)aCgH3(OH) 
ab.  —  Von  den  Eigenschaften  des  Diäthylamins  ist  hervorzuheben,  dass 
es  unter  allen  Aminen  der  Methyl-  und  Aethylreihe  das  einzige  ist,  wel- 
ches zur  Erstarrung  gebracht  werden  konnte®;  es  schmilzt  zwischen  — 50^ 
und  —40^  —  Diäthylnitrosamin  (Nitrosodiäthylin)»  (C2H5)2N-NO 
ist  in  Wasser  ziemlich  löslich,  siedet  bei  177*^  und  besitzt  bei  17,5^  das 
spec.  Gew.  0-951. 

Triäthylamin  ^^  (C2Hß)3N  ist  im  Gegensatz  zu  den  bisher  beschrie- 
benen Aminen  in  Wasser  nur  wenig  löslich. 

Ueber  die  physikalischen  Eigenschaften  dieser  und  der  homologen 
Amine  s.  d.  Tabelle  Nr.  10  auf  S.  237. 

Das  Septadecylamin^^  CjyHjgNHj  ist  unter  den  bisher  darge- 
stellten primären  Aminen  das  kohlenstoflPreichste.  Es  wurde  aus  dem 
Amid  der  Stearinsäure  Ci^Hgg-CO-NHj  durch  Einwirkung  von  alkali- 
scher Bromlösung  erhalten.  Es  ist  geruchlos  ^  in  Wasser  unlöslich  und 
mit  Wasserdämpfen  nicht  flüchtig.  Eine  Abnahme  der  Basicität  gegen- 
über den  niederen  Aminen  tritt  an  demselben  nicht  hervor;  das  Septa- 
decylamin reagirt  in  alkoholischer  Lösung  stark  alkalisch  und  zieht  aus 
der  Luft   begierig   Kohlensäure   an.     Sein   Chlorhydrat   ist  in   Alkohol 


^  Bleunard,  BulL  33,  13.  *  E.  Meyer,  J.  pr.  67,  147. 

'  WüBTz,  Ann.  76,  327.  *  Tscherniak,  Ber.  9,  146. 

*  Franchtmont  u.  Rlobbie,  Rec.  trav.  chim.  7,  356. 
«  A.  Kopp,  Ber.  8,  621.  '  v.  Romburgh,  Ber.  16,  1496. 

«  A.  W.  Hopmann,  Ber.  22,  705.  «  GfeUTHER,  Ann.  128,  151. 

^^  A.  W.  Hopmann,  Ann.  78,  91,  —  Lea,  Jb.  1862,  331. 
"  TuRPiN,  Ber.  21,  2486. 


QucAemäre  Ammoniumverbindungen  (Bildungsiveisen).  245 


leicht  löslich,  aber  in  Wasser  unlöslich,  während  die  Chlorhydrate  der 
niederen  Amine  meist  zerfiiesslich  sind. 

2.  QuaternSre  AmmoniamTerbindungeii« 

Die  Jodide  der  quaternären  Ammoniumverbindungen  (entdeckt  von 
A.  W.  Hofmann  ^)  entstehen  durch  Vereinigung  von  tertiären  Aminen 
mit  Alkyljodiden  (oft  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur),  z.  B.: 

(CH3),N  +  CH3J  =  (CH3),NJ; 

sie  bilden  sich  daher  häufig  auch  direct  bei  der  Reaction  zwischen  Al- 
kyljodiden und  Ammoniak  (s.  S.  229 — 230). 

Auch  andere  Salze  können  zuweilen  direct  aus  den  tertiären  Aminen 
durch  Addition*  gewonnen  werden,  z.  B.  das  Tetramethylammoniumnitrat 
aus  Trimethylamin  und  Methylnitrat  ^: 

(CHgisN  +  CHj-ONO,  =  (CH8)4N.O.NO,; 

Trimethylamin  und  Chlormethyl  bilden  unter  Wärmeentwickelung  das 
Chlorid  (0113)4X01,  dagegen  reagiren  Trimethylamin  und  Chloräthyl  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  auch  unter  einem  Druck  von  50  Atmosphären 
nicht  auf  einander*. 

Meist  geht  man  indessen  von  den  Jodiden  zur  Gewinnung  der  übri- 
gen Salze  aus,  indem  man  sie  doppelten  Umsetzungen  mit  Silbersalzen 
unterwirft;    durch  Digeriren   ihrer  Lösung    mit  Chlorsilber  z.  B.    erhält 

man  die  Chloride: 

(CH3)4NJ  +  AgCl  =  (CH3)4NC1  -f  AgJ, 

mit  Silbercarbonat  die  Carbonate,  mit  Silbersulfat  die  schwefelsauren 
Salze  u.  s.  w.  —  Alle  diese  Salze,  welche  meist  gut  krystallisirbar  sind, 
zerfallen  beim  Erhitzen^  unter  Rückbildung  der  tertiären  Amine,  z.  B.: 

(CHg^.NJ  =  (CHa^aN  +  CHgJ; 

bei  den  Haloldsalzen  gemischter  Ammonium  Verbindungen,  welche  Methyl- 
gmppen  enthalten,  verläuft  diese  Spaltung  —  wenigstens  der  Hauptmenge 
nach  —  stets  derart,    dass  sich  eine  Methylgruppe   vom  StickstofiFatom 

abtrennt^,  z.  B.: 

(CH3)(C,iy,NCl  =  (C,H,)3N  -f  CH3CI. 

Die  Jodide  vereinigen  sich  mit  Jod  zu  intensiv  geförbten  Trijodiden,  Penta- 
jodiden,  Hepta-  und  Enneajodiden^,  wie  z.  B.  (CHg^^NJ.Jj,  (CH5)4NJ.2Jj  etc. 


»  Ann.  78,  257;  79,  16. 

*  üeber  das  Verhalten  verschiedener  tertiärer  Amine  gegen  Halogenalkyle 
«namentlich  Chloralkyle)  vgl.  Malbot,  Ann.  eh.  [6]  13,  544.  —  Ueber  die  Geschwin- 
digkeit der  Vereinigung  von  Triäthylamin  mit  verschiedenen  Brom-  und  Jodalkylen 
vgl.  MsHscHUTCiir,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  5,  589;  6,  41. 

'  DuviLLiEB  XL  BuisiNE,  Ann.  eh.  [5]  23,  322,  331. 

*  Vincent  u.  Chappuis,  Compt.  rend.  102,  436. 

*  Lawson  u.  Collie,  Joum.  Soc.  1888  I,  624.  *  Lossex,  Ann.  181,  377. 
^  Vgl.  Weltzien,   Ann.  91,  33;  99,  1.  —  Müller,  Ann.  108,  1.  —  Dobbin  u. 

Ma80ON,  Joum.  Soc.  1886  I,  846.  —  Geuther,  Ann.  240,  66. 


246  Quatemäre  Ammoniumverbindungen  (Verhalten 


Da  die  Ammoniumhydroxyde  an  Stärke  den  Alkalien  nahezu 
gleich  kommen,  so  kann  man  sie  aus  den  Salzen  nicht  durch  Kali  oder 
Natron  in  Freiheit  setzen;  diese  Unzerlegbarkeit  der  Salze  durch  Alka- 
lien wird  zur  Trennung  der  Ammoniumverbindungen  von  den  Aminen 
benutzt  (vgl.  S.  230 — 231).  Dagegen  erhält  man  eine  Lösung  der  Am- 
moniumhydroxyde, wenn  man  die  Lösung  der  Jodide  mit  feuchtem  Silber- 
oxyd digerirt: 

(CH8)4NJ  +  Ag.OH  =  (CH8)4N.OH  +  AgJ. 

Diese  Lösungen  zeigen  ganz  das  Verhalten  der  alkalischen  Laugen; 
sie  bläuen  Lakmus ,  ziehen  begierig  Kohlensäure  aus  der  Luft  an,  ätzen 
die  Haut  und  vermögen  die  Fette  zu  verseifen.  Durch  Eindunsten  im 
Vacuum  erhält  man  daraus  die  Hydroxyde  als  weisse,  krystallinische, 
zerfliessliche  Massen.  Es  darf  indess  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass 
Analysen  der  freien  Hydroxyde  bislang  nicht  vorliegen,  dass  demnach 
die  Annahme  einer  Hydroxylgruppe  vorläufig  noch  eine  durch  das  Ver- 
halten der  Basen  freilich  sehr  wahrscheinlich  gemachte  Hypothese  ein- 
schliesst. 

Beim  Erhitzen^  zersetzen  sich  die  Hydroxyde  unter  Bildung  ter- 
tiärer Basen  (vgl.  S.  232 — 233);  das  Tetramethylammoniumhydroxyd 
liefert  hierbei  neben  Trimethylamin  Methylalkohol: 

(CH8)4N.OH  =  (CH8)3N  +  CHgOH, 
während  die  homologen  Verbindungen  ein  Alkylen  und  Wasser  abspalten : 

gemischte  Ammoniumhydroxyde,  welche  Methylgruppen  enthalten,  zer- 
setzen sich  —  im  Gegensatz  zu  den  Haloldsalzen  (s.  S.  245)  —  stets  so, 
dass  die  Methylgruppe  am  Stickstoff  haften  bleibt: 

(CHsXCjH^UCsHiON.OH  =  (CH8XC,H5)(CöHn)N  +  C^H^  +  H,0. 

Der  im  Vorstehenden  durchgeführten  Auffassung  dieser  Verbindungen 
als  wahrer  Ammoniumabkömmlinge,  welche  sich  von  fiinfwerthigem  Stick- 
stoff ableiten,  könnte  die  Ansicht  gegenübergestellt  werden,  sie  seien 
moleculare  Verbindungen  von  tertiären  Aminen  mit  Alkylhalogenen  bezw. 
Alkylestem  oder  Alkoholen,  z.  B.: 

(CH8)8N,  CHgJ;     (CHsljN,  CHg-ONOg;     (CH8)8N,  CHj-OH 

(vgl.  die  Sulfinverbindungen  S.  218 — 219).  Diese  Ansicht  würde  indess 
von  dem  chemischen  Charakter  der  Verbindungen  keine  Rechenschaft 
geben;  es  ist  nicht  einzusehen,  wie  durch  moleculare  Anlagerung  des 
indifferenten  Jodmethyls  an  das  stark  basische  Trimethylamin  ein 
neutral  reagirendes  Salz  entstehen  soll.  Zudem  ist  der  Nachweis  er- 
bracht, dass  aus  Dimethyläthylamin  (CH3)2(C2Hg)N  und  Jodäthyl  einer- 
seits und  aus  Diäthylmethylamin  (CH3)(C2Hg)2N  und  Jodmethyl  anderer- 


*  A.  W.  Hofmann,  Ber.  14,  494. 


und  Constitution).  247 


seits   ein   und   dasselbe   quatemäre   Jodid   entsteht,    was   nur   mit   der 

V 

atomistischen  Auffassung  (CH3)2(C3Hg)2NJ  in  Einklang  zu  bringen  ist^ 

Die  eben  erwähnte  Identität  der  auf  verschiedenen  Wegen  erhaltenen  Ammo- 
niumjodide  erscheint,  wenn  man  in  Speculationen  über  die  räumliche  Anordnung  der 
StickstofiFValenzen  eintritt,  zunächst  auffällig.  Für  die  fünf  StickstofFvalenzen  ist  eine 
vollkommen  gleichartige  Vertheilung  im  Räume,  wie  man  sie  bei  den  Kohlenstoff- 
valenzen annimmt,  —  derart,  dass  jede  Valenzrichtung  mit  jeder  anderen  den  gleichen 
Winkel  bildet,  —  nicht  denkbar.  Die  denkbar  einfachste  Vertheilung  wird-  durch 
das  folgende  Schema: 


wiedergegeben,  wonach  drei  Valenzrichtungen  in  einer  durch  den  Mittelpunkt  des 
Stickstoffiitoms  gehenden  Ebene  gleichförmig  vertheilt  sich  befinden,  die  beiden  an- 
deren senkrecht  sni  dieser  Ebene  angenommen  werden.  Man  wird  geneigt  sein,  die 
drei  ersteren  den  bei  Verbindungen  vom  Typus  des  Ammoniaks  befriedigten  Valenzen 
zuzuschreiben,  die  beiden  letzten  denjenigen  Valenzen,  welche  erst  beim  Uebergang 
in  Ammonium  Verbindungen  wirksam  werden.  Zur  Erklärung  der  Identität  jener 
beiden  Reactionsprodukte  ist  dann  offenbar  die  Annahme  nöthig,  dass  die  mit  den 
einzelnen  Valenzen  verbundenen  Radicale  ihre  Plätze  vertauschen  können.  Versuche, 
ob  sich  die  nach  jener  stereochemischen  Anschauung  möglich  erscheinenden  Iso- 
merien  —  sei  es  auch  nur  auf  mikroskopisch-kiystallographischem  Wege  —  nach- 
weisen lassen,  sind  von  Le  Bel'  angestellt,  bisher  aber  mit  unsicherem  Erfolg. 

3.  Hydrazine  und  Tetrazone  ^. 

Die  aliphatischen  Abkömmlinge  des  Diamids  Nflg-NH^  sind  schwie- 
riger zugänglich  und  daher  auch  weniger  untersucht  als  die  im  2.  Bande 
zu  besprechenden  äusserst  wichtigen  aromatischen  Hydrazine.  Sie  sind 
von  E.  FiscHKB  entdeckt,  welcher  sie  aus  den  Nitrosoaminen  durch 
Reduction  mit  Zinkstaub  und  Essigsäure  erhielt: 

(CH8),N.N0  +  2H,  =  (CH3),N.NH,  -h  H,0. 

Aus  dieser  Bildungs weise  ergiebt  sich  ihre  Constitution;  in  den  Nitroso- 
aminen muss  man  die  Nitrosogruppe  an  Stickstoff  gebunden  annehmen, 
da  sie  durch  Abspaltung  derselben  so  äusserst  leicht  in  die  secundären 
Amine  zurückgeführt  werden  können  (s.  S.  239)  und  demnach  die  Alkyl- 
reste  gewiss  noch  unverändert  enthalten;    demnach  werden  auch  in  den 


^  V.  Hbteb  u.  Lecco,  Ann.  180,  173;  vgl.  auch  Lossen,  Ann.  181,  364.  — 
Ladenburo  u.  Stbuve,  Ber.  10,  43.  —  V.  Meyeb,  Ber.  10,  309,  964,  1292.  —  Laden- 
BüBO,  Ber.  10,  561,  1152,  1634. 

*  Compt.  rend.  110,  144. 

»  E.  PrecHER,  Ann.  199,  281;  Ber.  17,  2841.  —  Renoüf,  Ber.  18,  2171.  — 
T.  BrOniho,  Ann.  268,  5. 


248  Hydrazine  und 


durch  Reduction  daraus  entstehenden  Hydrazinen  die  beiden  Stickstoff- 
atome an  einander  haften,   und   es   bleibt  nur  die  Wahl  zwischen  den 

Formeln : 

in   ni  V       m 

(CH3),N-NH,     und     (CHg^NH-NH 

(im  letzteren  Falle  wäre  die  Constitution  der  Nitrosoamine   durch   die 

(CH3)2N=^N 
Formel  \n/     auszudrücken).     Der  zweiten  Formel  widerspricht 

das  Verhalten  der  secundären  Hydrazine  gegen  Halogenalkyle;  aus  Di- 

äthylhydrazin  und  Jodäthyl  z.  B.  entsteht  durch  Addition  ein  Salz,  welches 

ganz  den  Charakter  einer  quaternären  Ammoniumverbindung  (ünzerleg- 

barkeit  durch  Kali,  Bildung  eines  leicht  löslichen  alkaliähnlichen  Hydroxyds 

mit  Silberoxyd)  besitzt.     Es  steht  dies  nur  mit   der  ersten  Formel  in 

Einklang,  welche  neben  einem  primär  gebundenen  ein  tertiär  gebundenes 

Stickstoffatom  aufweist  und  demnach  die  Bildung  einer  Ammoniumver- 

(C2HJ3--N— NH3 
bindung  ■  durch  Fixirung   eines  Molecüls  Halogenalkyl 

möglich  erscheinen  lässt. 

Die  secundären  Hydrazine  (C^H2^^j)2N-NH2  sind  ammoniakalisch 
riechende,  stark  basische,  in  Wasser  leicht  lösliche  und  hygroskopische 
Flüssigkeiten.  Mit  salpetriger  Säure  liefern  sie  unter  Entwicklung  von 
Stickoxydul  secundäre  Amine: 

(C,Hß),N.NHj  +  HNO,  =  N,0  +  H,0  +  (C.HJjNH. 

Wie  alle  Hydrazine  sind  sie  leicht  oxydirbar  und  daher  kräftige  Re- 
ductionsmittel.  FEHLiNG'sche  Lösung  wird  indess  erst  in  der  Wärme 
reducirt. 

Quecksilberoxyd  oxydirt  die  secundären  Hydrazine  zu  Tetrazonen: 

2(CH,)aN.NH,  +  4HgO  =  2Hg,0  +  2H,0  +  (CH3),NN  =  N.N(CH,V 

Diese  merkwürdigen  Verbindungen,  deren  Zusammensetzung  allgemein 
durch  die  Formel  R^N^  auszudrücken  ist,  sind  ölige,  stark  basische 
Substanzen,  welche  mit  Wasserdämpfen  leicht  flüchtig  sind,  bei  höherem 
Erhitzen  sich  unter  Verpuffen  zersetzen  und  Silberlösung  schon  in  der 
Kälte  reduciren.  Ihre  Salze  sind  in  Wasser  leicht  löslich,  aber  sehr 
unbeständig;  beim  Kochen  ihrer  Lösung  entweicht  die  Hälfte  des  Stick- 
stoffgehalts als  freier  Stickstoff,  während  gleichzeitig  Amine  und  Alde- 
hyde sich  bilden. 

Nach  der  oben  für  secundäre  Hydrazine  angegebenen  Darstelluugs- 
methode  lassen  sich  primäre  Hydrazine  nicht  gewinnen,  da  Nitroso- 
derivate  primärer  Amine  nicht  existiren.    Zu  ihrer  Darstellung  geht  man 

.NH.CH3 
von   einfach   oder   zweifach   alkylirten  Harnstoffen,  z.  B.  CO^ 

.NH.C2H5  ^NHj 

oder  C0<(^  ,  aus;  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  liefern 


Tetraxme.  249 


.N(NO)-C,H, 
diese    Harnstoffe    Nitrosoverbindungen,    wie    z.    B.    C0<^  , 

welche  bei  der  Reduction  durch  Zinkstaub  und  Essigsäure  in  Hvdrazin- 

.N(NH,).C,H, 
harnstoffe  C0<^  übergehen;  aus  letzteren  erhält  man  durch 

Spaltung  mit  rauchender  Salzsäure  die  primären  Hydrazine: 


•  4 


.N(NH,).C,H5 
CCK  +  H,0  =  CO,  +  (NHj).NH.C,H,  +  NKj-CaH^. 


■2**6 


Die  primären  Hydrazine  sind  ebenfalls  ammoniakalisch  riechende, 
in  Wasser  leicht  lösliche  und  sehr  hygroskopische  Flüssigkeiten.  An 
feuchter  Luft  bilden  sie  dicke  Nebel;  sie  wirken  stark  ätzend  und  zer- 
stören Kork  und  Kautschuk  in  kurzer  Zeit.  FEHLiNö'sche  Lösung 
reduciren  sie  schon  in  der  Kälte.  Mit  Säuren  bilden  sie  zwei  Reihen 
von  Salzen,  z.  B.  CaHgNH.NHg.HCl  und  C2H5.NH.NH2.2HCI. 

Methylhydrazin  CHg-NH-NH,  siedet  bei  87<*;  Dimethylhydrazin 
(CHjljNNH,  siedet  bei  63«  und  besitzt  bei  l\^  das  spec.  Gew.  0-801.  —  Tetra- 
methyltetrazon  (CH8),N4(CH8\  siedet  bei  130^  — 

Aethylhydrazin  CjHs-NH-NH,  siedet  unter  709  mm  Druck  bei  99 -5^ 
Diäthylhydrazin  (CaHslseNNH,  bei  96  — 99^  Te  traÄthy  1  te  trazon 
(CjHj^NJCjHß),  zersetzt  sieb  bei  135  — 140<>.  Das  Triäthylazoniumjodid 
(CjHe^sNJ-NH,  liefert  bei  der  Beduction  mit  Zinkstaub  und  verdünnter  Schwefel- 
säure Tri&thylamin  neben  Jodwasserstofisäure  und  Ammoniak. 

Durch  Erwärmen  der  Hydrazine  mit  pyroschwefelsaurem  Kalium  erhält  man 
die  Kaliumsalze  von  Hydrazinsulfonsäuren,  wie  z.  B.  (CH3)2N  •  NH  •  SOsK, 
welche  beim  Kochen  mit  Säuren  wieder  in  die  Hydrazine  und  Schwefelsäure  ge- 
spalten werden.  Aus  dem  äthylhydrazinsulfonsaurem  Kalium  CsHg-NH-NH'SOgK 
ist  durch  Oxydation  mit  Quecksilberoxyd  das  Kaliumsalz  der  Diazoäthansulfo- 
säure  C^H^ •  N  =  N •  SOgK  —  ein  beim  Erhitzen  heftig  vcrpufiFendes  farbloses  Salz  — 
erhalten  worden.  Es  gehört  in  eine  Verbindungsklasse,  welche  in  der  aromatischen  Reihe 
ausderordentlich  wichtig  und  gut  gekannt  ist,  —  zu  den  Diazo Verbindungen, 
welche  die  Gruppe  — N==N —  einerseits  an  Kohlenstoff  gebunden  enthalten.  In  der 
Fettreihe  ist  dieses  Salz  bisher  die  einzige  Verbindung  von  solcher  Constitution  (die 
Diazofe ttsäuren  [s.  dort]  enthalten  die  Gruppe  —  N  =  N —  beiderseits  an  dasselbe 
Kohlenstoffatom  gebunden). 

4.  ilkylderiyate  des  Hydroxy  lamins  ^ 

Von  dem  Hydroxylamin  NHg'OH  können  sich  Alkylderivate  ableiten,  indem 
entweder  an  Stickstoff  haftende  oder  an  Sauerstoff  haftende  Wasserstoffatome  oder 
beide  zugleich  durch  Alkylreste  vertreten  werden.  Die  Verbindungen,  welche  durch 
Eintritt  von  Alkylresten  in  die  Hydroxylgruppe  entstehen,  gehören  zwar  eigentlich 
nicht  in  dieses  Kapitel,  da  sie  eben  nicht  ihr  Alkyl  direct  an  Stickstoff  gebunden 
«enthalten.  Allein  des  Zusammenhangs  wegen  seien  alle  alkyltrten  Hydroxylamine 
an  dieser  Stelle  besprochen. 

*  LossEN  u.  Zanni,  Ann.  182,  223.  —  GttRKE,  Ann.  205,  273.  —  Petraczek, 
Bcr.  16,  827.  —  Bewad,  Ber.  21  o,  479;  22  o,  250.  —  Lossen,  Ann.  262,  222  u. 
229.   —  DiTTRiCH,  Ber.  28,  599.  —  Behrend  u.  Leüchs,  Ann.  257,  203,  239. 


250  Alkylderivate  des  Bydroxylamins, 


Die  einfach  alkyiirten  Hydrozylamine  sind  nicht  durch  directe  Alkylirung  des 
Hydroxylamins  erhalten,  sondern  durch  Alkylirung  von  Hydrozjlaminderivaten  und 
darauffolgende  Spaltung.  Man  kann  z.  B.  zu  ihrer  Gewinnung  von  dem  aus 
Benzaldehyd  und  Hydroxylamin : 

CeHs-CHO  +  H.NOH  =  CeHs-CHiNOH  +  H,0 

leicht  erhältlichen  Benzaldoxim  ausgehen;  äthylirt  man  dasselbe  und  spaltet  das 
Aethylderivat  mit  Salzsäure,  so  entsteht  unter  Rückbildung  von  Benzaldehyd  ein 
Aethylhydroxylamin ; 

CeHft.CHrNOCjHs  4-  H,0  =  CeHgCHO  +  HjNOCsHß. 

Dass  in  letzterem  die  Aethylgruppe  an  Sauerstoff  gebunden  ist,  geht  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  daraus  hervor,  dass  beim  Erhitzen  der  Verbindung  mit  Salzsäure 
die  Aethylgruppe  leicht  (schon  bei  150**)  als  Chloräthyl  abgespalten  wird: 

HjNOCjjHß  +  HCl  =  HjNOH  +  C^Cl; 

nach  allen  Erfahrungen  werden  an  Stickstoff  gebundene  Alkylgruppen  weit  schwie- 
riger losgerissen.  Die  derart  constituirten  Alkylhydroxylamine  NHj-OR  (a-Mono- 
alkylhydroxylamine)  kann  man  auch  als  Alkoxylamine  bezeichnen.  Isomere  Ver- 
bindungen (/?-Monoalkylhydroxylamine),  deren  Alkylrest  fester  gebunden  ist,  entstehen, 
wenn  man  die  aus  Isobenzaldoxim  und  anderen  Isooximen  (vgl.  Bd.  n)  erhältlichen 
Oximäther,  welche  den  Alkylrest  an  Stickstoff  gebunden  enthalten,  spaltet,  z.  B.: 

/N-CHa 
CeHs .  Clt<^l  +  HjO  =  CeHß .  CHO  +  OH  •  NHCCH,). 

Eingehender  als  die  Alkylderivate  sind  die  Benzylderivate  des  Hydroxylamins  (s.  Bd.  H) 
untersucht. 

Das  Chlorhydrat  des  Methoxylamins  CH,  •  0  •  NH, .  HCl  schmilzt  bei  148  bis 
149^,  dasjenige  des  isomeren  (?-Methylhydroxylamins  CHg«NH(OH).HCl  bei  85  bis 
90 ^  —  Aethoxylamin  CjH^-O'NHj  ist  eine  wasserhelle,  brennbare,  in  Wasser 
lösliche  Flüssigkeit  von  starkem,  aber  nicht  an  Ammoniak  erinnerndem  Geruch  und 
alkalischer  Reaction;  es  siedet  bei  68^  und  besitzt  bei  75^  das  spec.  Gew.  0-883; 
das  Chlorhydrat  schmilzt  bei  128  ^  —  Die  Alkoxylamine  reduciren  zwar  Silberlösung, 
aber  im  Gegensatz  zum  Hydroxylamin  nicht  alkalische  Kupferlösung. 

Ae thoxy  1  äthy lamin  (a -Di äthylhydroxylamin)C2H5-NH-0-CjH5  ist  durch 
Aethylirung  des  Aethoxylamins  mittelst  Bromäthyl  erhalten  worden.  Bis  ist  eine 
farblose  Flüssigkeit,  welche  in  Wasser  löslich,  aber  nicht  in  jedem  Verhältniss  da- 
mit mischbar  ist,  besitzt  einen  an  Häringslake  erinnernden  Geruch,  siedet  bei  83^. 
hat  bei  0^  das  spec.  Gew.  0-829  und  reducirt  Silberlösung.  Von  seinen  Salzen 
ist  das  bei  112°  schmelzende  saure  Oxalat  NHCC^Hß)  •  0  •  CjHg .  C^H JO4  am  leichtesten 
krystallisirt  zu  erhalten.  Beim  Erhitzen  mit  concentrirter  Salzsäure  entsteht  Chlor- 
äthyl und  Aethylamin. 

Trialkylderivate  eines  isomeren  Hydroxylamins  Hj^N— 0,  wie  z.  B. 
(CjH5)8^Nl^0,  entstehen  nach  Bewad  durch  Einwirkung  von  Zinkalkylen  auf  Xitro- 
parafEne  und  Zersetzung  des  Reactionsprodukts  mit  Wasser;  die  Reaction  verläuft 
in  den  Phasen: 

^  /0-Zn-C,H, 

C,H,-N^     +  2Zn(C,H5),  =  CH^-NZI^J^ 

^  ^o'Zn-CjHj 

(CA),N(0-Zn.C,H8),  -f  4H2O  =  2Zn(OH)2  +  2C,He  +  (C.H^^aNCOH),, 

(CA),X(OH),  =  H,0  -|-(C2H,)3NO. 


Carhylamine  (Bildungsweisen  und  Verhcdt&n).  251 


Dass  die  so  entstehenden  Verbindungen  alle  drei  Alkylgruppen  direet  an  Stickstoff 
gebunden  enthalten,  ergiebt  sich  daraus,  dass  sie  durch  nascirenden  Wasserstoff  zu 
tertiären  Aminen  reducirt  werden.  In  ihrer  Constitution  entsprächen  sie  demnach 
den  später  zu  beschreibenden  Phosphinoxyden  und  Arsinoxyden  (s.  S.  265 — 266,  271). 
Sie  sind  ölige,  farblose,  in  Wasser  wenig  losliche  Substanzen,  welche  unzersetzt  sieden, 
mit  Säuren  sehr  hygroskopische  Salze  liefern  und  Silber-,  Quecksilber-  und  Kupfer- 
salze reduciren.  Triäthylhydroxylamin  (C2H5)8NO  (besser  als  Triäthyl- 
aminoxyd  zu  bezeichnen)  siedet  bei  154—157*  und  besitzt  das  spec.  Gew.  0-893 
bei  0«. 

5.    Carbylamine  (Isonitrile,  Isocyanide)  ^ 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hg^^^j-NC. 

Die  Carbylamine  wurden  1866  von  Gautiee  entdeckt,  welcher  sie 
durch  Einwirkung  von  Alkyljodtiren  auf  Cyansilber  erhielt.  Lässt  man 
1  Molecül  Jodalkyl  auf  2  Molecüle  Cyansilber  wirken,  so  entsteht  eine 
Doppelverbindung  des  Carbylamins  mit  Cyansilber  ^r 

CjHjJ  +  2AgCN  =  AgJ  +  CjHsNC.AgCN, 

welche  bei  der  Destillation  mit  Cyankalium  zersetzt  wird,  indem  das 
Carbylamin  überdestillirt.  —  Fast  zu  gleicher  Zeit  erhielt  A.  W.  Hof- 
mann die  Carbylamine  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kah  auf  das 
Gemisch  primärer  Amine  mit  Chloroform  (CHCI3)  (vgl.  S.  238): 

OjK^N  H,  4-  '■:  C  HCig^  +  3K0H  =  3KC1  +  3HjO  +  C.Hg.NC. 

Sie  entstehen  ferner  meist  als  Nebenprodukte  bei  der  Darstellung  von 
Alkylcyaniden  (Nitrilen)  durch  Destillation  von  ätherschwefelsauren  Salzen 
mit  Cyankalium  oder  durch  Einwirkung  von  Halogenalkylen  auf  Cyan- 
kalium (vgl.  S.  293). 

Die  Carbylamine  sind  flüchtige  Flüssigkeiten  von  fürchterlichem  Ge- 
ruch; sie  sind  leichter  als  Wasser  und  etwas  darin  löslich.  Sie  zeigen 
basische  Natur;  durch  Einleiten  von  ChlorwasserstoiBf  in  ihre  ätherische 
Lösung  erhält  man  Verbindungen,  wie  z.  B.  2CH3-NC.3HC1;  diese  Ver- 
bindungen sind  indess  nicht  gegen  Wasser  beständig,  da  die  Carbylamine 
von  wässrigen  Mineralsäuren  äusserst  rasch  in  Amine  und  Ameisen- 
säure: 

zerlegt  werden.  Unter  gewissen  Umständen  erhält  man  als  intermediäre 
Produkte  dieser  Zersetzung  alkylirte  Formamide  (CHO-NHE),  z.  B.: 

C3H,.NC  +  H,0  =  C3H7.NH.C/    . 

Letztere  entstehen  auch  bei  der  Einwirkung  von  Essigsäure;  das  Carbyl- 


»  Gautieb,  Ann.  146,  119,  124;    149,  29,  155;  151,  239;  152,  222.  —  A.  W. 
HoFXA?iN,  Ann.  144,  114;  140,  107;  Ber.  8,  766.  —  Liübawin,  Ber.  I80,  407. 
•  E.  Meyer,  J.  pr.  68,  285. 


252  Carhylamine  (Constitution), 


amin  wirkt  in  dieser  Reaction  gleichsam  als  wasserentziehendes  Agens 
und.  fuhrt  die  Säure  in  das  Essigsäureanhydrid  über,  z.  B.: 

CH3 .  NC  4-  2  CH3 .  CO .  OH  =  CH3NH .  CHO  +  (CH,  •  C0),0. 

Gegen  Alkalien  sind  die  Carhylamine  sehr  beständig.  Mit  Quecksilber- 
oxyd liefern  sie  unter  anderen  Oxydationsprodukten  Isocyansäureester : 

CHg.NC  +  0  =  CHa-NrCO. 

Die  Carhylamine  sind  isomer  mit  den  später  zu  besprechenden 
Alkylcyaniden  oder  Nitrilen;  sie  führen  daher  auch  die  Bezeichnungen 
Isocyanide  oder  Isonitrile.  Die  Isomerie  der  beiden  Körperklassen 
wird  durch  die  Formeln: 

CnH»„  +  rNC     und     C„H,„^rC    N 
Isonitrile  Nitrile 

ausgedrückt.  In  beiden  Fällen  besteht  das  Molecül  aus  einem  Alkylrest 
und  einer  einwerthigen,  aus  einem  KohlenstoflF-  und  einem  Stickstoffatom 
bestehenden  Gruppe  (Cyangruppe).  Während  aber  in  den  Isonitrilen  der 
Stickstoff  dieser  Gruppe  an  den  Alkylrest  gebunden  ist,  wird  bei  den 
Nitrilen  der  Ä.lkylrest  vom  Kohlenstoffatom  festgehalten.  Diese  Deutung 
des  Constitutionsunterschiedes  wird  durch  das  Verhalten  der  Isomeren 
geboten.  Es  wird  bei  der  Besprechung  der  Nitrile  hervortreten,  dass 
in  ihren  Zersetzungen  der  Alkylrest  mit  dem  Kohlenstoff  der  Cyangruppe 
zusammen  bleibt,  während  das  Stickstoffatom  —  frei  von  Kohlenstoff- 
atomen —  als  Ammoniak  austritt.  Umgekehrt  wird  bei  den  Isonitrilen 
der  Stickstoff  in  Verbindung  mit  dem  Alkylrest  als  primäres  Amin  ab- 
gespalten, während  sich  andererseits  eine  nur  ein  Kohlenstoffatom  ent- 
haltende Verbindung  —  die  Ameisensäure  —  bildet  (s.  S.  251).  Auch  die 
Bildung  der  Isonitrile  nach  der  HoFMANN'schen  Reaction  aus  den  pri- 
mären Aminen,  welche  schon  die  Combination  des  Alkylrestes  mit  dem 
Stickstoff  enthalten,  einerseits  und  einer  Monocarbonverbinilung  —  dem 
Chloroform  —  andererseits  stützt  diese  Auffassung.  Ueber  die  Art  der 
Bindung  des  isolirt  stehenden  Kohlenstoffatoms  in  den  Isonitrilen  bestehen 
verschiedene  Auffassungen;  einige  nehmen  an,  das  Kohlenstoffatom  fungire 

darin  zweiwerthig: 

in     n 

CnHi  n  +  1  —  N  =  C , 

andere  sehen  in  den  Isonitrilen  Verbindungen  mit  zwei  ungesättigten 
Kohlenstoffvalenzen : 

III       IV 

CnH,„  +  i--N  =  C<; 

am  gebräuchlichsten  ist  die  Ableitung  von  fünfwerthigem  Stickstoff  im 
Sinne  der  Formel: 

V 
CnH2n  ^  1 — N=hC. 

Methylcarbylamin  CHj-NC  siedet  bei  60^  und  löst  sich  bei  15®  in  etwa 
10  Theilen  Wasser.  Aethylcarbylamin  CjHg-NC  siedet  bei  78**,  Isopropyl> 
carbylamin  (CHgjjjCHNC  bei  87%  Isobutylcarbylamin  C4H9.NC  bei  114 
bis  117<>  (spec.  Gew.  bei  4°  0-787),  Isoamylcarbylamin  CöH^-NC  bei  137^ 


Nitroparaffifte  (Bildung).  253 


6.   AlkylnltroYerbindungen  (Nitroparafftne)  ^ 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hg^^j-NC. 

Entstehung  und  Constitution.  Als  Nitrokörper  bezeichnet  man 
Verbindungen,  welche  das  einwerthige  Radical  der  Salpetersäure  NOjt 

III  /O  V  ^0 

— N<  I        oder       —NC 

enthalten.  In  der  aromatischen  Eeihe  bilden  sich  Verbindungen,  in 
deren  Molecülen  dieses  Radical  an  Kohlenstoflfatome  gebunden  ist,  sehr 
leicht  direct  durch  die  Einwirkung  der  Salpetersäure  auf  die  Kohlen- 
wasserstoffe (oder  ihre  Abkömmlinge)  unter  Wasseraustritt,  z.  B.: 

CeHe  +  OH.  NO,  =  CeHß.NOj  +  H^O. 

In  der  Fettreihe  indess  kannte  man  lange  Zeit  hindurch  kaum  analoge 
Nitroverbindungen.  Erst  1872  wurden  Nitroderivate  der  fetten  Kohlen- 
wasserstoffe von  V.  Meyeb^  erhalten,  gleich  darauf  auf  anderem  Wege 
von  H.  KoLBE*. 

Die  Salpetersäure  übt  eine  „nitrirende"  Wirkung  auf  aliphatische 
Verbindungen  nur  in  seltenen  Fällen  —  vorzugsweise  bei  solchen  Ver- 
bindungen, die  tertiäre  Wasserstoffatome  enthalten  (z.  B.  CHCI3,  Chloro- 
form) und  darin  dem  Benzol  ähnlich  sind,  —  aus.  Zur  Gewinnung  der 
Nitroderivate  muss  man  daher  meist  einen  anderen  Weg  einschlagen. 
Es  sind  wiederum  die  Jodsubstitutionsprodukte  der  Kohlenwasserstoffe, 
durch  deren  Vermittlung  die  Darstellung  der  Nitrokörper  ermöglicht 
wird.  Behandelt  man  sie  mit  Silbemitrit,  so  wird  das  Jodatom  gegen 
die  Gruppe  NOj  ausgetauscht,  z.  B.: 

C,HeJ  +  AgNOs  =  AgJ  +  CHöNOj. 

Man  lässt  das  Jodalkyl  allmählich  zu  etwas  mehr  als  der  äquivalenten 
Menge  trockenen  und  fein  gepulverten  Silbemitrits,  das  zweckmässig  mit 
etwa  dem  gleichen  Volum  Sand  gemengt  wird,  zufliessen;  die  Reaction 
verläuft  meist  ohne  äussere  Wärmezufuhr  sehr  lebhaft  und  wird  schliess- 
lich durch  Erwärmen  auf  dem  Wasserbade  zu  Ende  geführt.  In  der 
Methanreihe  bildet  sich  faöt  ausschliesslich  Nitromethan,  in  den  höheren 
Seihen  aber  entstehen  stets  gleichzeitig  die  den  Nitrokörpern  isomeren 
Salpetrigsäureester,  z.  B.  aus  Jodäthyl  Nitroäthan  CgHg-NOg  und  Aethyl- 
nitrit  CjHg-O'NO.  Da  die  Nitrokörper  viel  höher  sieden  als  die  isomeren 
Alkylnitrite,  so  sind  sie  leicht  von  denselben  zu  trennen.  —  Die  Reac- 
tion verläuft  sehr  glatt  bei  Anwendung  der  primären  Halogenalkyle  aus 
den  drei  ersten  Reihen;  weniger  gute  Ausbeuten  werden  bei  der  Dar- 
stellung der  secundären  Verbindungen  erzielt;  bei  der  Einwirkung  von 


*  Siehe  besonders  V.  Meyer  (mit  StCbeb,  Tschebkiak,  Demole,  Locher  u.  A.), 
Ajih.  171,  1;  175,  88;  180,  111. 

•  KoLBE,  J.  pr.  [2]  5,  427. 


254  Nitroparafßne  (CofisHttUion). 


Silbemitrit  auf  tertiäre  Halogenalkyle  werden  nur  geringe  Mengen  der 
Nitroverbindungen  erhalten,  die  Bildung  "der  Nitrite  überwiegt  hier 
bedeutend. 

Der  Constitutionsunterachied  zwischen  Nitrokörpem  und  Salpetrig- 
säureestern wird  durch  die  Formeln: 

CHg— NO,       und       CHs-O-NO 

ausgedrückt.  In  den  Nitroverbindungen  haftet  das  Stickstoffatom  der 
NOg-Grruppe  unmittelbar  an  einem  Kohlenstoflfatom ,  in  den  Salpetrig- 
säureestem  ist  die  NO-Gruppe  durch  Vermittelung  eines  SauerstoflFatoms 
an  den  Kohlenwasserstofirest  gebunden.  Die  Berechtigung  dieser  Auf- 
fassung ergiebt  sich  aus  dem  Verhalten  der  beiden  Verbindungsklassen; 
die  Alkylnitrite  (s.  S.  206)  sind  wahre  Ester,  welche  durch  Alkalien  oder 
Säuren  in  Alkohole  und  salpetrige  Säure  gespalten,  „verseift"  werden 
können.  Diese  „Verseifbarkeit"  kommt  den  Nitroverbindungen  nicht  zu, 
da  sie  eben  nicht  esterartige  Verbindungen  sind.  —  Aus  den  Alkylnitriten 
wird  bei  der  Reduction  leicht  unter  Rückbildung  von  Alkohol  das  Stick- 
stoffatom von  dem  Kohlenwasserstoffrest  losgelöst.  Bei  der  Reduction  der 
Nitroverbindungen  dagegen  bleiben  der  Kohlenwasserstoffrest  und  das 
Stickstoffatom  zusammen;  es  entstehen  glatt  —  z.  B.  bei  der  Einwirkung 
von  Eisen  und   Essigsäure   unter  lebhafter   Reaction  —  die   primären 

Amine: 

CjHß.NOj  +  6H  =  CjHg.NH,  +  2HjO. 

Dieses  Verhalten  ist  vollkommen  analog  demjenigen  der  aromatischen 
Nitroverbindungen,  welche  zweifellos  die  Nitrogruppe  — NOg  an  Kohlen- 
stoffatome gebunden  enthalten.  Die  Auffassung  dieser  aliphatischen  Ver- 
bindungen als  wahrer  Nitroverbindungen 

C,H5-N<  I  oder  C^H^-NC 

^0  ^0 

erscheint  demnach  genügend  gestützt,  zumal  sie  auch  den  Bildung  weisen 
und  dem  sonstigen  Verhalten  derselben  durchaus  gerecht  wird.  Von 
einigen  Chemikern  sind  andere  Auffassungsweisen  vorgebracht  worden; 
bezüglich  derselben  und  ihrer  Widerlegung  muss  auf  die  Originalliteratur  ^ 
verwiesen  werden. 

Allgemeine  Charakteristik.  Das  Nitromethan  und  seine  Homo- 
logen (Nitroparaffine)  sind  farblose,  in  Wasser  fast  unlösliche,  unzer- 
setzt  destillirbare  Flüssigkeiten  von  eigenthümlich  angenehmem  Geruch. 
Die  niederen  Glieder  sind  schwerer  als  Wasser;  mit  steigendem  Molecular- 
ge wicht  nimmt  das  specifische  Gewicht  ab ;  Nitrobutan  ist  bereits  leichter 
als  Wasser. 


*  Geuther,  Ber.  7,  1620.  —  Göttino,  Ann.  248,  104.  —  V.  Meyer,  Ber.  8,  30; 
Ber.  20,  531  (Anm.).  Ann.  244,  222.  —  Sokolow,  Ber.  21c,  710.  —  Kissel,  Ber. 
16,  727,  1575;  17  o,  166. 


Nitroparaffine  (Säurenatur),  255 


Das  chemische  Verhalten  dieser  Nitrokohlenwasserstoife  ist  sehr 
eigenartig.     Von  besonderem  Interesse  ist  zunächst  die  Fähigkeit   der 
Salzbildung,   welche  den  primären  und  secundären  Verbindungen  zu- 
kommt,  während  sie  den  tertiären  abgeht.     Die  primären  und  secun- 
dären Nitroparaffine  besitzen  den  Charakter  von  Säuren,   sie  lösen  sich 
in   wässrigen   Alkalien   und   werden   von    Säuren   aus  diesen  Lösungen 
wieder  ausgefallt.   Man  erhält  die  Natriumsalze  (wie  z.  B.  CjjH^Na-NOg), 
wenn  man  die  alkoholische  Lösung  des   Nitrokörpers  mit  alkoholischer 
Natronlauge   versetzt,   als  weisse  Niederschläge;    bei   starkem    Erhitzen 
zersetzen  sich  dieselben  unter  VerpufFung;  ihre  wässrige  Lösung  giebt 
mit  vielen  Metallsalzen  Niederschläge  oder  charakteristische  Färbungen. 
Die  Ealiumsalze  lassen  sich  nicht  in  analoger  Weise  gewinnen;  alkoho- 
lisches Kali  erzeugt  in  den  Lösungen  der  Nitrokörper  nicht  eine  Fällung 
des  Kaliumsalzes,    sondern   bewirkt   eine   weitergehende   Zersetzung  (s. 
S.  257,  Nitrolsäuren).  —  Bemerkenswerth  ist  der  auffallende  Unterschied, 
welcher   zwischen   der   aus   Natriumnitromethan   und  Quecksilberchlorid 
entstehenden  Quecksilberverbindung  und  der  analog  dargestellten  Queck- 
silberverbindung des  Nitroäthans  besteht ;  die  Methan  Verbindung  ist  gelb 
und  durch  ungeheuer   explosive  Eigenschaften   ausgezeichnet,    während 
die  Aethanverbindung  weiss  und  durchaus  nicht  explosiv  ist.    Die  Aethan- 
verbindung  konnte  daher  analysirt  werden;  sie  besitzt  die  Zusammen- 
setzung HgCl(C3jH^-N02),    während   die   Methanverbindung   vermuthlich 
chlorfrei  und  nach  der  Formel  Hg(CH2-N02)2   zusammengesetzt  ist.  — 
Hervorzuheben  ist  femer   die  Abnahme    der   sauren  Eigenschaften  bei 
den  NitroparafGnen  mit   steigendem  Molecularge wicht;    die   kohlenstoff- 
reicheren  Nitroverbindungen  —   wie   Nitrobutan,    Nitropentan  —  lösen 
sich  erst  bei  andauerndem  Schütteln  in  Alkalien  auf. 

Die  Säurenatur  der  Nitroparaffine  beruht  auf  der  Vertretbarkeit 
derjenigen  Wasserstoffatome,  welche  an  dem  gleichen  Kohlenstoffatom 
wie  die  Nitrogruppe  haften.  Die  stark  elektronegative  Natur  der  Nitro- 
gruppe  beeinflusst  diese  in  ihrer  Nähe  befindlichen  Wasserstoffatome 
derart,  das  letztere  —  obwohl  an  Kohlenstoff  gebunden  —  die  Eigen- 
schaft der  Vertretbarkeit  durch  Metallatome  in  ähnlichem  Grade  er- 
langen, wie  sie  dem  Hydroxyl- Wasserstoffatom  der  Sauerstoffsäuren  zu- 
kommt. Ein  solcher  „acidificirender**  Einfluss  wird,  wie  später  bei  der 
Beschreibung  anderer  Verbindungsgruppen  hervortreten  wird,  häufig  auf 
an  Kohlenstoff  gebundene  Wasserstoffatome  durch  benachbarte  negative 
Gruppen  ausgeübt.  Die  Richtigkeit  dieser  Erklärung,  nach  welcher 
beispielsweise  dem  Natriumnitroäthan  die  Formel: 

.    CH3.CHNa.NO, 
zukommt,  erhellt  daraus,  dass  ein  Nitrokörper  eben  am  gleichen  Kohlen- 
stoffatom  neben  der  Nitrogruppe  noch  Wasserstoffatome  enthalten  muss, 
um   saure  Eigenschaften  zu  besitzen.     Im  Gegensatz   zu  den  primären 
und  secundären,  durch  die  Gruppen: 

C-CH,.NO,       und       C-CH(N02)-C 


256  Nüroparaffine  (Bromderivate). 


charakterisirten  Verbindungen,  geht  den  tertiären  Nitroverbindungen: 


C  X-NO, 
C 


yVj ^^^«7 


welchen  solche  Wasserstoflfatome  fehlen,  auch-  der  Säurecharakter  ab. 

Auch  in  anderen  Beactionen  erweisen  sich  die  in  der  unmittelbaren 
Nähe  der  Nitrogruppe  befindlichen  Wasserstoffatome  als  besonders  leicht 
vertretbar.  Fügt  man  zu  der  alkalischen  Lösung  der  Nitrokörper  Brom, 
so  erhält  man  bereits  in  der  Kälte  Bromsubstitutionsprodukte.  Dass  die 
Bromatome  an  das  die  Nitrogruppe  tragende  Kohlenstoflatom  treten,  geht 
einerseits  aus  der  Umsetzung  des  Monobromnitroäthans  mit  ZinkäthyP 
in  secundäres  Nitrobutan: 

2CH8-CHBr.NOs  +  Zn{Qfi^\  =  ZuBr,  +  2CHj  •  CH(NO,)  •  CjM^. 

andererseits  aus  dem  Umstand  hervor,  dass  stets  ebensoviele  Bromatome 
aufgenommen  werden  können,  als  Wasserstoffatome  in  der  Wirkungs- 
sphäre der  Nitrogruppe  befindlich  sind.  In  das  Nitromethan  CHj-NOg 
treten  ein,  zwei  oder  drei  Bromatome: 

CHjBrNOa         CHBr.NO,         CBrj.NO,, 

in  alle  übrigen  primären  Nitroparaffine  ein  oder  zwei  Bromatome: 

CH3 .  CHBr .  NOj         CH3 .  CBr,  •  N0„ 

in  die  secundären  Verbindungen  endlich  tritt  nur  ein  einziges  Brom- 
atom ein: 

CH8.CBr(N0j).CH3. 

Das  Verhalten  dieser  Bromnitroverbindungen  gegen  Alkalien  bietet  eine 
schlagende  Bekräftigung  der  oben  entwickelten  Erklärung  für  den  Säure- 
charakter der  Nitroverbindungen.  Nur  diejenigen  unter  ihnen,  welche 
noch  nicht  allen  mit  der  Nitrogruppe  am  gleichen  Kohlenstoffatom  be- 
findlichen Wasserstoff  durch  Brom  vertreten  enthalten,  besitzen  saure 
Eigenschaften.  Das  Dibromnitromethan  CHBrg'NO,  ist  daher  das  einzige 
Dibromnitroderivat,  das  in  Alkalien  löslich  ist.  Die  Monobromderivate 
der  primären  Nitroverbindungen: 

yC-CHBrNOj 

sind  noch  in  Alkalien  löslich,  aber  bei  den  secundären  Verbindungen 
ist  schon  nach  Aufnahme  eines  Bromatoms 

yC-CBr(NO,)-C(^ 

die  Säurenatur  aufgehoben. 

Sehr  merkwürdig  ist  die  Zersetzung,   welche  die  primären  Verbin- 
dungen  beim   Erhitzen   mit   Säuren^   erleiden;    der  Stickstoff  wird    als 


^  Bewad,  Ber.  21  o,  481;  22  o,  251. 

*  Preibisch,  J.  pr.  [2]  7,  480;  [2]  8,  316.  —  V.  Meyer  u.  Locher,  Ann.  180,  163. 


Nitroparaffvne  (Einwirkung  von  salpetriger  Säure),  257 


Hydroxylamin  abgespalten,  während  andererseits  die  Fettsäure  von 
gleichem  Kohlenstoffgehalt  entsteht: 

CH,.CH,.NO,  +  H,0  =  HjN.OH  +  CHsCOOH; 

beim  Nitromethan  wird  die  zuerst  gebildete  Ameisensäure  H-CO-OH 
gleich  weiter  in  Kohlenoxyd  und  Wasser  zerlegt.  —  Secundäre  Nitro- 
verbindungen werden  beim  Erhitzen  mit  Säuren  völlig  verharzt. 

Die  Verschiedenartigkeit  in  dem  Verhalten  der  primären,  secun- 
dären  und  tertiären  Nitroverbindungen,  welche  schon  bei  den  bisher  be- 
sprochenen Reactionen  hervorzuheben  war,  tritt  besonders  bei  der  Ein- 
wirkung der  salpetrigen  Säure  zu  Tage.  Dieselbe  führt  bei  den 
primären  und  secundären  Verbindungen  zu  ganz  eigenartigen  und  fun- 
damental von  einander  verschiedenenen  Körperklassen,  während  unter 
gleichen  Bedingungen  die  tertiären  Nitroverbindungen  eine  Reaction  mit 
der  salpetrigen  Säure  überhaupt  nicht  eingehen. 

Vermischt  man  die  Lösung  einer  primären  Nitroverbindung  in  Kali- 
lauge mit  einer  Nitritlösung  und  fagt  nun  Schwefelsäure  zu,  so  tritt  eine 
blutrothe  Färbung  ein,  welche  aber  verschwindet,  sobald  die  Flüssig- 
keit sauer  wird.  Es  ist  eine  wasserlösliche  Säure  entstanden,  welche 
sich  aus  der  Lösung  mit  Aether  ausschütteln  lässt.  Man  nennt  die  so 
entstehenden  Säuren  „Nitrolsäuren"  und  schreibt  ihnen  die  Constitution : 

xN-OH 

zu;  diese  Formel  wird  durch  alle  weiter  unten  folgenden  Umsetzungen 
gestützt,  besonders  aber  durch  eine  andere  Bildungsweise  der  Aethylnitrol- 
säure,  welche  in  der  Einwirkung  von  Hydroxylamin  auf  Dibromnitroäthan: 

.Br,  .N.OH 

CH3.OC  +  HjN-OH  =  2HBr  +  CH,.C<f 

besteht.     Ihr  Bildungsprocess  aus  salpetriger  Säure  ist  demnach  durch 

die  Gleichung: 

.H,  .N.OH 

CH,.C<f         +  ON-OH  =  H,0  +  CH,.C<f 

wiederzugeben.  Die  Nitrolsäuren  entstehen  ferner  aus  den  Nitroäthanen 
durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali  und  in  geringen  Mengen  über- 
haupt stets  bei  der  Einwirkung  alkalischer  Lösungen,  —  offenbar  indem 
ein  Theil  der  Nitroverbindungen  unter  Bildung  von  Alkalinitrit  zersetzt 
wird,  welch  letzteres  nun  auf  den  unzersetzten  Theil  reagirt.  —  Die 
Nitrolsäuren  sind  farblose,  in  Wasser  leicht  lösliche,  stark  sauer  reagirende 
nnd  süss  schmeckende  Verbindungen,  welche  oft  prächtig  krystallisiren. 
Sie  sind  besonders  charakterisirt  durch  die  intensiv  blutrothe  Färbung 
der  Lösung  ihrer  Alkalisalze,  welche  indess  in  reiner  Form  bisher  ebenso- 
wenig wie  die  Schwermetallsalze  (intensiv  gefärbte,  sehr  zersetzliche  Nieder- 
schläge) erhalten  werden  konnten.  —  Beim  Erhitzen  zerfallen  die  Nitrol- 

V.  Mkykr  u.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  IT 


258    Verschiedenes  Verkalten  der  prim.,  seattnd.  m.  iert.  Nitrojxtraffine  g^en 

säuren  uater  atürmisclier  Entwickeinng  von  Gasen  —  Stickstoff  und  Stick- 
stoffdioxyd —   und  Zuritcklassung  von  Fettsäuren: 

A'.OH 
2CH,-C/^  =2CH,C0-0H+  NO,  +  3N; 

^NO, 
dieselbe  Zersetzung  erleiden  sie  bei  längerem  Aufbewahren  schon  in 
der  Kälte.  Beim  Erhitzen  mit  Wasser  oder  Säuren  liefern  sie  gleich- 
falls Fettsäuren  unter  gleichzeitiger  Entwickeinng  von  Stickoxydul,  welche-, 
"■"•"■""•"'■"'ich  ans  den  primär  gebildeten  Spaltnngsprodukten,  salpetriger 
Hydroxylamin,  entsteht: 

-N-OH 
m,-Cf  +  2H,0  =  CH,-CO.OH  +  H-KOH  +  HNO,, 

\no, 

h,n-oh  +  hno,  =  n,0  -h  2h,0. 

der  Beduction  der  Nitrolsäuren  werden  die  entsprechenden 
gebildet,  indem  der  Stickstoff  —  je  nach  den  Bedingungen  — 
■ak,  Hydroxylamin  oder  salpetrige  Säure  abgespalten  wird. 
Redaption  der  NitrolsSureQ  mit  Natriumamalgam  entstehen  in  geringer 
Dl  zwei  SauerBtoffatome  ärmcreD  AzaurolaSuren':  intensiv  geärbtr. 
tum  lösliche  Verbindungen.  Ihre  Umsetzungen  sind  genauer  an  der 
Isäure  CjH,N,0  (oder  wahrscheinlicher  CjHgHjO,!  untersucht;  es  «ini 
i  ein  Viertel  des  Stickafofe  in  irgendwelcher  Form  abgespalteu  und  eine 
tiindung,  das  Leukazon  CjHjNbO,  gebildet;  letzteres  besitzt  sowohl 
:  sauren  Charakter  und  aehliesst  sich  hierin,  wie  auch  in  seinen  Löalich- 
saen,  den  AmidosSuren  an,  indem  es  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  los- 
er unlöslich  ist.     Die  Constitution  dieser  Verbindungen  ist  noch  nichi 

mau  eine  secundäre  Nitroverbindung  in  gleicherweise,  wie 
ir  die  primären  Verbindungen  angegeben  ist,  mit  nascireiider 
Säure  behandelt,  so  ist  der  Reactionsverlauf  ein  ganz  anderer, 
uern  scheiden  sich  nach  vorübergehender  intensiver  Blaufsr- 
'Se,  in  Wasser  nicht  lösliche  Verbindungen  ab,  welche  keinen 
[ter  besitzen.  Diese  „Pseudonitrole"  genannten  Verbin- 
1  isomer  mit  den  Nitrolsäuren;  man  fasst  sie  gewöhnlich  als 
iverbindungen  auf,  z.  ß.: 

CHj^    ^NO 

OH,/  \\0,' 
■etirt  demnach  ihre  Bildung  durch  folgende  Gleichung: 
(CH,),C  H  (NO,)  -H  OH-  NO.  =  HjO  -)-  (CHj),C{N0XNO,). 
mitrole  bilden  sich  nun  auch  bei  der  Einwirkung  von  Slick- 
i  auf  die  Oxiuie  der  Ketone^  z.  B.: 

yNO 

KCH,),C:N-OH  -H  3N,0.  =  4(CHAC<  +  2H,0  +  2N0. 

^NO, 
iVEii  und  CoNSTAii,  Ann,  214,  328. 
HOLi.,  Ber.  31,  508.  —  Inaugural-Diss,  Basel.  1890. 


salpetrige  Säure.     (Nitrolsäuren  und  Pseudonitrole.)  259 


Diese  Bildungsweise  legt  eine  andere  Auffassung  ihrer  Constitution^ 
nahe;  sie  könnten  Salpetersäureester  der  Oxime: 

(CH8)jC  =  N— 0— NOj 

sein;  ihre  Entstehung  aus  den  secundären  Nitroverbindungen  könnte  in 
folgenden  zwei  Phasen  verlaufend  gedacht  werden: 

(CH8),CH.N<   '  +  HNO,  =  (CH3),CH.N< 

\0  X)H 

/O-NOg 
(CH8)jCH .  N<  — HjO  =  (CH8)2C  :  N-0  •  NO,. 

\0H 

Der  letzteren  Auffassungsweise  kann  man  im  Hinblick  auf  zahlreiche 
Erfahrungen,  welche  die  Existenzfähigkeit  von  Verbindungen  mit  an 
Kohlenstoff  gebundener  Nitroso- Gruppe  ( — NO)  überhaupt  zweifelhaft 
machen,  den  Vorzug  geben.  —  Die  Pseudonitrole  sind  besonders  durch 
die  Eigenschaft  charakterisirt,  beim  Uebergang  in  den  flüssigen  Aggregat- 
zustand —  sei  es  durch  Schmelzung  oder  durch  Lösung  —  eine  intensiv 
blaue  Färbung  anzunehmen;  sie  besitzen  einen  stechenden  Geruch;  sie 
werden  beim  Erwärmen  mit  Säuren  oder  Alkalien,  auch  bei  der  Ein- 
wirkung von  Reductionsmitteln  unter  Abspaltung  von  Sauerstoffverbin- 
dungen des  Stickstoffs  zersetzt. 

Tertiäre  Nitroverbindungen  werden  durch  nascirende  salpetrige  Säure 
nicht  verändert. 

Einerseits  die  charakteristischen  und  noch  bei  sehr  geringen  Mengen 
deutlich  wahrnehmbaren  Farbenreactionen,  welche  die  Einwirkungspro- 
dukte der  salpetrigen  Säure  auf  die  primären  und  secundären  Nitro- 
paraffine  auszeichnen,  und  die  Indifferenz  der  tertiären  Verbindungen 
andererseits  können  zu  einer  Diagnose  der  primären,  secundären  und  ter- 
tiären Alkoholradicale  verwendet  werden  (vgl.  S.  154).  Man  destillirt  das 
zu  prüfende  Jodür  mit  Silbernitrit,  schüttelt  das  Destillat  mit  einer  Auf- 
lösung von  Ealiumnitrit  in  concentrirter  Kalilauge,  verdünnt  nun  mit  Wasser 
und  setzt  tropfenweise  verdünnte  Schwefelsäure  zu.  Erhält  man  eine  ßoth- 
farbung  (Nitrolsäurebildung),  welche  immer  wieder  bei  Zusatz  von  Alkali 
eintritt  und  durch  Ansäuern  aufgehoben  wird,  so  lag  ein  primäres  Jodür 
vor;  eine  Blaufärbung  (Pseudonitrolbildung),  welche  sich  beim  Schütteln 
mit  Chloroform  der  Chloroformschicht  mittheilt,  zeigt  ein  secundäres 
Jodür,  das  Ausbleiben  jeder  Färbung  ein  tertiäres  Jodür  an.  Diese 
Methode  ist  indess  nur  bis  zur  5.  Reihe  anwendbar;  es  genügen  hier 
0-3 — 0-5g  Jodür  zur  Prüfung;  in  den  höheren  Reihen  ist  die  Bildung 
der  Nitroverbindungen  ein  zu  wenig  glatter  Process,  um  zu  einer  sicheren 
Diagnose  dienen  zu  können. 


»  V.  Meyer,  Ber.  21,  1294. 

17 


260  Einzelne  Nitroparaffine. 


Einzelne  Glieder. 

Nitromethan  CHg'NOj  siedet  bei  101^;  es  bildet  sich  auch  durch  Einwirkung 
von  Kaliumnitrit  auf  chloressigsaures  Kalium^: 

CHjClCO.K  -f-  KNO,  +  H,0  =  CH,(NO,).CO,K  +  KCl  -f-  H,0 

=  CHsNO,  +  KHCOj  +  KCl. 

Methylnitrolsäure  CH(:  N-OH)- NO,  schmilzt  bei  64^  —  Beim  Erwärmen  mit 
alkoholischem  Natron  geht  das  Nitromethan  in  das  Natriumsalz  der  Methazonsfture* 
CÄNjOj  über. 

Nitroäthan:  CgHs-NO,;  Siedepunkt  113— 114^  spec.  G^ew.  bei  0<>:  1-080. 
Aethylnitrolsäure  CHj.  C(:  N- OH).  NO,  schmilzt  bei  81  —  82»  unter  völliger 
Zersetzung. 

Nitropropan:  CHs-CHj-CHjNO,;  Siedepunkt  125—127»;  spec.  Gew.  bei  0»: 
1.085.  Propylnitrolsfiure  C,H5 •  C(:  N •  OH) •  NO,  schmilzt  bei  60».  —  Isonitro- 
propan:  (CH,),CH  -  NO, ;  Siedepunkt  117—119»;  spec.  Gew.  bei  0»:  1.033.  Propyl- 
pseudonitrol  (CH8),:C:N,0,  schmilzt  bei  76». 

Prim.  norm.  Nitrobutan«:  CHg.CHj.CHjNO,;  Siedepunkt  151— 152»;  spec. 
Gew.  bei  0»:  0.995.  —  Prim.  Isonitrobutan :  (CH,),CH.CH,.NO,;  Siedepunkt 
137—140»;  spec.  Gew.  bei  0»:  1008.  —  See.  Nitrobutan  CjHg •  CH(N0,)CH8  siedet 
bei  138».  Butylpseudonitrol  CjHj.CC :  N80,)CH,  schmilzt  bei  58».  —  Tertiäres 
Nitrobutan  (CHglaC-NO,  siedet  zwischen  110  und  130». 

Prim.  Isonitropentan  (CHg),- CH-CH,- CH,- NO,  siedet  zwischen  150  und 
160».  —  Amylpseudonitrol  C,H6.C(:N208)C,H5  schmilzt  bei  63». 

Prim.  norm.  Nitrooctan*  CHg.CCHj^CHg.NO,  siedet  zwischen  205  u.  212». 


Sechstes  Kapitel. 
Verbindungen  der  AlkylreBte  mit  den  übrigen  Metalloiden. 

(Verbindungen  mit  den  Elementen  der  Stickstoffgruppe:   Phosphor,  Arsen,  Antimon 
und  Wismuth.  —  Verbindungen  des  Bors.  —  Verbindungen  mit  den  Elementen  der 

Siliciumgruppe:  Silicium,  Germanium  und  Zinn.) 


1.  Yerbindnngen  des  Phosphors. 

Der  Phosphor  bildet  mit  den  Alkylradicalen  eine  Reihe  von  Ver- 
bindungen, welche  zum  gasförmigen  Phosphorwasserstoff  (PH,)  in  der- 
selben Beziehung  stehen  wie  die  Amine  und  Ammoniumverbindungen 
zum  Ammoniak.  Es  sind  dies  die  Phosphine  und  die  qnatemären 
PhosphoniumTerbindangen ,  wie  z.  B.: 

CH3.PH,  (CH3),PH  {CU,\P  (CH3),P(0H) 

primäres,  secundäres,        tertiftres  Phosphin;         qnatemfires 

Phosphoninmhy  droxyd . 

*  KoLBE,  J.  pr.  [2]  5,  427.  —  Pbeibisch,  J.  pr.  [2]  8,  310. 

2  Lecco,  Ber.  9,  705.  --  Kimich,  Ber.  10,  140. 

8  ZüBLiN,  Ber.  10,  2083.  *  Eichler,  Ber.  12,  1888. 


Alkylverbindungen  des  Phosphors,  261 

Die  Existenz  der  Alkylverbindungen  des  Phosphors  hat  zuerst 
Thänabd^  1845  bei  einer  Untersuchung  über  die  Einwirkung  des  Chlor- 
methyls  auf  Phosphorcalcium  nachgewiesen.  Ihre  nähere  Kenntniss  aber 
verdankt  man  fast  ausschliesslich  A.  W.  Hofmann,  welcher  —  zum  Theil 
in  Gemeinschaft  mit  Cahoubs  —  diese  organischen  Phosphorverbindungen 
in  eingehendster  Weise  untersuchte. 

Der  Unterschied,  welchen  die  Stammkörper  PH,  und  NH3  in  ihrem 
chemischen  Charakter  zeigen,  findet  sich  theilweise  in  ihren  Alkyl- 
derivaten  wieder.  Von  dem  stark  basischen  Ammoniak  leiteten  sich 
durch  den  Eintritt  der  Alkylradicale  Verbindungen  ab,  welche  die 
Muttersubstanz  an  Basicität  noch  übertrafen.  Aus  dem  kaum  basischen 
Phosphorwasserstoflf,  dessen  Verbindungen  mit  Säuren,  wie  PH^J,  schon 
durch  Wasser  zerlegt  werden,  dagegen  erzeugt  der  Eintritt  einer  Alkyl- 
gruppe  eine  ebenfalls  noch  schwache  Base;  denn  auch  die  Salze  der 
primären  Phosphine  sind  gegen  Wasser  noch  unbeständig.  Aber  mit 
der  wachsenden  Anzahl  der  eintretenden  Alkylreste  wird  dieser  Unter- 
schied mehr  und  mehr  verwischt.  Die  quaternären  Phosphonium- 
hydroxyde  sind  wieder  Verbindungen  von  durchaus  alkali- ähnlichem 
Charakter,  welche  den  Ammoniumhydroxyden  an  Basicität  kaum  nach- 
stehen. In  diesen  Erscheinungen  zeigt  sich  aufs  Neue  der  elektropositive 
Charakter  der  Alkylgruppen,  welcher  schon  aus  den  enorm  basischen 
Eigenschaften  der  Sulfinhydroxyde  und  Ammoniumhydroxyde  gefolgert 
werden  konnte  und  noch  des  Oefteren  bei  der  Kenntnissnahme  anderer 
Verbindungsgruppen  zu  Tage  treten  wird. 

Entstehungsbedingungen  der  Phosphine  und  Phosphonium- 
verbindungen:  Während  die  directe  Einwirkung  von  Halogenalkylen 
auf  das  Ammoniak  im  Allgemeinen  zur  Bildung  sämmtlicher  Alkylirungs- 
stufen  des  Ammoniaks  f&hrt  (vgl.  S.  229 — 230),  entstehen  durch  un- 
mittelbare Wechselwirkung  zwischen  Phosphorwasserstoff  und 
Halogenalkylen  immer  nur  tertiäre  Phosphine  und  quaternäre 
Phosphoniumverbindungen*.  Will  man  die  Verbindungen  nach  dieser 
Reaction  gewinnen,  so  ist  es  am  zweckmässigsten,  Phosphoniumjodid 
mit  dem  entsprechenden  Alkohol  in  geschlossenen  Bohren  auf  160 — 180^ 
zu  erhitzen';  der  Alkohol  setzt  sich  mit  Jodphosphonium  in  Phosphor- 
wasserstoff, Jodalkyl  und  Wasser  um,  z.  B.: 

PH4J  +  CHa.OH>  PH,  +  CH3J  +  H,0, 

und  Phosphorwasserstoff  und  Jodalkyl  wirken  nun  auf  einander  ein. 

Tertiäre  Phosphine  werden  femer  durch  die  Wechselwirkung 
zwischen   Phosphortrichlorid  und  Zinkalkylen*  erhalten,   z.  B.: 

2PCla  +  3(C,He),Zn  =  SZnCl,  4-  2P(C,Hö),; 

^  Compt  rend.  21,  144;  25,  892. 

*  Drechsel  u.  F1NKEL8TEIN,  Ber.  4,  S54.  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  4,  872. 

•  A.  W.  HopMAKN,  Ber.  4,  205. 

^  Cahoürs  u.  Hofmann,  Ann.  104,  1. 


262        Bildungsweisen  der  Pkospkine  und  PhosphoniumKerhinduugen. 


das  Phosphin   bildet   mit   dem  gleichzeitig  entst«heiideii  Chloi'zink  eine 
Doppelverbindung  und  wird  darauB   durch  Destillation  mit   Alkali  ab- 
ätzt man  in  dieser  Beaction  das  Zinkalkyl  darch  ein  Quecksilberalkvl. 
ur  ein  Chloratom  des  Phosphortrichlorida  aasgetanscht',  z.  B.: 
PCls  +  HgtCH,),  =  PCl,(:CjH^)  +  HgCl(C,H,). 

primären  und  secundären  Phosphine  dagegen  bilden  sich 
inauder,  wenn  man  Jodphosphoiiium  in  Gegenwart  eiaes  Metall- 
-  am  besten  Ziukoxyd  —  auf  Jodalkyle  bei  100 — 150"  wirisen 
In  dieser  Eeaction  entstehen  keine  tertiären  und  quatemären 
jngen,  und  sie  bildet  demnach  ein  Complement  zu  der  erst- 
m  Beaction  zwischen  Phosphoniumjodid  und  Alkoholen. 

Beindarstellung  der  einzelnen  Älkylirungsprodukte  aus  den 
LSgemischen   ist  daher  hier  viel  einfacher  als  die  entsprechende 

bei    den  Stickstoffverbindungen,    da   bei    der    Darstellung   von 

sich  ja  in  einer  und  derselben  Reaction  meist  die  Repräseu- 
iller   vier  Klassen    bildeten.     Es    bedarf  nur   einer  Trennungs- 

ftlr  primäre  und  secundäre  Phosphine,  und  andererseits  einer 
für  tertiäre  Phosphine  und  quatemäre  Phosphoniumverbindungen. 
grUndet  sich  darauf,  dass  die  Salze  der  primären  Phosphine 
sser  unter  Abscheidung  des  freien  Phosphins  zerlegt  werden, 
e  der  secundären  Phosphine  dagegen  gegen  Wasser  beständig: 
;ztere  beiiiht  wieder  auf  der  ünzerleglichkeit  der  Phosphoninm- 
urch  Alkalien  im  Gegensatz  zu  der  Zerlegbarkeit  der  tertiären 
isalze   und   ist   demnach  ganz  analog  der  Trennung  der  Amine 

Ammonium  Verbindungen  (vgl.  S.  230 — 231). 
braucht  kaum  noch  bemerkt  zu  werden,  dass  aus  den  primären 
undären   Phosphinen    auch    die    höher   alkylirten    Verbindungen 
inwirkung  von  JodaUtyl   gewonnen    werden   können,    und    die*e 

auch  zur  Darstellung  gemischter  Phosphine'  und  Phi>s- 
aibasen  dienen  kann; 

(C,H,)PH,  +  CH,J  =  (CH,XC,H,)PH.HJ; 
(C.H.1,P  +  CH,J  =  (CH,XC«H,1.PJ. 

einfaches  Verfahren  zur  Gewinnung  der  Phosphoniumrer- 
;en  besteht  endlich  in  der  Digestion  von  gewöhnlichem  oder 
Phosphor  mit  Jodalkylen  bei  180"  durch  24  Stunden*;  die  Re- 
erläuft nach  der  Gleichung: 

2P  +  7C,H.J  =  P(C,ll5i,Js  -I-  P(C,H.V»^ 
ildung   von   PolyJodiden;    behandelt   man   das  Beactionsprodidit 

CHAEM»,  Ber.  18,  2174. 
W.  HoFSANN,  Ber.  4,  430,  605;  Ö,  292. 
;1.  auch  Collie,  Joum.  Soc.  1886.  I,  714. 


Charakteristik  der  Phosphine,  263 


mit  Schwefelwasserstoff,  so  wird  das  PolyJodid  P(C2H5)4J3  zu  dem  Tetra- 
äthylphosphoniumjodid  P(C2Hß)4J  reducirt,  welches  aus  seiner  Lösung 
auf  Zusatz  von  Pottasche  ausfällt,  während  das  PolyJodid  ^{C^^^\J^ 
durch  Schwefelwasserstoff  in  Triäthylphosphinoxyd  (CgHßjgPO  übergeflihrt 
wird,  welch  letzteres  in  Lösung  bleibt  (vgl.  S.  266). 

Charakteristik  der  Phosphine  und  Phosphoniumverbin- 
dungeu:  Die  Phosphine  sind  farblose.  Verbindungen,  mit  Ausnahme 
des  gasförmigen  Methylphosphins  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig 
(s.  die  Tabelle  Nr.  1 1  auf  S.  264),  in  Wasser  unlöslich.  Sie  besitzen  einen 
durchdringenden,  betäubenden  Geruch,  welcher  indess  in  grosser  Verdün- 
nung bei  einigen  durchaus  nicht  unangenehm  ist;  so  hat  der  Geruch  des 
Triäthylphosphins  in  verdünntem  Zustande  die  grösste  Aehnlichkeit  mit 
dem  der  Hyacinthe^.  Die  Phosphine  besitzen  nicht  alkalische  Reaction; 
mit  Säuren  treten  sie  zu  Salzen  zusammen,  welche  in  Wasser  meist 
leicht  löslich  und  den  Salzen  der  Amine  analog  zusammengesetzt  sind 
(z.  B.  (C3H7)3P.HJ).  Dass  die  Salze  der  primären  Phosphine  von  Wasser 
zersetzt  werden,  diejenigen  der  secundären  und  tertiären  Phosphine 
gegen  Wasser  beständig  sind,  ist  bereits  hervorgehoben  worden  (S.  262). 

Die  tertiären  Phosphine  sind  durch  das  Bestreben  ausgezeichnet, 
unter  Aufnahme  von  anderen  Elementen  in  Verbindungen  des  fünf- 
werthigen  Phosphors  überzugehen.  So  addiren  sie  die  Halogene,  um 
Verbindungen  wie  z.  B.  P(C2Hg)3Cl2  zu  bilden.  Von  besonderer  Schön- 
heit sind  die  Phosphinsulfide^  wie  (C2Hg)3PS;  sie  bilden  sich  unter 
Wärmeentwickelung,  wenn  man  in  die  ätherische  Lösung  der  Phosphine 
Hchwefelblumen  einträgt,  krystallisiren  prachtvoll,  sind  farblos,  in  reinem 
Wasser  löslich,  in  alkalischem  Wasser  aber  viel  weniger  löslich.  (Tri- 
methylphosphinsulfid  schmilzt  bei  105®,  Triäthylphosphinsulfid 
bei  94®.) 

Gleichfalls   höchst   charakteristische  Verbindungen    entstehen   durch 

Zusammentritt  mit  Schwefelkohlenstoff^;  die  Constitution  dieser  Ver- 
eis 
bindungen  ist  wohl  durch  Formeln,  wie        ^^  \  ^  tt       auszudrücken. 

S :  C P(C2H5)g, 

Die  Reaction  zwischen  den  tertiären  Phosphinen  und  Schwefelkohlenstoff 

ist  so  energisch,    dass  man  sie  durch  Anwendung   von  Lösungsmitteln 

(Alkohol   oder   Aether)    massigen   muss;    die    Additionsprodukte    stellen 

schöne  rothe,  der  Chromsäure  ähnliche  Krystalle  dar  und  sind  in  Wasser 

unlöslich.   Ihre  Bildung  erfolgt  so  leicht  und  augenblicklich,  dass  man  sich 

vortheilhaft  des  Schwefelkohlenstoffs  als  Reagens  auf  die  Phosphine  und 

umgekehrt  der  tertiären  Phosphine  als  Reagens   auf  Schwefelkohlenstoff 

bedient.     Die  Verbindungen  sind  ziemlich  veränderlich  und  gehen  leicht 

in  die  entsprechenden  Phosphinsulfide  über;  so  z.B.  die  Methylverbindung 


»  A.  W.  Hopmann,  Ann.  104,  10. 

■  Ebenda  p.  23  u.  32.  —  Ann.  Suppl.  1,  21. 

'  A.  W.  UoFHANN,  Ann.  Suppl.  1,  26  u.  59. 


Phosphotiiumverbindungen. 


264 

schon  bei  längerem  Stehen  ihrer  ätherischen  Lösung,  die  Aethyherbinduiif 
beim  Kochen  der  alkohohschen  Lösung  mit  Silberoxyd: 

(C,H,),P.CS,  +  2Ag,0  =  (C,Hst,PS  +  CO,  +  Ag,S  +  Äg,. 
(Die  CSj-Verbindung  des  Triäthylphosphins  schmilzt  bei  95°.) 

Von  den  Aminen  durcbaua  verschieden  erweisen  sich  die  Phosphine 
durch  ihre  leichte  Oxydirbarkeit.  Alle  Phosphine  ziehen  mit  grösster 
Begier  den  Sauerstoff  der  Luft  an  sich  und  müssen  daher  im  Wasser- 
stoffstrom  destillirt   werden.     Einige   derselben    erwärmen    sich    an    der 

8  sie  sich  von  selbst  entzünden.    lieber  die  Oxrda- 

iten. 

Tabelle  enthält  die  Siedepunkte  einiger  Phosphine: 


Tab 

eile  Nr. 

11. 

Siedepunkt  des 

en  1    secuiii].       terÜKren 

PhoRphins. 

0 

+  25- 

+  41« 

0 

85» 

128» 

Das  apecifische   Gewicht  ist 

D 

118» 

beim  Trittthylphosphin  m 

0 

0-812  bei  15°,  beim  normalen 

u 

210-215° 

ca.  300° 

Octylphösphin'   zn  0-821  b« 

^ 

_ 

17°  gefunden. 

il" 

- 

- 

Iren  Fhosphoniumverbindungen',  wie  (CH,)^?^ 
entspreche nden  Stickstoffverbindungen  analog.  Die 
h  Alkalien  nicht  zerlegt,  wohl  aber  erhält  man  die 
iroxyde,  (CH3),P-0H  etc.,  wenn  man  die  Lösung  der 
xyd  digerirt.  Es  sind  dies  leicht  lösliche,  stark  alka- 
erbindungen,  welche  begierig  Eohleusäure  anziehen, 
,  kurz  in  allen  Stücken  den  Ammoniumhydroxyden 
ihrem  Verhalten  unter  dem  Einflüsse  der  Wärme 
lieh  von  letzteren;  sie  gehen  hierbei  nicht  wieder  in 
)hine  über  (vgl.  S.  246);  vielmehr  verharrt  das  Phos- 
tand  der  Fünfwerthigkeit,  indem  unter  Abspaltung 
irasserstoffs  die  Phosphinoxyde  (vgl.  S.  265—266)  ent- 

CC,Hi)<P-OH  =  C,H,  +  {C,H,),P.O. 

rodnkte  der  Phosphine;  PhosphinsSuren  and  Phos- 

T  dem  oxydirenden  Etnflnss  der  rauchenden  Salpeter- 
in. lOS,  65. 

FMANN,  Ann.  104,  15.  —  Cahour?,  Ann.  ISS,  329.  —  CouiEi 
S36  u.  714.  —  Letts  n.  Collie,  Jb.  1888,  1609.  —  Masson  u. 
1889.  I,  126,  138. 


Phosphinsäuren.  265 


säure  geht  der  PhosphorwasserstoflF  H3P  in  Phosphorsäure  (0H)3P :  0 
über;  es  werden  die  drei  Wasserstoffatome  zu  Hydroxylgruppen  oxydirt, 
und  gleichzeitig  vertauscht  das  Phosphoratom  unter  Anlagerung  eines 
Sauerstoffatoms  den  Zustand  der  Dreiwerthigkeit  mit  demjenigen  der 
Fünfwerthigkeit  Ganz  analog  sind  die  Veränderungen,  welche  starke 
Salpetersäure  an  den  Phosphinen  hervorbringt;  die  Alkylreste  bleiben 
am  Phosphoratom  haften,  während  die  Wasserstoffatome  zu  Hydroxyl- 
gruppen werden,  und  ein  Sauerstoffatom  behufs  Erlangung  der  Fünf- 
werthigkeit angelagert  wird.     So  entsteht  aus  dem 

CH«V  CHg\ 

primären  Phosphin:     H-^P  — >-   eine   zweibasische   Säure:    OH-^P=0, 

h/  ob./ 

CH3V  CH3V 

secundär. Phosphin rCHg-^P   — >    eine   einbasische    Säure:    CH3-^P=0, 

H/  OHX 

CHjv  CH3V 

tertiären  Phosphin:  CH3--7P — >-  eine  nicht  saure  Verbindung:  CHg-^P=-=0. 

CH3/  CH3/ 

Die  Säuren,  welche  aus  den  primären  und  secundären  Phophorbasen 
sich  bilden,  bezeichnet  man  als  Phosphinsäuren^  (Mono-  und  Di- 
alkylphosphinsäuren),  die  Oxydationsprodukte  der  tertiären  Phosphine 
als  Phosphinoxyde. 

Die  Monoalkylphosphinsäuren  (wie  (C3Hß)(OH)2PO)  sind  farblose, 
krystallinische,  in  Wasser  und  Alkohol  lösliche,  sehr  beständige  Ver- 
bindungen, welche  zum  Theil  unzersetzt  flüchtig  sind.  Ihre  Lösung 
röthet  Lakmus  und  besitzt  einen  angenehm  sauren  Geschmack.  Sie 
bilden  zwei  Reihen  von  Salzen,  wie  (CH3)HMe^P03  und  (CH3)MejP03. 
Sie  sind  isomer  mit  den  Monoalkylestem  der  phosphorigen  Säure  (s.  S.  209): 
P(0H)g(0-CH3)  und  unterscheiden  sich  von  diesen  —  entsprechend  ihrer 
Constitution  —  durch  die  Unverseifbarkeit.  (Methylphosphinsäure 
(CH3)H3P03  schmilzt  bei  105^  Aethylphosphinsäure  (C2Hß)H3P03 
bei  440.) 

Die  Dialkylphosphinsäuren  (wie  (CH3)2(OH)PO)  sind  ebenfalls 
farblose  Verbindungen,  welche  zum  Theil  ohne  Zersetzung  destillirt 
werden  können.  Die  in  Wasser  leicht  lösliche  Dimethylphosphinsäure 
(CH3)^(0H)P0  ist  krystallisirt  erhalten  und  schmilzt  bei  76®,  die  Homo- 
logen sind  nur  als  Syrupe  erhalten  worden;  von  der  Propylreihe  auf- 
wärts sind  sie  in  Wasser  unlöslich.  Sie  bilden  nur  eine  Reihe  von 
Salzen  (wie  (CH3)3AgP02). 

Bei  der  Behandlang  mit  Phosphorpentachlorid  werden  die  Hydroxylgruppen 
dtirch  Chlor  ersetzt  Es  entstehen  die  Phosphinsänrechloride  —  schön  krystal- 
lisirt«,  unzersetzt  flüchtige  Verbindungen,  welche  mit  Wasser  wieder  die  Säuren 
regeneriren.  (Methylphosphinsäurechlorid  (CH,)ClaPO  schmilzt  bei  32^,  siedet  bei 
163»;  Dimethylphosphinsfturechlorid  (CHa)aClPO  schmilzt  bei  ÖB'^  und  siedet 
b«  204«.) 

*  A.  W.  HoFMAMK,  Ber.  6,  104;  6,  303.  —  Fossek,  Monatsh.  7,  26. 


266  Phosphinoxyde. 

Von  den  Phosphinoxyden  sind  nur  die  beiden  ersten  Glieder 
untersucht  Das  Trimethylphosphinoxyd^  (CH3)3PO  schmilzt  bei  137 
bis  138«  und  siedet  bei  214— 215^  Das  Triäthylphosphinoxyd- 
(C3Hg)3PO  erhält  man  aus  dem  Triäthylphosphin  durch  Oxydation  an  der 
Luft,  mit  Salpetersäure  oder  mit  Quecksilberoxyd;  auch  kann  es  ge- 
wonnen werden,  indem  man  Phosphor  mit  Jodäthyl  auf  175 — ISO' 
24  Stunden  erhitzt  und  das  Reactionsprodukt  mit  Alkohol  zersetzt  (vgl. 
S.  262 — 263).  Es  krystallisirt  in  feinen  farblosen  Nadeln,  schmilzt  bei  53- 
und  siedet  völlig  unzersetzt  bei  243 ^  Es  ist  geruchlos,  sehr  zerfliess- 
lich,  in  Wasser  sehr  leicht  löslich,  ebenso  in  verdünnten  Säuren,  wird 
aber  aus  der  wässrigen  Lösung  durch  Kalilauge  gefällt.  Mit  Metallsalzen 
vereinigt  es  sich  zu  krystallisirten  Verbindungen,  wie  z.  B.  2{G^'E^\V0. 
ZnJg.  Selbst  durch  Natrium  kann  das  Triäthylphosphinoxyd  nicht  zu 
Triäthylphosphin  reducirt  werden. 

• 
2.  Yerbindungen  des  Arsens. 

Die  wichtigsten  Arbeiten  über  die  Alkylverbindungen  des  Arsens 
rühren  von  Bunsen  her;  ihm  gelang  es  zuerst,  der  Schwierigkeiten  und 
Gefahren  Herr  zu  werden,  welche  die  Untersuchung  dieser  Körper  bietet. 

Das  dritte  Element  der  Stickstoffgruppe  zeigt  bezüglich  seiner  Alkyl- 
verbindungen schon  bedeutende  Abweichungen  von  dem  typischen  Ele- 
mente der  Gruppe.  Den  primären  und  secundären  Aminen  und  Phos- 
phinen  entsprechende  Arsine,  wie  etwa: 

CHa\  ^  CH,\ 

H  )A8  und  CH3-7A9, 

sind  überhaupt  an  sich  nicht  bekannt,  nui*  solche  Derivate  derselben 
kennt  man,  in  denen  die  Wasserstoffatome  durch  elektronegative  Elemente 
substituirt  sind,  wie: 

CHaX  CHg\  CHg\  CHas.  /CHj 

Cl /As;  ^^->A8:  CHa-)Asr  >Aa-0-As< 

Den  tertiären  Arsinen,  wie  z.  B.: 

CHsX 
CH3-)As, 

CHg/ 

deren  Constitutions- Analoga  in  der  Stickstoff-  und  Phosphor-Eeihe  kriit- 
tige  Basen  waren,  geht  die  Fähigkeit  der  Salzbildung  durchaus  ab. 
Erst  die  Beladung  des  Arsenatoms  mit  vier  Alkylgruppen,  wie  sie  in 
den  quaternären  Arsoniumverbindungen : 

CHaX       /CHa 

CH3-)A8< 
Cli/      \0H 

*  Collie,  Journ.  Soc.  1888,  I,  636. 

'  A.  W.  Hofmann,  Ann.  Siippl.  1.  7.  —  Pebal,  Ann.  120,  194.  —  Carii'?' 
Ann.  137,  117.  —  Grafts  u.  Silva,  Ztschr.  Chem.  1871,  359.  —  Masson  u.  Kibklasd, 
Journ.  Soc.  1880  I,  141. 


Di4Ükylverbindungen  des  Ärsetis,  267 


eiutritt,  fuhrt  wieder  zu  Verbindungen,  deren  chemischer  Charakter  den 
analog  gebauten  Stickstoff-  und  Phosphor- Abkömmlingen  in  jeder  Be- 
ziehung gleicht.  Auch  ausser  diesen  Tetraalkylverbindungen  sind  zahl- 
reiche von  funfwerthigem  Arsen  derivirende  Verbindungen  bekannt,  wie 
die  Halogenverbindungen: 

(CHs)A8Cl4,  (CH8),A8Cl8,  (CH3)8A8C1, 

und  die  den  Phosphinsäuren  entsprechenden  Arsinsäuren: 

CHa .  AßO(OH)j,  (CHg)^  AsO  •  OH. 

Die  Dialkylderlyate  sind  unter  den  Alkylverbindungen  des  Arsens 
die  wichtigsten,  und  unter  diesen  wieder  die  Repräsentanten  der  Methyl- 
reihe,  welche  man  auf  Berzelius'  Vorschlag  ihres  ekelerregenden  Ge- 
ruchs wegen  als  Eakodyl-Yerbindungen  zu  bezeichnen  pflegt  (von 
xaxcidijg:  stinkend).  Schon  1760  wurden  diese  Körper  von  Cadet, 
welcher  bei  der  Destillation  von  Arsenik  mit  essigsaurem  Kali  eine 
schwere,  furchtbar  riechende  und  an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeit  er- 
hielt, beobachtet;  aufgeklärt  wurde  ihre  Zusammensetzung  erst  in  den 
Jahren  1837 — 1843  durch  Bünsen's  mühe-  und  gefahrvolle  Untersuchung  ^, 
deren  Bedeutung  für  die  Entwickelung  der  chemischen  Theorien  schon 
im  allgemeinen  Theile  (S.  53)  kurz  berührt  wurde.  Bunsen  zeigte,  dass 
ein  Radical  von  der  Zusammensetzung  AsCgH^  —  das  Kakodyl-Radical 
—  der  gemeinsame  Bestandtheil  zahlreicher  Verbindungen  sei,  welche 
er  durch  mannigfache  Reactionen  aus  Cadet's  Flüssigkeit  gewinnen 
konnte.  Dieses  Radical,  für  welches  auf  den  folgenden  Seiten  zuweilen 
das  Zeichen  „Kd"  gebraucht  werden  wird,  wurde  dann  später  vouKolbe^ 
als  einwerthiger  Dimethylarsenrest  (CH3)2As —  erkannt  (s.  S.  269). 

Kakodyloxyd  Kd^O  (Dimethylarsenoxyd:  {CH3)2As--0  — 
As(CH3)2)  ist  der  Hauptbestandtheil  jener  schweren  öligen  Flüssigkeit 
Cai>et's,  welche  man  neben  einer  wässrigen  Schicht  durch  Destillation 
gleicher  Theile  von  arseniger  Säure  und  Kaliumacetat  erhält  und  welche 
den  Ausgangspunkt  zur  Bereitung  der  Kakodylverbindungen  bildet.  Seine 
Entstehung  wird  durch  die  Gleichung: 

AflaOg  +  4CH3.CO,K  =  A8aO(CH8)4  +  2K2CO3  +  200, 

erläutert.  Jene  Flüssigkeit  enthält  auch  etwas  freies  Kakodyl  (Kdg); 
destillirt  man  sie  mit  eoncentrirter  Salzsäure  und  Quecksilberchlorid,  so 
erhält  man  reines  Kakodylchlorid  KdCl,  welches  nun  durch  Destillation 
mit  Kali  das  reine  Kakodyloxyd  liefert^.  Kakodyloxyd  ist  eine  farblose, 
schwere,  in  Wasser  unlösUche  Flüssigkeit,  welche  gegen  150^  unzersetzt 
siedet,  etwas  unterhalb  — 23^  krystallinisch  erstarrt  und  bei  15^  das 
specifische  Gewicht  1-462  besitzt.  Es  riecht  betäubend  und  furchtbar 
widerlich ;  das  Einathmen  erzeugt  starke  Uebelkeiten  und  auf  der  Nasen- 


»  Ann.  24,  271;  81,  175;  87,  1;  42,  14;  46,  1.  »  Ann.  76,  30. 

*  Bajcyer,  Ann.  107,  282. 


268  Kakodylverbindtmgen, 

schleimhant  einen  unerträglichen  Geiz.      Es  bat  grosse  Verwandtscluil^ 
zum  Sauerstoff,  erhitzt  sich,  mit  diesem  Gase  in  Berührung,  momentan 
bis  zur  Entzündung  und  reducirt  Quecksilberoxyd   und  Silberoxyd;   an 
der  Luft   raucht  es  nicht  und   entzündet  sich  nicht  von  selbst.     Es  be- 
sitzt neutrale  Geaction,    verhält  sich  aber  wie  etn  basisches  Metalloxril. 
welches  sich  mit  Säuren  zu  Salzen  umsetzt,  z.  B.: 
Kd,0  +  2HC1  =  2KdCl  -H  H,0. 
LS  Kakodylchlorid  KdCl  (Dimethylarsenchlorid:  (CHg^AsCI). 
nach  letzterer  Beaction  entsteht,  riecht  noch  viel  durchdringender 
ft  noch  viel  unangenehmere  physiologische  Wirkungen  hervor.    E* 
[falls  farblos,  flüssig,  in  Wasser  unlöslich,  erstart  nicht  bei  — ih". 
uuzersetzt  etwas  Ober  100*  und  verbrennt  —  an  der  Lufi  erhitzt 
fahler  Flamme.     Im  Chlorgas  entzUndet  es  sich  von  selbst.    Mit 
hloriden  bildet  es  Doppelsalze,  wie  z.  B.  2KdCl.PtCl^. 
.kodylcyanid    KdCy    kiystallisirt   in   grossen    Priamen,    Bchmilzt    bei  33", 
ii  etwa  140°   uDzersetzt,    ist   in  Waaser  wenig  löeliclt  und  besitzt  beispiellw 
igenBcIiaften.  —  Kakodylaulfid  Kd,S:  wasserhelles  Ool  von  höchst  widrigem 
das  bei  —40"  nocb  nicht  erstarrt.  —  Kakodyldisulfid   Kd,S,:  fcrblow. 
he,  bei  50"  schmelzende  Tafeln. 

ikodylsäure  KdO(OH)  (Dimethylarsinsäure:  (C^),A8<^  ) 

t  aus  dem  Kakodyloxyd  durch  langsame  Oxydation  an  der  Lnl) 
roh  Oxydation  mit  Quecksilberoxyd  unt«r  beträchtlicher  Wärtneeot- 
ng ,  auch  durch  Oxydation  des  freien  Eakodyb  und  anderer 
Iv  er  bin  düngen.  Sie  stellt  eine  zerfliessliche ,  krystallinische,  ge- 
i  Substanz  dar,  ist  sehr  beständig,  löst  sich  leicht  in  Wasser  zu 
auer  reagirenden  Flüssigkeit  und  wirkt  giftig*.  Ihre  Salze,  wie 
[dO-OAg,  sind  in  Wasser  meist  löslich.  Von  einer  Reihe  von 
ionsmitteln,  wie  z.  B.  phosphoriger  Säiu-e  und  Zinnchlorür,  wird  die 
Isäure  zu  Kakodyloxyd,  von  Schwefelwasserstoff  zu  Kakodylsiilfid 
;,  Bei  der  Einwirkung  von  Phosphorpen tachlorid  wird  ausser 
droxylgmppe  auch  das  doppelt  gebundene  Sauerstoffatom  durcli 
r setzt: 

(CHAÄ6<        +  2PCIi  =  (CHAAsCl,  +  2P0CI,  +  HCl. 
\0H 

IS  Kakodyltri Chlorid»  KdClj  (Dimethylarsentrichlorid), 
in  dieser  Reaction  wie  auch  durch  directe  Vereinigung  aus  dem 
lorid  und  Chlor: 

(CH,),AsCl  +  CI,  -  (CH,),ABCi, 
;,  krystallisirt  in  durchsichtigen  Säulen  und  zerfällt  schon  hei 
"  in  Chlormetbyl  und  Monomethylarsendichlorid: 

(CH,),AbC1,  =  0H,C1  +  (CHjlAaCl,. 

,EBAUN  u.  SiJrOLTz,  Ber.  12,  22.  '  Baei-eb,  Ann.  107,  26S. 


Kakodylverbindungen.  269 


A8(CH3),;C1 

+  Zn 
As(CHg)jCl 


Es  verhält  sich  wie  ein  wahres  Säurechlorid,  denn  mit  Wasser  regenerirt 
es  sofort  unter  Salzsäureabspaltung  die  Kakodylsäure. 

Das  freie  Kakodyl  —  das  allen  diesen  Verbindungen  gemeinsame 
Badical,  mit  seinesgleichen  zu  einem  Doppelmolecül  vereinigt,  —  lässt  sich 
aus  manchen  derselben  abscheiden,  indem  man  durch  Einwirkung  von 
Metallen  den  damit  verbundenen  Bestandtheil  fixirt;  so  entsteht  es  aus 
dem  Kakodylsulfid  und  dem  Kakodylbromid  durch  Erhitzen  mit  Queck- 
silber; zu  seiner  Darstellung  eignet  sich  am  besten  die  Einwirkung  von 
Zink  auf  das  Kakodylchlorid  (bei  90 — 100^.  Im  Momente  der  Ab- 
scheidung vereinigt  sich  der  einwerthige  Rest  (CH3)2As —  mit  einem 
gleichartigen: 

AsCCHa^ 
=  ZnCla  +  I 

AsCCHj),; 

denn  der  Dampfdichte-Bestimmung  zufolge  hat  die  entstehende  Verbin- 
dung die Moleculargrösse  As^C^Hjg  und  kann  demnach  als  Bis-dimethyl- 
arsen  bezeichnet  werden.  Sie  stellt  ein  wasserhelles ,  dünnflüssiges, 
stark  lichtbfechendes  Liquidum  dar,  ist  selbstentzündlich,  siedet  bei  etwa 
170^  und  erstarrt  bei  — 6^  zu  grossen  Krystallen.  Durch  Einwirkung 
von  Jodmethyl  ensteht  einerseits  Kakodyljodid,  andererseits  Tetramethyl- 
arsoniumjodid  (identisch  mit  dem  Reactionsprodukt  aus  Jodmethyl  und 
Arsennatrium,  s.  S.  270 — 271): 

(CH8),A8.A8(CH8)8  +  2CH3J  =  (CH3)4A8J  +  JAsCCHg),; 

die  Bildung  des  Tetramethylarsoniumjodids  in  dieser  Reaction  beweist, 
dass  der  Kakodylrest  AsC^Hg  ausschliesslich  Methylgruppen  enthält  und 
demnach  als  Dimethylarsen  aufzufassen  ist.  Aus  dem  freien  Kakodyl 
bildet  sich  bei  langsamem  Luftzutritt  wieder  das  Kakodyloxyd,  durch 
Auflösen  von  Schwefel  das  Kakodylsulfid,  durch  Einwirkung  von  Chlor- 
wasser das  Kakodylchlorid: 

Kd,  +    O  =  Kd,0 

Kd,  -h     S  =  KdjS 

Kd,  +  Clj  =  2KdCl. 

Die  wunderbare  Analogie,  welche  die  Verbindungen  dieses  com- 
plexen  Badicals  bezüglich  ihrer  Zusammensetzung  mit  den  Verbindungen 
anorganischer  Elemente  zeigen,  wie  sie  z.B.  aus  der  Zusammenstellung: 

Hj     Wasserstoff  Kd^     Kakodyl 

H,0  Wasserstoffoxyd  KdgO  Kakodyloxyd 

HCl  Chlorwasserstoff  KdCl  Kakodylchlorid 

erhellt,  finden  wir  heute  an  unzähligen,  leichter  zugänglichen  Verbin- 
dongsgruppen  wieder.  Aber  die  merkwürdige  Leichtigkeit,  mit  der  dieses 
Radical  aus  seinen  Verbindungen  sich  abscheiden  und  —  einmal  ab- 
geschieden —  wieder  durch  einfache  Reactionen,  gerade  wie  ein  anorga- 
nisches Element,  in  jene  Verbindungen  sich  zurückführen  lässt,  werden 
es  begreiflich  machen,   wie  sehr  die  Aufdeckung  dieser  einfachen  Ver- 


270  Monoalkylverhindungen  des  Arsens. 

hältnisse  durch  Bdnsek's  denkwürdige  Untersuchung  seinerzeit  daiu 
beitragen  musste,  eine  einheitliche  Auffassung  der  anorganischen  na<l 
organischen  Verbindungen  herbeizuführen. 

Die  dem  Kakodyl  entsprechende  Aethylverbindnng',  da»  Bis- 
diäthjUraen  (CiH,)jÄa  ■  Ab(C,H5),  entsteht  neben  anderen  AethyMerivatcn  des 
Arsens  bei  der  Einwirkung  von  Jodäthyl  auf  Asennatrium;  es  siedet  bei  185— ISti' 
und  liefert  durch  Oxydation  die  Difithylarsinsäurc  (Aethylkakodylsfiure. 
(C,HAA80(0H). 

'tonoalkylderlrate.  Ihre  Eenntniss  verdankt  man  in  erster  Reibe 
SB,  welcher  die  Monomethylreihe  des  Arsens  eingehend  untersuchi«-. 
ler  Eakodylreihe  gelangt  man  zu  den  Monomethylderivaten  durch 
hon  früher  (S.  268)  erwähnte  Zersetzung  des  Kakodyltrichlorids  in 
nethyl  und  Monomethylarsendichlorid : 

(ClPAAsCl,  =  CH,C1  +  CH.-AsCI,. 
)ie  analoge  Aethyherbindnng  ist  durch  Wechselwirkung  zwischen 
chlorür  und  Quecksüheräthyl: 

AsCl,  +  Hg(C,H,),  =  Aä{C,Hs)a,  +  HgCKC,H,) 
en*.  —  Methylarsinsäure  CH3-AsO(OH)j  entsteht  aus  arsenigsaureui 
1  durch  Einwirkung  von  Jodmethj'l^r 

NajAsO,  +  CHsJ  =  NaJ  +  CH,  -  ABO(ONa),. 
[ethylareendichlorid*   CHj-AbCI,:   Siedepunkt  133°;   es  Tei«intgt   sich  mir 
bei  niederen  Temperaturen  zu  dem   krystalliairten  Methylaraentetraphlorid 
sC\f,  welches  aber  achon  unter  0°  nach  der  Gleichung: 
(CHjlAsCl,  =  CH.Cl  +  AsCl, 
Das  Dichlorid  zersetzt  sich  nicht  mit  Wasser,  durch  Behandlung  mit  Kn- 
■bonat  aber  liefert  es  das  Methylarsenoxyd  (CH,)AsO  (farblose  KryBtalle. 
iser  löslich,  nicht  unzersetat  flüchtig,  SchmelzpuDkt  95").    Daa  Methylarsen- 
(CHjlAsS  (kry stall iniach,   urlöslich    In  Wasaer,    Schmelzpunkt  110°)  entstellt 
n  Dichlorid  durch  Einwirkung  von  Schwefelwasseratoff.     MethylarainsSur« 
sO(OH),  kryaUllisirt  aus  Alkohol  in  grossen  Blattern  und  ISst  sich  leicht  in 
■  zu  einer  stark  sauren  Flüssigkeit;  von  eoncontrirter  Jodwasserstofbfiure  wirf 
«ethylarsentetrajodid  (CH^UsJ,  übergeführt. 

.ethylarsendichlorid  C,H,-AsCl,  siedet  bei  156",  besitzt  nur  achwachen  Ge- 
übt aber  sehr  heftige  physiologische  Wirkungen  aus;  durch  Oxydation  niii 
rs-fture  entsteht  daraus  die  Aethylarsinsäure  C,Hs- AsO(OH),. 
'rl-  und  TetraalkylderlTRte".  Die  tertiären  Arsine  können 
;  den  tertiären  Phosphinen  durch  Wechselwirkung  zwischen  Arsen- 
r  und  Zinkalkylen  gewonnen  werden: 

aAsCl,  +  3Zn(C,H,)  =  3ZnCl,  +  2As(C,H.),. 
fitstehen    femer   bei  der   Einwirkung    von   Jodalkylen    auf  Arsen- 

Lakdoi.t,  Ann.  89,  319;  92,  365.  *  La  Coste,  Ann.  206,  33. 

G.  Mt:vEH,  Ber.  16,  U40.  —  Klikueh  u.  Kredtz,  Ann.  249,   147. 

Baever,  Ann.  107.  272. 

Lanoolt,   Ann.   89,  301;   92.  370.  —  CAuorRs   n.    Elcbe,   Ann.  92,   361.  - 

1»,  Ann.  132,  192;  Compt.  rend.  76,  753.  —  A.  W.  Hofmass,  Ann.  10»,  357. 


7H-  und  Tetraalkylverlnndungen  des  Arsens.  271 


natrium  (neben  Dialkyl-  und  Tetraalkylverbindungen).  Erhitzt  man  ge- 
pulvertes Arsen  oder  Arsenzink  mit  Jodalkylen,  so  erhält  man  die  qua- 
ternären  Arsoniumjodide,  wie  z.  B.  {C2Hß)4AsJ,  in  Form  von  kry- 
stallisirten  Doppelverbindungen  mit  Arsentrijodid  bezw.  Zinkjodid;  durch 
Digestion  mit  Kalilauge  wird  das  quaternäre  Jodid  aus  diesen  Doppel- 
verbindungen in  Freiheit  gesetzt.  Aus  den  quatemären  Arsonium- 
jodiden  kann  man  die  tertiären  Arsine  durch  Destillation  über  festem 
Kalihydrat  gewinnen  und  umgekehrt  die  tertiären  Arsine  durch  Addition 

von  Jodalkylen: 

(CH,),Aß  +  CH»J  =  (CH,)4A3J 

in  quaternäre  Verbindungen  überfuhren. 

Die  tertiären  Arsine  unterscheiden  sich  von  den  tertiären  Aminen 
und  Phosphinen,  wie  schon  früher  (S.  266)  bemerkt,  durch  das  Fehlen  der 
basischen  Eigenschaften;  den  Phosphinen  gleichen  sie  durch  ihre  Ver- 
bindungsfähigkeit;  schon  an  der  Luft  gehen  sie  unter  Sauerstoffaufnahme 
in  Arsinoxyde,  wie  (C2Hg)gAsO,  über;  mit  Schwefel  vereinigen  sie  sich 
zu  den  schön  krystallisirenden  Arsinsulfiden,  wie  (CH3)3AsS. 

Triäthylarsin  (CaH5)3A8:  farblose,  unangenehm,  riechende,  in  Wasser  unlös- 
liche Flüssigkeit  vom  specifischen  Gewicht  1-151  bei  17^  welche  an  der  Luft  raucht, 
ohne  sich  aber  zu  entzünden.  —  Triäthylarsinsulfid  (GsH5)sAsS:  säulenfSrmige 
Krystalle,  in  warmem  Wasser  löslich,  geruchlos,  Schmelzpunkt  etwas  über  100^. 

Die  quaternären  Arsoniumjodide  sind  farblose,  wasserlösliche, 

gut  krystallisirbare,  den  Alkalijodiden  ähnliche  Verbindungen;  mit  Jod 

vereinigen  sie  sich  zu  braunen  krystallisirten  Trijodiden,  wie  {CH3)4AsJ.  Jg 

(vgl.  S.  245);   diese  Trijodide  zersetzen  sich  beim  Erhitzen  in  Dialkyl- 

arsenjodide  und  Jodalkyl: 

(CH8)4AsJ8  =  (CH8),AsJ  -h  2CH,J. 

Aus  den  Arsoniumjodiden  erhält  man  durch  Umsetzung  mit  Silbersalzen 
die  entsprechenden  Chloride,  Sulfate  etc.  —  alles  salzartige,  lösliche 
Verbindungen,  den  entsprechenden  Stickstoffverbindungen  durchaus  ähn- 
lich. Silberoxyd  erzeugt  aus  den  Lösungen  der  Jodide  die  stark  alkali- 
schen Lösungen  der  Arsoniumhydroxyde,  wie  (CgHJ^As-OH. 

Von  den  quatemären  Arsoniumsalzen  ausgehend,  kann  man  durch  einfache 
Keactionen  einen  der  Alkylreste  nach  dem  anderen  von  dem  Arsenatom  abspalten^: 

(CHs)4AsCl >  (CH3)3As 

-«- ' 

(CHjlsAsCl, >-  (CHs^jAsCl 

-<— 

(CH3)jAsCl8 >-  (CH8)AsCl, 

-*— — ' 
(CH8)AsCl4 >-  AsClj. 

Die  von  dreiwerthigem  Arsen  sich  ableitende  (rechts  geschriebene)  Verbindung  geht 
durch  Aufnahme  von  zwei  Atomen  Chlor  stets  in  die  von  fünfwerthigem  Arsen  sich 


^  Baeter,  Ann.  107,  276. 


272  Alkylverhindungen  des  Antimons. 


ableitende  (links  geschriebene)  über,  letztere  wiederum  in  der  Wärme  durch  Ab- 
spaltung von  einem  Molecül  Chlormethyl  (vgl.  S.  270)  in  eine  Alkjlverbindung  des 
dreiwerthigen  Arsens,  bis  man  endlich  zu  dem  Arsen trichlorid  gelangt,  dem  die 
Fähigkeit  durch  weitere  Aufnahme  von  Chlor  in  ein  Peutachlorid  sich  zu  verwandeln 
nicht  mehr  zukommt  (Die  experimentelle  Durchfiihrung  obiger  Beactionen  zeigt 
indess  bislang  noch  eine  Lücke;  die  Verwandlung  des  Trimethylarsens  durch  sein 
Chlorid  in  das  Dimethylarsenchlorid  [Rakodjlchlorid]  ist  noch  nicht  ausgeführt.) 

Die  Angabe  von  Cahoubs^  über  die  Existenz  eines  Pentamethyl- 

arsens  As(CH3)g  dürfte  kaum  aufrecht  zu  erhalten  sein. 

3.  Verbindungen  des  Antimons  ^ 

Die  Tri-  und  Tetraalkylverbindungen  sind  ausführlich  untersucht  worden.  Die 
tertiären  Stibine  erhält  man  aus  Antimontrichlorid  und  Zinkalkylen  (2SbCl,  + 
aZnCCjHß),  =  2Sb(CjHB)3  +  SZnClj),  ferner  durch  Einwirkung  von  Jodalkjlen  auf 
Antimonkalium  oder  Antimonnatrium.  Trimethylstibin  (CH3),Sb  siedet  bei  81^ 
und  besitzt  bei  15^  das  spec.  Grew.  1*523*,  Triäthylstibin  (C,Hg)8Sb  siedet  bei 
159^  und  besitzt  bei  16^  das  spec.  Gew.  1*324.  Es  sind  zwiebelartig  riechende, 
in  Wasser  kaum  lösliche  Flüssigkeiten,  welche  sich  an  der  Luft  von  selbst  entzünden. 
Sie  besitzen  eine  ausserordentliche,  an  das  Verhalten  stark  elektropositiver  Metalle 
erinnernde  Verbindungsfähigkeit;  mit  den  elektronegativen  Elementen  vereinigen  sie 
sich  zum  Theil  unter  Feuererscheinung;  mit  Chlor  und  Schwefel  treten  sie  z.  B.  zn 
Verbindungen,  wie  (CH,)3SbCls  und  (CH,)BSbS,  zusammen,  welche  den  Salzen  eines 
zweiwerthigen  Metalls  vergleichbar  sind.  Der  metallische  Charakter  der  tertiären 
Stibine  geht  so  weit,  dass  sie  aus  rauchender  Salzsäure  Wasserstoff  entwickeln,  um 
in  die  eben  erwähnten  salzartigen  Chlorverbindungen  überzugehen: 

Sb(CjHß)3  +  2  HCl  =  Sb(C,H5)3Cl.  +  H,. 

Die  wässrige  Lösung  der  Sulfide  föUt,  wie  die  Lösung  eines  Alkalisulfids,  die  Metall- 
salze; man  kann  sie  daher  zweckmässig  zur  Darstellung  der  anderen  Salze  benutzen; 
so  entstehen  z.  B.  durch  Umsetzung  mit  Kupfersulfat  die  Sulfate: 

Sb(C,H5),S  +  CuSO^  =  CuS  +  Sb(C,H3)8S04; 

aus  den  Sulfaten  kann  man  durch  Baryt  die  die  Basis  dieser  Salze  darstellenden 
Stibinoxyde,  wie  (CsH5)sSbO,  in  Freiheit  setzen,  welche  auch  durch  langsame 
Oxydation  der  Stibine  an  der  Luft  entstehen.  Es  sind  dies  in  Wasser  lösliche  Sub- 
stanzen, welche  Säuren  neutralisiren  und  Metalloxyde  fällen. 

Die  quaternären  Stiboniumjodide,  wie  (C2H5)4SbJ,  entstehen  durch  Ad- 
dition der  Jodalkyle  zu  den  tertiären  Stibinen  und  können  in  derselben  Weise,  wie 
die  Ammonium-,  Phosphonium-,  Arsoniumjodide  in  andere  Stiboniumsalze  und  in  die 
alkaliähnlichen  Stiboniumhydroxyde,  wie  (C2H5)4Sb(0H) ,  verwandelt  werden.  Die 
Analogie  dieser  Körper  mit  den  entsprechenden  Verbindungen  des  Stickstofis,  Phos- 
phors und  Arsens  ist  so  vollständig,  dass  eine  nähere  Charakteristik  unnütz  erscheint 

Die  Existenz  der  von  Buckton  beschriebenen  Pentaalkylverbindungen 
muss  als  durchaus  zweifelhaft  bezeichnet  werden. 


^  Ann.  122,  388. 

*  C.  Löwio  u.  Schweitzer,  Ann.  75,  315.  —  Landolt,  Ann.  78,  91;  84,  44; 
J.  pr.  84,  328.  —  C.  Löwig,  Ann.  88,  323.  —  Cramer,  Jb.  1865,  590.  —  Berl^ 
Ann.  97,  816.  —  R.  Löwio,  Ann.  07,  322.  —  Merck,  Ann.  07,  329.  —  S.  Fried- 
LÄNDER,  J.  pr.  70,  449.  —  Bückton,  Jb.  1860,  371.  —  A.  W.  Hofmann,  Ann.  103, 
357.  —  Strecker,  Ann.  105,  306. 


Älktßverbindungeii  des  Wisniuths.  273 


4.  Alkylyerblndungen  des  Wismuths^ 

Das  Wismuth  weist  bezüglich  des  Verhaltens  seiner  Alkylverbin- 
dungen  von  den  übrigen  Elementen  der  Stickstofifgruppe  nicht  unerheb- 
liche Unterschiede  auf.  Die  Alkylreste  haften  am  Wismuthatom 
weit  weniger  fest,  als  z.  B.  am  Phosphoratom;  schon  durch  wenig 
energische  Agentien  werden  sie  losgerissen;  so  entwickelt  das  Wismuth- 
trimethyl  mit  concentrirter  Salzsäure  Methan: 

BKCHj),  +  3HC1  =  BiCIs  +  3CH4, 

und  aus  dem  Wismuthtriäthyl  wird  schon  durch  Kochen  der  alkoholi- 
schen Losung  mit  Schwefel  unter  Abspaltung  der  Aethylgruppen  Schwefel- 
wismuth  gebildet,  während  doch  die  analogen  Verbindungen  des  Phos- 
phors, Arsens  und  Antimons  Schwefel  unter  Bildung  der  Sulfide,  wie 
(CjH5)3PS  etc.,  fixiren.  In  diesem  Verhalten,  wie  auch  in  anderen  Re- 
actionen,  zeigt  es  sich,  dass  das  mit  drei  Alkylresten  beladene 
Wismuthatom  keine  Neigung  besitzt,  in  den  Zustand  der  Fünf- 
werthigkeit  überzugehen.  In  der  That  fehlt  den  tertiären  Bis- 
muthinen  auch  die  all  den  anderen  bisher  besprochenen  Verbindungen 
von  analoger  Zusammensetzung  gemeinsame  Fähigkeit,  die  Jodalkyle 
zu  addiren.  Tetraalkylverbindungen  des  Wismuths  vom  Typus 
der  Tetralkylammoniumverbindungen  existiren  nicht. 

Die   Trialkjlbismathine   entatehen  durch  Emwirkung   von  Jodalkylen  auf 

Wismutbkalium  oder  besser  durch  Umsetzung  zwischen  Zinkalkylen  und  Wismuth- 

bromid : 

2BiBra  +  3Zn(C,Ha),  =  2Bi(CjH5)g  +  SZnBr,. 

Unter  ihnen  ist  das  Wismuth trimethyl  Bi(CH8)8  am  beständigsten;  es  ist  eine 
leicht  bewegliche,  in  Wasser  nicht  lösliche  Flüssigkeit  von  sehr  unangenehmem  Ge- 
racfa,  welche  an  der  Luft  raucht  ohne  sich  indess  zu  entzünden,  im  indifferenten  Gas- 
strom bei  110^  siedet,  beim  Erhitzen  an  der  Luft  aber  heftig  explodirt  und  bei  18^ 
das  spec.  Gew.  2-30  besitzt  Das  Wismuthtriäthyl  Bi(C,H6)a  (spec.  Gew.  1-82) 
zersetzt  sich,  auf  150^  erhitzt,  unter  starker  Detonation  und  kann  daher  nur  im 
Inftyerdünnten  Raum  destillirt  werden;  es  siedet  unter  79  mm  Druck  bei  107^;  es 
entzündet  sich  an  der  Luft  von  selbst.  Die  homologen  Verbindungen  entflammen 
gleichfalls  an  der  Luft;  sie  können  selbst  im  luftverdünnten  Raum  nur  unter  partieller 
Zersetzung  destillirt  werden. 

Durch  Einwirkung  Ton  Chlor  oder  Brom  auf  die  tertiären  Bismuthine  entstehen 
Dialkylwismuthchloride  bezw.  -bromide: 

(CHjlsBi  +  Gl,  =  (CH3),BiCl  +  CHjCl; 

es  sind  dies  feste,  zum  Theil  krystallisirbare  Verbindungen,  welche  sich  an  der  Luft 
leicht  entzünden.  Mit  Chlorwismuth  und  Bromwismuth  setzen  sich  die  tertiären 
Bismuthine  in  die  an  der  Luft  beständigen  Monoalkyldichloride  bezw.  -bro- 
mide am: 

(C,H5)8Bi  +  2BiBr9  =  aCjHsBiBr,. 

*  Breed,  Ann.  82,  106.  —  Dünhaupt,  Ann.  02,  371.  —  Marqüardt,  Bor.  20, 
J516;  21,  2035. 

V.  MsrsR  Q.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  18 


274  Älkylverbindungen  des  Bors, 


Die  entsprechenden  Dijodide  erhält  man  durch  Erhitzen  der  Bismuthine  mit  Jod- 
alkylen: 

(CHjlaBi  +  2CH3J  =  CHjBiJ,  +  2C8He- 

Die  diesen  Halogenderiyaten  entsprechenden  SauerstofFverbindungen  werden 
durch  Zersetzung  ihrer  Bromzink-Doppelverbindungen  mit  Natronlauge  gewonnen. 
Dimethylwismuthhydroxyd  (CHa)2Bi(0H)  und  Monomethylwismuthoxyd 
(CHs)BiO  sind  weisse  Pulver  ^  die  sich  mit  grösster  Leichtigkeit  an  der  Luft 
entzünden. 

5.  Alkylyerbindungen  des  Bors^ 

Trialkylborine  entstehen  durch  Einwirkung  von  Zinkalkylen  auf  BorsSure- 
trialkylester  (vgl.  S.  210)  oder  auf  Bortrichlorid,  z.  B.: 

2B(O.C,H5)3  +  eZnCCHs),  =  2B(CH8),  +  6Zn<  ; 

XJHs 
2BC1,  +  SZnCCjHj),  =  2B(C,H6),  +  aZnCl». 

Bormethjl  B(CH9),  ist  ein  farbloses  Gas  von  unerträglich  stechendem  Geruch,  das 
sich  bei  +10®  unter  drei  Atmosphären  condensirt;  an  der  Luft  entzündet  es  sich  nnd 
verbrennt  mit  glänzend  grüner  Flamme.  Boräthjl  B(C,H5)s  siedet  bei  95®,  besitzt 
bei  23®  das  spec.  Gew.  0-696  und  ist  ebenfalls  selbstentzündlich;  concentrirte  Salz- 
säure zersetzt  es  langsam  unter  Entwickelung  von  Aethan. 

Es  sind  ferner  die  Verbindungen:  B(C,H5)j(0 •  CgHs)  (Siedepunkt  102 ®i, 
B(C,H5),(0H),  B(C,H,)(0.C,H5)(0H),  B(C,H,)(0 •  C,H,),  und  B(C,H,)(0H)8  Oeicht 
sublimirbar)  bekannt. 

6.  Terbindungen  der  Alkylradicale  mit  den  Elementen  der 

Silielumgruppe. 

Ä.    Verbindungen  des  Siliciums*. 

Das  Silicium  besitzt  dieselbe  Werthigkeit  wie  der  Kohlenstoff;  es 
gehört  zu  derselben  Gruppe  des  periodischen  Systems  und  steht  dem 
Kohlenstoff  in  dieser  Gruppe  am  nächsten.  Unter  allen  Elementen  ist 
es  dasjenige,  welches  die  grösste  Äehnlichkeit  mit  dem  Kohlenstoff  be- 
sitzt. In  seinen  Verbindungen  mit  den  organischen  Radicalen  geben  sich 
diese  nahen  Beziehungen  der  beiden  Elemente  besonders  deutlich  zu  er- 
kennen; aus  der  Vereinigung  von  Silicium-  mit  Kohlenstoff- Atomen  gehen 
Verbindungen  hervor,  welche  denjenigen  der  Kohlenstoffatome  unter 
einander  in  mancher  Beziehung  ähnlich  sind.  Das  Siliciumtetraäthyl 
z.  B.,  Si(C2Hg)^,  entspricht  in  seiner  Constitution  einem  Kohlenwasser- 
stoff C(C2Hg)^  aus  der  neunten  Eeihe  der  Grenzkohlenwasserstoffe;  und 
diese  Analogie  tritt  nicht  ganz  allein  beim  Anblick  der  Formeln  hervor, 
sondern  sie  erstreckt  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auf  das  Ver- 
halten der  Verbindungen.  In  dem  Molecül  jenes  „Silicononans"  und 
anderer  Alkylsiliciumverbindungen  haftet  das  Siliciumatom  an  den  Kohlen- 


*  Frankland,  Ann.  124,  129;  Jb.  1876,  468. 

'  Friedel  u.  Grafts,  Ann.  127,  31;  136,  203;  138,  19.  —  Feiedel  u.  Laden- 
BÜRO,  Ann.  147,  363;  150,  259;  203,  242.  —  Ladenbcro,  Ann.  164,  300;  173,  143. 


Vergleichbarkeit  von  Süiciurn"  und  Kohlenstoff -Verhindimgen,         275 


Stoffatomen  mit  ähnlicher  Festigkeit,  wie  die  Eohlenstoffatome  einer 
Eohlenstoffkette  an  einander;  zu  seiner  Abtrennung  bedarf  es  der  kräf- 
tigsten Oxydationswirkungen.  Das  Siliconan  lässt  sich  wie  ein  Paraffin 
chloriren  und  in  eine  dem  Nonylchlorid  CgH^gCi  entsprechende  Verbin- 
dung SiCgHigCi  tiberflihren.  Letztere  ist  ein  wahres  Alkylchlorid;  sie 
tauscht  bei  der  Einwirkung  von  essigsaurem  Eali  ihr  Ghloratom  gegen 
die  Gruppe  — O-CO-CHj  aus,  und  es  entsteht  der  Essigester  eines  Grenz- 
alkohols der  neunten  Reihe  SiC3Hig(0-CO-CH3),  welcher  aber  in  seinem 
Molecül  an  Stelle  eines  Eohlenstoffatoms  ein  Siliciumatom  enthält.  Durch 
Verseifung  des  Esters  erhält  man  diesen  Silicononylalkohol  SiC8Hjg(0H) 
selbst,  eine  Verbindung,  welche  in  der  That  durch  ihr  Verhalten  an  die 
Alkohole  erinnert. 

WöHLBB  hat  zuerst  die  Vergleichbarkeit  von  Siliciumverbindungen 
und  Eohlenstoffverbindungen  betont  und  auf  die  Möglichkeit  hingewiesen, 
dass  „ähnlich,  wie  es  beim  Eohlenstoff  der  Fall  ist,  eine  besondere 
Chemie  des  Siliciums  in  Aussicht  stehen^'  könnte^.  Das  Verdienst,  ein 
grösseres  Vergleichungsmaterial  herbeigeschafft  zu  haben,  gebührt  vor 
Allem  Fbiedel  und  Ladenbubg.  Ihre  mühevollen  Untersuchungen  haben 
wohl  erkennen  lassen,  dass  in  den  Molecülen  der  Eohlenstoffverbindungen 
Eohlenstoffatome  durch  Siliciumatome  ersetzt  werden  können,  ohne  dass 
dadurch  eine  wesentliche  Veränderung  im  Charakter  der  Verbindungen 
einträte.  Andererseits  aber  treten  doch  so  viele  durchgreifende  Ver- 
schiedenheiten in  den  Verbindungen  der  beiden  Elemente  hervor,  dass 
man  von  einer  weitgehenden  Analogie  nicht  sprechen  kann.  (So  ist  z.  B. 
die  in  ihrer  Zusammensetzung  der  Oxalsäure  CgH^O^  entsprechende 
Siliciomverbindung,  die  Siliciumoxalsäure  SijHjO^,  eine  amorphe,  in 
Wasser  unlösliche  Substanz,  welche  selbst  durch  die  schwächsten  Basen 
unter  Wasserstoffentwickelung  zerlegt  wird;  vgl.  auch  Silicopropion- 
säure,  S.  277). 

Bildungsweisen.  Den  Ausgangspunkt  zur  Gewinnung  der  Silicium- 
alkylverbindungen  bildet  die  Einwirkung  der  Zinkalkyle  theils  auf  die 
Halogenverbindungen  des  Siliciums,  theils  auf  die  Eieselsäureester.  Erstere 
Reaction  besteht  in  einem  Austausch  der  Chloratome  gegen  Alkylreste: 

SiCU  +  2Zn(CjH,),  =  Si(C,H5),  -f  2ZnCl2; 
2SiHCl3  +  aZnlCally),»  =  2SiH(C8H7)3  +  SZnCl,; 

/SiCl»  /Si(C,H,)3 

0<  +  SZnfCjHg)^  =  0<  +  SZnClg; 

\SiCl3  N>i(C,H,), 

I        +  BZiKCaHft),  =    I  +  3ZnJ,; 

SiJ,  SiCCHs), 

doch  verlaufen  diese  Processe  in   der  Eegel   keineswegs   ganz    normal; 
so  entsteht  z.  B.  aus  Siliciumchloroform  und  Zinkpropyl  (2.  Gleichung) 


*  Ann.  127,  268. 

18 


276  AUcylverbindungen  des  Süiciu/ms, 


nicht  nur  Siliciumtripropyl,  sondern  in  erheblicher  Menge  auch  Silicium- 
tetrapropyL  —  Die  Reaction  zwischen  den  Eieselsäureestern  und  Zink- 
alkylen  wird  durch  Zusatz  von  Natrium  erleichtert;  sie  besteht  in  einem 
Austausch  der  Oxalkylgnippen  (0-CjHg)  des  Esters  gegen  die  Alkylreste 
der  Zinkverbindung;  aus  Kieselsäureätiiylester  Si(0-C2Hß)^  (vgl,  S.  210) 
und  Zinkäthyl  entstehen  so  successive  die  Verbindungen: 


(O.CA),  \0'C,B,), 

(Cä)e 

Si=(CA)4; 


OCH 


daneben  bildet  sich  aber  durch  weitergehende  Beduction  auch  Silicium- 
triäthylwasserstofif  SiH(C2H5)3. 

Methyl  Verbindungen: 

Siliciumtetramethyl  SiCCHg)*  siedet  bei  30—31^  —  Orthosilicoessigfither 
OH,  >Si(0 '02115)8  (aus  Kieselsäurefithylester  und  Zinkmethyl)  ist  eine  in  Wasser  un- 
lösliche Flüssigkeit,  welche  bei  146—151^  siedet  und  bei  0°  das  spec.  Gew.  0*928  zeigt. 

Aethyl  Verbindungen: 

Siliciumtetraftthyl  (Silicononan)  SiCCjHs)^  (aus  SiCl4  und  ZnCOjHs),):  farb- 
lose, in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit,  welche  bei  151—153^  siedet  und  bei  0^  das 
spec.  Gew.  0*834  besitzt;  es  wird  weder  von  rauchender  Salpetersäure,  noch  von 
rauchender  Schwefelsäure  in  der  Kälte*  angegri£fen.  Das  durch  Ohlorirung  daraus 
entstehende  Silicononylchlorid  Si(0aH5)3(09H401)  ist  nicht  frei  von  höheren  Ohlor- 
derivaten  erhalten  worden;  der  Silicononylessigester  Si(C,H5)8(C,H4*0*CO*CH5) 
ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  schwach  ätherartigem  Geruch,  welche  zwischen  208 
und  214^  siedet,  der  Silicononylalkohol  Si(C2Hß)8(C2H4 •  OH)  eine  campherartig 
riechende  Flüssigkeit,  die  in  Wasser  unlöslich  ist,  gegen  190^  siedet  und  mit  Natrium 
Wasserstoff  entwickelt     (Entstehung  dieser  Verbindungen  s.  S.  275.) 

Hexaäthylsilicium  (C8H6)8Si— Si(02H5)8 :  farbloses  Oel  vom  Siedepunkt 
250—253^,  welches  aus  Siliciumhezajodür  und  Zinkäthyl  erhalten  wird. 

Triäthylsiliciumwasserstoff  (Silicoheptan)  (C2H5)8SiH:  farblose,  ander 
Luft  beständige  Flüssigkeit  von  petroleumähnlichem  Geruch;  Siedepunkt  107®,  spec 
Gew.  bei  0®  0*751;  da  ein  Wasserstoffatom  direct  an  Silicium  gebunden  ist,  ist  die 
Verbindung  nicht  so  indifferent  wie  das  Silicononan;  von  rauchender  Salpetersäure 
wird  sie  mit  explosionsartiger  Heftigkeit  zersetzt  —  Derivate  des  Triäthyl- 
silicols  oder  Silicoheptylalkohols  (CsH6)3Si(OH) :  Der  Aethyläther 
(C2H5)3Si(0  *  OjHß)  entsteht  aus  Kieselsäureäthylester  und  Zinkäthyl  und  stellt  eine 
farblose',  bei  153®  siedende  Flüssigkeit  dar  (spec.  Gew.  bei  0®  0-840).  Durch  Ein- 
wirkung von  Acetylchlorid  bildet  sich  daraus  nach  der  Gleichung: 

(C2H5)8Si.OC2H5  +  OlOO.OHg  =  (C2H8)8Si01  +  OjHs.O.CO.CH, 

das  Ohlorid  (C2H5)8Si01  —  eine  farblose,  an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeit  vom 
Siedepunkte  143*5®  und  dem  spec.  Gew.  0*925  (bei  0®).  Das  Bromid  (02Ha),SiBr 
entsteht  direct  durch  Bromirung  des  TriäthylsiliciumwasserstofiGs  und  siedet  bei  161®. 
Aus  dem  Ohlorid  erhält  man  durch  Zersetzung  mit  wässrigem  Ammoniak  den 
Silicoheptylalkohol  Si(02H5)3(OH)  selbst  —  eine  farblose,  zähe,  in  Wasser  unlös- 
liche Flüssigkeit  von  starkem  Oamphergeruch,  welche  bei  154®  siedet  und  bei  0®  das 
spec.  Gew.  0*871  zeigt  Er  verhält  sich  ganz  ähnlich  einem  wahren  Alkohol;  Acetyl- 
chlorid  wirkt  heftig   unter  Salzsäureentwicklung   auf  ihn   ein,    Natrium  entwickelt 


Älkylverbindtmgen  des  Germaniunis»  277 


WaBseiBtoff  unter  Bildung  eines  Natriumalkoliolats,  Phosphoraftureanliydrid  und  con- 
centrirte  Schwefelsäure  entziehen  ihm  Wasser  und  erzeugen  den  entsprechenden 
Aether:  das  Silicoheptyloxyd  (CjH5)8Si— 0— Si(CjH5)8.  Letztere  Verbindung  ent- 
steht auch  aus  Silicinmozychlorür  (SisOCl«)  und  Zinkäthyl  (s.  Gleichung  auf  S.  275); 
sie  stellt  eine  fast  geruchlose  Flüssigkeit  vom  Siedepunkt  231^  und  dem  spec.  Gew. 
0-859  (bei  0")  dar. 

Diäthylsiliciumdiäthyläther  (C,H6),8i(0 •  CaHg),,  aus  Kieselsäureäthylester 
and  Zinkäthyl  erhältlich,  ist  eine  fiurblose,  angenehm  riechende  Flüssigkeit,  welche 
bei  155 -8®  siedet  und  bei  0°  das  spec.  Gew.  0-875  besitzt.  Sie  wird  durch  Erwärmen 
mit  JodwasserstofiFsäure  in  das  Diäthylsiliciumoxyd  (CaHg)2SiO  übergeführt  —  ein 
zähflüssiger  Syrup,  welcher  bei  sehr  hoher  Temperatur  'unzersetzt  siedet,  bei  —15® 
nicht  fest  wird  und  in  Wasser  unlöslich  ist. 

Monoäthylsilicium- triäthyläther  oder  Orthosilicopropionsäure- 
&thylester  CsHb-SICO-CsHs),  kann  aus  Kieselsäureäthylester  und  Zinkäthyl  oder 
aus  Triäthylkieselsäurechlorid  (SiCl(0 •  CsH^),,  s.  S.  210)  und  Zinkäthyl  erhalten  werden; 
er  riecht  angenehm  nach  Campher,  siedet  bei  158 '5®  und  besitzt  bei  0®  das  spec. 
Gew.  0-921.  Der  entsprechende  Methylester  CjHj-SiCO-CHg)^  (Siedepunkt  125 
bis  126®;  spec.  Gew.  bei  0®  0*975)  entsteht  aus  Kieselsäuremethylester  und  Zinkäthyl. 
Aus  diesen  Estern  erhält  man  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  (oder  Benzoyl- 
Chlorid): 

C,H5-Si(0.C,H5)3  +  SCHsOCl  -  CjHg-SiCls  +  SC^nfi^'C^U, 

das  Aethylsiliciumtrichlorid  OsHg-SiCls,  eine  an  der  Luft  stark  rauchende 
Flüssigkeit.  Bei  der  Zersetzung  mit  Wasser  liefert  sie  eine  weisse,  amorphe,  in 
Wasser  unlösliche,  in  Kali  lösliche,  kieselsäureähnliche  Substanz,  welche  die  Zusam- 
mensetzung der  Silicopropionsäure  C2H5 -810(011)  besitzt,  der  aber  in  Anbetracht 
ihrer  Eigenschaften  wohl  zweifellos  ein  höheres  Moleculargewicht  zuzuschreiben  ist. 
Von  der  Kieselsäure  unterscheidet  sie  sich  durch  ihre  Verbrennlichkeit  und  Unlös- 
lichkeit  in  Sodalösung. 

Propylverbindungen  sind  von  Pape^  beschrieben. 

B.  Verbindungen  des  (Germaniums*. 

An  die  Alkylverbindungen  des  bekanntlich  erst  vor  wenigen  Jahren 
entdeckten  Germaniums  knüpft  sich  ein  besonderes  Interesse,  weil  ihre 
Existenz  von  Menbelejeff'  schon  vor  der  Entdeckung  dieses  Elemente 
Forausgesagt  wurde.  Bei  der  Aufstellung  seines  periodischen  Systems 
machte  er  darauf  aufmerksam,  dass  jene  Elemente  der  grossen  —  je 
1 7  Elemente  umfassenden  —  Perioden,  von  denen  schon  damals  Verbindungen 
mit  den  Eohlenwasserstoffresten  bekannt  waren,  sämmtlich  den  paaren 
Beihen  des  Systems  angehören,  während  von  den  (Jliedem  der  unpaaren 
Seihen  derartige  Verbindungen  nicht  erhalten  waren*.  Auf  diese  Regel- 
mässigkeit sich  stützend,  behauptete  er,  dass  das  damals  noch  unbekannte 
Element  der  Siliciumgruppe  vom  ungefähren  Atomgewicht  72,  für  welches 
er  unter  der  Bezeichnung  „Ekasilicium"  eine  ausführliche  Charakteristik 
entwarf,  ebenso  wie  das  Silicium  und  Zinn  flüchtige  Alkylverbindungen 
liefern  würde,  da  es  zu  einer  paaren  Beihe  gehört.  Fünfzehn  Jahre 
darauf  entdeckte  Cl.  Winkleb  das  Germanium  und  fand  an  demselben 


>  Ann.  222,  359.  *  J.  pr.  [2]  86,  204. 

'  Ann.  Suppl.  8,  202.  «  Ebenda  p.  152. 


278  Älkylverhindungen  des  Zinns, 


die  Fähigkeit  zur  Bildung  von  Älkylverhindungen  ehenso,  wie  alle  anderen 
von  MENDELEJiEaPF  dem  Ekasilicium  prognosticirten  Eigenschaften  auf. 
Während  es  bislang  noch  nicht  gelungen  ist,  eine  Alkylverbindung  des 
derselben  Gruppe,  aber  einer  unpaaren  Reihe  angehörenden  Titans, 
welches  in  anderen  Beziehungen  mit  dem  Silicium  so  grosse  Aehnlichkeit 
zeigt,  zu  isoliren^  konnte  das  Germaniumäthyl  Ge(G,Hg)^  durch 
Wechselwirkung  zwischen  G^rmaniumchlorid  und  Zinkäthyl 

GeCU  +  2Zn(C5,H5),  =  GeCCgHg)^  +  2ZnCI, 

erhalten  werden.  Es  ist  eine  farblose,  nicht  selbstentztindliche  Flüssig- 
keit von  lauchartigem  Geruch.  Auch  seine  physikalischen  Constanten 
bestätigen  die  Prognose  Mendelejeff's.  Es  sollte  bei  160^  sieden  und 
eine  Dichte  von  ungefähr  0-96  besitzen.  Sein  Siedepunkt  ist  wirklich 
zu  160^  gefunden  worden;  das  specifische  Gewicht  ist  nicht  genau  be- 
stimmt, doch  erkennt  man  an  seinem  Verhalten  in  Mischung  mit  Wasser, 
dass  es  nur  wenig  leichter  als  Wasser  ist. 

C.    Verbindungen  des  Zinns  ^ 

Als  vierwerthiges  Element  bildet  das  Zinn  mit  den  Alkylresten  Ver- 
bindungen, deren  Zusammensetzung  ganz  analog  derjenigen  des  Sili- 
ciums  und  Kohlenstoffs  ist: 

Sn(C,H,),  Si(C,H,),  C(C.H,), 

Zinntetraäthyl,  Siliciumtetraäthyl,       Kohlenstofftetraäthyl. 

Allein  jene  Aehnlichkeit  der  Eigenschaften,  welche  zwischen  Silicium- 
und  Kohlenstoff -Verbindungen  von  gleichartiger  Structur  in  mancher 
Beziehung  besteht,  weisen  die  Alkylabkömmlinge  des  Zinns  im  Vergleich 
mit  den  analog  gebauten  Verbindungen  jener  beiden  zu  derselben  Gruppe 
gehörigen  Elemente  nicht  mehr  auf.  Die  mehr  metallische  Natur  des 
Zinns  äussert  sich  auch  darin,  dass  die  Bindung  zwischen  Zinnatomen 
und  Kohlenstoffatomen  nur  eine  lockere  ist.  Siliciumalkylverbindungen 
lassen  sich  [chloriren  und  bromiren  wie  Kohlenwasserstoffe;  das  ganze 
die  einwertlugen  Wasserstoffatome  tragende  Atomgerüst  hält  der  Ein- 
wirkung der  Halogene  Stand.  Derartige  Eingriffe  vertragen  die  Alkyl- 
derivate  des  Zinns  nicht;  an  der  Stelle,  wo  Zinnatome  mit  Kohlenstoff- 
atomen in  Bindung  stehen,  erleiden  sie  Spaltung,  und  die  Alkylgruppen 
lösen  sich  nach  einander  vom  Zinnatom  ab: 

Sn(C,H,)4  +  J,        =  Sn(C,Hs),J  +  J-C^H«, 
Sn(C,H5),J  +  J,      =  SnrC2H5)jJ5,  +  J-CjHs, 
SnCCjHjljJa  +  2  J,  =  SnJ*  +  2J.CJH5. 


*  C AHOURS,  Ann.  122,  63.  —  Schümann,  Ber.  21,  1080.  —  Paternö  u.  Pebatones 
Ber.  22.  467. 

*  Löwig,  J.  pr.  67,  385.  —  Fhankland,  Ann.  85,  832 ;  111,  44.  —  Franxland  u. 
Lawrence,  Joum.  Soc.  86,  ISO.  —  Bückton,  Ann.  109,  225;  112,  223.  —  CABorBs 
u.  RiCHE,  J.  pr.  67,  149.  —  Cahoürs,  Ann.  114,  244,  354;  122,  48. —  Strecker, 
Ann.  128,  365.  —  Kulmiz,  Jb.  1860,  375.  —  Ladenburo,  Ann.  Sappl.  8,  68.  — 
Lettö  u.  Collie,  Jb.  1886,  1600. 


Alkylverbindungen  des  Zinns.  279 


Selbst  concentrirte  Salzsäure  bewirkt  schon  bei  80 — 90^  —  wenn  auch 
langsam  —  eine  Abtrennung  der  Alkylgruppen: 

Sn(C2Hß)4  +  HCl  =  Sn(CjH5)8Cl  +  HCjHj. 
Es  sei  daran  erinnert,  dass  auch  bei  den  Elementen  der  Stickstoflfgruppe 
mit  wachsendem  Atomgewicht  sich  eine  ähnliche  Abnahme  in  der  Haft- 
energie der  Alkylgruppen  zu  erkennen  gab;  die  Bindung  der  Alkyl- 
gruppen an  Stickstoff-  und  Phosphor-Atomen  ist  nur  durch  sehr  heftige 
Beactionen  zu  lösen,  von  den  Arsenatomen  lösen  sich  die  Alkylreste 
schon  unter  der  Einwirkung  des  Chlors  ab,  bei  den  Wismuthverbindungen 
führt  selbst  concentrirte  Salzsäure  schon  die  Trennung  herbei. 

Die  grosse  Mehrzahl  der  Alkylverbindungen  des  Zinns  leitet  sich 
von  vierwerthigem  Zinn  ab,  enthält  nur  ein  Atom  Zinn  im  Molectil  und 
kann  demnach  auf  den  Typus  des  Zinntetrachlorids  bezogen  werden 
Im  Zinntriäthyl  nimmt  man  ein  sechs werthiges  Doppelatom: 

^n-Sne 

an,  da  die  Dampfdichtebestimmung  einen  der  Molecularformel  Sn2(C2Hg)g 
entsprechenden  Werth  ergeben  hat^.  Endlich  giebt  es  eine  Verbindung 
(Zinndiäthyl ,  s.  S.  280),  in  welcher  das  Zinn  zweiwerthig,  wie  im  Zinn- 
chlorür,  zu  fungiren  scheint. 

Bildungsweisen.  Man  erhält  Alkylverbindungen  des  Zinns  durch 
Einwirkung  von  Alkyljodiden  auf  fein  vertheiltes  Zinn  oder  auf  die 
Legirungen  des  Zinns  mit  Natrium  oder  mit  Zink.  Aus  Jodalkylen  und 
reinem  Zinn  entstehen  vorwiegend  Verbindungen,  in  denen  an  ein  Zinn- 
atom zwei  Alkylreste  und  zwei  Jodatome  gekettet  sind,  wie  Sn(C2Hg)2 Jg ; 
dieselben  Verbindungen  erhält  man  bei  Anwendung  von  Legirungen  des 
Zinns  mit  wenig  Natrium.  Arbeitet  man  aber  mit  natriumreicheren 
Legirungen,  so  bilden  sich  hauptsächlich  Tri-  und  Tetraalkylderivate,  wie 
(C3H5)3SnJ  und  (C2H5)^Sn.  Die  Zinntetraalkyle  kann  man  auch  vortheilhaft 
durch  Einwirkung   von  Zinkalkylen   auf  trockenes  Zinnchlorür  erhalten: 

2SnCl8  +  4Zn(C,H5),  =  Sn  +  SnCCjHs)^  +  iZnClCC^Hj); 

sie  entstehen  auch  aus  obigen  Jodverbindungen  durch  Austausch  der 
Jodatome  gegen  Alkylreste  bei  Behandlung  mit  Zinkalkylen;  durch 
letztere  Reaction  wird  die  Gewinnung  von  Verbindungen  mit  verschie- 
denen Alkylresten  ermöglicht,  z.  B.: 

(C,H,)jSnJ,  +  ZnCCHs),  =  (CHjljSnCCHe)^  +  ZriJ^. 

Methyl  Verbindungen: 

Zinntetramethyl  Sn(CH3)4  ist  eine  farblose,  ätherartig  riechende,  in  Wasser 
nnloeliche  Flüssigkeit,  welche  bei  78^  siedet  und  bei  0*^  das  spec.  Gew.  1'314 
besitzt.  —  Zinntrimethyljodid  SnCCHglaJ  ist  ebenfalls  farblos  und  flüssig,  riecht 
stechend,  siedet  bei  170^  und  besitzt  bei  0^  das  spec.  Gew.  2*143.  Kali  erzeugt 
daraus  das  Hydroxyd  (CHglgSnCOH),   eine   mit  Wasserdämpfen   flüchtige,    krystal- 

*  Wünschenswerth  wäre  freilich  noch  eine  sicherere  Begründung  dieser  Molecular- 
formel durch  Anstellung  von  Dampfdichtebestimmungen  bei  verschiedenen  Tem- 
peraturen oder  etwa  nach  Beckmann's  Siedemethode  (vgl.  S.  50—52). 


280  Älkylverhindungen  des  Zinns, 


linische  Verbindung,  welche  etwas  in  Wasser,  leichter  in  Alkohol  löslich  ist  und 
stark  alkalische  Reaction  besitzt.  Sie  neutralisirt  die  Säuren  unter  Bildung  Ton 
meist  leicht  löslichen  Salzen,  wie  [Sn(CH8)3]jS04.  —  Zinn dimethyl Jodid  Sn(CH8)aJ, 
bildet  gelbe,  schön  ausgebildete,  prismatische  Krystalle,  ist  in  warmem  Wasser  be- 
trächtlich löslich,  schmilzt  bei  30^  und  siedet  bei  228 ^  Ammoniak  scheidet  daraus 
das  Oxyd  (CH8)gSnO  als  einen  weissen,  amorphen,  in  Wasser  unlöslichen  Nieder- 
schlag ab.  Das  Oxyd  löst  sich  leicht  in  Säuren  auf,  und  es  entstehen  krystallisir- 
bare  Salze,  wie  z.  B.  das  Chlorid  Sn(CH8),Cl,  (Schmelzpunkt  90  ^  Siedepunkt  188 
bis  lOO'^)  oder  das  Acetat  Sn(CH8),(0 •  CO •  CHj),  etc. 

Aethyl  Verbindungen: 

Zinntetraäthyl  Sn(C2HB)4  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  sehr  schwachem 
ätherartigen  Geruch,  welche  bei  —13^  noch  nicht  erstarrt,  bei  181^  siedet  und  bei 
23^  das  spec.  Gew.  1-187  besitzt. 

Zinntriäthyl -Verbindungen.  Das  Jodid  (C^HglgSnJ  ist  eine  farblose,  in 
Wasser  wenig  lösliche  Flüssigkeit  von  stechendem  Geruch,  welche  bei  231^  siedet 
und  bei  22°  das  spec.  Gew.  1-833  zeigt.  Durch  Zersetzung  mit  Aetzkali  erhält 
man  daraus  das  Hydroxyd  (C8H5)8Sn(OH),  eine  in  glänzenden  Prismen  krystalli- 
sirende  Substanz,  welche  bei  44^  schmilzt,  bei  272°  unzersetzt  siedet,  mit  Wasser- 
dämpfen leicht  flüchtig  ist  und  sich  in  Wasser  leicht  zu  einer  stark  alkalisch  reagi- 
renden  Flüssigkeit  löst  Durch  Neutralisation  mit  Säuren  sind  daraus  die  verschiedenen 
Salze  darstellbar:  das  Chlorid  (C8H5)8SnCl  (Oel  von  höchst  durchdringendem  Geruch, 
das  in  der  Kälte  erstarrt),  das  Bromid  (CsHs),SnBr  (Siedepunkt  222—224°),  das 
Sulfat  [Sn(C8H5)8lsS04  (schöne  farblose  Prismen,  in  kaltem  Wasser  wenig  löslich)  etc. 

—  Das  freie  Zinntriäthyl  (CjHglg^Sn— Sn^(C8H8)8,  das  Radical  dieser  Ver- 
bindungen, enthält  man  aus  dem  Jodür  durch  Einwirkung  von  Natrium: 

(C8H,)8SnJ  (CjHs^jSn 

-f  Na^  =  2NaJ-f  | 

(CjHs^jSnJ  (CjH^lgSn 

—  ein  Vorgang,  welcher  ganz  ähnlich  der  Abscheidung  des  Kakodyls  aus  seinen  Ver- 
bindungen ist  (s.  S.  269).  £s  ist  eine  penetrant  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei 
etwa  270°  siedet  und  bei  0°  das  spec.  Gew.  1-412  besitzt;  die  Molec'ulargrösse 
ist  durch  Bestimmung  der  Dampfdichte  festgestellt.  Schon  die  Einwirkung  des  Jods 
löst  die  Bindung  zwischen  den  beiden  Zinnatomen: 

(C,H,),=Sn-Sn:_(C,H8)8  +  J,  =  2(C,H5)8SnJ. 

Zinndiäthyl-Verbindungen.  Das  Jodid  (CgHg^gSnJ,  krystallisirt  in  farb- 
losen Prismen,  ist  geruchlos,  in  kaltem  Wasser  wenig,  in  heissem  erheblich  löslich, 
schmilzt  bei  44-5°  und  siedet  bei  245°.  Das  Oxyd  (CaH5)8SnO  entsteht  daraus  durch 
Zersetzung  mit  Ammoniak,  stellt  eine  weisse  amorphe  Masse  dar,  ist  in  Wasser 
unlöslich,  löst  sich  aber  leicht  in  Säuren  unter  Bildung  krystallisirbarer  Salze  auf. 
Das  Chlorid  (CjHg^aSnCIj  bildet  farblose  Krystalle,  siedet  bei  220°  und  ist  in 
Wasser  ziemlich  löslich.  —  Taucht  man  in  die  Lösung  eines  Zinndiäthyl-Salzes  Zink- 
streifen, so  scheidet  sich  ein  dickes,  schweres,  gelbliches  Oel  ab;  diese  Substanz  be- 
sitzt die  Zusammensetzung  des  freien  Zinndiäthyls  Sn(C8H5)s,  doch  ist  ihre  Mole- 
culargrösse  nicht  bestimmt.  Beim  Erhitzen  auf  etwa  150°  zersetzt  sie  sich  in  metalli- 
sches Zinn  und  Zinntetraäthyl;  an  der  Luft  zieht  sie  rasch  Sauerstoff  an  und  verwandelt 
sich  in  das  Oxyd  (CsHg^aSnO.  Mit  den  Halogenen  verbindet  sie  sich  augenblicklich 
unter  Bildung  der  entsprechenden  Salze  (CjHß)jSnCl8,  (CjHg^jSnBrj  oder  (CjHjljSnJ,. 

Ueber  Propyl-,  Butyl-  und  Amyl-Verbindungen  des  Zinn's  liegen 
Untersuchungen  von  Cahour-s  *,  Cahours  u.  Demarcay  *  und  Gbimm  •  vor. 

*  Compt.  rend.  76,  135.  —  J.  pr.  [2]  8,  396. 

»  Compt.  rend.  88,  1112;  89,  68.  •  Ann.  92,  384. 


Metaüorganische  Verbindungen.  281 

Siebentes  Kapitel. 

Die  Verbindungen  der  Alkylreste  mit  den  Metallen. 

(VerbinduDgen  der  Alkalimetalle,  der  Metalle  aus  der  Magnesium-  und 

der  Aluminiumgruppe  und  des  Bleis.) 


Auch  eine  grössere  Zahl  der  Metalle  vermag  mit  den  Alkylresten 
zn  Verbindungen  zusammenzutreten.  Es  ist  bereits  bemerkt  worden 
(S.  277),  dass  die  Fähigkeit  zur  Bildung  solcher  „metallorganischer" 
Verbindungen  in  einem  gewissen  Zusammenhang  mit  der  Stellung  der 
Metalle  im  periodischen  System  steht. 

Der  Entdecker  der  „Organometalle"  ist  Feankland;  ihm  verdankt 
man  auch  in  erster  Eeihe  ihre  eingehende  Untersuchung,  welcher  sich 
erhebliche  Schwierigkeiten  in  der  Selbsten tzündlichkeit  einiger,  in  der 
giftigen  Wirkung  anderer  Verbindungen  dieser  Gruppe  entgegenstellten. 
Allein  nicht  nur  für  die  Kenntniss  dieser  Gruppe  bieten  die  Abhand- 
lungen \  in  denen  Fbankland  die  Besultate  seiner  Forschungen  mit- 
theilte, ein  Interesse.  In  ihnen  ist  zum  ersten  Mal  der  Gedanke  voll- 
kommen deutlich  ausgesprochen,  dass  den  einzelnen  Elementen  eine 
bestimmte  Sättigungscapacität  zukommt.  Der  Grundsatz  der  heute  gel- 
tenden Valenzlehre  war  damit  aufgestellt,  und  eine  bedeutungsvolle  Um- 
wandlung der  theoretisch  chemischen  Anschauungen  eingeleitet. 

Bei  der  Besprechung  jener  Verbindungen,  welche  die  Elemente  der 
Stickstoff-  und  Siliciumgruppe  mit  den  Alkylresten  eingehen,  zeigte  es 
sich  bereits,  dass  diese  Reste  an  den  Atomen  der  dem  metallischen  Cha- 
rakter zuneigenden  Elemente  (wie  Wismuth  und  Zinn)  weit  weniger  fest 
haften,  als  an  den  Atomen  der  Elemente  von  ausgeprägt  elektronegativer 
Natur  (vgl.  S.  273  und  278),  Es  lässt  sich  hiemach  schon  voraussehen, 
dass  in  den  Alkylverbindungen  der  stark  elektropositiven  Metalle  die 
Bindung  eine  noch  losere  sein  wird.  Diese  Erwartung  wird  durchaus 
bestätigt;  bei  den  Alkylabkömmlingen  mancher  Metalle,  wie  z.  B.  der 
Zinkverbindungen,  bewirkt  schon  die  Einwirkung  des  Wassers  eine  Zer- 
setzung unter  Abspaltung  des  Kohlenwasserstoffrestes: 

Andere,  wie  z.  B.  die  Quecksilberverbindungen,  sind  zwar  gegen  Wasser  noch 
beständig,  aber  auch  sie  gehen  mit  der  grossten  Leichtigkeit  Umsetzungen 
ein,  bei  welchen  sich  der  Kohlenwasserstoffrest  von  dem  Metallatom  trennt. 
rHese  Beweglichkeit  der  Alkylreste  bedingt  eine  ausserordentliche  Eeac- 
tionsfahigkeit  der  metallorganischen  Verbindungen;  wir  besitzen  in  ihnen  i 

die  wirksamsten  Vermittler  zur  Uebertragung  von  Kohlenwasserstoffresten. 


* 


*  Ann.  85,  329;  96,  28. 


282  Bedeutung  der  Organometalle  für  die  Vaienxbestimmung. 

Namentlich  die  Zinkalkyle  leisten  durch  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  nie 
ihre  Alkylreste  in  die  Molecille  der  mit  ihnen  in  Wechselwirkung  ge- 
brachten Verbindungen  wandern  lassen,  für  die  Synthese  organischer 
Verbindungen  die  werthvollsten  Dienste  (vgl.  z.  B.  S.  124,  126,  145  bis 
147,  161). 

Das3  solche  Verbindungen,  welche  an  ein  Metallatom  zugleich  Alkyl- 
reste und  Hydroxylgruppen  gekettet  enthalten,  wie  z.  B. 

C,H,-Hg-OH, 
au  Basicität  den  Hydroxyden   der  betreffenden  Metalle   weit   überlegen 
sind  und  alkaliähnlichen  Charakter  zeigen,  kann  kaum  mehr  befremden: 
geht  doch  selbst  der  durchaus  elektronegative  Schwefel  durch  eine  entspre- 
chende Befriedigung   seiner  Valenzen,    wie]  sie  in  den  Sulfinhydroxyden 

(CjH,),— S-OH 
stattfindet,  in  eine  Basis  von  der  Stärke  des  Aetzkalis  über. 

Ein  erhebliches  Interesse  bieten  diejenigen  Verbindungen,  welche 
durch  ausschliessliche  Sättigung  der  Valenzen  eines  Metallatoms  mit  ein- 
werthigen  Alkylresten  zu  Stande  kommen,  wie  z.  B.  Hg{C,H5}j,  auch  in 
theoretischer  Beziehung.  Da  sie  unter  allen  Verbindungen  der  Metalle 
die  flüchtigsten  sind,  ist  bei  ihnen  die  Moleculargewichtsbestimmung 
durch  DampfdJchtemessung  schon  bei  verhältnissraässig  niederen  Tem- 
peraturen ausführbar.  Die  DurchMhning  dieser  Bestimmung  giebt  nun 
sofort  ein  Urtheil  über  die  Valenz  der  betreffenden  Metalle;  denn  diese 
Verbindungen  enthalten  in  ihrem  Molecül  neben  dem  Metallatom  nur 
die  einwerthigen  Alkylreste;  und  die  Zahl  der  einwerthigen  Grupi>en. 
welche  ein  Elementaratom  zu  binden  vermag,  ist  ja  das  Mass  fflr  die 
Valenz  desselben.  Die  Bedeutung  der  Organometalle  für  die  Valenz- 
bestimmung  wird  freilich  in  manchen  Fällen  durch  den  Umstand  erheb- 
lich beeinträchtigt,  dass  die  Dämpfe  dieser  Verbindungen  oft  schon  bald 
oberhalb  des  Siedepunktes  eine  tiefgreifende  Zersetzung  erleiden  {vgl.  die 
Aluminiumverbindungen,  S.  288)  und  infolgedessen  einer  genauen  Dichte- 
bestimmung zum  Theil  nicht  zugänglich  sind.  In  anderen  Fällen  aber 
haben  sich  die  Organometalle  als  Mittel  zur  Valenzbestimmnng  vortrefflicli 
bewährt;  so  konnte  z.  B.  die  Fähigkeit  des  Bleis,  vierwerthig  aufzutretpu, 
durch  die  Dampfdichtebestimmung  des  Bleitetra methyls  sicher  begründet 
werden. 

1.  YerMndungen  der  Alkalimetalle'. 

Die  Isolirung  von  Alkylverbindungen  des  Natriums  und  Kaliums 
i^t  zwar  nicht  gelungen,  doch  besitzt  man  sehr  bestimmte  Anzeichen 
ihrer  Existenz.  Natrium  und  Kalium  lösen  sich  in  Zinkalkylen  nnter 
Abscheidung   der   äquivalenten  Menge   Zink    auf.      In    diesen  Lösungen 

'  Wanilvn,    Ann.  107,  125;    108,  67;    111,  234;    140,  211.      Zeitochr.  Chem. 


Älkylverhindmigen  der  Alkalimetalle,  des  Berylliums  und  Magnesiums,     283 


scheinen  neben  unverändertem  Zinkalkyl  die  Alltylverbindungen  der  Alkali- 
metaUe  zu  bestehen.  Sie  zeigen  einige  eigenthümliche  Reactionen.  So 
absorbiren  sie  Kohlensäure  unter  Bildung  von  Alkalisalzen  der  Fettsäuren 

CHa-Na  +  CO2  =  CHgCOgNa. 

Aus  der  Lösung  von  Natrium  in  Zinkäthyl  scheiden  sich  Krystalle  von 
der  Zusammensetzung  NaCjHg  +  Zn(C2H5)2  ab,  welche  bei  27^  schmelzen 
und  sich  schon  bei  wenig  stärkerem  Erwärmen  unter  Zurücklassung  von 
Zink  und  Natrium  zersetzen. 

3.  Yerbindnngen  mit  den  Metallen  der  Hagneslumgruppe. 

A.   Verbindungen  des  Berylliums^. 

Alkylverbindungen  des  Berylliums  sind  durch  Einwirkung  von  metallischem 
Beryllium  auf  Quecksilberalkyle  erhalten  worden.  Sie  werden  von  Wasser  augen- 
blicklich zersetzt: 

BeCCjHß),  +  2H,0  =  Be(OH),  +  C^U^. 

Berylliumftthyl  BeCCgHJ,  siedet  bei  185 — 188°,  raucht  heftig  an  der  Luft  und 
entzündet  sich  bei  wenig  erhöhter  Temperatur.  Berylliumpropyl  Be(C3H7)s  siedet 
bei  244— 246^ 

B.   Verbindungen  des  Magnesiums^ 

Die  Alkylverbindungen  des  Magnesiums  sind  nicht  näher  untersucht.  Man  er- 
hält die  Methyl-  und  Aethylverbindung  (MgCCHj^j  und  MgfCjHj),)  unter  leb- 
hafter Beaction  bei  der  Einwirkung  von  Magnesiumfeile  auf  die  entsprechenden  Jod- 
alkyle.  Es  sind  sehr  flüchtige,  stark  riechende  Flüssigkeiten,  welche  sich  an  der 
Luft  entzünden  und  Wasser  sofort  unter  Abscheidung  von  Magnesia  zersetzen. 

C.   Verbindungen  des  Zinks, 

Bildungsweisen.  Die  Alkylverbindungen  des  Zinks  werden  durch 
die  Einwirkung  der  Jodalkyle  auf  Zin;kfeile  erhalten.  Die  Reac- 
tion  geht  schon  beim  Erwärmen  unter  gewöhnlichem  Druck  vor  sich, 
wenn  das  Zink  angeätzt  ist';  noch  rascher  verläuft  sie,  wenn  man  die 
anzuwendenden  Zinkfeilspähne  vorher  mit  Yg  ihres  Gewichts  an  Kupfer- 
pulver (durch  Beduction  von  Kupferoxyd  mit  Wasserstoflf  gewonnen) 
unter  Erwärmen  gemischt  hat*.  Auch  Zusatz  von  etwas  Zinknatrium*, 
von  etwas  fertigem  Zinkäthyl®  oder  von  Natriumamalgam  und  einigen 
Tropfen  Essigäther^  wirkt  befördernd.  Beim  Erhitzen  des  Gemisches  im 
Wasserbade  am  Bückflusskühler  bildet  sich  zunächst  ein  Alkylzinkjodid, 
wie  z.  B.  (C3H5)ZnJ;  wird  nun  das  Reactionsprodukt  destillirt,  so  zer- 

*  Cahoubs,  Compt.  rend.  76,  1383. 

'  Hallwacus  u.  S<niAFARiK,  Ann.  109,  206.  —  Cahours,  Ann.  114,  240. 
^  Pebal,  Ann.  118,  22;  121,  105. 

*  Gladstoke  u.  Tribe,  Joum.  Soc.  86,  569. 

^  Beilstein  u.  Alexejeff,  Bull.  2,  51.  —  Rieth  u.  Betlsteiv,  Ann.  128,  245; 
ld6,  248. 

*  Bathke,  Ann.  162,  220.  ^  Ladenburo,  Ann.  178,  147. 


284 


Zinkalkyle, 


setzt  es  sich  unter  der  Einwirkung  der  höheren  Temperatur  in  Jodzink 
und  die  Dialkylverbindung  des  Zinks: 

<C,H5  /CjHg 

=    Zn<  +  ZnJ,. 

J  X5,H, 

Die  Zinkalkyle  bilden  sich  femer  durch  Erhitzen   der   Queck- 

silberalkyle  mit  gekörntem  Zink  in  geschlossenen  Eöhi'en  auf  etwa 

130^  z.B.: 

HgCCjH,),  +  Zn  =  Zn(C,H,),  +  Hg. 

Diese  Methode  eignet  sich  namentlich  far  die  Gewinnung  der  höheren 
Homologen  von  der  Propylreihe  aufwärts^. 

Darstellung  von  Zinkäthyl:  In  einem  mit  Bückflusskühler  verbundenen, 
vorher  mit  Kohlensäure  gefüllten  Kolben  werden  100  g  feine  Zinkfeile  mit  100  g 
Jodäthyl  unter  Zusatz  einer  kleinen  Menge  fertigen  Zinkäthyls  zusammengebracht; 
vom  oberen  Ende  des  Kühlers  geht  ein  Gasleitungsrohr  ab,  welches,  um  die  Luft 
abzuschliessen,  unter  Quecksilber  taucht.  Man  erhitzt  nun  im  Wasserbade  zum  mas- 
sigen Sieden.  Die  Reaction  tritt  ein  und  macht  sich  durch  die  Entwickelung  von 
brennbaren  Gasen  bemerkbar;  sie  ist  nach  einigen  Stunden  beendet  Dann  wird  die 
Reactionsmasse  aus  dem  Oelbade  in  einem  trockenen  Kohlensäurestrom  abdestillirt. 
Das  überdestillirte  Zinkäthyl  wird  durch  Rectificiren  in  einer  Kohlensäure -Atmo- 
sphäre* gereinigt 

Bei  allen  mit  Zinkalkylen  vorzunehmenden  Manipulationen  muss 
man,  um  Entzündungen  zu  verhüten,  den  Luftzutritt  verhindern.  Alle 
GefUsse  sind  daher  mit  Kohlensäure  zu  fällen.  Das  Umgiessen  von  einem  Geftss  in 
ein  anderes  bewerkstelligt  man,  während  ein  Gehülfe  in  verticaler  Richtung  einen 
Gummischlauch  hält,  durch  welchen  aus  einem  Kohlensäureentwickelungsapparat  ein 
kräftiger  Gasstrom  gesandt  wird,  am  unteren  Ende  dieses  Schlauchs,  so  dass  die  über- 
zufüllende Flüssigkeit  stets  von  dem  Kohlensäurestrom  getroffen  wird. 

Eigenschaften  und  Yerhalten.  Die  Zinkalkyle  sind  farblose 
Flüssigkeiten,  welche  sich  an  der  Luft  sofort  entzünden  und  einen  wid- 
rigen Geruch  besitzen.  Die  folgende  Tabelle  enthält  die  physikalischen 
Constanten  der  bisher  dargestellten  Glieder: 

Tabelle  Nr.  12. 


Siedepunkt  |  ^Ö^t^ 


Gewicht 


ZinkmethyP    .  .  . 

Zinkäthyl*  .     .  .  . 

ZinkpropyP     .  .  . 

ZinkisobutyF  .  .  . 

Zinkisoamyl^  .  .  . 


46« 
118<^ 

140—150° 
165— 167<> 
220^ 


1.886(10.5*) 
1.182(18'^) 


1-022 


*  Franklaxd  u.  Düppa,   Ann.  130,  118.  —  Cahours,  Compt  rend.  76,  751.  — 
Marquardt,  Ber.  21,  2037. 

*  Vgl.  hierzu  Kaulfuss,  Ber.  20,  3104. 

■  Framkland  u.  Düppa,  Ann.  180,  119.  *  Franklaxd,  Ann.  96,  39. 

*  Cahours,  Compt.  rend.  76,  351.  —  Schtscherbakow,  Ber.  14,  1710.  —  Pape, 
Ber.  14,  1878. 

®  Cahours,  Compt.  rend.  77.  1406.  —  Gazzarolli  u.  Popper,  Ann.  223.  168. 


Zinkalkyle;  Cadmiumalkyle.  285 

Auf  ihre  ausserordentliche  Eeactionsfäliigkeit  ist  schon  hingewiesen 
worden  (s.  S.  282),  Von  Wasser  werden  sie  sofort  unter  Bildung  von 
Zinkhydroxyd  und  Entwickelung  von  Grenzkohlenwasserstoffen  zersetzt: 

Zn(CjHa)j  +  2Hj|0  =  Zn(OH),  +  2C,H«. 

—  In  Berührung  mit  Chlor  entzünden  sich  die  Zinkalkyle;  ebenso  wir- 
ken Brom  und  Jod  mit  der  grössten  Heftigkeit;  mässigt  man  die  Re- 
action  durch  Anwendung  stark  abgekühlter  ätherischer  Lösungen,  so  ver- 
läuft sie  nach  der  Gleichung: 

ZnCCjHjlj  +  2  Jj  =  ZnJj  +  2C2H0J. 

Bei  langsamem  Luftzutritt^  zu  den  Lösungen  der  Zinkalkyle  in  indifferenten 
Lösungsmitteln  scheiden  sich  weisse  Niederschlfige  ab;  der  aus  Zinkmethyl  ent- 
stehende Niederschlag  besteht  nach  Butterow'  hauptsächlich  aus  der  Verbindung 
CHj-ZnCO-CHj)  und  wird  von  Wasser  in  Zinkhydrozyd ,  Methan  und  Methylalkohol 
zersetzt: 

Zn<  +2HjO  =  Zn(OH), +  CH4 +  CH8.0H. 

\O.CH3 

An  dem  Ozydationsprodukt  des  Zinkäthyls  ^  wurde  indess  neuerdings  ein  durch- 
aus abweichendes  Verhalten  beobachtet;  es  liefert  bei  der  Zersetzung  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  kein  Aethan;  dagegen  scheidet  es  aus  angesäuerter  Jodkaliumlösung 
bei  Luftabschluss  reichlich  Jod  aus.    Dies  Verhalten  wird  besser  durch  die  Consti- 

O-Zn-CjHs 
tutionsformel     |  interpretirt,   welche   auch  die   explosiven  E^enschaften 

O-CH, 
der  Verbindung  erklärt;  die  Zersetzung  durch  Wasser  könnte  nach  der  Gleichung: 

O-Zn.CjH^      OH: 
I  +1=  ZnO  +  2CJH5OH 

o-c.iaj        H 

verlaufen. 

Schwefel  wirkt  bei  massigem  Erwärmen  auf  eine  ätherische  Lösung  von  Zink- 
äthjl  lebhaft  ein;  es  bildet  sich  ein  weisser  flockiger  Niederschlag,  den  Fkanklamd 
für  Zinkmercaptid  Zn(S-C9H5),(?)  hält. 

Ueber  die  durch  Einwirkung  von  Stickozyd  auf  die  Zinkalkyle  entstehenden 
Dinitroalkylsäuren  vgl.  S.  289. 

D.   Verbindungen  des  Cadmiums. 

Das  CadmiumäthyH  CdCCsH^),  ist  in  analoger  Weise,  wie  das  Zinkäthyl, 
durch  Erhitzen  von  Cadmium  mit  Jodäthyl,  aber  nur  in  unreinem  Zustand  erhalten 
worden. 

E.   Verbindungen  des  Quecksilbers. 

Entstehnngsweisen.  Die  Jodalkyle  reagiren  auf  metallisches  Queck- 
silber   schon   bei   gewöhnlicher  Temperatur;    es   entstehen  Quecksilber- 


»  Fraxkland,  Ann.  95,  42.  *  Ztschr.  Chem.  1864,  402. 

'  B.  Dexuth  u.  Y.  Meyeb,  Ber.  28,  394. 
*  Wakklyn,  Jb.  1866,  553. 


286  Quecksilberalkyle, 


alkyljodide^,   wie  CH^-HgJ,    Aus   diesen  kann  man  die  Dialkyl Verbin- 
dungen, wie  Hg(CH3)2,  durch  Destillation  mit  Cyankalium: 

2HgJ(CH,)  +  2KCy  =  Hg(CH,),  +  2KJ  +  Cy^  +  Hg 

oder  besser  durch  Einwirkung  von  Zinkalkylen: 

2C8H5.Hg  J-f  ZnrCjHslsj  =  2Cia^'HgC^U^  +  ZnJ, 

gewinnen^.     Man   sollte   erwarten,   unter  Benutzung   letzterer  Reaction 
auch  zu  gemischten  Alkylverbindungen  gelangen  zu  können,  z.  B, : 

2C,Hß.Hg.J  +  ZnCCHj),  =  2C5,H5.Hg.CH8  +  ZnJ,. 

Allein  die  Isolirung  solcher  Verbindungen  mit  zwei  verschiedenen  Alkyl- 

resten  ist  nicht  geglückt;    sie  scheinen  sich  bei  der  Destillation  in  ein 

Gemenge    von    zwei    Verbindungen    mit    gleichartigen    Resten    umzu- 

wandeln   * 

2  CH, .  Hg.  C,H,  =  HgCCHs),  +  Hg(C,H,),. 

Auch  die  Chloratome  des  Quecksilberchlorids  können  durch  Ein- 
wirkung von  Zinkalkylen  gegen  Alkylreste  ausgetauscht  werden;  je  nach 
den  zur  Wirkung  kommenden  Mengen  kann  sich  der  Austausch  auf  ein 
Chloratom  oder  auf  beide  erstrecken**^: 

2HgCl2  +  ZnCCjHg)^  =  2HgCl(C2H8)  +  ZnCL,; 
HgCl,  +  Zn(C  A),  =    Hg(C,H,)2    +  ZnCl,. 

Am  leichtesten  erhält  man  die  Dialkylverbindungen  des  Quecksilbers 
durch  die  Einwirkung  von  Jodalkylen  auf  flüssiges  Natriumamalgam 
(1  Theil  Na  auf  500  Theile  Hg)  bei  Gegenwart  einer  geringen  Menge 
Essigäther*;  die  Ursache  des  befördernden  Einflusses,  welchen  die 
Gegenwart  von  Essigäther  auf  die  Reaction  ausübt,  ist  nicht  aufgeklärt. 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  Quecksilberalkyle  sind  farblose, 
in  Wasser  nicht  lösliche  Flüssigkeiten,  welche  im  Gegensatz  zu  den 
Zinkalkylen  an  der  Luft  beständig  sind.  Sie  besitzen  nur  schwachen 
Geruch,  sind  aber  gefährliche  Gifte;  das  längere  Einathmen  ihrer  Dämpfe 
hat  furchtbare  Wirkungen  im  Gefolge ;  besondere  Vorsicht  erheischt  das 
Arbeiten  mit  dem  leicht  flüchtigen  Quecksilbermethyl. 

Wie  die  Zinkalkyle  sind  auch  die  Quecksilberalkyle  leicht  zum  Aus- 
tausch ihrer  Alkylgruppen  geneigt;  aber  ihre  Wirkung  ist  weit  weniger 
energisch;  während  z.  B.  das  Phosphortrichlorid  unter  der  Einwirkung 
des  Zinkäthyls  alle  drei  Chloratome  gegen  Aethylgruppen  auswechselt, 
bleibt  die  Wirkung  des  Quecksilberäthyls  nach  dem  Ersatz  des  ersten 
Chloratoms  stehen  (vgl.  S.  261—262): 

2PC18  +  aZnCCaHs)^  =  2P(C,H5)3  +  aZnCl«; 
PCI3+    Hg(CaH5)2=    PCy.CHj),  4- HgClCCjH^). 

Bei  vielen  Synthesen,  für  welche  die  Zinkalkyle  zu  heftig  wirken,  leisten 
daher  die  Quecksilberalkyle  vortreffliche  Dienste. 


*  Frakkland,  Ann.  85,  361.  —  Strecker,  Ann.  92,  75. 

*  Buckton,  Ann.  108,  103;  109,  218.  »  Frankland,  Ann.  111,  57. 

*  Frankland  u.  Duppa,  Ann.  180,  104.  —  Chapman,  Ztschr.  Chem.  1866,  376. 


Queoksilberalkyle.  .    287 


Von  Wasser  werden  die  Queoksilberalkyle  nicht  zersetzt.  Auch  ver- 
dünnte Säuren  wirken  nur  wenig  ein,  concentrirte  Säuren  aber  lösen  in 
der  Wärme  eine  Alkylgruppe  unter  Ersatz  durch  den  Säurerest  ab: 

HgCCjHs),  +  HCl      =  HgrC,H,)Cl  +  C^He- 
2KgiC,U,\  +  H,S04  =  [Hg(C,H,)iS04  +  2C,He. 

Selbst  Essigsäure  wirkt  in  analoger  Weise  ein^: 

HgfCHa),  +  C,H,0,  =  Hg(CH3).C,H30,  +  CH,. 

Die  Einwirkung  von  Chlor  steigert  sich  bei  einigen  Quecksilberalkylen 
bis  zur  Entzündung;  die  gemässigte  Einwirkung  von  Brom  oder  Jod  ver- 
läuft im  Sinne  der  Gleichung: 

Hg(C,H,),  +  J,  =  HgCC^y  +  CjHjJ. 

Die  in  diesen  Reactionen  durch  Abspaltung  einer  Alkylgruppe  ent- 
stehenden Verbindungen  —  meist  gut  krystallisirbare  Substanzen  —  sind 
als  salzartige  Abkömmlinge  von  Basen  zu  betrachten,  welche  an  ein 
Quecksilberatom  eine  Alkylgruppe  und  eine  Hydroxylgruppe  gekettet  ent- 
halten, wie  z.  B.  CgHß — Hg — OH.  Man  erhält  diese  Basen  aus  den 
Halogenverbindungen  durch  Schütteln  mit  feuchtem  Silberoxyd.  Sie  sind 
in  Wasser  leicht  löslich  und  reagiren  stark  alkalisch;  ihre  Lösung  fühlt 
sich  schlüpfrig  an  und  fällt  die  Lösungen  der  Salze  der  Schwermetalle. 
Sie  entstehen  auch  bei  der  Behandlung  der  Quecksilberalkyle  mit  Ka- 
liumpermanganat^, indem  ein  Alkylrest  aboxydirt  und  durch  die  Hydro- 
xylgruppe ersetzt  wird,  während  der  zweite  Alkylrest  unverändert  am 
Quecksilberatom  haften  bleibt. 

Einzelne  Glieder: 

QaecksilbermethyP  HgCOHs),  siedet  bei  93  —  96^  und  besitzt  das  spec. 
Grew.  3«069.  —  Quecksilbermethyljodid  CHj'HgJ  krystallisirt  in  weissen  perl- 
mutterglfinzenden  Blättchen  und  ist  in  Wasser  unlöslich;  bei  143^  schmilzt  es  und 
Bublimirt  zugleich.  —  Das  Nitrat  CHg'Hg-O-NOj  ist  in  Wasser  leicht,  das  Ac etat 
CHj.Hg-O.CjHjO  (Schmelzpunkt  U2— 143^;  kaum  löslich. 

Quecksilberäthyl*  Hg(C2H5)2  siedet  bei  158—160*^  und  besitzt  das  spec. 
Gew.  2-444.  —  Quecksilberäthylchlorid  CjHj-HgCl  bildet  silberglänzende 
Blättchen,  ist  in  Wasser  kaum  löslich  und  sublimirt  schon  bei  40^,  ohne  vorher  zu 
schmelzen. 

Von  den  höheren  Homologen*  sind  Glieder  der  Propyl-,  Butyl-,  Amyl-  und 
Octyl-Reihe  untersucht  worden.  Von  der  5.  Reihe  an  aufwärts  sind  die  Quecksilber- 
alkyle nicht  mehr  unzersetzt  flüchtig. 


»  Otto,  Ztschr.  Chem.  1870,  25. 
«  Seidel,  J.  pr.  [2]  29,  134. 

*  Franklakd,  Ann.  85,  361.  —  Buckton,  Ann.  108,  103.  —  Strecker,  Ann.  92, 
79.  —  Otto,  Ztschr.  Chem.  1870,  25. 

*  BüCKTOx,  Ann.  109,  218;  112,  220.  —  Strecker,  Ann.  92,  75.  —  Dünhaüpt, 
Ann.  92,  379. 

*  Caboubs,  Compt  rend.  76,  134,  748;  77,  1405.  —  Franklaxd  u.  Düppa,  Ann. 
130,  110.  —  Eichler,  Ber.  12,  1879. 


288  ^  Alkylverbindungen  des  Ahrniimtmis  und  ThcUliums, 

3.  Yerbindungen  mit  den  Metallen  der  Aluminiiungruppe. 

A.   Verbindungen  des  Alumininms^ 

Bei  längerer  Digestion  von  Aluminium  mit  Jodfithjl  in  der  Wärme  erhält  man 
eine  unzersetzt  siedende  Doppelverbindung  von  Jodaluminium  mit  Aluminiumäthyl, 
aus  welcher  durch  Einwirkung  von  Zinkäthyl  das  Aluminiumäthyl  entsteht  Bequemer 
gewinnt  man  die  Alkylverbindungen  des  Aluminiums  durch  Erhitzen  der  Quecksilber- 
alkyle  mit  Aluminiumschnitzeln  auf  100—130^: 


nschnitzem  auf  100—130*»: 
3Hg(C,H8)8  +  2A1  =  3Hg  +  2A\iC^U^\. 
alkyle  sind  ablöse  Flüssigkeiten.    In  Bc 


Die  Aluminiumalkyle  sind  ablöse  Flüssigkeiten.  In  Berührung  mit  Luft  ent- 
flammen die  Methyl-  und  Aethylverbindungen;  die  homologen  Verbindungen  rauchen 
an  der  Luft,  ohne  sich  aber  bei  gewöhnlicher  Temperatur  zu  entzünden.  Von  Wasser 
werden  sie  sofort  mit  grösster  Heftigkeit  unter  Abscheidung  von  Thonerde  zersetzt. 

Bei  der  Discussion  über  die  Valenz  des  Aluminiums  hat  man  der  Frage,  ob  die 
Moleculargrösse  dieser  Verbindungen  der  Formel  Al^Rg  oder  AIR,  entspricht,  lebhaftes 
Interesse  zugewandt  Ihre  Entscheidung  durch  Bestimmung  der  Dampfdichte  stosst 
indess  auf  Schwierigkeiten,  da  der  Dampf  dieser  Verbindungen  schon  bald  oberhalb  des 
Siedepunktes  Zersetzung  erleidet  Es  ist  daher  nicht  gelungen,  für  die  Molecular- 
formel  AIR,  und  damit  für  die  Dreiwerthigkeit  des  Aluminiums  auf  diesem  Wege 
einen  entscheidenden  Beweis  zu  erbringen.  Wohl  aber  konnte  durch  die  am  Alumi- 
niummethyl angestellten  Dampfdichtemessungen  die  Formel  Al^Rg  als  unzutreffend 
erwiesen  werden;  denn  schon  bei  einer  den  Siedepunkt  des  Aluminiummethyls  nur 
um  10^  übersteigenden  Temperatur  zeigt  der  Dampf  dieser  Verbindung  eine  kleinere 
Dichte,  als  der  Formel  A],(CHg)8  entsprechen  würde. 

Ein  endgültiger  Beweis,  dass  das  Aluminium  organische  Verbindungen  von  der 
Formel  AIR3  bildet,  wurde  dann  durch  die  Dampfdichtebestimmung  des  Aluminium- 
Acetylaoetons  (vgl.  Acetylaceton)  erbracht. 

Aluminiummethyl  AICCHg),  siedet  bei  127—129^  und  erstarrt  wenige  Grade 
über  0^  zu  prachtvollen  grossen  Tafeln.  Aluminiumäthyl  A1(C2H5)3  siedet  bei 
195—2000  und  erstarrt  nicht  bei  —  IS*». 

B.    Verbindungen  des  Thalliums*. 

Bei  der  Einwirkung  von  Zinkäthyl  auf  eine  ätherische  Lösung  von  Thallium- 
trichlorid  entsteht  Thalliumdiäthylchlorid  Tl(08Hg),Cl,  eine  in  seideglänzenden 
Schuppen  krystallisirende,  in  heissem  Wasser  und  Alkohol  lösliche  Substanz,  welche 
bei  plötzlichem  Erhitzen  verpufft  Durch  Umsetzung  mit  Silbersalzen  erhält  man 
daraus  andere  Salze  wie  Tl(CsH5)2J,  Tl(C3Hg)2N08  etc.  Die  diesen  Verbindungen  zn 
Grunde  liegende  Base  T](CsH5)s*0H  lässt  sich  nicht  aus  dem  Chlorür  durch  Ein- 
wirkung von  Silberoxyd,  wohl  aber  aus  dem  Sulfat  durch  Behandlung  mit  Barium- 
hydrozyd  gewinnen ;  sie  reagirt  stark  alkalisch,  absorbirt  aber  nicht  Kohlensäure.  — 
Versuche  zur  Darstellung  eines  Thalliumtriäthyls  TlCCsHg),  sind  resultatloe 
verlaufen. 


*  BüCKTON  u.  Odling,  Ann.  Suppl.  4,  109.  —  Hallwachs  u.  Schafabik,  Aud. 
109,  207.  —  Cahoürs,  Ann.  114,  242;  Compt  rend.  76,,  135,  752;  77,  1406.  — 
Louise  u.  Roux,  Compt  rend.  106,  73,  602;  107,  600.  —  F.  Quincke,  Ztschr.  f.  physik. 
Chem.  3,  164. 

*  Hartwig,  Ann.  176,  257.  —  Hansen,  Ber.  8,  9. 


Alkylverbindun^en  des  Bleis,  .    289 


I 


4.  Yerbindniigen  des  Bleis  ^ 

Während  unter  den  anorganischen  Verbindungen  des  Bleis  diejenigen 
die  beständigsten  sind,  welche  das  Metall  im  Zustand  der  Zweiwerthig- 
keit  enthalten,  fungirt  dieses  Element  in  allen  seinen  Alkylverbindungen 
vierwerthig.  Zwei  Wege  sind  zur  Gewinnung  von  Bleialkylderivaten  ein- 
geschlagen worden.  Der  eine  besteht  in  der  Einwirkung  von  Jodalkylen 
auf  Bleinatrium  und  fuhrt  zu  verschiedenen  Ergebnissen  je  nach  dem 
Natriumgehalt  der  angewandten  Legirung;  lässt  man  z.  B.  Jodäthyl  auf 
eine  Legirung  von  1  Th.  Natrium  mit  3  Th.  Blei  wirken,  so  erhält  man 
das  Bleitriäthyl,  welchem  wohl  —  analog  der  entsprechenden  Zinnver- 
bindung —  die  freilich  noch  nicht  durch  eine  Moleculargewichtsbestim- 
mung  gestützte  Formel:  Pb2(C2H5)ß  =  (C2Hß)3Pb— Pb(C2Hß)3  zu  geben 
ist;  dagegen  entsteht  durch  Einwirkung  von  Jodmethyl  auf  eine  aus  1  Th. 
Natrium  und  5  Th.  Blei  bestehende  Legirung  eine  Tetraalkylverbindung, 
das  Bleitetramethyl  Pb(CH3)^,  dessen  Formel  durch  die  Dampfdichte- 
bestimmung begründet  worden  ist.  Der  zweite  Weg  besteht  in  der  Ein- 
wirkung von  Zinkalkylen  auf  Chlorblei ;  er  führt  im  Sinne  der  Gleichung: 

Cl  ' 

2PbCL  +  4Zn(CjHß)2  =  4Zn/  +  Pb  +  FbCCgHj)^ 

unter  Abscheidung  von  metallischem  Blei  zu  den  Tetraalkylverbindungen ; 
der  Vorgang  entspricht  durchaus  der  Bildung  der  Zinntetraalkylderivate 
aus  Zinnchlorür  (s.  S.  279),  wie  überhaupt  zwischen  den  Alkylverbin- 
dungen des  Zinns  und  Bleis  eine  weitgehende  Aehnlichkeit  besteht. 

Die  so  erhaltenen  Alkylderivate  des  Bleis  sind  farblose  Flüssig- 
keiten von  eigenthümlichem  Geruch,  welche  von  Wasser  nicht  zersetzt 
werden  und  darin  unlöslich  sind.  Durch  Einwirkung  der  Halogene  oder 
der  concentrirten  Säuren  werden  sie  in  salzartige  Verbindungen  über- 
geführt, welche  sich  von  einem  einwerthigen  Bleitrialkylradical,  wie  z.  B. 
—FmCfi^)^,  ableiten: 

Pb(CH3)4  +  Jj  =  CH,J  -h  PbCCHs^gJ; 
Pb(C,H5\  +  HCl  =  C,He  +  Pb(C,Il5)3Cl ; 
PbjCC.Hg)«  +  Cl,  =  2Pb(C5,H6)3Cl. 

Die  diesen  Salzen  entsprechenden  Hydroxyde,  wie  Pb(CHg)3-0H  besitzen 

stark  alkalische  Reaction  und  charakteristischen  Geruch. 

Methylverbindnngen.  Bleitetramethyl  PbCCHs)^  siedet  bei  110^,  besitzt 
bei  0*  das  spec.  Gew.  2*034  und  riecht  schwach  nach  Himbeeren.  Das  Jodid 
Pb(CH,),J  bildet  lange  farblose  Nadeln,  ist  in  Wasser  schwer,  in  Alkohol  leicht  lös- 
lich and  riecht  stechend.  Durch  Destillation  mit  Kali  erhält  man  daraus  das  Hy- 
droxyd Pb(CHj)3'0H  als  ein  nach  Senf  riechendes  Oel,  welches  zu  prismatischen 
Xadeln  erstarrt 


*  Löwio,  Ann.  88,  318.  —  Klippel,  J.  pr.  81,  287.  —  Buckton,  Ann.  109,  222; 
113,  226.  —  Cahoürs,  Ann.  122,  65.  —  Bütlerow,  Ztschr.  Chem.  1863,  498.  — 
Fraxklasi>  u.  Lawrance,  Joum.  Soc.  86,  244. 

V.  Mxm  n.  jAOOBfloar,  org.  Chem.   I.  19 


Uebergajig  von  den  Älkolioiderivaien  xu  den 


Aethylverbindaugen.  Bleitri&thyl  Pb/C,H,1,  siedet  nicht  i 
aitzt  bei  10°  das  spec.  Gew.  1171,  scheidet  aua  Silberlösuog  Silber  aus  und  ab- 
Horbirt  an  der  Luft  SauerstoB  und  Kohlensäure,  um  daa  Carbonat  [Pb<CsH()i~tCi', 
zu  bilden.  Bleitetrafithyl  PhCCjHs»,  siedet  nur  unter  vermindertem  Druck  ohnp 
Zersetzung,  kann  indess  mit  Wasserdampf  deaUUirt  werden  und  besitzt  Aaa  spec. 
Gew.  1-62. 


Achtes  Kapitel. 

aii£  zu  den  Carbonsfturen ,  Aldehyden  nnd  Ketonen. 
IMe  Alkylcyanide  oder  mtrile  der  Fettsäuren. 


äen  vorhergehenden  Kapiteln  sind  im  Anschluss  an  die  Alkohole 
Qzreihe  diejenigen  Verbindungen  behandelt  worden,  welche  die 
jener  Alhohole  —  die  Alkylreate  —  noch  unverändert  and  in 
mit  den  verschiedenen  Elementen  enthalten.  Die  Beibe  der 
igen  Abkömmlinge  der  Grenzkohleawasserstoffe  wäre  damit  er- 
bis  auf  zwei  später  zu  besprechende  Gruppen  von  Verbindungen. 
urch  Einführung  der  Alkylreste  in  Cyanverbindangen  and  in  die 
!   des  hypothetischen  Kohlensäurehydrats  CO{OH)j    oder  seiner 

/OH  NH, 

C0<  und  COC  .  entstehen. 

gieht  nun  noch  einige  grosse  und  wichtige  Verbindungsklassen, 
ils  einwerthige   Abkömmlinge  der  GrenzkohlenwasserstoflFe  ange- 
erden  können,   wenn  sie  freilich  auch   eine  andere  Auffaasungs- 
ulassen.      Es    sind    dies    die   gesättigten    einbasischen   Carbon- 
,    deren    Molecüle    durch   Zusammentritt    der   einwerthigen   Car- 
Lppe  — CO-OH  mit  einem  Alkylrest  entstehen: 
CH,-COOH 
C,H,— CO-OH 
C,H,-COOH  etc., 
lie  Aldehyde,    welche    durch  die  Vereinigung  eines   Alkylrests 
einwerthigen  Gruppe  — COH  charakterisirt  sind: 
CH,— COH 
C^H,-COH  etc., 
lieh   die  Ketone,   deren  typisches   Constitutionsmerkmal  in  der 
einwerthige   Kohlenwasserstoffreste    gebundenen    zweiwerthigen 
— CO —  gegeben  ist: 

CH,— CO-CH, 
C3H5— CO— CjHj  etc. 
sieht   man   diese   Verbindungen   auf  die   Kohlenwasserstoffe   von 
r  Kohlenstoffzahl,    so   erscheinen   sie   als  mehrwerthige.  Verbin- 


Carbonsäuren,  Aldehyden  und  Keto7ien,  291 

düngen.  Die  Essigsäure  CH3-C03H  z.  B.  —  als  ein  Derivat  des  Aethans 
angesehen  —  ist  eine  dreiwerthige  Verbindung,  denn  es  bedarf  der  Sub- 
stitution dreier  WasserstoflFatome,  um  vom  Aethan  zur  Essigsäure  zu 
gelangen: 

CHg-CHg  -   >-         CHb-CC 

Aethan  Essigsfiure. 

Ebenso  ist  der  Acetaldehyd  CHg-COH  ein  zweiwerthiges  Derivat  des 
Aethans,  das  Aceton  CHj-CO-CHj  ein  zweiwerthiges  Derivat  des  Propans, 
Leitet  man  aber  diese  Verbindungen  von  denjenigen  Kohlenwasser- 
stoffen ab,  deren  Beste  sie  in  Verbindung  mit  den  ihr  charakteristisches 
Verhalten  bedingenden  Gruppen  — CO^H,  — COH  und  =C0  enthalten, 
80  erscheinen  sie  als  einwerthige  Substitutionsprodukte.  Aus  dem  Methan 
entsteht  die  Essigsäure,  wenn  ein  Wasserstoffatom  durch  die  Carboxyl- 
gruppe  vertreten  wird: 

der  Acetaldehyd   gleichfalls   noch  Ersatz  eines  Wasserstoffatoms  durch 

die  Gruppe  — COH: 

CH4       —->'        CH3.COH. 

Auch  das  Aceton  kann  als  einwerthiges  Methanderivat  aufgefasst  werden ; 
es  steht  zum  Methan  in  ähnlichen  Beziehungen,  wie  der  Dimethyläther 
(CHj-O-CHg)  oder  das  Dimethylsulfon  (CHg-SOj-CHg);  eine  zweiwerthige 
Gruppe  — CO —  vertritt  in  zwei  Molecülen  Methan  je  ein  Wasser- 
stoffatom: 

CH4  CHjx 

>  >C0. 

CH,  CH,/ 

Die  Einreihung  der  genannten  Verbindungsklassen  unter  die  ein- 
werthigen  Abkömmlinge  der  Kohlenwasserstoffe  verdient  aus  zwei  Gründen 
den  Vorzug.  Sie  trägt  dem  Umstand  Rechnung,  dass  die  für  das 
chemische  Verhalten  massgebenden  Gruppen  nur  je  einmal  im  Molecül 
der  betreffenden  Verbindungen  vorkommen.  Ferner  tritt  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  die  Bedeutung  einiger  wichtiger  genetischer  Be- 
ziehungen besser  hervor,  welche  jene  Körpergruppen  mit  den  Alkoholen 
der  Grenzreihe  verknüpfen. 

Aus  einem  Alkohol  lässt  sich  nämlich  die  den  gleichen  Alkylrest 
enthaltende  Säure,  der  entsprechende  Aldehyd  und  das  Keton  durch 
eine  Folge  von  einfachen  Reactionen  erzeugen.  Ersetzt  man  die  Hydroxyl- 
gruppe durch  Halogen  und  tauscht  dann  das  Halogenatom  des  Halogen- 
alkyls  durch  doppelte  Umsetzung  mit  Cyankalium  gegen  die  Cyangruppe 
aus,  z.  B.: 

CHsOH.      >         CHj.J        >-         CH,CN, 

so  gelangt  man  zu  den  als„Alkylcyanide*^  oder  „Nitrile"  bezeichneten 
VerbH}dungen,  welche  unter  der  Einwirkung  von  Säuren  oder  Alkalien 
.     .  .    ♦  19* 


292  Die  Alkylcyanide  oder 

leicht  ihren  Stickstoffgehalt   als  Ammoniak   abgeben,   indem   dabei  die 
Cyangruppe  — CN  in  die  Carboxylgruppe  — CO2H  übergeht: 

CHj.C^N  +  2HjO  =  CHa-Cf        +  NH,. 

Aus  dem  Methylalkohol  ist  so  die  Methylcarbonsäure  (Essigsäure)  ent- 
standen.   Aus  letzterer  bildet  sich  der  eine  Methylgruppe  enthaltende 

Aldehyd: 

CHs-CHO 

bei  der  Destillation  ihres  Calciumsalzes  mit  ameisensaurem  Calcium,  das 
zwei  Methylgruppen  enthaltende  Keton: 

CHa-COCHj 

bei  der  Destillation  ihi-es  Calciumsalzes  für  sich. 

In  dieser  von  den  Alkoholen  zu  kohlenstoffreicheren  Verbindungen  auf- 
steigenden Beactionsfolge,  welcher  eine  sehr  allgemeine  Anwendbarkeit  zu- 
kommt, treten  die  Alkylcyanide  als  Zwischenglieder  von  besonderer  Be- 
deutung hervor.  Einerseits  noch  in  allernächstem  Zusammenhang  mit 
den  Alkoholen  stehend,  gewissermassen  ihre  Blausäure-Ester  darstellend, 
besitzen  sie  andererseits  schon  das  ganze  Kohlenstoffgerüst  der  dem 
Alkohol  um  ein  Kohlenstoffatom  überlegenen  Säure.  Ihre  Besprechung 
bilde  daher  den  Uebergang  von  den  Alkoholen  und  ihren  nächsten  Ab- 
kömmlingen zu  den  Carbonsäuren. 

Die  Alkylcyanide  oder  Nitrile  der  Fettsäuren. 
Allgemeine  Zusammensetzung:  C^Hg^^j-CN. 

Nomenclatur  und  Constitution.  Bei  der  Benennung  der  durch 
Vereinigung  eines  Alkylrests  mit  der  Cyangruppe  entstehenden  Verbin- 
dungen kann  man  entweder  ihre  Beziehungen  zu  den  Alkoholen  oder 
diejenigen  zu  den  Carbonsäuren  hervorheben.  Als  Alkohol- Abkömmlinge 
angesehen,  werden  sie  als  Alkylcyanide  bezeichnet,  z.  B.  die  Verbin- 
dung CHg-CN  als  Methylcyanid  oder  Cyanmethyl.  Andererseits  stellen 
sie  die  Nitrile  der  Fettsäuren  dar,  denn  man  bezeichnet  allgemein 
als  Nitrile  solche  Säureabkömmlinge,  welche  anstatt  der  Carboxylgruppe 
— COjH  die  Cyangruppe  — CN  enthalten.  Das  Methylcyanid  CHj-CN 
ist  demnach  das  Nitril  der  Essigsäure  und  kann  auch  Acetonitril  ge- 
nannt werden,  das  Aethylcyanid  CgH^-CN  ist  Propionitril  etc. 

Als  erstes  Glied  in  der  Reihe  der  in  Rede  stehenden  Verbindungen 
erscheint,  wenn  man  für  dieselben  die  Auffassung  als  Nitrile  zu  Grunde 
legt,  der  Cyanwasserstoff  oder  die  Blausäure  H-C^N,  welche  das  Nitril 
der  Ameisensäure  H-CO-OH  darstellt.  Betrachtet  man  sie  als  Alkyl- 
cyanide, so  beginnt  die  Reihe  erst  mit  dem  Methylcyanid  oder  Aceto- 
nitril CHj'CN.  In  diesem  Kapitel  soll  im  Sinne  der  letzteren  Auffassungs- 
weise nur  das  Acetonitril  und  seine  Homologen  besprochen  werden.  Die 
Blausäure  wird  später  im  Zusammenhang  mit  anderen  Cyanverbindungen 
behandelt  werden. 


Mtrile  der  Fettsäuren.  293 


Die  Alkylcyanide  sind  mit  den  schon  früher  (S.  251 — 252)  be- 
sprochenen Isocyaniden  oder  Isonitrilen  (Carbylaminen)  isomer.  Dass 
sie,  wie  diese,  einen  Alkylrest  und  eine  Cyangruppe  an  einander  ge- 
bunden enthalten,  folgt  daraus,  dass  sie  aus  den  Jodalkylen  durch  Aus- 
tausch des  Jodatoms  gegen  die  Cyangruppe  entstehen: 


CjHb.  J  +  KCN  =  KJ  +  CjH5.CN. 

Der  Alkylrest  haftet  an  dem  Kohlenstoffatom  der  Cyangruppe;  die  Be- 
gründung dieser  Annahme  wurde  schon  bei  der  Besprechung  der  Iso- 
nitrile  gegeben.  Bei  der  Abspaltung  des  Stickstoffs  bleiben  sämmtliche 
Eohlenstoffatome  des  Nitrils  bei  einander: 

CjHgCN  +  2H,0  =  CHg.COjH  +  NH, 

—  ein  Verhalten,  welches  unverständlich  wäre,  wenn  nicht  schon  in  dem 
Molecül  des  Nitrils  die  Bindung  zwischen  dem  Alkylrest  und  dem  Kohlen- 
stoffatom der  Cyangruppe: 

CjH^-C— N 
bestände. 

Entstehungsweisen.  Um  von  den  Alkoholen  zu  den  zuge- 
hörigen Cyaniden  zu  gelangen,  bedient  man  sich  als  Zwischenglieder 
entweder  der  Halogenalkyle  oder  der  alkylschwefelsauren  Salze. 
Erstere  gehen  mit  Cyankalium  die  schon  mehrfach  erwähnte  doppelte 
Umsetzung: 

CH3.  J  +  kCN  =  K J  +  CHgCX 

ein^.  Diese  Umsetzung  erfolgt  in  der  Regel  nicht,  wenn  man  trockenes 
Cyankalium  und  das  Jodalkyl  auf  einander  wirken  lässt,  wohl  aber  bei 
Anwesenheit  von  wässrigen  Alkoholen^.  In  einigen  Fällen  tritt  die  Re- 
action  der  wässrig-alkoholischen  Lösung  des  Jodalkyls  auf  das  Cyan- 
kalium schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ein,  in  anderen  Fällen  muss 
man  längere  Zeit  am  Rückflusskühler  kochen  oder  in  zugeschmolzenen 
Bohren  auf  höhere  Temperatur  erhitzen.  Statt  des  Cyankaliums  ist  für 
die  Verwandlung  des  tertiären  Butyljodürs  in  das  entsprechende  Cyanür 
mit  Vortheil  das  Doppelsalz  von  Cyankalium  und  Cyanquecksilber 
KjHgCy^  angewendet  worden^. 

Aus  den  alkylschwefelsauren  Salzen  erhält  man  die  Nitrile  durch 
Destillation  mit  Cyankalium^: 

CjHs.iOSÖaK  +  K.  CN  =  C2H5.CN  +  K,S04. 

EiS  entstehen  hierbei  neben  den  Nitrilen  geringe  Mengen  der  Isonitrile; 
zur  Entfernung  der  letzteren  wird  das  Reactionsprodukt  mit  wenig  Salz- 
saure  geschüttelt,    wodurch  die  Isonitrile   sofort  in  Ameisensäure  und 

'  WiLLiAMSON,  J.  pr.  61,  60.  '  Henry,  Compt.  rend.  104,  1181. 

•  Bi"TLEBOw,  Ann.  170,  154. 

*  Pblovze,  Ann.  10,  249.  —  Fbankiand  u.  Kolbe,  Ann.  66,  297.  —  Lücse- 
M4X«,  Ann.  148,  252. 


294  Bildmigsu'eisen  der 


Amine  zerlegt  werden  (vgl.  S.  251),  während  die  Nitrile  erst  bei  höherer 
Temperatur  von  verdünnten  Säuren  angegriffen  werden. 

Aach  durch  Einwirkung  von  Chlorcyan  oder  Cyan  auf  Zinkalkyle^  entstehen 

Nitrile: 

2CN.C1  +  ZnCCjHs),  =  ZnCl,  +  aCjHß.CN 

CN 
2  I      +  Zn(C,Ha)j  =  Zn(CN),  +  2CjH5.CN. 
CN 

Diesem  synthetischen  Weg  zur  Gewinnung  der  Nitrile  gegenüber 
stehen  die  Methoden  zur  Umwandlung  der  Säuren  in  Nitrile  von 
gleicher  Eohlenstoffzahl.  Man  verwandelt  die  Säure  in  ihr  Amid 
(vgl.  Kap.  10,  Abschn.  5),  z.  B.  Essigsäure  CHg-CO-OH  in  Acetamid 
CHj-CO'NHj,  und  destillirt  das  Amid  mit  einem  wasserentziehenden  Mittel : 

CHj.CO.NHj-HsO  =  CHa-CN. 

Es  ist  dies  der  am  häufigsten  eingeschlagene  Weg  zur  Darstellung  der 
Nitrile.  Als  wasserentziehendes  Mittel  wendet  man  in  der  Regel  Phos- 
phorsäureanhydrid an^;  Phosphorpentachlorid  wirkt  häufig  am  besten; 
auch  Phosphorpen tasulfid^  bewirkt  die  Umwandlung,  indem  als  Zwischen- 
produkt ein  Thioamid  entsteht,  welches  bei  der  Destillation  Schwefelwasser- 
stoff abspaltet: 

CHb.CSNHj-HjS  =  CH3.CN. 

In  einer  einzigen  Operation  gelangt  man  von  den  Säuren  zu  den 
entsprechenden  Nitrilen  bei  der  Destillation  mit  Schwefelcyan- 
kalium.  Diese  Beaction  vollzieht  sich  in  zwei  Phasen;  es  bildet  sich 
zunächst  das  Amid  und  Kohlenoxysulfid : 

CH3.CO.OH  +  CS:NH  =  CHg.COOm,  +  COS, 

und  diese  beiden  Beactionsprodukte  wirken  nun  zum  Theil  auf  einander 
weiter  nach  der  Gleichung: 

CH3.CO.NH,  +  COS  =  CHg.CN  +  CO,  +  H,S 

ein*.  Man  erhält  im  Destillat  ein  Gemenge  des  Amids  und  Nitrils. 
Die  Beaction  verläuft  zwar  in  der  Fettreihe  durchaus  nicht  glatt,  bietet 
aber  den  Vortheil,  dass  man  rasch  von  den  Säuren  zu  den  zugehörigen 
Nitrilen  gelangt. 

Man  erhält  femer  die  Nitrile,  wenn  man  durch  ein  hellrothglühen- 
des,  mit  Bimsteinstückchen  gefülltes  Bohr  eine  Fettsäui-e  destillirt  und 
gleichzeitig  einen  massigen  Strom  von  Ammoniak  durch  die  Bohre  leitet. 
Durch  eine  solche  Aufeinanderwirkung  von  Fettsäuren  und  Ammoniak 
bei  hoher  Temperatur  erklärt  sich  das  reichliche  Vorkommen  der  Nitrile 
im   Thieröl:   dem   Produkte   der   trockenen  Destillation  von  Knochen*. 


*  Gal,  Ann.  147,  126.  —  Frankland  u.  Graham,  Journ.  Soc.  1880.  I,  740. 

*  Dumas,  Malaouti  u.  Lebi^nc,  Ann.  64,  332.  —  Bückton  n.  Hofmann,  Ann. 
100,  130.  —  Krafft  u.  Stauffer,  Ber.  15,  1728. , 

'  Henry,  Ann.  152,  148.  *  Letts,  Ber.  5,  669.  —  Mehlis,  Ann.  185,  367. 

*  Weidel  u.  C1AMICIAN,  Bor.  13,  83. 


Alkyleyanide,  295 


Auch  das  Vorkommen   des  Acetonitrils  im  Steinkohlentheerbenzol  ^   ist 
wohl  hierauf  zurückzuführen. 

Auch  von  den  Aldehyden  kann  man  auf  einfache  Weise  zu  den 
Xitrilen  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  gelangen*.  Durch  Einwirkung 
von  Hydroxylamin  entstehen  aus  den  Aldehyden  die  Aldoxime,  z.  B.: 

C^Hia-CHO  +  HjNOH  =  H,0  +  C^Hia-CH :  NOH, 

und  diese  werden  durch  Essigsäureanhydrid  unter  Wasserentziehung  in 
Nitrile  übergeführt: 

Endlich  können  Nitrile  auch  durch  Abbau  kohlenstoflfreicherer  Ver- 
bindungen gewonnen  werden.  Bei  der  Einwirkung  von  alkalischer 
Bromlösung  auf  Säureamide^  entstehen  die  um  ein  KohlenstoflFatom 
ärmeren  Nitrile,  z.  B.  aus  Nonylsäureamid  CgHj^-CONHj  das  Octonitril 
CyHjg-CN.  Die  Reaction  durchläuft  die  früher  (S.  235)  bei  der  Amin- 
darstellung  eingehender  besprochenen  Phasen;  es  bildet  sich  das  um  ein 
Kohlenstoffatom  ärmere  Amin  C^H^ß-CHg-NIIg,  welches  von  alkalischer 
Bromlösung  in  das  Nitril  übergeführt  wird: 

C^HisCHjNHj  +  2Brj  +  2  Na  OH  =  C^His.CHjNBr,  +  2XaBr  +  2H,0, 
C,H,5CH,.XBr,  +  2Na.0H  =  C^HißCN  +  2NaBr  +  2Ufi. 

Letztere  Reaction  —  die  üeberführung  eines  primären  Amins  in 
das  Nitril  von  gleicher  Kohlenstoffzahl*  durch  Einwirkung 
von  Brom  in  alkalischer  Lösung  —  kann  auch  für  sich  allein  aus- 
geführt werden.  Nur  in  den  höheren  Reihen  —  etwa  von  der  fünften 
Reihe  an  aufwärts  —  ist  die  Nitrilbildung  auf  diesem  Wege  eine  be- 
trächtüche.  Die  Reaction  ist  zur  Darstellung  der  Nitrile  nicht  besonders 
vortheilhaft,  oft  aber  sehr  willkommen,  um  die  Beziehungen  in  der 
Constitution  von  Verbindungen   aus   verschiedenen  Reihen  zu  einander 

hervortreten  zu  lassen.  , 

i      .  .  *         . 

Erwähnt  sei  schliesslich  die  Bildung  von  Nitrilen  bei  der  Oxydation 

von  Leim^  und  Caseln®  und  beim  Glühen  der  abgedampften  Melasse- 
schlempe ^. 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  Nitrile  der  niederen  Reihen  sind 
farblose,  unzersetzt  siedende  Flüssigkeiten  von  nicht  unangenehmem 
Geruch;  sie  werden  von  Wasser  in  beträchtlicher  Menge  aufgenommen. 
Mit  steigendem  Moleculargewicht  nimmt  die  Löslichkeit  in  Wasser  ab. 
Die  Nitrile  der  höheren  Reihen  sind  krystallisirbar  und  in  Wasser  kaum 
loslich.    Die  folgende  Tabelle  Nr.  1 3  giebt  eine  Uebersicht  über  die  physi- 


*  VracENT  u.  Delachanal,  Bull.  33,  405. 

*  Lach,  Ber.  17,  1572.  ^  A.  W.  Hofmanx,  Ber.  17,  1406. 

*  A.  W.  HoFMANX,  Ber.  17,  1920.  *  Schlieper,  Ann.  59,  15. 

*  GrcKELB ERGER,  Ann.  64,  76. 
'  Vincent,  Bull.  31,  156. 


Chemisdies  Verhalten  der  Älkyhyanide,  297 


H.  0 

CH,.C  =N  +  „/  "    =    NH,  +  CHj-cC  ^    • 

Die  Verseifung  geht  sowohl  durch  die  Einwirkung  der  Alkalien  wie  auch 
verdünnter  Säuren  in  der  Wärme  leicht  von  Statten. 

Während  bei  der  Verseifung  die  dreifache  Bindung  zwischen  Kohlen- 
stoff und  Stickstoff  vollständig  aufgehoben  wird,  findet  bei  einer  grossen 
Zahl  anderer  Reactionen  nur  eine  theilweise  Lösung  statt.  Die  dreifache 
Bindung  geht  in  die  doppelte  oder  einfache  über,  und  die  dadurch  frei 
werdenden  Valenzen  sättigen  sich  durch  Anlagerung  anderer  Atome. 

So  entstehen  durch  Aufnahme  der  Elemente  eines  Molecüls 

Wasser  die  Amide  der  Carbonsäuren: 

/O 
CHg.C^N  +  HsO   =  CHs-C/ 

Die  Beaction  erfolgt  beim  Erhitzen  mit  Wasser^  auf  180^  Bei  niederer 
Temperatur  (etwa  40^  lässt  sie  sich  rasch  durch  die  Einwirkung  des 
Wasserstoffsuperoxyds  bei  Gegenwart  von  etwas  Kalilauge  ausführen^,  z.  B. 

CsHii-CN  +  2H,0,  =  C5H,i.C0.NHa  +  H,0  +  0,. 

Beim  Erhitzen  mit  organischen  Säuren'  entstehen  in  ganz  ähnlicher  Reac 
tion  secundäre  Sftureamide,  z.  ß.: 

CHb-CN  +  OHCOCH,  =  CHsCONHCO-CHa, 

Diacetamid 

beim  Erhitzen  mit  Säureanhydriden^  tertiäre  Säureamlde: 

/CO-CHa  /CO-CHs 

CHb-CN  +  0<  =  CH3.CO.N/ 

\CO.CHs  ^CO-CHg. 

Schwefelwasserstoff  wird  unter  Bildung  der  Thioamide  auf- 
genommen**®: 

CHg .  CN  +  H,S  =  CH3 .  CS .  NH,. 

Chlorwasserstoff®-^  vereinigt  sich  mit  den  Nitrilen  zu  Verbin- 
dungen, welche  wohl  als  Imidchloride  (vgl.  Kap.  10)  aufzufassen  sind: 

XI 
CHs-C^N  +  HCl  =  CHg.CC 

^NH. 

Lieitet  man  Chlorwasserstoff  in  das  Gemisch  eines  Nitrils  mit 
einem  Alkohol®,  so  bildet  sich  das  salzsaure  Salz  eines  Imidoäthers 
(vgl.  Kap.  10),  z.  B.: 


*  £koleb,  Ann.  149,  305.  '  Radziszewski,  Ber.  18,  355. 

*  Gautier,  Ann.  150,  187.  *  Wichelhaus,  Ber.  3,  847. 

*  Gautter,  Ann.  142,  289.  •  Bernthsen,  Ann.  192,  46. 
'  Michael  u.  Wiko,  Ber.  18  c,  378. 

»  PiKXEB  u.  Klein,  Ber.  10,  1889.  —  Pinner,  Ber.  16,  1645. 


298  Ckernisckes  Verhalten  der  ÄlkylGyanide. 


CHs.C=N  +  OH.  CA  +  HCl  =  CHj.CC  .HCl. 

^O.C.Ha 

Während  sich  Chlorwasserstoff  mit  den  Nitrilen  im  Verhaltniss 
gleicher  Moleciile  vereinigt,  werden  von  einem  Molecül  der  Nitrile  mit 
derselben  Leichtigkeit  zwei  Molecüle  Bromwasserstoff^  fixirt: 

.NH, 


CH3.C=N  +  2HBr  =  CHj-C 


^r/' 


\ 


Br,. 


Auch  viele  Chlorüre,  wie  z.  B.  Borchlorid,  Zinnchlorid,  Antimonchlorid,  Alu- 
miniumchlorid, Goldchlorid,  gehen  mit  den  Nitrilen  additioneile  Verbindungen  ein^'^ 
Die  Einwirkung  des  Broms^  erscheint  ebenfalls  zunächst  als  ein  Additionsvor- 
gang   CjHj  •  CN  +  Brj  =  CgHgNBrj.      Sie    besteht    aber    in    der   Substitution    eines 
Wasserstoffieitoms   und   darauffolgender   Anlagerung   der    entstandenen   Bromwasser- 

stofFsfiure: 

/Br 
CaH,.CN  +  Br,  =  C^H^BrCN  +  HBr  =  C^H^Br-C/ 

^NH. 

Chlor^  substituirt  bei  der  Einwirkung  auf  PropionitrU  zwei  WasserstofiBBttome: 

CjHa-CN  +  2Clj  =  CjHbCIj.CN  +  2HC1. 

Nascirender  Wasserstoff  wird  von  den  Nitrilen  unter  Bildung 
von  primären  Aminen  fixirt  (Mendiüs®,  vgl.  S.  234),  z.  B.: 

CaHg.C^N  +  4H  =  CjHsCHjNHg. 

Hydroxylamin^  lagert  sich  an  die  Nitrile  unter  Bildung  der  Amid- 

oxime  (vgl.  Kap.  10)  an: 

.NOH 
CHgC^N  +  HaN-OH  =  CHg.CC 

^NHj. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  namentlich  von  E.  v.  Meyeb 
studirten  und  aufgeklärten  Vorgänge,  in  welchen  sich  mehrere  Molecüle 
der  Nitrile  an  einander  lagern.  Durch  Polymerisirung  können  ent- 
weder je  zwei  Nitrilmolecüle: 

2C2H5.CN  =  CgHioNj,  dimoleeulares  Cyanäthyl, 

oder  je  drei  Nitrilmolecüle  zusammentreten: 

3C2H5.CN  =  CoHijNg,  trimoleculares  Cyanäthyl  oder  Kyanäthin. 

Auch   verschiedenartige   Nitrilmolecüle    können   sich  mit  einander  ver- 
einigen ®,  z.  B. : 
2CaH5.CN  +  CHs-CN  =  CßHigNa. 

*  Enoler,  Ann.  149,  306.  —  Henry,  Bull.  7,  85. 

*  Gautier,  Ann.  142,  289. 

^  Henke,  Ann.  106,  280.  —  Genvreshe,  Bull.  49,  341. 

*  Engler,  Ann.  133,  137;  142,  65.  *  Otto,  Ann.  116,  195. 

*  Ann.  121,  129. 

^  Tiejiann,  Ber.  17,  128.  —  Nordmann,  Ber.  17,  2746. 

®  RiEss  u.  E.  V.  Meyer,  J.  pr.  [2]  31,  112.  —  E.  v.  Meyer,  J.  pr.  [2]  30,   189. 


Polymere  AUcylcyanide.  299 


Die    dimolecularen  Nitrile   sind   indiflFerente,    die   trimolecularen   Nitrile 
stark  basische  Verbindungen. 

Die  Bildung  dieser  dimolecularen  und  trimolecularen  Verbindungen 
rindet  unter  der  Einwirkung  des  Natriums  auf  die  Alkylcyanide  statt. 
Die  dimolecularen  Verbindungen^  entstehen,  wenn  man  die  Einwirkung 
bei  Gegenwart  von  absolutem  Aether  vor  sich  gehen  lässt.  Die  schon 
viel  länger  bekannten  trimolecularen  Verbindungen*,  welche  auch 
Kyanalkine  genannt  werden,  bilden  sich,  wenn  man  die  trockenen 
Cyanalkyle  ohne  Lösungsmittel  zu  metallischem  Natrium  fliessen  lässt; 
auch  entstehen  sie  beim  Erhitzen  der  Cyanalkyle  mit  trockenem  Na- 
triumäthylat  auf  140^.  Nur  die  Cyanide  der  primären  Alkylreste  (also 
z.  B.  nicht  das  Isopropylcyanid  (CH3)3CH-CN)  können  in  Kyanalkine 
übergeführt  werden. 

Die  Bildung  dieser  Verbindungen  geht  unter  Entwickelung  von  Kohlenwasser- 
stoffen der  Methanreihe  und  Bildung  von  Cyannatrium  vor  sich.  Es  scheinen  dabei 
zunächst  Natriumverbindungen  der  Cyanalkyle  zu  entstehen,  welche  zwar  bisher  nicht 
i.<olirt  werden  konnten,  für  deren  Existenz  man  aber  Anzeichen  besitzt.  So  entsteht 
z.  B.  bei  der  Einwirkung  von  Natrium  auf  ein  Gemisch  von  Cyanmethyl  und  Jod- 
äthyl das  Butyronitril  —  ein  Vorgang,  welcher  sich  am  besten  durch  Reaction  des 
Jodäthyls  auf  Natriumcyanmethyl: 

CjHj.J  +  NaCHj.CX  =  XaJ  4-  C^Ha-CH^CN 

deuten  läset.    Der  Entstehungsprocess   der   dimolecularen  Nitrile   kann  hiemach   in 

folgende  Reaetionen  zergliedert  werden.   Während  ein  Atom  Natrium  einem  Molecül 

des  Alkylcyanide  die  Cyangruppe  zur  Bildung  von  Cyannatrium  entnimmt,  verdrängt 

ein  anderes  Atom  Natrium  in  einem  zweiten  Molecül  des  Cyanids  ein  Wasserstoffatom, 

welches  sich  mit  der  von  der  Cyangruppe  getrennten  Alkylgruppe  zu  einem  Paraffin 

vereinigt: 

Naa  +  2CH8.cn  =  NaCN  +  CH3.H  +  CH,Na.CN. 

Das  derart    entstandene   Natriumcyanalkyl    vereinigt    sich    nun   mit   einem   dritten 
Molecül  Cyanalkyl  zu  der  Natrium verbindunii^  des  polymeren  Cyanids: 

CHjNaCN  +  CH3.CN  =  C.H^NaNj, 

aus  welcher  bei  der  Zersetzung  des  Reactionsproduktes  mit  Wasser  das  dimoleculare 
Nitril  abgeschieden  wird: 

C^HsNaNj  +  H,0  =  NaOH  +  C^HeN^. 

Der  Bildungsprocess  der  trimolecularen  Nitrile  ist  noch  nicht  klar  gelegt. 

Die  dimolecularen  Nitrile  sind  als  Imidonitrile  von  Keton- 
säuren  (vgl.  dort)  aufzufassen,  z.  B.  das  dimoleculare  Cyanäthyl  als 
das  Imidonitril: 

C,H,~C=NH      ^      ^       .       ,         .       .,  C,H,.C  =  0 

I  der  Propionylpropionsäure :  1  ; 

CH,-CH— CN  CH, .  CH  •  CO^H 


*  E.  V.  Mn-EB,  J.  pr.  [2]  37,  481 5  38,  336;  39,  188,  544.  —  Holtzwart, 
J.  pr.  [2]  38,  343 ;  39,  230.  --  Wache,  J.  pr.  [2]  39,  245.  —  Hanriot  u.  Boüveaült, 
Bull.  [3]  1,  170,  548. 

'  Frankland  u.  Kolbe,  Ann.  66,  269.  —  AI.  Bayer,  Ber.  2,  319.  —  E.  v.  Meyer, 
J.  pr.  [2]  22,  261;  27,  152;  37,  396;  39,  194,  262.  —  Troeoer,  J.  pr.  [2]  37,  407. 


300  Polymere  Alhyleyanids. 


der  Bildungsprocess  seiner  Natriumverbindung  durch  Vereinigung  von  Na- 
triumcyanäthyl  mit  Cyanäthyl  ist  bei  dieser  Auffassung  leicht  verständlich: 

CaH.C^-N  C,H5.C  =  N.Na     ,    ^        C,H5-C  =  NH     ^^ 

=  I  (oder:  |  r); 

+  CHs  •  CHNa .  CN        CH,-  CH  •  CN  CHg-CNa-CN 

ihre  Richtigkeit  ergiebt  sich  aus  dem  Verhalten  der  dimolecularen  Nitrile. 
Bei  der  Behandlung  mit  concentrirten  Säuren  wird  nämlich  in  der  Kälte 
nur  die  Hälfte  des  StickstofiFgehaltes  abgespalten,  indem  an  Stelle  der 
NH-6ruppe  ein  Sauerstoffatom  tritt: 

C,H5-C=NH  C,H5~-C  =  0 

I  +H,0=  I  +NH3; 

CHs-CH-CN  CH3-CH-CN 

es  entsteht  das  Propionylpropionsäurenitril,  welches  durch  concentrirtes, 
wässeriges  Ammoniak  wieder  in  das  Imidonitril  zurückverwandelt  werden 
kann.  Bei  erhöhter  Temperatur  aber  bewirkt  die  Einwirkung  von  starken 
Säuren  vollständige  Verseifung;  es  bildet  sich  Propionylpropionsäure: 

I  4-3H,0=2NH3+  I 

CHs-CH .  CN  CH,-CH  •  CO,H 

welche  indess  unter  den  Reactionsbedingungen  gleich  durch  Kohlensäure- 
abspaltung das  Diäthylketon  liefert: 

CjH,-CO  CjHs-CO 

I        ^         =  CO,  +  I      . 

CH3 — CH'COjH  CH3 — CHj 

CjHö-CO-CgHfi 

Die  trimolecularen  Nitrile,  die  Kyanalkine,  sind  Ab- 
kömmlinge desPyrimidins  —  einer  Verbindung,  deren  Molecül  einen 
ringförmigen  Complex  von  vier  Kohlenstoffatomen  und  zwei  Stickstoft- 
atomen  enthält: 


CH 


II        Pyrimidin. 
CH 


N 

So  ist  z.  B.  das  Kyanäthin  Cj^H^^Ng  als  Amido-methyl-diäthyl-Pyrimidin 

CjHjj 


CH,-C 


'S 


1  II 

NH3-C  C-C,H, 


N 

aufzufassen.  Die  Begründung  dieser  Auffassung,  sowie  eine  eingehen- 
dere Schilderung  der  Kyanalkine  wird  bei  der  Besprechung  der  Pyrimi- 
dine  (s.  Band  II)  gegeben  werden. 


Zusammeiisetxung  de?'  Fettsäuren,  301 


Neuntes  Kapitel. 

Die  gesättigten  einbasischen  Carbonsäuren 

oder  Fettsäuren. 

Allgemeine  Zusammensetzung:  C^ß^ifi^- 


Zusammmensetzung,  Nomenclatur,  Constitution,  Isomerien. 

Diejenigen  organischen  Säuren,  deren  saure  Natur  auf  das  Vorkommen 
der  Gruppe:  — CO -OH  in  ihrem  Molecül  zurückzufuhren  ist,  werden  als 
Carbonsäureu  bezeichnet;  diese  Gruppe  ist  zuerst  von  Baeyer^  als 
selbstständiges  Radical  aufgefasst  und  mit  dem  Namen  „Carboxyl*-  be- 
legt worden.  Je  nach  der  Anzahl  der  in  einem  Molecül  enthaltenen 
Carboxylgruppen  unterscheidet  man  einbasische  Carbonsäuren  oder 
Monocarbonsäuren,  zweibasische  Carbonsäuren  oder  Dicarbon- 
säuren  etc.  Die  in  diesem  Kapitel  zu  besprechenden  Säuren  enthalten 
eine  Carboxylgruppe  in  Verbindung  mit  einem  Alkylrest,  sie  sind  die 
Monocarboxyl  -  Substitutionsprodukte  der  Grenzkohlenwasserstoflfe  (vgl. 
S.  290 — 291)  und  daher  als  die  gesättigten  einbasischen  Carbon- 
säuren oder  Alkylcarbonsäuren  zu  bezeichnen.  Gewöhnlich  aber 
werden  sie  unter  dem  Sammelnamen  „Fettsäuren"  zusammengefasst, 
da  einige  Säuren  dieser  Reihe  zu  den  Fetten  in  naher  Beziehung  stehen. 
Als  Monocarboxyl-Derivate  der  Paraffine  besitzen  sie  die  allgemeine 
Formel : 

CmH2m  +  rCO  •  OH  =  C^  +  iHg^  +  gOg  ; 

setzt   man  in  diesem  Ausdruck  n  für  (tw  +  I),   so   gelangt   man  zu  der 
einfachen  Formel: 

welche  von  allgemeiner  Gültigkeit  für  die  empirische  Zusammensetzung 
der  Fettsäuren  ist. 

Das  erste  Glied  der  Reihe  wäre,  wenn  man  die  Auffassung  als  Al- 
kylcarbonsäuren streng  durchführen  wollte ,  die  Methylcarbonsäure 
CHj-COjH,  Es  wird  indessen  allgemein  als  Anfangsglied  der  Fettsäure- 
reihe die  Ameisensäure  H-CO-OH  hingestellt,  welche  als  eine  Wasser- 
stoff-Carbonsäure  betrachtet  werden  kann,  und  deren  Zusammensetzung 
CHjOg  ja  ebenfalls  der  allgemeinen  Formel  C^H^j^Oj  entspricht.  Ihr 
reihen  sich  dann  die  Verbindungen: 

CHj-CO-OH  .  .  .  Methylcarbonsäure, 
CgHß-CO'OH  .  .  .  Aethylcarbonsäure, 
CjHy-CO-OH  .     .     .     Propylcarbonsäure  etc. 

an.      Derartige  rationelle,   die  Constitution  ausdrückende  Bezeichnungen 
*  Ann.  135,  307. 


302  Constitution  der  Fettsäuren 


sind  indess  nur  für  solche  Säuren  üblich,  welche  lediglich  auf  syntheti- 
schem Wege  erhalten  worden  sind.  Die  meisten  Fettsäuren  stehen  in 
nahen  Beziehungen  zu  Naturstoflfen  oder  Industrieprodukten  und  werden 
mit  Namen  belegt,  welche  an  diese  Beziehungen  erinnern,  z.  B.: 

Ameisensäure  ....  GRfi^, 

Essigsäure CgH^Oj, 

Buttersäure      ....  C^H^OgT^^^-v. 

Valeriansäure  ....  CgH^^Og         \ 

etc.  (vgl.  auch  die  Tabelle  Nr.  14  auf  S.  312). 

Der  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Ansicht,  dass  in  dem  Molecül 
der  Fettsäuren  die  Vereinigung  einer  Alkylgruppe  mit  einer  Carboxyl- 
gruppe  vorliegt,  wurde  bereits  im  allgemeinen  Theil  (S.  67 — 69)  für 
das  zweite  Glied  der  Reihe  —  die  Essigsäure  CgH^Og  —  gefuhrt.  Es 
wurde  an  dem  Verhalten  dieser  Verbindung  nachgewiesen,  dass  von  den 
vier  Wasserstoffatomen  ihres  Molecüls  eines  in  Form  einer  Hydroxyl- 
gruppe vorhanden  ist,  die  drei  anderen  aber  an  ein  und  dasselbe  Koh- 
lenstoffatom gebunden  sind.  Die  hiernach  allein  mögliche  Structurformel 
einer  Methylcarbonsäure: 

fand  weiterhin  ihre  Begründung  in  der  schon  oft  erwähnten,  von  Fbank- 
LAND  und  KoLBE^  entdeckten  S}Tithese  der  Essigsäure,  welche  —  vom 
Methylalkohol  ausgehend  —  die  Hydroxylgruppe  desselben  unter  Be- 
nutzung verschiedener  Zwischenstufen  (vgl.  S.  291 — 292)  durch  eine  Car- 
boxylgruppe  ersetzt: 

CHarOH)    >-      CH,rCN)    v      CHjrCOjH). 

Da  alle  anderen  Säuren  dieser  Reihe  sich  der  Essigsäure  durchaus 
analog  verhalten  nnd  durch  ähnliche  Reactionen  gewonnen  werden  können, 
so  darf  die  Auffassung  derselben  als  Alkylcarbonsäuren  oder  Monocar- 
boxyl-Substitutionsprodukte  der  Paraffine  als  sicher  begiündet  angesehen 
werden. 

Die  Fettsäuren  sind  ausgeprägte  einbasische  Säuren,  d.  h.  in 
ihrem  Molecül  ist  ein  Wasserstoffatom  vorhanden,  das  durch  Metall- 
atome vertreten  werden  kann,  und  nach  dessen  Vertretung  Salze  ent- 
stehen, aus  welchen  durch  Wasser  die  Säure  nicht  wieder  abgeschieden 
wird.  Man  wird  von  vornherein  das  durch  die  Art  seiner  Bindung  vor 
den  übrigen  ausgezeichnete  Wasserstoffatom  der  Hydroxylgruppe: 

CHa-CO-OH* 

als  das  vertretbare  anzusprechen  sich  für  berechtigt  halten;    doch   mag 
diese  Annahme   noch   bewiesen  werden.     Das  Silbersalz  der  Essigsäure 
CjHgOgAg  erhält  im  Sinne  derselben  die  Constitutionsformel:     * 
CHgCO-OAg, 

>  Ann.  66,  297. 


und  ihrer  Salze.  303 


während  ausserdem  nur  noch  die  Formel: 

CHjAg-COOH 

denkbar  erscheint.     Bei  der  Einwirkung  von  Jodäthyl: 

C,H,0,  Ag  +  C,H,  j;  -  AgJ  +  CHsOa.CjHs 

wird  das  Silberatom  gegen  die  Aethylgruppe  ausgetauscht.  Die  ent- 
stehende Verbindung   —    der  Essigsäureäthylester   —   kann   nun   nicht 

die  Formel: 

CHj(CjH6).C0.0H 

besitzen,  denn  letztere  ist  identisch  mit  der  Formel  der  normalen  But- 
tersäure : 

GUg  •  CHj  •  GH]  •  COjH , 

welche  aus  Propyljodid  in  bekannter  Weise: 
CHj.CHjCHj.J     >-      CHb-CHjCHjCN    >-      CHg-CHjCHj.COjH 

gewonnen  werden  kann  und  ganz  andere  Eigenschaften  besitzt.  Dagegen 
stimmt  die  aus  der  zu  beweisenden  Annahme  sich  ergebende  Formel: 

CH3.CO.O.C2H5, 

nach  welcher  die  Aethylgruppe  an  Sauerstoff  gebunden  ist,  vollkommen 
mit  dem  Verhalten  des  Essigsäureäthylesters  tiberein,  besonders  mit 
seiner  leichten  Spaltbarkeit  in  Essigsäure  und  Aethylalkohol : 

CHa-CO-ÖCÄ  +  H-;OHj  =  CH3.CO.OH  +  CgHs-OH, 

wie  auch  mit  seiner  Bildung  aus  Acetylchlorid  und  Aethylalkohol: 

CH,.CO.:Ci:  +  CjHs.O.jH  =  HCl  +  CHj.COO.CjHg. 

Die  Fähigkeit  der  Salzbildung  beruht  demnach  bei  den  organischen 
Garbonsäuren,  gerade  so  wie  bei  den  anorganischen  Sauerstoffsäuren,  auf 
dem  Vorhandensein  der  Hydroxylgruppe.  Die  Molecüle  der  organischen 
Carbonsäuren  wie  der  anorganischen  Sauerstoffsäuren  können  als  Wasser- 
molecüle  angesehen  werden,  deren  eines  Wasserstoffatom  durch  ein  sauer- 
stoffhaltiges Radical  ersetzt  ist: 

NO,.  CHs-COv 
>0  >0 

H/  H/ 

Salpeters&ure,  Essigsäare. 

Diese  sauerstoffhaltigen  Badicale  besitzen  elektronegativen  Charakter  und 
bedingen  durch  denselben  die  leichte  Austauschbarkeit  des  unvertreten 
gebliebenen  Wasserstoffatoms  gegen  die  elektropositiven  Metallatome. 
Auch  die  Alkohole  konnten  in  ähnlicher  Weise  vom  Wassertypus  abge- 
leitet werden: 


> 

auch  bei  ihnen  konnte  constatirt  werden,  dass  das  Hydroxyl-Wasserstoff- 
atom  durch  Metallatome  vertretbar  ist  (vgl.  S.  151).    Allein  sie  enthalten 


304  Säiireradicale  (Am/ 


statt  jener  sauerstoffhaltigen  elektronegativen  Radicale  ein  Kohlenwassei- 
stoäi'adical  von  elektropositivem  Charakter,  und  daher  sind  die  an  SteSk 
der  Wasser  Stoffatome  eintretenden  Metallatome  nnr  lose  gebtmdea.  Die 
Ketallverbindungen  der  Älkoliole  werden  schon  durch  Wasser  in  Alkoki 
und  Basis  zerlegt: 

C,H,.0N8  -F  HÖH  =  C,H,-OH  +  Na-OH; 
sie  sind   keine   wahren  Salze.     Aus   den   Metallrerbindungen    der  oi^a- 
niscben  Carbonsäuren  dagegen  scheidet  Wasser  die  freie  Säure  ebenso- 
wenig ab,  wie  aus  den  Salzen  der  Mineralsäuren;  sie  besitzen  durchaus 
salzartigen  Charakter. 

Jene  sauerstoffhaltigen  Radicale,  deren  Vereinigung  mit  der  Hydro- 
xylgruppe das  Säureniolecüt  darstellt,  bleiben  bei  einer  grossen  Zahl  vfm 
ReactioTien  in  ihrem  Zusammenhang  bestehen  und  treten  UDverändert 
in  die  Molecüle  von  Abkömmlingen  der  Säure  ein  {vgl.  Kap.  10).  Es 
hat  sieb  daher  fllr  die  Benennung  der  Säurederivate  das  BedOrfniss  nach 
einer  besonderen  Bezeichnungsweise  dieser  Radicale  herausgestellt.  Man 
bildet  ihre  Bezeichnungen  aus  der  Endung  „yl"  und  dem  Stamm  des 
Namens  der  zugehörigen  Säure;  wo  diese  Nomenclatur  zn  VerwecLs- 
lungen  zwischen  dem  Säureradical  und  einem  Alkohob-adical  Änlass 
geben  könnte,  charakterisirt  man  das  Säureradical  durch  die  Endung 
„oyl",  während  das  Alkoholradical  die  Endung  „yl"  beibehält.  Wir 
haben  also  für  das  Radical 

der  Ameisensäure :       HCO —  die  Bezeichnung:  Formyl, 

„   E'isigsäure:         CHg'CO —  „  „  Acetyl, 

„   Propionsäure:  C^H^-CO —  „  „  Propionyl, 

„    Buttersäure;     CgH^-CO—  „  „  Butyryl, 

„   Valeriansäure:C^Hg-CO —  „  „  Valeryl  oder  Pentoyl, 

„   Capronsäure:  CjHj,CO—  „  „  Caproyl  oder  Hexoyl  etc. 

Allgemein  bezeichnet  man  die  einwerthigen  Säurereste  als  „  Acyl-Radicale''  '■ 
Im  Vorstehenden  sind  die  organischen  Säuren  zunächst  als  Car- 
boxyl-Substitutionsprodukte  der  Kohlenwasserstoffe  aufgefasst,  dann  ist 
ihre  Ableitung  vom  Wassertypus  erläutert  worden,  Sie  können  noch 
unter  einem  dritten  Gesichtspunkte  betrachtet  werden,  von  welchem  aus 
ihre  Beziehungen  zu  dem  hypothetischen  Hydrat  der  Kohlensäure: 
/OH 

cfo 

M>H 
hervoi-treten.     Denkt  man  sich  in  letzterem   eine  Hydroxylgruppe  durch 
Wasserstoff  oder  einen  Alkylrest  ersetzt,  so  gelangt  man  zu  den  Formern 
der  Fettsäuren: 


/H  /CH,  /0,H, 

C^O  C(=0  CfO      e 

^OH;  ^OH;  H)H 


cfo 

^OH; 
'  LiEBKmuHH,  Ber.  21,  3372. 


Isomerie  in  der  Fettsäure-Reihe.  305 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  ist  zuerst  die  Constitution  der  organischen 
Säuren  richtig  erfasst  worden;  es  war  Kolbb  \  welcher  1859  diese  Auf- 
fassung der  Wissenschaft  zuführte. 

Die  Isomerien,  welche  in  der  Reihe  der  Fettsäuren  möglich  sind, 
lassen  sich  am  einfachsten  übersehen,  wenn  man  letztere  als  Carboxyl- 
Snbstitutionsprodukte  der  Paraffine: 

betrachtet.     Da  für  die   einwerthige   Carboxylgruppe  nur  die  Structur: 

-Cf 

möglich  ist,  so  werden  alle  Isomeriefälle  durch  die  Structur  des  mit  der 
Carboxylgruppe  verbundenen  Alkylrestes  bedingt;  ihre  Zahl  muss  ebenso 
gross  sein,  wie  für  alle  anderen  Monosubstitutionsprodukte  der  Paraffine, 
z.  B.  f&r  die  einwerthigen  Alkohole: 

C„H,„  +  ,(0H). 

Für  ein  Glied  der  Fettsäure-Reihe  sind  daher  stets  ebenso 
viele  Isomeriefälle  möglich,  wie  für  das  um  ein  Kohlenstoff- 
atom ärmere  Glied  der  Alkohol-Reihe.  Für  die  drei  ersten  Glieder 
giebt  es  also  nur  eine  Structurmöglichkeit: 

H-COsH,  CHa-COgH,  CH,-CH,-COjH; 

den  beiden  Propylalkoholen  entsprechen  zwei  Säuren  der  vierten  Reihe 
(Propylcarbonsäuren,  Buttersäuren) : 

CHa-CHs-CH,— CO,H         und  >CH— CO,H, 

CH3/ 

den  vier  Butylaikoholen  vier  Säuren  der  fünften  Reihe  (Butylcarbon- 
sänren,  Valeriansäuren): 

CH8-CH,-CH>-CH,-C0aH,  'NcH-CHj-COaH, 

CH3/ 

CH3 — CHjv  CHjv        yCHa 

>CH-CO,H,  >C< 

CU/  CH/      XJOjH. 

Vorkommen  und  Entstehungsweisen. 

Fettsäuren  finden  sich  zuweilen  in  freiem  Zustand  in  der  Natur. 
Viel  häufiger  aber  begegnet  man  ihnen  in  Form  von  Estern  —  Ver- 
bindungen, in  welchen  das  Hydroxylwasserstoffatom  der  Säure  durch 
Alkoholreste  vertreten  ist,  und  welche  leicht  durch  Verseifung  in  Säure 
und  Alkohol  gespalten  werden  können,  z.  B.: 

C8H,.CO.O.C8H„  +  HaO  =  CjH,.CO.OH  +  CsH^OH. 

Besonders  verbreitet  sind  die  Glycerinester  (Glyceride)  der  Fettsäuren; 
sie  leiten  sich  von  einem  dreiatomigen  Alkohol,  dem  Glycerin  C3Hß(OH)3, 

1  Ann.  US,  293. 
V.  Mmymm.  o.  Jaoobsom,  org.  Chemie.   I.  20 


Büdungsweiaen  der 


ab    and   bilden    einen   Hanptbestandtbeil  der   meietea   päanzlicben  imd 
thierischen  Fette.    . 

Fettsäuren  entstehen  femer  häufig  in  Gährungeprocessen,  so  die 
Essigsäure  aus  dem  Äetbjlalkohol ,  Buttersäure  und  Capronsänre  bei 
der  Öährung  von  müchsaurem  Kalk. 

Für  die  künstliche  Gewinnung  der  Fettsäuren  stehen  eine  grosse 
17. LI  — jj  Methoden  zu  Gebote. 

Debergang  von  den  Alkoholen  zu  den  um  ein  Kohlenstoff- 
eicheren Säuren:  Die  vdchtigste  der  hierzu  dienenden  Beac- 
-  die  Verseifung  der  Cyanide  zu  Carbonsäuren  durch 
i  mit  Alkalien  oder  Säuren  —  ist  schon  mehrfach  besprochen 
291—292,  296—297);  es  genügt  daher  hier,  an  diese  Keaction 
lem.  Zur  Verseifang  der  Nitrile  eignet  sich  in  manchen  Fällen 
re  gut  Erwärmen  mit  einem  Gemisch  von  3  Vol.  concentrirter 
Isäure  und  2  Vol.  Wasser  auf  etwa  100*". 
■ser  Uebergang  lässt  sich  indess  auch  durch  andere  Reactionen 
telligen,  welche  zwar  wegen  ihres  wenig  glatten  Verlaufs  keine 
te  Bedeutung  für  die  Darstellung  der  Fettsäuren  besitzen,  aber 
inder  interessant  und  lehrreich  für  die  Beurtheilung  ihrer  Con- 
sind. 

der  Einwirkung  von  Kohlenoxyd  auf  erhitzte  Aetz- 
n  oder  Natriumalkoholate*  entstehen  die  Alkalisalze  der 
ren,  so  aus  Aetzkalt: 

CO  +  HOK  =  H-CO-OK 
"  ameisensaures  Kalium,  aus  Natriummethylat: 

CO  +  CH.-ONa  =  CHi-CO-ONa 
'  essigsaures  Natrium,  aus  Natriumätbylat  propionsaures  Natrinin. 
höheren  Eeihen  verläuft  die  Reaction  viel  comphcirter. 
3  in  dieser  Reaction  sich  fettaaure  Alkalisalze  aus  AJkoholaten 
Ig-O-Na)  durch  Aufnahme  von  Kohlenoxyd  bilden,  so  entstehen 
den  Natriumalkylen  {wie  CjHj-Na)  durch  Aufnahme  von 
säure»  {vgl.  S.  282—283): 

C,H,.Na  +  CO,  =  C,H,CO,Nft. 

Aus  den  primären  Alkoholen  von  gleicher  Kohlenstoff' 
tstehen  die  Fettsäuren  durch  Oxydation,  z.  B.: 
CH,.Cn,-CH,.OH  +  0,  =  CHj.CH,.COOH  +  H,0. 
Veg  bietet  für  manche  Fettsäuren  eine  gute  Darstellungsmethode; 
lationsmittel  wird  in  der  Regel  ein  Gemisch  von  Kaliumbichroioat 

BCKDKTa  u.  Otto,  Ber.  10,  262. 

EETHBLOT,  Cotupt.  KüA.  41,  955.  —  Geuther,  Ann.  202,  288.  —  Vgl.  ferner 

Ann.  218,  56. 

'^AKKLYH,  Ann,  107,  125;  111,  234.  —  Winkltb  u.  Scbkkk,  Ann.  Sappl.  6,  120. 


Fettsäuren.  307 


und  verdünnter  Schwefelsäure  angewendet.  Die  Gruppe  — CH2(0H)  geht 
durch  diese  Eeaction  in  die  Carboxylgruppe — CO -OH  über;  eine  Zwischen- 
stufe in  dem  Oxydationsprocess  stellen  die  durch  die  Gruppe  — COH 
charakterisirten  Aldehyde  dar: 

CHaCHjCHjCOH)    -^ — >-      CHj.CH.CHO    >-      CHjCHaCOCOH); 

Alkohol  Aldehyd  Säure 

selbstverständlich  können  daher  Fettsäuren  auch  durch  Oxydation  der 
Aldehyde  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  erhalten  werden. 

Die  Oxydation  der  Alkohole  liefert  als  Nebenprodukte  Sftureester,  durch  Wech- 
selwirkung zwischen  der  entstandenen  Säure  und  dem  noch  unveränderten  Alkohol  sich 
bildend;  so  entsteht  z.  B.  aus  Butylalkohol  der  Buttersäurebutylester  C4H70-0 -04119; 
femer  treten  Verbindungen  vom  Typus  der  Acetale,  wie  OHg -011(0  «02115)5  (vgl. 
Acetale)  auf,  welche  ihre  Entstehung  der  Wechselwirkung  zwischen  Aldehyd  und 
Alkohol  verdanken.  Da  sowohl  die  Ester  wie  die  Acetale  in  Alkalien  nicht  löslich 
sind,  so  sind  die  in  Alkali  löslichen  Fettsäuren  leicht  von  ihnen  zu  trennen.  Zu- 
weilen erweist  es  sich  zweckmässig,  die  Oxydation  derart  zu  massigen,  dass  die 
SSureester  als  Hauptprodukt  entstehen,  und  aus  letzteren  dann  durch  Verseifiing  erst 
die  Fettsäuren  zu  gewinnen  ^. 

3.  Auch  ausSäuren  gleicherKohlenstoffzahl,  welche  anderen 
Reihen  angehören^  können  die  Fettsäuren  durch  geeignete  Eeactionen 
erzeugt  werden.  Aus  den  ungesättigten  einbasischen  Carbonsäuren  (Säuren 
der  Oelsäure-Reihe)  entstehen  sie  durch  Wasserstoffzufuhr  (mittelst  Natri- 
nmamalgam),  z.  B.  Propionsäure  aus  Akrylsäure*: 

CHj :  OH.OOjH  +  H,  =  OH, •  OH, •  00,H. 

Aus  Oxysäuren  gehen  sie  ebenfalls  durch  einen  Reductionsprocess  hervor, 
welcher  in  dem  Ersatz  der  Hydroxylgruppen  durch  Wasserstoff  besteht; 
so  kann  z.  B.  durch  Erhitzen  mit  Jodwasserstoff  die 

OH3  OHj 

Milchsäure:   OH(OH)     in  Propionsäure:    OH, 

I  I 

OOH,  OOjH 

übergeführt  werden*. 

4.  In  den  bisher  angeführten  Processen  entstehen  Fettsäuren  aus  Ver- 
bindungen von  gleicher  oder  geringerer  Kohlenstoffzahl.  Von  erheblicher 
Bedeutung  sind  einige  Bildungsprocesse  von  Fettsäuren  durch 
Spaltung  von  Verbindungen  höherer  Kohlenstoffzahl.  Die  wich- 
tigsten unter  diesen  gehen  vom  Acetessigester  und  der  Malonsäure  aus. 

Der  Acetessigester  CHg-CO-CHjCOg-CjHj  (vgl.  das  Kapitel 
„Ketonsäuren")  wird  durch  concentrirte  alkoholische  Kalilauge  haupt- 
sächlich im  Sinne  folgender  Gleichung: 

CH,.CO.:CH,.CO,.  OjHg  +  2K0H  =  OHs-OO-OK  +  OH^-OO-OK  +  O^Hg-OH 

gespalten;   unter  Abspaltung   der  Aethylgruppe   wird   er   zu  Acetessig- 


1  Vgl.  PiEBBE  u.  PucHOT,  Ann.  eh.  [4]  28,  366;  29,  229. 
*  TjxKKiuxSy  Ann.  126,  317.  '  Lautemann,  Ann.  113,  219. 

20* 


308  Bildungsweisen  der 

säure  CHj-CO-CHg-COjH  verseift,  welch  letztere  weiter  in  zwei  Molecüle 
Essigsäure  zerfällt  Nun  besitzen  die  Wasserstoflfatome  der  Methylen- 
gruppe ( — CHj — )  im  Acetessigester  die  Eigenschaft,  durch  Metallatome 
vertreten  werden  zu  können,  und  die  so  entstehenden  Metallverbindungen 
gehen  doppelte  Umsetzungen  mit  Halogenalkylen  ein: 

CH,.CO.CHNa.CO,.C,Ha  +  JCjHa  =  NaJ  4-  CH,.C0.CH(CsHß).C0,.CjH5. 

In  dieser  Weise  können  leicht  mono-  und  dialkylirte  Acetessigester,  wie 
CH3-CO-CH(C2H,).C03.C2Hß  oder  CH3.CO-C{C3Hß)2C03C2H5,  gewonnen 
werden,  deren  Zersetzung  durch  concentrirtes  alkoholisches  Kali  nun 
ganz  analog  der  Zersetzung  des  Acetessigesters  verläuft: 

CH, .  CO .  jCHCCgHj) .  COjj .  iCÄ  +  2  KOH  =  CHa  •  CO  •  OK+CH,(C,HJ  -  CO,K+ C^H.  •  OH; 
CH3 .  CO .  iCCCjjHft), .  COg .  C,Hö  +  2  KOH  =  CHj  •  CO  •  OK  +  CH(C,H5),  -  COjK+CjHs  •  OH. 

Während  vorher  aus  einem  Moleciil  Acetessigester  zwei  Molecüle  Essig- 
säure entstanden,  bildet  sich  jetzt  nach  der  Alkylirung  neben  einem 
Molecül  Essigsäure  ein  Moleciil  einer  einfach  oder  zweifach  alkylirten 
Essigsäure. 

Diese  früher  sehr  wichtige  Fettsäure-Synthese  besitzt  den  Nachtheil, 
dass  neben  der  ,, Säurespaltung"  des  alkylirten  Acetessigesters  stets  noch 
eine  andere  Zersetzung  —  die  sogenannte  „Ketonspaltung"  —  unter 
dem  Einfluss  des  Alkalis  eintritt  (Näheres  vgl.  im  Kapitel  „Ketonsäuren"). 
Sie  ist  jetzt  durch  die  nun  zu  besprechende  Malonsäureester-Methode 
sehr  zurückgedrängt  worden. 

Die  Malonsäure  COgH-CHg-COgH  spaltet,  wie  alle  Dicarbonsäuren, 
welche  zwei  Carboxylgruppen  an  dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden 
enthalten,  beim  Erhitzen  leicht  Kohlensäure  ab,  um  in  eine  Monocarbon- 
säure  —  die  Essigsäure  —  überzugehen: 

CÖ8HCHj.C0,H— CO,  =  HCHj.COjH 

^ 

CHß  •  COjH. 

/CO,C,H, 
In    dem    Malonsäureester   CHo^  besitzen   die   Wasser- 

\C03-C,H, 
Stoffatome  der  Methylengruppe,  ebenso  wie  die  entsprechenden  Wasser- 
stoffatome des  Acetessigesters,  die  Eigenschaft,  durch  Metallatome  ver- 
treten werden  zu  können.  Unter  Benutzung  der  so  entstehenden  Natrium- 
verbindungen des  Malonsäureesters  können  diese  Wasserstoffatome  wieder 
gegen  Alkylreste  ausgetauscht  werden;  man  gelangt  so  zu  Monalkyl- 
oder  Dialkylderivaten  des  Malonsäureesters: 

/CO2  •  02115  yOOj  •  C9H5 

CH8-CH<  (CH3)2  =  C< 

^COjCjHs  XJOj.CsHb 

welche  bei  der  Verseifung  die  einfach  oder  zweifach  alkylirten  Malon- 
säuren : 

xCOgH  /COjH 

CHs-CH<  (CH3)2=C< 

XJOjH  NjOjH 


Fettsäuren.  309 


liefern.  Diese  Alkylderiyate  der  Malonsäure  spalten  in  der  Hitze,  ebenso 
wie  die  Malonsäure  selbst,  ein  Moleciil  Kohlensäure  ab  und  gehen  in  die 
entsprechenden  AlkylderiTate  der  Essigsäure: 

CH, .  CH, .  CO,H  (CH3),CH  •  CO,H 

über. 

Acetessigester  und  Malonsäureester  sind  leicht  zu  beschaffende 
Materialien;  infolge  der  Verwendbarkeit  beliebiger  Halogenalkjle  lassen 
sich  die  besprochenen  Reactionen  in  mannigfacher  Weise  variiren.  Der 
durch  diese  Reactionen  gebahnte  Weg  zur  Darstellung  der  Essigsäure- 
Homologen  von  der  allgemeinen  Formel  CH^R-COgH  und  CHRg-COgH 
(R  =  Alkyl)  ist  daher  sehr  häufig  betreten  worden. 

Aus  gesftttigten  Dicarbonsäuren,  welche  nicht,  wie  die  Malonsäure 
und  die  alkylirten  Malonsäuren,  ihre  beiden  Carbozylgruppen  an  ein  und 
dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden,  sondern  durch  eine  grössere  Zahl  von 
Kohlenstoffifttomen  getrennt  enthalten,  lassen  sich  durch  partielle  Kohlensfiure- Ab- 
spaltung Monocarbonsäuren  zwar  nicht  direct  durch  Erhitzen,  aber  auf  andere  Weise 
gewinnen.    So  wird  z.  B.  aus 

CH,~COjH  CHg 

Bernsteinsfture     |  die  Propionsäure    | 

CH,— COjH  CH,— COjH 

erhalten,  wenn  man  ihre  Lösung  in  Gegenwart  von  Uranoxydsalzen  dem  Sonnen- 
lichte aussetzt^.  Von  grösserem  praktischen  Interesse  ist  es,  dass  sich  eine  solche 
partielle  Kohlensäure -Entziehung  durch  Erhitzen  der  Bariumsalze  mit  Natrium- 
methjlat  (CH,-ONa)  bewirken  lässt^ 

Ketone  liefern  bei  der  Oxydation  unter  Spaltung  der 
Kohlenstoffkette  ein  Gemisch  von  Fettsäuren  niederer  Kohlen- 
stoffzahl (vgl.  Kap.  11),  z.  B.: 

CioHjiCHjCOCHj  +  80  =  CioHjiCOOH  +  HO-COCHg. 

Diese  Eeaction  bietet  namentlich  für  die  höheren  Fettsäuren  zuweilen 

eine  gute  Darstellungsmethode,  wenn  man,  wie  in  dem  in  der  Gleichung 

gewählten  Beispiel,    ein  Keton  der  Oxydation  unterwirft,    das   in   zwei 

weit  auseinander  liegende  und   daher   leicht   zu   trennende  Glieder  der 

Fettsäure-Reihe   zerfällt;   als   Oxydationsmittel   wird   das  Gemisch   von 

Kaliumbichromat   und   verdünnter  Schwefelsäure  verwendet.     Auf  diese 

Reaction  lässt  sich  ein  Abbau   der  normalen  Fettsäuren   zu  den 

um   ein   Kohlenstoffatom   ärmeren   Gliedern   gründen.      Destillirt 

man  z.  B.  das  Calciumsalz  der  16  C- Atome  enthaltenden  Palmitinsäure 

CH3-(CH2)j^-C03H  (=  CißHggOg)  mit  Calciumacetat,   so  erhält  man  ein 

Keton  CH3-(CH2)j^-C0-CHg,    welches  nun  bei  der  Oxydation  die  Säure 

mit  15C-AtomenCH3-(CH2)i3-COjjH(=CißH3o02)  neben  Essigsäure  liefert « 

(Tgl.  S.  335—336). 

Die  Säuren  der  Oelsäure-Jßelhe  zerfallen  beim  Schmelzen  mit  Kali 
in  Fettsäuren  von  niederer  Kohlenstoffzahl.    Der  Zerfall  tritt  meist  an  der 


>  Seekamp,  Ann.  133,  253.  ^  Mai,  Ber.  22,  2136. 

»  Vgl.  Krafft,  Ber.  12,  1667,  1668. 


310  Allgemeine  Charakteristik  der  Fettsäuren, 


Stelle  der  doppelten  Bindung  ein;  bo  bilden  sich  z.  B.  aas  einem  Molecül  Crotonsänre 
CHg— CH  =  GH— COtH  zwei  Molecüle  Essigafture;  Näheres  s.  in  dem  Kap.  „unge- 
sättigte Säuren''. 

Allgemeine  Charakteristik. 

Die  niederen  Glieder  der  Fettsäure-Reihe  sind  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  bewegliche  Flüssigkeiten  von  stechendcitoi  Geruch,  welche  in 
der  Kälte  krystallinisch  erstarren;  sie  lösen  sich  letcht  in  Wasser  und 
reagiren  stark  sauer.  Die  mittleren  Glieder  sind  ölige  Flüssigkeiten 
von  unangenehmem  Geruch,  in  Wasser  weniger  löslich.  Die  höheren 
Glieder  sind  bei  gewöhnlicher  Temperatur  fest,  geruchlos  und  in  Wasser 
nicht  löslich.  Sie  besitzen  nicht  mehr  saure  Eeaction,  bilden  aber 
ebenso  wie  die  niederen  Glieder  Salze.  Sämmtliche  Fettsäuren  sind  in 
Alkohol  und  Aether  leicht  löslich.  Die  niederen  Glieder  sind  mit  Wasser- 
dämpfen leicht  flüchtig;  auch  für  sich  können  die  Säuren  der  niederen 
Reihen  destillirt  werden,  während  die  kohlenstoflfreicheren  Säuren  —  etwa 
von  der  zwölften  Reihe  ab  —  nur  im  luftverdünnten  Raum  ohne  Zer- 
setzung übergehen. 

Die  Tabelle  Nr.  14  auf  S.  312  giebt  eine  Uebersicht  über  die  physi- 
kalischen Eigenschaften  der  wichtigsten  Fettsäuren.  Man  ersieht  daraus, 
dass  das  speciflsche  Gewicht  mit  steigendem  Moleculargewicht  fallt.  Die 
Säuren  der  niederen  Reihen  haben  ein  verhältnissmässig  hohes  speci- 
fisches  Gewicht;  bei  der  Kleinheit  ihrer  Atomzahl  ist  die  Gegenwart 
von  zwei  Sauerstoffatomen  in  ihrem  Molecül  ein  Umstand,  welcher  ihre 
Eigenschaften  in  hohem  Grade  beeinflussen  muss.  Die  höheren  Glieder 
aber  besitzen  in  ihrem  Molecül  eine  so  grosse  Zahl  von  Kohlenstoff- 
atomen und  Wasserstoffatomen,  dass  der  Einfluss  des  Vorhandenseins 
zweier  Sauerstoffatome  zurücktreten  wird;  sie  nähern  sich  in  ihren  physi- 
kalischen Eigenschaften  den  Paraffinen.  —  Eine  eigenthümliche  Regel- 
mässigkeit, die  auch  bei  anderen  Verbindungsklassen  zuweilen  beobachtet 
wird,  tritt  bei  der  Betrachtung  der  Schmelzpunkte  der  Säuren  von  der 
8.  bis  20.  Reihe  hervor.  Beim  Aufsteigen  von  einer  Reihe  zur  nächst^ 
höheren  flndet  man  ganz  regelmässig  abwechselnd  ein  Sinken  und  Steigen 
des  Schmelzpunktes.  Eine  Säure  mit  einer  paaren  Anzahl  von  Kohlen- 
stoffatomen schmilzt  stets  höher  als  die  nächste  zwar  um  ein  Kohlen- 
stoffatom reichere,  aber  einer  unpaaren  Reihe  angehörige  Säure;  dagegen 
steigen  innerhalb  der  paaren  Reihen  einerseits  und  der  unpaaren  Reihen 
andererseits  die  Schmelzpunkte  constant  mit  wachsendem  Kohlenstoff- 
gehalt. 

Bezüglich  der  Affinitätsgrösse  besteht  zwischen  dem  ersten  Gliede 
—  der  Ameisensäure  —  und  den  Homologen  ein  grosser  Abstand;  die 
Ameisensäure  ist  etwa  12  mal  stärker  als  die  Essigsäure.  Die  aus  dem 
elektrischen  Leitvermögen  abgeleiteten  Affinitätsconstanten  der  ersten 
Glieder  zeigen  folgende  Verhältnisse  (Ostwald): 


Chemisches  VerhaUen  der  Fettsäuren,  311 


för  Ameisensäure 0-02140 

Essigsäare 000180 

Propionsäure 0-00184 

Buttersäure 0-00149 

Isobuttersäure 0-00144 

Valeriansäure 0-00161 

Gapronsäure 0-00145. 

Die  zahlreichen  chemischen  Umwandlungen,  welche  die  Fettsäuren 
eingehen  können,  beruhen  zum  Theil  auf  der  Reactionsfähigkeit  ihrer 
Hydroxylgruppe.  Von  der  Salzbildung  durch  Vertretung  des  Hydroxyl- 
waÄserstoflFatoms  ist  schon  die  Rede  gewesen  (S.  302 — 303).  Wie  durch 
Metallatome,  so  kannjenes  Wasserstoffatom  auch  durch  Alkylreste  vertreten 
werden;  es  entstehen  so  die  Ester  der  Fettsäuren,  wie  CHj-CO-O-CaHg. 
Dieser  Esterificirungsprocess  tritt  z.  B.  ein,  wenn  man  auf  ein  Ge- 
misch der  Fettsäure  mit  einem  Alkohol  concentrirte  Schwefelsäure  oder 
Salzsäure  einwirken  lässt: 


CH,-CO.OH  +  OH.CjHg  =  HjO  +  CHs-CO-O-C.Hj. 

Die  Hydroxylgruppe  der  Säuren  wird  ferner  ebenso  leicht  wie  die 
Hydroxylgruppe  der  Alkohole  bei  der  Einwirkung  von  Halogenverbin- 
dnngen  des  Phosphors  durch  Halogenatome  ersetzt,  z.  B.: 

3CH3.CO.OH  +  PCls  =  SCHa-CO-Cl  +  P(0H)8; 

so  entstehen  die  Säurechloride  (bezw.  -bromide  und  -Jodide). 

Auch  gegen  die  Amidgruppe  kann  sie  leicht  ausgetauscht  werden. 
Die  Säureamide  bilden  sich  direct  aus  den  Ammoniumsalzen  der  Säuren 
durch  Wasserabspaltung  beim  Erhitzen,  z.  B.: 

CHj.CO.O-NH^-HjO  =  CH,.CO.NHj. 

Bei  der  Einwirkung  von  Schwefelphosphor  wird  die  Hydroxylgruppe 
in  die  Sullhydrylgruppe  verwandelt;  es  bilden  sich  die  Thiosäuren, 
z.  B.  aus  Essigsäure  CHg-CO-OH  die  Thioessigsäure  CHg-CO-SH. 

Das  Calciumsalz  einer  höheren  Fettsäure,  mit  ameisensaurem  Calcium 
destillirt,  liefert  den  Aldehyd  von  gleicher  Kohlenstoffzahl,  indem  die 
Hydroxylgruppe  durch  Wasserstoff  ersetzt  wird,  die  Gruppe  — CO -OH 
demnach  in  — COH  übergeht: 

CHs-CO-Öca  +  H-iCO-Oca  =  CHs-CO-H  +  CaCOg. 

(ca=  V2Ca.) 

Bei  der  Destillation  des  Calciumsalzes  einer  Fettsäure  für  sich  oder  mit 
dem  Calciumsalz  einer  anderen  Alkylcarbonsäure  findet  ein  Ersatz  der 
Hydroxylgruppe  durch  einen  Alkylrest  statt;  so  entstehen  die  Ketone: 

2CH3.CO.Oca  =  CHj-COCHs  +  CaCOs; 
CHsCO-  Öca;  +  CjHb -CO-Oca.  =  CH^COCgHe  +  CaCOa- 
Eine  Reduction  der  Carboxylgruppe  zur  Methylgruppe  lässt  sich  bei 


\ 


312 


Tabellarische  Uebersicht  über  die  Fettsättren, 


Tabelle  Nr.  14.  ^ 


Zu- 

Bammen- 

setzung 

CH,0, 

C4Hg02 

CftHioOj 

CeHijOj 
CgHjeO, 

CgHigOg 

CijH,40j| 
CjgHjgO, 

CjgHggOj 

C14H48O2 
CJ7H64OJ1 


Name 


Ameisensäure 

Essigsäure 

Propionsäure 

Buttersäure  (norm.)   .  . 

Isobuttersäure 

Valeriansäure  (norm.)  . 
Isovaleriansänre 

Methjläthylessigsäure  . 

Trimethylessigsäure  .  . 
Capronsäure  (norm.)  .  . 
Oenanthylsäure  (norm.) 
Caprylsäure  „ 

Pelargonsäure  „ 
Caprinsäure  „ 

ündecylsäure'  „ 
Laurinsäure  „ 

Tridecylsäure  „ 

Myristinsäure  „ 

Pentadecylsäure  „ 
Palmitinsäure  „ 
Margarinsäure  „ 
Stearinsäure  „ 

Nondecylsäure  „ 
Arachinsäure  ,, 

Behensäure 

Lignocerinsäure 

Hyänasänre 

Cerotinsäure 

Melissinsäure 


Structur  des  mit 
der  Carboxyl- 

gruppe  verbun- 
denen Restes 


H— 

CHs- 

CH3 — GHg 

CHj — (CHj)^ — 

(C!H,),=-CH- 

CH,-(CH,),- 

(CH,),— CHCH, 

CHjv 

>CH- 

c.h/ 

(CH,),^J- 
CH,-(CH,),- 
CH,-(CH,),- 
CHj — (CHj)e — 
CHg — (0114)7 — 
CHg — (CH2)8 — 
CHj — (CHj)9 — 
CHj — (CHj)io — 
CHg— (CHJ),l— 
CH8— (CHjJig— 
CHg — (CHg\g — 
CHg— (CH2)i4— 
CHg— (CHg)i5— 
CHg— (CHg)!^— 
CHg-(CH,)„- 
CHg— (CH2)i8— 


Schmelz- 
punkt 


+  8.8« 
+  16. 5<» 

4  bis -2« 


+  35-4« 
—  1.5» 
—10.5« 
+  16-5« 
+  125« 
+31-4« 

28« 

44« 

40-5« 

64« 

51« 

60«     , 

60« 

68« 

66-5« 

75« 

75« 

80« 
85—90« 

78« 

90« 


/ 


Siede- 
punkt 


101« 
118« 
141« 
162« 
154« 
185« 
174« 

177« 

164« 
205« 
223« 
236« 
186« 
200« 
212« 
225« 
286« 
248« 
257« 
268« 
277« 
287« 
298« 


g 


B 
B 


Specifisches 
Gewicht 


1 
^l 
1 
0 
0 
0 
0 


0 
0 
0 
0 
0 
0 

0 

0 

0 

0 


231  (10«)  - 

052(16-5«) 

018(0«) 

978 

965 

956 

947 


>» 


» 


»I 


)f 


941  (21«) 

905  (50«) 
945(0«) 
931    „ 
911  (20«) 
911  (12«) 
980  (87^ 


875 
862 
853 
845; 


r 

B 

g- 

B 

er 


^  Ueber  d.  physik.  Constanten  der  Fettsäuren  vgl.  besonders  Zaitder,  Ann.  224, 
56.  Krafft,  Ber.  15,  1687.  —  S.  femer  die  Citate  bei  d.  spec.  Besprechung  der 
Säuren  S.  313—339. 

■  Die  Bezeichnungen  „Undecylsäure,  Tridecylsäure  u.  s.  w."  sind  die  in  der 
Literatur  gebräuchlichen;  sie  sind  daher  hier  beibehalten,  obwohl  sie  eigentlich  irra- 
tionell sind.  Denn  in  der  sogenannten  Undecylsäure  ist  gar  kein  Undecylradical  Cj^H^ 
enthalten;  sie  sollte  vielmehr  als  Decylcarbonsäure  CjoHgi-COgH  oder  als  Undecoyl- 
säure  CnlIgiO-OH  bezeichnet  werden. 


Chemiacfies  Verhalten  der  Fettsäuren.  313 


den  kohlenstoffreichen  Fettsäuren  durch  fortgesetztes  Erhitzen  mit  Jod- 
wasserstoffsäure und  Phosphor  bewirken  (vgl.  S.  124): 

CjftHjj.CO.OH  +  6HJ  =  CijHji.CHa  +  2H,0  +  6J. 

Eis  entsteht  so  das  Paraffin  von  gleicher  Eohlenstoffzahl. 

Die  besprochenen  Beactionen  stellen  Umwandlungen  der  Carboxyl- 
'gmppe  dar;  der  mit  der  Carboxylgruppe  verbundene  Alkylrest  wird  durch 
dieselben  nicht  verändert.  Der  letztere  Theil  des  Fettsäuremolecüls  tritt 
dagegen  in  Beaction  bei  der  Einwirkung  der  Halogene.  Chlor  und 
Brom  bewirken  eine  Substitution  von  Wasserstoffatomen  des  Alkyl- 
restes,  während  die  Carboxylgruppe  intact  bleibt: 

CH3.CO.OH  -r  Clj  =  CHjClCOOH  4-  HCl; 
CH,.CHj.CO.OH  +  Br,  =  CHj.CHBr.COaH  +  HBr. 

Es  muss  endlich  an  diejenigen  Beactionen  erinnert  werden  ^  bei 
welchen  eine  Loslösung  der  Carboxylgruppe  von  dem  Alkylrest 
stattfindet.  Die  Produkte  dieser  Processe  sind  Kohlenwasserstoffe  der 
Grenzreihe;  die  Beactionen  sind  daher  schon  bei  den  Bildungs weisen  der 
Paraffine  besprochen.  Die  Abspaltung  der  Carboxylgruppe  kann  durch 
Glühen  der  Alkalisalze  mit  Natronkalk  oder  Aetzbaryt  bewirkt  werden 
(vgl.  S.  125): 

CH,.  CÖONä  +  NaÖ.  H  =  CHs-H  +  Na^COa; 

CH, 

an  Stelle  der  Carboxylgruppe  tritt  Wasserstoff,  und  es  entsteht  der  um 
ein  Kohlenstoffatom  ärmere  Kohlenwasserstoff.  Sie  erfolgt  femer  bei  der 
Elektrolyse  der  Fettsäuren^  oder  ihrer  Salze  in  wässriger  Lösung; 
aus  ihren  Anionen,  wie  CHg — COg — ,  löst  sich  Kohlensäure  ab,  und  der 
freiwerdende  Alkylrest  vereinigt  sich  mit  einem  gleichartigen  zu  einem 
Paraffin ;  aus  einer  Säure  mit  n  C- Atomen  wird  daher  ein  Paraffin 
mit  2  (n — 1)  C-Atomen,  aus  Essigsäure  (CjH^Og)  Aethan  (C^Hg),  aus  Pro- 
pionsäure (CjHgOg)  Butan  (C^Hj^)  etc.  (vgl.  S.  126—127).  Daneben  aber 
findet  eine  Einwirkung  des  Anions  auf  das  Lösungswasser  statt,  z.  B. 

2CH,.C0.0-  +  HaO  =  2CH,.C0.0H  +  0; 

der  infolgedessen  frei  werdende  Sauerstoff  verbrennt  einen  Theü  des 
Anions  vollständig  zu  Kohlensäure  und  Wasser.  Die  Homologen  der 
Essigsäure  liefern  bei  der  Elektrolyse  ferner  Kohlenwasserstoffe  der 
Aethylenreihe,  welche  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmer  sind.  So  entsteht 
Aethylen  (CjHJ  aus  Propionsäure,  Propylen  (CgHg)  aus  Buttersäure. 

Die  einzelnen  Glieder. 

AmelsensSure:  CILO«  =  H— Cc  Die  Ameisensäure  ist  eine 

^  '  \0H. 

der    am   längsten   bekannten   organischen  Säuren;    schon   im   17.  Jahr- 

*  KoLBE,  Ann.  69,  257.  —  Bourqoin,  Ann.  eh.  [4]  14,  157.  "—  Jahx,  Wibdem. 
Ann.  37,  408.  —  Bükoe,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  5,  192. 


314  Ameisensäure  (BildtmgsprocesseJ. 


hundert  machte  man  die  Beobachtung,  dass  in  den  Ameisen  eine  eigen- 
thümliche  Säure  enthalten  sei.  Von  diesem  Vorkommen  hat  die  Säure 
ihren  Namen  erhalten;  doch  begegnet  man  ihr  auch  sonst  häufig  in  der 
Natur,  so  findet  sie  sich  z.  B.  in  Raupen^  und  in  den  Brennnesseln' 
(das  eigentliche  Gift  der  Nessel-Brennhaare  ist  indessen  nicht  Ameisen- 
säure, scheint  vielmehr  eine  enzym-ähnliche  Substanz^  zu  sein).  In  jedem 
rohen  Honig  kann  Ameisensäure  nachgewiesen  werden^;  sie  gelangt  in 
denselben  durch  den  Stachel  der  Bienen. 

Sehr  zahlreich  sind  die  Beactionen,  durch  welche  eine  künstliche 
Bildung  der  Ameisensäure  bewirkt  werden  kann.  Der  Cyanwasserstoff 
H-CN  ist  das  Nitril  der  Ameisensäure  und  geht  demgemäss  durch  „Ver- 
seifung" (vgl.  S.  296 — 297)  unter  der  Einwirkung  von  Säuren  oder  Al- 
kalien in  Ameisensäure  über*: 

H.C=N  +  2HjO  =  H.C<f       +  NHs, 

Der  Methylalkohol  CHg-OH  liefert  durch  Oxydation  Ameisensäure,  indem 
als  Zwischenstufe  der  Formaldehyd  CH^O  entsteht.  —  Chloroform  CHCI3 
giebt  beim  Erwärmen  mit  Alkalien®  die  ameisensauren  Alkalien: 

CHClg  +  4K0H  =  3KC1  +  CHO-OK  +  2H,0; 

Chloral  spaltet  sich  bei  der  Einwirkung  wässriger  Alkalien  in  Chloroform 
und  ameisensaures  Salz^: 

CCls-COH  +  HOK  =  CC1,H  +  HCOOK. 

Von  besonderem  Interesse  sind  eine  Anzahl  von  Reactionen,  in  denen 
die  Ameisensäure  aus  anorganischen  Materialien  hervorgeht.  Es 
ist  bereits  die  von  Berthelot®  entdeckte  Bildungsweise  der  ameisensauren 
Alkalien  bei  der  Einwirkung  von  Kohlenoxyd  auf  befeuchtete  Alkali- 
hydrate erwähnt  worden  (S.  306);  diese  Reaction: 

CO  +  KOH  =  HCOOK 

erfolgt  sehr  langsam  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur;  auch  bei  100® 
erfordert  sie  noch  verhältnissmässig  lange  Zeit;  dagegen  wird  bei  160** 
trockenes  Natriumhydroxyd  sehr  leicht  in  Natriumformiat  übergeführt®; 
besonders  günstig  verläuft  der  Process,  wenn  man  das  Aetznatron  in  Form 
von  lockerem  Natronkalk,  das  Kohlenoxyd  feucht  anwendet  und  die  Tem- 
peratur auf  etwa  200®  (aber  nicht  über  220®)  steigert^®.  Die  Bildung  der 
Ameisensäure  ist  dann  eine  so  rasche  und  reichliche,  dass  man  daran 
denken  könnte,  auf  diesen  Weg  eine  fabrikmässige  Darstellung  zu 
gründen. 


»  Will,  Jb.  1847/48,  546.  •  Gorup,  J.  pr.  48,  191. 

*  Haberlandt,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  Bd.  93  (L  Abth.),  180. 

*  A.  Vogel,  Ber.  15,  2271.  *  Geiger,  Ann.  1,  54.  —  Pklouze,  Ann.  2,  84. 

*  Dumas,  Ann.  eh.  56,  120.  '  Liebig,  Ann.  1,  198. 

8  Ann.  97,  125.  —  Ann.  eh.  [3]  61,  463.  »  Geüther,  Ann.  202,  317. 

"  Merz  u.  Tibirioa,  Ber.  13,  23. 


Ameisensäure  (Büdungsprocesse),  315 


Wie  in  dem  eben  besprochenen  Process  Ameisensäure  durch  Zu- 
sammentritt von  Kohlenoxyd  und  Wasser 

/       H         /H 

\       OH       \0H 

erzeugt  wird,  so  kann  man  sie  sich  aus  der  Kohlensäure  durch  An- 
lagerung von  Wasserstoff: 


< 


0  .H 

+  H,  =  C0< 

\0H 


hervorgehend  denken.  Die  Ameisensäure  kann  als  das  erste  Reductions- 
produkt  der  Kohlensäure  aufgefasst  werden;  vielleicht  besitzt  sie  in 
dieser  Eigenschaft  eine  hervorragende  Bedeutung  als  Zwischenglied  in 
den  chemischen  Metamorphosen  des  Pflanzenorganismus,  welche  ja  in 
einem  Reductionsprocess  der  Kohlensäure  zu  complicirteren  Kohlenstoflf- 
verbindungen  bestehen.  Jedenfalls  ist  die  Thatsache,  dass  ein  solcher 
Reductionsprocess  der  Kohlensäure  wirklich  ausführbar  ist,  von  ausser- 
ordentlicher Wichtigkeit.  Der  Nachweis  desselben  gelang  zuerst  Kolbe 
und  Schmitt^;  sie  liessen  Kalium  unter  einer  mit  lauwarmem  Wasser 
abgesperrten  und  mit  Kohlensäure  fortwährend  gefüllt  gehaltenen  Glas- 
glocke in  dünner  Schicht  ausgebreitet  stehen;  nach  24  Stunden  hatte 
sich  das  Kalium  in  ein  Gemisch  von  Kaliumbicarbonat  und  Kalium- 
formiat  umgewandelt: 

2K  +  2C0,  +  HjO  =  KHCOs  +  HCOjK. 

Ameisensäure   entsteht   femer,    wenn    man   Natriumamalgam    auf    eine 

Lösung  von  kohlensaurem  Ammon  *  oder  auf  Lösungen  von  Bicarbonaten  ^ 

einwirken  lässt,  auch  wenn  man  Wasser  unter  Einleiten  von  Kohlensäure 

elektrolysirt*. 

Erhitzt  man  Schwefelkohlenstoff  mit  Wasser  und  Eisenfeile  auf  100^,  so 
bfldet  sich  ameisensaures  Eisenozydul'. 

Wenn  die  Ameisensäure  eben  als  das  erste  Reductionsprodukt  der 
Kohlensäure  aufgefasst  wurde,  so  erscheint  sie  demgemäss,  wenn  man 
umgekehrt  den  Process  der  Oxydation  complicii'terer  organischer  Sub- 
stanzen zu  Kohlensäure  ins  Auge  fasst  und  ihn  in  einzelne  Phasen  zer- 
legt denkt,  als  die  letzte  Etappe  auf  dem  Wege  zur  völligen  Verbren- 
nung. Die  Kohlensäure  kann  als  das  letzte,  die  Ameisensäure  als  das 
vorletzte  Oxydationsprodukt  organischer  Substanzen  bezeichnet  werden. 
In  der  That  begegnet  man  der  Ameisensäure  sehr  häufig  bei  der  Oxy- 
dation organischer  Stoffe;  so  ist  sie  u.  a.  bei  der  Oxydation  von  Zucker, 
Stärkemehl,  Holzfaser,  Alkohol  mit  Braunstein  und  Schwefelsäure®  er- 
halten worden. 


»  Ann.  U9,  251.  *  Maly,  Ann.  136,  119.  »  Ballö,  Ber.  17,  7. 

*  Roter,  Compt  rend.  70,  731.  *  Loew,  Ber.  13,  324. 

*  DObereiner,  Ann.  3,  144.  —  Gmeli»,  Pooo.  16,  55.  —  Liebiq,  Ann.  17,  70. 


316  Am&isensäwe  (Darstellung), 


Alle  bisher  erwähnten  Bildungsweisen  der  Ameisensäure  werden 
indess  zu  ihrer  Darstellung  gegenwärtig  nicht  benutzt.  Die  zweck- 
mässigste  Darstellungsmethode  der  Ameisensäure  gründet  sich 
auf  die  Zersetzung  der  Oxalsäure  in  Kohlensäure  und  Ameisen- 
säure: 

CO. OH         H 

I  =1  +  CO.. 

CO. OH  CO. OH 

Diese  Zersetzung  kann  durch  directes  Erhitzen  der  Oxalsä^ire  für  sich  ^, 
aber  nur  unvollkommen,  bewirkt  werden;  sie  erfolgt  auch  schon  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur,  wenn  man  eine  wässrige  Lösung  von  Oxalsäure 
in  Gegenwart  von  etwas  üranoxyd  dem  Sonnenlichte  aussetzt*.  Ausser- 
ordentlich glatt  aber  vollzieht  sie  sich,  wenn  man  Oxalsäure  mit  Gly- 
cerin^  oder  einem  anderen  mehratomigen  Alkohol*  auf  etwa  100*^  er- 
hitzt. Die  Bolle  des  mehratomigen  Alkohols  besteht  bei  diesem  Process 
darin,  dass  er  mit  der  aus  der  Oxalsäure  abgespaltenen  Ameisensäure 
einen  Ester  bildet,  welcher  in  einer  späteren  Phase  des  Processes  die 
Ameisensäure  unter  Rückbildung  des  Alkohols  wieder  austreten  lässt. 
Erhitzt  man  z.  B.  Glycerin  C3Hg(0H)g  mit  krystallisirter  Oxalsäure  CjH^O^ 
+  2H2O,  so  spaltet  sich  die  Oxalsäure  in  Kohlensäure,  welche  entweicht, 
und  Ameisensäure,  welche  vom  Glycerin  gebunden  wird,  und  es  destillirt 
Wasser  mit  nur  wenig  Ameisensäure  ab: 

CsH^COH)«  +  C,0,H,  +  2H80  =  C,H,jgg^^^^  +  CO,  +  3H,0; 

trägt  man  nun  aufs  Neue  krystallisirte  Oxalsäure  ein,  so  spaltet  sich  der 
Glycerin-Ameisensäureester  unter  der  Einwirkung  des  in  der  Oxalsäure 
enthaltenen  Krystallwassers : 

in  Ameisensäure,  welche  abdestillirt,  und  Glycerin,  welches  zurückbleibt 
und  nun  wieder  im  Stande  ist,  die  durch  Zersetzung  der  Oxalsäure  ent- 
stehende Ameisensäure  als  Ester  zu  binden.  Bei  dem  Zusatz  einer 
neuen  Menge  Oxalsäure  wiederholt  sich  derselbe  Vorgang,  und  so  fort; 
es  ist  daher  ersichtlich,  dass  eine  geringe  Menge  Glycerin  ausreicht,  um 
eine  grosse  Menge  Oxalsäure  in  dieser  Weise  zu  zersetzen;  die  Wir- 
kungsweise des  Glycerins  ist  ganz  ähnlich  derjenigen  der  Schwefelsäure 
bei  dem  Bildungsprocesse  des  Aethers  (vgl.  S.  191).   (Statt  des  Glycerin- 

monoformins  Cs^e/OH^  ^^^  vielleicht  das  Diformin  CJjHjIqJt.  '*  als 
Zwischenprodukt  anzunehmen  ^.) 


*  GrAY-LussAc,  Ann.  eh.  [2]  46,  218.  —  Lorin,  Compt.  rend.  98,  1145. 

'  Seekamf,  Ann.  122,  113. 

'  Berthelot,  Ann.  98,  139.  *  Lorin,  Ann.  eh.  [4]  29,  867. 

^  V.  EoMBURQH,  Compt.  rend.  93,  847. 


Ameisensäure  (Darstellung  und  Eigenschaften),  317 


Darstellung  der  Ameisensfture^  Man  fügt  zu  Glycerin,  welches  bei  175® 
entwässert  wurde,  die  gleiche  Menge  krystallisirter  Oxalsäure  und  erhitzt  allmählich 
auf  100 — 105®;  unter  lebhafter  Kohlensäure-Entwickelung  destillirt  eine  sehr  ver- 
dünnte Ameisensäure  über;  nach  Beendigung  der  lebhaften  Kohlensäure-Entwickelung 
lässt  man  auf  etwa  50®  erkalten,  fügt  wieder  die  gleiche  Menge  krystallisirter  Oxal- 
säure zu  und  erhitzt  von  Neuem  auf  100 — 105®  bis  zum  Nachlassen  der  Kohlensäure- 
Entwickelung,  wobei  man  nun  eine  stärkere  Säure  als  Destillat  auffängt;  nach  dem 
Erkalten  kann  eine  neue  Menge  Oxalsäure  zugegeben,  und  beliebig  lange  in  dieser 
Weise  fortgefahren  werden.  Bei  den  späteren  Zusätzen  wird  die  abdestillirende  Säure 
stärker;  man  erhält  im  Mittel  eine  Säure  von  etwa  56®/o,  entsprechend  dem  Aeqni- 
valentverhältniss  CHsOa  +  2H,0. 

Arbeitet  man  mit  entwässerter  Oxalsäure,  so  erhält  man  eine  Säure  von  durch- 
schnittlich 88—92  ®/o. 

Für  die  Darstellung  sehr  reiner  Ameisensäure  empfiehlt  es  sich,  das  Glycerin 
durch  Mannit  zu  ersetzen. 

Um  aus  verdünnter  Säure  die  wasserfreie  Säure  zu  gewinnen,  bereitet  man 
durch  Neutralisation  ndt  kohlensaurem  Blei  das  ameisensaure  Blei  und  erhitzt  das 
scharf  getrocknete  Salz  im  Schwefel wasserstrom  auf  130®,  wobei  die  wasserfreie 
Säure  übergeht,  während  Schwefelblei  zurückbleibt*.  Dieses  Verfahren  ist  indess 
unbequem  und  liefert  keine  gute  Ausbeute;  auch  ist  die  erhaltene  Säure  durch  übel- 
riechende Produkte  verunreinigt.  Viel  besser  ist  es,  die  verdünnte  Säure  zunächst 
durch  Destillation  unter  Verwerfung  der  zuerst  übergehenden  schwächeren  Säure 
auf  eine  Stärke  von  etwa  75®/o  zu  bringen  (vgl.  unten)  und  in  dieser  Säure  dann 
unter  Erwärmen  entwässerte  Oxalsäure  aufzulösen;  beim  Erkalten  krystallisirt  nun 
wasserhaltige  Oxalsäure  aus,  und  man  erhält  beim  Destilliren  der  davon  abgegossenen 
Flüssigkeit  fast  wasserfreie  Ameisensäure.  —  Verdünnte  Säure  lässt  sich  femer  durch 
Destillation  mit  concentrirter  Schwefelsäure  unter  vermindertem  Druck  verstärkend 
Man  hat  dabei  zu  beachten,  dass  die  Quantität  der  Schwefelsäure  stets  niedriger 
bemessen  wird,  als  dass  sie  mit  dem  Wasser,  welches  die  Ameisensäure  enthält,  das 
Hydrat  H^SO«  -f-  H,0  bilden  könne,  und  dass  die  Temperatur  niemals  über  75  ®  steige. 

Die  wasserfreie  Ameisensäure  ist  eine  farblose,  schwach  rauchende 
Flüssigkeit  von  stechendem  Geruch;  sie  ist  eine  der  ätzendsten  Sub- 
stanzen; ein  Tropfen,  auf  eine  weiche  Stelle  der  Haut  gebracht,  ver- 
ursacht unerträgliche  Schmerzen  und  schliesslich  die  Bildung  einer 
schmerzhaft  eiternden  Wunde;  ihre  physikalischen  Constanten  siehe  in 
der  Tabelle  Nr.  14  (S.  312).  —  Wässrige  Ameisensäure  verhält  sich 
beim  Sieden  wie  wässrige  Mineralsäuren;  man  erhält,  ob  man  von 
schwächerer  oder  stärkerer  Säure  ausgeht,  durch  wiederholte  Destillation 
eine  Säure  von  bestimmter  Concentration  und  constantem  Siedepunkt; 
die  Zusammensetzung  dieser  constant  siedenden  wässrigen  Säure  ^  ist  vom 
Druck  abhängig;  bei  gewöhnlichem  Druck  enthält  sie  77-57o  Ameisen- 
saure und  siedet  bei  107-1  ^  —  Ameisensäure  wirkt  kräftig  anti- 
septisch ^ 

Die  Salze  der  Ameisensäure  (Formiate)®  sind  alle  in  Wasser  löslich  und 
meist  gut   krystallisirbar.    Das   Raliumsalz  CHOjK   ist   an   der  Luft  zerfliesslich 


»  VgL  LoMN,  Ann.  eh.  [4]  29,  367.  —  Jb.  1875,  505.  —  Bull.  37,  104. 

*  LiEBiQ,  Ann.  17,  69.  '  MAanENNE,  Bull.  50,  662. 

*  BoscoE,  Ann.  125,  320.  *  Jodin,  Compt.  rend.  61,  1179. 

*  SoucHAY  u.  Groll,  J.  pr.  76,  470.  —  Barfoed,  Ztschr.  Chem.  1870,  272. 


318  Ameisensäure  (Salze,  chemisches  VerhaUen). 


und  krystallisirt  schwierig,  leichter  krjetallisirt  das  ebenfalls  in  Wasser  leicht  lös- 
liche Natriumsalz  GHO,Na.  Das  Bariumsalz  (GHO,)sBa  löst  sich  in  4—5  Tk, 
das  Calciumsalz  (CHOs),Ca  in  8—10  Th.  kalten  Wassers;  das  Magnesiumsalz 
(CH0,)8Mg  +  2H,0  ist  in  etwa  13  Th.  Waaser  löslich.  Das  Bleisalz  (CHOj,Pb 
löst  sich  in  63  Th.  Wasser  von  16®  und  in  ö»/«  Th.  Wasser  von  100®;  dieses  in 
kaltem  Wasser  schwer  lösliche  Salz  eignet  sich  besonders  zur  Charakterisirung  der 
Ameisensäure;  wo  Ameisensäure  nachgewiesen  werden  soll,  führt  man  sie  am  besten 
in  das  Bleisalz  über  und  analysirt  dieses.  Das  Silbersalz  CHOgAg  wird  beim  Ver- 
mischen von  concentrirten  Lösungen  der  ameisensauren  Alkalien  mit  Silbemitrat 
als  weisser  krystallinischer  Niederschlag  erhalten,  zersetzt  sich  aber  wegen  des  Reduc- 
tionsvermögens  der  Ameisensäure  (s.  unten)  sehr  leicht  unter  Abscheidung  von  metal- 
lischem Silber;  aus  demselben  Grunde  geht  auch  dasQuecksilberozydsalz  (CH08),Hg 
schon  bei  geringer  Erwärmung  in  das  Quecksilberoxydulsalz  (CH0s)sHg2  über, 
und  letzteres  scheidet  beim  Erwärmen  seiner  Lösung  Quecksilber  ab. 

Die  Salze  der  Ameisensäure  werden  beim  Erhitzen  zer- 
setzt^. Die  Alkalisalze  liefern  bei  raschem  Erhitzen  unter  Luftabschluss 
auf  über  400*^   unter  Entwickelung  von  WasserstoflF  reichlich  oxalsaure 

Salze: 

CO.ONa 
2H.C0.0Na  =  H,  -f-  | 

COONa; 

bei  niederer  Temperatur  entstehen  hauptsächlich  Carbonate;  die  Salze 
der  alkalischen  Erden  scheinen  beim  Erhitzen  unter  allen  Umständen 
nur  kohlensaure  Salze  zu  liefern. 

Ein  Uebergang  von  Ameisensäure  in  Oxalsäure  findet  auch  bei 
massiger  Einwirkung  von  Salpetersäure  statte 

Von  allen  ihren  Homologen  ist  die  Ameisensäure  durch  ihre  leichte 
Oxydirbarkeit  scharf  unterschieden;  sie  wird  mit  grösster  Leichtigkeit 
zu  Wasser  und  Kohlensäure  oxydirt: 

H.CO.OH  +  0  =  CO, +  H80 

und  wirkt  daher  kräftig  reducirend;  aus  Silberlösungen  fällt  sie  beim 
Erwärmen  metallisches  Silber;  Quecksilberoxyd  scheidet  beim  Erhitzen 
mit  Ameisensäure  metallisches  Quecksilber  ab;  Quecksilberchlorid  wird 
zunächst  zu  Chlorür,  dann  zu  Metall  reducirt.  In  diesen  Keactionen 
verhält  sich  die  Ameisensäure  ähnlich  wie  ein  Aldehyd;  und  in  der 
That  enthält  ja  ihr  Molecül  die  Aldehydgruppe  — CHO;  die  Ameisen- 
säure kann  als  der  Aldehyd  der  Kohlensäure  aufgefasst  werden: 

OHCOH  OHCOOH 

Ameisensäure  Kohlensäure. 

Eine  charakteristische  Eeaction  der  Ameisensäure  ist  endlich  der 
unter  der  Einwirkung  wasserentziehender  Körper  eintretende  Zerfall  in 
Kohlenoxyd  und  Wasser;  beim  Erwärmen  mit  concentrirter  Schwefel- 
säure wird  sie  glatt  nach  der  Gleichung: 

H.CO.OH  =  CO  +  HjO 

zersetzt. 


*  DuHAs  u.  Stas,  Ann.  35,  138.  —  Merz  u.  Weith,  Ber.  15,  1507. 

*  Ballö,  Ber.  17,  9. 


Essigsävre  (Vorkommen  und  BUdtmg),  319 


Fein  vertheiltes  Ehodium  zersetzt  unter  Wärmeentwickelung  beliebige 
Mengen  von  Ameisensäure  in  Wasserstoff  und  Kohlensäure;  ebenso 
wirken  Ruthenium  und  Iridium,  dagegen  nicht  Platin  und  Palladium  ^ 
Dieselbe  Zerlegung  wird  durch  die  Spaltpilze  des  Flussschlammes  aus- 
geführt 2. 

EssIgsBare:  C^H^Oj  =  CS^-G^       (acidum  aceticum —  von  acetum, 

Essig).  Schon  im  Alterthum  kannte  man  die  Essigsäure  in  der  Form 
des  Weinessigs;  die  Alchemisten  lehrten,  sie  durch  Destillation  in 
reinerem  Zustande  zu  erhalten.  Um  das  Jahr  1 700  fand  Stahl  Methoden 
auf,  um  concentrirte  Essigsäure  zu  gewinnen,  und  entdeckte  die  Ent- 
zündlichkeit der  starken  Säure.  Ihre  Zusammensetzung  wurde  erst  1814 
von  Bebzelius  ermittelt. 

Die  Essigsäure  findet  sich  in  Pflanzensäfken  theils  frei,  theils  in 
Form  von  Salzen;  ihre  Ester  bilden  häufig  einen  Bestandtheil  der  vege- 
tabilischen Oele.  In  kleiner  Menge  ist  sie  in  thierischen  Secreten  neben 
anderen  flüchtigen  Fettsäuren  enthalten,  so  im  Harn ',  in  der  Galle  *,  in 
den  Faeces*.  Sehr  häufig  tritt  sie  als  Produkt  von  Gährungs-  oder 
Fäulniss-Processen  auf. 

Künstliche  Bildungsweisen  der  Eissigsäure  sind  schon  unter  den  all- 
gemeinen Bildungsweisen  der  Fettsäuren  besprochen  (S.  306 — 310).  Er- 
wähnt sei  noch  ihre  Bildung  durch  Oxydation  von  Acetylen®,  welche 
eine  Synthese  aus  den  Elementen  (vgl.  auch  S.  131)  darstellt: 

CHi  CH  +  H,0  +  0  =  CHs-CO-OH; 

eine  solche  Oxydation  erleidet  das  Acetylen  langsam,  wenn  es  mit  Luft 
gemischt  über  Kalilauge  dem  zerstreuten  Lichte  ausgesetzt  wird,  voll- 
standiger,  wenn  man  es  in  wässriger  Lösung  mit  Chromsäure  behandelt. 

Die  Darstellung  der  Essigsäure  gründet  sich  theils  auf  ihre 
Bildung  durch  Oxydation  des  Aethylalkohols,  theils  auf  ihre  Entstehung 
bei  der  trockenen  Destillation  des  Holzes.  Die  Einzelheiten  dieser  in- 
dustriell ausgeführten  Processe  werden  später  beschrieben  (s.  S.  339 — 343). 

Die  wasserfreie  Essigsäure  ist  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
eine  farblose  Flüssigkeit;  sie  erstarrt  unterhalb  +16^  zu  farblosen 
glanzenden  Krystallblättem  und  wird  daher  auch  „Eisessig"  genannt. 
Sie  riecht  stechend  imd  ätzt  die  Haut;  mit  Wasser,  Alkohol  und  Aether 
ist  sie  in  jedem  Verhältniss  mischbar;  über  ihre  physikalischen  Con- 
stanten vgl.  d.  Tabelle  Nr.  14  (S.  312).  Ihr  Dampf  lässt  sich  entzünden 
und  brennt  mit  hellblauer  Flamme.  Sie  ist  sehr  hygroskopisch.  Sie  be- 
sitzt ein  erhebliches  Lösungsvermögen  für  viele  organische  Verbindungen 


^  DxYiLLB  a.  DsBRAT,  Compt.  rend.  78,  1782. 

'  Hoppe-Sbti£r,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  II,  566. 

•  THijDicHtnf,  Jb.  1870,  918.  *  Doqiel,  Ztschr.  Chem.  1867,  509. 

'  Bmeqeb,  Ber.  10,  1028.  •  Bebthelot,  Bull.  14,  113. 


320 


Essigsäure  (Eigenschaßen), 


und  wird  daher  oft  als  Krystallisationsmittel  benutzt.  Auch  manche 
anorganischen  Körper,  wie  z.  B.  Phosphor  und  Schwefel,  lösen  sich  in 
Eisessig;  Chlorwasserstoff,  Brom  Wasserstoff  und  Jodwasserstoff  werden 
in  sehr  beträchtlicher  Menge  von  Eisessig  absorbirt. 

Beim  Mischen  der  wasserfreien  Essigsäure  mit  Wasser  tritt  Er- 
höhung der  Temperatur  und  Contraction  des  Volums  ein;  das  specifische 
Gewicht  steigt  mit  wachsender  Verdünnung  bis  zu  einem  Maximum 
(1-0748  bei  15%  welches  bei  einem  Verhältniss  von  77  Th.  Eisessig  auf 
23  Th.  Wasser  —  entsprechend  dem  Hydrat  CgH^Og  +  H^O  (vgl.  S.  321) 
—  erreicht  wird;  bei  stärkerer  Verdünnung  sinkt  das  specifische  Gewicht 
nun  wieder: 

Tabelle  Nr.  15. 

Specifisches  Gewicht  der  wässrigen  Essigsäure^  (bei  15^). 


100  o/o 

Essigsäure: 

1-055 

50% 

Essigsäure: 

1-062 

90  „ 

11 

1-071 

40  „ 

)i 

1-052 

80  „ 

11 

1-075 

30  „ 

11 

1-041 

70  „ 

11 

1073 

20  „ 

11 

1-028 

60  „ 

11 

1069 

10  „ 

11 

1-014 

Man  kann  daher  den  Gehalt  einer  wässrigen  Essigsäure  nicht  durch 
das  Aräometer  ermitteln;  man  flihrt  zu  diesem  Zwecke  eine  Titration 
mit  Normalalkali  aus;  bei  hochconcentrirter  Säure  kann  man  auch  durch 
die  Bestimmung  des  Erstarrungspunktes  ^  den  Wassergehalt  sehr  scharf 
ermitteln: 

Tabelle  Nr.  16. 

Erstarrungspunkt  der  wässrigen  Essigsäure. 


0<*/o  Wasser 
10 
2-0 
2-9 
3-8 
4-8 
5-6 
6-5 
74 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


+  16-70 
+  14-8<» 
+  13-25° 
+  11.950 
+  10-50 
+  9-40 
+  8-20 
+  7-10 
+    6-250 


8-30/0  Wasser 

91  „ 

9-9„ 
10.8,, 
13.0,, 
15. 8„ 
17-4,, 
19-4,, 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


11 


+  5.30 
4-  4-30 
+  3-60 
+  2-70 

—  0-20 

—  2-60 

—  5-1« 

—  7.40. 


Bei  weiter  steigendem  Wassergehalt  sinkt  der  Erstarrungspunkt  bis 
zu  einem  Minimum  von  etwa  —24^,  welches  bei  einem  Gehalt  von  37 
bis  38  ^/o  Wasser  (entsprechend  dem  Hydrat  C^H^Oj  +  2HgO)  erreicht 
wird ;  bei  noch  grösserer  Verdünnung  steigt  der  Erstarrungspunkt  wieder*. 
—  Wässrige  Essigsäure  giebt  bei  der  Destillation  stets  ein  wasserrei- 
cheres Destillat,  während  eine  stärkere  Säure  zurückbleibt;  es  existirt 
keine  wässrige  Essigsäure,  welche  bei  constanter  Temperatur  ohne  Aen- 
derung  ihrer  Zusammensetzung  siedet;    die  Essigsäure  weicht  demnach 

»  OuDEMANS,  Jb.  1866,  302.  >  Rüdobff,  Ber.  3,  390. 

'  Grimaux,  Compt.  rend.  76,  486. 


Essigsäure  (Salze).  321 


in  dieser  Hinsicht  von  den  Mineralsäuren  und  der  Ameisensäure  (vgl. 
S.  317)  ab^ 

Aus  dem  umstand,  dass  das  Dichtigkeitsmaximum  der  wässrigen 
Essigsäure  bei  einer  Zusammensetzung  eintritt,  welche  ziemlich  genau 
der  Formel  CgH^O,  +  H^O  entspricht,  könnte  man  folgern  wollen,  dass 
dieses  Monohydrat  der  Essigsäure  eine  bestimmte  chemische  Verbindung 
—  etwa  von  der  Constitution: 

/OH 

(Orthoessigsäure,  s.  Kap.  10,  Abschn.  3)  —  sei.  Die  Unrichtigkeit  einer 
solchen  Annahme  geht  aber  schon  daraus  hervor,  dass  die  dem  Dichte- 
maximum  entsprechende  Zusammensetzung  von  der  Temperatur  abhängig 
ist;  bei  0**  entspricht  das  Maximum  einem  Gehalt  von  80 — 82 %>  l>ei  15*^ 
einem  Gehalt  von  77— SO^o-  tei  40®  einem  solchen  von  75 — 77^0  Essig- 
säure ^ 

Die  Salze  der  Essigsäure  werden  Acetate  genannt.  Die  neu- 
tralen Salze  sind  in  Wasser  sämmtlich  löslich  (schwer  löslich  sind  in  der 
Kälte  das  Quecksilberoxydul-  und  Silbersalz);  man  gewinnt  sie  durch 
Neutralisation  der  Essigsäure  mit  den  Metalloxyden  oder  den  Garbonaten 
in  wässriger  Losung.  Wasserfreie  Essigsäure  oder  in  Alkohol  gelöste 
Elssigsäure  zersetzen  die  Alkalicarbonate  nicht;  es  wird  im  Gegentheil  eine 
alkoholische  Lösung  von  essigsaurem  Eali  beim  Einleiten  von  Kohlensäure 
unter  Abscheidung  von  Kaliumcarbonat  und  Freiwerden  der  Essigsäure 
zersetzt'.  Es  beruht  dies  auf  der  bei  doppelten  Umsetzungen  stets 
herrschenden  Neigung  zur  Bildung  unlöslicher  Salze.  Die  Kohlensäure 
treibt  in  alkoholischer  Lösung  die  Essigsäure  aus,  damit  aus  dem  in 
Alkohol  löslichen  Kaliumacetat  das  in  Alkohol  unlösliche  Kaliumcarbonat 
entsteht. 

Kalinmacetat  C^HsKOa  ist  sehr  zerfliesslich,  löst  sich  bei  2^  in  0*531  und 
bei  62^  in  0*203  Theilen  Wasser  und  ist  auch  in  Alkohol  leicht  löslich.  Einfach- 
saures  Kaliumacetat  CaH^KOs  +  C^Hß^  krystallisirt  aus  der  Lösung  des  nor- 
malen Acetats  in  Essigsäure;  es  schmilzt  bei  148^  und  zersetzt  sich  bei  etwa  200® 
unter  Abgabe  von  wasserfreier  Essigsäure.  Auch  ein  zweifachsaures  Kalium- 
acetat C,H,KOs  +  2CaH40,  (Schmelzpunkt  112  <>)  ist  erhältlich.  Die  theoretische 
Erklärung  dieser  fibersauren  Sabse  einer  einbasischen  Säure  bietet  Schwierigkeiten; 
man  mufis  sie  als  Molecularverbindungen  zwischen  dem  neutralen  Salze  und  der 
freien  Säure  auffassen,   wenn   man  sie  nicht  etwa  von  polymeren  Essigsäuren,  wie 

CH3 tCx OH 


z.  B.  ^     >^        »  ableiten  wüL 

CH,— -^^^-OH 

Natriumacetat  CgHsNaO,  krystallisirt  aus  wässriger  Lösung  mit  3  Mol. 
Wasser;  es  löst  sich  bei  gewöhnlicher  Temperatur  in  etwa  3  Th.  Wasser  unter 
beträchtlicher  Temperaturemiedrigung;  auch  in  Alkohol  ist  es  ziemlich  leicht  lös- 
lich.   £e   schmilzt  gegen  100^  in  seinem  Krystallwasser  zu  einer  farblosen  Flüssig- 


^  BoscoB,  Ann.  126,  323.  '  Ocdbmans,  Jb.  1866,  302. 

'  PsLOVZB,  Ann.  6,  260. 
V.  Mktxb  XL  Jaoobboh,  org.  Chem.   L  21 


322  Essigsäu/re  {ScUxe). 

keit,  welche  in  hervorragendem  Grade  die  Erscheinung  der  Ueberschmelzung  zei^t; 
IftBst  man  sie  vorsichtig  erkalten,  so  kann  sie  selbst  bei  0^  noch  flüssig  erhalten 
werden;  sie  erstarrt  dann  aber  sofort  unter  beträchtlicher  Temperaturerhöhung  bei 
Berührung  mit  einem  Krystall  des  Salzes.  Erhitzt  man  das  geschmolzene  wasser- 
haltige Salz  weiter,  so  wird  das  Krystallwasser  ausgetrieben  und  es  scheidet  sich 
festes  wasserfreies  Salz  ab.  Letzteres  schmilzt  dann  für  sich  bei  höherer  Temperatur 
(319^),  ohne  sich  zu  zersetzen.  Das  wasserfreie  Natriumacetat,  welches  nach 
dem  Erstarren  der  Schmelze  eine  grobblättrige  krystallinische  Masse  darstellt,  zieht 
begierig  Wasser  an  und  wird  daher  oft  bei  organisch -chemischen  Reactionen  als 
wasserentziehendes  Mittel  angewendet.  —  Auch  saure  Natriumacetate^  wie 
CjHgNaOj  -f-  CjH^Oj  und  CjHgNaOg  +  2C,H408  sind  bekannt. 

Das  Ammoniumacetat  C2Hs(NH4)02  wird  durch  Einleiten  von  Ammoniak  in 
Eisessig  als  zerfliessliche  krystallinische  Masse  gewonnen;  es  dient  zur  Darstellung 
von  Acetamid  (s.  Kap.  10,  Abschn.  5);  beim  Verdampfen  der  wässrigen  Losung  ver- 
flüchtigt sich  Ammoniak  und  Essigsäure. 

Calciumacetat  (CsH80,)tCa  +  2HsO  und  Bariumacetat  (C,HBO,),Ba  -t-  H,0 
sind  in  Wasser  leicht  löslich. 

Neutrales  Bleiacetat  (Bleizucker)  (CsH30,)tPb  +  3H,0  gewinnt  man 
durch  Auflösen  der  berechneten  Menge  Bleioxyd  in  Essigsäure;  es  krystallisirt  in 
monoklinen  Prismen  oder  Tafeln,  reagirt  schwach  sauer,  ist  giftig  und  besitzt  einen 
unangenehm  süssen  Geschmack.  Es  löst  sich  bei  gewöhnlicher  Temperatur  in  1-5, 
bei  40^  in  1  und  bei  100^  in  0-5  Th.  Wasser  und  ist  auch  in  Alkohol  ziemlich 
löslich  (bei  19**  in  15 — 16  Th.  SOprocentigem  Weingeist).  Seih  Krystallwasser  ver- 
liert das  Salz  über  Schwefelsäure  und  auch  beim  Erhitzen  auf  etwa  100^;  das 
wasserfreie  Salz  schmilzt  oberhalb  200®  und  wird  bei  stärkerem  Erhitzen  zersetzt. 
Aus  der  Lösung  des  neutralen  Bleiacetats  erhält  man  durch  Behandlung  mit  Blei- 
ozyd  basische  Bleisalze^  Das  einfach-basische  Bleiacetat  Pb(0H)-C,H,02 
(=  PKC^HgO,),  +  PbO  -f-  H,0)  ist  In  Wasser  sehr  leicht  lösKch.  Das  zweifach- 
basische Bleiacetat  Pb(CtH80g)2  +  2 PbO  entsteht  durch  Behandlung  des  neutralen 
Acetats  mit  überschüssiger  Bleiglätte  oder  durch  Eingiessen  von  Bleizuckerlösang  in 
überschüssiges  Ammoniak;  es  ist  schwerer  löslich;  bei  20®  bedarf  es  zur  Lösung 
18  Th.,  bei  100®  5V,  Th.  Wasser.  Der  officinelle  Bleiessig  ist  eine  Lösung 
der  basischen  Bleiacetate.  Die  Acetate  des  Bleis  sind  im  Laboratorium  wichtige 
Beagentien;  man  benutzt  sie  z.  B.,  um  organische  Säuren  aus  Reactionsgemischen  in 
Form  unlöslicher  Bleisalze  niederzuschlagen.  In  der  Technik  dienen  sie  zur  Be- 
reitung des  Chromgelbs,  des  Bleiweiss  und  anderer  Bleipräparate. 

Neutrales  Kupferacetat  Cu(C2HsO,)2  +  H^O  bildet  blaugrüne  monokline 
Säulen  und  löst  sich  in  13*4  Th.  kaltem,  in  5  Th.  kochendem  Wasser;  auch  in 
Alkohol  löst  es  sich.  Basische  Kupferacetate  (wie  Cu(OH)(C,H,0,)  oder 
2Cu(C,H302)s  +  CuO)  entstehen  durch  Einwirkung  von  E^igsäure  auf  Kupfer  bei 
Luftzutritt;  sie  werden  gewöhnlich  Grünspahn  genannt  und  finden  als  Farben 
Verwendung.  Das  Schwein  furter  Grün  besteht  aus  Doppelsalzen  von  essig- 
saurem und  arsenigsaurem  Kupfer,  welche  wohl  je  nach  der  Bereitungsweise  wech- 
selnde Zusammensetzung  besitzen. 

Mercuriacetat  oder  essigsaures  Quecksilberoxyd  Hg(CsHsOg)t  bildet  glänzende 
Tafeln  und  löst  sich  in  4  Th.  Wasser  von  10®.  Mercuroacetat  oder  essigsaures 
Quecksilberozydul  Hg2(C8H302),  löst  sich  dagegen  erst  in  133  Th.  Wasser  von  12®. 

Silberacetat  C^HgAgOg  bildet,  aus  kochendem  Wasser  krystallisirt,  glänzende 
Nadeln,   beim   Vermischen   der   concentrirten   Lösung    von   essigsauren   Salzen   mit 


*  Lescoeür,  Compt.  rend.  78,  1046.  —  Villiebs,  Bull.  29,  153;  30,  153,  175. 

*  Löwe,  J.  pr.  98,  391. 


Essigsäure  (Salxe;  chemisches  Verhalten),  323 


SUbemitrat  fällt  es  als  krystallinischer  Niederschlag  aus;  100  Th.  Wasser  lösen  bei 
20<^  1-04  Th.,  bei  80^  2-52  Th.  des  Salzes.  Beim  Erhitzen  hint«rlässt  es,  wie  alle 
Silbersalze  organischer  Säuren,  reines  metallisches  Silber. 

Aluminiumacetate:  Ein  neutrales  Aluminiumacetat  ist  in  festem  Zustand  nicht 
isolirbar.  Wenn  man  eine  Lösung  von  Aluminiumsul&t  mit  Bleizucker  umsetzt,  vom 
Bleisulfat  abfiltrirt  und  das  Filtrat  zur  Ausfüllung  des  als  Sulfat  gelöst  gebliebenen 
Bleis  mit  Schwefelwasserstoff,  darauf  zur  Entfernung  der  Schwefelsäure  mit  essigsaurem 
Barjrt  behandelt,  so  erhält  man  eine  Lösung  von  essigsaurer  Thonerde.  Diese 
Losung  trübt  sich  beim  Erhitzen  —  besonders  leicht  bei  Gegenwart  von  anderen  Salzen 
—  unter  Abscheidung  eines  sehr  voluminösen  basischen  Salzes  (vgl.  auch  Eisenacetate) ; 
auf  dieser  Eigenschaft  beruht  die  Anwendung  der  essigsauren  Thonerde  als  Beiz- 
oiittel  in  der  Färberei.  Man  tränkt  die  zu  färbenden  Stoffe  mit  einer  Lösung  von 
efisigsaurer  („holzsaurer")  Thonerde,  welche  durch  Umsetzung  von  essigsaurem  Kalk 
mit  Aluminiumsulfat  gewonnen  wird,  trocknet  und  dämpft  sie;  die  Essigsäure  ver- 
flüchtigt sich  beim  Dämpfen,  und  die  zurückbleibende  Thonerde  vereinigt  sich  bei 
dem  nun  folgenden  Färben  mit  dem  Farbstoff  zu  einem  unlöslichen  „Farblack".  — 
Das  officinelle  Präparat  —  Liquor  aluminii  acetici  —  wird  hergestellt,  indem  man 
in  eine  mit  Essigsäure  versetzte  Lösung  von  Aluminiumsulfat  Calciumcarbonat  ein- 
trftgt  und  nach  24  Stunden  vom  Calciumsulfat  abfiltrirt 

Eisenacetate:  Das  neutrale  Ferriacetat^  erhält  man,  wenn  man  Eisen- 
hydrozyd,  das  in  der  Kälte  durch  Ammon  gefällt  und  mit  heissem  Wasser  aus- 
gewaschen ist,  in  heisser  Essigsäure  löst  und  die  blutrothe  Lösung  vorsichtig  auf 
dem  Wanerbade  eindampft,  als  schwarze  spröde  Masse.  Vermischt  man  die  Lösung 
von  Eisenozydsalzen  mit  essigsauren  Salzen,  so  erhält  man  eine  dunkelrothe  Lösung ; 
beim  Kochen  der  genügend  verdünnten  Lösung  wird  alles  Eisen  niedergeschlagen 
(vgl.  oben  Aluminiumacetate);  man  bedient  sich  dieses  Verhaltens  des  Aluminium- 
nnd  Eisenaoetats  bekanntlich  in  der  analytiBchen  Chemie  zur  Trennung  des  Aluminiums 
und  Eisens  von  Mangan,  Zink,  Kobalt  und  Nickel.  Eine  Lösung  von  reinem  Ferri- 
aoetat  bleibt  indessen  beim  Kochen  klar;  es  ist  die  Gegenwart  anderer  Salze,  welche 
die  besprochene  Abscheidung  des  Eisenoxyds  bedingt.  —  Ferroacetat  FeCCjHgOs), 
-H  4HtO  bildet  grünlichweisse,  sehr  lösliche  Nadeln. 

Bezäglich  des  chemischen  Verhaltens  der  Essigsäure  ist  der  allge- 
meinen Schilderung  der  Fettsäuren  (S.  311 — 313)  kaum  etwas  hinzuzu- 
fügen.    Interessant   ist   die   glatte  »Spaltung  der  Essigsäure  in  Methan 

and  Kohlensäure: 

CHsCO.H  =  CH^  +  COj, 

welche  sie  erleidet,  wenn  man  sie  in  Form  des  Calciumsalzes  unter  der 
Einwirkung  der  Spaltpilze  des  Flussschlammes  gähren  lässt^.  Hin- 
gewiesen sei  femer  auf  die  ausserordentlich  grosse  Beständigkeit  der 
Essigsäure;  ihr  Dampf  bleibt  selbst  beim  Durchleiten  durch  ein  roth- 
glühendes Bohr  zum  grossen  Theil  unangegriffen.  Auch  gegen  kräftig 
oxydirende  Mittel  ist  sie  sehr  widerstandsfähig;  die  Oxydation  com- 
plicirterer  Verbindungen  bleibt  daher  in  vielen  Fällen  bei  der  Bildung 
der  Essigsäure  stehen ,  und  letztere  tritt  sehr  häufig  als  Oxjdations- 
produkt  auf.  Infolge  dieser  Widerstandsfähigkeit  benutzt  man  den  Eis- 
essig auch  in  der  Begel  als  Lösungsmittel  für  Chromsäure,  wenn  es  sich 


'  REimTZEB,  Monatsh.  3,  256. 

'  Hofpb-Sbtler,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  11,  561. 

21 


324  Essigsätire  (Nachweis). 


darum  handelt,  in  Wasser  nicht  lösliche  Verbindungen  mit  Chromsäure  zu 

oxydiren. 

Erystallinische  Additionsprodukte  der  Essigsäure  mit  Brom  und 
Brom  wasserstoff  sind  von  Steiner^  und  von  Hell  und  Mühlhaüser*  beschrieben. 

Für  den  Nachweis  der  Essigsäure  kann  man  sich  der  intensiven 
Färbung  ihres  Eisenoxjdsalzes  (s.  S.  323)  bedienen;  mischt  man  die  neu- 
trale Lösung  eines  Acetats  mit  Eisenchlorid,  so  nimmt  die  Flüssigkeit 
eine  tiefrothe  Färbung  an,  die  aber  beim  Kochen  unter  Abscheidung 
eines  braungelben  flockigen  Niederschlags  verschwindet.  Auch  an  dem 
charakteristischen,  lieblichen  Geruch  des  Essigsäureäthylesters,  welcher 
sich  bildet,  wenn  man  essigsaure  Salze  mit  einem  Gemisch  von  etwa 
gleichen  Raumtheilen  concentrirter  Schwefelsäure  und  Alkohol  gelinde 
erwärmt,  kann  man  sie  erkennen.  Sehr  empfindlich  ist  die  sogenannte 
„Kakodylprobe" ;  erhitzt  man  ein  Alkaliacetat  mit  Arsenigsäureanhydrid, 
so  tritt  der  durchdringende  Geruch  des  Kakodyls  auf  (s.  S.  267).  Es  ist 
indessen  zu  bemerken,  dass  andere  Fettsäuren  sich  den  erwähnten 
Eeagentien  gegenüber  ähnlich  verhalten.  Ist  man  zweifelhaft,  ob  Essig- 
säure oder  eine  andere  Fettsäure  vorliegt,  so  entscheidet  man  diese 
Frage  am  einfachsten  durch  die  Darstellung  des  Silbersalzes  und  die 
Bestimmung  seines  Silbergehalts  durch  Glühen  einer  abgewogenen  Probe 
im  Porzellantiegel  und  Wägung  des  Glührückstands  (vgl.  S.  26).  Essig- 
saures Silber  enthält  64-67  «^  Silber. 

Der  Silbersalze  bedient  man  sich  auch  häufig  zur  Prüfung,  ob  eine  einheitliche 
SSure  oder  ein  Säuregemisch  vorliegt.  Man  neutralisirt  die  zu  prüfende  Substanz 
mit  Ammoniak  und  fällt  die  Lösung  firactionirt  mit  Silbemitrat  aus;  war  die  Sfture 
einheitlich,  so  müssen  alle  Fractionen  denselben  Silbergehalt  aufweisen;  lag  ein  Ge- 
misch vor,  so  enthalten  die  ersten  Fractionen  die  schwerer  löslichen  Silbersalze,  die 
letzten  Fractionen  die  leichter  löslichen,  und  man  findet  daher  bei  der  Analyse  der 
einzelnen  Fractionen  verschiedenen  Gehalt  an  Silber  (vgl.  auch  S.  327). 

Propionsäure  (Aethylcarbonsäure,  Methylessigsäure): 
CgHßOjj  =  C2H5CO2H.  Die  dritte  Säure  der  Eeihe  CJBi^jO^  ist  1844  von 
Gott-lieb'  entdeckt  worden;  er  gewann  sie  aus  Bohrzucker  durch 
Schmelzen  mit  Aetzkali  und  nannte  sie  Metacetonsäure.  Später  erhielt 
die  Säure  den  Namen  Propionsäure,  weil  sie  in  der  Fettsäure -Reihe 
die  erste  Säure  von  fettähnlichen  Eigenschaften  ist  {n^tSrog  der  erste 
und  nimv  fett) ;  aus  ihrer  wässrigen  Lösung  wird  sie  durch  Chlorcalcium 
und  andere  leicht  lösliche  Salze  als  obenauf  schwimmende  ölige  Schicht 
abgeschieden,  und  ihre  Alkalisalze  fühlen  sich  fettig  an. 

Die  Propionsäure  ist  nach  fast  allen  allgemeinen  Bildungsweisen 
der  Fettsäuren  (vgl.  S.  306 — 309)  erhalten  worden.  Erwähnt  sei  ihre 
Bildung  in  Gährungsprocessen,  so  aus  äpfelsaurem  ^  und  milchsaurem  Kalk' 
durch  Spaltpilzgährung.     Sie  ist  femer  im  Holzessig  (vgl.  S.  169  u.  343) 


*  Ber.  7,  184.  «  Ber.  10,  2102;  U,  241;  12,  735.  »  Ann.  62,  121. 

*  Fitz,  Ber.  U,  1896. 

*  Stbecker,  Ann.  02,  80.  —  Fitz,  Ber.  12,  479;  17,  1190. 


Propionsäure,     Buttersäuren.  325 

neben  anderen  Fettsäuren  enthalten^;  in  dem  Theer  aus  Colophonium 
findet  sich  verhältnissmässig  viel  Propionsäure  neben  geringen  Mengen 
anderer  Fettsäuren'.  In  dem  Saft  des  Fruchtfleisches  von  Gingko  biloba 
kommt  sie  neben  anderen  Fettsäuren  vor'. 

Zur  Darstellung  der  Propionsäure  kann  man  sich  der  Yerseifung 
des  Cyanäthjls^  bedienen;  am  bequemsten  erhält  man  sie  —  auch  in 
grösserem  Massstab  —  durch  Oxydation  von  normalem  Propylalkohol  mit 
Chromsäure-Gemisch  ^.  Auch  die  Eeduction  von  Milchsäure  mit  Jod- 
wasserstoff (vgl.  S.  307)  ist  als  Darstellungsmethode  empfohlen^. 

Die  Salze  der  Propionsäure'  sind  sämmtlich  in  Wasser  löslich.  Das 
Bariumsalz  (CgHgOiJsBa  krystallisirt  mit  1  Mol.  Wasser  in  grossen  Prismen  und 
lost  sich  zu  54'l®/o  in  Wasser  von  12^  Von  dem  Silbersalz  C^Hfi^kg  lösen 
100  Th.  Wasser  bei  20®  0-836  Th.,  bei  80®  2-03  Th. 

Buttersänren  C^HgO^.    Den  beiden  Structurmöglichkeiten: 
CH..CH,.CH,.CO,H    und  'NcH-COsH 

entsprechend,  sind  zwei  Säuren  von  der  Zusammensetzung  C^HgOj  be- 
kannt, welche  man  als  normale  Buttersäure  und  Isobuttersäure  von 
einander  unterscheidet.  Ihre  Constitution  ergiebt  sich  aus  ihren  syn- 
thetischen Bildungs weisen;  diejenige  Säure,  welche  aus  dem  normalen 
Propyljodid  durch  Vermittelung  des  Cyanids: 

CHa-CHjCHjJ >-  CHaCHjCHjCN >-  CH,.CH,.CH,.CO,H 

gewonnen  werden  kann®,  ist  die  normale  Säure;  die  in  gleicher  Weise 
aus  dem  Isopropyljodid  erhältliche  Säure  ^: 

(CH,),CHJ >-  (CH8)>CH.CN  -       )-  (CHa)8CH.C0,H 

ist  die  Isobuttersäure.  (Aus  der  Structur  der  beiden  Buttersäuren  wurde 
auch  diejenige  der  zugehörigen  Alkohole  abgeleitet,  vgl.  S.  162). 

Die  normale  Buttersäure  CBLj-CHj-CHj-COgH  (Propylcarbon- 
säure,  Aethylessigsäure)  wurde  1814  von  Chevreül ^®  in  der  Butter 
aufgefunden;  sie  ist  darin  in  der  Form  ihres  Glycerinesters 
C^^^{0'GO'C^Ky)^  enthalten;  doch  kommen  daneben  auch  homologe 
Säuren  vor  (vgl.  Capronsäure,  Caprylsäure,  Caprinsäure) ,  und  die  Rein- 
darstellung der  Buttersäure  aus  Butter  ^^  ist  daher  nicht  leicht.     Auch 


^  ANDERSON,  Jb.  1866,  310.  —  Barr£,  Compt.  rend.  68,  1222.  —  Kbämer  u. 
Obodzki,  Ber.  11,  1856. 

'  Renabd,  Compt  rend.  103,  157.     •       '  B6champ,  Compt  rend.  58,  135. 

*  Ybjjxxlajxv  u.  Kolbe,  Ann.  65,  300.  —  Linnemakn,  Ann.  148,  253.  —  Beckubts 
u.  Otto,  Ber.  10,  262. 

•  PiERBE  u.  PucHOT,  Ann.  eh.  [4]  28,  71.  •  Freund,  J.  pr.  [2]  5,  446. 

'  Wriohtson,  Ann.  90,  45.  —  Strecker,  Ann.  92,  86.  —  Fitz,  Ber.  11,  1896; 
13,  1312;  14,  1084.  —  Pierre  u.  Puchot,  Ann.  eh.  [4]  28,  81.  —  Raupenstrauch, 
Monatsh.  6,  687.  —  Mixter,  Ber.  20  c,  208.  —  Renard,  Compt  rend.  104,  913. 

'  Linnexann  u.  Zotta,  Ann.  161,  175. 

»  Markownikow,  Ann.  138,  361.  ^^  Ann.  eh.  [2]  23,  23. 

"  Lerch,  Ann.  49,  216.  —  Grünzweig,  Ann.  162,  215. 


326  Buttersäuren. 


in  anderen  thierischen  Fetten  und  pflanzlichen  Oelen  finden  sich  Ester 
der  Buttersäure.  Freie  Buttersäure  kommt  in  vielen  thierischen  Secreten 
vor,  so  im  Schweiss*,  in  den  Fäces*,  in  der  Flüssigkeit,  welche  die 
Laufkäfer  von  sich  geben'. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Entstehung  der  Butter- 
säure in  Gährungsprocessen.  Aus  Rohrzucker*  bildet  sie  sich 
durch  die  sogenannte  ,,Btittersäuregährung",  welche  man  einleiten  kann, 
indem  man  zu  einer  mit  Weinsäure  gekochten  Zuckerlösung  nach  einigen 
Tagen  faulende  Stoffe  (Käse  oder  Fleisch)  zusetzt  und  das  Gemenge 
mehrere  Tage  bei  25 — 35*^  sich  selbst  überlässt;  um  die  bei  der  Gäh- 
rung  entstehenden  Säuren  zu  binden  und  das  Gemisch  während  der 
Gährung  neutral  zu  erhalten,  setzt  man  ihm  Kreide  oder  Zinkoxyd  zu. 
Man  benutzt  diese  Bildung  zur  Darstellung  der  Buttersäure^  Der 
'  Process  der  Buttersäurebildung  durch  Gährung  des  Rohrzuckers  zei'fallt 
in  mehrere  Phasen;  der  Rohrzucker  wird  zunächst  invertirt: 

die  entstandene  Glykose  CgH^jOg  zerfällt  in  zwei  Molecüle  Milchsäure 
CjHgOj,  und  letztere  geht  nun  unter  Entwickelung  von  Wasserstoff  und 
Kohlensäure  in  Buttersäure  über: 

2C,He08  =  CäO,  +  2C0,  +  2H,. 

Zweckmässiger  ist  es  nach  Fitz,  anstatt  der  faulenden  Stoffe  zur 
Einleitung  der  Gährung  ein  reines  Ferment  zu  verwenden.  Eine  sehr 
gute  Darstellungsmethode  der  Buttersäure  besteht  in  der  Verwendung 
von  Kartoffelstärke  als  Gährmaterial  und  einer  minimalen  Spur  des 
Bacillus  subtilis  (einer  bestimmten  Form  aus  der  Gruppe  der  Spaltpilze 
[Schizomyceten])  als  Gährungserreger ;  man  erhält  das  mit  geringen 
Mengen  von  Nährsalzen  (Kaliumphosphat,  Magnesiumsulfat,  Salmiak) 
und  mit  Calciumcarbonat  versetzte  Gährgemisch  auf  einer  Temperatur 
von  35 — 40  <^.  Auch  aus  Glycerin,  Mannit,  Dulcit  und  anderen  Verbin- 
dungen bildet  sich  die  Buttersäure  durch  Spaltpilzgährung®. 

Buttersäure  wird  auch  im  Grossen  durch  Gährung  gewonnen,  und 
zwar  vortheilhaft  aus  Traubenzucker  mit  faulendem  Limburger  Käse. 
Bei  den  Gährungsprocessen  bilden  sich  daneben  stets  Essigsäure  und 
Capronsäure;  zur  vollständigen  Reinigung  verwandelt  man  die  oberfläch- 
lich fractionirte  Buttersäure  am  besten  in  den  Aethylester,  welcher  durch 
fractionirte  Destillation  aus  Colonnenapparaten  gereinigt  wird.  Aus  dem 
reinen  Ester  erhält  man  durch  Verseifung  mit  Kalkmilch  das  Kalksalz, 
aus  letzterem  durch  Zersetzung  mit  Salzsäure  die  reine  Buttersäure  ^. 


*  Schottin,  Jb.  1852,  704.  »  Brieoer,  Ber.  10,  1028. 

*  Pelouze,  Compt.  rend.  43,  123. 

*  Pelouze  u.  G^lis,  Ann.  eh.  [3]  10,  434. 

*  Benscu,  Ann.  61,  174.  —  Grillone,  Ann.  165,  127.  —  Peibram,  Jb.  1879,  614. 

*  Fitz,  Ber.  9,  1348;  U,  42. 

'  Privatmittheilung  von  Dr.  A.  Bannow  (vgl.  auch  Ber.  19,  2552). 


Buttersäuren.  327 


Buttersäure  bildet  sich  auch  häufig  in  Fäulnissprocessen,  so  aus 
Fibrin^  und  Caseln^,  hierauf  ist  ihr  Vorkommen  im  Limburger  Käse 
zurückzufuhren  ^.  Zuweilen  entsteht  sie  durch  Oxydation  complicirterer  Ver- 
bindungen, so  z.  B.  aus  Coniin  durch  Einwirkung  von  Chromsäure*  und 
bei  der  Oxydation  von  EiweissstoflFen  mit  Braunstein  und  Schwefelsäure*. 

Bei  der  Gewinnung  der  Fettsäuren  aus  Naturprodukten,  Gährungsgemischen 
oder  Oxydationsgemischen  erhält  man  häufig  ein  Gemenge  homologer  Säuren, 
weiches  in  die  einzelnen  Componenten  zu  zerlegen  ist.  Man  kann  hierbei 
zuweilen  zum  Ziel  kommen,  wenn  man  einen  Theil  des  Säuregemenges  mit  Alkali 
neutralisirt,  dann  den  Best  zufugt  und  nun  das  Ganze  destillirt;  es  bleibt  im  Allge- 
meinen die  weniger  flüchtige  Säure  als  Salz  gebunden  zurück,  während  die  leichter 
flüchtige  Säure  abdestillirt,  und  durch  Öftere  Wiederholung  der  Operation  kann  man 
eine  ziemlich  vollkommene  Trennung  erreichen;  es  ist  indessen  zu  bemerken,  dass 
Essigsäure  wegen  der  Neigung  zur  Bildung  saurer  Salze  nicht  durch  die  homologen 
Säuren  ausgetrieben  wird^  —  Zweckmässig  ist  auch  die  Trennung  durch  fractionirte 
Destillation  mit  Wasser;  umgekehrt,  wie  bei  Anwendung  des  vorigen  Trennungs- 
princips,  gehen  hierbei  zunächst  die  Säuren  mit  höherem  Molecularge wicht,  dann 
diejenigen  mit  niederem  über';  die  auffallende  Erscheinung,  dass  die  höher  sieden- 
den Säuren  bei  der  Wasserdampf-Destillation  früher  als  die  niedriger  siedenden 
fibergehen,  hängt  wohl  damit  zusammen,  dass  die  Säuren  mit  wachsendem  Molecular- 
gewicbt  in  Wasser  immer  weniger  löslich  werden.  —  Für  kleine  Mengen  ist  die 
fractionirte  Sättigung  mit  Silbercarbonat  empfehlenswerth;  man  erhält  zunächst  die 
Silbersalze  der  kohlenstofi&eicheren  Säuren^.  —  Ueber  die  Trennung  der  nichtflüch- 
tigen Säuren  s.  S.  334—335. 

Die  synthetischen  Bildungsweisen  der  Buttersäuren  bestehen  in  der 
Anwendung  der  allgemeinen  Bildungsreactionen  der  Fettsäuren;  sie  bieten 
für  die  Gewinnung  der  normalen  Buttersäure  keinen  vortheilhaften  Er- 
satz gegenüber  der  Darstellung  durch  Gährung. 

Die  Isobuttersäure  (CH3)2CH-C02H  (Isopropylcarbonsäure, 
Dimethylessigsäure)  ist  als  Gährungsprodukt  nicht  beobachtet  worden. 
Sie  findet  sich  frei  in  reichlicher  Menge  im  Johannisbrod  —  der  Frucht 
von  Ceratonia  Siliqua  L.  —  und  kann  daraus  durch  Destillation  mit 
Wasser  erhalten  werden®;  in  Form  von  Estern  kommt  sie  im  Römisch- 
CamillenöP^  und  im  CrotonöP^  vor;  die  Arnicawurzel  enthält  Isobutter- 
säure frei  und  als  Ester  ^*.  Auch  in  den  Fäces  ist  Isobuttersäure  nach- 
gewiesen worden ^^     Zu  ihrer  Darstellung   eignet  sich  die  Oxydation 


»  WuRTz,  Ann.  52,  291.  *  Iuenko,  Ann.  63,  268. 

'  Iuenko  n.  Laskowski,  Ann.  65,  85. 

*  Blyth,  Ann.  70,  89.  —  Geünzweio,  Ann.  162,  217. 
^  GucKELBERGEB,  Ann.  64,  89. 

*  LdEBio,  Ann.  71,  355. 

^  Fitz,  Ber.  11,  46.  —  Hecht,  Ann.  209,  319. 
^  Eblenmeteb  u.  Hell,  Ann.  160,  296.  Anm. 

*  Rei>tenbacher,  Ann.  57,  177.  —  Geünzweio,  Ann.  162,  219. 

*•  Röbig,  Ann.  195,  92.  **  Schmidt  u.  Behbendes,  Ann.  191,  101. 

"  SwEL,  Ann.  170,  345. 
*'  Bbieoeb,  Ber.  10,  1028. 


328  BiUtersäuren. 


des  Isobutylalkohols  ^  oder  die  Verseifung  des  aus  Isopropyljodid  erhält- 
lichen Isopropylcyanids*. 

Beide  Buttersäuren  sind  ölige  Flüssigkeiten  von  höchst  unange- 
nehmem, ranzigem  Geruch.  Ihre  physikalischen  Constanten  siehe  in  der 
Tabelle  Nr.  14  S.  312.  Während  die  normale  Buttersäure  sich  in  jedem 
Verhältniss  mit  Wasser  mischt,  erfordert  die  Isobuttersäure  bei  20®  5  Th. 
Wasser  zur  Lösung';  aus  der  wässrigen  Lösung  werden  die  Säuren 
durch  leicht  lösliche  Salze  ausgeschieden. 

Unter  den  Salzen  der  beiden  Buttersäuren*  nehmen  die 
Calciumsalze'^  ein  besonderes  Interesse  in  Anspruch.  Das  normale 
Calciumbutyrat  Ca(C4H702)2  ist  durch  die  Eigenschaft  charakterisirt, 
dass  seine  Löslichkeit  in  Wasser  mit  steigender  Temperatur  von  0®  bis 
60«  abnimmt;  100  Th.  Wasser  lösen  bei  0^  20-06  Th.,  bei  60«  15-01  Th:, 
bei  100®  16-13  Th.  des  wasserfreien  Salzes;  beim  Erhitzen  der  kalt  ge- 
sättigten Lösung  scheidet  sich  daher  ein  Theil  des  Salzes  aus;  sowohl  das 
bei  höherer  wie  bei  niederer  Temperatur  sich  ausscheidende  Salz  enthält 
ein  Molecül  Krystallwasser.  Das  Calciumisobutyrat  krystallisirt  bei 
niederen  Temperaturen  mit  5  Mol.,  gegen  80®  mit  1  Mol.  Wasser;  die  Lös- 
lichkeit nimmt  mit  steigender  Temperatur  von  0®  bis  80®  stetig  zu;  bei  0® 
lösen  100  Th.  Wasser  20-34Th.  des  wasserfreien  Salzes,  bei  80®  28- 18  Th., 
bei  100®  25-11  Th.  Höchst  merkwürdig  ist  die  von  Eblenmeyeb® 
beobachtete  Erscheinung,  dass  das  normale  Butyrat  bei  langem  Auf- 
bewahren seiner  Lösung  theilweise  in  Isobutyrat  übergeht.  —  Von  dem 
normalen  Silberbutyrat  AgC^H^Oj  lösen  100  Th.  Wasser  bei  20® 
0-48  Th.,  bei  80®  114  TL,  von  dem  Silberisobutyrat  lösen  100  Th. 
Wasser  bei  20®  0-96  Th.,  bei  80®  1-90  Th.^ 

Bezüglich  des  chemischen  Verhaltens  der  beiden  Buttersäuren  sei 
die  Verschiedenheit  in  der  Einwirkung  von  Oxydationsmitteln  hervor- 
gehoben. Die  normale  Säure  liefert  bei  der  Oxydation  mit  Salpeter- 
säure kleine  Mengen  von  Bemsteinsäure  ^,  von  Chromsäure  wird  sie  zu 
Kohlensäure  und  Essigsäure  oxydirt®.  Die  Isobuttersäure  enthält  ein 
„tertiär"  gebundenes  Wasserstoflfatom: 

C^CH; 

c/ 

derartig   gebundene   WasserstoflFatome   besitzen   die  Eigenschaft,    durch 


*  PiEBRE  u.  PucHOT,  Ann.  eh.  [4]  28,  366.  —  Linnemasn,  Ann.  162,  8. 
'  Markownikow,  Ann.  138,  361.  *  Linnemann,  Ann.  162,  9. 

*  Pelouze  u.  G6hs,  Ann.  47,  248.  —  Maäkownikow,  Ann.  138,  369.  —  Lnnrs- 
HANK  u.  ZoTTA,  Ann.  161,  176.  —  Grükzweio,  Ann.  162,  202,  210.  —  Mixtes,  Der. 
20  c,  209. 

"  Hecht,  Ann.  213,  65.  —  Sedutzkt,  Monatsh.  8,  568.  —  Chancbl  u.  Pasmem- 
tieb,  Compt.  rend.  104,  474.  —  Le  Cbatelieb,  ebenda,  679. 

*  Ann.  181,  126.  '  Raupenstbauch,  Monatsh.  6,  589. 
^  Eblenmeteb,  Siegel  u.  Belli,  Ann.  180,  209. 

*  Hecht,  Ber.  11,  1058.  —  Gbünzweig,  Ann.  162,  200. 


Valeriansäuren.  329 


Oxydationsmittel  leicht  in  die  Hydroxylgruppe  übergeführt  zu  werden. 
r>ie  Isobuttersäure  liefert  sonach  bei  der  Oxydation  mit  Ealiumperman- 
gaxia.t  in  alkalischer  Lösung  Oxyisobuttersäure  ^ : 

(CHa),C(OH)  -  COJI ; 

bei   kraftigerer  Oxydation  —  mit  Chromsäure  —  liefert  sie  Aceton  neben 

viel    Kohlensäure  und  Essigsäure  ^. 

Yaleriansäaren*    Die  Theorie  lässt  die  Existenz  von  vier  Säuren 

der   fünften  Reihe  voraussehen: 

CH.V 
1.  CH,— CH,-CH,— CH,-CO,H  2.         )>CH-CH,~CO,H 

Propylessigsäure  CHj'^^ 

Isopropylessigsäure 

CHj — CHjv  OHgv 

3.  >CH— COjH  4.  CHs-^C-COjH 

CH/  CH,/ 

Methyläthylessigsäure  Trimethylessigsäare. 

Sie   sind  sämmtlich  bekannt  und  eingehend  untersucht. 

1.  Normale  Valeriansäure  oder  Propylessigsäure  CHg-CHj- 
CHg-CHj-COjH  ist  sjrnthetisch  nach  den  folgenden  Reactionen  erhalten 
worden,  welche  über  ihre  Constitution  keinen  Zweifel  lassen:  aus  nor- 
malem Butylalkohol  durch  Vermittelung  des  Butyljodids  und  Butylcyanids  ^, 
aus  einem  Gemisch  von  Jodäthyl  und  /3-Jodpropionsäure  durch  Jod- 
entziehung mittelst  molecularen  Silbers^: 


CHs-CH,. :J  + J.  CH,.CH,.CO,H  +    Agj   =  2AgJ  +  CH8.CHj.CH,.CH,.CO,H, 

mittelst   der  Malonsäureester- Synthese   (S.   308)   aus   Propylmalonsäure 
durch  Kohlensäure-Abspaltung^: 

yCO,H 

CHj  •  CH)  •  CHj  •  CH<f  —  COj    ^    CH3  •  CH^  •  CH2  •  CHg  •  COjH. 

\CO,H 

Die  letztgenannte  Reaction  oder  auch  die  Reduction  von  Lävulinsäure  * 
CHj-CO-CHg-CHg-COjH  mit  Natriumamalgam  in  saurer  Lösung: 

CHsCOCHjCHsCOsH  +  4H  =  CH,.CH,.CHj.CH,.CO,H  +  H,0 

dürften  für  die  Darstellung  der  Säure  am  geeignetsten  sein.  Normale 
Valeriansäure  ist  femer  im  rohen  Holzessig  enthalten^,  und  sie  bildet 
sich  aus  milchsaurem  Ealk  durch  Spaltpilzgährung  ®.  Ihr  Geruch  ist 
dem  der  Buttersäure  ähnlich.  Ihr  Calciumsalz  Cb{G^'H^O^\  H-HgO  zeigt 
ähnliche  Löslichkeitsverhältnisse  wie  das  normale  Calciumbutyrat;  es  ist  in 


*  R.  Meteb,  Ann.  219,  240. 

»  Popow,  Ztschr.  Chem.  1871,  4.  —  E.  Schmidt,  Ber.  7,   1363.  —  Gbünzweio 
Ann.  162.  209. 

'  Lieben  u.  Bossi,  Ann.  159,  58.  *  v.  Schheideb,  Ztschr.  Chem.  1869,  842. 

^  FOkth,  Monatsh.  9,  308. 

*  ELehber  u.  T0LLBN8,  Ann.  206,  223.  —  Wolff,  Ann.  208,  109. 

'  KsAMEB  u.  Groäzei,  Bct.  11,  1358.  *  Fitz,  Ber.  13,  1309;  14,  1084. 


330  Valeriansäuren. 


kaltem  Wasser  leichter  löslich  als  in  heissem,  und  seine  kaltgesättigte 
Lösung  scheidet  daher  beim  Erwärmen  Krystalle  ab;  100  Th.  Wasser 
lösen  bei  0°  10-27  Th.,  bei  60<>  7-29  Th.  Von  dem  Silbers  alz 
CgH^OgAg  lösen  100  Th.  Wasser  bei  20 ^  0-30  Th.,  bei  70 ^  0-64  Th. 
2.  Isovaleriansäure  oder  Isopropylessigsäure  (CH3)2CH-CHj- 
COgH.     Der  synthetisch  aus  dem  IsobutylalkohoP : 

(CHj),CH.CH,.OH  >-   (CH8),CH.CH,.CN >-   (CH5),CH.CH,.C0,H 

/CO,H 
und  der  aus  der  Isopropylmalonsäure  (CH3)2CH«CH<^  durch  Koh- 

M50,H 
lensäure- Abspaltung^  entstehenden  Säui-e  muss  die  Constitution  der 
Isopropylessigsäure  zukommen.  Sie  besitzt  einen  starken  unangenehmen 
Geruch.  Ihr  Bariumsalz  (C5Hg02)2Ba  krystallisirt  in  schmalen  Prismen 
oder  dünnen  Blättchen;  das  Silbersalz  C^HgOgAg  bildet  glänzende 
Blättchen,  100  Th.  Wasser  lösen  bei  20^^  0-25  Th.,  bei  80^  0-49  Th. 
Die  Salze  dieser  Säure  zeigen,  wie  die  Salze  vieler  höherer  Fettsäuren, 
die  Eigenschaft,  beim  Aufwerfen  auf  Wasser  mit  grosser  Geschwindigkeit 
zu  rotiren. 

Diese  Säure  findet  sich  in  der  Wurzel  des  Baldrian  ^  (Valeriana 
officinalis)  und  wird  aus  derselben  durch  Destillation  mit  Wasser  erhalten. 
Von  diesem  Vorkommen  rührt  der  Name  Valeriansäure  her.  Die  so 
gewonnene  Säure  zeigt  gegenüber  dem  polarisirten  Lichtstrahl  ein 
schwaches  Drehungsvermögen,  vermuthlich,  weil  ihr  eine  gewisse  Menge 
der  unter  3.  zu  beschreibenden  isomeren  activen  Valeriansäure  beige- 
mengt ist.  Verwandelt  man  sie  in  das  Bariumsalz,  reinigt  dieses  durch 
Krystallisation  und  scheidet  dann  wieder  die  Säure  ab,  so  erhält  mau 
eine  optisch  inactive  Säure,  welche  vollkommen  identisch  mit  der  syn- 
thetischen Isopropylessigsäure  ist. 

Man  erhält  diese  Säure  femer  durch  Oxydation  des  Gährungsamyl- 
alkohols*,  sie  entsteht  aus  dem  inactiven  Amylalkohol  (vgl.  S.  164 — 165): 

"^NcHCHjCHjOH         —  ^  'NcH-CHaCO-OH, 

während   der   active  Amylalkohol   die   unter   3.  zu  besprechende  active 
Valeriansäure  liefert. 

Das  Ammonium-  und  das  Zinksalz  der  Isovaleriansäure  finden  als 
Arzneimittel  Verwendung. 


^  Erlenmeter  u.  Hell,  Ann.  160,  268.  —  £.  Schmidt  cl  Sachtleben,  Ann. 
193,  91.  ~  Sedlitzkt,  Monatsh.  8,  564. 

■  Conrad  u.  Bischoff,  Ann.  204,  151. 

^  Grote,  Berz.  Jb.  11,  225.  —  Trohmsdorf,  Ann.  4,  229.  —  Erlexmeyeh  u.  Heix, 
Ann.  160,  271. 

*  DüMAs  u.  Stab,  Ann.  35,  143.  —  Pierre  u.  Puchot,  Ann.  eh.  [4]  29,  229.  — 
Stalmann,  Ann.  147,  129.  —  Erlenmeter  u.  Hell,  Ann.  160,  275.  —  Laworow  u. 
Jarukowitsch,  Jb.  1864,  337.  —  Duolaux,  Compt.  rend.  105,  171. 


Valeriansäure^i.  331 


3.  Methyläthylessigsäure  NCH-COgH.     Diese  Säure  kann 

mittelst  der  Acetessigester-Synthese  *  oder  mittelst  der  Malonsäureester- 
Synthese*  durch  successive  Einflihrung  der  Methyl-  und  Aethyl-Gruppe 
gewonnen  werden.  Sie  findet  sich  femer  in  dem  ätherischen  Oele  der 
Früchte  von  Angelica  Archangelica  K  Sie  besitzt  einen  schwachen  baldrian- 
artigen Geruch.  Charakteristisch  ist  ihr  Bariumsalz  {C5H^02)2Ba, 
welches  nicht  krystallisirt  erhalten  werden  konnte,  sondern  beim  Ein- 
dampfen der  Lösung  als  farblose  gummiähnliche  Masse  zurückbleibt; 
ihr  Silber  salz  CgH^OgAg  ist  leichter  löslich  als  das  isovaleriansaure 
SUber;  bei  20  ^  lösen  100  Th.  Wasser  M8  Th.,  bei  80^  2-40  Th. 

Die  Methyläthylessigsäure  ist  unter  den  Valeriansäuren  die  einzige, 
welche  ein  asymmetrisches  Kohlenstofi'atom  enthält: 

C,H/    ^CO,H ; 

nach  der  Theorie  von  Le  Bel  und  van  't  Hoff  kommt  ihr  demnach 
die  Fähigkeit  zu,  in  optisch  activen  Modificationen  aufzutreten;  die  auf 
synthetischem  Wege  erhaltene  Säure  aber  ist  ein  Gemisch  der  beiden 
entgegengesetzt  drehenden  Modificationen  und  daher  inactiv  (vgl.  S.  82). 
Dagegen  erhält  man  aus  dem  optisch  activen  Gährungs-Amylalkohol 
durch  Oxydation  eine  optisch  active  —  und  zwar  rechtsdrehende  — 
Valeriansäure*.  Dieselbe  ist  wohl  noch  niemals  ganz  rein  und  frei 
von  inactiver  Säure  erhalten  worden.  Sie  ist  höchstwahrscheinlich  die 
active  Modification  der  Methyläthylessigsäure;  wenigstens  deuten  die 
Eigenschafben  der  freien  Säure  und  ihrer  Salze  darauf  hin;  ein  sicherer 
Nachweis  steht  aber  noch  aus.  Er  wäre  zu  erbringen,  indem  man  die 
synthetische  inactive  Methyläthylessigsäure  in  die  activen  Modificationen 
zerlegt  und  letztere  mit  dem  Oxydationsprodukt  des  reinen  activen  Amyl- 
alkohols vergleicht.  Auch  für  die  endgültige  Begründung  der  Constitu- 
tionsformel  des  activen  Amylalkohols  (vgl.  S.  165)  wäre  die  Lösung 
dieser  Aufgabe  von  grosser  Wichtigkeit. 

4.  Trimethylessigsäure   (CH3)3C-C02H    ist    aus   dem    tertiären 
Butyljodid  durch  Vermittelung  des  Cyanids^: 

(CH,),CJ    >-     (CH3)3C.CN >     (CHa)aC.CO,H, 

ferner  durch  Oxydation  des  Pinakolins«  (vgl.  Kap.  11)  (CH3)3CCO(CH3) 
erhalten   worden.     Sie   ist   die  einzige   unter   den   vier   Valeriansäuren, 


>  Savr,  Ann.  188,  259.  —  £.  Schmidt,  Ann.  208,  262. 

'  CoKBAD  n.  Bischoff,  Ann.  204,  148.  —  Sedlitzkt,  Monatsb.  8,  570. 

'  R.  MOlleb,  Ber.  14,  2476. 

*  Franklakd  u.  Duppa,  Ann.  145,  92.  —  Pedleh,  Ann.  147,   243.  —  Erlen- 
«VER  u.  Hell,  Ann.  160,  282,  287.  —  Conrad  u.  Bischoff,  Ann.  204,  157. 

*  BuTLEBOW,  Ann.  165,  322;  170,  151;  173,  355. 

*  Friedel  u.  Silva,  Compt  rend.  77,  48.  —  S.  Reformatzky,  Ber.  23,  1596. 


332  VcUeriansäuren. 


welche  bei  gewöhnlicher  Temperatur  fest  ist  (vgl.  Tabelle  Nr.  14  auf 
S.  312);  es  zeigt  sich  hierin  wieder,  dass  die  Anhäufung  von  Methylgruppen 
(vgl.  S.  167)  eine  Erhöhung  des  Schmelzpunkts  bewirkt.  Ihr  Geruch  ist 
nicht  sehr  unangenehm  und  erinnert  an  den  der  Essigsäure  und  gewöhn- 
lichen Yaleriansäure.  Ihr  Bariumsalz  {G^B^O^^Bsl  krystallisirt  mit 
5  Mol.  Wasser. 

Es  sind  hier  nun  noch  eine  Reihe  von  Beobachtungen  der  Valerian- 
säuren  in  der  Natur  und  von  Zersetzungs-Reactionen  natürlicher  Stoffe 
zu  erwähnen,  in  welchen  Yaleriansäuren  sich  bilden.  Die  erste  Beobach- 
tung einer  Valeriansäure  rührt  von  Chevbeül  her,  er  fand  sie  1817  in 
der  aus  dem  Delphinthran  erhältlichen  Seife,  ein  Jahr  später  in  den 
Beeren  von  Vibumum  opulus  auf.  Valeriansäure  findet  sich  unter  den 
Fäulnissprodukten  des  Caselns  ^  und  entsteht  bei  der  Oxydation  von 
Eiweisskörpem  ^.  Diese  und  ähnliche  Angaben  '  stammen  aus  einer  Zeit, 
in  der  man  noch  nicht  die  Existenz  von  isomeren  Valeriansäuren  kannte. 
Die  Frage,  welche  der  vier  jetzt  bekannten  Säuren  in  jedem  einzelnen 
Falle  vorgelegen  hat,  kann  erst  durch  eine  Wiederholung  der  Unter- 
suchungen entschieden  werden. 

Die  Säuren  toh  der  sechsten  bis  zar  zehnten  Seihe.    In  den 

höheren  Reihen  entspricht  die  Zahl  der  bekannten  Säuren  nicht  mehr 
der  Anzahl  der  möglichen  Isomeriefalle.  Von  den  acht  möglichen  Säuren 
der  Zusammensetzung  CqH^2^2  ^^^^  sieben,  von  den  siebzehn  möglichen 
Heptoylsäuren  C^Hj^Oj  sechs  mit  Sicherheit  bekannt.  Unter  diesen 
Säuren  verdienen  diejenigen  mit  normaler  Structur  eine  besondere  Be- 
achtung, da  man  ihnen  häufig  in  der  Natur  begegnet;  nur  diese  Säuren 
seien  im  Folgenden  besprochen.  Sie  wurden  zuerst  von  Chevbeül  als 
Componenten  der  in  der  Kuhbutter  und  Ziegenbutter  enthaltenen  Ester 
beobachtet*;  von  diesem  Vorkommen  haben  die  Säuren  der  6.,  8.  und 
10.  Reihe  die  Bezeichnungen  Capronsäure,  Caprylsäure  und  Caprinsäure 
(capra:  die  Ziege)  erhalten.  Sie  finden  sich  auch  im  Käse*,  im  Cocos- 
nussöl  •,  in  verschiedenen  Fuselölen  ^  (Oenanthäther,  s.  S.  333)  theils  frei, 
theils  in  Form  von  Estern.  Verbindungen,  welche  gliederreiche  Kohlen- 
stofFketten  in  ihrem  Molecül  enthalten,  —  wie  z.  B.  die  Oelsäure  —  liefern 
häufig  diese  Säuren  bei  der  Oxydation  ®. 

Normale  Capronsäure:   CqR^^Oq  =  G}I^'{CH^\'CO^'R.     Die   nor- 


^  Iljenko,  Ann.  55,  SO;  63,  269.  '  Guckelberqer,  Ann.  64,  70. 

'  H.  Meter  u.  Zenker,  Ann.  65,  328.  —  Moro,  Ann.  56,  330.  —  Scthkedrr- 
MANN  n.  Wikkler,  Ann.  51,  824. 

^  Vgl.  Lerch,  Ann.  49,  212.  ^  Iljenko  n.  Laskowski,  Ann.  65,  78. 

•  Fehlikg,  Ann.  53,  399.  —  Goroey,  Ann.  66,  290. 

^  Müller,  J.  pr.  56,  106.  ~  Wethbrill,  Jb.  1853,  441.  —  Fehlino,  Jb.  1853, 
441.  —  RowNEY,  J.  pr.  66,  246.  —  Perrot,  Ann.  105,  66.  —  A.  Fischer,  Ann.  118, 
307.  —  Grimm,  Ann.  157,  264. 

^  Vgl.  Redtenbacher,  Ann.  59,  50.  —  ArzbXcher,  Ann.  73,  199.  —  Gerhabd, 
Ann.  67,  245.  —  Limpach,  Ann.  190,  267. 


Capronsäure,   Oenanihylsäure,  Caprylsäure.  333 

male  Stmctur  dieser  Säure  wird  durch  ihre  Synthese  aus  normalem 
Amylalkohol^: 

gewährleistet.  Aus  den  Blüthen  von  Satyrium  hircinum*,  aus  den 
Früchten  von  Heracleum  spondylium'  ist  eine  Capronsäure  gewonnen, 
welche  wohl  gleichfalls  als  die  normale  betrachtet  werden  kann.  Be- 
sonders wichtig  ist  ihre  Entstehung  bei  der  Buttersäure -Gährung  des 
Zuckers  (bezw.  des  milchsauren  Ealks,  vgl.  S.  326);  sie  bildet  sich 
stets  in  beträchtlicher  Menge  neben  der  Buttersäure,  und  daher  ist  die 
rohe  „Gährungsbuttersäure**  die  beste  Quelle  fiir  die  Gewinnung  der 
Capronsäure*.  Bei  der  Oxydation  mit  Salpetersäure  wird  die  normale 
Capronsäure  in  Bemsteinsäure  und  Essigsäure  gespalten^. 

Oenanthylsäure  C7H14OJ  (Heptoylsäure).  In  dem  „Oenanthäther"  (von 
otpog,  Wein)  —  der  Substanz,  welche  den  charakteristischen  Geruch  aller  Weine 
bedingt,  —  vermutheten  Liebio  u  Pelouze*  den  Aethylester  einer  Säure  Ci4HseO] 
(nach  der  alten  FormuUrung).  Die  Namen  mehrerer  Verbindungen,  deren  Formeln 
nach  der  alten  Bezeichnungsweise  14  Aequivalente  Kohlenstoff,  nach  der  neuen 
7  Atome  Kohlenstoff  aufweisen,  wurden  dann  von  dem  Stamme  „Oenanth^'  abge- 
leitet Diese  Namen  haben  sich  erhalten,  obgleich  später  nachgewiesen  wurde,  dass 
der  Oenanthäther  aus  Estern  kohlenstofireicherer  Säuren  —  nämlich  der  Caprylsäure 
und  Caprinsäure  —  besteht  ^  —  Die  normale  Oenanthylsäure  CHj(CH2)5-CO,H 
ist  synthetisch  aus  dem  normalen  Hezylalkohol  durch  Vermittelung  des  Hezylcyanids 
gewonnen^.  Sie  hat  sich  als  identisch  erwiesen  mit  der  Säure,  welche  durch  Oxyda- 
tion des  Oenanthols*  CeHij-COH  (vgL  Kap.  11)  —  eines  Aldehyds,  welcher  bei  der 
Destillation  des  Ricinusöls  entsteht  —  oder  auch  durch  directe  Oxydation  des  Rici- 
nusdb  ^®  gebildet  wird.  Die  Oxydation  des  Oenanthols  stellt  die  beste  Methode  zur 
Gewinnung  der  Oenanthylsäure  dar. 

Normale  Caprylsäure:  CgHi^O,  =  CHg •  (CH,)e •  CO,H.  Ihr  Vorkommen  in  der 
Butter,  im  Käse,  im  CocosnussÖl,  im  Weinfaselöl  ist  schon  erwähnt  worden  (S.  832). 
Am  besten  stellt  man  sie  aus  dem  Cocosöl  dar.  Sie  ist  femer  aus  dem  Octylalkohol 
des  Heracleumöls  durch  Oxydation  erhalten  ^^.  Ihre  normale  Structur  ergiebt  sich 
daraus  y  dass  ihr  Nitril  nach  der  HoFMAKN^schen  Reaction  (vgL  S.  295)  durch  Abbau 
des  normalen  Pelargonsäureamids  mit  alkalischer  Bromlösung  entsteht  ^'. 

Normale  Pelargonsäure  CgHigOg  =  CH, •  (CH,)7  •  COjH  findet  sich  unter  den 
fluchtigen  Bestandtheilen  des  Krauts  von  Pelargonium  roseum  ^'.    Sie  kann  auch  aus 

^  LiEBEK  u.  Rossi,  Ann.  169,  75;  165,  118. 

'  CHAüTAJtD,  Compt.  rend.  68,  689.  '  Zincke,  Ann.  152,  18. 

*  Sticht,  Jb.  1868,  522.  --  Freund,  J.  pr.  [2]  3,  224.  —  Liknemann,  Ann. 
160,  225.  —  Grillone,  Ann.  165,  132.  —  Lieben  u.  Rossi,  Ann.  170,  84.  —  Kottal, 
Ann.  170,  95. 

'  Erlekmbtbr,  Siegel  u.  Belli,  Ann.  180,  215. 

*  Ann.  19,  241.  '  A.  Fischsb,  Ann.  118,  307. 

*  Franchimont,  Ann.  166,  237.  —  Lieben  u.  Janeczek,  Ann.  187,  139. 

^  BussT,  Ann.  60,  249.  —  Grdishaw  u.  Schorlehmeb,  Ann.  170,  187.  — 
MiBLis,  Ann.  185,  358.  —  Krafft,  Ber.  15,  1717. 

»•  TiLLEY,  Ann.  39,  160;  67,  105.  —  Wahlfobss,  Ber.  21  o,  711;  22  c,  437. 

"  Zincke,  Ann.  162,  8.  —  Renesse,  Ann.  171,  380. 

"  A.  W.  HoFMANH,  Ber.  17,  1406. 

'•  Pless,  Ann.  59,  54.   Anm.  —  Beromann,  Ber.  17  o,  276. 


334  Pekergonsäure,   Caprinsäure. 

dem  Cyanid  des  Octylalkols  (aus  Heracleumöi)  durch  Verseifung  gewonnen  werden^; 
am  besten  erh&lt  man  sie  durch  Schmelzen  dnr  Uudecylensäure  CH, «(0112)7 -CH:  GH- 
COjH  mit  Kalihjdrat';  letztere  zerfällt  hierbei  in  Pelargonsäure  und  Essigsäure 
(vgl.  S.  809 — 310).  Die  normale  Structur  dieser  Pelargonsäure  ergiebt  sich  aus  ihrer 
Bildung  durch  Einwirkung  von  normalem  Heptyljodür  auf  Natriumacetessigester  und 

GOCH, 
Spaltung  des  so  erhaltenen  Heptylacetessigesters  ^  |  ,  femer 

GH,  •  (GHs)e  •  GH  •  GO,  •  GjHj 
daraus,  dass  man  bei  successivem  Abbau  mittelst  der  HoFMAKN'schen  Reaction  (vgl.  S.  295) 
schliesslich  von  ihrem  Amid  aus  zu  dem  Nitril  der  normalen  Gapronsäure  ^  gelangt 
Normale  Gaprinsäure:  GjoHjoO,  =  GHj'(GHj)8-G02H.  Ihre  normale  Structur 
wird  durch  die  Synthese  aus  normalem  Octyljodür  und  Acetessigester  sicher  gestellt  \ 
Als  Quelle  zur  Darstellung  wird  das  Fettsäuregemisch  empfohlen,  welches  beim  An- 
säuern von  etwa  acht  Tage  alten  (vergohrenen)  Wollwaschwässern  ausfällt*. 

Die  Säuren  toh  der  elften  bis  zar  zwanzigsten  Seihe.  Wäh- 
rend bisher  für  die  Säuren  aller  Reihen  —  mit  Ausnahme  der  Oenanthyl- 
säure  —  Beobachtungen  ihres  Vorkommens  in  der  Natur  angeführt  werden 
konnten,  sind  von  der  10.  Eeihe  an  aufwärts  fast  ausschliesslich  die  Säuren 
mit  einer  paaren  Anzahl  von  Kohlen  Stoffatomen  in  Naturprodukten  auf- 
gefunden worden.  Die  Angaben,  dass  eine  Säure  der  11.  Reihe  (Umbellul- 
säure)  C^iBl^2^2  ^^  ^^^  T!!(\iss  von  Umbellularia  California  vorkomme^, 
eine  Säure  der  15.  Reihe  (Lactarinsäure)  Cj^HgoOg  sich  in  Pilzen^  (Aga- 
ricus  integer  und  Lactarius  piperatus),  eine  Säure  der  17.  Reihe  CjyHg^Og 
sich  im  Leichenwachs  ®  finde,  stehen  ganz  vereinzelt  gegenüber  der  grossen 
Zahl  von  Beobachtungen,  welche  die  ausserordentliche  Verbreitung  der 
Säuren  mit  12,  14,  16,  18  und  20  Kohlenstoffatomen  in  der  Natur  dar- 
thun.  Als  Glyceride  bilden  diese  Säuren  den  Hauptbestandtheil  der 
meisten  pflanzlichen  und  thierischen  Fette.  Die  Fette  stellen  daher  auch 
das  Material  zur  Gewinnung  jener  Säuren  dar;  man  „verseift"  dieselben 
durch  Kochen  mit  alkoholischem  Kali,  wobei  die  Glyceride  in  Glycerin 
und  fettsaures  Alkali  gespalten  werden,  z.  B.: 

OCOCisHgi  OH 

C3H,O.CO.CiöH3i+  3K'0H  =  CjHgOH  +  3  CisHji  •  CO  -  OK, 
O-COC^Hsi  OH 

und  scheidet  aus  dem  fettsauren  Alkali  (der  „Seife",  vgl.  S.  337)  die  freie 
Fettsäure  durch  eine  Mineralsäure  ab.  Da  viele  Fette  auch  das  Glycerid 
der  Oelsäure  enthalten,  so  erhält  man  die  festen  Fettsäuren  oft  mit 
der  flüssigen  Oelsäure  vermischt.  Man  trennt  sie  von  letzterer  durch 
Abpressen. 

Trennung  der  höheren  Fettsäuren  von  einander:    Man  wird  aus  den 
Fetten  zunächst  in  der  Regel  ein  Gemenge  mehrerer  homologer  Säuren  gewinnen. 


'  Franchimoht  u.  Zinckb,  Ann.  164,  833.  '  BLbafpt,  Ber.  15,  1691. 

'  JoüBDAN,  Ann.  200,  107.  *  A.  W.  Hofmann,  Ber.  17,  1406. 

*  GüTHZErr,  Ann.  204,  5.  •  A.  u.  P.  Büisine,  Compt  rend.  105,  614. 

^  Stillmann  u.  O'Neill,  Ber.  15,  2919. 

®  Thörnkb,  Ber.  12,  1635.  —  Chutt,  Bull.  [3]  2,  153. 

^  Ebert,  Ber.  8,  775. 


Normale  Slructur  der  natürlich  vorkommenden  höheren  Fettsäuren,     335 


Um  hieraus  die  einzelnen  Säuren  rein  abzuscheiden,  bereitet  man  nach  Hetmtz  ^  eine 
kaltgesättigte  Lösung  des  Fettsäuregemenges  in  Alkohol  und  fällt  sie  in  der  Hitze 
fractionirt  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  Magnesiumacetat  (oder  auch  Blei- 
acetat')  aus;  es  scheiden  sich  zunächst  die  Magnesiumsalze  der  kohlenstofireicheren, 
dann  diejenigen  der  kohlenstoffilrmeren  Säuren  ab.  Nach  jedesmaligem  Filtriren  eines 
Niederschlags  stumpft  man  im  Filtrat  die  freie  Essigsäure  mit  etwas  Ammoniak  ab 
und  fügt  dann  erst  eine  neue  Menge  Magnesiumacetat  zu;  wenn  letzteres  keinen  Nieder- 
schlag mehr  erzeugt,  kann  man  zuweilen  noch  mit  einer  concentrirten  wässrigen 
Lösung  von  Bariumacetat  weitere  Portionen  ausfällen.  Die  einzelnen  Niederschläge 
werden  mit  kochender  verdünnter  Salzsäure  zersetzt,  man  bestimmt  den  Schmelz- 
punkt der  freien  Säuren  und  krystallisirt  die  Säuren  von  annähernd  demselben 
Schmelzpunkt  wiederholt  aus  Alkohol  um.  Erst  wenn  der  Schmelzpunkt  bei  weiterem 
Umkrystallisiren  sich  nicht  mehr  ändert,  und  durch  partielle  Fällung  mit  Magne- 
sinmacetat  nicht  mehr  Säuren  von  verschiedenem  Schmelzpunkt  entstehen,  ist  die 
SSare  als  rein  zu  betrachten. 

Die  in  den  Fetten  enthaltenen  Säuren  besitzen  sämmtlich  normale 
Structnr.  Es  geht  dies  fiir  die  Säuren  bis  zur  18.  Reihe  daraus  her- 
vor, dass  man  durch  einen  schrittweisen,  von  der  Stearinsäure 
^18^603  ~  ^17^36 'CO -OH  ausgehenden  Abbau',  bei  welchem  man 
stets  den  Complex  — CHg-CO-OH  durch  die  Gruppe  — CO -OH  ersetzt, 
endlich  zu  der  Caprinsäure  gelangt,  für  welche  die  normale  Structur 
erwiesen  ist  (s.  S.  334).  Destillirt  man  nämlich  das  Bariumsalz  der  Stearin- 
säure mit  Bariumacetat,  so  erhält  man  ein  Keton  Cj^Hgß-CO-CHg: 


C„H„.C0-;0ba  +  ba0.C0iCH8  =  BaCOg  +  CiyHgj.COCHa, 

und  dieses  Eeton  wird  bei  der  Oxydation  derart  gespalten,  dass  aus  dem 
Reste  — CO-CHg  Essigsäure,  aus  dem  Reste  CjyHgg  aber  eine  17  Kohlen- 
stoffatome enthaltende  Fettsäure  Cj^Hj^Og  =  Ci^Hgj-CO-OH  entsteht.  Es 
ergiebt  sich  hieraus,  dass  jenes  Keton  neben  der  Carbonylgruppe  (CO)  eine 
Methylengruppe  (CH^)  enthalten  muss,  dass  seine  Formel  in  Ci^Ögg-CHg« 
CO-CHg,  diejenige  der  Stearinsäure  in  CigHjj-CHj-CO-OH  aufgelöst 
werden  darf.  Aus  jener  Säure  der  17.  Reihe  nun  kann  in  gleicher 
Weise  das  Keton  Ci^Hjj-CO-CHg  und  durch  Oxydation  desselben  eine 
Säure  der  16.  Reihe  CißHgj-CO-OH  erhalten  werden,  welche  sich  als 
identisch  mit  der  in  der  Natur  vorkommenden  Palmitinsäure  erweist. 
Diese  Reactionen  erlauben  nun  wieder,  die  Formel  der  Säure  der  17.  Reihe 
in  Cj^Hjj-CHg-CO-OH  und  diejenige  der  Stearinsäure  demgemäss  in 
CjjHj, 'CHj-CHj-COjH  weiter  aufzulösen.  Durch  eine  ganz  analoge 
Reactionsfolge  kann  nun  die  Palmitinsäure  CjgHggOg  mit  der  Myristin- 
Bänre  Cj^HggOg,  die  Myristinsäure  mit  der  Laurinsäure  CigHj^Og, 
und  letztere  endlich  mit  der  Caprinsäure  Cj^Hg^Og  verknüpft  werden. 
Ee  darf  daher  der  Stearinsäure  die  Structurformel: 

C9H1Q  •  CHg  •  CHj  •  CH]  •  CHg  •  CH2  •  CH]  •  CH^  •  CH2  •  COjH 

beigelegt  werden,  in  welcher  der  noch  nicht  aufgelöste  Rest  CgH^g  die 
Reiche  Structur  wie  in   der  Caprinsäure  CgH^g-CO-OH  besitzen  muss. 

*  J.  pr.  66,  1.  "  Pkbal,  Ann.  71,  144.  ^  Krafft,  Ber.  15,  1706. 


336  Laurinsäwre,  Myvistinaäure, 

Da  nun  diese  Caprinsäure  mit  der  normalen  Caprinsäure  identisch  ist, 
so  ist  die  normale  Structur  für  die  Stearinsäure  und  sämmtliche  in 
obiger  Eeactionsfolge  enthaltenen  Zwischenglieder  erwiesen.  —  Für  die 
in  der  Natur  vorkommende  Säure  mit  20  Kohlenstoffatomen  —  die 
Arachinsäure  —  ist  der  Nachweis  femer  dadurch  geliefert,  dass  aus 
der  Stearinsäure  CiyHgg-CO-OH  durch  die  Zwischenstufe  des  Aldehyds 
CjyHgg'COH  der  normale  Octadecylalkohol  Cj^Hj^-CHj- OH,  aus  letzterem 
das  Jodid  CjyHjg-CHgJ  dargestellt  wurde,  und  mittelst  dieses  Jodids 
durch  die  Acetessigester-Synthese  die  normale  Octadecylessigsäure: 

C17H35  •  CH]  •  CHji  •  COjH 

synthetisch  gewonnen  wurde,  welche  sich  als  identisch  mit  der  natür- 
lichen Arachinsäure  erwies  ^. 

Die  zwischen  die  natürlich  gebildeten  Fettsäuren  sich  einschaltenden  Glieder 
mit  11,  13,  15,  17'  und  19^  C-Atomen  sind  künstlich  nach  den  bei  dem  Stnictor- 
nachweis  benutzten  Reactionen  gewonnen.  Sie  besitzen  an  sich  kein  besonderes 
Interesse  und  seien  daher  nicht  einzeln  besprochen.  Ihre  physikalischen  Constanten 
sowie  auch  diejenigen  der  natürlichen  Säuren  sind  in  der  Tabelle  No.  14  (S.  312) 
enthalten. 

Laur  in  säure  CisHs^O,  bildet  als  Glycerid  einen  Hauptbestandtheil  des  Lor- 
beerfetts' und  wird  am  bequemsten  durch  Verseifung  des  im  Handel  befindlichen 
Lorbeerols  (des  offidnellen  Oleum  lauri  unguinosum,  durch  Auspressen  der  Früchte  von 
Laums  nobilis  hergestellt)  gewonnen  ^  Sie  findet  sich  femer  in  dem  Fette  der 
Pichurimbohnen  ^,  im  Cocosöl  ^,  im  Fanykallak-Fett ',  im  Dikabrot  ^  —  den  ölreicfaen 
Mandeln  von  Mangifera  Gabonensis,  welche  an  der  westafrikanischen  Küste  eines 
der  vorzüglichsten  Nahrungsmittel  der  Eingeborenen  darstellen,  —  femer  im  Wallrath  \ 

Myristinsäure  O14HS8O,  wird  am  besten  aus  der  Muskatbutter*  —  dem  festen, 
durch  Auspressen  der  Nüsse  von  Myristica  moschata  erhaltenen  Oel,  dessen  Haupt- 
bestandtheil das  Glycerid  der  Myristinsäure  (Myristin)  bildet  —  gewonnen,  oder 
aus  dem  Fett  der  Früchte  anderer  Myristica- Arten  *®.  Kleine  Mengen  ihres  Glycerids 
finden  sich  in  der  Butter  und  im  Wallrath  ".  Auch  das  Dikabrot  ^,  das  Oel  Ton 
Canarium  commune  ^  und  das  Oel  der  Erdmandeln  ^'  enthalten  die  Myristinsäure  als 
Glycerid. 

PalmltlnsSure  G^^fi^  ^^^  Stearinsäure  Cj8^6^2  ^^^  unter 
den  höheren  Fettsäuren  bei  weitem  die  wichtigsten.  (Physik.  Constanten  ^' 
vgl.  in  der  Tabelle  Nr.  14  auf  S.  312.)  Ihre  Glyceride,  gemischt  mit 
dem  Glycerid  der  Oelsäure,  sind  die  wesentlichsten  Bestandtheile  der 
thierischen  Fette.  Aus  letzteren  wird  industriell  als  Kerzenmaterial  ein 
Gemisch  von  Palmitinsäure  und  Stearinsäure  (Stearinkerzen)  erzeugt.    Die 


^  Schweizer,  Ber.  17  c,  569.  '  Kbafft,  Ber.  12,  1664,  1668. 

'  Marsson,  Ann.  41,  329.  ^  Kbafft,  Ber.  12,  1665. 

'  Stahmer,  Ann.  53,  390. 

•  GöROEY,  Ann.  66,  303.  —  Oudemans,  J.  pr.  81,  375. 

'  Oudemans,  J.  pr.  81,  356;  99,  409.  »  Hbintz,  J.  pr.  66,  43. 

*  Plaitair,  Ann.  37,  152.  —  Krapft,  Ber.  12,  1669. 

^^  Uricoechea,  Ann.  91,  369.  —  Reiher  u.  Will,  Ber.  18,  2011.  —  Nobbdlixoer, 
Ber.  18,  2617. 

"  Heintz,  J.  pr.  66,  38.  "  Hell  u.  T^'ERDOHEoorF,  Ber.  22,  1744. 

^'  lieber  d.  Schmelzpunkte  vgl.  Reissert,  Ber.  23,  2248. 


Palmitinsäure,  Stearinsäure.  337 


genauere  Kenntniss  dieser  Säuren  verdankt  man  in  erster  Reihe  der  aus- 
föhrlichen  Untersuchung  der  Fette  durch  Heentz^. 

Die  Palmitinsäure  ist  auch  im  Pflanzenreiche  verbreitet.  Das 
Palmöl  enthält  ihr  Glycerid;  hieraus  wurde  die  Säure  zuerst  rein  isolirt* 
und  hat  von  diesem  Vorkommen  ihren  Namen  erhalten.  Das  , Japanische 
Pflanzenwachs"  besteht  fast  ausschliesslich  aus  dem  Glycerid  der  Pal- 
mitinsäure und  bildet,  das  beste  Ausgangsmaterial  zu  ihrer  Gewinnung^. 
Myrica  cerifera  enthält  viel  freie  Palmitinsäure  neben  dem  Glycerid*. 
Das  Glycerid  findet  sich  ferner  im  Cocosnussöl*  und  im  chinesischen 
Talg*  (aus  den  Früchten  von  Stillingia  sebifera). 

Als  Ester  des  Cetylalkohols  findet  sich  die  Palmitinsäure  im  Wall- 
rath',  als  Ester  des  Myricylalkohols  im  Bienenwachs®;  sie  bildet  femer 
einen  Hauptbestandtheil  des  Leichenwachs®.  Erwähnt  sei  endlich  ihre 
Entstehung  beim  Erhitzen  von  Cetylalkohol  mit  Kalikalk  ^^  (vgl.  S.  169) 
und  beim  Schmelzen  von  Oelsäure  mit  Aetzkali^^ 

Zur  Gewinnung  der  Stearinsäure  kann  man  die  „Stearinsäure" 
des  Handels  benutzen,  welche  ein  Gemenge  von  Palmitinsäure  und 
Stearinsäure  darstellt;  man  fällt  die  heisse  alkoholische  Lösung  von 
4  Theilen  derselben  mit  einer  heissen  alkoholischen  Lösung  von  1  Theil 
Magnesiumacetat;  es  wird  fast  reine  stearinsaure  Magnesia  nieder- 
geschlagen,  aus  welcher  die  freie  Säure  durch  kochende  Salzsäure  ab- 
geschieden, darauf  durch  Umkrystallisiren  aus  Alkohol  gereinigt  wird.  Ein ' 
gutes  Ausgangsmaterial  stellt  auch  die  aus  Westafrika  stammende 
„Sheabutter"  —  ein  Pflanzenfett  —  dar^^;  dasselbe  enthält  von  Fett- 
säuren ausschliesslich  die  Stearinsäure,  daneben  nur  noch  die  leicht  durch 
Abpressen  von  der  Stearinsäure  zu  trennende  Oelsäure. 

Von  grosser  Wichtigkeit  sind  die  Salze  der  Palmitinsäure  und 
Stearinsäure;  ihre  Alkalisalze  sind  in  den  „Seifen"  enthalten,  und 
zwar  in  den  weichen  Seifen  die  Kalisalze,  in  den  festen  Seifen  die 
Natronsalze.  Diese  Alkalisalze  der  höheren  Fettsäuren  sind  in  Wasser 
leicht  löslich;  in  verdünnter  Lösung  aber  erleiden  sie  eine  theilweise 
Spaltung;  es  entsteht  einerseits  freies  Alkali,  andererseits  ein  schwer- 
lösliches saures  Salz,  welches  sich  abscheidet  und  mit  dem  Wasser 
einen  starken  Schaum  bildet.  In  diesem  Verhalten  ist  die  reinigende 
Wirkung  der  Seifen  begründet;  das  freie  Alkali  wirkt  auf  die  fettartigen, 
dem  zu  waschenden  Objecto  anhaftenden  Körper  lösend  ein,  der  Schmutz 
wird  dadurch  losgelöst,  und  der  Seifenschaum  trägt  durch  Einhüllen  des- 


»  J.  pr.  ee,  1.  2  Fr^jjy^  Ann.  36,  44. 

'  Stahmeb,  Ann.  43,  335.  —  Kraftt,  Ber.  21,  2265.    —   Hell  u.  Jordanoff, 
Ber.  24,  938. 

*  Chittenden  u.  Smith,  Ber.  18  o,  62.  *  Oudemans,  J.  pr.  81,  375. 

*  Maskel^-ne,  J.  pr.  65,  287.  ^  Heintz,  J.  pr.  66,  19. 
®  Beodie,  Ann.  71,  151.  —  Nafzoer,  Ann.  224,  251. 

»  Ebert,  Ber.  8,  775.  "  Dumas  u.  Stas,  Ann.  35,  210. 

"  Varrentbapp,  Ann.  35,  210.  **  Oudemans,  J.  pr.  89,  215. 

V.  Mbtsr  a.  jAOonaoN,  org.  Chem.   I.  22 


338  Margarin-,  Arachin-,  Behen-,  Lignocerin-j  Hyänasäure. 


selben  zu  seiner  Entfernung  bei.  Die  fettsauren  Alkalien  sind  auch  in 
Alkohol  löslich.  Die  Salze  der  alkalischen  Erden  und  der  Schwer- 
metalle sind  in  Wasser  unlöslich,  zum  Theil  in  Alkohol  löslich.  Die 
ßleisalze,  welche  auch  direct  durch  Kochen  der  Fette  mit  Bleioxyd 
und  Wasser  erhalten  werden  können,  bilden  die  sogenannten  „Pflaster**. 

Als  Margarinsäure  ist  in  den  älteren  Untersuchungen  der  Fette  eine  Säure 
der  17.  Eeihe  C17HS4O2  beschrieben  worden.  Heintz^  zeigte,  dass  diese  sogenannte 
Margarinsäure  ein  Gemisch  von  Palmitinsäure  und  Stearinsäure  ist.  Die  normale 
Fettsäure  der  17.  Reihe  (Schmelzpunkt  60°)  wurde  dann  künstlich*  erhalten  (vgl. 
S.  335).  Merkwürdig  ist,  dass  sie  später  doch  in  der  Natur  —  nämlich  im  Leichen- 
wachs —  aufgefunden  worden  ist*.  —  Neuerdings  ist  eine  bei  55°  schmelzende,  viel- 
leicht damit  isomere  Säure  C17H84OS  (Daturinsäure)  aus  dem  Oel  der  Samen  von 
Datura  stramonium  abgeschieden^.  —  Unter  den  Säuren  der  18.  Reihe  verdient 
noch  Erwähnung  die  synthetisch  mittelst  der  Malonsäureester-  und  Acetessigester- 
Synthese  durch  zweimalige  Einfährung  des  Octylradicals  erhaltene  Dioctyl essig- 
saure (Isostearinsäure)*  (C8Hi7),CH •  COjH  =  CiaHg^Os;  sie  unterscheidet  sich 
von  der  Stearinsäure  durch  den  weit  niedriger  liegenden  Schmelzpunkt  38-5°. 

Arachinsäure  CjoH^qOj  wird  aus  dem  ErdnussÖl  —  dem  Oel  der  Früchte 
von  Arachis  hypogaea  —  gewonnen^.  Sie  findet  sich  ferner  im  CacaoöF  und  in 
dem  Fett  aus  den  Fruchtkernen  von  Nephelium  lappaceum^. 

Die  SSuren  mit  mehr  als  20  KohleDstoffatomen.    Eine  Säure  der  22.  Reihe 
CS2H44OS  ist  im  BehenÖl  aufgefunden^  und  daher  Behensäure  genannt  worden;  in 
geringer  Menge  findet  sie  sich  auch  im  RüböP°.    Sie  entsteht  ferner  durch  Reduction 
^  der  Erucasäure**  C28H42O2  (vgl.  Kap.  16)  und  besitzt  daher  höchstwahrscheinlich  nor- 
male Structur.    Unter  60  mm  Druck  siedet  sie  bei  306  °. 

Als  Lignocerinsäure  wird  eine  bei  80^  schmelzende  Säure  der  24.  Reihe 
C94H48O2  bezeichnet,  welche  sich  in  fireiem  Zustande  im  Buchenholztheer- Paraffin 
findet*'.  Als  Glycerid  kommt  sie  im  Erdnussöl  vor*'.  —  Säuren  von  derselben  Zu- 
sammensetzung, aber  niedrigerem  Schmelzpunkt  sind  aus  dem  Oel  der  Früchte  von 
Gingko  biloba  (Gingkosäure  *^),  aus  dem  Camaubawachs  *^  und  durch  Oxydation  von 
Paraffin'®  erhalten  worden. 

Eine  Säure  der  25.  Reihe  CjgHsoOg  ist  bei  der  Untersuchung  des  Fetts,  wel- 
ches den  Inhalt  der  Analdrüsentaschen  einer  kranken  Hyäne  bildete,  beobachtet  und 
daher  Hyänasäure  genannt  worden*^;  das  Fett  enthielt  die  Glyceride  der  Hy&ua-, 
Palmitin-  und  Oelsäure. 

Unter  den  höchsten  Fettsäuren  ist  von  erheblichem  Interesse  die- 
jenige, welche  in  freiem  Zustande  einen  Hauptbestandtheil  des  Bienen- 
wachses (vgl.  Kap.  10,  Abschn.  III)  bildet.  Sie  ist  Cerotinsäure  ^^  genannt. 
Ihre  Zusammensetzung   hat   noch   nicht   mit   voller  Sicherheit  ermittelt 


^  J.  pr.  00,  1.  >  Heintz,  Ann.  102,  257.  —  Krapft,  Ber.  12,  1672. 

*  Ebert,  Ber.  8,  775.  *  G6rard,  Compt.  rend.  111,  305. 

*  GüTHZEiT,  Ann.  204,  11.  —  Conrad  u.  Bischoff,  Ann.  204,  165. 

*  Gössmann,  Ann.  89,  1.  —  Schweitzer,  Ber.  17  c,  569.  —  Kreilino,  Ber.  21,  880. 
^  Traub,  Ber.  10,  1103.  «  Oudemans,  Ztschr.  Chem.  1807,  256. 

»  VöLCKER,  Ann.  04,  342.  ^^  Rejmer  u.  Will,  Ber.  20,  2389. 

"  Reychler,  Bull.  [3]  1,  296.  —  Stohmann,  J.  pr.  [2]  42,  378. 
"  Hell  u.  Hermanns,  Ber.  13,  1713.  "  Kreiling,  Ber.  21,  880. 

"  Schwarzenbach,  Jb.  1857,  529.  "  Stürcke,  Ann.  223,  307. 

"  Pouchet,  Ber.  7,  1453.  "  Cariüs,  Ann.  129,  168. 

"  Brodie,  Ann.  07,  185. 


Gerotitisäure.  339 


werden  können;  sie  gehört  wahrscheinlich  der  26.  oder  27.  Reihe  an^ 
Die  geringe  Differenz,  welche  sich  für  die  procentische  Zusammensetzung 
der  Säuren  Cg^H^jOg  und  CgyHg^Og  ergieht: 

^26^62^8  C27H54O2 

C         78-78  79-02 

H         13-00  13-17, 

wird  es  begreiflich  erscheinen  lassen,  dass  diese  Frage  noch  nicht  end- 
gültig erledigt  worden  ist.  In  der  Zusammensetzung  der  Salze  sind  die 
Differenzen  zwar  etwas  grösser,  z.  B. : 

(CMH„0,\Pb  (C,;H5s08),Pb 

C  62-58  63-21 

H         10-23  10-30 

Pb       2076  20- 19, 

aber  doch  nicht  gross  genug,  um  die  Entscheidung  der  Frage  erheblich 
zu  erleichtern.  Für  die  Formel  CggHggOg  spricht  der  Umstand,  dass 
alle  genauer  untersuchten  natürlich  vorkommenden  höheren  Fettsäuren 
eine  gerade  Zahl  von  Kohlenstoffatomen  aufweisen,  für  die  Formel 
C27H54O3  andererseits  der  verhältnissmässig  niedere  Schmelzpunkt  (T8^), 
welcher  —  bei  Annahme  normaler  Structur  —  auf  die  Zugehörigkeit 
zu  einer  unpaaren  Reihe  hindeutet  (vgl.  S.  310).  —  Die  Cerotinsäure 
findet  sich  femer  als  Cerylester  im  chinesischen  Wachs  ^  und  im  WoU- 
schweiss';  auch  bei  der  Oxydation  von  Paraffin*  mit  Chromsäure  oder 
verdünnter  Salpetersäure  ist  sie  erhalten  worden. 

Melissinsäure  CsoH^qO,  ist  aus  dem  Myricylalkohol  CsoHegO  durch  Schmelzen  mit 
Kali-  oder  Natronkalk  erhalten'  (vgl.  S.  169).  Auch  findet  sie  sich  frei  im  Bienenwachs*. 

Unter  den  mit  Sicherheit  bekannten  Fettsäuren  ist  die  kohlenstofireichste  die 
Dicetyl essigsaure'  (CieH88)9CH'C02H  =  CaiHegO,,  welche  mittelst  der  Malon- 
säureester-Sjnthese  durch  zweimalige  Einführung  des  Cetjlradicals  erhalten  ist;  sie 
ist  in  Alkohol  sehr  schwer  löslich  und  schmilzt  bei  69 — 70^. 

Industrielle  Bedeutung  und  Gewinnung  der  Fettsäuren. 

Das  erste  Glied  der  Fettsäure-Reihe  —  die  Ameisensäure  — 
ist,  obwohl  ihre  Darstellung  aus  Kohlenoxyd  und  Aetzalkalien  (S.  314) 
einerseits,  aus  Oxalsäure  und  Glycerin  (S.  316 — 317)  andererseits  leicht 
ausfuhrbar  und  ergiebig  ist,  bislang  nicht  Gegenstand  ausgedehnterer 
technischer  Gewinnung  geworden. 

Die  Gewinnung  von  Flüssigkeiten,  welche  £sslgsSure®  enthalten, 
ist  dagegen    schon   in   früherer  Zeit  in   grösserem   Massstab   betrieben 


^  Nafzoeb,  Ann.  224,  248,  256.  >  Bbodie,  Ann.  67,  199. 

*  BcisiNE,  Bull.  42,  201.  *•  Gill  u.  Meusel,  Ztschr.  Chem.  1869,  65. 

*  Beodie,  Ann.  71, 149.  —  Pievehlino,  Ann.  183,  353.  —  StCrcke,  Ann.  223,  295. 

*  Nafzoeb,  Ann.  224,  249.  ^  Guthzeit,  Ann.  206,  366. 

*  Näheres  über  die  Technologie  der  Essigsäure  vgl.  in  Ferd.  Fischer's  Hand- 
buch der  chem.  Technologie  (Leipzig  1889)  S.  590  —  597.  —  Osx's  Lehrb.  d.  techn. 
Chem.  (Berlin  1890)  S.  295  u.  466.  —  Artikel  „Essigsäure"  in  Stoumann-Kerl's  ency- 
klopäd.  Handb.  d.  techn.  Chem.  Bd.  II  (Braunschweig  1889). 

22* 


340  Essiggährung, 


worden.  Handelte  es  sich  früher  hauptsächlich  um  die  Herstellung  von 
Flüssigkeiten,  welche  nur  wenige  Procente  Essigsäure  enthalten  und 
als  Speiseessig  (Tafelessig)  zur  Verwendung  bei  der  Zubereitung  von 
Speisen,  zum  Conserviren  von  Früchten,  Fleisch  etc.  bestimmt  waren, 
so  ist  in  neuerer  Zeit  daneben  auch  die  Gewinnung  der  concentrirten 
Essigsäure  und  vieler  essigsaurer  Salze  von  erheblicher  Bedeutung  ge- 
worden. 

Der  Speiseessig  wird  durch  Oxydation  von  verdünntem  Aethyl- 
alkohol  hergestellt.     Die  Reaction: 

CHsCHjOH  +  0,  =  CH3.CO.OH  +  H,0 

kann  im  Laboratorium  unter  der  Wirkung  mannigfacher  Oxydations- 
mittel —  wie  Chromsäure-Gemisch,  Braunstein  und  Schwefelsäure,  Ozon 
—  ausgeführt  werden.  Auch  der  SauerstoflF  der  Luft  bewirkt  diese 
Oxydation  in  Gegenwart  von  Platinmohr  oder  platinirter  Holzkohle  schon 
bei  wenig  erhöhter  Temperatur.  Allein  diese  Methoden  haben  sich  nicht 
flir  die  industrielle  Essigsäure-Gewinnung  bewährt,  da  nach  ihnen  der 
Alkohol  zum  grossen  Theil  nur  bis  zum  Acetaldehyd  oxydirt  wird. 

Wenn  man  durch  alkoholische  Gährung  erhaltene  geistige  Flüssig- 
keiten, wie  Bier  oder  Wein,  an  der  Luft  stehen  lässt,  so  werden  sie 
bekanntlich  sauer.  Es  beruht  dies  darauf,  dass  aus  der  Luft  Pilzkeime 
(von  Mycoderma  aceti,  Essigpilz)  in  die  Flüssigkeit  gelangen,  welche 
an  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  die  Oxydation  des  Alkohols  durch  Ueber- 
tragung  des  Luftsauerstoffs  bewirken  und  damit  die  sogenannte  „Essig- 
gährung"^  einleiten;  diese  Pilzkeime  finden  in  jenen  Flüssigkeiten  die 
zu  ihrer  Entwickelung  nothwendigen  Bestandtheile  (Phosphate,  StickstoflF- 
verbindungen)  vor,  während  letztere  in  reinem  wässrigen  Alkohol  fehlen. 
Im  Gegensatz  zu  jenen  alkoholhaltigen  Flüssigkeiten  bleibt  daher  reiner 
verdünnter  Alkohol  an  der  Luft  unverändert;  es  bedarf  des  Zusatzes 
der  flir  den  Pilz  nothwendigen  Nährstoffe,  um  die  Essiggährung  zu  er- 
möglichen. Diese  Essiggährung  nun  bietet  den  Weg,  welcher 
sich  als  praktisch  brauchbar  für  die  Oxydation  des  Aethyl- 
alkohols  zu  Essigsäure  in  industriellem  Massstab  erweist.  Je 
nach  dem  der  Essiggährung  unterworfenen  Ausgangsmaterial  bezeichnet 
man  das  gewonnene  Produkt  als  Weinessig,  Bieressig,  Obstessig 
(aus  vergohrenen  Fruchtsäften)  oder  Branntweinessig.  Man  unter- 
scheidet zwei  Verfahrungsweisen  in  der  industriellen  Ausfuhrung  der 
Essiggährung;  das  ältere  „französische  oder  Orl6ans-Verfahren*% 
welches  hauptsächlich  zur  Erzeugung  des  Weinessigs  aus  Wein  oder 
Weinabfällen  in  Frankreich  dient,  und  die  „Schnellessigfabrikation", 
welche  in  Deutschland  zur  Erzeugung  von  Branntweinessig  sehr  ver- 
breitet ist. 

Bei  dem  Orl6ans-Verfahren  benutzt  man  Fässer  aus  Eichenholz 
von  2  bis  4  Hektoliter  Capacität;  diese  w^erden  zunächst  zu  ein  Drittel  mit 


^  Vgl.  Pasteur,  Bull.  1861,  94. 


Orl6ana  -  Yrrfahrm.     Schneilessig  ■  Verfahren.  341 

fertigem  heissem  Essig  beschickt,  um  das  Holz  einzusäuern.  Nun  werden 
in  Zwischenräumen  von  je  8  Tagen  je  10  Liter  Wein  zugegeben,  bis  das 
Fass  etwa  zur  Hälfte  oder  zu  zwei  Drittel  angefllllt  ist.  Darauf  wird 
der  fertige  Weinessig  abgezogen,  aber  nicht  ToUständig;  man  lässt  einen 
Tbeil  im  Fasse  zurück,  weil  die  Gegenwart  von  fertiger  Essigsäure  noth- 
wendig  für  den  normalen  Verlauf  der  Essiggährnng  ist,  und  Itkgt  nun 
von  neuem  alle  8  Tage  10  Liter  Wein  zu.  Ein  Fass  kann  mehrere 
Jahre  in  Oebraach  bleiben,  bis  endlich  eine  gründliche  Reinigung  noth- 
wendig  wird.  —  Die  Essigbildung  verläuft  nach  diesem  Verfahren  sehr 
langsam.  Eine  von  Pastecb^  vorgeschlagene  Verbesserung  des  Verfahrens 
besteht  darin,  daas  man  auf  eine  flache  Schicht  einer  Nährlösung,  welche 
27o  Alkohol,  1^0  Essigsäure  und  eine  kleine  Menge  von  Nähraalzen 
enthält,  den  EssigpUz  aussäet,  und  nun,  nachdem  der  Essigpilz  in  leb- 
hafte Entwickelung  gerathen  ist,  täglich  gewisse  Mengen  von  Wein 
(oder  Alkohol,  mit  Alkohol  vermischtes  Bier)  zugiebt.  Wenn  die  Säuerung 
nacMässt,  zieht  man  den  gesammten  Essig  ab  und  sammelt  den  Pilz, 
um  ihn  zu  waschen  und  zu  neuen  Operationen  zu  benutzen. 

Das  Frincip  des  182S  von  Schützenbaoh  erfiindenen  Schnellessig- 
Verfahrens  beruht  darauf,  dass  das  in  Essig  zu  verwandelnde  „Essig- 
gut" in  möglichst  innige  Berührung  mit 
der  atmosphärischen  Luft  gebracht  wird, 
indem  man  es  in  dünnen  Strahlen  einem 
aufsteigenden  Luftstrom  entgegenrinnen 
läSBt.  Es  geschieht  dies  in  den  „Essig- 
sttodem"  oder  „Essigbildern",  von  denen 
eine  grössere  Zahl  sich  in  der  „Essig- 
stnbe"  befindet,  deren  Temperatur  auf 
etwa  25"  gehalten  wird.  Die  Construction 
dieser  Essigbilder  erhellt  aus  Fig.  58.  In 
die  Wandung  des  Holzfasses  A,  welches 
eine  Weite  von  1 — 2  m,  eine  Höhe  von 
2 — 5  m  besitzt  und  zwei  Siebböden  B  und  C 
enthält,  sind  etwa  20 — 30  cm  hoch  Über 
dem    unteren  Siebboden  eine  Beihe  von  p^  5g   Eeaiguider 

Loftzuglöchem  (a)  gebohrt.  Auf  den  un- 
teren Siebboden  B  werden  Bnchenholz-Hobelspähne  gehäuft,  welche  den 
Baum  des  Essigbilders  bis  etwa  15 — 20  cm  unter  dem  oberen  Band 
anftUlen.  Der  obere  Siebboden  C  ist  von  zahlreichen  Löchern  von  der 
Weite  eines  Gänsekiels,  femer  von  drei  grösseren  Bohrlöchern  durch- 
setzt; durch  die  engeren  Löcher  hängen  kurze  BindiUden  an  Knoten  herab, 
in  die  drei  weiteren  Löcher  sind  Qlasröhreu  (A)  eingesetzt.  In  die  Mitte  des 
Deckels  D  ist  ein  rundes  Loch  eingeschnitten;  durch  dieses  wird  das 
Essiggut  aufgegeben,  tropft  dann  an  den  Bindfäden  herab  auf  die  Holz- 

>  Compt.  rend.  66,  SB. 


342  Schnellessig-  Verfahre 


epähne  und  durchsickert  diese,  wobei  die  Essigbildung  erfolgt.  Der  ge- 
bildete Essig  gelangt  in  den  Eaum  unter  dem  Siebboden  B  und  i\e^iX. 
daraus  continuirlich  durch  den  Schwanenhals  E  ab.  Der  Flüssigkeit  ent- 
gegen strömt  Luft  durch  die  Zuglöcher  a  ein  und  tritt  durch  die  Glas- 
röhren b  und  die  Oeffnung  im  Deckel  D  aus ;  durch  die  im  Innerea  des 
Essigbilders  sich  entwickelnde  Wärme  wird  der  aufsteigende  Lnftstrom. 
win  in  niner  Esse,  unterhalten. 

Essigbilder  werden  vor  dem  Gebrauch  „eingesäuert",  indem 
■men  Essigsprit  hineingiesst  und  sie  nun  24  Stunden  bedeck't 
sat.  Darauf  kann  der  Betrieb  beginnen,  bei  welchem  eshaupi- 
auf  geregelte  Luftzufuhr,  geregeltes  Aufgiessen  des  Essiggnte^. 
äsige  Benetzung  der  Holzspähne  und  Einhalten  der  richtigen 
tur  ankommt.  Die  Temperatur  muss  durch  eingesetzte  Thermo- 
obachtet  und  durch  Vermehrung  oder  Verminderung  des  Ess^is- 
er  der  Luftzufuhr  regulirt  werden;  sie  soll  etwa  35*  betrsgeu: 
rer  Temperatui'  ist  der  Verlust  durch  Verdunstung  zu  gros*. 
ärer  Temperatur  wird  die  Oxydation  zu  langsam;  sie  hört  bei 
haupt  auf.  Als  ,, Essiggut"  gieht  man  eineu  6 — lOprocentigen 
F,  welcher  mit  20''/u  fertigem  Essig,  zuweilen  auch  mit  Bier 
zauszug  —  als  Nährstoff  fili'  den  Pilz  —  versetzt  wird.  Letz- 
atz ist  indessen  unnöthig  und  sogar  wenig  empfehlenswerth.  da 
ildung  schleimiger,  im  Betrieb  sehr  hinderlicher  Absätze  Ania-is 
e  Buchenholzspähne  reichen  als  Näiirboden  für  den  Pilz  voll- 
aus.  Stärkerer  Alkohol  ist  nicht  verwendbar,  weil  er  den  Essif- 
et.  Die  Oxydation  wird  in  der  Regel  nicht  in  einem  Essig- 
tu  Ende  geführt,  sondern  man  lässt  den  noch  stark  alkohot- 
Ablauf  des  ersten  Ständers  einen  zweiten  und  eventuell  noch 
Ständer  passiren,  bis  man  einen  nur  noch  einige  Zehntel  Procent 
enthaltenden  Essig  erhält.  Vollständig  darf  man  den  Alkohol 
i'diren,  weit  der  Essigpilz  bei  Abwesenheit  von  Alkohol  die 
■e  zu  Kohlensäure  und  Wasser  verbrenut.  Infolge  theilweiser 
ung  und  anderer  Umstände  arbeitet  man  gewöhnlich  mit  einem 
■on  20 — 25%;  doch  kann  der  Verlust  bei  unregelmässigem  Be- 
mentlich  wenn  die  Essigbilder  zu  heisa  werden,  bedeutend  grösser 
:öreud  auf  den  Betrieb  wirken  auch  zuweilen  die  Essigaale 
la  aceti),  Fadenwürmer  von  1 — 2  mm  Länge,  welche  oft  massen- 
reten,  fast  niemals  ganz  fehlen  und  dem  Essigpilz  den  Saner- 
Luft  streitig  machen. 

iVeinessig  enthält  6— ß^/o  Essigsäure,  daneben  die  mineralischen 
leile  des  Weines  und  Bouquetstoffe ,  welche  ihm  angenehmen 
[nd  Geschmack  verleihen  und  ihn  als  Speiseessig  besondere  be- 
;hen.  Er  ist  gelb  oder  röthlich  gefärbt.  Branntweinessig 
'enig  fremde  Stoffe  und  ist  farblos,  doch  wird  er  in  der  Regel 
brannten  Zucker  (Zuckercouleur)  gefärbt,  um  ihn  dem  Weinessig 
;u  machen;  sein  Essigsäuregehalt  beträgt  3 — 8*'/,,. 


Holx€ssig,  343 


Der  durch  Essiggährung  erhaltene  Essig  wird  fast  ausschliesslich 
als  Speiseessig,  femer  bei  der  Herstellung  von  Bleiweiss  verwendet.  Um 
concentrirtere  Essigsäure  und  essigsaure  Salze  zu  gewinnen,  bedient 
man  sich  des  Holzessigs.  Schon  bei  der  Besprechung  der  Holzgeist- 
Gewinnung  (S.  169)  ist  erwähnt  worden,  dass  durch  trockene  Destil- 
lation des  Holzes  neben  Theer  ein  wässriges  Destillat  gebildet  wird, 
welches  ausser  anderen  Verbindungen  erhebliche  Mengen  von  Essig- 
säure enthält.  Der  Säuregehalt  dieses  Holzessigs  ist  bei  der  Verarbei- 
tung von  Laubhölzeni  grösser,  als  bei  der  Verarbeitung  von  Nadelhölzern  ^. 
Indem  man  den  Holzessig  destillirt  und  die  Dämpfe  durch  Kalkmilch 
streichen  lässt,  erhält  man  eine  Lösung  von  essigsaurem  Kalk,  welche 
nun  in  eisernen  Pfannen  eingedampft  wird.  Die  sich  hierbei  als  Schaum 
abscheidenden  Phenole  und  theerigen  Verunreinigungen  werden  abge- 
schöpft. Der  trockene,  grau  gefärbte  holzessigsaure  Kalk  kommt  unter 
der  Bezeichnung  „Weisskalk"  in  den  Handel  und  wird  namentlich  in 
grosser  Menge  aus  Nordamerika  eingeführt.  Zur  Gewinnung  von  con- 
centrirter  wässriger  Essigsäure  wird  er  mit  concentrirter  Salzsäure,  unter 
Vermeidung  eines  Säure-Ueberschusses ,  aus  kupfernen  Blasen  destillirt; 
die  erhaltene  Säure  wird  dann  durch  Destillation  über  Kaliumbichromat 
oder  Kaliumpermanganat,  am  besten  aus  Silberretorten,  gereinigt.  Reiner 
Eisessig  wird  aus  Natriumacetat,  das  durch  Krystallisation  gereinigt, 
dann  entwässert  wird,  gewonnen,  indem  man  dasselbe  mit  concentrirter 
Schwefelsäure  destillirt. 

Ausser  der  Essigsäure  sind  im  Holzessig  noch  die  folgenden  Säuren  nachge- 
wiesen worden:  Ameisensäure,  Propionsäure  (in  verhältnissmässig  erheblicher  Menge), 
normale  Buttersäure  und  Valeriansäure ,  Crotonsäure  und  Angelicasäure  •;  ferner 
findet  sich  darin  Valerolacton. 

Die  Gewinnung  der  Essigsäure  aus  Holz  ist  gegenwärtig  viel  be- 
deutender, als  die  Darstellung  durch  Essiggährung.  Freie  Essigsäure 
findet  Vei*wendung  in  der  Pharmacie  und  in  der  Farben -Industrie. 
Grosse  Mengen  von  essigsauren  Salzen,  namentlich  des  Thonerde-,  Eisen- 
und  Chromsalzes,  werden  in  der  Färberei  verbraucht. 

Von  den  Homologen  der  Essigsäure  finden  die  Buttersäure  und  Valeriansäure 
beschränkte  Verwendung  zur  Gewinnung  von  Esteni  für  Parfumerie  -  Zwecke  (vgl. 
Kapitel  10,  Abschn.  III.). 

Unter  den  höheren  Fettsäuren  sind  wieder  die  Palmitinsäure 
und  Stearinsäure  Gegenstand  einer  bedeutsamen  Industrie.  Sie  werden 
in  grossen  Mengen  gewonnen,  um  als  Material  für  Kerzen  verwendet  zu 
werden.  Man  stellt  sie  durch  Verseifung  der  Fette  dar;  die  Processe, 
welche  die  Industrie  hierzu  anwendet,  werden  bei  der  Technologie  der 
Fette  (vgl.  Kap.  21)  eingehender  besprochen  werden. 


^  Sempp,  Ber.  18,  60. 

•  Andersov,  Jb.  1860,  310.  —  Barr£,  Compt.  rend.   08,   1222.  —  Krämer  u. 
Gbodzki,  Ber.  U,  1356. 


Uebersüfhl  üba-  die  durch  Veränderung 


Zehntes  Kapitel. 
Derivate  der  Fetta&uren. 

(Uebereicbt  über  die  SSurederivate.    S&urechloride.    SSureaobjdiide.    Ester.    Tbki- 

Bäoren.    SSureamide.    Amidcbloride,  Imidchloride,  Imidoätber  und  Thioamide.    Ami- 

dine  und  Amidoiime,) 

Uebersicht  Ober  die  Säurederivate. 

den  Alkoholen  sahen  wir  eine  grosse  Zahl  von  Yerbindungs- 
E^apitel  3 — 7)    dadurch   hervorgehen,    daas    entweder    nur   das 
»ffatom    der    Hydroxylgruppe    oder    die    Hydroxylgruppe    ganz 
lere  Atome  bezw.  ßadicale  ersetzt  wurde.     Analoger  Verände- 
id  die  Carbonsäuren  fähig  und  werden  dadurch  ebenfalls  znm 
it  einer  grösseren  Anzahl  von  Körpergruppen. 
Umwandlung  eines  Alkohols  in  ein  Halogenalkyl : 
CHj-OH       _>.       CH,C1 
der  Uebergang  der  Carbonsäuren  in  ihre  Halogenide: 

CH,.CO  OH        >        CH,-C0-C1. 

Beziehungen  der  Alkohole  zu  den  Aethem; 

C,H,, 
C,Ha  OH       >-  >0 

h   wieder  in  dem  Verhältniss   von  Säurehydraten  und  Säure- 
len: 

CH,.C0, 

CH,-C0-0H        ^  >0. 

CH.-CO/ 
Ester,   welche  man  von  den  Alkoholen  durch  Vertretung   deä 
rasserstofiatoms  mittelst  der  Säureradieale  ableiten  kann,  lassen 
;leichem  Recht  als  Säurederivate  anprechen,  entstanden  durch 
jn  Alkoholradicalen  in  die  Hydroxylgruppe  der  SäuremolecUle: 

CH,-C00H        >.        CH,.COO-C,H,, 

durch  Combination  der  Alkoholradicale  mit  Schwefelatomen  eot- 
Mercaptanen,  Sulfiden  und  Disulfiden: 

C,H.v  C,H.-S 
C,Hj-SH,                  )S,  t 

C,H/  C,H5-S 
)g  die    Thiosäuren,  Thiosäureanhydride    und   Disulfide 
eradicale: 

CH,-CO,  CH,-CO-S 

CH,-CO-SH,  >S,  I  ■ 

CH.CO/  CH,-CO-S 


der  Carboxylgruppe  entstehenden  Säurederit?ate.  345 

In  demselben  Verhältniss  wie  ein  Alkohol  zu  dem  entsprechenden 

primären  Amin: 

CjHjOH       ^       CjHsNH, 

steht  die  Carbonsäure  zu  ihrem  Säureamid: 

CHj.COOH        ►        CHj-CONH,. 

In  den  erwähnten  Verbindungsformen  findet  sich  das  Säureradical 
(der  „Acylrest",  vgl.  S.  304),  dessen  Verbindung  mit  der  Hydroxylgruppe 
das  Molecül  des  Säurehydrats  darstellt,  unverändert  wieder.  Wie  die 
Derivate  der  Alkoholradicale  unter  dem  Sammelnamen  der  Alkylverbin- 
dungen  zusammengefasst  werden  konnten,  so  ist  für  alle  obigen  Körper- 
gruppen die  allgemeine  Bezeichnung  „Acylverbindungen"  zutreffend. 

Als  Säurederivate  pflegt  man  aber  noch  eine  Reihe  von  Verbindungs- 
klassen zu  bezeichnen,  welche  das  unveränderte  Säureradical  nicht  mehr 
enthalten,  welche  sich  vielmehr  von  den  Carbonsäuren  ableiten,  indem 
auch  das  Sauerstoffatom  des  Acylrestes  durch  andere  Atome  oder  Gruppen 
vertreten  wird.    Hierher  gehören: 

die  Amidchloride,  wie  CHgCCl^-NH, 
Imidchloride,     „     CHj.CClrNH 
Thioamide,  „     CH3.CSNH3 

.NH 


Imidoäther,        „    CILc/ 

\o-c, 

/NH 
Amidine,  „     CH3-C<f 


H5 


'  ^\nH3 

.N-OH 
Amidoxime,        „     CH3-C<f^ 

\nh, 

AU'  diesen  Verbindungen  ist  ein  dreiwerthiges  Radical  von  der  allge- 
meinen Zusammensetzung: 

CnHan  +  i-C— 

gemeinsam,  von  welchem  das  Säurehydrat  selbst  sich  durch  Hinzutritt 
eines  Sauerstoffatoms  und  einer  Hydroxylgruppe  ableitet: 

Für  die  Nomenclatur  der  zu  jenen  Gruppen  gehörigen  Verbindungen  er- 
weist es  sich  oft  als  zweckmässig,  sie  auf  diese  dreiwerthigen  Radicale 
zu  beziehen.    Man  charakterisirt  letztere  durch  die  Endung  „enyl^^^;  es 

wird  also 

das  Radical:         HC^-  als  Methenyl 

„         „         CHg-C=    „    Aethenyl 


fj 


„        C2H5-C=    „    Propenyl  etc. 


•.I 


:'J 


*  Vgl.  A.  W.  HoFKANK,  J.  pr.  97,  270.  Anm. 


346  Halogenide  der  Säureradicals. 


bezeichnet;    die  Verbindung  H-C<^  erhält  den  Namen  Methenyl- 

\NH. 
.N-OH 
amidin,  CHj-C^  Aethenylamidoxim  etc. 

Die  Berechtigung,  alle  diese  Körpergruppen  als  Säurederivate  im 
engeren  Sinne  zusammenzufassen,  ergiebt  sich  aus  den  genetischen  Be- 
ziehungen, welche  zwischen  ihnen  und  den  Säurehydraten  bestehen.  Aus 
den  Säurehydraten  meist  durch  einfache  Reactionen  darstellbar,  lassen 
sich  alle  jene  Verbindungen  unter  Au&ahme  von  Wasser  derart  spalten, 
dass  das  Säurehydrat  wieder  zurückgebildet  wird.  Die  folgenden  Glei- 
chungen stellen  diesen  Vorgang  der  „Verseifung"  in  einigen  Fällen  dar: 

CHgCOCl  +  HÖH  =  HCl  +  CHgCOOH 

CHsCO.  CHsCOOH 

>0  4-H0H=  + 

CHgCO/  CHj.CO.OH 

CHa.CO.OCjHB  -f  HÖH  =  CHj-CO-OH  +  OHCjHs 

CHa-CONH,  +  H-OH  =  CH3.CO.OH  +  NHj 

>NH  .0 

CHs-Cf  +  2H,0  =  CHs-C/        +  NH3  +  OHCjHj 

^OCjHs  \0H 

^^"  >^ 

CH3.CC  +  2Hj,0  =  CHj-Cf        +  2NH3. 

^NHj  \0H 

Diese  Rückbildung  der  Säuren  wird  bei  einigen  Verbindungen,  z.  B. 
den  Säurechloriden  und  vielen  Anhydriden,  schon  durch  die  Einwirkung 
des  Wassers  in  der  Kälte,  in  allen  anderen  Fällen  durch  Erhitzen  mit 
Alkalien  oder  Säuren  bewirkt. 

I.    Halogenide  der  Säureradieale. 

A.    Chloride:  C^Hg^  +  i-COCl. 

Bildnngs weisen.  Eine  allgemeine,  zuerst  von  Cahoüks^  1846  in 
der  aromatischen  Reihe  benutzte  Methode  zur  Umwandlung  von  Carbon- 
säuren in  ihre  Chloride  besteht  in  der  Einwirkung  von  Phosphor- 
pentachlorid  auf  das  Säurehydrat.  Auch  in  der  Fettsäurereihe  ist 
dies  Verfahren  für  die  höheren  Glieder  (Laurinsäure  etc.),  deren  Chloride 
hoch  genug  sieden,  um  sich  leicht  von  dem  gleichzeitig  entstehenden 
Phosphoroxy Chlorid  trennen  zu  lassen,   mit  Vortheil  verwendbar,  z.  B. : 

CnHjg.COOH'y.PCls  =  C„Hj3.C0.Cl  +  POCI3  +  HCl. 

Man   bringt   Phosphorpentachlorid   und   die   zerriebene  Säure   in   äqui- 
valenten Mengen  zusammen,  unterstützt  die  Reaction  durch  kurzes  Er- 

*  Ann.  00,  255;  70,  39. 


Säurechlwide.  347 


wärmen    auf    dem    Wasserbade    und    verjagt    das   Phosphoroxychlorid 

durch  Erhitzen  im  luftverdünnten  Raum  (zuletzt  unter  ca.  15  mm  Druck 

bis  gegen  150^);  der  Rückstand  besteht  aus  fast  reinem  Säurechlorid, 

welches  eventuell  noch  durch  Destillation  im  Vacuum   völlig  gereinigt 

werden  kann^ 

Die  ersten  Fettsäurechloride  gewann  Gerhardt'  1858  durch  die  Einwirkung  von 
Phosphoroxychlorid  auf  die  Alkalisalze  der  Säuren: 

POCla  -f  2KO.CO.CH3  =  POsK  +  KCl  4-  2C1.CO.CH8 

—  eine  Methode,  welche  heute  kaum  noch  angewendet  wird. 

Zur  Darstellung  der  niederen  Fettsäurechloride  (Acetylchlorid,  Pro- 

pionyl Chlorid)  benutzt  man  gegenwärtig  allgemein  die  Einwirkung  von 

Phosphortrichlorid^  auf  die  Säurehydrate,  z.  B.: 

SCHj.CO-OH  +  2PCls  =  SCHsCOCl  +  3HC1  +  PA- 

Die  Einwirkung  wird  durch  gelindes  Erwärmen  eingeleitet  und  verläuft 
ruhig.  Aus  dem  Reactionsprodukt  gewinnt  man  das  Chlorid  durch  Ab- 
destillireu,  während  die  phosphorige  Säure  im  Rückstand  bleibt.  Liegt 
der  Siedepunkt  des  darzustellenden  Chlorids  dem  des  Phosphortrichlorids 
(79^  nahe,  so  dass  eine  Trennung  von  etwas  unverbrauchtem  Phosphor- 
chlorür  durch  Rectificiren  nicht  angeht,  so  verwendet  man  zweckmässig 
einen  massigen  Ueberschuss  des  Säurehydrats,  damit  sicher  alles  Phos- 
phorchlorür  zersetzt  wird. 

Darstellung  von  Acetylchlorid  CHg-CO-Cl:  Man  giebt  in  der  Kälte  zu 
T  Th.  Eisessig  6  Th.  Phosphor trichlorid ,  erwärmt  gelinde  auf  etwa  40®  und  wartet 
ab,  bis  die  nun  eintretende  Salzsäure-Entwickelung  nachlässt.  Darauf  destillirt  man 
das  Acetylchlorid  ab  und  reinigt  es  durch  einmalige  Kectification ;  sein  Siedepunkt 
liegt  bei  51  ^  Da  das  Acetylchlorid,  wie  alle  Säurechloride,  aus  der  Luft  begierig 
Wasser  anzieht,  um  in  Essigsäure  und  Salzsäure  überzugehen  (vgl.  S.  348),  ver- 
hütet man  zweckmässig  während  der  Darstellung  den  Zutritt  feuchter  Luft,  indem 
man  es  in  einer  Vorlage  auffängt,  welche  mit  der  äusseren  Luft  nur  durch  ein  Chlor- 
calciurarohr  communicirt. 

Säurechloride  entstehen  auch  direct  durch  Wasserentziehung  aus 
Säurehvdraten  und  Chlorwasserstoff: 

CHsCO.  OH  +  iiCl  =  HjO  +  CHs-COCl, 

wenn  man  in  ein  Gemisch  des  Säurehydrats  mit  Phosphorpentoxyd  Chlor- 
wasserstoff einleitet*.  Die  Constatirung  dieser  praktisch  bedeutungslosen 
Bildungsweise  ist  in  theoretischer  Beziehung  wichtig;  denn  es  ergiebt 
sich  daraus  eine  Erklärung  für  die  sehr  häufig  angewendete  Methode, 
eine  Carbonsäure  in  Ester  überzuführen,  indem  man  in  ein  Gemisch  der 
Säure  mit  einem  Alkohol  Chlorwasserstoff  einleitet;  vermuthlich  bildet 
sich  hierbei  infolge  der  wasserentziehenden  Wirkung  des  im  Ueberschuss 
verwendeten  Alkohols  zunächst  das  Säurechlorid  als  Zwischenprodukt 
(vgl.   Abschn.  III  dieses  Kapitels). 


*  Krafft  u.  Büboer,  Ber.  17,  1378.  ^  ^^^    gV,  63. 

«  BfecHAMP,  J.  pr.  65,  495;  68,  489.  —  Thorpe,  Journ.  Soc.  37,  186. 

*  Friedel,  Compt.  rend.  68,  1557.  — :  Demole,  Ber.  10,  1790. 


-t- 


348  Chloride  und  Bromide 


Allgemeine  Charakteristik.  Die  Reihe  der  Säurechloride  fängt 
erst  mit  dem  Acetylchlorid  CHj-COCl  an,  denn  alle  Versuche  zur  Ge- 
winnung eines  Formylchlorids  H-CO-Cl  sind  bisher  erfolglos  geblieben; 
dasselbe  scheint  nicht  existenzfähig  zu  sein;  in  den  Reactionen,  welche 
zu  seiner  Bildung  führen  sollten,  erhält  man  statt  dessen  Eohlenoxjd 
und  Salzsäure:  HCO-Cl  =  CO  +  HCl. 

Das  Acetylchlorid  und  seine  niederen  Homologen  sind  bewegliche  farb- 
lose Flüssigkeiten  von  sehr  stechendem  Geruch,  welche  an  der  Luft  stark 
rauchen,  da  die  Luftfeuchtigkeit  sie  unter  Bildung  von  Salzsäure  zersetzt 
(vgl.  unten).  Sie  sind  unzersetzt  destillirbar.  Wie  der  Siedepunkt  der 
Alkylchloride  weit  unter  demjenigen  der  entsprechenden  Alkohole  liegt, 
so  sind  auch  die  Säurechloride  stets  weit  leichter  flüchtig  als  die  zuge- 
hörigen Säurehydrate;  der  Eintritt  des  Chloratoms  an  Stelle  der  Hydroxyl- 
gruppe führt  in  beiden  Fällen  eine  erhebliche  Herabsetzung  der  Siede- 
temperatur herbei.  Die  hochmolecularen  Säurechloride  sind  selbst  im 
Yacuum  nicht  mehr  ganz  ohne  Zersetzung  destillirbar;  sie  sind  krystal- 
lisirbar,  in  kaltem  Aether  und  Ligroln  leicht  löslich  und  rauchen  schwach 
an  der  Luft.  In  Wasser  sind  die  Säurechloride  als  solche  nicht  löslich ; 
sie  werden  indess  vom  Wasser  rasch  unter  Bildung  von  Salzsäure  und 
dem  zugehörigen  Säurehydrat  zersetzt,  und  es  entstehen  somit  beim  Ver- 
mischen der  niederen  Chloride  mit  Wasser,  da  die  entsprechenden  Hy- 
drate in  Wasser  löslich  sind,  klare  Lösungen.  Siedepunkt  und  spec.  Gew. 
einer  grösseren  Reihe  von  Säurechloriden  s.  in  der  Tabelle  Nr.  17  auf 
S.  352. 

Das  chemische  Verhalten  der  Säurechloride  ist  besonders  charak- 
terisirt  durch  die  ausserordentlich  leichte  Beweglichkeit  des  Chloratoms. 
Wasser  zersetzt  die  niederen  Glieder  augenblicklich  und  mit  explosions- 
artiger Heftigkeit: 

CHj-CO-Cl  4^^  iÖ^  OH  =  CHsCOOH  +  HCl; 

wie  sich  hier  neben  Salzsäure  das  Säurehydrat  bildet,  so  entsteht  bei 
der  Zersetzung  mit  Alkoholen  ein  Säureester: 

CH,.CO.  01  +  HOC2H5  =  CHaCOOCjHs  4-  HCl. 

Ammoniak   wirkt   ebenfalls   lebhaft   ein   und    bewirkt   die   Bildung   des 

Säureamids : 

CH3.CO.CI  +  NH,  =  CHj-CONH,  +  HCL 

Mit  den  Salzen  organischer  Säuren  tritt  leicht  Reaction  unter  Bildung 
eines  Anhydrids  ein: 

CHjCO.  Cl  +  NaOCOCHj  =  NaCl  +  CHgCO  OCO-CH,. 

Diesen  Reactionen  könnte  eine  grosse  Zahl  anderer  angereiht  wer- 
den, in  denen  ebenfalls  das  Säureradical  durch  Vermittelung  des  Chlo- 
rids in  neue  Verbindungsformen  übergeführt  wird.  Durch  diese  Reactions- 
fahigkeit  gewinnen  die  Säurechloride  für  die  Zwecke  der  Synthese  eine 
ähnliche  Bedeutung,  wie  sie  den  Halogenalkylen  zukommt  (vgl.  S.  185), 


der  Fßttsäuren.  349 


Wie  die  letzteren  als  Transporteure  der  Alkoholradicale  (Alkylirungs- 
mittel)  eine  vielseitige  Verwendung  finden,  so  sind  die  Säurechloride 
vortreflfliche  üeberträger  der  Säureradieale  (Acylirungsmittel).  Gegenüber 
den  Säurechloriden  erscheinen  die  Halogenalkyle  fast  träge;  denn  wäh- 
rend die  Alkylirungsprocesse  mit  Hülfe  der  letzteren  meist  erst  in  der 
Wärme  eintreten  und  längerer  Zeit  zu  ihrer  Vollendung  bedürfen, 
tritt  die  Acylirung  durch  die  Säurechloride  in  der  Eegel  schon  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  ein  und  ist  in  kurzer  Zeit  beendigt.  An  dem 
elektropositiven  Alkylrest  haftet  das  elektronegative  Chloratom  weit  fester, 
als  an  dem  elektronegativen  Säureradical. 

unter  den  Fettsäurechloriden  ist  das  wichtigste  Glied  das  Acetyl- 
chlorid  (Darstellung  s.  S.  347,  physikal.  Eigensch.  s.  Tabelle  Nr.  17  auf 
S.  352);  es  ist  eines  der  am  häufigsten  gebrauchten  organischen  Eeagentien. 
Man  bedient  sich  desselben  namentlich,  um  rasch  zu  entscheiden,  ob  eine 
Verbindung  von  noch  unbekannter  Constitution  acylirbare  Wasserstoff- 
atome enthält  oder  nicht.  In  allen  Alkoholen  und  Phenolen  wird  das 
Wasserstoffatom  der  Hydroxylgruppe,  in  den  Mercaptanen  das  Wasser- 
stoffatom der  SH-Gruppe,  in  den  primären  und  secundären  Aminen  der  an 
Stickstoff  gebundene  Wasserstoff  bei  der  Behandlung  mit  Acetylchlorid 
durch  die  Acetylgruppe  ersetzt,  indem  gleichzeitig  Chlorwasserstoff  austritt. 
Verbindungen  dagegen,  welche  den  Sauerstoff  ätherartig,  den  Schwefel 
sulfidartig,  den  Stickstoff  tertiär  gebunden  enthalten,  sind  gegen  Acetyl- 
chlorid indifferent.  So  kann  die  rasch  und  mit  einer  kleinen  Substanz- 
menge auszuführende  Prüfung  des  Verhaltens  gegen  Acetylchlorid  oft 
wichtige  Anhaltspunkte  zur  Beurtheilung  der  Constitutionsfrage  liefern. 

B.   Bromidei:  C„H2„^.i.C0Br. 

Die  Sfiurebromide  besitzen  viel  geringere  Wichtigkeit  als  die  Säurechloride;  sie 
werden  nur  selten  angewendet.  Man  gewinnt  sie  ebenfalls  durch  Einwirkung  von 
Phosphorverbindungen  des  Broms  auf  die  Sfiurehydrate.  Aehnlich  wie  bei  der  Dar- 
Stellung  der  Bromalkyle,  braucht  man  nicht  fertigen  Bromphosphor  anzuwenden,  son- 
dern kann  denselben  während  der  Reaction  entstehen  lassen,  indem  man  Brom  zu 
einem  Gremisch  des  Säurehydrats  mit  rothem  Phosphor  langsam  zuiliessen  lässt. 

Acetylbromid  CHa-COBr  siedet  bei  81<>;  Propionylbromid  CjHsCOBr 
siedet  bei  104^  und  besitzt  bei  9*5^  das  spec.  Gew.  1*52. 

Eine  gewisse  Bedeutung  besitzen  die  Säurebromide  für  die  Gewinnung  der 
durch  Brom  substituirten  Fettsäuren.  In  den  Bromiden  lassen  sich  die  Wasserstoff- 
atome des  Alkylrestes  viel  leichter  substituiren,  als  in  den  Säurehydraten.  Um  also 
z.  B.  Brompropionsäure,  CHg-CHBr^COsH,  zu  gewinnen,  bromirt  man  zweckmässig 
Propionylbromid,  CHj'CHj'COBr,  statt  der  Propionsäure  selbst*.  Die  Bromide  wer- 
den   f&T  diesen  Zweck  nicht  rein  dargestellt;  man  lässt  zu  dem  Gemisch  von  Säure- 


*  RiTTBB,  Ann.  95,  208.  —  Gal,  Ann.  129,  53.  —  Sestini,  Bull.  11,  468.  — 
HjLxbiot,  Ann.  eh.  [5]  17,  83.  —  Lobrt  de  Bruyn,  Rec.  trav.  chim.  3,  387.  — 
B^^HAJfP,  J.  pr.  68,  492. 

»  Hell,  Ber.  14,  891;  21,  1726.  —  Urech,  Ber.  13,  1688.  —  Volhard,  Ann. 
242,  161. 


350  Jodide  und  Anhydride 


hydrat  und  rothem  Phosphor  successive  so  viel  Brom  tropfen,  dass  sich  zunächst  das 
Bromid  bildet,  und  dann  die  Substitution  durch  Brom  eintritt  (vgl.  d.  Kap.  ,,Halogen- 
derivate  der  Carbonsfiuren"). 

C.   Jodide^:  C^Ha^  +  i'COJ. 

Die  Säurejodide  sind  nur  wenig  untersucht;  man  erhält  sie  durch  Einwirkung 
von  Jodphosphor  auf  die  Säureanhydride  oder  die  Alkalisalze  der  Säuren.  Es  sind 
schwere,  an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeiten;  von  Wasser  uud  Alkohol  werden  sie 
analog  den  Chloriden  und  Bromiden  zersetzt.  Acetyljodid  CHg-COJ  siedet  bei  108® 
und  besitzt  bei  17^  das  spec.  Gew.  1-98. 


Die  Säurecyanide,  wie  Acetylcyanid  CHj^CO-CN,  werden  als  Nitrile  von 
»-Ketonsäuren,  wie  CHj^CO-COjH,  später  besprochen  werden. 

II.   SSnreai^ydride. 

Bildungsweisen.  Anhydride  der  Fettsäuren  wurden  zuerst  von 
Gerhabdt*  im  Verlauf  seiner  wichtigen  Untersuchungen  über  die  wasser- 
freien organischen  Säuren  (1853),  die  ihn  zur  Aufstellung  der  Typen- 
theorie (vgl.  S.  54 — 55)  führten,  und  von  Chiozza^  gewonnen.  Geb- 
HABDT  benutzte  zu  ihrer  Darstellung  hauptsächlich  die  Einwirkung  des 
Phosphoroxychlorids  auf  die  im  Ueherschuss  angewendeten  Alkalisalze 
der  Säuren  (vergl.  S.  347).  Man  kann  sich  diese  Reaction  in  zwei  Processe 
getrennt  denken;  zunächst  entsteht  nach  der  Gleichung: 

POCl,  +  2KO.CO.CH3  =  PO3K  +  KCl  +  2C1.C0.CH, 

das  Säurechlorid,  und  dieses  wirkt  nun  auf  den  noch  unangegriffenen 
Theil  des  Salzes  unter  Bildung  des  Anhydrids  ein: 

CH3CO.OK  +  Cl.  GOCH,  =  KC1+  CHsCO.O.COCH,. 

Gegenwärtig  bereitet  man  zur  Gewinnung  der  Anhydride  meist  zunächst 
das  reine  Säurechlorid  und  lässt  letzteres  in  einer  besonderen  Operation 
auf  das  entwässerte  Natriumsalz  der  Säure  einwirken  (vgl.  S.  351  die  Dar- 
stellung des  Essigsäureanhydrids). 

Auch  durch  Wechselwirkung  zwischen  Säurechlorid  und  Säurehydrat: 

CHj-COOH  +  Gl.  GOCH,  =  HCl  +  GHaCOOCOCH, 

entstehen  die  Anhydride;  dieser  Process  erfordert  indessen  lange  Eiu- 
wirkungszeit  und  erfolgt  auch  dann  nur  unvollständig*. 

Für  die  Gewinnung  der  Anhydride  ist  femer  empfohlen  worden  das 
Ueberleiten  von  Phosgen  (COClj)  über  die  erhitzten  Alkalisalze  der  Fett- 
säuren*: 

2GH3.GO.ONa  +  GOGl,  =  (GH,.GO),0  +  GO,  +  2NaGl 


*  Guthrie,  Ann.  103,  335.  —  Gahoübs,  Ann.  104,  111. 

>  Ann.  87,  57  u.  149.  »  Ann.  84,  107;  85,  229;  86,  259. 

*  Vgl.  Anschütz,  Ann.  226,  5. 

*  Hentschel,  Ber.  17,  1285.   —  Hofmann  und  Schoetensack,  Ber.  17o, 


der  Fettsäuren.  351 


und  die  Reactioii  der  Säurechloride  auf  das  Bleinitrat^: 

2CH8.CO.C1  +  PbCNOs),  =  (CH8.C0),0  +  PbCl,  +  N.O*  +  0. 

Durch  directe  Wasserentziehung  aus  den  Säurehydraten  mittelst 
Phosphorpentoxy  d : 

2CH,.C0.0H  =  (CH8C0),0  +  H,0 

entstehen  die  Anhydride  zwar,  aber  nur  in  sehr  geringer  Ausbeute^. 

Gemischte  Säureanhydride',  welche  zwei  verschiedene  Säure- 
radicale  enthalten,  können  durch  die  Einwirkung  des  Chlorids  einer 
Säure  auf  das  Salz  einer  anderen  Säure: 

C^H^OOK  +  Cl.COCH,  =KC1  +     "   "  \o 

C,H,0  / 

oder   auch   durch   kurzes  Erhitzen   von   Essigsäureanhydrid    mit    einer 
höheren  Fettsäure: 

C,H,0.  C,H,Ov 

>0  +  CsH^OOH  =  >0  +  CjHjOOH 

erhalten  werden. 

Ueber  Anhydride,  welche  neben  Fettsäureradicalen  die  Radicale 
anorganischer  Säurto  enthalten,  wie  z.  B.  Si(0-C2HgO)^,  Kieselessig- 
säureanhydrid, vgl.  die  Original-Literatur*. 

Darstellung  von  Essigsäureanhydrid:  Man  Iftsst  zu  1  Th.  entwässertem 
und  fein  gepulvertem  Natriumacetat  1  Th.  Acetylchlorid  unter  Kühlung  zutropfen, 
erwärmt  dann  zunächst  einige  Zeit  gelinde  und  destillirt  darauf  das  Anhydrid  auf 
dem  Sandbade  oder  mit  freier  Flamme  ab;  aus  dem  Destillat  gewinnt  man  durch 
Bectificiren  reines  Essigsäureanhydrid,  dessen  Siedepunkt  bei  136°  liegt. 

Allgemeine  Charakteristik.  Das  Anhydrid  der  Ameisensäure 
konnte  bisher  ebenso  wenig  wie  das  Chlorid  (vgl,  S.  348)  gewonnen  werden. 
Die  Anhydride  der  Essigsäure  und  ihrer  niederen  Homologen  sind  farb- 
lose, destillirbare Flüssigkeiten  von  scharfem  Geruch;  die  hochmolecularen 
Anhydride  sind  feste  Substanzen.  Die  Anhydride  sind  unlöslich  in 
Wasser,  löslich  in  Aether.  Ihr  Siedepunkt  liegt  höher  als  derjenige  der 
entsprechenden  Säurehydrate.  Die  Tabelle  Nr.  17  auf  S.  352  enthält 
die  physikalischen  Eigenschaften  mehrerer  Säurechloride  und  Säure- 
anhydride. 

Die  gemischten  Anhydride,  wie  CiHsO'O'CeHijO,  besitzen  keinen  constanten 
Siedepunkt;  sie  zersetzen  sich  bei  der  Destillation  in  Anhydride  mit  gleichen  Radicalen. 

Die  Säureanhydride  sind  gegen  Wasser  ziemlich  beständig,  und  ihre 

Beständigkeit  wächst  mit  zunehmendem  Moleculargewicht.     Essigsäure- 


*  Lachowicz,  Ber.  17,  1281;  ^8,  2990.  i 

*  Gal  und  £tabd,  Ber.  9,  444.  I 
■  Tassinari,  Ber.  11,  2081.  —  Autenribth,  Ber.  20,  3187. 

*  ToMiiASi,  Ber.  7,  826.    —    Menschutkin,  Ann.  183,  317;  186,  254.  —  Käm- 
u.  Carius.  Ann.  181,  165.  —  Friedel  u.  Ladekbüro,  Ann.  145,  174.  —   Ber-  ' 

TRAKO,  Bull.  88,  252. 


352       Tahell   Uebersicht  über  d.  Chloride  u.  Anhydride  der  Fettsäuren. 


Tabelle  Nr.  17. 


Name  der  entspre- 
chenden Sfiure 


Formel 

des  Sfiureradi- 

cals  R. 


Säurechlorid:  R-Cl 


Schmelx^ 
punkt 


Siede- 
punkt 


Specifisches 
Gewicht 


Essigsäure  *•'•••• 

Propionsäure  *■•—"  .  .  . 
Norm.  Buttersäure  *•*•*•" 
Isobuttersäure  *•••"•"  .  . 
Isovaleriansäure  *•'***  .  . 

Oenanthsäure*'*"  .  .  .  . 

Caprylsäure* 

Pelargonsäure '•*••"  .  . 
Caprinsäure' 


Laurinsäure  '^ 


Myristinsäure '^ 

Palmitinsäure  •0-".  .  .  . 


Stearinsäure»« 


CHaCO- 

CtH^CO- 

CsHy.CO- 

C^Hj.CO- 

C,Hi,.CO- 
C,H,5.C0. 
CgH^CO- 

CgHjg  •  CO- 

C„H.,.CO- 

Cl7^86*C^" 


Arachinsäure" CigHsgCO- 


Lignocerinsäure " .  .  .  . 


Co«H«  •  CO* 


'88*  »47 


—  170 

—  1« 
+  12° 

4-230 

66—67«^ 
48— 50<> 


-I-  51  « 
78  <> 

101« 
92  <> 

1150 


83  0 

98 «» 

114« 


1.105(20«) 

1-065 

1-028 

1018 

0-989 


» 


» 


n 


Säureanhydrid;  R^O 


Schm.- 
punkt 


»> 


01 

168«   5 

ö 

pr 


192-5« 


215 


Siede- 
punkt 


Specifisches 
Gewicht 


+  5 


-f  64- 


136« 
167« 
192« 
182« 
215« 


1.080(15«! 
1017  (15«) 
0-978(12.5«) 
0-958(16 -5^ 


268—271«  0-932(21«) 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  17:  *  Brühl,  Ann.  20S(,  1.  —  »  Thorpe,  Joum. 
Soc.  37,  188.  —  '  Krafpt  u.  Koenio,  Ber.  23,  2384.  —  *  Burcker,  Ann.  eh.  [5J 
26,  468.  —  '  LiNNEHANN,  Ann.  161,  179.  —  «  Markowhikopp,  Ztschr.  Chem.  1866, 
501.  —  ^  BtcHAMP,  J.  pr.  68,  492.  —  «  Kopp,  Ann.  04,  293.  —  •  Kahlbaum,  Ber. 
16,  2481.  —  *«  LiMPRiCHT  u.  V.  UsLAR,  Auu.  04,  322.  —  "  Pbrkin,  Joum.  Soc.  [2] 
13,  10.  —  »»  LiNXEMANN,  Ann.  148,  257.  —  *'  Gerhardt,  Ann.  87,  156.  —  "  Tobn- 
NiES  u.  Staub,  Ber.  17,  850.  —  "  Orr,  Ann.  227,  62.  —  "  Chtozza,  Ann.  84, 
106;  85,  231.  —  "  Malbrba,  Ann.  Ol,  102.  —  »«  Mehlis,  Ann.  185,  371.  — 
"  Cahours,  Jb.  1850,  402.  —  »«  Khafft  u.  Bürger,  Ber.  17,  1378.  —  "  Viluär, 
Ber.  0,  1932.  —  "  Tassinari,  Ber.  11,  2031.  —  "  Hell  u.  Hermanns,  Ber. 
13,  1720. 

anhydrid  hält  sich  in  kaltem  Wasser  einige  Zeit,  und  erst  allmählich 
löst  es  sich  darin  unter  Bildung  von  Essigsäure  auf: 

(CaHsO^O  +  H,0  =  2  CjHsO  -  OH 

—  eine  Umwandlung,  die  beim  Erwärmen  mit  Wasser  fast  augenblick- 
lich eintritt.  Aber  die  höheren  Anhydride,  wie  Isobuttersäure-,  Pelargon- 
säure- Anhydrid  etc.,  können  selbst  längere  Zeit  mit  siedendem  Wasser 
behandelt  werden,  ohne  vollständig  in  das  Säurehydrat  überzugehen; 
auch  von  den  Lösungen  der  Alkalicarbonate  werden  diese  Anhydride  nur 


Anhydride  der  Folsäuren.  353 

langsam  angegriffen  ^  Von  wässrigen  Alkalien  werden  die  Anhydride 
rasch  zersetzt  unter  Bildung  der  Salzlösung  der  entsprechenden  Fett- 
säure. Auch  beim  Erwärmen  mit  wasserfreien  Metalloxyden  (BaO,  PbO  etc.) 
bilden  sich  die  entsprechenden  Salze  der  Fettsäuren*: 

(C,H,0),0  +  BaO  =  BaCOCaHaO),. 

Bei  der  Wechselwirkung  mit  Alkoholen  bilden  sich  die  Säureester  ^: 

(C,H80),0  +  CjHsOH  =  CjH,0.0.CjH5  +  CjHjO.OH; 

analog  wirken  die  Säureanhydride  auf  die  den  Alkoholen  entsprechenden 
Verbindungen  der  aromatischen  Reihe  —  die  Phenole: 

CeH^OH  +  (C,HsO),0  =  CeHj.O.CtHsO  +  0^0- OH; 

in  die  Hydroxylgruppe  wird  ein  Acylrest  eingeführt;  diese  Acylirung 
wird  befördert  durch  Zusatz  des  wasserfreien  Natriumsalzes  der  ent- 
sprechenden Fettsäure. 

Ammoniak  zersetzt  die  Anhydride  unter  Bildung  der  Säureamide: 

(C8H30),0  4-  2NH8  =  CjHaO.NHj  +  CjHjOONH^; 

ebenso  wirken  die  Anhydride  auf  diejenigen  Amine  ein,  deren  Ammo- 
niakwasserstoffatome noch  nicht  vollständig  durch  Kohlenwasserstoff- 
radicale  ersetzt  sind: 

(CHj^jNH  +  (C,H80),0  =  (CH,>jN.C,H,0  +  CjHjOOH; 

an  Stelle  eines  Ammoniakwasserstoffatoms  tritt  ein  Acylrest. 

Durch  diese  Beactionen  reihen  sich  die  Säureanhydride  den  Säure- 
chloriden als  Ueberträger  der  Säureradieale  (Acylirungsmittel)  an  (vgl. 
S.  348 — 349);  wie  die  letzteren,  besitzen  die  Anhydride  —  unter  ihnen 
besonders  das  Essigsäureanhydrid  —  als  Beagentien  in  den  organischen 
Laboratorien  eine  grosse  Wichtigkeit;  auch  sie  werden  vielfach  benutzt, 
um  auf  die  Gegenwart  acylirbarer  Wasserstoffatome  in  Verbindungen 
von  noch  unbekannter  Constitution  zu  prüfen.  Von  den  meist  sehr 
heftig  reagirenden  Chloriden  unterscheiden  sie  sich  durch  die  weit 
mildere  Art  ihrer  Wirkung. 

Unter   den   übrigen   Beactionen    der   Säureanhydride   ist   noch   ihr 

Verhalten  gegen  Halogen  wasserstoffsäuren  und  Halogene  bemerkenswerth*. 

Chlorwasserstoff  führt  eine  Spaltung  in  Säurechlorid   und   Säurehydrat 

herbei: 

C,H,Ov 

>0  +  HCl  =  CtHsOOK  +  CjjHsO.Cl. 
CjHsO/ 

Chlor  und  Brom*  substituiren  mit  grosser  Leichtigkeit  ein  Wasser- 
stoffatom des  Anhydrids;  die  hierdurch  frei  werdende  Halogenwasserstoff- 


*-Vgl.  Chiozza,  Ann.  85,  230.  —  Ott,  Ann.  227,  62.  —  Autenrieth,  Ber.  20,  3188. 

*  BicHAJfP,  Ann.  eh.  [5]  12,  507.  —  Lachowicz,  Ber.  18,  2905. 

^       '  Ueber  den  zeitlichen  Verlauf  dieser  Reaction  vgl.  Menschütkin,  Ztschr.  f.  physik. 
Chem.  1,  611. 

*  Gal,  Ann.  eh.  [3]  66,  187.  *  Urbch,  Ber.  18,  1687. 

y.  Mktxe  q  Jacobson  ,  org.  Cbem.  I.  23 


354  Superoxyde  der  Säweradicale. 


säure  wirkt  nun  aber  weiter  auf  das  substituirte  Anhydrid  in  obigem 
Sinne,  so  dass  der  Gesammtvorgang  Termuthlich  durch  die  Gleichung: 

C2HgO\  CjHgO    V 

>0  +  Cl,  =  >0  +  HCl  =  CjHaOCl  +  CsHjCIOOH 

CjHeO/  C.HjClO/ 

ausgedrückt  wird.  Dieses  Verhalten  ist  von  Bedeutung  für  die  Gewinnung 
der  chlorirten  und  bromirten  Fettsäuren  (vgl.  das  Kapitel  „Halogen- 
derivate der  Carbonsäuren"). 

Endlich  sei  noch  daran  erinnert,  dass  Säureanhydride  mit  Natrium- 
amalgam zu  Aldehyden  und  Alkoholen  reducirt  werden  können  (vgl.  8. 1451 

Superoxyde  der  Säureradieale. 

Durch  Behandlung  einiger  Säureanhydride  in  ätherischer  Losung  mit  Barium- 
superoxyd hat  Brodie'  die  dem  Wasserstofisuperoxyd  entsprechenden  Acylsuperoxyde 
gewonnen.  Das  Acetylsuperoxyd,  (CgHgOjsO,,  ist  eine  dicke,  äusserst  stechend 
riechende  und  höchst  unbeständige  Flüssigkeit;  es  ist  nur  im  Dunkeln  einige  Zeit 
haltbar,  beim  Erhitzen  explodirt  es  mit  grösster  Heftigkeit.  Es  giebt  ausserordentlich 
leicht  Sauerstoff  ab;  wie  das  Wasserstofi&uperoxyd  bleicht  es  Indigolosung,  macht 
Jod  aus  Jodkalium  frei,  verwandelt  Ferrocyankalium  in  Ferricyankalium;  dagegen 
reducirt  es  nicht  Uebermangansäure. 

III.    Alkylester  der  Fettsäuren. 

Blldungsprocesse    und    Darstellungsmethoden.    Durch   direct^ 

Wechselwirkung  zwischen  den  Säuren  und  Alkoholen  bilden  sich  Ester. 

z.  B.: 

CHj.CO.OH  +  OHCjHs  =  CH,  •  CO  •  0  •  CjHj  +  HgO. 

Diese  Reaction  ist  indessen  niemals  vollständig;  denn  zwischen  den  Pro- 
dukten derselben  —  dem  Ester  und  Wasser  —  spielt  sich  der  umge- 
kehrte, die  Wiedererzeugung  der  ursprünglichen  Stoflfe  bewirkende  Vor- 
gang ab: 

CHsCOOCjHj  +  H,0  =  CHgCO-OH  +  CH^-OH. 

Die  Reaction  schreitet  daher  nur  vor,  bis  ein  bestimmter  Gleichgewichts- 
zustand zwischen  den  vier  Componenten  des  Systems  —  freie  Säure, 
freier  Alkohol,  Ester  und  Wasser  —  hergestellt  ist,  der  dadurch  bedingt 
wird,  dass  in  gleichen  Zeiträumen  die  Bildung  und  Zersetzung  des  Esters 
in  gleichem  Masse  stattfindet.  Diesem  „Grenzzustand"  nähert  sich 
das  System  so  langsam,  dass  es  möglich  wird,  durch  Titration  der  freien 
Säure  in  Proben,  welche  nach  bestimmten  Zeitabschnitten  entnommen 
werden,  den  zeitlichen  Verlauf  der  Reaction  —  die  Geschwindigkeit 
der  Esterbildung  —  zu  verfolgen.  Die  ausführliche  Untersuchung 
des  Esterificirungsprocesses  in  dieser  Richtung  ist  von  grosser  Bedeutung 
für  die  Erforschung  der  Gesetze  der  chemischen  Dynamik  geworden. 
Berthelot  und  P£an  de  St.  Gilles*  unterwarfen  zuerst  1862—1863 


*  Pogg.  121,  382. 

*  Ann.  eh.  [3]  65,  885;  66,  5,  110;  68,  225. 


Esterbildung.  355 


die  fisterbildung  einem  umfassenden  Studium.  Bezüglich  des  Grenz- 
zustands stellten  sie  fest,  dass  der  Einfluss  der  chemischen  Natur  der 
Säure  und  des  Alkohols  auf  denselben  nur  sehr  gering  ist;  das  Gleich- 
gewicht ist  bei  Anwendung  äquivalenter  Mengen  von  Säure  und  Alkohol 
erreicht,  wenn  ungefähr  zwei  Drittel  der  Säure  esterificirt  sind ;  um  diesen 
Mittelwerth  schwanken  die  Beträge  des  Grenzwerths  für  die  verschiedenen 
Combinationen  von  gesättigten  einwerthigen  Säuren  und  Alkoholen  nur 
wenig.  Auch  von  der  Temperatur  ist  der  Grenzwerth  ziemlich  unab- 
hängig; dagegen  wird  er  wesentlich  beeinflusst  durch  das  Mengen ver- 
hältniss  der  in  Reaction  gebrachten  Stoffe.  Fügt  man  zu  1  Aeq.  Säure 
mehr  als  1  Aeq.  Alkohol,  so  werden  mehr  als  zwei  Drittel  der  Säure 
esterificirt;  der  Grenzwerth  steigt,  so  dass  bei  Anwendung  eines  genügen- 
den Ueberschusses  von  Alkohol  die  gesammte  Säuremenge,  und  umgekehrt 
bei  Anwendung  eines  gewissen  Säureüberschusses  die  gesammte  Alkohol- 
menge  in  Ester  verwandelt  werden  kann.  Der  Grenzzustand  wird  femer 
verschoben,  wenn  ein  grösserer  oder  geringerer  Theil  der  Mischung  gas- 
förmig werden  kann.  Arbeitet  man  in  zugeschmolzenen  Röhren,  so  wird 
der  Grenzwerth  um  so  höher,  je  grösser  der  Gasraum  im  Verhältniss 
zu  dem  von  dem  flüssigen  Gemisch  eingenommenen  Räume  ist. 

Auf  die  Geschwindigkeit  der  Esterbildung  ist  die  Temperatur  von 
grossem  Einfluss;  Erhöhung  derselben  bewirkt  wesentliche  Beschleunigung. 
Die  Geschwindigkeit  ist  femer  wesentlich  abhängig  von  dem  Volum,  welches 
dem  Gemenge  zu  Gebote  steht.  Sie  wird  sowohl  durch  Verdünnung 
des  Gemenges  mit  einem  indifferenten  Lösungsmittel  verringert,  wie  auch 
bei  höheren  Temperaturen  durch  Vergrösserung  des  verfügbaren  Dampf» 
raums. 

Den  Einfluss  der  chemischen  Constitution  auf  die  Geschwindigkeit 
der  Esterbildung  hat  Menschutkin^  zum  Gegenstand  interessanter  Untersuchungen 
gemacht.  Die  Anfangsgeschwindigkeit  wird  durch  diejenige  Säuremenge  (in  Procent«n 
der  geflammten  angewendeten  Menge)  gemessen,  welche  am  Ende  der  ersten  Stunde 
der  Einwirkung  von  molecularen  Quantitftten  Alkohol  und  Sfiure  bei  154^  esterificirt 
ist.  Es  zeigte  sich,  dass  die  primären  normalen  Alkohole  die  gleiche  Beactions- 
geschwindigkeit  besitzen  mit  Ausnahme  des  seinen  Homologen  an  Reactionsföhigkeit 
äberlegenen  Methylalkohols  (vgl.  S.  155).  Secundäre  Alkohole  werden  langsamer 
esterificirt,  und  noch  bedeutend  langsamer  tertiäre  Alkohole;  bei  letzteren  lassen  sich 
indessen  nicht  so  genaue  Zahlen  erzielen,  da  sie  bei  155^  schon  theil  weise  in  Alkylene 
und  Wasser  zerfallen.  Einige  Zahlen,  welche  die  Anfangsgeschwindigkeit  bei  der 
Esterifidrung  verschiedener  Alkohole  mit  Essigsäure  wiedergeben,  mögen  die  Verhält- 
nisse erläutern: 


Primäre  Alkohole:  Secundäre  Alkohole: 


Methylalkohol 55-6     |  Dimethylcarbinol 


Aethylalkohol 46-95 

Propylalkohol 46-92 

Butylalkohol 46-85 

Octylalkohol 46-59 


Methyläthylcarbinol  .     . 
Hexylmethylcarbinol 
Isopropylmethylcarbinol 
Diäthylcarbinol     .     .    . 


26-58 
22-59 
21*19 
18-95 
16-93 


*  Ann.  106,  334;  107,  193.  —  Ann.  eh.  [5],  23,  14. 


23* 


356  Darstellung  der  Ester. 


Tertiäre  Alkohole: 

Trimethjlcarbinol 1-43 

.  0-81 

.  1-04 

.  2. 15 

.  0-86 


Aethyldimethylcarbinol 
Diäthjlmethylcarbinol   . 
Propyldimethjlcarbinol 
Isopropyldimethjlcarbinol 

In  ähnlicher  Weise  beeinflusst  die  Natur  des  in  der  Säure  mit  der  Carboxyl- 
gruppe  verbundenen  Alkylradicals  den  Gang  der  Esterificirung;  die  Säuren  mit  pri- 
märem Kadical  haben  die  grösste,  die  Säuren  mit  tertiärem  Radical  die  kleinste  An- 
fangsgeschwindigkeit; die  folgenden  Zahlen  beziehen  sich  auf  die  Esterificirung  mit 
Isobutylalkohol: 

Säuren  mit  prim.  Radical:  Säuren  mit  secund.  Radical: 

Ameisensäure 61*7     Isobuttersäure 29-0 

Essigsäure 44-4     Methyläthylessigsäure      .    .     21 -5 

Propionsäure 41 -2 

Buttersäure 33*3 

Capiylsäure 30-9 

Säuren  mit  tert.  Radical:  i 

Trimethylessigsäure 8'3 

Dimethyläthyl  essigsaure     .     .     .     3*5 

Heptylsäure 0-45 

Decylsäure 0-49 

Für  die  Darstellung  der  Ester,  bei  welcher  es  ja  darauf  an- 
kommt, aus  äquivalenten  Mengen  der  Säure  und  des  Alkohols  eine  mög- 
lichst grosse  Estermenge  zu  erzielen,  ergiebt  es  sich  aus  Obigem  als 
zweckmässig,  den  der  Esterificirung  entgegenwirkenden  Einfluss  des  durch 
die  Reaction  gebildeten  Wassers  aufzuheben.  Man  setzt  daher  dem  Ge- 
menge aus  Alkohol  und  Säure  (bezw.  einem  Salze  derselben)  concentrirte 
Schwefelsäure  als  wasserentziehendes  Mittel  zu. 

Ein  anderes,  sehr  häufig  angewendetes  Esterificirungsverfahren  be- 
steht in  dem  Einleiten  von  Chlorwasserstoff  in  die  alkoholische  Losung 
der  Säure  bis  zur  Sättigung;  nachdem  man  einige  Stunden  digerirt  hat, 
fällt  man  den  Ester  mit  Wasser  aus.  Das  Salzsäuregas  wirkt  hierbei 
wahrscheinlich  nicht  durch  Wasserentziehung;  vielmehr  scheint  zunächst 
aus  dem  Säurehydrat  und  Chlorwasserstoff  das  Säurechlorid  zu  entstehen. 

CHgCOOH  +  HCl  =  CHjCOCl  +  HjO. 

Es  ist  ja  schon  erwähnt  (S.  347),  dass  der  Eintritt  dieser  Reaction 
unter  der  wasserentziehenden  Einwirkung  des  Phosphorpentoxyds  wirk- 
lich constatirt  ist.     Hier  wird  der  im  Ueberschuss  vorhandene  Alkohol 

* 

die  Rolle  des  wasserbindenden  Mittels  spielen.     Das  Säurechlorid  findet 

sich  nun  einem  Gemisch  von  Wasser  und  Alkohol  gegenüber,  und  setzt 

sich  sofort  nach  seiner  Entstehung  theilweise  mit  dem  Alkohol   in  den 

Ester: 

CHs-COCl  +  OHCjHb  =  HCl  +  CHsCOO.CjHg, 

theilweise  mit  dem  Wasser  in  Säurehydrat  um: 

CHgCO-Cl  +  OH-H  =  HCl  +  CHgCO-OH, 


Mgenschaflen  der  Fettsäurealkylester,  357 


welch  letzteres  nun  wieder  von  neuem  in  Reaction  tritt  ^.  So  wird  der 
grösste  Theil  der  Säure  in  kurzer  Zeit  in  Ester  umgewandelt.  Man  be- 
dient sich  dieser  Methode,  wenn  es  sich  um  eine  möglichst  vollständige 
Esterificirung  der  Säure  mit  einem  weniger  kostbaren  und  daher  im 
Ueberschuss  verwendbaren  Alkohol  handelt,  also  hauptsächlich  zur  Dar- 
stellung von  Methyl-  und  Aethylestern. 

Ester  können  ferner  direct  durch  Wechselwirkung  zwischen  Säure- 
chloriden und  Alkoholen  (s.  obige  Gleichung)  oder  durch  Einwirkung 
von  Halogenalkylen  auf  die  Salze  der  Säuren: 

CHaCOOAg  +  J.CjHj  =  AgJ  -h  CHaCO.O.CjHa 

in  glatter  Weise  erhalten  werden. 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  Ester  der  niederen  und  mittleren 
Keihen  sind  farblose,  unzersetzt  flüchtige  Flüssigkeiten^  welche  meist 
einen  sehr  angenehmen,  fruchtähnlichen  Geruch  besitzen.  Manche  der- 
selben werden  daher  zu  Parfumeriezwecken  als  Fruchtäther  verwendet. 
Die  hochmolecularen  Ester  sind  krystallisirbar.  Die  niederen  Glieder 
sind  in  Wasser  etwas  löslich,  aber  nicht  damit  mischbar  (vgl.  S.  192 
u.  200);  die  höheren  Glieder  sind  in  Wasser  unlöslich;  in  Alkohol  und 
Aether  sind  die  Ester  löslich. 

In  Bezug  auf  ihre  physikalischen  Eigenschaften  sind  die 
Fettsäureester  wohl  eingehender  untersucht  als  irgend  eine  andere  Ver- 
bindungsgruppe ^.  Sie  sind  leicht  in  grösseren  Mengen  gewinnbar  und 
rein  darstellbar;  ihre  Isomerieverhältnisse  bieten  viele  Anhaltspunkte  zur 
Erörterung  des  Zusammenhangs  zwischen  physikalischen  Eigenschaften 
und  chemischer  Constitution. 

Fettsäurealkylester  sind  stets  nach  der  allgemeinen  Formel  C^H^nOg 
zusammengesetzt,  sie  sind  daher  isomer  mit  den  Fettsäuren  von  gleicher 
Kohlenstoffzahl,  z.  B.: 

CHjCHj.CO.OH  CHg-COOCHa 

Propionsäure.  Essigsfturemethylester. 

Fettsäureester  können,  wenn  sie  Alkylreste  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  ent- 
halten, durch  verschiedene  Structur  derselben  unter  einander  isomer  sein : 

CH3 .  CH, .  CH, .  CO .  0 .  CH, .  CHj .  CH,  CH3  •  CH,  •  CH,  •  CO  •  0  •  CHCCH,), 

Bnttersäure-  propylester.  Buttersäure-  isopropy  lester. 

(CH8),CH .  CO .  0 .  CH(CH3), 
Isobuttersäure-ißopropylester. 

Enthalten  sie  bei  gleicher  Gesammtzahl  der  im  Molecül  vorhandenen 
Kohlenstoffatome  Alkylreste  von  verschiedener  Kohlenstoffzahl,  so  beruht 


*  Vgl.  Friedel,  Compt.  rend.  68,  1557.  —  Sapper,  Ann.  211,  208. 

'  Vgl.  z.  B.  Kopp,  Ann.  05,  313.  —  Elsässer,  Ann.  218,  302.  —  Schitmann, 
WiEDEM.  Ann.  12,  40.  —  Gartenmeister,  Ann.  283,  249;  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  6, 
530.  —  Schiff,  Ann.  220,  106.  —  Winkelmank,  Wiedem.  Ann.  23,  203. 


358  Esterverseifung, 


die  Isomerie  auf  der  verschiedenen  Vertheilung  der  Kohlenstoffatome  zu 
beiden  Seiten  der  den  Alkylrest  der  Säure  mit  dem  Alkybrest  des  Al- 
kohols verbindenden  Mittelgruppe  —  CO-0  —  (Metamerie,  s.  S.  190); 
z.  B. : 

H-COO-C.H,  CHa  -COO-CjHj  CjHs-CO.O-CH, 

Ameisensäurepropylester.  Essigsäureäthylester.  Propionsäuremethylester. 

In  welcher  Weise  diese  verschiedenartigen  Ursachen  der  Isomerie 
ihren  Einfluss  auf  die  physikalischen  Eigenschaften  geltend  machen,  wird 
erst  später  (s.  Bd.  II,  Anhang)  eingehender  besprochen  werden.  Hier 
mögen  nur  die  Schmelzpunkte,  Siedepunkte  und  spec.  Gewichte  einer 
grösseren  Zahl  von  Estern  zusammengestellt  werden;  Tabelle  Nr.  18  auf 
S.  359  enthält  die  Constanten  für  die  Aethylester  von  verschiedenen 
Säuren,  Tabelle  Nr.  19  auf  S.  360  für  die  Essigsäureester  verschiedener 
Alkohole. 

An  dem  chemischen  Verhalten  der  Ester  ist  ihre  Verseifbar- 
keit  in  erster  Linie  hervorzuheben;  unter  Fixirung  eines  Molecüls 
Wasser  können  sie  wieder  in  die  Säure  und  den  Alkohol  zerfallen,  aus 
welchen  sie  durch  Entziehung  eines  Wassermolecüls  darstellbar  sind,  z.  B. : 

CHs-CO-OCaHs  +  H,0  =  CHaCOOH  +  OHCÄ. 

Bei  den  niederen  Gliedern  erfolgt  diese  Spaltung  langsam  und  theilweise 
schon  durch  die  Einwirkung  des  Wassers  in  der  Kälte;  lässt  man  sie 
feucht  einige  Zeit  stehen,  so  werden  sie  in  Folge  dessen  sauer.  Voll- 
ständige Verseifung  wird  durch  Erwärmen  mit  wässrigen  und  alkoho- 
lischen Alkalien  oder  mit  Säuren  erzielt. 

Setzt  man  zu  einem  Gemisch  eines  Esters  mit  Wasser  eine  Säure  oder  Bas^, 
so  wird  die  Spaltung  in  grösserem  oder  geringerem  Grade  beschleunigt;  den  zeitlichen 
Verlauf  derselben  kann  man  leicht  durch  die  Titrirung  der  freien  Säure  (bezw.  des 
freien  Alkalis)  in  Proben,  welche  man  nach  bestimmten  Zeitabschnitten  entnimmt, 
verfolgen.  Die  Geschwindigkeit,  mit  welcher  verschiedene  Säuren  und  Basen  diese 
Verseifung  bewirken,  ist  ein  Mass  für  ihre  chemische  Verwandtschaft;  die  zeitliche 
Verfolgung  der  Esterverseifung  kann  daher  zur  Bestimmung  der  Affinitäts- 
Coäfficienten  von  Säuren  und  Basen  benutzt  werden.  Man  hat  sich  fiir  diesen 
Zweck  hauptsächlich  des  Methylacetats  CHa-CO-O-CHg  (Methylacetat-Methodet 
und  auch  des  Essigäthers  CH3  •  CO  •  0  •  CaHj  bedient  ^ 

Durch  Erhitzen  mit  gasförmigen  HalogenwasserstofFsäuren  werden  die  Ester 
derart  gespalten,  dass  sich  freie  Säure  und  die  Halogenverbindung  des  Alkoholrest4>s 
bildet,  z.  B.: 

CHa.COOCjHß  +  HCl  =  CH,.CO.OH  +  CjHöCl. 

Die  Einwirkung  der  einzelnen  Halogen  wasserstofiBäuren  findet  um  so  geschwinder  statt,  je 
grosser  ihr  Molecularge wicht  ist;  Jodwasserstoff  zerlegt  also  die  Ester  am  schnellsten, 
Fluorwasserstoff  am  langsamsten*.  Für  die  Darstellung  der  Ester  durch  Einleiten 
von  Salzsäuregas  in  ein  Gemisch  von  Säure  und  Alkohol  (vgl.  S.  356)  ergiebt  sich 
mithin,  dass  man  die  Einwirkung  des  Chlorwasserstofis  nicht  zu  lange  ausdehnen  darf. 


*  Näheres  hierüber  siehe  in  Ostwald's  Lehrb.  d.  allgemeinen  Chemie  (Leipzig, 
1886)  Bd.  n,  S.  621—622,  803—810,  819—820. 

*  Sappeb,  Ann.  211,  178. 


Tabellarische  Uebersicht  über  die  Aethylester  der  Fettsäuren. 


359 


Tabelle  Nr.  18. 


Aethylester 
der 


Formel 

der 
SSure. 


^chmelzpuDkt 


Siedepunkt      |  Spec.  Gew. 


des  Esters. 


AmeiseoBSure 

Essigsäure 

Propionsäure 

Norm.  Buttersfiure   .... 

Isobuttersäure 

Norm.  Yaleriansäure  .  .  . 

Isovaleriansäure 

Norm.  CaproDsäure  .... 
,,      Oenanthsäure  .  .  . 

Capiylsäure  .... 

Pelargonsäure  .  .  . 

Caprinsäure  .... 


HCOall 
CHgCOjH 
CgHs-COgH 
CsHyCOjH 


jj 


C4HQ  •  COjH 


» 


?j 


n 


CgHii  -COgH 

C7Hi5«C02H 
CaFI^COjH 
CgHjg'COgH 


Laurinsäure CnHjg'COgH 


Myristinsäure 


Palmitinsäure 


CioHm  •  COoH 


'18  "»7 


Stearinsäure 


Arachinsäure 


CikH.i  «COaH 


'15*^81 


C»7H«K'C02H 


'17  "85 


OiqH«o  *  OOg  H 


'19**89 


Behensäure    a,H«.CO,H 


Lignocerinsäure CJ3H47CO2H 


'81**43 


Cerotinsäure 


Melissinsäure 


^26^53*^^2^ 


C29H59  •  CO9H 


—  10^ 
+  110 

+  240 

+  33—340 
49-50 

48—490 
55  0 

59—600 
730 


+  550 

77-50 

98-80 

120-90 

110-10 

144.70 

134.30 

166-60 

187-10 

205-80 

227—2280 

243-2450 

2690 

ca.  2950 


0-944(00) 
0-925 
0-911 
0-900 
0-890 
0-894 
0-885 
0-889 
0-886 
0-884 
0.865(17-50) 
0-862 

0-867(190) 
0-864  (flüssig) 


»> 


» 


»> 


» 


»> 


» 


)> 


?> 


»> 


295—298  0 
(unter  100mm  Druck) 


305—310" 
(unter  20  mm  Druck 


4 


Die  Ester  der  Säuren,  welche  verschiedenen  Klassen  angehören,  zeiget  in  Bea^jig 
auf  den  Wideretand ,  den  sie  der  Vereeifung  entgegensetzen,  oft  auffällige  Unter- 
schiede. Während  einige  (z.  B.  Acetessigester  CHg-CO-CHj-CO-OCjHs)  schon,  in 
der  Kälte  durch  ganz  schwache  wässrige  Alkalilaugen  nach  kurzer  Zeifr^ vollständig 
zerlegt  werden,  werden  andere  (z.  B.  Tetramethylbernsteinsäureester  C2H5-C02- 
C(CH,),-qCHs),.C05,.C8H5)  selbst  durch  Digestion  mit  alkoholischem  Kali  auf  dem 
Wasserhade  nur  äusserst  langsam  gespalten. 

Durch  Einwirkung  von  Ammoniak  gehen  die  Ester  in  Säureamide 
über,  z.  B. : 

CHa-CO-OCjHs  +  NHg  =  CHs-CO-NH,  +  C^H^-OH. 

Chlor  wirkt  leicht   auf  die  Ester  ein  und  bildet  Substitutionsprodukte; 
^\  Vollendung  der  Chlorirung  im  directen  Sonnenlichte  werden  in  den 


360     Tabellarische  üehersicht  Über  die  Essigsäureester  der  Orenxalkohole. 


Tabelle  Nr.  19. 


Essigsäureester 
des 


Formel 

des 

Alkohols. 


Schmelzpunkt 


Siedepunkt      1  Spec.  Gew. 


des  Esters. 


Methylalkohol 

Aethylalkohol 

Propylalkohol 

Isopropylalkohol .  .  .  . 
Norm.  Butylalkohol .  . 
Isobutylalkohol  .... 
See.  Butylalkohol  .  .  . 
Tert  „ 

Norm.  Amylalkohol .  . 

Isoamylalkohol 

Norm.  Hexylalkohol    . 

Heptylalkohol  . 

Octylalkohol .  . 


CHs-OH 

CjHjOH 

C,H,.OH 


» 


C^H.OH 


.V 


CsH„.OH 


J1 


» 


»> 


>» 


Decylalkohol 


I 


C.H„.OH 
C,H,..OH 
C,H„.OH 

C.»H.,.OH 


'I0*^tl 


„  Dodecylalkohol  .  .  Oi^H^s 

„  Tetradecylalkohol .  C^fHig 

„  Cetylalkohol .  .  .  .  ,  CigHjj 

,y  Octadecylalkohol   .  CigHs, 


OH 
OH 
OH 
OH 


+  12— IS«» 
49.5® 


57-3« 

77.5« 

101. 8<» 

ca.  90  <» 

124. 5<> 

116. 3® 

111—1130 

93—960 

147. 6« 

1390 

169. 2® 

19130 

210-00 

125—1260 

1510 

1760 

2000 
222—2230 


? 


B 

ö 

e 
o 


0-964(00) 

0-925 

0-909 

0-916 

0-902 

0.892 

0-892 

0-895 
0  884 
0-890 
0-889 
0.885 


Zur  Kennzeichnung  der  hochmolecularen  Ester  sei  den  Tabellen  hinzugefügt, 
dass  der  Dodecylester  der  Palmitinsäure  Ci^Hsi-CO-O-CisH^s  bei  4lo,  der 
Tetradecylester  CijHai  •  CO  -  0  •  C14H29  bei  480,  der  Hexadecylester  (Cetylester) 
CiöHsi  •  CO .  0 .  CieHas  bei  53— 540,  der  Octadecylester  CuHeiCO.O-CigH,,  gegen 
590  schmilzt.  Diese  Ester  zerfallen  bei  der  Destillation  in  Palmitinsäure  und  ein 
Alkylen,  z.  B.: 

^is^n'^^'^'^ifi^ii  =  CiöHji-CO'OH  +  C19H3«. 
Im  Yacuum  sind  sie  zum  Theil  noch  unzersetzt  destillirbar  ^. 

niederen  Estern  sämmtliche  WasserstoflFatome  durch  Chlor  ersetzt;  es 
entstehen  so  Perchlormethylformiat,  Cl^CO-O-CClj  und  ähnliche  Ver- 
bindungen^. 

Einzelne  Glieder.  _ 

Essigsäureäthylester  CHg-CO-O'CjHß  ist  unter  dem  Namen 
,,Essigäther''  seit  langer  Zeit  bekannt  und  findet  Verwendung  in  der 
Medicin  (Aether  aceticus),  femer  seines  angenehmen,  erfrischenden  Geruchs 


'  Kbafft,  Ber.  16,  3019. 

*  Cahoübs,  Ann.  64,  315.  —  Henbt,  Ber.  6,  739. 
ENT8CHBL,  J.  pr.  [2J  36,  99,  209,  805,  468. 


—  Malaouti,  Ann.  32,  35. 


Einzelne  Fettsäurealkylester,  361 

* 

wegen  für  Parfumeriezwecke,  als  Zusatz  zu  Fruchtsäften,  Weinessig,  Spiri- 
tuosen u.  s.  w.  Er  dient  femer  zur  Darstellung  des  Acetessigesters, 
welcher  neuerdings  fabrikmässig  für  die  Herstellung  des  Antipyrins  ge- 
wonnen wird.  Siedepunkt  und  spec.  Gew.  s.  in  der  Tabelle  Nr.  19 
S.  360;  Essigäther  löst  sich  in  etwa  17  Th.  Wasser. 

Darstellung  von  EssigätherM  Zu  einem  Gemisch  von  50  ccm  conc.  Schwefel- 
sfinre  und  50  ccm  Alkohol,  welches  auf  130 — 140°  erhitzt  wird,  lässt  man  allmählich 
eine  Mischung  von  gleichen  Raumtheilen  98proc.  Essigsäure  und  Alkohol  fliessen, 
indem  man  die  Temperatur  auf  130—140°  constant  erhält.  Es  destillirt  nun  con- 
tinairlich  Essigäther,  gemengt  mit  Wasser,  Alkohol  und  Essigsäure.  Die  geringe 
Menge  Schwefelsäure  genügt  zur  Darstellung  grösserer  Quantitäten  des  Esters,  da 
sie  —  ähnlich,  wie  beim  Aetherbildungsprocess  (vgl.  S.  191)  —  immer  wieder  rege- 
nerirt  wird: 

CjHß .  OH  +  H,S04  =  CjHs .  0  -  SOjH  +  H,0 , 
CAOSOjH  +  OHCOCH,  =  CjHg.O.CO.CHj  +  HjSO*. 

Aus  dem  Destillat  scheidet  man  den  Essigäther  durch  Schütteln  mit  conc.  Sodalösung 
ab,  trocknet  ihn  mit  Chlorcalcium  und  reinigt  ihn  durch  Bectificiren. 

Von  den  mittleren  Fettsäureestern  kommen  einige  natürlich  ge- 
bildet als  Bestandtheile  ätherischer  Oele  vor,  soz.  B.  Essigsäureoctyl- 
ester  CHg-CO-O-CgHi^,  Capronsäureoctylester  Cf^K^^CO-O-C^B.^^ 
und  Buttersäurehexylester  CjHy-CO-O-CgHjj  im  Heracleumöl  *, 
Buttersäureoctylester  CgH^-CO-O-CgHi^  im  Oel  der  Früchte  von 
Pastinaca  sativa®.  Caprinsäure-isoamylester  CgHjg-CO-O-CjHjj  ist 
ein  Hauptbestandtheil  des  Weinfuselöls  (Oenanthäther ,  vgl.  S.  333)*. 
Andere  werden  künstlich  für  Parfumeriezwecke  gewonnen  (Fruchtäther); 
so  findet  der  Essigsäureisoamylester  CHg-CO-O-CgHjj  als  Birnöl, 
Buttersäureäthylester  CgH^-CO-O-C^Hg  als  Ananasöl,  Isovalerian- 
säure-isoamylester  C^Hg-CO-O-CßH^j  als  Apfelöl  Anwendung. 

Aus  höheren  Fettsäureestern  besteht  der  Walrath  —  ein  Fett, 
welches  sich  in  besonderen  Höhlen  im  Kopfe  verschiedener  Wale  (nament- 
lich von  Physeter  macrocephalus)  findet  und  nach  dem  Tode  der  Thiere 
aus  dem  flüssigen  Walrathöl  auskrystallisirt,  in  welchem  es  während  des 
Liebens  in  Folge  der  thierischen  Wärme  gelöst  war.  Es  wird  zur  Her- 
stellung von  Kerzen  verwendet.  Sein  Hauptbestandtheil  ist  der  Pal- 
mitinsäurecetylester  OißHgj-CO-O-CigHjg  (Schmelzpunkt  53-5^; 
daneben  finden  sich  in  kleinerer  Menge  andere  hochmoleculare  Fett- 
säureester*. 

Die  Ester  der  höchsten  Fettsäuren  und  Alkohole  sind  wesent- 
liche Bestandtheile  der  Waehsarten.  Das  Bienenwachs®  —  die  Sub- 
stanz der  Wandungen  der  Bienenzellen,  welche  durch  Ausschmelzen  der 


*  Vgl.  Markownikoff,  Ber.  6,  1177.  —  Papst,  Bull.  83,  350. 

'  ZnrcKE,  Ann.  162,  1.  —  Fbanchimont  u.  Zincke,  Ann.  163,  193. 

*  Renesse,  Ann.  166,  80.  ^  Grimm,  Ann.  167,  264. 

*  Chevbbul,  Ann.  eh.  7,  155.  —  Heintz,  Ann.  92,  291. 

*  Bbodib,  Ann.  67,  180;  71,  U4.     —     Nafzoeb,  Ann.  224,  225.   —  Schwalb, 
Ann.  236,  106.  —  A.  u.  P.  Buisinb,  Bull.  [3]  3,  867. 


362  Wachsmim, 


vom  Honig  befreiten  Waben  mit  Wasser  erhalten  wird  und  hauptsäch- 
lich zur  Kerzenfabrikation  Verwendung  findet,  —  lässt  sich  durch  Kochen 
mit  Alkohol  in  einen  leicht  löslichen  Theil  (Cerin)  und  einen  fast  un- 
löslichen Theil  (Myricin)  zerlegen.  Ersterer  besteht  hauptsächlich  aus 
freier  Cerotinsäure  (vgl.  S.  338 — 339),  letzterer  aus  Estern,  und  zwar 
wesentlich  aus  dem  Palmitinsäureester  des  Myricylalkohols  (Cg^jHgj(OH) 
oder  C3iHg3(OH)?,  vgl.  S.  168).  Daneben  enthält  das  Bienen  wachs  aber 
auch  Kohlenwasserstoffe,  welche  wahrscheinlich  höhere  normale  Glieder 
der  Paraffinreihe  (Cg^Hß^  und  Cg^H^J  darstellen,  Alkohole  mit  24  bis 
27  Kohlenstoffatomen  und  eine  Säure,  welche  der  Oelsäure-Beihe  an- 
zugehören scheint  und  als  der  Träger  der  specifischen  Eigenschaften  des 
Wachses,  namentlich  des  Geruchs,  angesehen  werden  darf. 

Auch  ausser  dem  Bienenwachs  begegnet  man  häufig  natürlich  gebildeten  Pro- 
dukten von  wachsartiger  Beschaffenheit,  welche  zum  Theil  ähnliche  Bestandtheile  wie 
das  Bienenwachs  enthalten. 

Das  chinesische  Insektenwachs,  welches  von  der  Wachsschiidiaus  Coccns 
ceriferus  abgesondert  wird,  besteht  fast  ausschliesslich  aus  Cerotinsäure-Cerylester 
GgeHja'CO'O'CaTHfts  (Schmelzpunkt  82 ®)^  Wesentlich  abweichend  in  seiner  Zu- 
sammensetzung ist  das  von  den  Cocheniileläusen  producirte  Coccerin',  welches 
Ester  mehratomiger  Alkohole  und  Säuren  enthält. 

Unter  den  Pflanzenwachsen^  bildet  das  Carnaubawachs^,  welches  die 
Blätter  der  Camauba  (Copemicia  cerifera  Mart.),  einer  Palme,  überzieht  und  in  Bra- 
silien gewonnen  wird,  einen  bedeutenden  Handelsartikel.  Dasselbe  enthält  von  Alko- 
holen hauptsächlich  den  Myricjlalkohol  CsoH^i'OH  —  daneben  einen  Alkohol 
CjyHgj'OH  und  einen  zweiwerthigen  Alkohol  Cj5H5o(OH)2  —  theils  frei,  theils  in 
Form  von  Estern,  —  von  Säuren  die  Cerotinsäure  CjjHg^Oj,  eine  Säure  Cf^U^fi^  und 
eine  Oxysäure  CjiH^jOg;  auch  ein  Kohlenwasserstoff  ist  darin  aufgefunden. 

Das  japanische  Pflanzenwach s^  wird  aus  dem  Glycerid  der  Palmitinsäure 
gebildet  und  gehört  daher  mehr  zu  den  Fetten,  als  zu  den  Wachsarten.  Ebenso  ent- 
hält das  Myrthenwachs^  (aus  der  Frucht  von  Myrica  cerifera)  das  Glycerid  der 
Palmitinsäure  neben  freien  Fettsäuren. 

Opiumwachs ^,  welches  sich  auf  der  Samenkapsel  des  Oelmohns  (Papaver 
somniferum)  nach  dem  Abfallen  der  Blumenblätter  bildet,  scheint  hauptsächlich  aus 
Palmitinsäurecer^'^lester  zu  bestehen;  daneben  enthält  es  den  Cerotinsäurecerylester. 

Orthoalkylester  der  Fettsäuren^. 

Ab  Orthosäuren  bezeichnet  man  Trihydroxyl Verbindungen,  welche  man  sieh 
aus  den  Säuren  durch  Zutritt  eines  Wassermolecüls  entstehend  denken  kann: 


>  Brodie,  Ann.  67,  199. 

*  Liedermann,  Ber.  18,  1975;  19,  328.  —  Lieberuann  u.  Bergaht,  Ber.  20,  959. 
»  Vgl.  J.  König,  Ber.  3,  566. 

*  B^RARD,  Bull.  [1]  9,  41.   —  Story  Maskelyne,  Jb.  1869,  784.  —  Pieverijno, 
Ann.  183,  344.  —  Stürcke,  Ann.  223,  283. 

*  Sthamer,  Ann.  43,  835.        •  Moore,  J.  pr.  88,  301.         '  Hesse,  Ber.  3,  637. 
®  WiLLiAMsoN   u.   Kay,    Ann-   92,  346.   —    Ladenbüro   u.   Wichelhaus,   Ann. 

162,  164.  —  Bassett,  Ann.  132,  54.  —  Sawitsch,  Jb.  1860,  391.  —  Geuthkr, 
Ztschr.  Chem.  1871,  128.  —  Stapfp,  ebenda,  186.  —  Deutsch,  Ber.  12,  117.  — 
Pinner,  Ber.  16,  356,  1644.  —  Arnhold,  Ann.  240,  192.  —  Hulleman,  Reo.  trav. 
chim.  8,  386. 


Orthoalkylester  der  Fettsäuren.  363 


.0  /OH 

R.C<C        +H,0  =  R.C(OH. 

Die  Orthosäuren  selbst  sind  nicht  beständig  (vgl.  S.  321),  wohl  aber  ihre  Ester: 

/OR 
R.C(OR. 
^OR 

Die  Ester  der  Orthoani eisensäure  können  durch  Einwirkung  von  Chloroform 
(nicht  von  Jodoform^)  auf  Natriumalkoholate  erhalten  werden: 

CHCI3  +  SNaOCgHs  =  3NaCl  +  CH(O.C8H5)3; 

in  analoger  Weise  bildet  sich  dreibasischer  Essigäther  aus  Trichloräthan  CH^'OCls: 

CHs-CCla  +  SNa.O.CjHs  =  3NaCl  +  CHg  •  C(0  •  CiH,),. 

Sehr  glatt  entstehen  die  Orthoester  femer,  wenn  man  das  Chlorhydrat  eines  Imido- 
äthers  (vgl.  S.  374)  mit  überschüssigem  Alkohol  stehen  lässt: 

.NH  äO'C,U,\ 

H.Cf  .HCl  +  2CaH5.0H  =  H-CC  +  NH3.HCI; 

^O-CaH^  ^OCjHs 

mit  Hülfe  dieser  Reaction  lassen  sich  auch  „gemischte"  Orthoester  mit  verschiedenen 
Alkylresten  gewinnen,  z.  B.: 

.NH  y(O.C,H,), 

H.C<  .HC1  + 2C4H90H  =  HCf  +  NHg.HCl. 

^OC^H,  ^OC^Hs 

Die  Orthoester  sind  farblose  Flüssigkeiten  von  angenehmem  Geruch;  in  Wasser 
sind  sie  kaum  löslich.  Von  Chlorwasserstoff  werden  sie  in  einbasische  Ester,  Halo- 
genalkyl  und  Alkohol  zerlegt: 

H.C(0.CjH6)3  +  HCl  =  H.CO.  0.  CA  +  CjH^.Cl  +  CjHaOH. 

Es  sind    fast   ausschliesslich   die  Orthoameisensäureester    untersucht.     Ortho- 

amei8en8äure-methyIesterH.C(0.CH3\  siedet  bei  101— 102 <*  und  besitzt  bei  23 <^ 

das  spec.  Gew.  0.974;  Orthoameisensäure-äthylester  H.C(0.CjH5)3  siedet  bei 
145— 146^ 

IV.  Thlosäuren  C^Ha^^i-COSH. 

Man  gewinnt  die  von  Kekül^  entdeckten  Thlosäaren  durch  Erhitzen  der  ent- 
sprechenden Sauerstofisäuren  mit  Phosphorpentasulfid  ■  oder  durch  Einwirkung  von 
Säurechloriden  auf  Kaliumhydrosulfid': 

CH3.CO.CI  +  K.SH  =  CH3.CO.SH  +  KCl. 

Aach    entstehen    sie    beim    Zerlegen    der    Phenolester    mit    alkoholischem    Kalium- 
hydrosulfid^: 

CH3.CO.O.C3H6  +  KHS  =  CH3.CO.SK  +  OH-CeHj. 

Die  Thiosäuren  sind  farblose  Flüssigkeiten  von  höchst  unangenehmem  Geruch, 
welche  niedriger  sieden  und  in  Wasser  weniger  löslich  sind  als  die  entsprechenden 
Sauerstoffsäuren.  Ihre  Alkalisalze  sind  krystallisirbar  und  in  Wasser  löslich;  ihre 
Schwermetallsalze  sind  meist  schwer  löslich  in  Wasser  und  zersetzen  sich  leicht  unter 
Bildang  von  Schwefelmetallen.  Bemerkens werth  ist  das  Verhalten  der  Thiosäuren 
bei  der  Elektrolyse*;  an  der  Katode  tritt  Wasserstoff,  an   der  Anode  das  der  Thio- 


*  Vgl.  GoRBOFF  n.  Kessler,  J.  pr.  [2]  41,  248. 

*  Rekul£,  Ann.  00,  309.        '  Jacqübmin  u.  Vosselmann,  Compt.  rend.  49,  371. 

*  KcKüL^  ZtBchr.  Chem.  1867,  196.  ^  Bunge,  Ber.  3,  297. 


364  Thiosäuren  und  ihre  Derivate, 


säure  entsprechende  Disulfür  —  entstanden   durch   die  Vereinigung  von  zwei  Yom 
Wasserstoffatom  losgerissenen  einwerthigen  Resten  —  auf: 

+  Elektrode         —  Elektrode 
CHj.COSH  CHj.COS-        H 

+ 
CH,.CO.SH  CH,.CO.S-        H 


^8 


CHa-COS 

I       +  H, 

Die  alsThioameisensäure  beschriebene,  in  sehr  geringer  Menge  durch  starkes 
Erhitzen  von  Bleiformiat  im  Schwefelwasserstofistrom  erhaltene,  lange  weisse  Nadeln 
bildende  Verbindung^  gab  bei  der  Analyse  Zahlen',  welche  weder  unter  einander 
noch  auf  die  Formel  der  Thioameisensäure  stimmen.  Durch  Einwirkung  von  Schweiel- 
phosphor  auf  Ameisensäure  erhält  man  Thioameisensäure  nicht*. 

Thioessigsäure«  CHj-CO-SH  siedet  bei  93%  besitzt  bei  10<»  das  spec.  Gew. 
1»074  und  wird  bei  —17°  nicht  fest. 

Anhydride  der  ThlosUaren  (Acylsulfidc),  wie  (CH3-C0)tS,  entstehen  aus  den 
Säureanhydriden  durch  Einwirkung  von  Schwefelphosphor,  femer  durch  Einwirkung 
der  Säurechloride  auf  die  Bleisalze  der  Thiosäuren: 

2CHs.C0Cl  +  P^SCOCHg),  =  PbCl,  -h  2(CH3.CO)S. 

Von  Wasser  werden  sie  sehr  langsam  in  Thiosäure  und  Sauerstoffisäure  zerlegt: 

CHs-COv 

>S  +  H,0=  CHs-COSH  +CH,.CO.OH. 
CHjCCK 

Acetylsulfid^  (CH,* 00)28  ist  eine  hellgelbe,  in  Wasser  untersinkende  Flüssig- 
keit von  höchst  unangenehmem  und  durchdringendem  Geruch,  welche  unter  gewöhn- 
lichem Druck  bei  157 — 158°  nicht  ganz  unzersetzt,  unter  20  mm  Druck  bei  66—67° 
siedet. 

Die  Blsnlfide,  wie  CHj-COS.SCOCHg,  sind  in  Folge  der  Tendenz  der 
Schwefelatome,  sich  mit  einander  zu  vereinigen,  viel  beständiger,  als  die  ihnen  in  der 
Constitution  entsprechenden  Superoxyde  der  Säureradieale  (vgl.  S.  354).  Ausser  durch 
Elektrolyse  der  Thiosäuren  (vgl.  oben)  gewinnt  man  sie  durch  Einwirkung  von  Jod 
auf  die  Salze  der  Thiosäuren: 

2CH3.CO.SNa  +  Jj  =  (CHa-COS),  +  2NaJ. 

Acetyldisulfid*  CHj-CO-S-S-CO-CHa  bildet  grosse,  farblose  Krystalle, 
schmilzt  bei  20°,  riecht  nur  schwach  und  ist  in  Wasser  unlöslich. 

Die  Alkylester  der  ThlosSaren  erhält  man  durch  Einwirkung  der  Sänrechlo- 
ride  auf  Mercaptide*: 

2CH3.COCI  +  PbCS-CHj),  =  PbClj  +  2CHa.C0.S.CH„ 


*  WöHLER,  Ann.  91,  125.  —  Limpricht,  Ann.  97,  361. 
'  HüRST,  Ann.  126,  68. 

*  Kekdl£,  Ann.  90,  309.    —    Ulrich,  Ann.  109,  273.   —  Jacqüeion  u.  Vossrl- 
MANx,  Compt  rend.  49,  371.  —  Lukaschewicz,  Ztschr.  Chem.  1868,  642. 

*  Nach  unveröffentlichten  Beobachtungen  von  S.  H.  Davies. 

*  Kekül£  u.  Linnemann,  Ann.  123,  279.  —  Beckmann,  J.  pr.  [2]  17,  465. 

*  MicHLER,  Ann.  176,   182.     —    Lukaschewicz,  Ztschr.  Chem.  1868,  642.    — 
Obermeyer.  Ber.  20,  2920. 


Säureamide,  365 


durch  Zusammenreiben  von  Phenolestern  mit  Natriummercaptiden  unter  Aether': 

CHs.COO.CßHß  +  NaSCjHg  =  CHa.CO.S.CjH^  +  NaO-CeH^, 

endlich  durch  Spaltung  der  alkylirten  Thioanilide  (vgl.  S.  376  u.  Band  II)  mit  Mineral- 
sauren': 

/S  •  CjH5  /S  •  CjHg 

CH,.C<  +HjO  +  HCl  =  CHjCC  +  CeHjNHj.HCl. 

Es  sind  lauchartig  riechende  farblose  Flüssigkeiten ;  von  concentrirter  Kalilauge  wer- 
den sie  in  Fettsfiuren  und  Mercaptane  gespalten. 

Thioessigsfiuremetbjlester   CHj-CO-S-CHs   siedet   bei    95  — 96<>,    Thio- 
essigsäureäthylester  CHsCOS-CjHg  bei  115— 117^ 

Ausser  den  besprochenen  Thiosliuren,  welche  die  Gruppe  — G^         enthalten, 

\SH 

erscheinen  noch  ihnen  isomere  Thiosäuren  mit  der  Gruppe:  — C^  ^^d  Dithio- 
säuren  mit  der  Gruppe:  — C^  denkbar.  Ein  thiopropionsaures  Natriumsalz,  wel- 
chem die  Formel  C,Hß«CS(ONa)  +  H,0(??)  zugeschrieben  wird,  ist  durch  Kochen  von 
Pjropionitril  mit  alkoholischem  Natriumhydrosulfid  im  Schwefel wasserstoflfstrom  er- 
halten*. Dithiosfiuren  der  Fettreihe  sind  bisher  nicht  beschrieben,  wohl  aber  solche 
der  aromatischen  Reihe  (vgl.  Bd.  II). 

y.    Amlde  der  FettsSuren. 

Diejenigen.  Ammoniakderivate;  welche  durch  Einfuhrung  von  Kohlen- 
wasserstofiresten  an  Stelle  der  Ammoniakwasserstoffatome  entstehen,  wur- 
den als  Amine  (vgl.  S.  227)  bezeichnet;  ihnen  gegenüber  stellt  man  als 
Amide  solche  Verbindungen,  welche  aus  dem  Ammoniak  durch  Ein- 
führung von  Säureradicalen  gebildet  werden.  Auch  unter  den  Amiden 
lassen  sich  je  nach  der  Zahl  der  verdrängten  Wasserstoffatome  pri- 
märe, secundäre  und  tertiäre  Amide  unterscheiden: 

H|  H|  CHsCOl 

Hm  CHaCO^N  CHaCO^N. 

CH3.COJ  CHaCOj  CHgCOJ 

Die  secundären  und  tertiären  Amide,  welche  sich  verhältnissmässig  schwer 
bilden  und  wenig  beständig  sind,  stehen  an  Wichtigkeit  weit  hinter  den 
primären  Amiden  zurück.  Von  den  primären  und  secundären  Amiden 
leiten  sich  nun  femer  noch  Alkylderivate  ab,  indem  die  nicht  durch 
Saurereste  vertretenen  Wasserstoffatome  gegen  Kohlenwasserstoffreste  aus- 
getauscht werden: 

H)  CH,l  CHs] 

CHj^N  CHa^N  CHaCOm. 

CH3.COJ  CHaCOj  CHa-CO. 

Den  quaternären  Ammoniumverbindungen  entsprechende  Verbindungen  der 
Säureradicale  sind  nicht  bekannt. 


*  Skifsrt,  J.  pr.  [2]  31,  462.  '  Wallach  u.  Bleibtreu,  Ber.  12,  1062. 

»  DuPRÄ,  Bull.  29,  304. 


366  Säureamide, 


Bildnngswelsen  der  primSren  Sftnreamide  und  ihrer  Alkylderl- 
yate.  Die  Amide  entstehen  beim  Erhitzen  der  Ammoniamsalze  der 
entsprechenden  Säuren  durch  Abspaltung  von  einem  Molecül  Wasser^: 

CH,.C0  0.NH4-H,0    =    CHaCO.NHj. 

Das  Wasser  wirkt  indessen  dem  Vorschreiten  dieser  Reaction  wieder  ent- 
gegen, indem  es  mit  dem  Säureamid  die  umgekehrte  Reaction,  welche 
zur  Rückbildung  des  Ammoniumsalzes  filhrt,  eingeht: 

CHaCONH,  +  H,0    =    CHg  •  CO  •  0  •  NH^. 

Der  Process  ist  demnach  vergleichbar  der  Bildung  von  Estern  aus  Säure 
und  Alkohol;  auch  hier  nähert  sich  die  Reaction  einem  Grenzzustande, 
welcher  bei  einer  Temperatur  von  155®  erreicht  ist,  wenn  80 — 85  ^/^ 
des  Ammoniumsalzes  in  Amid  übergeführt  sind.  Wie  bei  der  Esteri- 
ficirung  (vgl.  S.  354—^356)  ist  die  Anfangsgeschwindigkeit  der  Amidbil- 
dung  für  die  Säuren  mit  primärem  Alkylrest  grösser,  als  für  diejenigen 
mit  secundärem  Alkylrest,  von  allen  einbasischen  Säuren  am  grössten  für 
die  Ameisensäure*. 

Man  bedient  sich  dieser  Bildung  sehr  häufig  zur  Darstellung  der 
Fettsäureamide;  die  trockenen  Ammoniumsalze  der  Fettsäuren,  welche 
sich  durch  Abdampfen  der  wässrigen  Lösung  ihrer  Dissociirbarkeit  wegen 
nicht  gewinnen  lassen,  werden  bereitet,  indem  man  in  die  wasserfreie 
Säure  trockenes  Ammoniakgas  einleitet  oder  sie  mit  gepulvertem  Ammo- 
niumcarbonat  neutralisirt.  Bei  der  directen  Destillation  des  Ammonium- 
salzes zerfällt  ein  grosser  Theil  wieder  in  Ammoniak  und  freie  Säure; 
man  erhält  daher  zunächst  einen  aus  zurückgebildeter  Säure  bestehen- 
den Vorlauf,  dann  das  viel  höher  siedende  Amid;  man  kann  den  Vor- 
lauf wiederum  mit  Ammoniak  sättigen  und  durch  nochmalige  Destil- 
lation einen  weiteren  Theil  der  Säure  in  ihr  Amid  verwandeln  u.  s.  f.^. 
Weit  zweckmässiger  aber  ist  es,  das  Ammoniumsalz  vor  der  Destil- 
lation zunächst  im  geschlossenen  Rohr  5 — 6  Stunden  auf  ungefähr  230° 
zu  erhitzen;  die  Amidbildung  ist  dann  schon  weit  vorgeschritten,  und 
durch  Destillation  des  Rohrinhalts  erhält  man  in  der  Regel  sofort  70 
bis  80  7o  <i6r  theoretischen  Ausbeute ;  in  den  höheren  Reihen  kann  man 
auch  nach  dem  Erhitzen  im  geschlossenen  Rohr  einfach  das  auskrystal- 
lisirte  Amid  von  der  Lösung  des  unveränderten  Ammoniumsalzes  durch 
Absaugen  trennen*.  —  Statt  des  Ammoniumsalzes  der  Fettsäure  ver- 
wendet man  zuweilen  ein  Gemenge  ihres  Natriumsalzes  mit  der  äqui- 
valenten Menge  Salmiak''  ^. 

Aus  den  Säureestern  erhält  man  die  Amide  durch  Digestion 
mit  wässrigem  Ammoniak: 

CHaCOOCjHj  +  NHj  =  CHg.CO.NH,  +  OH.C,Hg. 


'  Kündig,  Ann.  105,  277.  *  Mbnschutkin,  J.  pr.  [2]  20,  422,  442,  445. 

'  Vgl.  Keller,  J.  pr.  [2]  31,  363.  •  A.  W.  Hopmann,  Ber.  15,  979. 

*  Petersen,  Ann.  107,  331. 


Büdungaweisen,  367 


Bei  den  in  Wasser  ziemlich  löslichen  Estern  —  wie  Ameisensäure-  und 
Essigsäureester  —  verläuft  die  Reaction  schon  bei  längerem  Stehen  in 
der  Kälte  einigermassen  glatt;  bei  den  höheren  Estern  muss  man  in  ge- 
schlossenen Röhren  erhitzen  und  erhält  nur  unbefriedigende  Ausbeuten  ^ 
Sehr  glatt  bilden  sich  die  Amide  aus  den  Säureanhydriden  oder 
Säurechloriden  durch  Einwirkung  von  Ammoniak: 

CH.COv  CHjCONH, 

>0  +  2NH,  =  +H,0 

CHj.CO^  CH,.CO.NH, 

CHgCOCi  +  2NH8  =  CHj.CONH,  +  NH^Cl; 

namentlich   für   die  Amide   hochmolecularer  Carbonsäuren  ist  die  Dar- 
stellung mit  Hülfe  der  Chloride  die  geeignetste'. 

Alle  bisher  erwähnten  Reactionen  können  auch  zur  Darstellung 
alkylirter  Amide  dienen,  wenn  man  anstatt  des  Ammoniaks  sich  pri- 
märer oder  secundärer  Amine  bedient,  z.  B.: 

H .  CO .  OH .  NH(C,H6),    =    H  •  CO  •  N(C,Hß)j  +  H,0 
CH, .  CO .  0 .  CjHj  +  NHjfCHj)    =    CH,  •  CO  •  NHCCHg)  +  OH  •  C.H^ 

CH, .  COCl  +  2  NHCCH,),    =    CH,  •  CO  •  NCCHg),  +  NH(CH,\ .  HCl. 

Unmittelbar  aus  den  Säuren  erhält  man  die  Amide  (neben  Nitrilen) 
durch  Destillation  mit  Rhodankalium  in  massiger  Ausbeute': 

CHg.CO.OH  +  NH :  CS  =  CHg-CO-NH,  +  COS. 

Bessere  Ausbeuten  werden  erzielt,  wenn  man  Rhodanammonium  (1  Mol.) 
mit  der  wasserfreien  Säure  (27^  Mol.)  längere  Zeit  unter  Rückäuss  bei 
schwacher  Siedehitze  digerirt*. 

Wie  die  Nitrile  durch  Wasserentziehung  aus  den  Amiden  ent- 
stehen (s.  S.  294),  so  können  sie  umgekehrt  durch  Wasseranlagerung 
wieder  in  die  Amide  übergehen.  Diese  Wasseranlagerung  kann  durch 
Lösen  in  concentrirter  Schwefelsäure,  durch  Schütteln  mit  concentrirter 
Salzsäure  bewirkt  werden ;  besonders  leicht  geht  sie  unter  der  Einwirkung 
Yon  WasserstoflFsuperoxyd  in  alkalischer  Lösung*  bei  etwa  40®  vor  sich: 

CsH.jCN  +  2H,0,  =  CftHn-CONH,  +  0,  +  H,0. 

Von  Beactionen,  welche  zur  Bildung  alkylirter  Säureainide  führen^  sei 
femer  erwähnt  die  Einwirkung  von  Fettsäuren  auf  Isocyansäureester*  und  auf  Car- 
bylamine'  (vgl.  S.  251—252): 

CHj.COOH  +  CgHg.NiCO    =    CH3.CO.KH.CjH5  +  CO, 
C:^N.CH,  +  2CH8.CO.OH     =    CHO-NHCH,  +  (CH3.C0),0, 


*  A.  W.  Hofmann,  Ber.  15,  978.     Vgl.  ferner:  Bonz,  Ztschr.  f.  physik.  Chem., 
2,  865. 

'  Rbafft  u.  Stauffeb,  Ber.  15,  1728. 

•  Lbtts,  Ber.  5,  669.  —  Hemilian,  Ann.  178,  7.  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  15, 
978.  Anm.  —  MEHLis,  Ann.  185,  367. 

*  J.  Schulze,  J.  pr.  [2]  27,  512.  ^  Radziszewski,  Ber.  18,  355. 

•  WuBTz,  Ann.  eh.  [3]  42,  53.  '  Gactieb,  Ann.  151,  240. 


368  Charakteristik  der  Säureamide. 


die  Einwirkung  von  Chloral  auf  Amine': 

CClgCHO  +  NHjCjH,  =  CHCls  +  HCONHCjHß 

und    die    merkwürdige   BscEKANN^sche   Umlagerung    von    Ketozimen    mit    tertiären 
Wasserstoffatomen  unter  dem  Einfluss  des  Acetylchlorids  (vgl.  Kap.  11,  Oxime)': 

(CHa)  jCH-C-CHlCHa),  =  (CH8),CH  -  CO  •  NH  -  CHCCHgls. 
kOH 

Allgemeine  Charakteristik.  Die  primären  Amide  der  Fettsäuren 
sind  feste  krystallisirbare,  farblose  Substanzen;  nur  das  erste  Glied  — • 
das  Formamid  —  ist  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig.  Die  niederen 
Glieder  sind  in  Wasser  ausserordentlich  leicht  löslich,  an  der  Luft  zer- 
fliesslich  und  können  unzersetzt  destillirt  werden  (das  Formamid  zersetzt 
sich  bei  der  Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck  theilweise  in  CO 
und  NH3);  sie  zeigen  in  der  Kegel  einen  charakteristischen,  unange- 
nehmen Geruch,  welcher  aber  nur  von  Verunreinigungen  herrührt.  Reines 
Acetamid  ist  fast  geruchlos*.  Mit  steigendem  Kohlenstoffgehalt  nimmt 
die  Löslichkeit  in  Wasser  ab;  die  hochmolecularen  Amide  sind  in  Wasser 
kaum  löslich;  in  Alkohol  und  Aether  lösen  sie  sich.  Während  die  pri- 
mären Amine  stets  viel  leichter  flüchtig  als  die  ihnen  entsprechenden 
Hydroxylverbindungen  —  die  Alkohole  —  sind,  sieden  die  Amide  stets 
weit  höher  als  die  zugehörigen  Säuren.  Die  Tabelle  Nr.  20  auf  S.  369 
enthält  die  Schmelzpunkte  und  Siedepunkte  mehrerer  Fettsäureamide. 

In  ihrer  Constitution  zwar  den  primären  Aminen  vergleichbar,  sind 
die  primären  Säureamide  in  ihrem  chemischen  Charakter  durchaus 
andersartig.  Beim  Eintritt  eines  Alkylrestes  in  das  Ammoniakmolecül 
bUeb  die  basische  Natur  der  Stammverbindung  erhalten;  die  Alkylamine 
erwiesen  sich  als  kräftige  Basen  von  alkalischer  Eeaction.  Mit  dem 
elektronegativen  Säureradical  dagegen  tritt  in  das  Ammoniakmolecül  ein 
Factor,  welcher  dem  basischen  Charakter  entgegenwirkt;  die  Säureamide 
sind  daher  indifferente  Verbindungen  von  neutraler  Eeaction.  Freilich 
vollständig  wird  der  basische  Theil  des  Molecüls  —  die  -NHj-Gruppe  — 
durch  den  Acylrest  nicht  paraly sirt.  Die  Säureamide  besitzen  noch  die 
Fähigkeit,  sich  mit  starken  Säuren  zu  lockeren  Verbindungen  zu  ver- 
einigen. So  bildet  das  Acetamid  mit  concentrirter  Salzsäure  die  Verbindung 
CHgCO-NHg.HCl,  welche  bei  längerem  Stehen  über  Aetznatron  in  die 
Verbindung  2(CH3-C0-NH2).HC1  übergeht*;  letztere  erhält  man  direct  in 
langen  spitzen  Nadeln  beim  Einleiten  von  Chlorwasserstoff  in  eine  alko- 
holisch-ätherische Lösung  des  Amids  ®.  Mit  Salpetersäure  entsteht  das  Nitrat 
CHg-CO-NHg.HNOg ,  welches  aus  Aether  und  Chloroform  krystallisirt 
erhalten  werden  kann  ^•®.     Diese  Verbindungen  reagiren  stark  sauer  und 


*  A.  W.  Hofmann,  Ber.  5,  247. 

'  V.  Meter  u.  Warrinqton,  Ber.  20,  500. 

^  G.  Hofmann,  Ann.  250,  315.  —  Bonz,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  2,  867. 

*  Pinner  u.  Klein,  Ber.  10,  1896.  *  Strecker,  Ann.  103,  321. 
^  Franchimont,  Rec.  trav.  chim.  2,  340. 


Tabellarische  Uebersickt  über  die  Fettsäur eamide. 


369 


Tabelle  Nr.  20. 


Name. 


Formamid*-' 

Acetamid*** 

Propionamid  *~' 

Norm.  Butyramid  *•*•*.  . 
Isobatyramid**'"^  .  .  .'  . 
Norm.  Valeramid®'®.  .  . 

Isovaleramid^*® 

Nonn.  Capronamid*'®"**^ 
Oenanthamid*"®***'".  .  . 

Caprylamid  *•*•" 

Pelargonamid  **••"  .  .  . 
Caprinamid*'" 


Schmelzpunkt.         Siedepunkt. 


HCONHj 
CHg-CO.NH, 
CjHfi.CO.NHj 
CjH^.CO-NH, 


>j 


CA-CO-NH, 


>j 


CftHn-CONH, 
CeHjs-CONH, 
CyHisCONH, 
CgH^.CO.NH, 
CgHie-CO.NHj 


lÄurinamid»« |  CnH^-CONH^ 


Myrißtinamid'»-" *  CiaH^-CO-NH 


Palmitinamid  "•» 1  C^H,!  •  CO  •  NH, 


Stearinamidi"" 


C„H,5.C0.NH, 


+  82^ 

1150 
128— 129  <» 
114— 116  °(?) 
126—128^ 
100^ 
95  <> 
105—106° 
99° 
98° 

102° 

102° 

106—107° 

109° 

98—99° 


200—212° 

223° 

213° 

216° 
216—220° 

230—232° 

255° 
250-258° 


Arachinamid»° [  CjeHse-CONH, 

Zur  Kennzeichnung  der  alkjlirtenAmide  seien  der  Tabelle  noch  die  folgen- 
den Daten  hinzugefügt:  Methylformamid"*",  H-CO-NH-CHg,  ist  flüssig,  siedet 
bei  180—185°  und  besitzt  bei  19°  das  spec.  Gew.  1-011.  Diäthylformamid"-", 
H-CO-NCCjHfi),,  ist  flüssig,  siedet  bei  177—178°  und  besitzt  bei  19°  das  spec.  Gew. 
0.908.  Methylacetamid"",  CHg •  CO •  NH •  CH,,  schmilzt  bei  28°,  siedet  bei  206°. 
Dimethylacetamid»«,  CHg-CO-NCCHj),,  ist  flüssig,  siedet  bei  165.5°  und  besitzt 
bei  20°  das  spec.  Gew.  940.  Diäthylacetamid"-",  CHa-CO-NCCsHß)^,  ist  flüssig, 
siedet  bei  185—186°  und  besitzt  bei  8-5°  das  spec.  Gew.  0-925. 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  20:  *  A.  W.  Hofmann,  Ber.  15,  977.  —  *  Sestini, 
Ztschr.  Chem.  1871,  34.  —  •  J.  Schulze,  J.  pr.  [2]  27,  512.  —  *  Chancel,  Ann.  52, 
294.  —  *  Bückton  u.  Hofuann,  Ann.  100,  152.  —  •  Letts,  Ber.  6,  669.  —  ^  Münch, 
Ann.  180,  340.  —  ®  Weidel  u.  Ciamician,  Ber.  13,  69.  —  •  A.  W.  Hofmann,  Ber. 
17,  1406.  —  *°  Henry,  Ber.  2,  495.  —  "  Malebba,  Ann.  91,  103.  —  "  Mehlis,  Ann. 
186,  368.  —  "  FELLiTAR,  Jb.  1868,  624.  —  **  Schalfejew,  Ber.  6,  1252.  —  "  Rowney, 
Ann.  79,  243.  —  "  Kbafpt  u.  Staitffbe,  Ber.  15,  1728.  —  "  Masino,  Ann.  202,  174. 

—  *•  Reuieb  u.  Will,  Ber.  18,  2016.  —  "  Carlet,  Jb.  1859,  367.  —  *°  Scheven  u. 
G5fl8MANN,  Ann.  97,  262.  —  ■*  Linnemann,  Jb.  1869,  601.  —  '*  Gautieb,  Ann.  151, 
242.  —  "  Wallach,  Ann.  214,  240,  272.  —  Wallach  u.  Lehmann,  Ann.  237,  239. 

—  «*  A.  W.  Hopmann,  Ber.  14,  2729.  —  **  Wallach,  Ann.  214,  235.  —  "  Fbanchi- 
MoxT,  Rec.  trav.  chim.  2,  329. 

zerfallen  leicht.  Die  alkjlirtenAmide  sind  stärker  basisch^;  sie  bilden  be- 
ständige Platindoppelsalze,  wie  z.B.  [H-CO-N(C2H5)2.HCl]2PtCl4  +  2H20. 

*  Wallach,-  Ann.  214,  240.  —  Wallach  u.  Lehmann,  Ann.  237,  239. 
y.  Mktxb  a.  Jacobsok,  org.  Chem.   L  24 


370  Chemisches  Verluzlten  der  Amide, 

Der  Einttuss  des  Acylrestes  tritt  besonders  deutlich  in  dem  Um- 
stand hervor,  dass  die  Wasserstoffatome  des  Ammoniakrestes  durch  seine 
Nähe  die  Fähigkeit  erlangen,  gegen  Metallatome  ausgetauscht  werden 
zu  können  (vgl.  indess  S.  374);  mit  besonderer  Leichtigkeit  treten  die 
Quecksilberatome  in  den  Amidrest  der  Säureamide  ein.  Wässrige  Amid- 
lösungen  lösen  Quecksilberoxyd  auf;  beim  Eindunsten  der  Lösun£;en 
erhält  man  salzartige  Quecksilberverbindungen  der  Amide^,  wie 
z.B.  das  Quecksilberacetamid*  (CH3-CO-NH)2Hg,  welches  aus  Alkohol 
in  durchsichtigen  Krystallen  vom  Schmelzpunkt  195®  anschiesst. 

Zinkverbindungen^  entstehen  bei  der  Einwirkung  von  Zinkalkylen  auf  die 
Amide  in  ätherischer  Losung  unter  Entwickelung  von  Kohlenwasserstoffen: 

2CH8CO.NH8  +  Zn(C,H5)j  =  (CHg  •  CO  •  NH)8Zn  +  2C,He; 

sie  werden  von  Wasser  unter  Bückbildung  der  Amide  und  Abscheidung  von  Zink- 
oxydhydrat zersetz. 

Von  den  Aminen  unterscheiden  sich  die  Amide  ferner  dadurch 
durchgreifend,  dass  in  ihrem  Molecül  die  Bindung  zwischen  dem  Am- 
moniakrest und  dem  organischen  Radical  sehr  leicht  aufgehoben  werden 
kann.  Schon  durch  Erhitzen  mit  Wasser  (vgl.  S.  366)  werden  sie  in 
Ammoniak  und  Säure  gespalten: 

CHs-CONH,  +  H,0  =  CHa-COOH  +  NH^; 

rascher  und  vollständiger  verläuft  diese  „Verseifung^*  bei  Gegenwart  von 
Säuren  oder  Alkalien. 

Der  zeitliche  Verlauf  der  Amidspaltung  kann  ebenso,  wie  die  Esterverseif ung 
(vgl.  S.  358),  als  Grundlage  für  die  Bestimmung  der  Reactionsgeschwindigkeit  von 
Säuren  benutzt  werden*. 

Der  Spaltung  durch  Wasser  analog  ist  die  Zersetzung  der  Amide,  welche  durch 
Erhitzen  mit  Alkoholen  auf  höhere  Temperaturen  bewirkt  wird ;  sie  kann  in  zwei  Rich- 
tungen verlaufen  —  einerseits  unter  Bildung  von  Ester  und  Ammoniak,  andererseits 
unter  Bildung  eines  Aminsalzes^: 

CHsCONH,  +  CHj.OH  =  CHgCOOCHs  +  NHg 
CHa-CONH,  +  CHgOH  =  CH^CO-OH  +  NHj.CH,. 

Concentrirte  Salpetersäure  zersetzt  die  Amide  unter  Entwickelung 
von  Stickoxydul®: 

CHa-CONH,  +  HNOj  =  CHg-CO-OH  +  N,0  +  H,0. 

Wasserentziehende  Mittel,  wie  Phosphorpentoxyd,  erzeugen  Nitrile 
(vgl.  S.  294): 

CH3.C4         -HjO     =     CHa-C    N; 
^0 

*  Dessaignes,  Ann.  82,  231. 

^  Markownikofp,  Ztschr.  Chem.  1863,  534.  —  Strecker,  Ann.  103,  324.  —  Tafkl 
u.  ExocH,  Ber.  23,  1553. 

3  Gal,  Bull.  39,  647.  *  Ostwald,  J.  pr.  [2]  27,  1. 

*  Baubigny,  Compt.  rend.  95,  646;  103,  149.  —  R.  Seifpert,  Ber.  18,  1357.  — 
BoNz,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  2,  882. 

®  Franchimont,  Rec.  trav.  chim.  2,  329. 


Einwirkung  von  alkalischer  Bromlösung  auf  Aynide,  371 


die  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  oder  Schwefelphosphor  ^  fuhrt 
ebenfalls  zur  Bildung  von  Nitrilen,  nachdem  verschiedene  Zwischenstufen 
( Amidchloride ,  Imidchloride,  Thioamide,  vgl.  S.  373,  375 — 376)  durch- 
laufen sind. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  das  Verhalten  der  Ämide  gegen  Brom 
in  alkalischer  Lösung,  welches  von  A.  W.  Hofmann^  eingehend  un- 
tersucht wordeü  ist.  Es  bilden  sich  durch  Eintritt  von  Bromatomen  in 
den  Amidrest  Bromsubstitutionsprodukte,  welche  ihrerseits  weiter  eine 
Reihe  merkwürdiger  Umwandlungen  erleiden.  Beim  Auflösen  von  Acet- 
amid  in  Brom  scheint  zunächst  ein  lockeres  Additionsprodukt  zu  ent- 
stehen, welches  schon  beim  Verdunsten  das  Brom  abgiebt  und  reines 
Acetamid  zurücklässt.  Fügt  man  nun  zu  einer  Mischung  von  1  Mol. 
Brom  und  1  Mol.  Acetamid  unter  Abkühlung  etwa  lOprocentige  Kalilauge 
in  kleinen  Portionen  bis  zur  Entfärbung,  so  erhält  man  aus  der  Lösung, 
nachdem  sich  zunächst  Bromkalium  abgeschieden  hat,  das  Acetmono- 
bromamid,  CHj-CO-NHBr +  H2O,  in  farblosen,  tafelförmigen Kry stallen; 
das  Krystallwasser  kann  bei  50^  ausgetrieben  werden,  die  wasserfreie 
Verbindung  schmilzt  bei  108®.  Das  Acetbromamid  ist  äusserst  reactions- 
fahig;  Ammoniak,  Anilin  wirken  mit  der  grössten  Heftigkeit  unter  Bück- 
bildung von  Acetamid  darauf  ein;  Silbercarbonat  erzeugt  in  ebenfalls 
sehr  heftiger  Eeaction  unter  Entziehung  von  Bromwasserstoff  durch  eine 
merkwürdige  Verschiebung  der  — CO — Gruppe  den  Isocyansäuremethyl- 

ester: 

CHs .  CO .  NHBr-HBr     =     CH,  •  N :  CO. 

Diese  Reaction  liefert  den  Schlüssel  zum  Verständniss  der  eigenthüm- 

lichen  Verwandlungen,    welche  das  Bromamid   unter  dem  Einfluss   der 

Alkalien  erleidet.    Erwärmt  man  es  mit  Alkalien,  so  erhält  man  Methyl- 

iunin;  auch  hier  ist  vermuthlich  der  Isocyansäureester  als  primäres  Re- 

actionsprodukt  anzusehen,  welches   aber  von  dem  Alkali   gleich  weiter 

gespalten  wird: 

CH3.N :  CO  +  HjO  =  CHa.NHj  +  CO.. 

PIs  beruht  hierauf  eine  Darstellungsmethode  der  primären  Amine  (vgl. 
S.  235).  —  Erwärmt  man  moleculare  Mengen  von  Acetamid  und  Acet- 
monobromamid  mit  Alkalien,  so  vereinigt  sich  der  Isocyansäureester  im 
Augenblick  des  Entstehens  mit  Acetamid  zu  Methylacetylharnstoff: 

CHgNHv 
CHg  •  N  :  CO  +  NH,  •  CO  •  CHg  =  >C0. 

CHg-CO-NH/ 

Verbindungen  vom  Typus  dieses  Harnstoffs  erhält  man  daher  auch  direct 
aus  den  Amiden,  wenn  man  auf  die  Mischung  von  2  Mol.  Amid  mit 
1  Mol.  Brom  Alkalien  wirken  lässt,  so  z.B.  aus  Capronamid  CgHjj-CO-NHg 

C,H„.NHv 
Amylcaproylhamstoff  yCO  etc. 

CgHii-CONH^ 

»  Henry,  Ber.  2,  305,  494.  '  Ber.  14,  2725;  15,  407,  752;  17,  1407. 

24* 


372  Seoundäre  und  tertiäre  Säureamide, 


Dem  Acetbromamid  analoge  Verbindungen  sind  aus  dem  Propionamid  und  Iso- 
butyramid  gewonnen.  In  den  höheren  Reihen  gelingt  die  Isolirung  der  Bromderivate 
nicht  mehr;  wohl  aber  treten  die  auf  ihrer  Bildung  beruhenden  Umsetzungen  der 
Amide  mit  alkalischer  Bromlösung  —  Erzeugung  des  gemischten  Hamstofis  bei  Anwen- 
dung von  2  Mol.  Amid  und  1  Mol.  Brom,  Erzeugung  des  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmeren 
Amins  bei  Anwendung  von  1  Mol.  Amid  und  1  Mol.  Brom  —  ein.  Bei  der  letzteren 
Eeaction  wird  in  den  höheren  Reihen  das  Amin  infolge  weitergehender  Einwirkung  der 
alkalischen  Bromlösung  zum  Theil  in  das  Nitril  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  über- 
geführt (s.  S.  295);  die  Reaction  ermöglicht  hier  also  einen  successiven  Abbau  der 
Carbonsäuren  von  einem  Gliede  zu  dem  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmeren  Gliede: 

CsH^CONH,  >-  C7H15.CN 

CÄs-CO-NH,  V  CeHi8-CN 

CeHis-CONHj >■  CfiHji.CX   etc. 

Uebergiesst  man  das  Acetbromamid  mit  Salzsäure,  so  entsteht  unter  Broment- 
wickelung: 

2CH8.CO.NHBr  +  HCl  =  CHg-CO-NHCl  +  CHgCO-NH,  -h  Br^ 

das  Acetchloramid  CH3 •  CO -NHCl  (Schmelzpunkt  110%  welches  auch  direct  durch 
die  Einwirkung  des  Chlors  auf  Acetamid  erhalten  werden  kann.  Bei  weiterer  Ein- 
wirkung der  Salzsäure  wird  Chlor  entwickelt,  und  Acetamid  regenerirt: 

CHa-CONHCl  -h  HCl  =  CH3.CO.NH,  -h  CV 

Acetdibromamid  CHg'CO-NBr,  erhält  man  aus  dem  Monobromamid  durch 
weitere  Einwirkung  von  alkalischer  Bromlösung;  es  bildet  goldgelbe  Krystalle  vom 
Schmelzpunkt  100^  und  verwandelt  sich  beim  Kochen  mit  Wasser  zunächst  in  Mo- 
nobromamid, dann  in  Acetamid.  Zersetzt  man  das  Gemisch  von  1  Mol.  Brom  und 
1  Mol.  Acetamid  mit  starker  Natronlauge,  so  erhält  man  eine  eigenthümliche  Natrium- 
verbindung:  CHg'CO'NNaBr.Brj.HsO,  aus  welcher  ebenfalls  das  Dibromamid  er- 
halten werden  kann;  mit  wenig  Wasser  Übergossen,  geht  sie  unter  Abspaltung  vou 
Bromnatrium  und  Wasser  in  letzteres  über: 

CHg.CONNaBr.Brj.HjO  =  CHs-CO-NBr,  +  NaBr  +  H,0. 
Secundäre  und  tertiäre  Amide^ 

Secundäre  Amide  bilden  sich  beim  Erhitzen  primärer  Amide  im  trockenen  Salz- 
säurestrom, durch  Siedenlassen  der  primären  Amide  mit  Säureanhydriden: 

CHgCONH,  4-  (CH3.CO)sO  =  (CHa.CO)jNH  -h  CHs-COOH, 

femer  durch  Erhitzen  von  Nitrilen  mit  Fettsäuren: 

CH3.C=N  +  OH.CO.CH3     =     CHa-CONH-COCHa; 

alkylirte  secundäre  Amide  entstehen  durch  Erhitzen  von  Isocjansäureestem  mit  Säure- 
anhydriden: 

CO  :  N.CjHg  +  (CHj -00)80  =  CO,  -h  (CH, •  CO),N •  C^ , 

tertiäre  Amide  durch  Erhitzen  von  Nitrilen  mit  Säureanhydriden: 

CHa  •  C==N  +  0(C0  •  CHs),  =  CHs  •  CO  •  N(CO  •  CH,),. 

Diacetamid  (CH3.CO)2NH  schmilzt  bei   78°,  siedet  bei  223°,  ist   in  Wasser 


*  Vgl.  Gautier,  Compt  rend.  67,  1255.  —  Ltknemann,  Jb.  1869,  603.  —  Wubtz, 
Ann.  eh.  [3]  42,  54.  —  Strecker,  Ann.  103,  827.  —  Wichelhaus,  Ber.  3,  847.  — 
A.  W.  Hofmann,  Ber.  14,  2731;  15,  982.  —  Hentschel,  Ber.  23,  2894.  —  Fbakcri> 
MONT,  Eec.  trav.  chim.  2,  344.  —  Otto  u.  Tröger,  Ber.  23,  759. 


Amidchloride  und  Imidchlaride,  373 


leicht  löslich,  aber  nicht  wie  das  Acetamid  zerfliesslich,  reagirt  neutral  und  wird  in 
ätherischer  Lösung  durch  Salzsäuregas  nicht  gefällt  (Unterschied  von  Acetamid).  Beim 
Erhitzen  für  sich  wird  es  in  Acetonitril  und  Essigsäure  zersetzt;  in  ätherischer  Lösung 
mit  Natrium  erwärmt,  geht  es  in  die  zerfliessliche  Natriumverbindung  (CH,  •  CO)gNNa 
über,  welche  mit  Jodmethyl  unter  Bildung  des  Methyldiacetamids  (CHg'COJaN'CHg 
(Siedepunkt  192—1930)  reagirt.  Aethyldiacetamid  (CH3 •  C0)8N •  C2H5  ist  flüssig, 
siedet  gegen  192<>  und  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gew.  1,009.  —  Triace tam  id  (CH3  •  CO)sN 
schmilzt  bei  78—79°  und  reagirt  neutral.  —  Dipropionamid  (C2H5'C0)8NH 
schmilzt  bei  153—1540. 


VI.    Amidchloride,  Imidchloride,  Imidoäther,  Thioamide. 

Die  Einwirkung  des  Phosphorpentachlorids  auf  die  Amide^,  welche 
schliesslich  zur  Bildung  von  Nitrilen  führt  (vgl.  S.  294),  ist  so  aufzu- 
fassen, dass  zunächst  der  Sauerstoff  der  Gruppe  — CO-NH^  durch  Chlor 
ersetzt  wird : 

RCONH,  +  PCI5  =  R.CClj.NH,  +  POCl,; 

es  entstehen  so  die  durch  die  Gruppe  — CClj-NHg  charakterisirten  Amid- 
chloride, welche  aber  sehr  unbeständig  sind,  leicht  unter  Salzsäure- 
verlust in  die  die  Gruppe  — CClrNH  enthaltenden  Imidchloride  über- 
gehen : 

R.CC1,.NH,-HC1     =     R.  CClrNH 

und  daher  bislang  nicht  isolirt  werden  konnten.  Die  Imidchloride  liegen 
in  den  Salzsäure- Verbindungen  der  Nitrile  (s.  S.  297)  vor: 

CHs-C— N  +  HCl     =     CH3.CCI :  NH; 

sie  spalten  ebenfalls  leicht  Salzsäure  ab,  um  sich  in  Nitrile  zu  verwan- 
deln. (Zuweilen  bilden  sich  bei  der  Einwirkung  von  Phosphorpenta- 
chlorid  auf  Amide  auch  phosphorhaltige  Zwischenprodukte.) 

Beständiger  sind  diese  Chloride,  wenn  an  Stelle  der  Amidwasser- 
stoffe  Kohlenwasserstoffradicale  treten,  und  dadurch  die  Nitrilbildung 
unmöghch  gemacht  wird: 

R.CCljNHR,;      R.CCl:NRi;      RCC^-NRiRn- 

In  der  aromatischen  Reihe  ist  die  Isolirung  mehrerer  derartiger  Chloride 
gelungen,  in  der  Fettreihe  konnten  sie  bisher  nicht  erhalten  werden,  da 
sich  die  primären  Einwirkungsprodukte  des  Phosphorpentachlorids  auf 
alkylirte  Amide,  wie  Aethylacetamid,  Diäthylformamid,  leicht  unter  Bil- 
dung complicirterer  Basen  zersetzen,  indem  mehrere  Molecüle  sich  unter 
Austritt  von  Salzsäure  vereinigen;  so  erhält  man  z.  B.  aus  Aethylacet- 
amid eine  Base  CgHijClN^,  welche  man  sich  aus  2  Mol.  des  Imidchlorids 
entstehend  denken  kann: 

2CH3.CC1:N.C,H6  =  CgH^ClNj  +  HCl. 

Die  Imidchloride  lassen  sich  als  Chloride  von  Imidsänren   auf- 


*  Wallach,  Ann.  184,  1. 


374  Imidoätfier, 


.OH 
fassen.  Derartige  Säuren,  welche  die  Gruppe  — C<^        enthalten  würden 

und  daher  den  Säureamiden  isomer  wären: 

.OH  .0 

Imidsäure  Säureamid 

sind  bisher  nicht  erhalten  worden.  Es  ist  indessen  nicht  ausgeschlossen, 
dass  die  Säureamide  bei  gewissen  Reactionen  die  Gruppirung  der  Imid- 
säuren  annehmen.  Bisher  hat  sich  noch  kein  strenger  Beweis  dafür  er- 
bringen lassen,  dass  in  den  früher  erwähnten  Metallverbindungen  der 
Amide  (s.  S.  370)  das  Metallatom  am  Stickstoff  haftet;  es  ist  nicht  un- 
möglich, dass  sie  vielmehr  als  Salze  der  Imidsäuren,  z.  B.  des  Queck- 
silberacetamid  nach  der  Formel: 

0-Hg-O^ 

CHg  •  C^  A^C  •  CHg 

constituirt,  anzusehen  sind.  In  der  aromatischen  Reihe  (vgl.  Benzamid, 
Bd.  11)  sind  Thatsachen  aufgefunden  worden,  welche  sehr  für  die  letz- 
tere Auffassung  in's  Gewicht  fallen  i. 

Während     die    Existenzfähigkeit    der    freien    Imidsäuren    noch 

/ORi 
fraglich  ist,  sind  Ester  von  Imidsäuren,  Imidoäther^  R.C^^         ,    in 

grösserer  Zahl  bekannt.  Man  erhält  ihre  Chlorhydrate,  wenn  man  Salz- 
säuregas in  ein  durch  absoluten  Aether  verdünntes  Gemisch  von  äqui- 
valenten Mengen  eines  Nitrils  und  eines  Alkohols  unter  guter  Abkühlung 
einleitet;  es  entstehen  hierbei  zunächst  die  Chlorhydrate  von  Chloramido- 
äthern,  z.  B.: 

CH. .  C=N  +  CoH. .  OH  +  2  HCl     =     CHo  •  C(-0  •  CjHs .  HCl : 

x;i 

letztere  aber  sind  äusserst  unbeständig  und  gehen  sehr  leicht  unter  Ver- 
lust eines  Salzsäuremolecüls  in  die  Chlorhydrate  der  Imidoäther  über: 

/NHa  .NH 

CH3 .  C^O .  CjHft .  HCl  =  HCl  +  CHs  •  Cf  .  HCl. 

\C1  ^O.CjHj 

Diese  Chlorhydrate  sind  meist  schön  krystalKsirte  Verbindungen;  beim 
Erhitzen  zersetzen  sie  sich  unter  Abgabe  von  Halogenalkyl  und  Bildung 
von  Säureamid: 


.NH 
CH3 .  C<f  .  HCl  =  CsHs .  Cl  +  CH3 .  CO .  NH,. 

^O.C,H, 


*  Tafel  u,  Enoch,  Bei*.  23,  103. 

*  Pikner,  Ber.  16,  352,  1643;  17,  182,  184,  2002. 


Imidoät/ier,  375 


Versetzt  man  sie  unter  Aether  mit  Natronlauge,  so  erhält  man  die  freien 

.NH 
Imidoäther;    Acetimidoäthyläther    CH3-C<^  ist    eine    eigen- 

thümlich  riechende,  bei  97^  siedende  Flüssigkeit.  Eingehender  unter- 
sucht sind  die  aus  wasserfreier  Blausäure  gewinnbaren  Chlorhydrate  der 

Formimidoäther,  wie  CIl<f  .HCL 

Die  Chlorhydrate  der  Imidoäther  zeigen  eine  Reihe  bemerkenswerther 
Umwandlungen.  Bringt  man  sie  mit  einem  Alkohol  im  Ueberschuss  zu- 
sammen, so  lösen  sie  sich  zunächst  theilweise  auf,  bald  aber  beginnt 
Zersetzung  unter  Abscheidung  von  Salmiak  und  Bildung  eines  Orthoesters 
(vgl.  S.  362—363): 

CHf  .  HCl  +  2  CjHs .  OH  =  CHf  +  NH^Cl. 

^OCjHs  ^OCjHß 

Mit  alkoholischem  Ammoniak  liefern  sie  Amidine: 

.NH  .NH 

CHf  .  HCl  +  NH,  =  CHf        .  HCl  +  C,Hß  •  OH  •, 

^O-CjHs  \NH, 

ähnlich  wirken  Amine  (vgl.  S.  377)  und  Phenylhydrazin  ein.  Essigsäure- 
anhydrid —  auf  das  behufs  Umwandlung  in  essigsaures  Salz  mit  Natrium- 
acetat  versetzte  Chlorhydrat  wirkend  —  erzeugt  ein  Imidoacetat: 

.NH  .NH 

CH^  +  (CH3 .  C0)20  =  CHf  +  CH, .  CO .  0 .  CsH^. 

^OCjHs  ^OCOCHj 

.NH 


Das    Formimidoacetat    CH<(^  bildet  weisse,  in  Aether  lös- 

\0C0-CH3 
liehe,  bei  70®  schmelzende  Prismen. 


Ob  die  geschwefelten  Amlde  den  sauerstoffhaltigen  Amiden  ent- 

sprechend   als  wahre  Thioamide  E-C<^  oder    nicht   vielmehr   als 

^S 

Thioimidsäuren    R-C^        aufzufassen    sind^,    ist    noch    nicht    aus- 

\SH 
gemacht.    Im  Sinne  der  letzteren  Formel  reagiren  sie  z.  B.  gegen  Chloi- 
aceton: 


,NH       O^C— CH,  ^N-C-CHs 

;h 


.NH       O^C-CH,  J^-0 

CHgCf        4-  1  =     HjO  +  HCl  +  CHj.CC        li 

\SH       Cl-CH,  \S-C] 


*  Wallach,  Ber.  7,  902  Anm. 


J' 


376  Thioamide, 


Thioacetamid^  CHg-CSNHg,  welches  aus  Acetonitril  durch  An- 
lagerung von  Schwefelwasserstoff: 

aus  Acetamid  durch  Behandlung  mit  Schwefelphosphor  gewonnen  wird, 
bildet  farblose  Tafeln,  schmilzt  bei  108®  und  löst  sich  —  ebenso  wie 
Acetamid  —  leicht  in  Wasser,  aber  auch  in  Aether,  worin  Acetamid 
kaum  löslich  ist.  Es  ist  leicht  veränderlich;  Säuren  und  Basen  zerlegen 
es  in  Essigsäure,  Ammoniak  und  Schwefelwasserstoflf.  —  Thiopropion- 

amid^  CgHg-CSNHg  schmilzt  bei  42 — 43°  und  ist  in  Wasser  schwer  löslich. 

Genauer  untersucht  sind  mehrere  Abkömmlinge  von  geschwefelten  Fettsäure- 

amiden,  welche  an  das  Stickstofiatom  aromatische  Reste  gebunden  enthalten:   Thio- 

anilide,  wie  z.  B.  CHg-CSNH'CßHa.     Diese  Verbindungen  verhalten  sich  in  den 

.SH 
meisten  Reactionen  so,  als  ob  sie  Derivate  der  Thioiiüidsäuren,  z.  B.  CHs  •  C^  , 

wären.  So  bilden  sie  Salze  und  Ester,  in  welchen  das  Metallatom  bezw.  der  Alkyl- 
rest  an  Schwefel  gebunden  ist: 

y^SK.  yO  '  CHg 

CHg  •  QC  CHg  •  CC 

Diesen  Thioimidsäure-Estem  isomere  Verbindungen  liegen   in   den  zweifach  subeti- 

.S 
tuirten  wahren  Thioamiden,  wie  CHg^Cr^       qtt     vor  (Näheres  vgl.  in  Bd.  II:  Thio- 

anilide). 

YIL  Amidine  und  Amidoxime. 

Als  Amidine^  bezeichnet  man  Verbindungen,  welche  man  sich  aus 
den  Säureamiden  durch  Austausch  deß  Sauerstoffatoms  gegen  die  Imid- 
gruppe  — -NH  entstehend  denken  kann: 

jy  ..NH 

CHg-CC  CHj-C/ 

^NHj  \NH, 

Säureamid.  Amidin. 

Die  Amidine  der  Fettsäure- Reihe ^  sind  auf  zwei  Wegen  er- 
halten —  durch  Erhitzen  der  Säureamide  im  Salzsäure-Strom: 

.NH 
2CH8-CONH2  =  CHj.Cf         4-  CHj-CO-OH 

\NHa 

und  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  die  salzsaüren  Imidoäther: 


*  Bernthsen,  Ann.  192,  46.  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  11,  340.  —  Hantzsch, 
Ann.  250,  264. 

*  HuBACKEB,  Ann.  259,  229. 

*  Strecker,  Ann.  103,  328.  —  A.  W.  Hofmann,  J.  pr.  97,  267.  —  Wallach, 
Ann.  184,  121. 

*  Strecker,  Ann.  103,  328.  —  Wallach,  Ann.  184,  116.  —  Gautier,  Ztschr, 
Chem.  1867,  659.  —  Pinner  u.  Klein,  Ber.  11,  1484.  —  Pinner,  Ber.  16,  357, 
1647,  1659;  17,  171;  22,  1600.  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  17,  1924. 


Amidine,  377 


H.C<  .HCl  +  NHa  =  HCl         .HCl  +  CjHsOH. 

.       .       ^NH  ^NH 

Namenflicfa  die  letztere  Eeaction  eignet  sich  zu  ihrer  Gewinnung;  wendet 
man  bei  derselben  statt  des  Ammoniaks  primäre  oder  secundäre  Amine 
an,  so  kann  man  zu  alkylirten  Amidinen  gelangen: 

/OCjHs  /NH-CHg 

HC<  .HCl  +  2NHJ.CH5  =  H.C<  .HCl  4-  C^Hj-OH  +  NHg, 

^NH  ^N-CHg 

/O.C,H5  /NtCHJa 

H .  C<  .  HCl  +  NHlCHg),  =  H .  C<:  .  HCl  +  C^H^  •  OH. 

^NH  ^NH 

üie  Amidine  sind  kräftige,  einsäurige  Basen,  welche  beständige  Salze 
bilden.  Die  Chlorhydrate  sind  meist  gut  krystallisirbar  und  in  Wasser  und 
Alkohol  leicht  löslich;  die  freien  Amidine  der  Fettreihe  besitzen  alka- 
lische Reaction,  sind  sehr  unbeständig  und  zerfallen  leicht  in  Ammo- 
niak und  die  entsprechende  Säure: 


.NH  ^0 

CH3.CC         +2H20  =  CH3.CC         +2NH 
\NH,  \0H 


»• 


Das  Chlorhydrat  des  Methenylamidins  CHr^         .HCl    schmilzt  bei  un- 

^NH, 
NH 
gefähr  81«,  des  Dimethyl-Methenylamidins  CH^  .HCl  bei    168— 169^ 

\N(CH,), 
.\H 
des    Aethenylamidins    CH3  •  C<f        .HCl   bei  164— 165^   des   Propenylkinl 

^NH, 
NH  NH 

dins  C-H-'C/^      .HCl  bei  1290,  des  Hexenylamidins  CbHh-c/'      .HCl  bei 

\NHj  \NH, 

/NH.C,H5 
106-107  •.       Freies    Diäthyl- Aethenylamidin    CHo-CC  ißt  flüssig, 

^N.C,H, 

mit  AYasser  mischbar,  siedet  anzersetzt  bei  165—168°  und  fallt  die  meisten  Metall- 
^alze  ähnlich  wie  Ammoniak. 

Erwärmt  man  das  G-emisch  von  einem  Amidinchlorhydrat  und  der  äquivalenten 
^lenge  Natriumacetat  mit  Essigsäureanhydrid,  so  erhält  man  nur  in  wenigen  Fällen 
einfache     Acetylverbindungen     der    Amidine,     wie     das     Diacetylformamidin 

.N.CO.CH, 
CH'(  —  glasglänzende  Prismen,  welche  in  kaltem  Wasser  schwer  löslich 

^NH-COCH» 
sind  und  bei  hoher  Temperatur,  ohne  zu  schmelzen,   sublimiren.     In  der  Begel  be- 
wirkt das  Essigsäureanhydrid  gleichzeitig  Condensation  zwischen  mehreren  Amidin- 
Molecülen,  und  es  entstehen  die  Acetylderivate  von  Basen,  welche  Abkömmlinge  des 
Pyrimidins: 

CH        N 

I  I 

CH        CH 

%/ 

sind  (Näheres  vgl.  Bd.  H:  Pyrimidin-Derivate). 


378  Amidoocime  und 


Denkt  man  sich  das  Sauerstoflfatom  der  Säureamide  durch  die  zwei- 
werthige  Oximido-Gnippe  =N*OH  vertreten,  so  gelangt  man  zu  den 
Amidoximen^: 

\NHs  \NH8 

Säureamid.  Amidoxim. 

Amidoxime  der  Fettsäuren^  sind  durch  Vereinigung  von  Nitrilen 
mit  Hydroxylamin  erhalten  worden: 

xNOH 
CHoC    N  +  HjN.OH    =    CH3.C/ 

Die  in  dieser  Reaction  entstehenden  Verbindungen  könnten  auch  nach 

.NH-OH 
der   allgemeinen  Formel  B'C<^  constituirt   sein;   an    dem  Ver- 

halten  der  aromatischen  Repräsentanten  dieser  Verbindungsgruppe  ist 
indessen  nachgewiesen,  dass  sie  eine  Amidgruppe  enthalten.  Die  Reac- 
tionen  der  Amidoxime  sind  besonders  in  der  aromatischen  Reihe  ver- 
folgt;  sie  werden   daher   eingehender  erst   an   dem    Benzenylamidoxim 

CgHß'C<f  (s.  Bd.  II)  dargelegt  werden. 

Durch  die  Gegenwart  der  Amidgruppe  erlangen  die  Amidoxime 
basische,  durch  die  Gegenwart  der  Oximidogruppe  schwach  saure  Natur; 
sie  können  daher  sowohl  mit  Säuren,  wie  mit  Basen  Salze  bilden.  Mit 
Mineralsäuren  bilden  sie  beständige,  mit  Basen  leicht  zersetzliche  Salze; 
unter  den  letzteren  sind  besonders  charakteristisch  die  basischen  Kupfer- 

.N-OCu-OH 
salze   R-C<^  ,  welche  sich  beim  Versetzen  der  Lösungen  der 

\NH, 

Amidoxime  mit  FEHijiNo'scher  Lösung  bilden.  Die  freien  Amidoxime 
sind  wenig  beständig;  schon  durch  Wasser,  schneller  durch  Säuren 
oder  Alkalien  werden  sie  zunächst  unter  Abspaltung  von  Hydroxylamin 
in  Amide: 

xN.OH  /.O 

CHs-Cf  +  H,0     =     CH3.CC         +  H2X.OH 

übergeführt,  welch'  letztere  bei  andauernder  Einwirkung  in  Säuren  und 
Ammoniak   zerfallen.     Bei   der   Einwirkung   von  Natriumnitrit   auf  die 


*  TiEMANN,  Ber.  17,  126;  22,  2891.  —  Tiemanx  u.  Krüoer,  Ber.  17,  16S5. 

*  L0S8EN  u.  Schifferdecker,  Ann.  166,  295.    —    Tiemakn,   Ber.  18,  1060.    — 
Nordmann,  Ber.  17,  2746.  —  Jacoby,  Ber.  19,  1500. 


Hydroxamsäuren.  379 


Chlorhydrate  wird  ebenfalls  das  entsprechende  Amid  unter  Entbindung 
von  Stickoxydul  erzeugt: 

.N.OH  .0 

CHjC/  .HCl  +  NaNO,  =  CHgCf         +  NaCl  +  N,0  +  H^O. 

^NH,  \NH, 

Das    WasserstofiFatom   der   Oximidogruppe    kann   gegen   Alkylreste 

vertauscht  werden;  es  entstehen  dadurch  Aether,  wie  C,H„«C<f^  , 

welche  nicht  mehr  saure,  sondern  nur  basische  Eigenschaften  besitzen. 
Es  wird  ferner  bei  der  Einwirkung  von  Säurechloriden  oder  Säureanhy- 

/  .N-OCOCHg^ 

driden  gegen  Säureradieale  ausgetauscht    z.B. C5H,,-C<^ 

.  ^  ^^ 

in  manchen  Fällen  aber  führt  die  Einwirkung  der  Säureanhydride  zur 
Bildung  von  Verbindungen  aus  der  Klasse  der  in  der  aromatischen  Reihe 
näher  zu  besprechenden  Azoxime,  wie  z.  B.: 

GHaOf  +  0(CO.CHs),  =  CHj-CO-OH  +  H,0  +  CH3.CC  ^CCHj. 

\NH,  ^^  N**^ 

Diftthenylazoxim. 

.N-OH 
Methenylamidoxim  (Isuretin),  CHf^  (aus  Blausäure),  schmilzt  unter 

\NH, 

theilweiser  Zersetzung  bei  104 — 105°,  ist  in  Wasser  leicht  löslich  Und  reagirt  stark 

.NOH 
alkalisch.  —  Aethenylamidoxim,  CHg-C^;;  ,  schmilzt  bei  135**,  sein  Chlor- 

\NH, 

.NOH  .NOH 

hydrat,  CH,.C<  .HCl,  bei  140^  —  Hexenylamidoxim,  C^Ui^-Cf 

^NH,  \NH, 

laus  dem  Nitril  der  Isobutylessigsäure),    schmilzt  bei  58°  und  ist  in  Wasser  schwer 

.N.OCA 
löslich;  sein   Aethylfither  C5Hii-C<f    ^  schmilzt  bei  35°,  seine  Acetyl- 

.N-OCOCHs 
Verbindung    C^Hu-Cf  bei  87°. 

^NH, 

Als  Derivate  des  Hydroxylamins  sind  ferner  die  Hydroxamsäuren 
zu  nennen  —  Verbindungen,  welche  an  Stelle  des  Carbonylsauerstoflfatoms 
der  Carboxylgruppe  die  Oximidogruppe  enthalten  und  demnach  der  all- 
gemeinen Formel: 

.N-OH 
R.Cf 
\0H 

eritsprechen.  Auch  diese  Verbindungen  sind  hauptsächlich  in  der  aro- 
matischen Eeihe  untersucht  (vgl.  Benzhydroxamsäuren,  Bd.  11).  Von 
Bepräsentanten  der  Fettsäure-Reihe  ist  lediglich  die  Acethydroxam- 


380  Constitution  und  Nommclatur 


.N-OH 
säure ^    CH3-C<f^  bekannt,   welche  leicht   durch  Einwirkung   von 

\0H 
Hydroxylamin  auf  Acetamid  in  wässriger  Lösung  entsteht: 

.NOH 
CHj .  CO .  XHj  +  NHj .  OH  =  CHs  •  C<f  +  NHs. 

^OH 

Sie  schmilzt  im  wasserfreien  Zustand  bei  87 — 88  ^'j  krystallisirt  aus  wäss- 
riger Lösung  mit  ^/g  Mol.  HgO,  giebt  in  saurer  oder  neutraler  Lösung 
mit  Eisenchlorid  eine  dunkelkirschrothe  Färbung,  in  schwach  essigsaurer 
Lösung  mit  Kupferacetat  ein  charakteristisches,  unlösliches,  dunkelgrünes 
Kupfersalz. 


Elftes  Kapitel. 
Die  gesättigten  Aldehyde  und  Ketone. 

(AllgemeiBes  über  Constitution  und  Nomenclatur.  —  Bildungsweisen.  —  Gemeinsame 

Reactionen   der  Aldehyde   und  Ketone   (Oxime  und  Hydrazone).   —  Speciellere 

Charakteristik  der  Aldehyde.  —  Einzelne  Aldehyde.  —  Speciellere  Charakteristik  der 

Ketone.  —  Einzelne  Ketone.  —  Thioaldehyde  und  Thioketone.) 


Constitution  und  Nomenclatur. 

Die  für  die  Molecüle  der  Aldehyde  sowohl  wie  der  Ketone  charakte- 
ristische Atomgruppe  ist  die  zweiwerthige  Carbonylgruppe  — CO — : 
in  den  Aldehyden  ist  sie  einerseits  an  einen  Kohlenwasserstoffrest,  anderer- 
seits an  ein  Wasserstoffatom,  in  den  Ketonen  beiderseits  an  Kohlen- 
wasserstoffireste  gebunden : 

E-CO-H  E-CO-Er. 

Aldehyd.  Keton. 

Im  allgemeinen  Theil  (S.  72)  wurde  bereits  filr  den  Acetaldehyd  die 
dieser  allgemeinen  Formulirung  entsprechende  Structurformel  CHg-CHO 
begründet.  Es  wurde  gezeigt,  dass  der  AJdehyd  keine  Hydroxylgruppe 
enthält,  dass  sein  Sauerstoffatom  mithin  mit  beiden  Valenzen  an  Kohlen- 
stoff haften  müsse;  von  den  beiden  hiernach  denkbaren  Formeln: 

CH.JV  CHg 

I      >0    und    I 
(m/  CHO 

wurde  die  erste  durch  das  Verhalten  des  Aldehyds  bei  der  Oxydation 
ausgeschlossen,  während  sich  in  der  zweiten  der  naturgemässe  Aus- 
druck der  Zwischenstellung  des  Aldehyds  zwischen  primärem  Alkohol  und 
Carbonsäure : 

*  C.  HoFPMANN,  Ber.  22,  2854. 


der  Aldehyde  und  Keione.  381 


CHj-CHjOH  CH3-CO.H  CHj-COOH 

Alkohol.  Aldehyd.  Carbonsäure. 

bietet. 

Da  die  Ketone  in  gleicher  Weise  durch  Oxydation  der  secundären 
Alkohole  entstehen,  wie  die  Aldehyde  aus  primären  Alkoholen,  so  liegt 
auch  eine  analoge  Formulirung  dieses  Uebergangs  nahe: 

R^  yU  Rv 


X 


Primärer  Alkohol.  Aldehyd. 

>c<         >-      >c  =  o. 

r/  ^oh  n/ 

Secundärer  Alkohol.  Keton. 

Die  in  diesen  P^'ormeln  enthaltene  Schlussfolgerung  wird  durch  andere 
Bildungsweisen  der  Ketone,  namentlich  aber  durch  ihr  Verhalten  bestätigt. 
In  der  weiter  unten  folgenden  Charakteristik  der  beiden  Körpergruppen 
(S.  387  ff.)  wird  ihr  gleichartiges  Verhalten  in  einer  grossen  Zahl  von 
Reactionen  hervortreten;  es  sind  dies  eben  diejenigen  Reactionen,  deren 
Eintreten  durch  die  beiden  Klassen  gemeinsame  Carbonylgruppe  bedingt 
wird  (vgl.  besonders  das  Verhalten  gegen  Natriumbisulfit,  Blausäure,  Hy- 
droxylamin,  Phenylhydrazin).  Andererseits  finden  wiederum  die  Abwei- 
chungen der  Ketone  (bezw.  ihrer  Derivate)  von  den  Aldehyden  ihre  Er- 
klärung darin,  dass  an  die  Carbonylgruppe  in  den  Aldehyden  noch  ein 
Wasserstoffatom,  in  den  Ketonen  nur  Kohlenwasserstoffreste  gebunden 
sind  (vgl.  namentlich  das  Verhalten  bei  der  Oxydation). 

Der  Name  „Aldehyd"  soll  an  die  Bildung  aus  Alkohol  durch  Wasser- 
stoffentziehung erinnern;  er  ist  zusammengezogen  aus  „alkohol  dehydro- 
genatus."  Im  Einzelnen  bezeichnet  man  die  Aldehyde  zuweilen  durch 
Nennung  desjenigen  Alkylrests,  der  in  dem  entsprechenden  Alkohol  von 
gleicher  Kohlenstoffzahl  sich  findet;  man  nennt  also  z.  B.  die  Verbin- 
dung CHg-CHO  Aethylaldehyd,  C^Hg-CHO  Propylaldehyd  etc.  Diese 
Bezeichnungsweise  ist  durchaus  unlogisch  und  kann  nur  zu  Verwirrungen 
Anlass  geben;  denn  der  sogenannte  Aethylaldehyd  enthält  ja  gar  kein 
Aethylradical ;  wollte  man  ihn  als  eine  Alkylverbindung  darstellen,  so 
müsste  man  ihn  vielmehr  Methylaldehyd  nennen,  da  in  seinem  Molecül 
mit  der  für  die  Aldehyde  charakteristischen  Gruppe  — CHO  die  Methyl- 
gruppe — CH3  verknüpft  ist. 

Zu  einer  viel  rationelleren  Nomenclatur  gelangt  man,  wenn  man  die 
Beziehungen  der  Aldehyde  zu  den  Säuren  von  gleicher  Kohlenstoffzahl 
hervorhebt.  Die  einander  entsprechenden  Aldehyde  und  Säuren  enthal- 
ten die  gleichen  sauerstoffhaltigen  Radicale  R-CO — ,  der  Aldehyd  in 
Verbindung  mit  Wasserstoff,  die  Säure  in  Verbindung  mit  Hydroxyl: 

RCO-H  RCOOH. 

Aldehyd.  Säure. 


382  Noniendatur  der  Aldehyde  und  Ketone, 


Auf  Grund  dieser  Beziehung  kann  man  die  Aldehyde  als  Wasserstoff- 
verbindungen der  Säureradieale  bezeichnen,  z.  B.  HCO-H  als  Formyl- 
Wasserstoff,  CHg-CO-H  als  Acetyl Wasserstoff  etc.  Gebräuchlicher  ist  es, 
die  Namen  der  Aldehyde  aus  dem  Stamm  des  Namens  der  zugehörigen 
Säure  und  der  Endung  „Aldehyd*^  zusammenzusetzen: 

H-COH     .....  Formaldehyd, 

CHg-COH      ....  Acetaldehyd, 

CjHß-COH     ....  Propionaldehyd, 

CgH^-COH     ....  Butyraldehyd  etc. 

Unter  den  Ketonen  unterscheidet  man  die  einfachen  Ketone, 
deren  Carbonylgruppe  beiderseits  mit  dem  gleichen  Badical  verbunden 
ist,  wie  CHg.CO-CHj,  und  die  gemischten  Ketone,  in  deren  Mole- 
cülen  die  Carbonylgruppe  zwei  verschiedene  Radicale  verknüpft,  wie 
CHg-CO-CgHß.  Man  bezeichnet  die  Ketone  gewöhnlich  durch  Angabe 
der  beiden  mit  der  Carbonylgruppe  verbundenen  Reste: 

CH3COCH3 Dimethylketon 

CHg.CO-CaHg Methyläthylketon  etc. 

Auch  kann  man  sie  als  durch  die  Vereinigung  eines  Säurerestes  mit 
einem  Kohlenwasserstoffrest  entstehend  sich  vorstellen  und  demzufolge 
mit  Namen,  wie 

Methyl-acetyl  für  .     .     .     .     CHg-CO-CHj 

i'^Y""'^^^     Jfür    .     .     CH3.CO.CA 
Methyl-propionyl  J  82« 

belegen.  Aus  den  Kohlenwasserstoffen  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  kann 
man  sie  sich  durch  Substitution  zweier  an  einem  und  demselben  mittel- 
ständigen Kohlenstoffatom  haftenden  Wasserstoffatome  mittelst  eines  Sauer- 
stoffatoms hervorgehend  denken;   diese  Beziehung  wird  in  Namen    wie 

Ketopropan  für  CHg-CO-CHg 
Ketobutan      „    CHg-CO-CgH^  etc. 

hervorgehoben  \ 

Für  solche  Ketone  endlich,  welche  zwei  gleiche  Radicale  enthalten, 
bildet  man  gewöhnlich  Namen,  welche  ihre  Beziehungen  zu  der  denselben 
Kohlen wasserstofirest  enthaltenden  Säure  hervortreten  lassen,  aus  deren 
Kalksalz  sie  durch  Destillation  gewonnen  werden  können  (s.  S.  383).  Man 
hängt  an  den  Stamm  des  Namens  der  Säure  die  Endung  „on-*: 

(CH3)2CO     ....     Aceton 
(CjHgjgCO   ....     Propion 
(CgHyjgCO   ....     Butyron  etc. 

Um  die  Endung  „on"  für  gesättigte  Ringe  zu  reserviren,  will  Baeyeb  neuer- 
dings die  Ketone  „Ketale"  nennen  und  z.  B.  das  Aceton  als  „  Dimethylketal "  "be- 
zeichnen. 


^  Baeteb,  Ber.  19,  160. 


Gemeinschaftliche  Büdmigsiveisen  für  Aldehyde  und  Keione,  383 

Gemeinschaftliche  Bildungsweisen  für  Aldehyde   und  Ketone. 

Es  ist  schon  mehrfach  erwähnt,  dass  Aldehyde  sowohl  wie  Ketone 
durch  Oxydation  von  Alkoholen  gewonnen  werden  können;  aus  einem 
jirimären  Alkohol  entsteht  durch  Oxydation  ein  Aldehyd: 

CHj.CHjCHgOH  -f  0  =  H5O  +  CHj.CH.COH, 

aus  einem  secundären  Alkohol  ein  Keton: 

CHj.CHcOHjCHa  +  0  =  HjO  +  CHaCOCH,. 

Da  die  secundären  Alkohole  verhältnissmässig  schwer  zugänglich  sind, 
so  hat  diese  Bildung  für  die  Darstellung  der  Ketone,  welche  ja  selbst 
häufig  umgekehrt  als  Ausgangsmaterial  zur  Gewinnung  der  secundären 
Alkohole  dienen  (vgl.  S.  145),  kaum  praktische  Bedeutung;  wohl  aber 
besitzt  sie  eine  solche  für  die  Darstellung  der  Aldehyde.  Als  Oxydations- 
mittel benutzt  man  Chromsäure  ^,  ein  Gemisch  von  Braunstein  und 
Schwefelsäure,  oder  auch  den  Luftsauerstoflf,  indem  man  ein  Gemisch 
des  Alkoholdampfes  mit  Luft  über  glühendes  Platin  oder  Kupfer  leitet 
(vgl.  die  Darstellung  des  Formaldehyds,  S.  397). 

Durch  trockene  Destillation  der  Calciumsalze  von  Fett- 
säuren kann  man  ebenfalls  sowohl  zu  Ketonen  wie  zu  Aldehyden  ge- 
langen. Bei  dieser  Eeaction  tritt  stets  das  Calcium  als  Calciumcarbonat 
aus,  und  die  Radicale  R  zweier  Säuremolecüle  R-CO-OH  werden  durch 
eine  Carbonylgruppe  verknüpft: 

RCO.  Ocä  R\ 

(Der  Uebersichtlichkeit  wegen  ist  das  Zeichen  ca  für  ein  halbes  Atom- 
gewicht des  Calciums  eingeführt.)  Destillirt  man  also  das  Calciumsalz 
einer  Säure  für  sich,  so  entsteht  ein  einfaches  Keton: 

CHa .  CO .  Oca        ^  ^^        CHav 

CH^  CÖ.Oca:  =  ^*C^' -^  CHa> 

Destillirt  man  ein  Gemenge  der  Calciumsalze  von  zwei  verschiedenen 
Säuren  im  Verhältniss  ihrer  Aequivalente,  so  entsteht  neben  den  beiden 
den  angewendeten  Säuren  entsprechenden  einfachen  Ketonen  ein  ge- 
mischtes Keton*: 

CHa .  CO .  Öca        ^  ^^       CHa  ^ 
C,HVcO.Oca=^^C^3+^^^>CO. 

Destülirt  man  endlich  das  Calciumsalz  der  Essigsäure  oder  ihrer  Ho- 
niologen  mit  der  äquivalenten  Menge  ameisensauren  Calciums^,  so  er- 

*  Vgl.  Pfeiffer,  Ber.  5,  699.   —   Lieben  u.  Zeibel,  Monatsh.  4,   14.  —  Lipp, 
Ann.  205,  2.  —  Possek,  Monatsh.  2,  614. 

*  Willi AMSON,  Ann.  81,  86.  —  Friedel,  Ann.  108,  122. 

'  LiMPRicHT,  Ann.  97,  368.  —  Piria,  Ann.  eh.  [3]  48,  113. 


384  Geyneinschaftlkhe  Bildungsweiseii  für  Aldefiyde  und  Ketane, 


hält  man  ein  gemischtes  Keton,  dessen  Carbonylgnippe  einerseits  au 
das  Radical  der  Ameisensäure,  also  an  ein  Wasserstoffatom,  gebandei 
ist,  —  das  ist  nichts  anderes  als  ein  Aldehyd: 

H.CO.Oca    =C^CÖ»+     „>^- 

Für  die  Gewinnung  der  hochmol<%cularen  Aldehyde  und  Retone  ersetzt  man  d> 
Calciumsalze  zweckmässig  durch  die  Bariumsalze  und  führt  die  Destillation  im  Infr- 
verdünnten  Haume  aus^. 

Diese  sehr  häufig  zur  Darstellung  von  Aldehyden  und  Ketonen  benutzte  Me- 
thode der  Destillation  von  Calcium-  imd  Bariumsalzen  liefert  indessen  nicht  ausschliess- 
lich die  von  der  Theorie  vorausgesehenen  Beactionsprodukte.  Das  Rohdestillat  mit- 
hält stets  noch  eine  Beihe  von  Nebenprodukten '.  Bei  der  Aldehyddarstellan^ 
mittelst  Calciumforroiat  bildet  sich  regelmässig  durch  eine  weitere  Beductionswirkun:^ 
des  Formiats  auch  der  entsprechende  Alkohol". 

Aus  den  Dihalogensubstitutionsprodukten  der  Paraffine, 
welche  beide  Halogenatome  an  ein  Kohlenstoffatom  gebunden  enthalten, 
entsteht  durch  Erhitzen  mit  Wasser,  wenn  das  mit  Halogen  beladen^ 
Kohlenstoffatom  ein  endständiges  ist,  ein  Aldehyd,  andernfalls  ein  Keton: 


CHjCH  Br,  +  Hs  0  =  2HBr  +  CH3.CHO, 
(CH8),C  Cl,  +  H»  0  =  2HC1  +  (CH,),CO; 

diese  Reaction  besitzt  indessen  keine  präparative  Bedeutung,  da  jene 
Dihalogenderivate  gewöhnlich  gerade  aus  den  entsprechenden  Aldehyden 
und  Ketonen  erst  dargestellt  werden  (vgl.  Kap.  19). 

Von  grossem  theoretischen  Interesse  ist  die  Bildung  der  Aldehyde 
und  Ketone  durch  Wasseranlagerung  an  Kohlenwasserstoffe  der 
Acetylenreihe*;  die  Niederschläge,  welche  diese  Kohlenwasserst(»ffe 
in  Quecksilberchloridlösung  hervorrufen,  werden  von  Säuren  unter  Bil- 
dung der  Wasseranlagerungsprodukte  zersetzt  (vgl.  Kap.  13,  Abschn.  II  : 
aus  dem  Acetylen  selbst  entsteht  so  der  Acetaldehyd: 

CH  CHs 

üi    +H,0     =     i       , 
CH  CHO 

aus  seinen  Homologen  entstehen  Ketone: 

CH  CH, 

'      +HjO     =  I    . 

CHs-C  CH3-CO 

Dieselbe  Umwandlung  der  Acetylenkohlenwasserstoffe  tritt  ein,  wenn 
man  dieselben  in  massig  starker  Schwefelsäure  löst  und  darauf  nach 
dem  Verdünnen  mit  viel  Wasser  destillirt. 

Diese  Beactiou  ermöglicht  eine  Ueberführung  von  Aldehyden  in  ihnen  isomer»' 
Ketone.    Aus  dem  Oenanthol  CgH^i  •  CH,  •  CHO  z.  B.  erhält  man  durch  Einwirkung 

*  KiUFFT,  Ber.  12,  1666;  13,  1413;  16,  1716. 

'  Friedel,  Ann.  108,  122.  —  Limpricht,  Ann.  108,  183.  —  Fimo,  Ann.  HO,  17. 
'  Pagliani,  Ber.  10,  2055. 

*  KrrscHEROw,  Ber.  14,  1540;  17;  13.  —  B^hal,  Ann.  eh.  [6]  15,  267,  408.  — 


Bildungsweisen  für  Ketone.  385 

7on  Phosphorpentachlorid  das  Oenanthylidenchlorid  C^H^^-Cii^-CllC]^,  daraus  durch 
Salzsäureabspaltung  mittelst  alkoholischen  Kalis  das  Oenanthyliden  C^H^'C  •  CH^  wel- 
ches nun  durch  Wasseranlagerung  in  das  dem  Oenanthol  isomere  Methylamylketon 
CßHij-CO'CH,  übergeht.  Diese  Umwandlungen  entsprechen  vollkommen  dem  üeber- 
gang  von  primären  Alkoholen  in  secundäre  durch  Vermittelung  der  Aethylenkohlen- 
wasserstofie  (vgl.  S.  147). 

Weitere  Bildungsweisen  für  Ketone. 

Sehr  wichtig  ist  die  von  Freund^  aufgefundene  Synthese  von  Ke- 
tonen  durch  Einwirkung  von  Zinkalkylen  auf  Säurechloride;  man 
lässt  zu  dem  mit  Eis  gekühlten  Zinkalkyl  allmählich  das  Säurechlord 
zntropfen.   Die  Reaction  verläuft  zunächst  unter  Bildung  eines  Additions- 
produktes zwischen  1  Mol.  Zinkalkyl  und  1  Mol.  Säurechlorid: 

.0  /OZnCHa 

CHj .  Cf      +  ZnCCHs),  =  CH3 .  C^CHs 
^Cl  ^Cl 

ebenso  wie  bei  der  Darstellung  der  tertiären  Alkohole  (vgl.  S.  146). 
Zersetzt  man  jetzt  das  Reactionsprodukt  mit  Wasser,  so  erhält  man  das 

Keton: 

/O-ZnCHg 
CHj-C^CHs  +  H2O  =  CH3.CO.CH3  +  ZnO  +  HCl  +  CH^. 

\CJ 

In  manchen  Fällen  ist  es  zweckmässig,  die  Reaction  in  dieser  Weise  zwischen 
gleichmolecularen  Mengen  vor  sich  gehen  zu  lassen;  gewöhnlich  aber  fügt  man  die 
doppelte  Menge  des  8äurechlorids  (also  2  Mol.  auf  1  Mol.  Zinkalkyl)  zu,  da  bei  dem 
obigen  Verfahren  das  Zinkalkyl  nur  zur  Hälfte  ausgenutzt  wird;  durch  Zugabe  des 
zweiten  Molecüls  Säurechlorid  wird  die  Entstehung  noch  eines  weiteren  Keton-Mole- 
cüIb  ermöglicht: 

/O-ZnCH.  *      .0 

CH, .  a-  CHj  +  CH. .  Cf     =  CH3 .  CO .  CHa  +  ZnCI,  +  CH3  •  CO  -  CHj. 

\C1  ^Cl 

Auch  aus  Säureanhydriden  erhält  man  durch  Einwirkung  nascirenden  Zink- 
alkjls  (aus  Zinknatrium  und  Jodalkyl)  Ketone '. 

Aus  einigen  höheren  Fettsäuren  kann  man  direct  durch  Erhitzen 
mit  Phosphorsäureanhydrid  die  entsprechenden  Ketone  erhalten': 

2CeHi8.CO.OH  =  (CeH,8)8CO  +  CO,  +  H,0. 

Sehr  glatt  bilden  sich  die  Ketone  durch  Abspaltung  von  Kohlen- 
säure aus  solchen  Ketonsäuren,  welche  ihre  Carbonylgruppe  und  Carb- 
oxylgruppe  durch  ein  Kohlenstoffatom  getrennt  enthalten  (-00— C-COgH); 
in  präparativer  Hinsicht  ist  besonders  die  Zersetzung  des  Acetessig- 
esters  und  seiner  Homologen  von  Bedeutung.  Verseift  man  den  Acet- 
essigesterCHg-CO-CHa-COjCjHßdurchErhitzen  mit  verdünnten  Alkalien, 


*  Ann.  118,  1.  —  s.  femer  Botlerow,    Bull.   5,  18.  —  Wagner  u.  Saytzeff, 
Ann.  176,  361.  —  Pawlow,  Ann.  188,  110,  114,  126. 

*  SAYT2EPP,  Ztschr.  Chem.  1870,  104. 

»  F.  Stanley  Kippino,  Joum.  Soc.  67,  532,  980. 

V.  MB-mt  n,  Jacobson,  org.  Chem.  I.  \  '^ 


386  Bildungsweisen  für  Ketone. 


so  spaltet  die  zunächst  entstehende  Acetessigsäure  gleich  Kohlensäure 
ab,  und  man  erhält  Aceton: 

CHsCOCHsCOjH-CO,    =    CHa-CO-CH,. 

Da  man  nun  die  Wasserstoflfatome  in  der  —  CHj  —  Gruppe  des  Acet- 
essigesters  gegen  beliebige  Alkylreste  austauschen  kann  (vgl.  S.  308), 
und  die  alkylirten  Acetessigester  dasselbe  Verhalten  zeigen,  so  bietet 
sich  in  dieser  Reaction  ein  Weg  zur  Herstellung  beliebiger  Homologen 
des  Acetons  von  der  allgemeinen  Formel  CHg-CO-CHjR  und  CHg-CO- 
CHRiRii ,  z.B.: 

CHa.CO.CHCCHgVCOt.CjH,    liefert    CHaCO.CHj.CH,, 

/CH3 
CHj.CO.CiCjHsyCHalCOj.CjHs    liefert    CHaCO-CH/ 

Man  bewirkt  die  Ketonspaltung  der  alkylirten  Acetessigester^  durch  An- 
wendung von  verdünnter  Kalilauge,  Barytwasser  oder  von  verdünnter 
Schwefelsäure  oder  Salzsäure. 

Auf  die  Spaltung  von  Ketonsäuren  ist  auch  die  folgende  Bildungsweise  von 
Ketonen  zurückzuführen.    Versetzt  man  SSurechloride,  welche  die  Gruppe 

-C-CH,-C0C1 

enthalten,  mit  wasserfreiem  Eisenchlorid',  so  entwickelt  sich  oft  schon  in 
der  Kälte  Salzsäure;  zersetzt  man  nun  das  zähe  Eeactionsprodukt  mit  Wasser, 
so  erhält  man  unter  Entwickelung  von  Kohlensäure  das  dem  angewendeten  Säure- 
chlorid  entsprechende  Keton,  z.  B.  aus  Propionylchlorid  CsHs-COCl  Diäthylketon 
CsHb-CO'CsHb.  Die  Reaction  Erklärt  sich  dadurch,  dass  zunächst  die  Chloride  von 
Ketonsäuren  entstehen: 

CHsCHjCOCl  +  CHjCOCl  =  HCl  +  CHaCH.CO.CHCOCl, 

I  I 

CHg  CHj 

welche  in  der  Keactiousmasse  in  Form  von  Verhindungen  mit  Eisenchlorid  anzunehmen 
sind;  hei  der  Behandlung  mit  Wasser  entstehen  die  entsprechenden  Ketonsäuren, 
welche  aher  sofort  Kohlensäure  ahspalten,  um  Ketone  zu  liefern: 

/CO  OH 
CH, .  CH, .  CO .  CH<  =  CO,  +  CHg  •  CH,  •  CO  •  CH,  •  CH,. 

^CHg 

Allgemeine  Eigenschaften  der  Aldehyde  und  Ketone. 

Die  Aldehyde  und  Ketone  sind  Verbindungen  von  neutraler  Reaction. 
Die  niederen  Glieder  beider  Klassen  sind  sehr  flüchtige,  in  Wasser  lös- 
liche Flüssigkeiten  von  eigenthümlichem  Geruch;  der  Geruch  der  nie- 
deren Aldehyde  ist  in  der  Verdünnung  obstähnlich  und  angenehm.  Mit 
zunehmendem  Kohlenstoflgehalt  nimmt  die  Löslichkeit  in  Wasser  rasch 
ab,  die  mittleren  und  höheren  Glieder  sind  in  Wasser  nicht  mehr  lös- 
lich, wohl  aber  in  Alkohol  und  Aether.     Die  höheren  Glieder  sind  fest 


*  Vgl.  WisLiCENus,  Ann.  190,  257;  219,  308.    —    Rohn,  Ann.  190,  307.    — 
JouRDAN,  Ann.  200,  115.  —  Böckino,  Ann.  204,  17.  —  GuTHZKrr,  Ann.  204,  4,  10. 

*  Hamonet,  Bull.  50,  355;  [3]  2,  834. 


Ällgetneine  Reaktionen  der  Aldehyde  und  Ketone,  387 


und  krystallisirbar;  um  sie  unzersetzt  zu  verflüchtigen,  muss  man  sich 
der  Destillation  im  luftverdünnten  Räume  bedienen. 

Die  Eigenschaften  einzelner  Aldehyde  und  Ketone  s.  in  den  Tabellen 
Nr.  21—23  auf  S.  398,  412,  413. 

Allgemeine  Reactionen,  welche  sowohl  den  Aldehyden  wie 

Ketonen  zukommen. 

Wie  bereits  erwähnt  (S.  381),  wird  es  durch  das  Vorkommen  der 
Carbonylgruppe  —  CO  —  in  den  Aldehyden  und  Ketonen  bedingt,  dass 
beide  Körpergruppen  in  einer  Reihe  von  Reactionen  sich  ganz  gleich- 
artig verhalten;  derartige  Reactionen  sollen  in  diesem  Abschnitt  be- 
sprochen werden. 

Durch  Reduction  wird  die  doppelte  Bindung  des  Sauerstoflfatoms 
au  KohlenstoflF  in  eine  einfache  verwandelt;  unter  Anlagerung  von  Wasser- 
stoff wird  aus  der  Gruppe   \C:=0  die  Gruppe    ^C<f       ;  so  entstehen 

aus  Aldehyden  primäre  Alkohole: 

ECHO        >-        RCHjOH, 

aus  Ketonen  secundäre  Alkohole: 

RCOKi       >-        R.CH(OH).Ri. 

(vgl.  S.  144  u.  145.) 

Bei  der  Reduction  der  Ketone  mit  Natrium  in  Gegenwart  von  Wasser  bilden 
sich  neben  den  secundfiren  Alkoholen  Verbindungen  durch  Zusammentritt  von  zwei 
Ketonmolecfilen  nach  der  Gleichung: 

2       >C0  +  2H     =  >C C/      ; 

B./  R/  \Ri 

OH     OH 

die  so  entstehenden  zweiwerthigen  Alkohole  (Glykole)   werden   Pinakone   genannt 
(Näheres  s.  Kap.  20). 

Aehnlich  wie  ein  Wasserstoffmolecül  können  auch  die  Elemente  an- 
derer Molecüle  von  der  Carbonylgruppe  aufgenommen  werden,  indem  die 
doppelte  Sauerstoffbindung  in  einfache  tibergeht.  In  dieser  Weise  ver- 
läuft die  Einwirkung  des  Natriumbisulfits  (und  anderer  Bisulfite): 

>C=0  -f  NaHSOs     =      >CJ< 
und  der  Blausäure: 

N0=O  -h  HCN    =     ^C<^       . 

Die  Yerbindungen  mit  Natrlambisalflt  S  welche  als  Salze  von 
Oxjsulfonsäuren  aufgefasst  werden  können,  sind  für  die  Aldehyde  und 
Ketone  besonders  charakteristisch  und  sehr  geeignet  zu  ihrer  Reinigung  und 


'  Bertaokini,  Ann.  86,  179  u.  268.  —  Grimm,  Ann.  157,  262. 

^25* 


388  AUgemeine  Eeaotionen  der 


Abscheidung  aus  Gemischen.  Man  gewinnt  sie,  indem  man  den  Aldehyd 
oder  das  Keton  in  der  Kälte  mit  einer  concentrirten  Lösung  von  Natrium- 
bisulfit  schüttelt,  als  krystallinische  Niederschläge;  sie  sind  in  Wasser 
ziemlich  löslich,  schwer  löslich  in  Alkohol.  Durch  Erwärmen  mit  ver- 
dünnten Säuren  oder  kohlensauren  Alkalien  werden  die  Aldehyde  bezw. 
Ketone  wieder  aus  ihnen  regenerirt. 

Für  die  Ketone  ist  die  Yerbindungsfähigkeit  mit  Natriuxnbisulfit  nicht  eine 
allgemeine  Eigenschaft.  Aus  einer  Eeihe  von  Ketonen  konnten  derartige  Doppel- 
Verbindungen  nicht  erhalten  werden^. 

Die  Additionsprodukte  der  Blausäure  an  die  Aldehyde  und 
Ketone  sind  als  Nitrile  von  Oxysäuren  aufeufassen,  gehen  durch  Ver- 
seifung in  die  letzteren  über: 

/     \CN  /    \CO,H 

und  werden  daher  zusammen  mit  den  Oxysäuren  näher  besprochen 
werden. 

Aldehyde  und  Ketone  treten  mit  Mercaptanen  in  Reaction,  wenn 
man  das  Gemisch  mit  trockener  Salzsäure  behandelt;  die  Umsetzung 
verläuft  zwischen  1  Mol.  der  Carbonylverbindung  und  2  Mol.  Mercaptan 
im  Sinne  der  Gleichung: 

>C=0  +  2HS.C,H5     =     H20+>C<  ; 

die  Ketone  reagiren  etwas  langsamer  als  die  Aldehyde.  Näheres  über 
die  so  entstehenden  Verbindungen*  (Mercaptale  bezw.  Mercaptole) 
vgl.  Kap.  20  unter  „zweiwerthige  Mercaptane". 

Ueber  die  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  Aldehyde  und  Ketone 
vgl.  den  letzten  Abschnitt  dieses  Kapitels  (Thioaldehyde  etc.). 

Phosphorpentachlorid'  bewirkt  einen  Ersatz  des  Carbonyl-Sauer- 

stoffatoms  durch  zwei  Chloratome: 

CHjCHO  +  PCIb  =  CHjCHCl,  +  POClj , 
(CH3)jC0  +  PCI5  =  (CH,),CClj  +  POCls ; 

die  Reaction  geht  indess  —  namentlich  bei  Ketonen  —  leicht  weiter, 

indem    ein   Chloratom    mit    einem   Wasserstoffatom    vom    benachbarten 

Kohlenstoffatom  als  Salzsäure  austritt,  und  ungesättigte  Monochlorderivate 

entstehen,  z.  B.: 

CHjv  CHjK^ 

>CC1,— HCl  =  >CC1. 

Oe/  CH3/ 

Bei  den  besprochenen  Reactionen  wird  das  doppelt  gebundene  Sauer- 
stoffatom   der   Carbonylgruppe   durch   zwei   einwertliige  Gruppen  bezw. 


*  Vgl.  LiMPBiCHT,  Ann.  94,  246.   —  Gbimm,  Ann.  157,  262.  —  Popopp,  Ann, 
186,  286,  290.  —  Schramm,  Ber.  16,  1583. 

*  Baümann,  Ber.  18,  883. 

*  Friedel,  Ann.  108,  124. 


Aldehyde  und  Ketane.  389 


Atome  ersetzt.    Besonders  charakteristisch  fiir  die.  Carbonylverbindungen 

ist  indessen  ihre  üeberflihrbarkeit  in  Verbindungen,  in  deren  Molecülen 

das  Sauerstoffatom  durch  zweiwerthige  stickstoffhaltige  Reste  vertreten 

wird.    Solche  Verbindungen  entstehen  unter  der  Einwirkung  des  Hydro- 

xvlainins: 

>C=:0  +  HjNOH    =     >C=:N.OH  +  H,0 

und  des  Phenylhydrazins  (s.  Bd.  II): 

>C=0  +  H,N .  NH .  CeHjj     =     >C=:N  •  NH  •  CeH^  +  H,0 ; 

die  Hydroxylaminderivate  werden  Oxime,  die  Hydrazinderivate  Hydra- 
zone genannt.  Ihre  Bildung  ist  so  allgemein  und  erfolgt  in  der  Regel 
so  leicht,  dass  die  Fähigkeit,  mit  Hydroxylamin  und  Phenylhydrazin  im 
Sinne  obiger  Gleichungen  zu  reagiren,  geradezu  ein  Kriterium  für  die 
Zugehörigkeit  einer  Verbindung  zur  Klasse  der  Aldehyde  oder  Ketone 
ist.  Nur  in  wenigen  Fällen  ist  es  nicht  gelungen,  Verbindungen,  welche 
man  zu  diesen  Klassen  zählt,  in  die  entsprechenden  Oxime  oder  Hydra- 
zone überzufuhren. 

Unter  den  Oximen^  unterscheidet  man  die  Derivate  der  Aldehyde 
als  Aldoxime  von  den  Ketoximen*  (oder  Acetoximen),  den  entspre- 
chenden Abkömmlingen  der  Ketone: 

>C=N.OH  >C=N.OH 

Aldoxim  Retozim. 

Die  Aldoxime  erhält  man  sehr  leicht,  wenn  man  auf  die  Aldehyde  (1  Mol.) 
eine  wässrige  Lösung  von  salzsaurem  Hydroxylamin  (1  Mol.)  und  Na- 
triumcarbonat  (Y2  Mol.)  in  der  Kälte  wirken  lässt;  man  entzieht  nach 
einiger  Zeit  der  Lösung  das  Aldoxim  durch  Ausschtltteln  mit  Aether; 
bei  in  Wasser  unlöslichen  Aldehyden  arbeitet  man  in  wässrig- alko- 
holischer Lösung.  Auch  manche  Ketone  lassen  sich  unter  diesen  Be- 
dingungen rasch  ,,oximiren";  bei  anderen  indessen  ist  längere  Digestion 
bei  Wasserbadwärme  erforderlich  oder  selbst  Erhitzen  mit  salzsaurem 
Hydroxylamin  in  alkoholischer  Lösung  auf  höhere  Temperaturen  im  ge- 
schlossenen Rohr.  Bei  diesen  schwerer  in  Oxime  überftthrbaren  Ketonen 
ist  es  vielfach  von  wesentlichem  Vortheil,  das  Hydroxylamin  in  stark 
alkalischer  Lösung  wirken  zu  lassen;  zweckmässig  ist  das  Verhältniss 
von  3  Mol.  Aetznatron  auf  1  Mol.  salzsaures  Hydroxylamin;  durch  den 
Ueberschuss  an  Alkali  wird  die  Reaction  bedeutend  beschleunigt,  so 
dass  sie  fast  stets  bei  gewöhnlicher  Temperatur  vollzogen  werden  kann  *. 


^  V.  Meybb  u.  Jannt,  Ber.  16,  1324,  1525.  —  Janny,  Ber.  15,  2778;  16,  170.  — 
Petraczek,  Ber.  15,  2783. 

*  Abweichend  von  der  gewöhDÜchen  Nomenclatar  wollen  v.  Pbchmann  u.  Wehsabo 
(Ber.  21,  2994)  die  Monoxime  der  Diketone  Ketoxime  nennen  —  ein  Vorschlag,  dessen 
Borehf^bning  leicht  zu  Verwechslungen  fuhren  kann  und  daher  wenig  wünschens- 
werth  erscheint 

'  AuwERs,  Ber.  22,  604. 


390  Oxime. 

In  den  oben  gegebenen  Formeln  ist  die  Anwesenheit  einer  Hydroxylgruppe  im 
Molecül  der  Oxime  angenommen;  der  Bildungsprocess  der  Oxime  würde  noch  eine 
andere  Annahme  über  die  Constitution^  zulassen;  man  könnte  ihn  nach  der  Gleichung: 

verlaufend  denken.  Letztere  Auffassung  entspricht  indessen  nicht  dem  Verhalten  des 
Acetoxims.  Man  kann  das  Wasserstoffatom  der  Oximido-Gruppe  durch  den  Benzyl- 
rest  — C7H7  ersetzen  und  erhält  so  ein  Benzylacetoxim ,  welchem  eine  der  beiden 
Formeln : 

Cri3V  0x1 8\  /^ '  O7H7 

NCIZN-O-C^H^         oder  >C< 

(m/  QU/     \o 

zukommen  muss,  welches  also  die  Benzylgruppe  entweder  an  Sauerstoff  oder  an 
Stickstoff  gebunden  enthält.  Nun  lässt  sich  das  Benzylacetoxim  durch  Kochen  mit 
Salzsäure  in  Aceton  und  ein  Benzylhydroxylamin  spalten,  filr  welches  demnach  wie- 
der zwei  Formeln: 

HjNO.C^H^        und  ^NC^H^ 

OW 

zur  Wahl  stehen.  Letztere  Formel  wird  indessen  durch  das  Verhalten  dieses  Benzyl- 
hy4roxylamins  gegen  Jodwasserstoffsäure  ausgeschlossen;  es  entsteht,  wie  auf  Grund 
der  Formel  H,N— O-CyHy  zu  erwarten  ist.  neben  Ammoniak  Benzyljodid  C7H7J;  ein 
Benzylhydroxylamin  der  zweiten  Formel  würde  dagegen  Benzylamin  CjHj-NH,  liefern, 
da  eine  Trennung  der  Benzylgruppe  vom  Stickstoffatom,  die  nach  vielen  Erfahrungen 
nur  schwierig  erfolgt,  nicht  unter  den  Bedingungen  des  Versuchs  (Kochen  mit  con- 
centrirter  Jodwasserstoffsäure)  angenommen  werden  darf.  (In  der  That  ist  ein  iso- 
meres Benzylhydroxylamin  aufgefunden  worden,  welches  von  Jodwasserstoff  leicht  in 
Benzylamin  übergeführt  wird  und  daher  die  Formel  C7H7  •  NH(OH)  besitzt;  vgl.  Bd.  II.) 
Es  ist  dadurch  erwiesen,  dass  im  Benzylacetoxim  gemäss  der  Formel  (CHs)sC:N-0-C7H7 
der  Benzylrest  an  Sauerstoff  gebunden  ist,  und  es  liegt  kein  Grund  vor,  dem  Acet- 
oxim  selbst  eine  andere  Constitutionsformel  als  die  seinem  Benzylderivat  entsprechende : 

(CHb^C  :  N-OH 
zu  ertheilen. 

Es  sei  indess  gleich  hier  bemerkt,  dass  bei  den  Oximen  der  aromatischen  Beibe 
(vgl.  Bd.  II)  und  auch  bei  einzelnen  Oximen  der  Fettreihe  (vgl.  in  d.  Kap.  „Keton- 
säuren*'  die  Oxime  der  Oxalessigsäure  und  Dioxy Weinsäure)  feinere  Isomerief&lle  be- 
obachtet sind,  welche  theils  auf  räumliche  Verhältnisse,  theils  aber  auch  auf  ver- 
schiedene Structur  der  Oximidogruppe  zurückzuführen  sind.  Man  hat  aus  aroma- 
tischen Oximen  isomere  Alkylderivate  erhalten,  deren  Isomerie  sicher  darauf  beruht, 
dass  der  Alkylrest  in  einem  Falle  an  Sauerstoff,  im  anderen  Falle  an  Stickstoff  ge- 
bunden ist: 

Nc^N-OR  \c/ 

(Näheres  s.  Bd.  II,  Benzaldoxim  u.  a.) 

Die  Aldoxime  der  niederen  Glieder  der  Acetaldehydreihe  (über 
Formoxim  vgl.  S.  403)  sind  wasserhelle,  farblose  Flüssigkeiten  von 
schwachem  Geruch,  welche  unzersetzt  destilliren.  Das  Acetaldoxim  ist 
mit  Wasser  mischbar;  mit  steigendem  Moleculargewicht  nimmt  die  Lös- 


*  Vgl.  Jan'ny,  Ber.  16,  176. 


Oxime,  391 

lichkeit  in  Wasser  ab.  Auch  die  niederen  Ketoxime  sind  unzersetzt 
destillirbar  und  in  Wasser  löslich.  Die  Constanten  einzelner  Oxime  s. 
in  den  TabeUen  Nr.  21—23,  S.  398,  412,  413. 

Die  Oxime  besitzen  infolge  der  Gegenwart  der  Hydroxylgruppe  die 
Natur  schwacher  Säuren  und  lösen  sich  in  Alkalien.  Aber  auch  mit 
Säuren  vermögen  sich  viele  zu  vereinigen.  Aus  dem  Acetoxim  z.  B. 
erhält  man  durch  Einleiten  von  Salzsäuregas  in  die  ätherische  Lösung 
das  Salz  CjH^NO.HCl  als  weissen  Niederschlag. 

Beim  Erwärmen  mit  Säuren  spalten  die  Oxime  Hydroxylamin  ab 
unter  Bückbildung  der  entsprechenden  Aldehyde  bezw.  Ketone: 

>C:N.OH  +  H,0     =     >C0  +  H^NOH. 

Das  Wasserstüffatom  der  Hydroxylgruppe  lässt  sich  in  den  Ket- 
oximen  bei  der  Behandlung  mit  Säureanhydriden  durch  ein  Säureradical 
ersetzen,  z.  B.: 

CH  CH 

2       '\C:N.OH  +  OCCO-CHg),    =    H,0  +  2      'NCiNOCOCHj. 

Dagegen   verläuft   bei   den   Aldoximen    die  Reaction   meist   in   anderer 

Weise;    das  Anhydrid  wirkt  wasserentziehend,    und  es  bildet  sich  ein 

Xitrili: 

xNOH 
CeH,s.C/  -H,0     =     CeH,8.C=N. 

^H 

Sehr  eigenthümlich  wirkt  das  Acetylchlorid  auf  manche  Ketoxime  ein.  Es  tritt 
eine  intramoleculare  Umlagerung  ein,  die  zur  Bildung  alkylirter  Säureamide  fuhrt'; 
es  wird  z.  B.  aus 

CHjv  /CHg  CHjv  /CHg 

>CH-C-CH<  >CH-CO-NH.CH< 

CB/  I  XJH,  CH3/  \CH3 

NOH 

Düsopropylketoxim.  Isopropyl-Isobutyrämid. 

Analoge  Umlagerungen  sind  auch  unter  der  Einwirkung  anderer  Agenden  —  wie 
z.  B.  Salzsäure  in  eisessigsaurer,  mit  Eesigsäureanhydrid  versetzter  Losung^  —  beob- 
achtet; sie  sind  hauptsächlich  an  aromatischen  Ketoximen  studirt.  (BEcxMAXN'sche 
Umlagerung;  näheres  s.  bei  Diphenylketoxim  Bd.  II.) 

Mit  unterchloriger  Säure^  bilden  die  Aldoxime  sowohl  wie  die  Ketoxime 
Eeter,  wie  z.B.  CH,  •  CH  :  N  •  OCl  und  (CHj^C  :  N  •  OCl. 

Durch  Beduction  mit  Natriumamalgam  in  schwach  essigsaurer  Lö- 
sung können  die  Aldoxime  sowohl  wie  die  Ketoxime  in  primäre  Amine 
verwandelt  werden,  indem  die  Gruppe: 

^)>CnN.OH        in         ^<^' 

übergeht  (vgl.  S.  234—235). 


*  Lach,  Ber.  17,  1571.  •  V.  Meter  u.  Warrinotok,  Ber.  20,  500. 

*  Beckmann,  Ber.  20,  2580.  ^  Möhlau  u.  C.  Hoffmann,  Ber.  20,  1504. 


392  Eeoßtionen  der 


Unter  den  Hydrazoneil  ^  welche  durch  Einwirkung  von  HydrazincD 
auf  Aldehyde  oder  Ketone  entstehen,  sind  von  praktischer  Bedeutung 
(vgl.  S.  389)  namentlich  die  mit  Hülfe  des  leicht  zugänglichen  Phenyl- 
hydrazins erhältlichen  Verbindungen.  Näheres  über  ihre  Eigenschaften 
und  Verhalten  s.  in  Bd.  II  unter  Phenylhydrazin. 

Speciellere  Charakteristik  der  Aldehyde. 

In  dem  vorhergehenden  Abschnitt  sind  die  Beactionen  geschildert, 
zu  welchen  die  Gegenwart  der  Carbonylgruppe  sowohl  die  Aldehyde  wie 
die  Eetone  befähigt.  Allein  der  Umstand,  dass  diese  Gruppe  in  den 
Ketonen  mit  beiden  Valenzen  an  Kohlenstoff,  in  den  Aldehyden  aber 
mit  einer  Valenz  an  ein  Wasserstoffatom  gebunden  ist,  bedingt  anderer- 
seits auch  wesentliche  Unterschiede  in  dem  Verhalten  der  beiden  Körper- 
gruppen. Die  allgemeine  Charakteristik  bedarf  daher  für  jede  der  beiden 
Gruppen  noch  einer  specielleren  Ergänzung. 

Von  den  Ketonen  sind  die  Aldehyde  in  erster  Linie  dadurch  unter- 
schieden, dass  sie  zu  einwerthigen  Carbonsäuren  von  gleicher  Kohlen- 
stoffzahl oxydirt  werden  können,  indem  die  Gruppe  — COH  in  die 
Carboxylgruppe  — CO -GH  übergeführt  wird.  Die  Constitution  der  Ke- 
tone macht  ein  derartiges  Verhalten  unmöglich,  denn  aus  der  beiderseits 
an  Kohlenstoff  gebundenen  Carbonylgruppe: 

=C-CO-C^ 

kann  die  Carboxylgruppe  — CO -OH  nur  durch  Lösung  der  einen  Kohlen- 
stoflbindung  und  demnach  nur  unter  Abspaltung  eines  Theils  der  Kohlen- 
stoffatome hervorgehen  (vgl.  S.  409 — 410). 

Diese  Oxydation  der  Aldehyde  zu  Carbonsäuren  tritt  mit 
ausserordentlicher  Leichtigkeit  ein.  Schon  beim  Stehen  an  der  Luft 
nehmen  die  Aldehyde  Sauerstoff  auf.  Es  ist  wohl  kaum  anzunehmen, 
dass  der  Sauerstoff  sich  bei  diesem  Vorgang  zwischen  ein  Kohlenstoff- 
atom und  Wasserstoffatom  einschiebt  (vgl.  S.  71): 

CHj-CO-H  +  O     =     CHgCO— 0— H, 

sondern  der  Vorgang  spielt  sich  wahrscheinlich  unter  Mitwirkung  von 
Wasser  ab^: 

CHa.COvH  +  H.OH+   0  =  HjO  +  CHa-CO-OH. 

Bei  völligem  Wasserausschluss  würden  Aldehyde  vermuthlich  von  Sauer- 
stoff nicht  oxydirt  werden.  Aber  die  minimalste  Spur  Wasser,  die  sich 
in  unseren  Versuchen  niemals  ausschliessen  lässt,  vermag  schon,  da  sie 
obiger  Gleichung  entsprechend  stets  regenerirt  wird,  beliebige  Quantitäten 
von  Aldehyd  der  Oxydation  zugänglich  zu  machen. 

Die  Aldehyde  werden  nun  nicht  nur  durch  freien  Sauerstoff  oxy- 
dirt, sondern  entnehmen  den  Sauerstoff  auch  aus  chemischen  Verbindungen 

*  E.  Fischer,  Ber.  17,  572;  21,  985;  22,  90  Anm.  —  Keiseheooer,  Ber.  16,  661. 
'  Vgl.  R.  Demuth  u.  V.  Meyer,  Ber.  23,  395. 


Aldehyde,  393 


und  wirken  daher  als  kräftige  Beductionsmittel.  In  besonders 
charakteristischer  Weise  zeigt  sich  diese  Eigenthtimlichkeit  gegenüber 
Silberlösungen;  beim  Erwärmen  von  Aldehyden  mit  schwach  ammo- 
niakalischen  Silberlösungen  wird  metallisches  Silber  abgeschieden  und 
legt  sich  als  glänzender  Ueberzug  (Silberspiegel)  an  die  Wandung 
des  Gefasses  an.  Die  Empfindlichkeit  dieser  Beaction  wird  wesentlich 
durch  die  Gegenwart  yon  freiem  Alkali  erhöht.  Man  bedient  sich  zweck- 
mässig einer  Lösung  von  3  g  Silbernitrat  in  30  g  Ammoniak  vom  spec. 
Gew.  0,923,  zu  welcher  man  eine  Lösung  von  3  g  Aetznatron  in  30  g 
Wasser  zufügt^.  Mit  diesem  Reagens  tritt  die  Silberabscheidung  schon 
in  der  Kälte  ein,  bei  concentrirteren  Lösungen  augenblicklich,  bei  ver- 
dünnteren  (1 :  1000  bis  1 :  10000)  innerhalb  weniger  Minuten;  selbst  bei 
einer  Verdünnung  von  1 :  250  000   kann   sie   beobachtet   werden ,    wenn 

man  die  Probe  bis  zum  nächsten  Tage  im  Dunkeln  stehen  lässt. 

Im  Anschloss  an  die  Silberspiegelreaction,  welche  sehr  häufig  zum  Nach- 
weis der  Aldehyde  verwendet  wird,  seien  noch  zwei  weitere  Aldehydreactionen 
erwähnt.  Schüttelt  man  einen  Aldehyd  mit  einer  durch  schweflige  Säure  ent- 
färbten Fachsinlösung',  so  tritt  rothviolette  Färbung  ein.  Diese  sehr  empfindliche, 
von  Card  als  für  die  Aldehyde  charakteristisch  erkannte  Beaction  wird  indessen  auch 
von  einigen  Ketonen  hervorgerufen;  andererseits  tritt  sie  mit  dem  Traubenzucker, 
der  nach  den  heutigen  Anschauungen  ein  Aldehydalkohol  ist,  nicht  ein.  —  Für  alle 
Aldehyde,  welche  in  alkalischer  Lösung  beständig  sind ,  ist  die  folgende  Reaction  sehr 
charakteristisch*:  zu  einer  frisch  bereiteten  Lösung  von  Diazobenzolsulfo säure 
in  etwa  60  Th.  kaltem  Wasser  und  etwas  Natronlauge  fügt  man  die  mit  verdünntem 
Alkali  vermischte  Substanz  und  einige  Körnchen  Natriumamalgam  und  lässt  ruhig 
stehen,  nach  kurzer  Zeit  tritt  roth violette  Färbung  ein. 

Den  Additionsreactionen,  welche  den  Aldehyden  und  Ketonen 
gemeinsam  sind  (vgl.  S.  387 — 388),  ist  noch  eine  sehr  wichtige  hinzuzu- 
filgen,  welche  nur  den  Aldehyden  zukommt.  Eine  Reihe  von  Aldehyden 
besitzt  die  Fähigkeit  mit  Ammoniak  zu  additionellen  Verbindungen  — 
Aldehydammoniaken^  (vgl.  S.  407)  —  zusammenzutreten,  z.B.: 

/OH 
CHo-CHiO  +  NH.    =    CHgCHC 

^NHj 

Man  erhält  diese  zum  Theil  gut  krystallisirenden,  zum  Theil  öligen  Ver- 
bindungen, welche  als  Amidoalkohole  aufzufassen  sind,  wenn  man  Am- 
moniak in  die  ätherische  Lösung  des  Aldehyds  einleitet,  oder  bei  den 
Gliedern  der  höheren  Beihen  durch  Zusammenbringen  der  Aldehyde  mit 
concentrirtem  wässrigem  Ammoniak.  Durch  verdünnte  Säuren  werden  sie 
wieder  rückwärts  in  Ammoniak  und  Aldehyd  zerlegt;  sie  können  daher 
zur  Abscheidung  und  Reinigung  der  Aldehyde  dienen  (vgl.  S.  404). 


*  ToLLENs,  Ber.  16,  1635,  1882. 

*  H.  Schiff,  Ann.  140,  131.  —  V.  Mbyer,  Ber.  18,  2343  Anm.  ~  Tiemank,  Ber. 
14,  791  Anm.  —  J.  G.  Schmidt,  Ber.  14,  1848. 

'  Pexzoldt  u.  £.  Fischer,  Ber.  16,  657. 

*  LiEBio,  Ann.  14,  133.  —  Waaqe,  Monatsh.  4,  709.  —  Lipp,  Ann.  211,  357.  — 
Strecker,  Ann.  130,  218.  —  Erlenmever  u.  Siegel,  Ann.  176,  343. 


394  Reaetionen  der 


Die  Bildung  von  Aldehjdammoniaken  ist  bei  solchen  Aldehyden  beobachtet 
welche  die  Aldehydgruppe  —  CHO  an  ein  primäres  Alkylradical  gebunden  enthalten. 
Der  Formaldehyd  H'CHO  (vgl.  S.  402)  reagirt  mit  Ammoniak  in  anderer  Weise, 
nämlich  unter  Wasserabspaltung,  ebenso  der  Isobutyraldehyd  *  (CHs)2CH-CH0,  die 
ungesättigten  Aldehyde  (vgl.  Kap.  17)  und  die  aromatischen  Aldehyde  (vgl.  Benz- 
aldehyd, Bd.  II). 

Den  Aldehydammoniaken  analoge  Verbindungen  des  Phosphor  Wasserstoffe 

sind  noch  nicht  erhalten ''^    Mit  Phosphoniumjodid  reagiren  die  Aldehyde  nnfeer 

Bildung  complexer  Verbindungen  aus  4  Mol.  Aldehyd  und  1  Mol.  PhoGphoninmjodid': 

analoge  Verbindungen  entstehen  bei  gleichzeitiger  Einwirkung  von  FboBphorwaaser- 

stoff  und  Chlorwasserstoff bez w.  Bromwasserstoff ^.    MitPhosphortrichlorid'  bilden 

die  Aldehyde  ölige  Verbindungen,  aus  welchen  durch  Zersetzung  mit  Wasser  Oxj- 

phosphinsäuren   hervorgehen;  so   entsteht   z.  B.  aus  Acetaldehyd    CHj-CHO  die 

.OH 
Oxyäthylphosphinsäure    CH.  •  CH^  .  —  Mit  unterphosphoriger  Säure* 

^PO(OH)j 

können  die  Aldehyde  sowohl  im  Verhältniss  von  1  Molecül  auf  1  Molecül  zu  oxy- 

.OH 

phosphinigen  Säuren,  z.  B.  C4H9-CH^  ,  wie  auch  im  Verhältniss  Ton 

\P0H(0H) 
2  Molecül  Aldehyd  auf  1  Molecül  Säure  zu  Dioxyphosphinsäuren,  z.  B. 

/OH 
CÄ.CH<( 

>PO.OH, 
CA.CH< 

M)H 
zusammentreten. 

Mit  2  Molecülen  eines  Alkohols  vereinigen  sich  die  Aldehyde  unter 

Austritt  von  1  Molecül  Wasser,  z.  B. 

/OC^Hs 
CHgCHiO  +  2C,H5.0H    =    CHg-CH^  +  H,0; 

^OCtH^ 

bei  Gegenwart  von  Eisessig  wird  diese  Reaction  vollständiger";  ihre  Pro- 
dukte —  die  sogenannten  Acetale  —  werden  als  Abkömmlinge  zwei- 
werthiger  Alkohole  später  besprochen  werden  (Eap.  20).  Analoge  Ver- 
bindungen entstehen  durch  Vereinigung  von  Aldehyden  mit  Säureanhv- 
driden®: 

/OCO.CH3 
CHs-CH-.O  +  OiCOCHa),    =    CHg.CH/ 

^OCO-CHg 

Chlorwasserstoff  lagert  sich  ebenfalls  an  die  Aldehyde  an^;  unter  Abspal- 
tung von  1  Mol.  Wasser  aus  zwei  Molecülen  des  Additiousproduktes  entsteht  «U5 
Acetaldehyd  ein  Dichlorderivat  des  Aethyläthers: 


^  Lipp,  Ann.  205,  1;  211,  344. 

'  vgl.  Engel  u.  Girard,  Compt  rend.  90,  692. 

'  Girard,  Ann.  eh.  [6]  2,  1.  ^  Mbssinqer  u.  Engels,  Ber.  21,  328. 

*  FossEK,  Monatsh.  6,  627;  7,  20. 

®  ViLLE,  Compt.  rend.  109,  71;  HO,  348. 

'  Gbuther,  Ann.  126,  64.  *  Geüther,  Ann.  106,  249. 

®  Hanriot,  Ann.  eh.  [5]  26,  220. 


Aldehyde.  395 


.Gl 
CHj.CH-  0  +  HCl   =   CHs.CH< 

M)H 

.Cl 

yC]  CH3.CH/ 

2CH8CH<        -HjO    =  >0 

^OH  CHj.CH/ 

—  das  Ae thylidenoxy Chlorid  *,  welches  mit  dem  gewöhnlichen  Dichlorftther  (s.  S.  198) 

ieomer  ist. 

Monochlorderivate  von  Aethem  entstehen  aus  den  Aldehyden  durch  Fixirung 

von  1  MoL  Halogenalkyl,  z.  B: 

.01 
CH3.CH< 
CHgCH    0  -h  C,H»C1    =  >0; 

CH3.CH/ 

diese  Beaction'  tritt  ein,  wenn  man  ein  Gemenge  von  Aldehyd  und  Alkohol  mit 
Salzsfture  sättigt.  Ebenso  addiren  sich  Säurechloride*  an  Aldehyde  unter  Bildung 
monochlorirter  £ster: 

.Cl 
CHa-CFK 
CHg.CH-O  +  ClCOCHg    =  >0. 

CHaCO'^ 

unter  den  Additionsreactionen  der  Aldehyde  sind  diejenigen  beson- 
ders bemerkenswerth,  welche  lediglich  zwischen  den  Aldehydmolecülen 
selbst  verlaufen.  Die  Aldehyde  besitzen  eine  besondere  Neigung 
sich  zu  polymerisiren;  mehrere  Molecüle  treten  zusammen  und  bilden 
eine  Verbindiing,  welche  die  gleiche  Zusammensetzung,  aber  ein  höheres 
Moleculargewicht,  als  der  Aldehyd,  besitzt.  Auch  dieser  Vorgang  beruht 
wie  alle  die  oben  besprochenen  Additionsreactionen  auf  dem  Uebergang 
der  doppelten  Sauerstoflfbindung  in  einfache;  aus  dem  gesättigten  Molecül 

CHj-CH— 0  wird   die   zweiwerthige  Gruppe  CHg-CH  ,    deren   freie 

Valenzen  sich  nun  mit  den  Elementen  anderer  Aldehydmolecüle  sättigen. 
Einer  der  einfachsten  Vorgänge  dieser  Art  (Aldolcondensation)  spielt 
sich  z.  B.  zwischen  zwei  Molecülen  Acetaldehyd  ab : 

^0^-^  /OH 

^H  ^CHjCHO 

Aldol 

Die  einzelnen  Polymerisationsprocesse   werden   beim   Formaldehyd   und 
Acetaldehyd  näher  besprochen  werden  (vgl.  S.  399—402,  405—407). 
Den   Additionsreactionen    der   Aldehyde   sind    die    Processe    anzu- 


'  Lieben,  Ann.  106,  336.  —  Geuther  u.  Cartuell,  Ann.  112,  18.  —  Kessel, 
Ann.  175,  44.  —  Laatsch,  Ann.  218,  13. 

■  WuRTz  u.  Frapolli,  Ann.  108,  226.  —  Bachmann,  Ann.  218,  38.  —  Geuther 
u.  RtBENCAMp,  Ann.  226,  26.  —  Claus  u.  Trainer,  Ber.  19,  3004.  —  Schiff, 
Ztschr.  Chem.  1870,  74. 

*  Simpson,  Ann.  100,  156.  —  Rübencamf,  Ann.  226,  274.  —  Francuimont,  Eec. 
trav.  chim.,  1,  243. 


396  Eeaotionen  der  Aldehyde, 


reihen,  in  welchen  eine  Condensation  mehrerer  Molectile  unter 
Wasser abspaltung  stattfindet;  die  Wirkung  solcher  Reactionen  be- 
steht darin,  dass  das  Sauerstoffatom  der  Aldehyde  mit  zwei  Wasserstoff- 
atomen, die  es  anderen  Molecülen  entnimmt,  als  Wasser  austritt,  wo- 
durch eine  Verkettung  von  Kohlenstoffatomen,  die  vorher  nicht  mit 
einander  verbunden  waren,  herbeigeführt  wird.  Eine  derartige  Condensation 
tritt  z.  B.  zwischen  2  Molecülen  Aldehyd  ein  und  fährt  zur  Bildung 
ungesättigter  Aldehyde  von  doppelter  Kohlenstoffzahl: 

CH.CHO  +  CHjCHO    =    H,0  +  CHaCHrCHCHO. 

Man  darf  wohl  annehmen,  dass  zunächst,  wie  oben  dargelegt,  eine 
Addition  der  beiden  Aldehydmolecüle  zu  Aldol  und  darauf  Wasser- 
abspaltung stattfindet.  Aus  dem  Acetaldehyd  entsteht  so  der  normale 
Crotonaldehyd.  Solche  Condensationen  (Näheres  vgl.  Kap.  17)  gehen 
namentlich  beim  Erhitzen  der  Aldehyde  mit  Natriumacetatlösung  sehr 
glatt  vor  sich;  auch  verdünnte,  wässrige  Natronlauge  leistet  oft  als  Con- 
densationsmittel  gute  Dienste  ^ 

In  ähnlicher  Weise  können  sich  die  Aldehyde  mit  Verbindungen 
aus  anderen  Körperklassen,  z.  B.  Estern  von  Dicarbonsäuren  (wie  Malon- 
säureester): 

/CO2  ■  C.Hg  /C^j  *  ^t^ 

CHaCHO  +  CH,<  =    H,0  +  CR^CRiCX 

^CO,C,Ha  ^COjCjHa 

aromatischen  Kohlenwasserstoffen  (wie  Benzol): 

CHjCHO  +  2CeHe    =    H,0  +  CHa-CHCCeH), 

condensiren  —  Processe,  welche  vielfach  zur  Synthese  organischer  Ver- 
bindungen Verwendung  finden. 

Eine  eigenthümliche  Veränderung  erleiden  der  Acetaldehyd  und 
mehrere  seiner  Homologen  beim  Erwärmen  mit  Alkalien;  sie  werden 
in  ein  gelbbraunes  Harz  —  das  Aldehydharz^  —  verwandelt.  — 
Alkoholisches  Kali  wirkt  auf  einige  Aldehyde  derart  ein,  dass  ein 
Theil  zu  der  entsprechenden  Säure  oxydirt,  ein  anderer  Theil  zu  einem 
zweiwerthigen  Alkohol  von  doppelter  Kohlenstoffzahl  reducirt  wird^  (vgl. 
Kap.  20);  so  entsteht  z.  B.  aus  Isobutyraldehyd  (CH3)jCH-CH0  neben 
Isobuttersäure  (CH3)2CH-C02H  das  Glykol  (CH3)2CH-CH(OH).CH(OH). 
CH(CH3)2.  —  Concentrirte  Schwefelsäure  reagirt  heftig  mit  Acetaldehyd 
unter  Bildung  eines  dunklen  Harzes. 

Im  Vorstehenden  sind  nur  die  wichtigsten  Reactionen  der  Aldehyde 
geschildert  worden;  sie  könnten  noch  durch  viele  andere  Umwandlungs- 

^  Sandmeyer,  vgl.  y.  Meyer,  Die  Thiophengruppe  (Bräunschweig  1888),  S.  1.  — 
J.  G.  Schmidt,  Ber.  18,  2842.  —  Baupenstrauch,  Monatsh.  8,  112. 

*  LiEBio,  Ann.  14,  140.  —  Weidenbusch,  Ann.  66,  153.  —  Püchot,  Ann.  eh.  [6J 
9,  422. 

'  F088EK,  Monatsh.  3,  622;  4,  663:  5,  119.  -  Swoboda  u.  Fosskk,  Monatsh. 
11,  383. 


Formaldehyd.  397 


pr^cesse  ergänzt  werden.  Die  Aldehyde  sind  Verbindungen  von  einer 
solchen  Beweglichkeit,  einer  solchen  Mannigfaltigkeit  des  chemischen  Ver- 
haltensy  wie  wir  sie  kaum  bei  einer  anderen  Eörperklasse  antreflfen. 

Vielleicht  kommt  der  durch  eine  so  ungewöhnliche  Umwandlungs- 
tahigkeit  ausgezeichneten  Aldehydgruppe  eine  erhebliche  Bedeutung  für 
den  Lebensprocess  zu.    Loew  und  Bokorny^  haben  interessante  Beob- 
achtungen über  das  Silberreductions vermögen  von  Zellen  gemacht;    sie 
fanden^  dass  lebende  Zellen  eine  alkalische  Silberlösung  reduciren,  wäh- 
rend diese  Eeaction  bei  todten  Zellen  ausbleibt.     Sie  schliessen  daraus, 
dass  das  lebende  Protoplasma  Aldehydgruppen  enthält,  welche  sich  beim 
Absterben  in  nicht  aldehydartige  Gruppen  verwandeln,  und  sie  erblicken 
in  der  Aldehydgruppe  die  „chemische  Ursache  des  Lebens".    Mit  dieser 
Anschauung  stimmt  es  überein,  dass  die  Reagentien,  welche  die  Aldehyd- 
gruppe  besonders  leicht   afficiren,    das  Hydroxylamin  und   das  Phenyl- 
hydrazin (vgl.  S.  389),  sehr  starke  Gifte  —  zumal  für  die  niedrigsten  Orga- 
nismen —  sind.    Gegen  die  von  Loew  und  Bokorny  aufgestellte  Ansicht 
sind  von  berufener  Seite  gewichtige  Einwände  geltend  gemacht  worden; 
bezüglich  derselben  muss  auf  die  Originalliteratur  verwiesen  werden^. 

Einzelne  Aldehyde. 

Die  physikalischen  Eigenschaften  einer  grösseren  Beihe  von  Alde- 
hyden, sowie  der  zugehörigen  Aldoxime  sind  in  der  Tabelle  Nr.  21  auf 
S.  398  zusammengestellt.  Einer  besonderen  Besprechung  müssen  der 
Formaldehyd  CH^O,  Acetaldehyd  C^H^O  und  Oenanthaldehyd  (Oenanthol) 
CyHj^O  unterzogen  werden. 

Fontfaldeliyd  CH^O  wurde  von  A.  W.  Hofmann ^  entdeckt;  man 
kennt  ihn  bisher  nur  als  Dampf  (durch  Vergasen  des  polymeren  Oxy- 
methylen  [s.  S.  400]  erhalten)  oder  in  Lösung;  eine  Lösung  gewinnt  man, 
wenn  man  einen  mit  Dämpfen  von  Methylalkohol  beladenen  Luftstrom 
über  eine  schwach  glühende  Platin-  oder  Kupferspirale  leitet  und  die  in 
Folge  der  Oxydation  des  Methylalkohols  den  entsprechenden  Aldehyd 
enthaltenden  Dämpfe  condensirt. 

Zur  Darstellang  einer  Formaldehyd- Lösung^  operirt  man  in  folgender 
Weise:  Mit  einer  Säugpumpe  erzeugt  man  einen  möglichst  raschen  Luftstrom,  welcher 
zunächst  ein  Gefäss  mit  Schwefelsäure,  dann  ein  etwa  \',  Liter  haltendes,  zur  Hftlfte 
mit  Methylalkohol  beschicktes  Gefäss  passirt,  welches  im  Wasserbade  auf  45—50^ 
eTwSrmt  wird.  Das  Gemisch  von  Alkoholdampf  und  Luft  tritt  nun  in  eine  80  cm 
l^uige  Bohre  aus  böhmischem  Glase,  in  welcher  sich  eine  5  cm  lange,  oberflächlich 
oxydirte  Spirale  aus  grobem  Kupferdrahtnetz,  die  zweckmässig  in  ein  sehr  dünnes 


i 


*  Loew  u.  Bokorny,  Ber.  14,  2508,  2589;  15,  383,  695,  2753.    J.  pr.  [2]  36,  284. 
-Loew,  Ber.  16,  1107,  2707;  18o,  122,  715. 

'  Rehhie,  Ber.  14,  2150;  16,  107.  —  Bauhaxk,  Ber.  16,  248. 
'  Ann.  145,  857;  vgl.  femer  Ber.  2,  152;  11,  1685. 

^  ToLLENs,  Ber.  15,  1629;  16,  917;  19,  2133.     Ann.  248,  335  Anm.     Landw. 
'  -Stationen  29,  361.  —  Loew,  J.  pr.  [2]  88,  321.    Ber.  20,  144. 


398 


Tabellarische  UebersicJU  über  die  gesättigten  Aldehyde. 


Tabelle-Nr.  21. 


Name    des 
Aldehyds 


I  Zusammen- 
l' Setzung  des 
I  mit  der  Aide- 
\>  hydgruppe 
I  -CHO  ver- 
ii  bundenen 
BadicalsR 


Schmelz- 
punkt 


Siede- 
punkt 


Spec. 
Gew. 


des  Aldehyds  R-CHO 


Siede- 
punkt des 
Aldoxim« 

R.CH:N.OH 


Acetaldehyd** 

Propionaldehyd * -**«s^    . 

Butyraldehyd*— '^ 

Isobutyraldehyd*"-"-««-" 

Valeraldehyd  " 

Isovaleraldehyd**"— *°-"  . 

Tiimethylacetaldehyd*®  . 

Norm.  Capronaldehyd**  . 
Oenanthaldehyd  '* 
Caprylaldehyd"-»* 


>» 


31 


>? 


>» 


>» 


»» 


Caprinaldehyd"  .  .  . 


Laurinaldehyd "  .  .  . 


Myristinaldehyd  "•**  . 


I  C3H7  — 
I  C3H,- 
C4H9— 
I  C,H,-   ]       _ 

I    CftH,!^  i  -- 

I     C7H15  — 


CmH-»—    +44.50 


^18^27  — 


»> 


Ji 


Palmitinaldehyd"-«5-3o  1  C15H3,- 


Stearinaldehvd*" .  .  . 


52. 50 


58.5 


f;o 


C17H3,— !     63-5<>     259— 261<> 


+  20.8<> 

49  ^^ 
73—740 
630 

102° 
92° 
74—750 
1280 
1550 
1710 

1060 
(bei   lö  mm) 


184—1850 


214—2150 


239—2400 


er 


S 
B 


0-780(200; 
0-807 
0-817 
0.794 


» 


0-798  „ 
0-793(180) 
0 -834(200) 
0-850 
0-819 


»» 


>» 


114-115" 
130—132* 

1390 

160— 162<> 


195 


Myriatin- 

aldoxim*^ 

schm.  b.  82^ 


Citatc  zu  der  Tabelle  Nr.  21:  *  Chancel,  Ann.  151,  301.  —  *  Liknemanx, 
Ann.  lei,  20,  64.  —  '  Lieben  u.  Zeisel,  Monatsh.  4,  14.  —  *  Petraczbk,  Ber.  15, 
2783  5  16,  829.  —  »  Liebek  u.  Rossi,  Ann.  158,  145.  —  *  Likmemamk,  Ann.  161, 
186.  —  ^  Lipp,  Ann.  211,  355.  —  ®  Jüslin,  Ber.  17,  2505.  —  •  Raitpenstraüch, 
Monatsh.  8,  108.  —  "  Pfeipfer,  Ber.  5,  699.  —  "  Fossejc,  Monatsh.  2,  614; 
4,  660.  —  "  LiMNEMANK  u.  ZoTTA ,  Ann.  162,  83.  —  *^  Barbaolia  u.  Gucci, 
Ber.  13,  1572.  —  "  Tilden,  Ber.  18,  1604.  —  "  Lipp,  Ann.  206,  2.  —  "  Liebex 
u.  H0881,  Ann.  159,  70.  —  "  Guthrie  u.  Kolbe,  Ann.  lOÖ,  297.  —  "  Bobodik, 
Ber.  5,  480;  6,  982.  —  "  Fittio,  Ann.  117,  68.  —  *o  BrcYLANxs,  Ber.  8,  414.  — 
*'  Lieben  u.  Janeczek,  Ann.  187,  130.  —  "  Krafft,  Ber.  16,  1717.  —  *•  Rbafft, 
Ber.  13,  1413.  —  "  Fridau,  Ann.  83,  23.  —  «*  Dollpus,  Ann.  131,  287.  —  »Dkm- 
TSCHENKO,  Ber.  6,  1176.  —  *^  Urech,  Ber.  12,  190;  13,  483,  590.  —  "  Hell  u. 
Gass,  Ber.  8,  369.  —  *»  Krafft,  Ber.  23,  2360.  —  *o  Claus  u.  v.  Dredbn,  J.  pr. 
[2]  43,  148.  —  **  Perkin,  Joum.  Soc.  43,  90.  —  "  Limpricht,  Ann.  93,  242.  — 
"  Boüis,  Ann.  97,  34.  —  "  B£hal,  Bull.  47,  33.  —  •»  Vgl.  die  specielle  Bespre- 
chung S.  404  flf.,  408.  —  ^  BiscHOPF  u.  Hausdöbfer,  Ber.  28,  1917.  —  '^  E.  Fisches 
u.  Latcock,  Ber.  22,  101.  —  '^  Tissibr,  Compt.  rend.  112,  1068. 

Glimmerblättchen  eingehüllt  wird,  befindet;  diese  Stelle,  an  welcher  die  Glasröhre 
mit  einem  Messingdrahtnet^  umgeben  ist,  erwärmt  man  massig;  beim  Herankommen 
des  Gasgemisches  tritt  dann  lebhaftes  Glühen  ein  und  erhält  sich  nun  weiter  wäh- 
rend des  Versuchs.    Die  Produkte  der  Beaction  werden  zur  Condensation  des  Form- 


Formaldehyd,  399 


aldehyds  durch  vier  Vorlagen  gezogen,  von  denen  die  beiden  ersten  leer,  die  letzten 
zur  Hälfte  mit  Wasser  gefällt  sind.  Der  Inhalt  der  ersten  Vorlage  ist  der  concen- 
trirteste;  in  ihr  befindet  sieh  eine  30— 40procentige  Lösung  von  Formaldehyd,  welche 
daneben  ausser  Methylalkohol  nur  noch  geringe  Mengen  von  Ameisensäure  enthält*. 

Seit  mehreren  Jahren  wird  Formaldehydldsung  fabrikmässig  —  zuerst  von  der 
Firma  Mercklin  u.  Lösekann  in  Hannover  nach  einem  gehaltenen  Verfahren'  —  er- 
zeugt und  zu  billigem  Preise  in  -den  Handel  gebracht.  Man  hat  vorgeschlagen,  den 
Formaldebyd  und  einige  seiner  Derivate  in  der  Photographie  zu  verwenden^;  auch 
ist  seine  Benutzung  für  Zwecke  der  Farbenindustrie ^  —  so  z.  B.  für  die  Darstellung 
von  Methylanilin  und  ähnlichen  Basen  ^  —  in  Aussicht  genommen. 

Auch  durch  Zersetzung  von  Methylal  CH^rO'CHg^  mit  Schwefelsäure  und 
darauffolgende  Destillation  mit  Wasserdampf  kann  man  eine  Lösung  von  Formaldehyd 
bereiten*. 

Li  geringer  Menge  bildet  sich  Formaldehyd  auch  bei  der  Destillation  von 
ameisensanrem  Kalk'. 

Den  Gehalt  von  Formaldehyd-Lösungen  kann  man  bestimmen^,  indem 
man  eine  abgemessene  Menge  titrirter  Ammoniakflüssigkeit  zugiebt  und  nach  einiger 
Zeit  die  unverbrauchte  Ammoniakmenge  zurücktitrirt.  Das  Ammoniak  reagirt  auf 
den  Formaldehyd  glatt  nach  der  Gleichung: 

6CH,0  +  4NH8  =  (CHj^N^  +  6H,0 

nnter  Bildung  von  Hexametbylenamin  (vgl.  S.  402).  Die  Gegenwart  von  6  Aeq. 
Formaldehyd  bewirkt  also  das  Verschwinden  von  4  Aeq.  Ammoniak.  £s  ist  indessen 
zu  berücksichtigen,  dass  das  entstehende  Hexametbylenamin  selbst  1  Aeq.  Säure  zur 
Salzbildung  verbraucht,  und  dass  man  daher  bei  Anwendung  solcher  Indicatoren, 
auf  welche  die  Salze  des  Hexamethylenamins  neutral  reagiren,  —  wie  z.  B.  Methyl- 
orange,  Cochenille,  Tropäolin,  Congoroth  —  auf  6CHjO  nur  3NH3  als  verbraucht 
berechnen  muss.  Lakmus  und  Phenolphtalein  dagegen  zeigen  auch  die  an  das  Amin 
gebundene  Sänremenge  an ;  bei  Benutzung  letzterer  Indicatoren  hat  man  daher 
4NH,  als  6CHtO  entsprechend  zu  berechnen. 

Die  wässrige  Lösung  des  Formaldehyds  riecht  sehr  stechend.  Ver- 
dünnte Lösungen  enthalten  den  Formaldehyd  in  monomolecularem  Zu- 
stande (CHjO),  wie  die  Bestimmung  des  Gefrierpunkts  ergeben  hat. 
Lässt  man  sie  über  Schwefelsäure  eindunsten,  so  wird  die  Flüssigkeit 
almählich  dicklich  und  füllt  sich  mit  weichen,  flockigen  Ausscheidungen 
an ;  die  concentrirte,  von  diesen  Ausscheidungen  abgegossene  Lösung  ent- 
hält, wie  die  Untersuchung  mittelst  der  Gefriermethode  lehrt,  eine 
polymere  Modification,  welche  Paraformaldehyd  genannt  wird  und 


*■  Kraut  u.  Rschweiler,  Ann.  258,  96. 

*  Vgl.  ferner  Trillat,  D.R.Pat  Nr.  55176;  Ber.  24c,  434. 

*  D.R.Pat.  Nr.  51407;  s.  Chem.-Ztg.  1890,  351. 

*  Vgl  Leonhard  &  Co.,  D.RPat.  Nr.  52324;  Ber.  23c,  715.  —  Farbwerke 
Tonn.  Meister,  Lucius  &  Brünino,  D.B.Pat.  Nr.  53937  u.  55565;  Ber.  24o,  235 
u.  503, 

»  Geigy  &  Co.,  Dtsch.  Pat.-Anmeldg.  G.  6676  (Kl.  12)  vom  26.3.91. 

*  Wohl,  Ber.  19,  1841. 

^  Mulder,  Ztschr.  Chem.  1868,  265;  Ann.  159,  366.  —  Lieben  u.  Eossi,  Ann. 
158,  107.  —  Linkemann,  Ann.  157,  119. 

*  LiEGLBR,  Ber.  16,  1333.  —  Lösekann,  Ber.  22,  1565.  —  Esohweileb,  Ber. 
22,  2929. 


400  Polymerisation  des 


vielleicht  die  Moleculargrösse  (CH30)3  besitzt.  Verdünnt  man  die  con- 
centrirte  Lösung  mit  Wasser  von  0^,  so  bleibt  der  Paraformaldehyd 
auch  in  der  verdünnten  Lösung  einige  Zeit  bestehen;  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  aber  wandelt  er  sich  in  verdünnter  Lösung  rasch  in  mono- 
molecularen  Formaldehyd  um^-*. 

Es  ist  noch  nicht  ausgemacht^,  ob  dieser  in  Wasser  lösliche,  poly- 
mere  Formaldehyd'  als  selbständige  Modification  zu  unterscheiden  ist 
von  dem  festen  Oxyraethylen*  (oder  Metaformaldehyd,'  früher  auf 
Grund  einer  irrthümlichen  Dampfdichtebestimmung  Dioxymethylen  ge- 
nannt), welches  man  aus  Formaldehydlösungen  beim  völligen  Verdunsten 
oder  durch  Zusatz  von  concentrirter  Schwefelsäure  gewinnt.  Diese  Ver- 
bindung war  schon  vor  Auffindung  des  Formaldehyds  selbst  von  Butle- 
ROW  durch  Einwirkung  von  Silberoxalat  auf  Methylenjodid  erhalten  wor- 
den; sie  entsteht  auch  beim  Erhitzen  von  Glycolsäure  mit  concentrirter 
Schwefelsäure: 

xCH,(OH)rCO,H  =  (CHsO)x  +  xCO  +  xH,0. 

Das  Oxymethylen  ist  eine  farblose,  krystallinische,  in  Alkohol  und  Aether 
kaum  lösliche  Substanz,  welche  selbst  nach  monatelangem  Stehen  über 
Schwefelsäure  durchdringend  nach  Formaldehyd  riecht.     Beim  Erhitzen 
wird    sie   vergast   und   sublimirt;    die   sublimirte  Substanz  schmilzt  bei 
171 — 172^.     Die  Bestimmung   der  Dampfdichte  hat  ergeben,    dass  bei 
der   Vergasung   eine   Spaltung   des   Oxyraethylens    in   monomolecularen 
Formaldehyd  eintritt;  beim  Erkalten  polymerisirt  sich  derselbe  wieder 
zu  Oxymethylen,  doch  geht  dieser  Uebergang  nur  langsam  und  allmäh- 
lich vor  sich.    Schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  geht  das  Oxymethylen 
durch   längere  Berührung   mit  Wasser,   rascher   durch  Erhitzen  in  zu- 
geschmolzenen Röhren  auf  130 — 150^  in  Lösung,  indem  es  sich  zunächst 
vielleicht  als  solches  oder  als  Paraformaldehyd  auflöst,  dann  bei  genügen- 
der Verdünnung  in  einfachen  Formaldehyd  gespalten  wird.     Von  Alka- 
lien wird  es  leicht  unter  Bildung  von  Methylalkohol,  Ameisensäure  und 
Methylenitan   (s.  S.  402)   umgewandelt;  Ammoniak   fuhrt   es  in   Hexa- 
methylenamin    (vgl.  S.  402),   Schwefelwasserstoff   in   Trithioformaldehyd 
(vgl.  d.  letzten  Abschn.  ds.  Kap.)  über.     Für  die  Beurtheilung  der  Mole- 
culargrösse des  Oxymethylens  hat  man  noch  keine  Anhaltspunkte. 

Bei  den  bisher  besprochenen  polymeren  Modificationen  des  Form- 
aldehyds  wir.d  der  Zusammentritt  mehrerer  Molecüle  jedenfalls  durch 
Sauerstoffbindung   —   in    ähnlicher    Weise    wie    bei    dem    Para  -  Acet- 


*  ToLLENS  u.  F.  Mayer,  Ber.  21,  3503. 

^  Kraut  u.  Eschweiler,  Ann.  268,  101. 

'  Vgl.  auch  LösEKANN,  Chem.-Ztg.  1890,  1408. 

*  BüTTLEROW,  Ann.  111,  2i5.  Ztechr.  Chem.  1869,  90.  —  Heintz,  Ann.  138, 
40,  322.  Pogg.  114,  470.  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  2,  152.  —  Tollbns,  Ber.  15,  1631  ^ 
16,  917;  19,  2135.  Landwirthech.  Versuchs -Stationen  29,  371.  —  TouxMd  u. 
F.  Mater,  Ber.  21,  1571.  —  Tischtschenko,  Ber.  16,  2286;  20e,  701—704. 


Formaldehyds,  401 


aldehyd  (s.  S.  406)  —  vermittelt,  da  sie  beim  Vergasen  oder  in  verdünnter 
wässriger  Lösung  wieder  glatt  in  einfachen  Formaldehyd  gespalten  wer- 
den können,  unter  der  Einwirkung  von  schwachen  Alkalien  erfährt  der 
Formaldehyd  eine  Polymerisation,  bei  welcher  die  KohlenstoflFatome  ver- 
schiedener Molecüle  mit  einander  in  Bindung  treten,  und  Substanzen 
entstehen,  die  nicht  mehr  glatt  in  Formaldehyd  zurückgeführt  werden 
können.  Dieser  unten  näher  zu  besprechende  Process  besitzt  ein  be- 
sonderes Interesse  im  Hinblick  auf  eine  biologische  Frage,  die  vorher 
kurz  angedeutet  werden  möge. 

Die  Pflanze  nimmt  bekanntlich  aus  der  Atmosphäre  den  Kohlenstoff 
in  Gestalt  seiner  höchsten  Oxydationsstufe  —  der  Kohlensäure  —  auf, 
reducirt  letztere  unter  der  Mitwirkung  des  Sonnenlichtes  in  den  chloro- 
phyllhaltigen  Theilen  und  bildet  durch  eine  allmählich  fortschreitende 
Synthese  die  complicirten  Kohlenstoffverbindungen  ihres  Körpers.  Die 
Frage  nach  den  einzelnen  Phasen  dieses  Processes,  zumal  nach  den  ein- 
fachsten Assimilationsprodukten  besitzt  für  die  Pflanzenphysiologie  die 
höchste  "Wichtigkeit.  Man  weiss,  dass  die  Kohlenhydrate,  und  unter 
ihnen  wieder  die  Zuckerarten,  frühzeitig  auftreten;  allein  die  Zuckerarten, 
wie  z.  B.  der  Tiraubenzucker  CgHjgOg,  sind  noch  zu  complexe  Verbin- 
dungen, als  dass  man  in  ihnen  die  unmittelbaren  Reductionsprodukte 
der  Kohlensäure  erblicken  dürfte.  Nach  Baeyer^  könnte  es  vielmehr 
der  Formaldehyd  CHgO  sein,  welcher  zunächst  in  den  grünen  Pflanzen- 
theilen  durch  Reduction  der  Kohlensäure  COg  gebildet  wird;  aus  ihm 
entständen  dann  die  Zuckerarten  durch  einen  Polymerisationsprocess: 

6CHjO    =    CgHigOg, 

welcher  unter  dem  Einfluss  des  Zelleninhalts  eintritt. 

Dieser  Annahme  kann  es  in  gewissem  Sinne  zur  Stütze  dienen, 
dass  aus  dem  Formaldehyd  auch  duixh  einen  im  Laboratorium  aus- 
führbaren Polymerisationsprocess  Verbindungen  erhalten  werden,  welche 
der  Zuckergruppe  angehören*.  Bütlekow  machte  zuerst  bei  dem  Studium 
der  Einwirkung  des  Kalkwassers  auf  Oxymethylen  Beobachtungen,  welche 
eine  derartige  Umwandlung  des  Formaldehyds  andeuteten;  auf  seine 
Beobachtungen  gestützt,  unterwarf  Loew  das  Verhalten  des  Formaldehyds 
gegen  Alkalien  einem  eingehenden  Studium  und  stellte  die  Bedingungen 
fest,  unter  denen  ein  Gemenge  zuckerähnlicher  Stoffe,  welches  Form  ose 
genannt  wurde,  erhalten  wird.  Emil  Fischer  führte  den  Nachweis,  dass 
dieses  Produkt  Verbindungen  von  der  Zusammensetzung  der  Zuckerarten 
C^HjjOg  enthält  und  unter  diesen  eine  a-Akrose  genannte  Verbindung, 
welche  zu  den  natürlichen  Zuckerarten  in  sehr  naher  Beziehung  steht. 

'  Baeyer,  Ber.  3,  67.  —  Vgl.  fönier  Würtz,  Ber.  6,  534.  —  Reinke,  Her.  14, 
2U8.  —  LoBW,  Ber.  22,  482.     J.  pr.  [2]  33,  344. 

*  Vgl.  hierüber  Bütlebow,  Ann.  120,  295.  —  Loew,  Ber.  20,  142,  3039;  21,  270; 
22,  470,  478.     J.  pr.  [2]   33,  321;    34,  51;    37,   203.   —  Tollens,   Ber.   15,  1632; 
16,  919.  —  Wehmer,  Ber.  20,   2614.  —  Wehmer  u.  Tollens,  Ann.  243,  334.  — 
£- Fischer,  Ber.  21,  991;  23,  388,-2126.  —  E.  Fischer  ii.  Pasmore,  Ber.  22,  359. 
V.  Kktxs  u.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  26 


-1 


402  Derivate  des 


Man  erhält  nach  Loew  die  Rohformose,  wenn  man  etwa  4  procentige  Lö- 
sungen von  Formaldehyd  mit  etwas  überschüssiger  Kalkmilch  unter  häu- 
figem Umschütteln  eine  halbe  Stunde  stehen  lässt,  darauf  filtrirt  und  das 
Filtrat  nun  wieder  einige  Tage  stehen  lässt,  bis  es  intensiv  reducirend  auf 
FBHLiNG'sche  Lösung  wirkt,  und  der  stechende  Geruch  des  Formaldehyds 
verschwunden  ist.  Aus  dieser  Lösung  kann  man  durch  passende  Behand- 
lung die  Formose  als  farblosen  Syrup  von  intensiv  süssem  Geschmack 
abscheiden.  (Näheres  über  die  Bestandtheile  der  Formose  s.  in  dem 
Kapitel  Kohlenhydrate). 

Behandelt  man  den  Formaldehyd  bei  höherer  Temperatur  (70—90°)  mit  über- 
schüssigem Kälkhydrat,  so  erhält  man  das  von  Butlebow  entdeckte  Methylenitan, 
welches  ebenfalls  ein  Gemisch  zuckerähnlicher  Verbindungen  ist.  £3  stellt  einen 
gelben  Syrup  von  bitterem  Geschmack  dar. 

Wenn  sonach  die  Möglichkeit  zugegeben  werden  kann,  dass  die 
Pflanze  ihre  Kohlenhydrate  aus  Formaldehyd  erzeugt,  so  darf  man  sich 
doch  nicht  verhehlen,  dass  Formaldehyd  noch  niemals  als  in  Pflanzen 
vorkommend  nachgewiesen  ist  und  daher  einstweilen  auch  nicht  mit 
Sicherheit  als  Zwischenprodukt  bei  den  chemischen  Processen  des  Pflan- 
zenkörpers  angesehen  werden  darf.  Der  interessante  Versuch  Bokobny'sS 
nach  welchem  in  entstärkten  Algen,  die  in  einer  mit  Alkaliphosphat  ver- 
setzten Lösung  der  Natriumbisulfit -Verbindung  des  Formaldehyds  (vgl. 
S.  404)  leben,  erhebliche  Stärkemengen  gebildet  werden,  ist  für  die  Frage 
ohne  Bedeutung,  da  wir  ja  wissen,  dass  einerseits  Formaldehyd  schon 
durch  die  rein  chemische  Wirkung  alkalischer  Flüssigkeiten  Zuckerarten 
liefert,  andererseits  die  Pflanze  Zucker  in  Stärke  verwandeln  kann. 

Ueber  den  durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  Form- 
aldehyd entstehenden  Trithioformaldehyd  vgl.  den  letzten  Abschnitt 
dieses  Kapitels  (Thioaldehyde). 

Durch  Einwirkung  des  Ammoniaks  entsteht  sowohl  aus  dem  einfachen 
Formaldehyd   wie  aus  dem  Oxymethylen   das  Hexamethylenamin^ 
CßHjgN^.     Diese  Base  bildet  farblose  glänzende  Rhomboeder,  löst  sich 
in  etwa  7  Th.  heissem   und   14  Th.  kaltem  Wasser;   bei    gewöhnlicher 
Temperatur  besitzt  sie  keinen,  beim  Erhitzen  einen  unangenehmen  Ge- 
ruch; im  Vacuum  lässt  sie  sich  bei  230 — 270^  fast  unzersetzt  sublimiren. 
Ihr  Chlorhydrat  CgHjgN^.HCl  ist  in  Wasser  sehr  löslich,  in  Alkohol 
w^enig  löslich  und   schmilzt  bei  188 — 189®.     Beim  Erhitzen  mit   Säuren 
wird  das  Hexamethylenamin  leicht  wieder  in  Formaldehyd  und  Ammoniak 
gespalten,  wobei  indess  auch  Methylamin  in  merklicher  Menge  entsteht: 
theilweise  erfolgt  die  Spaltung  schon  in  neutraler  wässriger  Lösung  ober- 
halb 50®.   Mit  Halogenen  und  Halogenalkylen  bildet  es  Additionsprodukte, 


*  D.  bot.  Ges.  Ber.  9,  103;  Chem.-Ztg.  Repertorium  1891,  167. 

*  BuTLEROw,  Ann.  115,  322.  —  Pratesi,  Ber.  16,  2918.  —  Tollens,  Ber.  It, 
653.  —  Leqler,  Ber.  18,  3350.  —  Wohl,  Ber.  19,  1840.  —  Horton,  Ber.  21,  1999. 
—  Griess  u.  Harrow,  Ber.  21,  2737.  —  Fr.  Mater,  Ber.  21,  2883.  —  Moschato.s  u. 
Tollens,  Ber.  24,  695.  —  Härtung,  J.  pr.  [2]  43,  597. 


Fbrmaldehyds,  403 


wie  CgHjjN^.Brg,  CgHjjN^.Br^,  CgHjgN^  .CH3J.  Salpetrige  Säure  erzeugt 
je  nach  den  Bedingungen  Trimethylentrinitrosamin  CgH^NgOg  oder 
Dinitrosopentämethylentetramin  CgH^^NgOg.  Die  Constitution  des 
Hexamethylenamins  und  seiner  Derivate  ist  noch  nicht  aufgeklärt. 

Primäre  und  secundftre  Amine  wirken  auf  den  Formaldehyd  unter  Bildung  von  ' 

ein&cber  zusammengesetzten  Basen: 

CH,0  +  H,N  •  C,Hg     =  CH, :  N  •  CsHj  +  H,0 ; 
CHjO  +  2HN(C8H5),  =:=  CH8{N.(C,H^),f,  +  H,0. 

Die  Beactionsprodukte  sind  farblose  Flüssigkeiten  und  sieden  unzersetzt^  —  Ueber 
die  Beactionsproduete  des  Formaldebyds  auf  aromatische  Amine  vgl.  Bd.  II. 

Eine  weitergehende  Veränderung  erleidet  der  Formaldehyd  beim 
Erwärmen  mit  den  Lösungen  Yon  Ammoniaksalzen.  Ein  Theil  wird  zu 
Kohlensäure  oxydirt,  ein  anderer  Theil  zur  Methylgruppe  reducirt,  welche 
in  das  Ammoniakmolecül  eintritt  ^  so  dass  man  unter  intermediärer  Bil- 
dung von  Mono-  und  Dimethylamin  schliesslich  Trimethylamin  erhält*: 

SO^HjCNH,),  +  SCHjO  =  SO^HaCNHjCHa),  +  CO,  +  H,0, 

S04H,(NH,.CHs),  +  3CH80.=  SO,H,(NH(CHg),),  +  CO,  +  H,0, 
S04Ha(NH(CH8),),  +  SCHjO  =  S04H,(N(CHj)s),  +  CO,  +  H,0. 

Das  Oxim  des  Formaldebyds^  CHgiiiN — OH  ist  ebenso,  wie  der 
Formaldehyd  selbst,  zur  Polymerisation  ausserordentlich  geneigt.  Bei 
der  Einwirkung  von  Hydroxylamin  auf  Formaldehyd  in  concentrirter 
Losung  erhält  man  eine  weisse,  amorphe,  gallertartige  Substanz,  welche 
in  Wasser  und  den  gebräuchlichen  organischen  Lösungsmitteln  unlöslich, 
in  verdünnten  Mineralsäuren  leicht  löslich  ist  und  die  Zusammensetzung 
des  Formoxims  besitzt.  Diese  Verbindung  ist  indess  ein  polymeres  Form- 
oxim  und  geht  in  das  monomoleculare  Formoxim  durch  Erhitzen  fiir  sich 
oder  mit  Lösungsmitteln  über.  Erhitzt  man  es  für  sich  auf  132 — 134^, 
so  verdampft  es  ohne  zu  schmelzen,  und  der  Dampf  zeigt  die  der  Formel 
des  einfachen  Formoxims  -entsprechende  Dichte;  bei  vorsichtigem  Er- 
hitzen im  Reagensrohr  erhält  man  an  den  kalten  Wandungen  Formoxim 
im  flössigen  Zustand,  welches  aber  rasch  wieder  in  die  feste  polymere 
Modification  zurückverwandelt  wird;  bei  plötzlicher  Erhitzung  zersetzt 
sich  der  Dampf  in  Wasser  und  Blausäure: 

CH,(N.OH)    =    HCN-hH,0. 

Erhitzt  man  das  polymere  Formoxim  einige  Zeit  mit  Wasser  im  zu- 
geschmolzenen  Rohr  auf  100^,  so  erhält  man  eine  neutral  reagirende 
Lösung  von  stark  reducirender  Wirkung,  in  welcher,  wie  aus  der  Be- 
stimmung des  Gefrierpunkts  geschlossen  werden  darf,  das  monomole- 
colare  Oxim  anzunehmen  ist;  diese  Lösung  ist,  wenn  ihre  Concentration 
nicht  zu  stark  ist,  längere  Zeit  ohne  Veränderung  haltbar.  Beim  Er- 
hitzen derselben  mit  verdünnten  Mineralsäuren  tritt  Spaltung  in  Form- 
aldehyd und  Hydroxylamin  ein.  Durch  Erhitzen  des  Polymeren  mit 
anderen    indiiferenten  Lösungsmitteln   findet  ebenfalls  Depolymerisation 


»  Koi/>Tow,  Ber.  18  c,  611.     *  Plöchl,  Ber.  21,  2117.     »  Scholl,  Ber.  24,  573. 

26* 


404  AcetcUdehyd  (Oewinnungy 


statt;  so  kann  man  z.  B.  eine  alkoholische  Lösung  des  einfachen  Form- 
oxims  gewinnen,  in  welcher  sich  die  Anwesenheit  des  letzteren  dadurch 
nachweisen  lässt,  dass  bei  Behandlung  mit  Natriumamalgam  in  Gegen- 
wart von  Essigsäure  reichlich  Methylamin  entsteht. 

Die  Verbindung  des  Formaldehyds  mit  atriumbisulfit^ 
(oxymethylsulfosaures  Natrium)  CH3(OH)-S03Na  +  HgO  krystalH- 
sirt  in  durchsichtigen  Tafeln,  löst  sich  leicht  in  Wasser,  auch  in  Methyl- 
alkohol, aber  sehr  wenig  in  Weingeist.  Dieses  leicht  wieder  in  Form- 
aldehyd  und  Natriumbisulfit  zerfallende  Salz  ist  von  Bokorny  fiir  bio- 
logische Versuche  (vgl.  S.  402)  anstatt  des  seiner  Giftigkeit  wegen  an 
sich  nicht  verwendbaren  Formaldehyds  benutzt  worden. 

Mit  Salzsäure  2  reagirt  der  Formaldehyd   unter  Bildung  von   chlor- 

haltigen  Verbindungen,  die  als  Chlormethylalkohol  CHX         und  Dichlor- 

methyläther  (CH2C1)20  angesprochen  werden;  die  Bestätigung  dieser  Auf- 
fassung durch  eine  eingehendere  Untersuchung  steht  noch  aus. 

Acetaldehyd  CHg-CHO  (Döbereiner's  „leichter  Sauerstofifäther", 
gewöhnlich  Aldehyd  schlechthin  genannt)  wurde,  nachdem  schon  mehrere 
Chemiker  —  Fouecroy  und  Vauqüelin,  Döbereiner  u.  A.  —  ihn  unter 
den  Oxydationsprodukten  des  Alkohols  in  Händen  hatten,  ohne  ihn  in- 
dess  rein  abzuscheiden,  zuerst  von  Liebig*  1835  eingehend  charakteri- 
sirt.  Man  gewinnt  ihn  am  besten  durch  Behandlung  des  Aethylalkohols 
mit  einem  Gemisch  von  Kaliumdichromat  und  Schwefelsäure*  und  rei- 
nigt ihn  mit  Hülfe  der  Ammoniakverbindung  (vgl.  S.  393  u.  407).  Von 
sonstigen  Bildungsweisen  ist  erwähnenswerth  seine  Entstehung  aus  Milch- 
säure beim  Erhitzen  mit  verdünnter  Schwefelsäure^: 

CH3.CH(0H).C0.0H  =  CHgCHO  +  HCOOH 

—  ein  Process,  welcher  zeitweise  zur  technischen  Gewinnung  des  Aldehyds 
behufs  Darstellung  des  jetzt  nicht  mehr  im  Handel  befindlichen  Aldehyd- 
grüns benutzt  wurde;  man  erzeugte  aus  Kartoffeln  durch  Gährung  eine 
milchsäurehaltige  Flüssigkeit  und  erhielt  durch  Destillation  derselben 
mit  Schwefelsäure  ein  aldehydhaltiges  Destillat,  welches  direct  zur  Ge- 
winnung des  genannten  Farbstoffs  verwendet  wurde.  —  Acetaldehyd 
findet  sich  im  rohen  Holzgeist®  und  im  Kohspiritus^;  Kartoffelsprit  und 
Kornsprit  enthält  sehr  wenig,  Rübensprit  mehr  Aldehyd.  Der  Roh- 
spiritus hat  früher  als  Quelle  fiir  Aldehyd  gedient;  man  schied  letzteren 


^  Kraut,  Grossmann  u.  Eschweiler,  Ann.  268,  105. 

■  LösEKANN,  Chem.-Ztg.  1890,  1408.  —  Mbrklin  u.  Lösekann,  Dtsch.  Pat- 
Anmeldg.  M.  7372  vom  14.  7.  1890.  —  Vgl.  auch  Tibchtschenko,  Ber.  20  o,  701. 

»  Ann.  14,  183;  22,  237.  *  Vgl.  Städeler,  J.  pr.  76,  54. 

^  Erlenmeyer,  Ztschr.  Chem.  1868,  343. 

•  Krämer  u.  Grodzki,  Ber.  9,  1820.  —  Mabery,  Jb.  1888,  1774. 

^  Kramer  u.  Pinner,  Ber.  2,  401;  8,  75;  4,  787.  —  Kekul^  Ber.  4,  718.  — 
Pierre  u.  Puchot,  Ann.  163,  258. 


Eigenschaften  und  Polymerisation,)  405 


aus  dem  bei  der  Spritrectificirung  abfallenden  Vorlauf  durch  fractionirte 
Destillation  ab.  Seit  1885  hat  man  indess  die  Verarbeitung  des  Vor- 
laufs auf  Aldehyd  als  gar  zu  wenig  ergiebig  eingestellt  und  benutzt  zur 
Aldehydgewinnung  wieder  die  Oxydation  des  Aethylalkohols  mit  Chrom- 
säuregemisch. Aldehyd  findet  in  Form  seines  Polymeren  —  des  Paral- 
dehyds  (s.  unten)  —  Verwendung  in  der  Medicin,  dient  ferner  zur  Dar- 
stellung des  Chinaldins  (s.  Bd.  II),  welches  das  Ausgangsmaterial  für 
die  Gewinnung  des  Chinolingelbs  bildet. 

Der  Acetaldehyd  ist  eine  farblose,  sehr  bewegliche  Flüssigkeit;  sein 
Geruch  ist  in  der  Verdünnung  angenehm  und  erfrischend;  das  Einathmen 
seines  Dampfes  erzeugt  fiir  einige  Augenblicke  eine  Art  Brustkrampf. 
Da  er  sehr  leicht  oxydirbar  und  sehr  flüchtig  ist  —  er  siedet  schon  bei 
21®,  vgl.  Tabelle  Nr.  21  auf  S.  398  — ,  so  muss  man  ihn  in  wohlverschlos- 
senen Flaschen  und  in  kühlen  Käumen  aufbewahren.  Mit  Wasser  ist 
der  Acetaldehyd  in  jedem  Verhältniss  mischbar. 

Der  Acetaldehyd  polymerisirt  sich  mit  der  grössten  Leichtigkeit  bei 
Gegenwart  geringer  Mengen  von  gewissen  Substanzen,  die  eine  ferment- 
artige Wirkung  auszuüben  scheinen,  und  kann  daher  nur  in  absolut  reinem 
Zustand  unverändert  aufbewahrt  werden.  Fügt  man  zu  Aldehyd  einen 
Tropfen  concentrirter  Schwefelsäure,  so  findet  explosionsartiges  Aufkochen 
statt,  indem  sich  der  Aldehyd  in  den  polymeren  Paraldehyd^  CgHjgOg 
verwandelt;  weniger  energisch  wirkt  verdünnte  Säure.  Aber  auch  viele  an- 
dere Substanzen  —  Salzsäure,  Chlorkohlenoxyd,  schweflige  Säure,  Jod- 
äthyl, Cyan,  Chlorzink  u.  a.  —  verwandeln  den  Aldehyd  theilweise  oder 
vollständig  in  Paraldehyd.  Man  reinigt  letzteren,  indem  man  ihn  bei 
Temperaturen  unter  0®  krystallisiren  lässt,  den  flüssigen  Antheil  durch 
Abtropfen  und  Abpressen  in  der  Kälte  entfernt  und  den  krystallisirten 
Antheil  rectificirt. 

Der  Paraldehyd  ist  eine  wasserhelle  Flüssigkeit  von  angenehmem 
Geruch  und  brennend  scharfem  Geschmack.  Er  siedet  bei  124^  und 
besitzt  bei  20^  das  specifische  Gewicht  0-994;  in  der  Kälte  erstarrt  er 
und  schmilzt  wieder  bei  +10*5^  Das  specifische  Gewicht  seines  Dam- 
pfes entspricht  der  Molecularformel  CgH^gOg  =  (C2H40)3.  In  Wasser 
ist  der  Paraldehyd  etwas  löslich,  aber  nicht  damit  mischbar;  100  Vol. 
Wasser  lösen  bei  13^  etwa  12  Vol.  Paraldehyd,  die  Lösung  trübt  sich 
beim  EIrwärmen,  da  die  Löslichkeit  in  heissem  Wasser  geringer  ist.  Der 
Paraldehyd  zeigt  nicht  die  charakteristischen  Aldehydreactionen ;  er  redu- 
cirt  nicht  ammoniakalische  Silbernitratlösung,  kann  mit  Kalilauge  ohne 
Verharzung  gekocht  werden  und  vereinigt  sich  weder  mit  Ammoniak 
noch  mit  Natriumbisulfit;  sein  Molecül  enthält  daher  sicher  nicht  mehr 
die  Aldehydgruppe  — CHO. 

*  FsHLiKO,  Ann.  27,  319.  —  Weidenbüsch,  Ann.  66,  155.  —  Geuther  u.  Cart- 
VELL,  Ann.  112,  17.  —  Geuther,  Ztschr.  Chem.  1865,  32.  —  Lieben,  Ann.  Suppl.  1, 
114.  —  KsKiTLi  u.  ZiNCKE,  Ann.  162,  143.  —  Franchihont,  Reo.  trav.  chim.  1,  239. 
~  BbObl,  Ann.  203,  26,  43. 


406  Polymere  des 


Destillirt  man  den  Paraldehyd  mit  wenig  Schwefelsäure,  so  wird  er 
indess  wieder  vollständig  in  gewöhnlichen  Aldehyd  verwandelt;  dieselbe 
E-tickbildung  wird  von  zahlreichen  anderen  Substanzen  hervorgebracht. 
Man  ist  berechtigt,  aus  dieser  leichten  Rückbildung  des  monomolecularen 
Aldehyds  zu  schliessen,  dass  in  dem  Paraldehyd  nicht  mehr  als  stets  je 
zwei  Kohlenstoffatome  direct  mit  einander  verkettet  sind,  und  man  legt 
ihm  daher  gewöhnlich  die  Structurformel: 

.0-CH  -CHa 


CHg— CH  >0 


\o-~CH— CHa 

bei,    welche   auch   mit    dem   Lichtbrechungsvermögen   des   Paraldehyds 

übereinstimmt.     Der  Vorgang  der  Polymerisation  besteht  hiernach  darin, 

dass  aus  dem  gesättigten  Aldehydmolecül  CHgCH^^O  der  zweiwerthige 

yO- 
Rest   CHg  •  CH<^  wird,  und  nun  drei  solcher  zweiwerthigen  Reste  sich 

wieder  zu  einem  gesättigten,  ringförmigen  Complex  vereinigen. 

Da  der  Paraldehyd  so  leicht  wieder  entpolymerisirt  wird,  so  ver- 
hält er  sich  in  vielen  Reactionen  ebenso  wie  der  gewöhnliche  Aldehyd; 
so  liefert  er  z.  B.  mit  Phosphorpentachlorid  Aethylidenchlorid.  Man 
wendet  ihn  daher  für  synthetische  Zwecke  sehr  häufig  statt  des  gewöhn- 
lichen Aldehyds  an,  mit  welchem  seiner  Flüchtigkeit  wegen  weniger  be- 
quem zu  manipuliren  ist.  Der  Paraldehyd  findet  ferner  medicinische 
Verwendung  als  Schlafmittel. 

Es  existirt  noch  eine  zweite,  leicht  in  den  gewöhnlichen  Aldehyd 
zurückfuhrbare  polymere  Modification  des  Acetaldehyds,  welcher  eben- 
falls die  Molecularformel  CgHjgOg  =  3(C2H^O)  zuzukommen  scheint:  der 
Metaldehyd  ^  Während  der  Paraldehyd  namentlich  bei  mittlerer  und 
höherer  Temperatur  sich  bildet,  entsteht  der  Metaldehyd  vorzugsweise  in 
der  Kälte.  So  scheidet  er  sich  in  feinen  Nadeln  ab,  wenn  man  zu  Aldehyd 
kleine  Mengen  von  Salzsäuregas,  schwefliger  Säure  oder  verdünnter  Schwefel- 
säure bringt  und  sofort  abkühlt;  beim  Aufbewahren  von  unreinem  Alde- 
hyd bildet  er  sich  zuweilen  in  mächtigen  Spiessen;  es  wird  indess  stets 
nur  ein  kleiner  Theil  des  Aldehyds  in  Metaldehyd  verwandelt.  Der  Met- 
aldehyd ist  in  Wasser  unlöslich,  in  Alkohol  wenig  löslich,  etwas  löslicher 
in  Benzol  und  Chloroform.  Bei  raschem  Erhitzen  sublimirt  er,  ohne 
vorher  zu  schmelzen,  in  Form  verworrener  feiner  Nadeln,  indem  daneben 
gewöhnlicher  Aldehyd  erzeugt  wird;  durch  längeres  Erhitzen  kann  er 
vollständig  in  gewöhnlichen  Aldehyd  verwandelt  werden.  Der  Dampf 
des  Metaldehyds  besteht  demnach  aus  gewöhnlichem  Aldehyd  und  Met- 
aldehyd; indem  man  die  Menge  des  nicht  dissociirten  Metaldehyds   zu 


^  LiEBio,  AnD.  14,  114.  —  Febling,  Ann.  27,  819.  —  Krameb  u.  Pihneb,  Ann. 
158,  40;  Ber.  3,  590.  —  Kekul6  u.  Zincke,  Ann.  162,  145.  —  Hanriot  u.  Oecoüo- 
MiDES   Ann.  eh.  [5]  26,  226. 


Acetaldehyds.  407 


bestimmen  suchte,  hat  man  ans  der  beobachteten  Dampfdichte  die  wahre 
Dampfdichte  des  Metaldehyds  selbst  berechnet  und  ist  zu  Zahlen  ge- 
kommen, welche,  für  die  Molecularformel  (0,11^0)3  sprechen.  Auch  in 
Lösung  dissociirt  sich  der  Metaldehyd  allmählich.  Durch  Destillation 
mit  wenig  verdünnter  Schwefelsäure  wird  er  vollständig  in  gewöhnlichen 
Aldehyd  verwandelt.  Ebenso  wie  der  Paraldehyd  wird  auch  der  Met- 
aldehyd von  Alkalien  nicht  verharzt,  reducirt  nicht  Silberlösung  und  rea- 
girt  nicht  mit  Hydroxylamin.  Sollte  sich  die  Molecularformel  {C2H^0)g  flir 
den  Metaldehyd  bestätigen,  so  ist  vielleicht  die  Isomerie  von  Paraldehyd 
und  Metaldehyd  in  stereochemischen  Verhältnissen  begründet  und  in  ähn- 
licher Weise  zu  erklären,  wie  bei  den  Trithioaldehyden  (vgl.  S.  421 — 423). 
Eine  Polymerisation,  bei  welcher  eine  wirkliche  Kohlenstoflfsynthese 
stattfindet  erleidet  der  Acetaldehyd  bei  der  Einwirkung  von  massig  con- 
centrirter  Salzsäure  \  beim  Erhitzen  mit  Wasser  und  etwas  Chlorzink 
und  mit  manchen  anderen  Salzlösungen*: 

/OH 
CHj  •  CHO  +  CH, .  CHO  =  CH,  •  CH< 

^CHjCHO 

es  entsteht  das  Aldol  —  ein  Oxybutyraldehyd  (Näheres  s.  in  dem  Kapitel 
Aldehydalkohole,  Ketonalkohole)  — ,  welches  seinerseits  leicht  durch 
Wasseraustritt  in  Crotonaldehyd  übergeht: 

CHj.CH(OH).CH,.CHO— HjO    =    CH.CHrCHCHO. 

Letzterer  entsteht  daher  unter  der  Einwirkung  mancher  Reagentien  — 
so  beim  Erhitzen  mit  den  Lösungen  von  ameisensauren  und  essigsauren 
Alkalien^  —  direct  aus  Acetaldehyd. 

Dass  der  Acetaldehyd  durch  Alkalien  in  das  sogenannte  Aldehyd- 
harz übergeführt  wird,  ist  schon  erwähnt  worden  (S.  396).  Dieses  Harz 
giebt  bei  der  Destillation  über  Zinkstaub  Homologe  des  Benzols,  bei  der 
Oxydation  mit  Salpetersäure  und  in  der  Kalischmelze  Carbonsäuren  des 
Benzols  und  dürfte  daher  zu  den  aromatischen  Verbindungen  zu  zählen 
sein*. 

Digerirt  man  Aldehyd  mit  Barytwasser,  fällt  dann  den  Baryt  mit  Kohlensfiure 
aas,  so  erbfilt  man  durch  Abdampfen  der  vom  Bariumcarbonat  und  vom  Aldehyd- 
harz fi] trirten  Lösung  einen  dicken  gummiähnliehen  Syrup  (Aldehydgummi)^ 

Das  Aldehydammoniak  CH3.CH(0H).NHa  (vgl.  S.  393)  büdet 
grosse  farblose  ßhomboeder,  ist  in  Wasser  leicht,  in  Aether  schwer  lös- 
lich. Es  kann  nur  in  zugeschmolzenen  Röhren  aufbewahrt  werden,  da 
es  an  der  Luft  allmählich  unter  Verharzung  sich  zersetzt.  Beim  Er- 
hitzen® liefert  es  amorphe  basische  Verbindungen,   deren  Structur  noch 


*  WuBTz,  Compt.  rend.  74,  1361.  *  Michael  u.  Kopp,  Bcr.  16,  2501. 
'  Liebem,  Ann.  Suppl.  L.  114.            *  Ciamician,  Jb.  1880.  695. 

^  ToLLBNS,  Ber.  17,  660. 

•  Babo,  J.  pr.  72,  97.  —  Heintz  u.  Wislicenüs,  J.  pr.  76,  116.  —  Schiff,  Ami. 
SuppL  6,  S. 


408  Derivate  des  Acetaldehyds. 


unbekannt  ist,  das  Oxytrialdin  C^Hj^NO,  Oxytetraldin  CgH^jNO  und 
Oxypentaldin  Cj^H^gNO. 

Wenn  Aldehydammoniak  längere  Zeit  in  Berührung  mit  Wasser,  Alkohol  oder 
Aether  stehen  bleibt,  so  bildet  sich  daraus  unter  Wasserabspaltung  das  Hydracet- 
amid^  CeHuNj  =  (CHj -011)3 N,  —  eine  amorphe,  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  lös- 
liche, in  Aether  unlösliche  Basis,  welche  sich  mit  Säuren  zu  neutralen  unkrystalli- 
nischen  Salzen  vereinigt. 

Wenn  man  zu  der  Lösung  von  1  Vol.  Aldehyd  in  3  Vol.  Alkohol  Va  Vol.  Am- 
moniakflüssigkeit unter  Abkühlung,  darauf  Silbernitratlösung  zufugt,  so  erhält  mau 
das  schön  krj'stallisirende  Aethylidenimid-Silbernitrat*  2(C4HioN308Ag)+HgO. 

Durch  Einwirkung  von  Natriumnitrit  auf  eine  kalte,  schwach  angesäuerte,  wäss- 
rige  Lösung  von  Aldehydammoniak  entsteht  die  Nitrosoverbindung  des  Paraldi- 
mins'  CeHijNOg  —  einer  Base,  welche  als  Paraldehyd  aufzufassen  ist,  in  welchem 
ein  Sauerstoffatom  durch  Imid  ersetzt  ist: 

CeHijOg  Paraldehyd  CeHijO,(NH)  Paraldimin. 

Leitet  man  in  die  ätherische  Lösung  der  Nitrosoverbindung  Salzsäuregas,  so  erhält 
man  das  Paraldimiuchlorhydrat  C0H13NO2.HCI  als  weisse  krystallinische  Masse, 
welche  sich  leicht  in  Wasser  und  Alkohol  löst,  indem  sofort  Zerfall  in  Salmiak  und 
Paraldehyd  eintritt: 

CeHjgNOj.HCl  +  H,0  =  Q^^.fi^  +  NH4CI. 

Durch  Zerlegung  des  Chlorhydrats  in  ätherischer  Lösung  mit  Silberoxyd  erhält  man 
die  freie  Base  als  bewegliche,  wasserhelle  Flüssigkeit  von  scharfem  Geruch,  welche 
in  der  Kälte  krystallinisch  erstarrt,  unter  57  mm  Druck  bei  73°,  unter  gewöhnlichem 
Druck  nahezu  untersetzt  gegen  140°  siedet  und  sich  beim  Aufbewahren  innerhalb 
weniger  Wochen  in  eine  feste  durchsichtige  Masse  verwandelt.  Das  Nitrosopar- 
aldimin  CeHijOgCN-NO)  —  eine  citronengelbe,  intensiv  nach  Campher  riechende,  in 
Wasser  unlösliche  Flüssigkeit,  welche  unter  35  mm  Druck  bei  95°  nahezu  unverändert 
destillirt,  mit  Wasserdämpfen  sehr  leicht  unzersetzt  flüchtig  ist  —  liefert  durch  Re- 
duction  mit  Zinkstaub  und  Eisessig  in  ätherischer  Lösung  Amidoparaldimin,  dessen 
Chlorhydrat  CeHi,02(N •  NHg) . HCl  weisse,  äusserst  hygroskopische  Krystallnadeln 
darstellt;  durch  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  spaltet  letzteres  Salz  Hydrazin 
(Diamid  HjN-NHj)  ab. 

Ueber  das  Acetaldoxim  (auch  schlechtweg  Aldoxim  genannt) 
CH3— CH=N— OH  vgl.  S.  390—391  u.  d.  Tabelle  Nr.  21  auf  S.  398. 

Unter  den  Aldehyden  der  höheren  Reihen  besitzt  das  OenailthoP 
C7Hj^0  ein  specielleres  Interesse,  weil  es  durch  Destillation  des  Eicinus- 
Öles  leicht  erhalten  werden  kann  und  daher  den  Ausgangspunkt  zur  Ge- 
winnung vieler  Verbindungen  der  7.  Reihe  bildet  (vgl.  S.  167,  333). 
Man  erhält  es  in  einer  Ausbeute  von  etwa  12  Proc,  wenn  man  Ricinusöl 


*  ScüiFF,  Ann.  Suppl,  6,  1.  —  Strecker,  Ann.  Suppl.  6,  255. 

*  Liebermann  u.  Goldschmidt,  Ber.  10,  2179.  —  Goldschmidt,  Ber.  11,  1198.  — 
MixTEH,  Jb.  1877,  432;  1879,  402.  —  Reyohler,  Ber.  17,  41. 

'  CüRTius  u.  Jay,  Ber.  23,  740. 

*  BüssY,  Ann.  60,  246.  —  Williamson,  Ann.  61,  38.  —  Tilley,  Ann.  67,  105. 

—  Schipp,  Ztschr.  Chem.  1870,  74.    Ann.  Suppl.  8,  367;  6,  24.  —  Fimo,  Ann.  117,  76. 

—  Erlenmeyer  u.  Siegel,  Ann.  176,  342.  —  Bruylants,  Ber.  8,  415.  —  Krafft,  Ber. 
10,  2034.  ~  Perkin,  Ber.  15,  2802;  16,  210,  1029,  1033.  Journ.  Soc.  43,  67.  — 
Westenbergbr,  Ber.  16,  2992.  —  Joürdan,  Ann.  200,  102. 


OenanthoL  409 


unter  vermindertem  Drucke  destillirt;  die  Ricinusölsäure,  welche  in  dem 
Oel  als  Glycerid  vorhanden  ist,  spaltet  sich  unter  diesen  Bedingungen 
sehr  glatt  in  Oenanthol  und  ündecylensäure  (vgl.  Kap.  16): 

CisH^Oj  =  C7H14O  +  CijHjoOj , 

welche  sich  leicht  durch  fractionirte  Destillation  von  einander  trennen 
lassen.  Das  Oenanthol  ist  eine  stark  lichtbrechende  Flüssigkeit  von 
durchdringendem  aromatischen  Geruch,  in  Wasser  nur  wenig  löslich. 
Es  geht  durch  Oxydation  in  die  normale  Hexylcarbonsäure  (Oenanthyl- 
säure  (vgl.  S.  333)  über  und  stellt  daher  den  normalen  Aldehyd  der 
7.  Reihe  CH3.(CH2)5-CH0  dar. 

Beim  Erwärmen  des  Oenanthols  mit  trockenem  Raliumcarbonat  tritt  Polymeri- 
sation ein;  das  polymere  Oenanthol  schmilzt  bei  52 — 53^,  ist  leicht  löslich  in 
Alkohol  nnd  redncirt  Silberlösung;  es  scheint  eine  aldolähnliche  Verbindung  zu  sein, 
ipvelche  durch  Zusammentritt  von  4  Mol.  Oenanthol  entsteht. 

Durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali  oder  von  Chlorzink  erleidet  das 
Oenanthol  eine  Condensation,  welche  der  Bildung  des  Crotonaldehyds  aus  Acet- 
aldehyd  analog  ist.    Es  entsteht  ein  ungesättigter  Aldehyd  Ci^HseO: 

2C7H14O  =  H,0  +  CuHjeO, 

daneben  ein  zweiter  ungesättigter  Aldehyd  CgaHgoO,  welcher  durch  Wasserabspaltung 
aas  2  Mol.  des  ersteren  hervorgeht: 

2CuH,eO  =  H,0  +  Cj8H5oO. 

Das  Oenanthaldoxim  CqHi3*CH:N*0H  ist  krystallisirbar  und  schmilzt  bei  50^ 

Speciellere  Charakteristik  der  Ketone. 

Von  den  Aldehyden  unterscheiden  sich  die  Ketone  vor  Allem  scharf 
durch  ihr  Verhalten  gegen  Oxydationsmittel^  Gegen  schwach 
oxydirende  Agentien  sind  sie  verhältnissmässig  beständig;  sie  reduciren 
daher  nicht  ammoniakalische  Silberlösung.  Von  Chromsäurelösung  und 
anderen  energischer  wirkenden  Oxydationsmitteln  werden  sie  oxydirt,  in- 
dem sie  in  Säuren  von  niederer  Kohlenstoffzahl  zerfallen;  die  Spaltung 
tritt  stets  an  der  Stelle  zwischen  der  Carbonylgruppe  und  einem  der 
benachbarten  Kohlenstoffatome  ein;  es  liefert  also  z.B.: 

das  Aceton  CflgCO-CHg  >■  Essigsäure  CHgCO^H  und  Kohlen- 
säure COg, 

das   Diäthylketon   CHgCHgCOCHjCHg       >-       Propionsäure 

CHjCHaCOaH  und  Essigsäure  CHg-COgH. 

Sind  beiderseits  verschiedene  Badicale  an  die  Carbonylgruppe  gebunden, 
so  besteht  hiernach  die  Möglichkeit  einer  Oxydation  in  zwei  Richtungen; 
so  kann  z.B.  das  Aethylisobutylketon  CH3  CHj -CO-CHg  .CH{CH3)2 
einerseits  in  Propionsäure  CHj-CHg-COgH  und  Isobuttersäure  COgH- 
CH(CHg)j,  andererseits  in  Essigsäure  CHg-COgH  und  Isopropylessigsäure 
COjH-CHg -011(0113)3  zerfallen;  in  der  That  erhält  man  diese  vier  Säuren 

*  Popopp,  Ann.  161,  285.  —  Hebgz,  Ann.  186,  257.  —  Waqneb,  Ber.  16,  1194; 
17e,  315;  18,  2267;  I80,  178. 


410  Oxydation  der  Ketone, 


bei  der  Oxydation.  Von  der  Natur  der  Alkoholradicale  und  den  Oxy- 
dationsbedingungen hängt  es  ab,  welche  der  beiden  möglichen  Reactionen 
die  Hauptreaction,  welche  die  Nebenreaction  bildet.  Aus  früheren  Be- 
obachtungen glaubte  man  die  Regel  ableiten  zu  dürfen,  dass  bei  der 
Spaltung  die  Carbonylgruppe  stets  mit  dem  kleineren  Alkyl  zusammen- 
bleibt; neueren  Versuchen  zufolge  hat  sich  diese  Regel  indess  nicht 
als  stichhaltig  bewiesen.  —  Sind  mit  der  Carbonylgruppe  secundäre 
Alkylreste  verbunden,  so  können  dieselben  nach  der  Abspaltung  durch 
Oxydation  natürlich  nicht  in  gleich  kohlenstoffreiche  Säuren  übergehen, 
sondern  liefern  Ketone;  so  zerfallt  z.  B.  das  Aethylisopropylketon  Gfi^' 
CO*CH(CH3)3  einerseits  in  Essigsäure  und  Isobuttersäure  COgH- 011(063)2, 
andererseits  aber  in  Propionsäure  O^Hg-COgH  und  Aceton  00(0113)3. 

Mit  alkalischer  Kaliumpermanganatlösung  lassen  sich  indessen  zuweilen  Ketone 
zu  Ketonsänren  von  gleicher  Kohlenstoff  zahl  —  also  ohne  eine  Spaltung  der 
KohlenBtofiFkette  —  oxydiren*.  So  entsteht  z.  B.  aus  dem  Piaakolin  (CHjIgC  •  CO  •  CHj 
die  Trimethylbrenztraubensfiure  (CHs^gC  •  CO  •  CO^H.  In  der  aromatischen  Reihe  kann 
die  Oxydation  in  dieser  Richtung  zuweilen  einen  fast  quantitativen  Verlauf  annehmen. 
Eine  Spaltung  der  Kohlenstoffkette  in  den  Ketonen  wird  femer  durch  die  Ein- 
wirkung der  Salpetersäure'  bewirkt;  es  bilden  sich,  wenn  die  Carbonylgruppe 
des  Ketons  mit  einem  primären  Alkylrest  verbunden  war,  Dinitroparaffine;  so  ent- 
steht aus  Propion  CjHg  •  CO  •  CjHg  das  Dinitroäthan  CH3  •  CHCNOjlj,  aus  Methylpropyl- 
keton  CHgCOCsH^  das  Dinitropropan  CHj-CHs-CHCNOs),. 

Salpetrige  Säure°  erzeugt  aus  Aceton  eine  ölige,  leicht  zersetzliche  Yerbin- 

ONOg  N-OH 

düng,  welche  Isonitrosodiacetonnitrat  (CHg^jC 0 •  CO «CHj  zu  sein  scheint; 

mit  Salzsäure  erwärmt,  spaltet  sie  sich  in  Aceton,  Isonitrosochloraceton  und  salpetrige 

Säure : 

ONOjNOH  NOH 

I         1  !j 

(CH3),C CCO.CH3  +  HCl  =  (CH,),CO  +  HNOs  +  Cl-CCOCHj. 

Durch  Einwirkung  von  Amylnitrit*  auf  Ketone  in  Gegenwart  von  Salz- 
säure oder  Natriumäthylat  kann  man  eine  Substitution  zweier  Wasserstoffatome  durch 
die  Isonitroso-Gruppe  =  N  •  OH  bewirken : 

CHgCOCHj  +  NOOCßHu  =  CHj-COCHiNOH  -h  CßHnOH; 

es  entstehen  die  Isonitrosoketone,  welche  als  Oxime  von  Diketonen  aufgefasst  werden 
können  und  daher  erst  in  dem  Kapitel  „mehrwerthige  Aldehyde  und  Ketone'^  näher 
besprochen  werden. 

Den  Aldehydammoniaken  analoge  Additionsprodukte  des  Ammoniaks 
an  Ketone  sind  nicht  beobachtet  worden.  Die  Einwirkung  des  Am- 
moniaks auf  das  Aceton,  welche  von  Heintz  sehr  eingehend  untersucht 
worden  ist,  führt  unter  Wasserabspaltung  zur  Bildung  mehrerer  basischer 
Verbindungen;  sie  wird  beim  Aceton  ausfuhrlicher  besprochen  werden 
(vgl.  S.  415  ff.). 

*  Glücksmann,  Monatsh.  10,  770. 

*  Chancel,  Compt  rend.  86,  1405;  94,  399;  99,  1053. 
^  Sandmeyer,  Ber.  20,  639. 

^  Claisen,  Ber.  20,  252,  656.  —  Claisen  u.  Manasse,  Ber.  22,  526. 


Condensation  der  Ketone.  411 


Wie  die  Ketone  den  Aldehyden  überhaupt  an  Reactionsfähigkeit 
nachstehen,  so  mangelt  ihnen  auch  die  Neigung  zur  Polymerisation, 
welche  für  die  Aldehyde  so  charakteristisch  ist. 

Dagegen  theilen  sie  mit  den  Aldehyden  die  Fähigkeit  zu  Conden- 
sationsprocessen^  unter  dem  Einfluss  von  Alkalien,  gebranntem  Kalk, 
gasförmiger  Salzsäure,  concentrirter  Schwefelsäure  treten  mehrere  Mole- 
cüle  unter  Wasserabspaltung  mit  einander  zusammen.  Der  Verlauf  der 
Condensation  entspricht  ganz  der  Bildung  des  Crotonaldehyds  aus  Acet- 
aldehyd  (vgl.  S.  396  u.  407);  wie  aus  den  gesättigten  Aldehyden  sich 
kohlenstoffreichere  ungesättigte  Aldehyde  bilden,  so  sind  die  ersten  Con- 
densationsprodukte  der  gesättigten  Ketone  ebenfalls  ungesättigte  Keprä- 
sentAnten  derselben  Körperklasse  (Näheres  vgl.  Kap.  17): 

/CHj  /CHg  yCH    C<Cptt' 

C0<  +  CCK  -H,0    =    C0<^  ^"»  :   Mesityloxyd. 


CH_C<^g» 


CO/         +2C0<^        --2HjO    =    CO/ 


Phoron. 


CHs 

Durch  weitergehende  Condensation,  bei  welcher  indess  die  eben  erwähn- 
ten Verbindungen  nicht  als  Zwischenprodukte  anzusehen  sind^,  entstehen 
aromatische  Kohlenwasserstoffe,  so  aus  dem  Aceton  das  Mesitylen  (vgl. 
Bd.  U): 

.CH,  /^^\ 

CHj-CO       +  CO-CHs  CHs-C  C— CH3 


—  SHjO  =  II  I 

+CH,         CH3  CH       CH 

\co  \c^ 

I  I 

CH,  6H3 

£e  verdient  bemerkt  zu  werden ,  dass  nur  aus  käuflichem  Aceton,  nicht  aus 
reinem  Aceton  durch  Condensation  mit  conc.  Schwefelsäure  Mesitylen  erhalten  wird  °. 
Welche  Beimengung  des  rohen  Acetons  für  die  Mesitylenbildung  wesentlich  ist,  ist 
nicht  aufgeklärt. 

Bei  der  Condensation  des  Acetons  durch  Salzsäuregas  ^  erhält  man  zunächst 
chlorhaltige  Oele,  welche  zum  grössten  Theil  aus  Salzsäureverbindungen  des  Mesityl- 
oxyds  und  Phorons  bestehen. 

Einzelne  Ketone. 
Von   den   physikalischen  Eigenschaften   einer  grösseren  Reihe  von 
Eetonen  sowie  der  zugehörigen  Oxime  mögen  die  beiden  folgenden  Ta- 
bellen ein  Bild  geben.    Die  Tabelle  Nr.  22  auf  S.  412  enthält  einfache 


*  Vgl.  Pinner,  Ber.  16,  586;  16,  1727.  —  Claisen,  Ann.  180,  1.  —  Pawlow, 
Ann.  188,  186. 

*  Vgl.  Clamen,  Ann.  180,  22. 

'  BisLEFELDT,  luaugural-Dissertation.    Göttingen  1880. 

*  Vgl.  Baeter,  Ann.  140,  297.  —  Pinneb,  Ber.  14,  1070;  15,  576. 


412 


Tabdlarische  Uebersickten  über  einfache  und 


Tabelle  Nr.  22. 


Name  des 
Ketons  R-COR. 


Zusammen- 

Setzung  der  mit 

der  CO-Gruppe 

verbundenen  Ka- 

dicale  R. 


Siede- 
punkt 


Spec. 
Gew. 


des  Ketons  RCOR 


Schmelz- 
punkt 


Siec- 
ponkt 


des  Oxims 
R.C(:N.OH«i: 


Aceton"® 

Propion»-«w«7 

Norm.  Butjron'*-®-"*'^ .  . 

Isobutyron  "— *'''® 

Norm.  Valeron 

Isovaleron* 

Norm.  Capron*-" 

Oenanthon  *•  "•  ^••** 
Caprylon"    ,  .  .  . 

Caprinon" 

Lauron"***    .  .  .  . 

Myriston""    .  .  . 

Palmiton  "■"■»*  .  . 

Stearon  »o-"'>5    .  . 


CH3- 

C2rl5  •  CHj- 
(CHsljCH- 
CsH5  •  CHg  •  CH2' 
(CHj^CHCH,- 
C5H, 


41 


C7H15- 


CpHig- 


CiiHjg- 
^isHj?' 


CjßHji- 


C17H; 


85 


Cerotinon«»" C,«H 


J6"68 


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30  <> 
40  0 

58  <> 

69  0 

83  0 
88  0 
92^ 


.      13^* 

j      163  = 
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+  56.8«    0.812  (0<>)      +  59« 
103 <>      jO.833  (0<>y        - 
144  ö      i0-820(20<»)i        — 
124— 126 «lO -825(170;    -h6-8<>    181-1S5 


181— 1820;0-833(200;i  — 
221^  |0.826(20«j^  — 
264'>      ,0.825(30«)'        — 


I  0-804 

I  0-801 

I 

I  0-800 

1        

'  0-798 


er 


+  39—40« 

-f-  51« 

59« 


ST 

TS 


62—63« 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  22:     *  Moeley,  Ann.  78,  187.    —    •  Wahklyk. 
Ann.  140,  211.    —     »  Freund,  Ann.  118,   10.     —    *  Popofp,   Ann.  161,   286.   - 

*  E.  Schmidt,  Ber.  6,  597.  —  «  Wagner  u.  Saytzeff,  Ann.  179,  322.  —  ^  Cha-v- 
CEL,  Compt.  rend.  99,  1055.  —  ®  Hamonet,  Bull.  50,  355.  —  •  Chancel,  Ann.  52. 
296.    —    "  KüRTz,    Ann.  161,  205.    —    ^^  V.  Meyer  u.  Warrington,    Ber.  20,  500. 

—  "  PoPOPF,  Ber.  6,  1255.  —  "  Münch,  Ann.  180,  327.  —  "  Lieben  u.  Janeczei. 
Ann.  187,  134.  —  "  v.  Uslar  u.  Seekamp,  Ann.  108,  182.  —  "  Fittig,  Ann-  117, 
81.  —  "  Guckelberger,  Ann.  69,  201.  —  "  Grimm,  Ann.  157,  270.  —  "  Kbafh. 
Ber.  16,  1711.  —  »«  Spiegler,  Monatsh.  6,  241.  —  "  Heintz,  Pogg.  96,  65.  - 
**  Maskelyne,  J.  pr.  65,  294.  —  "  BrOcker,  J.  pr.  57,  17.  —  "  Nafzqeb,  Ann.  234, 
237.  —  **  Stanley  F.  Kipping,  Journ.  soc.  57,  532,  980.  —  •«  Scholl,  Ber.  21 
509.  —  *^  Gaetenmeister,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  6,  530.  —  ••  Poletaeff,  Ber. 
24,  1308.  —  "  Vgl.  d.  spec.  Besprechung  S.  414  ff. 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  23:  »  Frankland  u.  Düppa,  Ann.  138,  216,  333. 
336;  145,  83.     —    «  Popoff,  Ann.  145,  289.     —    »  Grimm,  Ann.  157,  252,  258.  - 

*  BüCKiNG,  Ann.  204,  17.  —  *  Schramm,  Ber.  16,  1581.  —  •  Janny,  Ber.  15,  2779. 

—  '  ScHORLEMMER,  Auu.  161,  263.  —  *  Chancel,  Compt  rend.  99,  1055.  —  •  Waokeb 
u.  Saytzepf,  Ann.  179,  322.  —  »«  Nägeli,  Ber.  16,  2983.  —  "  Münch,  Ann.  180, 
327.  —  "  Wagner,    Ber.  18,  2267.  —  "  Erlenmeyer  u.  Wanklyn,   Ann.  136,  U*- 

—  »*  Wagner,  Ber.  18o,  179.  —  "  Schmidt,  Ber.  6,  604.  —  "  Grimshaw,  Ann. 
166,  169.     —     "  PüRDiE,  Journ.  Soc.  39,  467.    —    "  Rohn,  Ann.  190,  808.   - 


I 


gemischte  Ketof le  und  deren  Oxime, 


413 


CO 


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QO  OO 

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beim  Schmelzpunkt 


CO   ,   QO 
64      ^ 

CO  '  00 


00 

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QO 

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bei  100  mm  Druck 


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414  Aceton. 

"  P^HAL,  Ann.  eh.  [6]  16,  267,  408.  —  »<>  B6hal,  Bull.  47,  33.  —  «^  B6HA^  Bull- 
47,  164.  —  »'  Staedeler,  J.  pr.  72,  247.  —  "  Scholl,  Ber.  21,  509.  —  "*  Jotjrdaä, 
Ann.  200,  106.  —  «*  Krafft,  Ber.  12,  1664,  1668;  15,  1687,  1711.  —  •«  Vladesco, 
Bull.  [3]  3,  510;  6,  142.  —  *^  Vgl.  S.  419.  —  »«  Gabtekmeister,  Ztschr.  f.  physik. 
Chem.  6,  530.  —  ^  Pinakolin,  vgl.  d.  Citate  S.  419. 

Eetone,  in  deren  Molecül  also  die  Carbonylgruppe  zwei  gleiche  Alkyl- 
reste  verknüpft,  die  Tabelle  Nr.  23  auf  S.  413  solche  gemischten 
Ketone,  deren  einer  Alkylrest  stets  die  Methylgruppe  ist. 

Das  Aceton  (Dimethylketon,  Dimethylketal,  Methylacetyl, 
Ketopropan)  CHg-CO-CHj  —  der  Prototyp  der  Ketone  —  ist  schon  in 
früher  Zeit  als  Destillationsprodukt  von  essigsauren  Salzen  beobachtet 
worden^;  seine  Zusammensetzung  wurde  indess  erst  1832  von  Libbig* 
und  von  Dumas  ^  ermittelt.  Das  Aceton  bildet  sich  sehr  häufig  bei  der 
trockenen  Destillation  organischer  Stoflfe,  in  reichlicher  Menge  ist  es 
neben  Homologen*)  unter  den  Destillationsprodukten  des  Holzes  ent- 
halten^ (vgl.  S.  169).  Man  findet  es  in  geringer  Menge  im  Destillat  von 
normalem  Hani*;  in  grösserer  Menge  tritt  es  bei  pathologischen  Zu- 
ständen —  so  im  Harn  von  Fieberkranken  und  Diabetikern^  —  auf 
(Acetonurie);  es  scheint  im  Harn  nicht  als  solches  vorzukommen,  sondern 
durch  Zersetzung  von  Acetessigsäure  CHj-CO-CHj-COgH  zu  entstehen. 

Das  Aceton  ist  eine  farblose,  bew^egliche  Flüssigkeit  von  eigenthüm- 
lichem,  angenehmem  Geruch  und  brennendem  Geschmack.  Seine  physi- 
kalischen Constanten  s.  in  der  Tabelle  Nr.  22  auf  S.  412.  Es  mischt  sich  in 
jedem  Verhältniss  mit  Wasser;  wie  Alkohol,  kann  es  aus  seiner  Tvässrigen 
Lösung  durch  Pottasche  abgeschieden  und  so  —  auch  in  kleinen  Mengen 
—  isolirt  werden.  Für  viele  organische  Verbindungen  besitzt  das  Aceton 
ein  Lösungs vermögen  und  wird  daher  zuweilen  im  Laboratorium  als 
Krystallisationsmittel  benutzt. 

Im  Grossen  gewinnt  man  das  Aceton  theils  aus  dem  rohen  Holz- 
geist, theils  durch  trockene  Destillation  von  holzessigsaurem  Ealk.  Beines 
Aceton  erhält  man  durch  Zerlegung  seiner  Natriumbisulfitverbindung 
mittelst  Sodalösuug.  Das  Aceton  findet  Verwendung  zur  Darstellung 
von  Chloroform,  Jodoform,  Sulfonal,  femer  zur  Herstellung  des  Dena- 
turirungsmittels  für  Spiritus  (das  Gesetz  schreibt  für  den  anzuwendenden 
Holzgeist  [vgl.  S.  179]  einen  Acetongehalt  vor,  welchen  der  rohe  Holz- 
geist in  der  Regel  nicht  erreicht;  man  setzt  ihm  daher  noch  Aceton  zu). 

Mit  Jod  in  alkalischer  Lösung  behandelt,  liefert  das  Aceton  Jodoform  (vgl. 
S.  170);   man   kann  sich  dieser  Reaction  zum  Nachweis  und  zur  quantitativen 


^  Historisches  vgl.  bei  Frrrio,  Ann.  110,  23.  '  Ann.  1,  225. 

»  Ann.  eh.  [2]  49,  208.  ♦  Vi^dksco,  Bull.  [3]  3,  510. 

*  VöLCKEL,  Ann.  80,  310. 

•  vgl.  Legal,  Ber.  17 o,  503.  —  E.  Salkowsky  u.  Taniguti,  Ztschr.  f.  ph7aiol. 
Chem.  14,  476. 

^  vgl.  Markownikofp,  Ann.  182,  362.  —  v.  Jakbch,  Ber.  15,  2628;  18  o,  195.  — 
i.E  Nobel,  Ber.  17c,  504. 


Derivate  des  Acetons,         *  415 


Bestimmung  des  Acetons  bedienen,  muss  sich  aber  gegenwärtig  halten,  dass 
auch  viele  andere  Verbindungen  unter  den  gleichen  Bedingungen  Jodoform  liefern 
(vgl.  S.  159).  Näheres  über  diese  und  andere  Methoden  zum  Nachweis  des  Acetons 
s.  in  der  Originalliteratur  ^ 

Derirate  des  Acetons.  Natriumacetonat*  (CHg-C(0Na):CH2?) 
erhält  man  als  weissen,  zersetzlichen  Niederschlag,  wenn  m^n  Natrium 
auf  eine  Lösung  von  Aceton  in  wasserfreiem  Aether  wirken  lässt;  es 
regenerirt,  mit  verdünnter  Salzsäure  behandelt,  Aceton.  Acetonkali^, 
KOH  +  CjHgO,  —  ein  weisses,  sehr  hygroskopisches  und  leicht  Aceton  ver- 
lierendes Pulver,  —  wird  durch  kurzes  Erhitzen  von  Aceton  mit  festem 

.OH 
Aetzkali  erhalten.  —  Das  Acetonnatriumbisulfit*,  (CHgLC/  , 

\SO3Na 
bildet  sich  unter  Erwärmung  beim  Zusammenbringen  von  Aceton  mit  con- 
centrirter  Natriumbisulfitlösung;  es  stellt  perlmutterglänzende,  in  Wasser 
leicht  lösliche  Blättchen  dar. 

Eine  lockere  Verbindung  von  Aceton  mit  fieier  schwefliger  Säure, 
CjHeO  +  SO,,  bildet  sich  beim  Einleiten  von  Schwefeldiozyd  in  Aceton;  sie  stellt  eine 
leicht  bewegliche  Flüssigkeit  vom  spec.  Gew.  1*09  bei  8®  dar,  welche  sich  mit  Wasser 
erst  beim  heftigen  Schütteln  mischt  Bei  der  Vergasung  zerfällt  sie  unter  sehr  starker 
Wärmeabsorption;  die  Dämpfe  lassen  sich  leicht  wieder  zur  ursprünglichen  Doppel- 
Terbindung  condensiren;  die  Verbindung  ist  daher  als  Mittel  zur  Kälteerzeugung 
vorgeschlagen  ^ 

Das  Acetoxim«,  (CH3)2C=N— OH  (vgl.  Tabelle  Nr.  22  auf  S.  412), 
bildet  farblose,  durchscheinende  Prismen  von  schwachem,  an  Chloral  er- 
innernden Geruch;  es  ist  äusserst  leicht  flüchtig,  so  dass  es  schon  beim 
Stehen  an  der  Luft  rasch  verdunstet;  in  Wasser,  Alkohol,  Aether  und  Petro- 
leumäther löst  es  sich  leicht.  Sein  Chlorhydrat,  CgH^NO.HCl  (vgl. 
S.  391),  schmilzt  bei  98 — lOP.  unter  seinen  Abkömmlingen  ist  besonders 
charakteristisch  der  durch  Einwirkung  von  Benzolsulfochlorid  C^Hß-SOgCl 
auf  die  wässrige  Lösung  des  Acetoxims  in  Gegenwart  von  Natronlauge 
leicht  erhältliche  Benzolsulfosäureester,  welcher  in  prächtigen  Nadeln 
krystallisirt,  bei  52 — 53®  zu  einer  wasserhellen  Flüssigkeit  schmilzt,  die 
dann  bei  128®  mit  explosionsartiger  Heftigkeit  zersetzt  wird. 

Ammoniakderivate  des  Acetons^:  Die  Einwirkung  des  Ammo- 
niaks auf  das  Aceton  erzeugt  unter  Zusammentritt  mehrerer  Molecüle 


*  LE  Nobel,  Penzoldt,  Ztschr.  f.  analyt.  Chem.  24,  147.  —  v.  Jaksch,  Ber.  18  c, 
195.  —  Chaütarb,  Ball.  46,  88.  —  Claisen,  Ann.  228,  143. 

■  Fbeeb,  J.  pr.  [2]  42,  470.  •  Vaübel,  J.  pr.  [2]  43,  599. 

*  Ltmpbicht,  Ann.  98,  238.  *  Bössneck,  D.R.Pat.  47093;  Ber.  22c,  303. 

*  V.  Meyer  u.  Janny,  Ber,  15,  1324.  —  Janny,  Ber.  16,  170.  —  V.  Meyer  u. 
Wege,  Ann.  264,  121.  —  Dodoe,  Ann.  264,  185. 

'  SoKOLOFF  u.  Latschinopp,  Bcr.  7,  1384.  —  Heintz,  Ann.  174,  133;  176,  252, 
382;  178,  305,  326;  181,  70;  188,  276,  283,  290,  317;  186,  1;  187,  233,  250;  189, 
214,  231;  191,  122;  192,339;  198,  42,  87;  201,90,  102;  203,  336,  349.  —  Antrick, 
Ann.  227,  365.  —  E.  Fischer,  Ber.  16,  649,  1604;  17,  1788.  —  Canzoneri  u.  Spica, 
Ber.  18  o,  51,  331.  —  Bühebiann  u.  Carnegie,  Journ.  Soc.  68,  424. 


416  '  Ammoniakderivate 


und  Abspaltung  von  Wasser  basische  Verbindungen.  Sie  verläuft  im 
Wesentlichen  nach  den  Gleichungen: 

2C8HeO  +  NHs  =  H,0  +  CeHigNO   ;  Diacetonamin. 
SCgHeO  +  NHj  =  2HjO  +  C9H„N0:  Triacetonamin. 

Bei  kürzerer  Dauer  der  Einwirkung  und  bei  Anwendung  niederer  Tem- 
peratur entsteht  vorzugsweise  das  Diacetonamin.  In  sehr  geringer  Menge 
werden  ferner  zwei  weitere  Basen  nach  den  folgenden  Gleichungen  ge- 
bildet: 

SCgHeO  +  NHg  =  3H2O  +  C9H15N      :   Dehydrotriacetonamin. 
SCjHeO  +  2NH3  =  2H2O  +  CeHjoNjO :   Triacetondiamin. 

Diacetonamin  CeHigNO  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  eigenthiimlichem 
ammoniakalischem  Geruch  und  stark  alkalischer  Reaction;  es  ist  leichter  als  Wasser, 
damit  nicht  in  allen  Verhältnissen  mischbar  und  kann  selbst  im  Vacuum  nicht  ohne 
Zersetzung  destillirt  werden.  Es  ist  eine  einsäurige  Basis;  das  Chlorhydrat 
CeHjgNO.HCl  krystallisirt  aus  Alkohol  in  farblosen  prismatischen  Krystallen. 

Triacetonamin  CgHi7N0  krystallisirt  aus  wasserfreiem  Aether  in  farblosen 
Nadeln  vom  Schmelzpunkt  34 -6^  aus  wasserhaltigem  Aether  mit  1  Mol.  Wasser  in 
grossen  quadratischen  Tafeln,  welche  bei  58°  schmelzen.  Es  löst  sich  leicht  in  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  und  zeigt  beim  Erwärmen  einen  an  Campher  erinnernden  Geruch ; 
seine  wässrige  Lösung  reagirt  stark  alkalisch.  Das  Chlorhydrat  CgHi^NO.HCl 
krystallisirt  aus  Alkohol  in  dünnen  Prismen. 

Die  Constitution  dieser  beiden  Basen  wird  durch  die  Formeln: 

NHs  CHj       CH, 

CHsv    I  1  1 

\C-CHj.CO.CH3  und  (CH3),C         .  C(CH,), 

cu/  \^^/ 

Diacetonamin  Triacetonamin 

ausgedrückt)  mit  welcher  sich  ihr  chemisches  Verhalten  gut  vereinigen  lässt.  Das 
Diacetonamin  erweist  sich  durch  sein  Verhalten  gegen  salpetrige  Säure  als  ein 
primäres  Amin;  denn  es  wird  die  Amidgruppe  durch  die  Hydroxylgruppe    ersetzt, 

.OH 

und  es  entsteht  ein  Alkohol  —  der  Diacetonalkohol  (CHs)jC^^- CHj-COCHj, 

welcher  seine  Hydroxylgruppe  tertiär  gebunden  enthält  und  daher  sehr  leicht  Wasser 
abspaltet,  um  in  Mesityloxyd  überzugehen: 

.OH 
(CH8)8C^^- — CHa-COCHj-IIjO    =    (CH3)aC=:CH.C0.CH,. 

Andererseits  zeigt  das  Diacetonamin  auch  die  Eigenschaften  eines  Ketons;  es  fixirt 
bei  der  Reduction  zwei  Wasserstoffatome  und  wird  in  den  entsprechenden  sccundären 

Alkohol,    das   Diacetonalkamin  (CHs),^^^     CH,— CH^^- CHj,  verwandelt     Bei 

der  Oxydation  des  Diacetonamins  findet  eine  Spaltung  zwischen  der  Carbonylgruppe 
und  einem  der  benachbarten  Kohlenstoffatome  statt,  nach  der  obigen  Formel  ist  die 
Möglichkeit  für  die  Bildung  von  zwei  verschiedenen  Amidosäuren: 

.NH,  .NH, 

(CHg^C^- COgH  und  (CH8)8C^^^ CHjCG^H 

n-Amidoisobuttersäure  ^-Amidoisovaleriansäure 

gegeben,  welche  in  der  That  als  Oxydationsprodukte  erhalten  werden. 


des  Acetons,  417 


Das  Triacetonamin  enthält  nach  ohiger  Formel  einen  ringförmigen  Gomplex 
von  5  Kohlenstoffatomen  und  einem  Stickstoffatom ;  es  gehört  in  die  Gruppe  des 
Piperidins  und  Pyridins  (s.  Bd.  II).  Es  ist  eine  secundäre  Basis  und  liefert  daher 
bei  der  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  eine  Nitrosoverbindung;  das  Nitroso- 
triacetonamin  (nadelformige  Krystalle  vom  Schmelzpunkt  72— 73*^)  verliert  beim 
£rwärmen  mit  Alkalilaugen  seinen  Stickstoff  und  liefert  Phoron: 


(CR 


HC 


/^  .CO 


H     H  CH 


I 
NO 


HC  CH 

CCCHg),    =    N,  +  H,0  +  (CH,)aC  CCCHsV 


—  Bei  dieser  Reaction  gelit  der  ringförmige  Complex  durch  Eliminirung  des  Stickstoff- 
atoms in  eine  offene  Kette  über.  Eine  Oeffnung  des  Binges  an  anderer  Stelle  findet 
bei  der  Oxydation  des  Triacetonamins  statt,  indem  die  Carbonylgruppe  von  einem 
der  benachbarten  Kohlcnstoffatome  losgelöst  wird: 

rn  CO.H 


/""\ 

COJI     CH, 

II,C           CH, 

1 

->- 

(CH3),Ö            C(CH3), 

(CH3)aC           CcCHg), 

\nh/ 

\nh/ 

das  Ox}'datiousprodukt  des  Triacetonamins  ist  als  Imido-isobutter-isovalerian- 
sänre  zu  bezeichnen.  —  Bei  der  Reduction  des  Triacetonamins  bietet  ebenfalls  die 
Carbonylgruppe  deu  Angriffspunkt;  sie  nimmt  zwei  Wasserstoffatome  auf,  und  es  ent- 
steht das  Triacetonalkamin,  welches  seinerseits  durch  Wasserabspaltung  in  eine  sauer- 
stofffreie  Basis  verwandelt  werden  kann; 

CH(OH)  (.jj 

H,C  CH,  H,C  CH 

1  I  -H,0  =  1 

(CH3),C  C(CH3),  (CH3),C  Ö(CH3), 

\nh/  \nh/ 

Triacetonalkamin.  Triacetonin. 

Triacetonalkamin  (Schmelzpunkt  12S-b^)  und  Triacetonin  (ein  bei  146 — 147* 
siedendes  Oel  von  coniinähnlichem  Geruch  und  toxischen  Eigenschaften)  entsprechen 
in  ihrem  Verhalten  vollkommen  einer  Reihe  anderer  als  PyridinabkÖmmlinge  er- 
kannter Verbindungen,  wodurch  die  Structurformel  der  Triacetonamins  erhöhte  Be- 
rechtigung erhält. 

Diacetonamin  ist  durch  Erhitzen  mit  Aceton  in  Triacetonamin  überfiihrbar: 


H,C           CH3 

/CO 
H,C           CH, 

1 

=  H,0  + 

(Cir8),c        C(CH3),. 

,\G              + 

CO(CH,). 

\nh. 

\nh/ 

Ebenso  wie  das  Aceton  wirken  Aldehyde,  wodurch  die  Darstellung  einer  Reihe  von 
dem  Triacetonamin  analog  constituirten  Basen  ermöglicht  wird.  So  entsteht  z.  B. 
durch  Einwirkung  von  Acetaldehyd: 

V.  Mbykr  a.  jAOORgoir,  org.  Chem.   I.  27 


418        Derivate  des  Aceloiis  (AcMonchlöroform,  PhospJiorverHmlungen}. 


Cir,  ILC  CH, 


I  =1120+  !  I 

(CH3)jC  +COH.CH,  (CHaijC        cii(CH,) 

das  sogenannte  Vinyldiacetonamin. 

Durch  Einwirkung   von  Methylamin,   Dimethylamin,    Aethylamin  aar 
Aceton  sind  Alkylderivate  des  Diacctonainins  erhalten  worden*. 


Acetone hloro form*:  Fügt  man  zu  einem  Gemisch  von  Aceton  und  Chl«ir«v 
form  gepulvertes  Aetzkali  in  kleinen  Portionen,  so  bilden  sich  zwei  VerbiDdunfrer! 
durch  Addition  von  gleichmolecularen  Mengen  Aceton  und  Chloroform,  flüssiges  und 


/OCl 
festes  Acetonchloroform.  Ersteres  besitzt  vielleicht  die  Constitution  (CH.),^^ 

^CHCl. 

,011 
letzteres  ist  als  OxyisobuttersÄuretrichlorid  (CHglaC^  aufzufassen ;  denn  es  liefert 

beim  Erhitzen  mit  Wasser  auf  180®  Oxy isobuttcrsäure : 

/OH  /Oll 

(CH3l,C<  4-  2HjO  =  (CH,),C<  +  3  HCl. 

^CClg  ^COOH 

Das  flüssige  Acetonchloroform  geht  an  feuchter  Luft  in  das  feste  über.  Fesie^ 
Acetonchloroform  ist  eine  campherähnliche,  leicht  sublimirende  Substanz,  welche  in 
Wasser  unlöslich  ist,  bei  96°  schmilzt,  bei  167°  siedet  und  mit  Wasserdämpfen  leubt 
flüchtig  ist.  Aus  wässrigem  Alkohol  und  Aether  krystallisirt  es  mit  Vt  ^ol.  Wasser 
in  Krystallen  vom  Schmelpunkt  80 — 81°. 

Acetonphosphorverbindungen';  In  Gegenwart  von  Aluminiumchlorid  rea 
girt  Phosphortrichlorid  auf  Aceton  stürmisch  unter  Salzsäureentwickelung: 

2CsHeO  +  PCls  =  2  HCl  +  CeHioO.PCl. 

Es  entsteht  das  Diacetonphosphorchlorür  CJIiqOjPCI,  eine  farblose,  krystalli- 
nische,  an  der  Luft  veränderliche  Substanz,  welche  bei  35—36°  schmilzt  und  bei  235' 
siedet.  Mit  Brom  vereinigt  es  sich  zu  dem  Diacetonphosphorchlorobromi*! 
CßHioOaPClBra  (Schmelzpunkt  142°),  welches  von  Wasser  glatt  in  Mesityloxyd,  i'hos- 
phorsäure,  Chlor-  und  Brom  Wasserstoff  zersetzt  wird.    Man  giebt  daher  dem  Chlorid 

(CH8),C — 0  (CHg),  C  -0  ■  PCllJr 

die  Formel  |         |     ,    dem  Chlorobromid  die  Formel  | 

CHs .  CO .  CH-PCl  CIIs .  CO .  CHBr 

wodurch  die  letzterwähnte  Zersetzung  leicht  verständlich  wird: 

(CH3),C-0 .  PClBr  (CH8),C 

I  +  3HaO  =  II      +  P0{0H)a  +  2HBr  +  HCL 

CHs .  CO .  CHBr  CH»  •  CO  •  CH 

Aus  dem  Chlorür  bildet  sich  durch  Zersetzung  mit  Wasser  die  Diacetonphosp^^^' 
säure  (Schmelzpunkt  63°),  eine  starke  zweibasischo  Säure: 


*  GöTscHMANN,  Ann.  197,  27.  —  Eppinqer,  Ann.  204,  50. 

»  WiLLOERODT,  Bcr.  14,  2451;  15,  2305,  2308;  16,  1505.  —  Willoebodt  n. 
Genieser,  J.  pr.  [2]  37,  361.  —  Willqerodt  u.  Dürr,  J.  pr.  [2]  39,  283.  -  Wiu- 
GERODT  u.  Schipp,  J.  pr.  |2l  41,  515. 

*  MiCHAKus,  Bcr.  17,  1273;  18,  898. 


Pinakoline,  419 

(CHg)5,C       O  (CPIsJjCH 

i  +  2H,0  =  HCl  +  J  ; 

Cllg .  CO .  CII-PCl  CH3 .  CO .  CH— P0(0H)2 

in  Uebereinstimmung  mit  dieser  Auffassung  liefert  die  Säure  bei  der  Einwirkung  von 

(CH,),CH 
Hydroxylamin  ein  Oxim  I  (Schmelzpunkt  169—170°). 

CH, .  C( :  N .  OH) .  CH  •  PO(OH), 

Unter  den  Homologen  des  Acetons  sei  das  normale  Methylnonyl- 
ketoni    CHg-CO-CgHjg   (Eigenschaften  vgl.  Tabelle  Nr.  23  auf  S.  413) 
wegen  seines  Vorkommens  in  der  Natur  besonders  hervorgehoben.     Es 
bildet   einen  Hauptbestandtheil   des  ätherischen  Oeles    der  Gartenraute 
(ßautenöl,  Oleum  rutae).     Sein  Geruch  ist  apfelsinenartig.     Seine  Con- 
stitution   ergiebt    sich    einerseits    daraus,    dass    es   bei    der   Oxydation  j 
normale  Pelargonsäure  CgH^gOg  (vgl.  S.  333 — 334)  liefert,  andererseits  aus  I 
synthetischen  Bildungsweisen;  es  kann   sowohl   durch  Destillation  eines 
Gemisches  von  essigsaurem  und  caprinsaurem  Calcium,   wie  auch  durch 
Spaltung  des  normalen  Octylacetessigesters  gewonnen  werden.                                     •    ' 
Unter    der   Bezeichnung   Pinakoline    fasst   man    eine   besondere  j 
Gruppe  von  Ketonen  zusammen,  deren  charakteristisches  Merkmal  darin  | 
besteht,  dass  ihre  Carbonylgruppe  einerseits  an  ein  tertiäres  Alkylradical 
gebunden  ist.     Sie  entstehen  in  einer  sehr  merkwürdigen,   unter  totaler 
Atomverschiebung  verlaufenden  Reaction  aus  den  Pinakonen,  jenen  zwei- 
werthigen  Alkoholen,   welche  als  Nebenprodukte  bei  der  Reduction  der 
Ketone  auftreten  (vgl.  S.  387): 

2(CH3),CO  +  2H    =  •(CH3),C(OH)--C(OH)(CH8),. 

Erwärmt  man  die  Pinakone  mit  verdünnten  Säuren,  so  spalten  sie  1  Mol. 
Wasser  ab,  um  in  Pinakoline  überzugehen: 

CHjr -V  .CHa  /CH» 

>C(OH)-^(OH)<  -  HjO  =  Cn,~CO-C(  CH3 

CHs'^   X^^ ^       ^CH,  XCH. 

—  eine  Reaction,  welche  die  Wanderung  einer  Methylgruppe  von  einem 
KohlenstoflFatom  zum  anderen  erfordert. 

Das  einfachste  Pinakolin^  CHg- CO -0(0113)3,  dessen  Entstehung 
aus  Aceton  durch  die  obigen  Gleichungen  erläutert  wird,  wäre  hiernach 
rationell  als  Methyl-tertiärbutyl-Keton  zu  bezeichnen  (unter  dieser  Be- 
zeichnung vgl.  seine  Constanten  in  der  Tabelle  Nr.  23  auf  S.  413).  Es 
besitzt  einen  pfeffermünzähnlichen  Geruch.  Seine  Constitution  ergiebt 
sich  aus  dem  Verhalten  bei  der  Oxydation,  durch  welche  es  in  Trimethyl- 
essigsäure  (03^)30-00211  (vgl.  S.  331)  übergeht,  und  andererseits  aus 
seiner  Synthese  durch  Einwirkung  von  Zinkmethyl  auf  Trimethylacetyl- 
chlorid  (CH3)3.C001  (vgl.  S.  385). 

*  Williams,  Ann.  107,  314.  —  Hall  wachs,  Ann.  113,  107.  —  Harbordt,  Ann. 
138,  293.  —  Gorup-Besanez  u.  Grimm,  Ann.  157,  275.  —  Guthzeit,  Ann.  204,  4. 
~  GiESBCKE,  Ztscbr.  Chem.  1870,  428.  —  Spibqler,  Monatsh.  5,  241. 

■  Frmo,  Ann.  114,  54.  —  BuriiERow,  Ann.  174,  125.  —  Barbaglia  u.  Gücci, 
Ber.  13,  1572.  —  Janny,  Ber.  16,  2780.  —  Glücksmann,  Monatsh.  10,  770. 

27* 


i 


420  Thioaldehyde  und 


Thioaldehyde,  Thioketone  und  ihre  Derivate. 

Von  den  sauerstofthaltigen  Aldehyden  und  Ketonen  kann  man  leicht 

durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  in  Gegenwart  von  Salzsäui-e  zu 

entsprechend  zusammengesetzten  Schwefelverbindungen  gelangen.     Doch 

besteht  diese  Reaction  in  der  Regel  nicht  in  einem  einfachen  Austausch 

des  Sauerstoffatoms  gegen  Schwefel,  sondern  fuhrt  zupolymerenThio- 

aldehyden  und  Thioketonen  —  meist  trimolecularen  Modificationen 

— ,  in  welchen  die  Schwefelatome  in  sulfidartiger  Bindung  anzunehmen 

sind,  z.  B.: 

S-CH-CIfs 

CII3CH/  \s     . 

S-CH.CH3 

Dementsprechend  können  diese  trimolecularen  Thioaldehyde  und  Thio- 
ketone durch  Kaliumpermanganat  zu  Trisulfonen  oxydirt  werden: 

SOj-^CII-CHg 
CHj-Ch/  \sOj. 

S0,-CH.CH3 

Die  den  Trithioaldehyden  entsprechenden  Trisulfone  enthalten  an  den 
zwischen  je  zwei  negativen  Sulfongruppen  befindlichen  Kohlenstoffatome u 
noch  Wasserstoffatome,  welch'  letztere  dadurch  die  Fähigkeit  erlangen, 
gegen  Metallatome  ausgetauscht  zu  werden  (vgl.  Malonsäureester  und 
Acetessigester,  S.  308).  Solche  Trisulfone  sind  infolgedessen  Säuren  und 
lösen  sich  leicht  in  Alkalien.  Lässt  man  auf  ihre  alkoholisch-alkalische 
Lösung  Halogenalkyle  einwirken,  so  können  die  Wasserstoftatome  gegen 
Alkylreste  ausgetauscht  werden,  z.  B. 

SO,-CNa .  CH3  SOj-CCCH,), 

CHa-CNa/  \S0,      +  SCHaJ  =  3NaJ  +  (CH3)2c/  SsO,, 

SO,-  CNaClIj  SOs-CcCH,), 

und  man  gelangt  zu  Verbindungen,  welche  identisch  sind  mit  den  den 
Trithioketonen  entsprechenden  Trisulfonen. 

Die  Einwirkung  des  Schwefelwasserstoffis  auf  wässrige  Aldehydlösungen  bestellt 
nach  Bauhann^  zunächst  darin,  dass  durch  Addition: 

/OH 
RCHO  +  H,S  =  R.CH< 

NSH 

eine  Verbindung  entsteht,  welche  sehr  leicht  weiter  verändert  wird,  indem  mehrere 
Moiecüle  unter  Wasserabspaltung  mit  einander  oder  mit  Aldehydmolecülen  sich  vej> 
einigen.  So  entsteht  eine  Reihe  von  Körpern,  welche  SH- Gruppen  enthalten  und 
sich  mercaptiinähnlich  verhalten;  in  reinem  Zustande  konnte  man  diese  leicht  ver- 
änderlichen Mercaptane  bisher  nicht  abscheiden,  wohl  aber  ihre  Existenz  durch  lieber- 
führung  in  beständigere  Umwandlungsprodukte  darthun.  In  der  Flüssigkeit  z.  B., 
welche  durch  Sättigen  von  neutraler  Formaldehydlösung  mit  Schwefelwasserstoff  ge- 


*  Ber.  23,  62,  1869.     Vgl.  ferner  Baumann  u.  Fkomm,  Bor.  24,  1421. 


Thioketone.  421 

Wonnen  wird,  kann  man  die  Gegenwart  des  Methylenmercaptans  CHjfSIl),  erweisen, 
indem  man  dasselbe  durch  die  Reactionen: 

CHgCSK),  +  2CII3J  =  2KJ  +  CHjCSCHj),, 
CH,(S.CHs\  +  40  =  CH,(SO,.CH,), 

in  das  kiystallisirbare  Metbylendiniothylsulfon  CIIgCSOjfMIg),  verwandelt;  die  Goj^en- 

wart  des  Thiodimethylenmcrcaptans  SlCHj-SH)»  kann  in  analopcr  Weise  durch  üebor- 

ftihrong  in  das    Trisulfon  SOgiC^Hj-SOj^CIIa),  nachgewiesen  werden;    ein  Difhiotri- 

mcthylenmercaptan  CHsfS  •  CH,  •  SH),  giebt  sich  dadurch  zu  erkennen,  dass  man  nach 

xS — CHj — S 
Oxydation    mit  Jod  sein  Disulfid  CH,<f  I    (Trimethylentctrasulfid)  isoliren 

kann.  Aus  diesen  unmittelbaren  mercaptanartigen  Einwirkungsprodukten  des  Schwefel- 
wasserstofiB  bilden  sich  die  polymeren  Thioaldehyde  unter  dem  Einfliiss  der  eonc.  Salz- 
saure  durch  weitere  Abspaltung  von  Wasser  oder  Schwefelwasserstoff;  aus  dem  Dithio- 
trinirthylenmercaptan  kann  z.  B.  durch  Schwefelwasserstoffaustritt  der  trimoleculare 
Thioformaldehyd  entstehen: 

.S-CH,     Sil  /S-CHjv 

CH,<  -H,S  =  CH,<  >S. 

\S-CH,~SH  \S-CII/ 

Dass  die  monomolecularen  Thioaldehyde  sich  leicht  polymerisiren, 
erscheint  nicht  auffällig,  da  ja  die  gleiche  Neigung  auch  die  entsprechen- 
den Sauerstoffverbindungen  auszeichnet.  Merkwürdig  aber  ist  es,  dass 
auch  die  Thioketone  ein  so  starkes  Polymerisationsbestreben  zeigen,  wel- 
clies  ja  den  sauerstoffhaltigen  Ketonen  ganz  abgeht.  Es  ist  bisher  nicht 
möglich  gewesen,  die  monomolecularen  Thioketone  der  Fettreihe  rein 
abzuscheiden;  das  einfachste  Thioketon,  welches  man  in  einigennassen 
reinem  Zustande  gewinnen  konnte ,  ist  das  Thiobenzophenon^ 
0,jH..CS-C3Hß  (näheres  darüber  vgl.  Bd.  II.). 

Ein  erhöhtes  Interesse  gewinnen  die  Tritliioaldehyde  durch  eigen- 
thümliche  Isomerie-Erscheinungen,  welche  —  schon  früher  beobachtet  — 
neuerdings  durch  Baumann  u.  Fbomm*  vollständig  aufgeklärt  sind.     Es 
entstehen  nämlich  bei  der  oben  besprochenen  Einwirkung  von  Schwefel- 
wasserstoiF  in  Gegenwaii;  von  Salzsäure  aus  allen  Aldehyden  mit  Aus- 
nahme  des   Formaldehyds  je   zwei  isomere  Trithioaldehyde  —   ein 
höher  schmelzender  und  ein  niedriger  schmelzender  —  in  wechselnden 
Mengenverhältnissen.     Die   niedriger  schmelzende  a-Modification  bildet 
sich  reichlicher,  wenn  der  Schwefelwasserstoff  bei  Gegenwart  von  wenig 
Salzsäure   und   bei  niederer  Temperatur   zur  Einwirkung  gelangt.     Die 
liöher  schmelzende  jS-Modification  entsteht  am  reichlichsten  bei  Gegen- 
wart von  viel  Salzsäure;   sie  stellt  die  stabilere  Verbindung  dar,  denn 
die  cf-Modification  wird  durch  Jod  (und  andere  ümlagerung  bewirkende 
Stoffe)  in  die   /9-Modification  verwandelt.     Die  gleichzeitige  Bildung  der 
beiden  isomeren  Verbindungen,   die  Umwandelbarkeit  der  einen  in  die 
andere,  besonders  aber  ihr  durchaus  übeijeinstimmendes  chemisches  Ver- 
Vialten  sprechen  dafür,  dass  ihre  Isomerie  nicht  durch  verschiedenartige 


^  Vgl.  Berorbkn,  Ber.  21,  340.  *  Ber.  24,  1419  ff. 


422  Stereoisomerie  bei 


Structur  zu  erklären  ist,  sondern  dass  sie  Beispiele  stereoisomerer  Köi^per 
darstellen. 

In  der  That  lässt  sich,  wenn  man  über  die  räumliche  Configuration 
des  in  den  Trithioaldehyden  und  Trithioketonen  anzunehmenden  sechs- 
gliedrigen  Complexes: 

A 

nachdenkt,  leicht  ableiten,  dass  alle  Trithioaldehyde  mit  Ausnahme  der 
Trithioformaldehyds  in  zwei  isomeren  Formen  vorkommen  können, 
dass  dagegen  für  den  Trithioformaldehyd  sowohl  wie  für  das  Trithioaceton 
(und  andere  von  einfachen  Ketonen  sich  ableitende  Trithioketone)  die 
Möglichkeit  stereoisomerer  Modificationen  nicht  besteht. 

Denkt  man  sich  die  Ceutren  der  drei  Kohlenstoifatome  und  der  drei 
Schwefelatome  in  einer  Ebene  gelagert,  so  werden  ofifeubar,  wie  sich  leicht 
unter  Zuhülfenahme  von  Tetraeder-Modellen  erkennen  lässt,  von  den  sechs 
noch  freien  KohlenstofFvalenzen  drei  von  dieser  Ebene  aus  nach  oben 
und  drei  nach  unten  gerichtet  sein.     Man  kann  dies  durch  das  Schema: 


"\ 


veranschaulichen ;  die  Ecken  des  Dreiecks  bedeuten  die  drei  Kohlenstoff- 
atome, die  Seiten  entsprechen  den  Schwefelatomen,  welche  die  Bindung 
je  zweier  Kohlenstoffatome  vermitteln;  die  von  jeder  Ecke  nach  oben  und 
unten  gerichteten  Striche  stellen  die  beiden  Valenzen  dar,  die  an  jedem 
Kohlenstoffatom  noch  verfugbar  sind.  Wenn  nun  diese  Valenzen  sämmt- 
lich  durch  gleichartige  Substituenten  beansprucht  sind,  wie  beim  Trithio- 
formaldehyd und  Trithioaceton: 


CII, 

C(cn,). 

o^^c 

X\ 

s      s 

s      s 

CHj  ■   S  ■  ~  CH2 

(CH,).6       S        C(CIf,),, 

Trithioformaldehyd 

Trithioaceton 

so  ist  offenbar  ein  Grund  zur  Isomerie  nicht  vorhfinden.  Wenn  aber, 
wie  beim  Trithioacetaldehyd,  an  jedem  Kohlenstoffatom  je  zwei  von 
einander  verschiedene  Substituenten  sich  befinden,  so  erscheinen  auch 
zwei  verschiedene  Configurationen  möglich,  je  nachdem  sich  die  drei  gleich- 
artigen Substituenten  auf  derselben  Seite  oder  zu  beiden  Seiten  der  Ebene 
befinden: 


Trithioaldehyden.  423 


CH3 

I 

n  /  II  \  Ti 


CHg  Clla  CHj  CH3 

cis-Form  cis-trans-Form 

Man  wird  diese  beiden  Modificationen  zweckmässig  als  cis-Form  und  cis- 
trans-Form  unterscheiden,  —  d.  h.  mit  denselben  Bezeichnungen  belegen, 
welche  man  für  die  bei  doppelter  Kohlenstoflfbindung  auftretenden  stereo- 
chemischen Isomeriefälle  verwendet  (vgl.  S.  86),  die  ja  in  ganz  analogen 
Verhältnissen  begründet  sind.  Bei  der  cis-trans-Form  befinden  sich  die 
einander  abstossenden  gleichartigen  Substituenten  möglichst  fem  von 
einander;  sie  ist  daher  höchst  wahrscheinlich  in  den  stabileren  /9-Modi- 
ficationen  anzunehmen,  'wofür  auch  andere  Gründe^  angeführt  werden 
können. 

Die  Nützlichkeit  stereochemischer  Erwägungen  hat  sich  in  der  Gruppe 
der  Thioaldehvde  besonders  bewährt  —  nicht  nur  dadurch,  dass  sie  zu 
einem  Verständniss  jener  interessanten  Isomerie- Erscheinungen  geführt 
hat.  Mit  ihrer  Hülfe  ist  man  auf  Fehler  in  den  früheren  Beobachtungen 
auf  diesem  Gebiet  aufinerksam  geworden.  Es  waren  nämlich  drei  isomere 
Trithioacetaldehyde  beschrieben,  während  die  oben  entwickelte  Theorie 
nur  zwei  Isomere  als  möglich  erscheinen  lässt.  Baumann  u.  Fbomm 
konnten  nun  in  der  That  durch  eine  Wiederholung  der  bez.  Versuche 
die  früheren  Angaben  als  irrthümlich  erweisen  und  zeigen,  dass  es  —  in 
Uebereinstimmung  mit  der  Theorie  —  nur  zwei  isomere  Trithioacet- 
aldehyde giebt. 

Den  trimolecularcn Thioformaldehyd'  —  Thioparaformaldehyd,  Trithio- 
formaldehyd,  Trithiomethylen  CgHjSa  =  (CHjS),  (Constitiitionsformel  s.  S.  422) 
~  erhält  man  am  besten  durch  Sättigen  einer  Mischung  von  1  Vol.  käuflicher  Form- 
aldehydlüsung  und  2  bis  3  Vol.  conc.  Salzsäure  mit  Schwefelwasserstoff.  Er  bildet  sich 
femer  bei  der  Keduction  von  Schwefelkohlenstoff,  von  Khodan wasserstoffsäure  oder  von 
Scnfolen  (wie  CgHs-NzCS)  mit  nascirendcm  Wasserstoff  und  durch  Umsetzung  zwischen 
Methylenjodid  CHjJ,  und  Natriumsulfid.  Er  krystallisirt  aus  Benzol  in  farblosen  qua- 
dratischen Prismen,  ist  in  reinem  Zustand  vollkommen  geruchlos,  schmilzt  bei  2\%^^ 
ist  in  heissem  Wasser  schwer  löslich,  leichter  in  heissem  Alkohol  und  in  Aether.  Er 
kann  unzersetzt  verflüchtigt  werden-,  seine  Molecularformel  gründet  sich  auf  die  Be- 
stimmung der  Dampfdichte  und  der  Gefrierpunkts -Erniedrigung.  Sie  steht  im  Ein- 
klang mit  der  Zusammensetzung  einer  Reihe  von  Verbindungen,  welche  der  Thio- 
formaldehyd  mit  Metallsalzen  eingeht,  wie  z.  E|.  CjUeSg-AgNOa  und  2(C3HeS8).PtCl4. 
—  Erwärmt  man  eine  mit  Schwefelwasserstoff  gesättigte  Lösung  von  Hexamethylen- 
unin,  80  scheidet   sich  dagegen  eine  amorphe   polymere  Modification  des  Thioform- 


^  Baumann  n.  Froi»,  Ber.  24,  1429. 

•  A.  W.  Hofmann,  Ann.  145,  360.  Ber.  1,  176;  2,  152;  3,  584.  —  Girard,  Ann. 
100,  306.  Compt  rend.  70,  625.  --  IIüsemann,  Ann.  126,  294.  ■—  Mansfeld,  Ber. 
19,  698.  —  Baümann,  Ber.  28,  63.  ~  Baumann  u.  Fromm,  Ber.  24,  1434. 


424  Thioformaldehyd  und 


aldehyds  ab,  der  Thiometaformaldehyd^  (CHjS)!!;  er  stellt  ein  weisses,  in  allen 
gewöhnlichen  Lösungsmitteln  unlösliches  Pulver  dar,  schmilzt  unscharf  zwischen  175 
und  186°  und  wird  bei  höherem  Erhitzen  zersetzt;  in  Anbetracht  dieser  Eigenschaften 
ist  anzunehmen,  dass  in  ihm  ein  höher  poljmerisirtes  Produkt,  als  der  Trithioform- 
aldehvd,  vorliegt. 

Durch  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  entsteht  aus  dem  Trithioformaldehyd 
das  Trimethylentrisulfon*; 


•SOj — CH2^ 

ch/  >so, 

\SO,-CH/ 


ein  in  Wasser,  verdünnten  Säuren,  Weingeist,  Aether,  Chloroform  und  Eisessig  un- 
lösliches Krystallpulver,  welches  von  conc.  Salpetersäure  oder  Schwefelsäure  selbst 
beim  Erwärmen  nicht  verändert  wird,  sich  in  kalter  Natronlauge  sehr  leicht  und  in 
der  Wärme  auch  in  Sodalösung  unter  Kohlensäureentwickelung  auflöst  (vgl.  S.  420). 
Monomolecularer'  Thloacetaldehyd  CHj-CHS  entsteht  neben  Polymeren 
bei  der  Zersetzung  des  rhodanwasserstoffsauren  Thialdins  (s.  S.  425)  mit  kochendem 
Wasser,  ist  indessen  bisher  noch  nicht  rein  abgeschieden  worden.  Er  stellt  eine  sehr 
leicht  flüchtige  Flüssigkeit  von  äusserst  heftigem  Geruch  dar  und  verbindet  sich  mit 

Wasser  leicht  zu  dem  Oxyäthylmercaptan  CH^-CU<(^        ,  welches  sich  weiter  nn^er 

\OII 

Wasserabspaltung  in  ölige  Produkte  verwandelt. 

Ein  dimolecularer  halbgeschwefelter  Acetaldehyd*  CSH4O,  CjH^S  vrird 
als  erstes  Produkt  der  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  eine  stark  saure 
Aldehydlösung  erhalten.  Er  krystallisirt  in  langen  Nadeln,  schmilzt  bei  60—61**,  ist 
ungemein  flüchtig,  in  Alkohol  und  Aether  sehr  leicht  löslich,  in  Wasser  unlöslich, 
siedet  unzersetzt  bei  166—168**,  scheidet  mit  Silbernitrat  und  Platinchlorid  sofort 
Schwefelmetalle  ab,  wird  dagegen  beim  Kochen  der  alkoholischen  Lösung  mit  Queck- 
silberoxyd nicht  entschwefelt.  Seine  Moleculargrösse  ist  durch  die  Dampfdichte- 
bestimmung ermittelt,  seine  Constitution  entspricht  wohl  der  Formel: 

CIL-CIK       >CII.CH3. 

Trithioacetaldehyde*  (031148)3  =  CeH^Ä  (Constitution  vgl.  S  422—423): 
«-Trithioacetaldehyd  entsteht  als  Hauptprodukt,  wenn  man  Schwefelwasser- 
stoff in  eine  Mischung  gleicher  Theile  von  Aldehyd,  Wasser  und  starker  Salzsäure 
einleitet.    Er  krystallisirt  aus  Aceton  in  prächtigen  durchsichtigen  Säulen,  ist  geruchlos, 
schmilzt  bei  101**  und  siedet  unzersetzt  bei  246—247**. 

|9-Trithioacetaldehyd  entsteht  dagegen  als  Hauptprodukt,  wenn  man  Aldehyd 
mit  dem  dreifachen  Volum  Alkohol,  welcher  zuvor  mit  Salzsäuregas  gesättigt  war, 
versetzt  und  nun  Schwefelwasserstoff  einleitet;  aus  dem  nt-Trithioaldehyd  bildet  er  sich 


*  Wohl,  Ber.  19,  2345.  —  Baumann  u.  Fromm,  Ber.  24,  1468. 

*  Baumann  u.  Camps,  Ber.  23,  69,  1874. 

*  Mabckwald,  Ber.  19,  1830.  —  Baumann,  Ber.  23,  69.  —  Poleck  u.  Thümmei*, 
Ber.  22,  2872. 

*  Marokwald,  Ber.  19,  1831. 

*  Weidenbüsch,  Ann.  66,  158.  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  3,  589.  —  Pikner, 
Ber.  4,  257.  —  Klinger,  Ber.  9,  1894;  10,  1879;  11,  1023.  —  Eltkkopp,  Ber.  10, 
1904.  —  BörriNGER,  Ber.  11,  2205.  —  Guareschi,  Ann.  222,  301.  —  Marckwald, 
Ber.  19,  1826;  20,  2817.  —  Baumann  u.  Fromm,  Ber.  22,  2600;  24,  1434,  1457.  — 
Poleck  u.  Thühmel,  Ber.  22,  2872. 


Thwacetaldehydc  (Tkialdln).  425 


durch  Einwirkung  von  conc.  Schwefelsäure  oder  von  Acetylchlorid.  Er  krystallisirt 
aus  E^essig  in  glänzend  weissen  Nadeln,  ist  geruchlos,  schmilzt  bei  125—126^,  siedet 
bei  245 — 248®  und  ist  mit  Wasserdämpfen  leicht  flüchtig. 

a-  und  /?-Trithioacetaldehyd  liefern  mit  Silbemitrat  je  zwei  Verbindungen  von 

der  Zusammensetzung  CeHigSj .  AgNOg  und  CeHj^Sg.  3AgN0g,  welche  mit  Alkohol 

einige  Zeit  gekocht  werden  können,  ohne  dass  Abscheidung  von  Schwefelsilber  eintritt. 

Die  Moleculargrösse  der  beiden  Trithioacetaldehyde  ist  durch  Bestimmung  der 

IXimpfdichte  und  der  Gefrierpunkts -Erniedrigung  festgestellt. 

Bei  der  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  liefern  beide  Tliioaldchyde  unter 
Aufnahme  Ton  6  Sauerstoffatomen  das  gleiche  Oxydationsprodukt:  das  Trithioacet- 
aldehyd-trisulfon  CgHigSgOe  (Constitutionsformel  vgl.  S.  420).  Dasselbe  bildet 
feine,  farblose  Nadeln,  sublimirt  oberhalb  340**,  ohne  vorher  zu  schmelzen,  und  ist 
in  den  meisten  Lösungsmitteln  schwer  löslich,  massig  leicht  in  heissem  Eisessig. 

In  naher  Beziehung  zu  den  Trithioacetaldehyden  steht  das  Thialdin'  CellisNS,: 
eine  Base,  welche  bei  der  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  eine  wässrige  Lö- 
sung von  Aldehydammoniak  erhalten  wird  und  auch  durch  Einwirkung  von  Ammo- 
niak auf  den  monomolecularen  Thioaldehyd  entsteht.    Es  bildet  grosse,  farblose  Kry- 
stalle  von  eigenthümlich  aromatischem  Geruch,  schmilzt  bei  43^,  ist  in  Wasser  sehr 
wenig,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich,  verflüchtigt  sich  unzersetzt  mit  Wasser- 
dämpfen, wird  aber  beim  Erhitzen  für  sich  zersetzt.     Beim  Erwärmen  mit  Silber- 
nitratlösung  wird   es   unter  Abscheidung   von  Schwefelsilber   und   Entweichen   von 
Aldehyd    zersetzt.      Das    Thialdin    ist    eine    einsäurige   Basis;    das    Chlorhydrat 
C«H,jNS,.HCl  ist  in  Wasser  leicht  löslich,  das  Khodanid  CoHisNS, . CSNH  bildet 
lange  Nadeln.    Beim  Kochen  des  letzteren  Salzes  in  wässriger  Lösung  tritt  Zersetzung 
unter  Bildung   von  Schwefelwasserstoff,    von  monomolecularem  und  trimolecularem 
Thioacetaldchyd  und  einer  Verbindung  (\H9NS3  ein.     Das  Thialdin   brsitzt  wahr- 
5^('heinUch  die  Constitution: 

^-CILCHj 

CHjCiH        \nH. 

Na-CH-CHs 

Mit  dieser  Formel  steht  es  im  Einklang,  dass  das  Methylthialdin  C^HigNSj 
I  Schmelzpunkt  79°),  welches  durch  Einwirkung  von  Methylamin  auf  den  monomole- 
cularen Thioaldehyd  erhalten  werden  kann,  sich  als  tertiäre  Base  erweist,  indem  es 
1  Mol.  Jodmethyl  fixirt,  um  in  eine  quaternäre  Ammoniumverbindung  überzugehen. 
i>ie  findet  femer  eine  Stütze  in  der  Bildung  von  Aethylidendisulfonsäure  CHs-CHiSOgH), 
bei  der  Oxydation  des  Thialdins. 

Durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  eine  verdünnte  Lösung  von 
Valeraldebyd  ist  ein  monomolecularer  Thiovaleraldehyd'  CjH^qS  erhalten 
worden,  welcher  weisse,  asbestartige  Krystalle  darstellt,  bei  69°  schmilzt,  äusseret 
widerlich  riecht  und  im  Vacuum  unzersetzt  flüchtig  ist. 

Thioaeetone«  Wenn  man  Schwefelwasserstoff  in  ein  abgekühltes  Gemisch  von 
Aceton  und  conc.  Salzsäure  einleitet,  so  resultirt  schliesslich  als  Hauptprodukt  das 
unten  näher  besprochene  Trithioaceton.  Das  erste  Produkt  der  Einwirkung  ist  indess 
ein  leicht  flüchtiger  Körper,  welcher  das  monomoleculare  Thioaceton*  (CH3)jCS 
darzustellen  scheint.     Dieser  Stoff  besitzt  einen  fürchterlichen  Geruch,  der  zwar  von 

*  WöHLER  u.  LiEBiG,  Auu.  61,  1.  —  Brüsewitz  u.  Cathander,  J.  pr.  98,  315.  — 
^lAREscHi,  Ber.  11,  1383,  1692.  —  Erikson,  Bull.  38,  129.  —  Marckwald,  Ber.  19, 
1H26,  2378.  —  Baumann  u.  Fromm,  Ber.  24,  14:>5). 

"  ScHROEDEB,  BcT.  4,  403,  468.  —  Vgl.  fonior  Barbaglia,  Bor.  13,  ir)74^  17,  2654. 

*  BAüKAirN  u.  Fromm,  Ber.  22,  2593. 


426  Thioacetmie, 


dem  damit  Experimentirenden  nicht  gerade  unangenehmer  als  der  Geruch  ändert: 
leicht  flüchtiger  Schwefel  Verbindungen  empfunden  wird,  sich  aber  in  erstannlich 
kurzer  Zeit  verbreitet  und  ganze  Stadttheile  verpestet.  Jeder  Versuch,  denBAnuxii 
und  Frokm  in  Freiburg  mit  dieser  Substanz  anstellten,  brachte  die  dem  Laboratorium 
benachbarten  Strassen  in  Aufregung  und  entfesselte  einen  Sturm  von  Klagen.  l>ie 
Isolirung  und  Untersuchung  dieser  interessanten  Verbindung  musste  daher  unterbleib»'!!. 
Die  Intensität  ihres  Geruchs  scheint  Alles  zu  übertreffen,  was  von  stark  riechendeD 
Stoffen  bekannt  geworden  ist;  äusserst  geringe  Mengen  genügen ,  um  Millionfo 
Cubikmeter  Luft  zu  verpesten. 

Dimoleculares  Thioaceton,  Duplothioaceton^  (CjH^S),  =  CtH,,S,  ent- 
steht durch  Einwirkung  von  Phosphortrisulfid  auf  Aceton.  Es  ist  ein  gelbliches,  mit 
Wasser  nicht  mischbares  Oel,  welches  bei  183—185®  siedet,  unangenehm  riecht  ond 
die  Haut  heftig  afficirt.  Seine  Moleculargrosse  ist  durch  die  Bestimmung  der  DampJ- 
dichte  und  der  Gefrierpunkts -Erniedrigung  ermittelt,  seine  Constitution  durch  di» 
Formel : 


(CH3'),C<      >C(CH,1, 

auszudrücken.  Dieser  Formel  entsprechend  tritt  es  mit  Hydroxylamin  nicht  in  Reac- 
tion,  zeigt  aber  die  Reactionen  der  Sulfide.  Mit  Jodmethyl  vereinigt  es  sich  schon 
bei  gewöhnlicher  Temperatur,  durch  Oxydation  geht  es  in  das  Disulfon: 

(CH8l,C<^       ^CCCHg),    über. 

Durch  Einwirkung  von  gelbem  Schwefelammonium  auf  Aceton  entsteht  üuplo- 
di -thioaceton"  [(CHg^jCSj],  =  CeHigS4:  farblose,  in  Wasser  unlösliche,  mit  Wa&*pr- 
dämpfen  flüchtige  Krystalle,  welche  bei  98*  schmelzen  und  bei  243®  unter  thoW- 
weiser  Zersetzung  sieden.  Eine  Moleculargewichtsbestimmung  dieser  Verbindnug  isi 
noch  nicht  ausgeführt. 

Trithioaceton«  (CjHeSJs  =  CglTjaSs  (Gonstitutionsformel  vgl.  S.  422)  enteteht. 
wie  schon  erwähnt,  als  Hauptprodukt  bei  der  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  au^ 
Aceton  in  Gegenwart  von  conc.  Salzsäure.  Es  ist  eine  farblose,  sehr  krystallisations- 
fähige,  mit  Wasserdämpfen  flüchtige  Substanz,  schmilzt  bei  24°  und  siedet  unter  ISnim 
Druck  bei  130®.  In  Wasser  ist  es  unlöslich,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich. 
Seine  Molecularformel  gründet  sich  auf  die  Bestimmung  der  Gefrierpunktsemiedriguug. 
Mit  Silbemitrat  in  alkoholischer  Lösung  liefert  es  zunächst  einen  weissen  Nic<ier- 
schlag,  der  aber  fast  augenblicklich  durch  Bildung  von  Schwefelsilber  schwarz  winl. 
Ijässt  man  es  unter  gewöhnlichem  Druck  sieden,  so  verwandelt  es  sich  allmfihlieb 
in  das  dimoleculare  Tliioaceton.  Das  durch  Oxydation  des  Trithioacetons  entstehende 
Trisulfon  C9H,gS30o  ist  eine  sehr  sqhwer  lösliche  Substanz  vom  Schmelzpunkt  302 '. 

Neben  dem  monomolecularen  Thioaceton  und  dem  Trithioaceton  entsteht  bei 
der  Behandlung  des  Acetonsalzsäuregemisches  mit  Schwefelwasserstoff  noch  in  ^^ 
ringer  Menge  das  mit  Wasserdampf  nicht  flüchtige,  bei  171®  schmelzende  Tetn- 
thiopenton  C,5H29S4. 


*  WiSLicENUs,  Ztschr.  Chem.  1869,  824.    —    Lach,  Ber.  16,  1787.     —    Spbiso, 
Ber.  16,  1368.  —  Aüteneibth,  Ber.  20,  374.  —  Fuomm  u.  Baumann,  Ber.  22,  1040. 

*  WfLiiOERODT,  Ber.  20,  2467. 

'  Fromm  u.  Baumaxn,  Ber.  22,  1035,  2595. 


B.  Die  ungesättigten  Kohlenwasserstoffe  und  ihre  einwertWgen 


Zwölftes  Kapitel. 

Allgemeines  über  die  Constitution  der  ungesättigten 

Verbindungen. 

Die  Verbindungen,  welche  bisher  besprochen  wurden,  leiteten  sich 
von  den  Grenzkohlenwassers toifen  ab;  das  charakteristische  Constitutions- 
merkmal  dieser  Grenzkohlenwasserstoffe  wurde  darin  erblickt,  dass  für 
die  Bindung  der  zu  einer  ofienen  Kette  vereinigten  Kohlenstoffatome 
an  einander  nur  die  unbedingt  nothwendige  Zahl  von  Valenzen 
aufgewendet  wird,  während  alle  übrig  bleibenden  Valenzen  zur  Bin- 
dung je  eines  Wasserstoffatoms  verbraucht  werden.  Ihre  Zusammen- 
setzung konnte  allgemein  durch  die  Formel  C^Hg^^^j  wiedergegeben 
werden  (vgl.  S.  95—96,  121). 

Wenn  wir  uns  nun  zu  den  Reihen  von  Kohlenwasserstoffen  wenden, 
welche  ärmer  an  Wasserstoff*  sind,  deren  Zusammensetzung  durch 
Foi-meln  wie  C^H^^,  C5,^H3jj_2  etc.  ausgedrückt  ward,  so  haben  wir  uns 
zunächst  die  Frage  vorzulegen:  Durch  welche  Eigenthümlichkeit  der 
Constitution  ist  es  begründet,  dass  das  Kohlenstoffskelett  dieser  Kohlen- 
wasserstoffe nicht  so  viel  Wasserstoffatome  trägt,  als  es  zu  binden  ver- 
mag, dass  es  mit  Wasserstoffatomen  nicht  vollkommen  gesättigt  ist? 

Halten  wir  an  der  Annahme  fest,  dass  das  Wasserstofl'atom  con- 
stant  einwerthig,  das  Kohlenstoffatom  constant  vierwerthig  fungirt,  so 
bieten  sich  nur  zwei  Möglichkeiten  zur  Erklärung: 

Entweder  es  bleiben  einzelne  Kohlenstoffvalenzen  frei,  z.  B.: 

— CHg — CHg — 5       CHj — CH<C  • 

Oder  die  nicht  zur  Bindung  von  Wasserstoff  verbrauchten  Valenzen 
von  verschiedenen,  schon  mit  einander  in  Verbindung  stehenden  Kohlen- 
stoffatomen sättigen  sich  gegenseitig:  CH2<>CH2. 

Die  erste  Annahme  scheint  zunächst  nicht  unbedingt  von  der  Hand  zu 
weisen.  Kennt  man  doch  einzelne  Verbindungen  anderer  Elemente,  in  deren 
Molecülen  man  freie  Valenzen  anzunehmen  genöthigt  ist,   so  das  Stick- 

o&yd  N^   ;  und  auch  eine  der  einfachsten  Kohlenstoffverbindungen,  das 


428  I.He  Annahme  mehrfacher  Bindung  %,ur 


Kohlenoxyd,  lässt  sich  ja  kaum  anders  deuten,  als  durch  die  zwei  freie 
Affinitäten  aufweisende  Formel  C^O. 

Aber  gerade  für  den  vorliegenden  Fall  wird  diese  Annahme  äusserst 
unwahrscheinlich,  wenn  man  die  Zusammensetzung  der  ungesättigten 
Kohlenwasserstoffe  näher  in  Betracht  zieht.  Könnten  in  Kohlenwasser- 
stoffmolecülen  Kohleustoffvalenzen  frei  bleiben,  so  wäre  nicht  einzusehen, 
warum  es  nicht  auch  ungesättigte  Kohlenwasserstoffe  mit  einem  einzigen 
Kohlenstoffatom  giebt,  warum  sich  nicht  an  das  Grubengas  CH^  z.  B. 
die  wasserstoffärmeren  Körper  CHg  und  CHg  anschliessen.  Derartige 
Verbindungen  scheinen  indessen  nicht  existiren  zu  können^;  denn  in  allen 
Reactionen,  durch  welche  die  Verbindung  CH3  entstehen  könnte,  bildet 
sich  stets  statt  ihrer  die  Verbindung  C^J^QB.^ — CH3,  Aethan),  und  ebenso 
erhält  man  stets  statt  der  Verbindung  CHg  das  Aethylen  C2H^(CH2=^CH2), 
indem  offenbar  die  nicht  befriedigten  Valenzen  eines  Kohlenstoffatoms 
das  Bestreben  haben,  sich  mit  denen  eines  zweiten  Kohlenstoffatoms  zu 
sättigen. 

Könnten  in  Kohlenwasserstoffmolecülen  einzelne  Kohlenstoffvalenzen 
frei  bleiben,  so  wäre  es  ferner  nicht  zu  begreifen,  warum  in  allen  be- 
kannten Kohlenwasserstoffen  die  Anzahl  der  Wasserstoffatome  eine  gerade 
ist.  An  die  Reihe  der  Paraffine  C^^Hg^^g  schliesst  sich  unserer  Kenntniss 
nach  unmittelbar  die  Reihe  der  Alkylene  C^Hg,,,  an  letztere  die  Reihe  der 
Acetylene  (ij^2n~2  ^^  ^-  ^-  ^-  Warum  kennt  man  kein  einziges  Glied 
der  Reihen  C^Hg^^i,  Gyß^2n—\^  ^n^2n— s  ^^^-j  wenn  an  den  Kohlenstoff- 
atomen Valenzen  ausser  Function  bleiben  können? 

Die  Erfahrung  hat  bisher  keinen  einzigen  ungesättigten 
Kohlenwasserstoff  kennen  gelehrt,  der  in  seinem  Moleciil  nur 
ein  Atom  Kohlenstoff  enthält,  ferner  keinen  einzigen,  der  des 
Zutritts  einer  ungeraden  Zahl  von  Wasserstoffatomen  bedarf, 
um  in  den  gesättigten  Zustand  überzugehen. 

Darum  verwerfen  wir  die  erste  der  oben  aufgestellten  Erklärungen 
für  die  Existenz  der  ungesättigten  Verbindungen  und  nehmen  vielmehr 
an,  dass  in  ihren  Molecülen  die  an  verschiedenen  Kohlenstoffatomen  für 
die  Bindung  anderer  Elemente  nicht  verbrauchten  Valenzen  sich  mit 
einander  sättigen^. 

Welche  Structurmöglichkeiten  ergeben  sich  unter  dieser  Annahme 
für  die  ungesättigten  Kohlenwasserstoffe? 

Betrachten  wir  zunächst  die  gegen  die  Grenzreihe  um  zwei  Wasser- 

>  Vgl.  z.  B.  BüTLEROW,  Ann.  120,  .356.     Ztschr.  Chem.  1862,  519  Anm. 

•  Im  Beginn  der  Entwickelung  der  Strueturtheorie  bevorzugte  man  die  Erklärung 
der  ungesättigten  Verbindungen' durch  Annahme  von  zweiwerthigen  Kohlenstofiatomen 
oder  von  un<?esättigten  Affinitäten.  Für  die  jetzt  wohl  allgemein  getheiltt»  Annahme 
der  mohrfachen  Bindung  ist  hauptsächlich  Erlgnmeyer  eingetietcn.  Ueber  die  histo- 
rische Entwickelung  der  Ansichten  über  dieses  Problem  vgl.  die  Zusammenstellung  in 
W.  V.  Schnbider's  Abhandlung,  Ann.  157,  185. 


Erklänmg  der  ungesättigten  Verbindu7igem  429 


stoffatome  ärmere  Reihe  der  Alkylene  C^Hgn.  Sie  kann  erst  mit  dem 
zwei  KohlenstofFatorae  enthaltenden  Gliede  CgH^  (Aethylen)  beginnen,  für 
welches  nur  die  Structur: 

IL  AI 

H/  MI 

möglich  erscheint.  Diese  Formel  —  eine  doppelte  Bindung  zwischen 
zwei  Kohlenstoffatomen  aufweisend  —  steht  mit  dem  Verhalten  des  Aethylens 
im  besten  Einklang.  Wie  alle  ungesättigten  Verbindungen,  besitzt  das 
Aethylen  das  Bestreben,  unter  Aufnahme  von  Atomen  oder  Radicalen 
in  gesattigte  Verbindungen  überzugehen.  In  Berührung  mit  Chlor  z.  B. 
zieht  es  die  beiden  Chloratome  eines  Chlormolecüls  heran,  um  eine  ge- 
sättigte Verbindung,  das  Aethylenchlorid  CgH^Clg,  zu  bilden: 

CH2  CH3CI 


OH,  CHjCl 

Da  wir  diesen  Vorgang  als  bedingt  durch  den  Uebergang  einer  doppelten 
Kohlenstoff bindung  in  eine  einfache  auffassen,  da  demzufolge  von  den 
beiden  für  die  Fixirung  der  Chloratome  verfügbar  werdenden  Valenzen 
jedem  Kohlenstoffatom  je  eine  angehört,  so  müssen  wir  die  Forderung 
aufstellen,  dass  in  dem  Reactionsprodukt  die  beiden  Chloratome  auf  die 
beiden  Kohlenstoffatome  symmetrisch  vertheilt  sind. 

Dieser  Nachweis  ist  leicht  zu  erbringen.  Für  Verbindungen  von 
der  Zusammensetzung  CgH^CIg  giebt  es  nur  die  beiden  Structurmöglich- 
keiten  (vgl.  S.  61): 

CHjCl-CHjCl         und  CHj— 01101,. 

Nun    entsteht  aus   dem  Acetaldehyd   durch   Einwirkung  von  Phosphor- 

pentachlorid: 

C,H,0  +  POlß  =  C,H401,  +  POCI3 

eine  Verbindung  dieser  Zusammensetzung,  das  Aethylidenchlorid ^.  In 
dieser  Reaction  ist  offenbar  das  Sauerstoffatom  des  Aldehyds  einfach 
durch  zwei  Chloratome  vertreten  worden: 

CH3.CHO >-     CHgOHOlj, 

die  beiden  Chloratome  des  ßeactionsproduktes  werden  daher  an  einem 
und  demselben  Kohlenstoffatome  haften,  und  das  Aethylidenchlorid  er- 
hält die  zweite  der  obigen  Formeln.  Das  aus  Aethylen  und  Chlor  ent- 
stehende Aethylenchlorid  ist  aber  durchaus  davon  verschieden,  und  dem- 
nach bleibt  für  dieses  nur  noch  die  erste  Formel: 

CH,Cl-0H,01 

übrig,  womit  die  aus  der  Formel  des  Aethylens  abgeleitete  Folgerung 
bestätigt   wird. 


«  Ghüther,  Ann.  105,  323. 


[i 


f., 


430 


Isomeris  bei 


Auf  das  Aetliylen  C^ü^  folgen  in  der  Reihe  C^Hg,,  die  Kohlenwasser- 
stoffe von  der  Zusammensetzung  CgH^;  es  ergeben  sich  zwei  Structui-- 
möglichkeiten : 

CH,    CII-CH3         und         CH,/|    '• 

Propylen  ^^a 

Trimethylcn 

Nur  die  erste  dieser  Formeln  stellt  ein  wahres  Homologes  des  Aethyleus, 
Methyläthylen,  dar.  Die  Verbindung  der  zweiten  Formel  gehört  einer 
ganz  anderen  Reihe  an;  sie  enthält  einen  Ring  von  drei  Kohlenstoff- 
atomen und  ist  demnach  eine  der  isocyclischen  Verbhidungen,  welche 
erst  später  (Bd.  II)  im  Zusammenhange  besprochen  werden  sollen.  In 
ihrem  Molecül  findet  sich  keine  mehrfache  Kohlenstoffbindung;  sie  ist 
kein  „ungesättigter^'  Kohlenwasserstoff  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes, 
trotzdem  sie  zwei  Wasserstoffatome  weniger  enthält,  als  der  Grenzkohlen- 
wasserstoff der  dritten  Reihe,  das  Propan  CgH^;  sie  ist  vielmehr  als  ein 
gesättigter  cydischer  Kohlenwasserstoff  zu  bezeichnen.  Von  den  beiden 
bekannten  Kohlenwasserstoffen  CgH^  zeigt  in  der  That  nur  der  Eine  voll- 
kommene Analogie  mit  dem  Aetliylen  in  seinen  Reactionen;  er  besitzt 
das  gleiche  Additionsvermögen  wie  das  Aethylen,  und  es  lässt  sich  zeigen, 
dass  von  den  fixirten  Atomen  eines  an  das  mittelständige  Kohlenstoffatom 
herantritt;  denn  es  entsteht  durch  Anlagerung  von  Jodwasserst<;Ö*  das 
Isopropyljodid: 

CHgCHiCHj +  HJ    =    CHj.CHJCHa, 

in  ihm  erblickt  man  daher  das  Propylen  oder  Methyläthylen.  Der  andere 
Kohlenwasserstoff  Cg Hg  ist  zwar  auch  zu  Additionsreactionen  befähigt;  so 
vermag  er  zwei  Bromatome  aufzunehmen,  um  in  eine  Grenzverbindung 
überzugehen;  aber  diese  Addition  erfolgt  viel  langsamer,  und  das  Additions- 
produkt CH^Br-CHg-CHjBr  (Trimethylenbromid,  vgl.  Kap.  19)  enthält  die 
Bromatome  an  nicht  benachbarten  Kohlenstoffatomen,  wie  später  näher 
begründet  werden  wird;  ihn  fasst  man  daher  als  Trimethylen  auf.  Nur 
das  Propylen  und  seine  Abkömmlinge  —  als  wahre  ungesättigte  Verbin- 
dungen —  sind  in  den  folgenden  Kapiteln  abzuhandeln. 

Für   die  Formel  C^Hg   lassen   sich  fünf  Structurmöglichkeiten  ab- 
leiten: 


1.  CHa-CHa-CHiCHj 

2.  CHjCHiCHClIs 

CH,v 


4.  CH, 


3. 


CH3 


/ 


CiCHg 


5. 


CHj — CH, . 

Auch  hier  haben  wir  uns  zunächst  auf  die  links  geschriebenen  Ver- 
bindungen (Butylene)  mit  offener  Kohlenstoff'kette  zu  beschränken,  wäh- 
rend die  rechts  geschriebenen  erst  später  bei  den  isocyclischen  Verbin- 
dungen zu  berücksichtigen  sind. 


1 


ungesätti{ftcn  Kohlenwasserstoffen.  431 


In  der  auf  die  Aethylenreilie  folgenden,  wieder  um  zwei  Wasser- 
stoffatome ärmeren  Acetylenreihe  C^Hg^^g  ist  das  erste  Glied  das  Ace- 
tylen  selbst  C^Hj,  für  welches  bei  Befriedigung  aller  Valenzen  lediglich 

die  Formel: 

CH=CH 

mit  einer  dreifachen  Bindung  zweier  Kohlenstoffatome  sich  aufstellen 
lässt.  Der  Zusammensetzung  CjH^  entsprechen,  wenn  wir  von  der  cycli- 
schen  Gruppirung; 


ch/|i 


zunächst  absehen,  zwei  Formeln: 

CIIaCiCH        und        CHgiCiCH,. 

Sie  sind  die  beiden  ersten  Repräsentanten  zweier  ünterabtheiluugen,  in 
welche  die  Acetylenreihe  sich  spaltet,  die  eine  charakterisirt  durch  das 
Vorkommen  einer  dreifachen  Bindung,  die  andere  durch  das  Vor- 
kommen zweier  doppelter  Bindungen. 

Eine   vierfache   Bindung   zweier  Kohlenstoffatome   könnte   offenbar 
nur  in  einer  einzigen  Verbindung: 

bestehen;  bei  der  t^traedrischen  Auffassung  des  Kohlenstoffatoms  er- 
scheint sie  überhaupt  nicht  denkbar.  Auch  kennen  wir  diese  Verbindung 
Cj  nicht,  denn  die  Molecüle  des  uns  bekannten  elementaren  Kohlenstoffs 
—  jener  in  den  höchsten  Hitzegraden  nicht  schmelzbaren,  geschweige 
denn  vergasbaren  Substanz  —  enthalten  jedenfalls  eine  viel  grössere 
Zahl  von  Kohlenstoffatomen. 

Bei  der  Ableitung  der  theoretisch  möglichen  Isomeriefälle  ist  oben 
zunächst  nur  auf  die  Verkettungsweise  der  Atome  Rücksicht  genommen 
worden.  Es  muss  indess  daran  erinnert  werden,  dass  mit  dem  Eintritt 
der  doppelten  Bindung,  wie  im  allgemeinen  Theil  bereits  näher  aus- 
geführt wui'de  (vgl.  S.  85 — 86),  die  Möglichkeit  für  das  Zustandekommen 
von  räumlich  isomeren  Verbindungen  sich  einstellt,  da  die  freie  Drehbar- 
keit der  Kohlenstoffatome  durch  die  Doppelbindung  aufgehoben  wird.  So 
konnte  z.  B.  unter  den  S.  430  erörterten  Verbindungen  C^Hg  das  an 
zweiter  Stelle  aufgeführte  Dimethyläthylen  CH3-CH:CH-CH3  in  zwei 
stereochemisch  verschiedenen  Formen  auftreten: 

H      CHa  H      CHj 


H      CHg  CH3 

eis- Dimethyläthylen  cis-trans-Dimethyläthylcn 


\ 


9t 


432  Verhäliniss  zvnschen  einfacher 


Auch  die  dreifache  Bindung  verhindert  natürlich  die  davon  beti'ofFenen 
KohlenstoflFatome,  unabhängig  von  einander  zu  rotiren;  aber  ein  BHck 
auf  das  die  dreifache  Bindung  versinnhchende  Schema: 


zeigt  sofort,  dass  weitere  Isomerie-Erscheinungen  hier  nicht  mehr  zu  den 
durch  verscliiedene  Structur  bedingten  hinzutreten  werden. 

Mehrfache  Kohlenstoff bindung  —  doppelte  oder  dreifache  —  also  ist  es,  wo- 
durch sich  die  ungesättigten  Verbindungen  von  den  gesättigten  unterscheiden.  So 
einfach  sich  auf  dem  Papier  oder  am  Modell  diese  Auffassung  ihrer  Constitution 
durchführen  lässt,  so  ist  es  doch  schwer  von  dem  Wesen  der  mehrfachen  Bin- 
dung* eine  klare  Vorstellung  zu  gewinnen. 

Beim  Nachdenken  über  die  Ursachen  und  die  Folgen  einer  mehrfachen  Ver- 
kettung zweier  Kohlenstoüatome  könnte  man  zunächst  zu  der  Ansicht  kommen,  dass 
doppelt  gebundene  Kohlenstoffatome  mit  grösserer  Kraft  an  einander  haften  sollten, 
als  einfach  gebundene,  dreifach  gebundene  wieder  fester  verknüpft  sein,  als  doppelt 
gebundene.  Aber  die  Thatsachen  scheinen  dieser  Anschauung  nicht  günstig  zu  sein. 
Schon  lange  hat  man  beobachtet,  dass  die  Molecüle  ungesättigter  Verbindungen  gerade 
an  denjenigen  Stellen  besonders  zu  einem  Zerfall  geneigt  sind,  wo  Kohlenstoffatomc 
in  mehrfacher  Bindung  zu  einander  stehen;  so  werden  z.  B.  die  ungesättigten  Säuren  bei 
der  Behandlung  mit  Oxydationsmitteln  meist  an  dieser  Stelle  gespalten.  Man  hatte  ferner 
gefunden,  dass  Verbindungen  mit  dreifachen  Kohlenstoffbindungen  sehr  häufig  durch 
heftig  explosive  Eigenschaften  ausgezeichnet  sind,  und  glaubte  den  Grund  dieser  Un- 
beständigkeit in  dem  Vorhandensein  der  dreifachen  Bindungen  erblicken  zu  müssen. 
Das  Stärke  verhältniss  der  verschiedenen  Biudungsarten  schien  demnach  gerade  umgekehrt 
zu  sein,  als  man  es  auf  Grund  jener  nächstliegenden  Vorstellung  erwarten  musste. 

Es  ist  nun  freilich  nicht  nöthig,  die  erwähnten  Thatsachen  dahin  zu  deuten, 
dass  die  mehrfache  Bindung  lockerer  als  die  einfache  ist.  So  hat  sich  gezeigt,  dass 
der  Oxjdationsvorgang  ungesättigter  Säuren  zunächst  in  der  Addition  zweier  Hydro- 
xylgruppen an  der  Stelle  der  doppelten  Bindung  besteht: 

>C  >C-OH 

>C  >C-OII ' 

die  ursprünglich  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatome  werden  dadurch  mit  Sauerstoff 
beladen,  und  es  hat  nun  nichts  Auffallendes  mehr,  entspricht  vielmelu*  vollkommen 
dem  in  vielen  anderen  Fällen  beobachteten  Oxydationsverlauf,  wenn  das  Oxydations- 
mittel seine  weitere  Wirksamkeit  auf  diese  schon  „theilweise  oxydirtcn"  Kohlenstoff- 
iitome  richtet  und  gerade  hier  eine  Spaltung  des  Molecüls  bewirkt  (vgl.  d.  Oxydation  der 
Alkohole  S.  152—153,  der  Ketone  S.  409—410).     Andererseits  braucht  auch  bei  jenen 


*  Baeyer,  Ber.  18,  2277^  23,  1274.  —  Wunderlich,  Configuration  organischer 
Molecüle  (Leipzig  1886).  —  Lossen,  Ber.  20,  3306.  —  Wislicenüs,  Ber.  21,  581.  — 
V.  Meyer,  Ber.  21,  265  Anm.;  23,  581,  618.  —  V.  Meyer  u.  Rieckb,  Ber. 
21,  946.  —  AuwERs,  Entwickelung  der  Stereochemie  (Heidelberg  1890),  S.  22 — 35.  — 
Naumann,  Ber.  23,  477.  —  Vgl.  auch  Brühl,  Ann.  211,  162,  371. 


und  mehrfacher  Kohlenstoffbindu7ig.  433 


explosiven  Verbindungen  nicht  gerade  die  dreifache  Bindung  die  Ursache  ihrer  Un- 
bestfindigkeit  zu  sein;  denn  diese  Verbindungen  besitzen  auch  andere  Eigenthümlich- 
keiten  in  ihrer  Constitution,  welche  wohl  zur  Erklärung  ihres  leichten  Zerfalls  her- 
beigezogen werden  könnten.    Wenn  z.  B.  die  Tetraacetylendicarbonsäure: 

COOH-C^C-C=C-C~C-C— C~COOH 
im  höchsten  Grade  explosiv  ist,  so  kann  man  anstatt  der  Gegenwart  von  vier  drei- 
fachen Bindungen  zur  Erklärung  hierfür  auch  den  Umstand  heranziehen,  dass  sie 
ihrer  Zusammensetzung  nach  nahezu  als  Kohlenstoff  plus  Kohlensäure  angesehen  werden 
kann;  man  findet  es  häufig,  dass  Verbindungen,  deren  Zusammensetzung  den  glatten 
Zerfall  in  einfachere  und  stabilere  Molecüle  ermöglicht,  die  Eigenschaft  der  Ex- 
plosivität besitzen;  so  zerföllt  das  Oxalsäure  Silber  zuweilen  unter  heftiger  Explosion 
in  Kohlensäure  und  Silber  (AgjC204  =  Agj  +  2  CO,).  Der  Umstand  femer,  dass  grade 
das  Acetylen  CH=CH  sich  im  elektrischen  Lichtbogen  aus  weissglühender  Kohle 
nnd  Wasserstoff  bildet  (vgl.  S.  453),  spricht  jedenfalls  nicht  dafür,  dass  die  dreifache 
Kohlenstoffbindung  eine  besondere  Unbeständigkeit  bedingt. 

Wenn  demnach  aus  dem  chemischen  Verhalten  der  ungesättigten  Verbin- 
dangen  allein  vorläufig  kein  zwingender  Grund  entnommen  werden  kann,  die 
mehr^Eiche  Bindung  für  schwächer  zu  erklären  als  die  einfache,  so  lässt  sich  doch 
mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  auf  Grund  thermochemischer  Daten  behaupten,  dass 
die  Kraft,  mit  welcher  zwei  doppelt  bezw.  dreifach  gebundene  Kohlen- 
stoffatome sich  festhalten,  nicht  den  doppelten  bezw.  dreifachen  Werth 
der  zwischen  zwei  einfach  gebundenen  Kohlcnstoffatomen  wirksamen 
Kraft  erreicht,  sondern  erheblich  dahinter  zurückbleibt'. 

Dass  wir  es  aber  bei  der  Bindung  zweier  Kohlenstoffiitome  durch  zwei  oder 
drei  Valenzen  überhaupt  gar  nicht  mit  einer  zweifachen  bezw.  dreifachen  Wieder- 
holung desselben  Vorganges  zu  thun  haben,  der  sich  bei  der  einfachen  Kohlen- 
stoffbindung abspielt,  wird  einleuchtend,  wenn  man  die  Erscheinung  der  mehrfachen 
Bindung  vom  stereochemischen  Standpunkt  aus  aufzufassen  versucht.  Bei  solchen 
Erörterungen  macht  sich  allerdings  sofort  der  Mangel  einer  klaren  Vorstellung  vom 
Wesen  der  Valenz  sehr  fühlbar. 

Solange  es  sich  um  gesättigte  Verbindungen  handelte,  konnten  wir  an  der  Vor- 
stellung festhalten ,  das  Kohlenstoffatom  sei  ein  materieller  Punkt ,  von  dem  vier 
Kräfte  nadh  vier  mit  einander  den  gleichen  Winkel  einschliessenden  Richtungen  aus- 
gehen.    Für  die  doppelte  Bindung  kommen  wir  zu  dem  Schema: 


> 


die  von  einem  Kohlenstoffatom  ausgehenden  zwei  Valenzen  treffen  sich  mit  den 
Valenzen  des  zweiten  Kohlenstoffatoms  unter  einem  Winkel  im  leeren  Räume.  Eine 
polohe    Wirkungsweise   ist   nun   selbstverständlich   zwischen   Kräften  nicht  denkbar. 

*  Es  ergiebt  sich  dies  aus  einem  Vergleich  der  Veränderungen,  welche  die  Ver- 
brennnngswärme  durch  den  Austritt  zweier  Wasserstoffatome  erleidet,  wenn  derselbe 
entweder  bedingt  wird  durch  die  einfache  Bindung  zweier  vorher  nicht  mit  einander  ver- 
bundener Kohlenstoffatome  aus  zwei  verschiedenen  Molecülen  oder  durch  den  Ueber- 
jrang  einer  einfachen  in  eine  doppelte  oder  einer  doppelten  in  eine  dreifache  Bindung. 
Um  ans  den  beobachteten  Zahlen  den  oben  ausgesprochenen  Satz  abzuleiten,  bedarf 
es  nur  der  Voraussetzung,  dass  die  Kraft,  mit  welcher  ein  Wasserstoffatom  an  ein 
Koblenstoffatom  gebunden  ist,  unter  allen  Umständen  —  auf  welche  Weise  auch 
sonst  die  Valenzen  des  betr.  Kohlenstoffatoms  beansprucht  seien  —  annähernd  gleich 
bleibt;  gegen  diese  freilich  nicht  bewiesene  Annahme  wird  man  kaum  erhebliche  Be- 
denken haben.  Ueber  die  Berechnung  vgl.  Thomsen,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  1,  369; 
7^  55.  —  HoBSTKANN,  BcT.  21,  2211.  —  DiEFFENBAcii,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  5,  569. 
V.  Hktbb  n.  jAO<»BSO?r,  org.  Chem.   I.  28 


434  Die  mehrfache  Bindung,  vom 


Man  könnte  denken,  dass  entweder  je  zwei  von  einem  Kohlenstoüatom  ausgehende 
Kräfte  durch  eine  Resultirende  in  der'  Richtung  der  Verbindungslinie  der  beiden 
KohlenstoiFatome  ersetzt  werden: 


)x?— •— C< 


oder  dass  die  Valenzen  aus  ihrer  ursprünglichen  Lage  so  weit  abgelenkt  werden,  bis 
sie  in  die  Richtung  dieser  Verbindungslinie  fallen.  Aber  in  beiden  Fällen  wäre  kein 
Grund  zu  sehen,  warum  durch  die  doppelte  Bindung  die  freie  Drehbarkeit  der  beiden 
Kohlenstoffatome  um  die  sie  verbindende  Axe  aufgehoben  sein  soll;  denn  zwischen 
den  beiden  Atomen  wirkt  ja  dann  doch  schliesslich  nur  eine  Kraft,  deren  Achtung 
mit  der  sie  verbindenden  Geraden  zusammenfällt. 

Die  Annahme  aber,  dass  die  freie  Rotation  der  Kohlenstofiatome  durch  doppelte 
Bindung  aufgehoben  wird,  werden  wir  nicht  fallen  lassen;  denn  die  sich  aus  ihr  als 
möglich  ergebenden  IsomerieföUe  entsprechen  ja  den  wirklich  aufgefundenen  und 
durch  Structur Verschiedenheit  nicht  erklärbaren  Isomerieerscheinungen;  gerade  diese 
Folgerungen  gehören  zu  den  wichtigsten  und  nützlichsten,  welche  die  stereochemiscbe 
Theorie  gezeitigt  hat.  Es  ist  nun  aber  nach  Obigem  klar,  dass  man,  wenn  diesen  Fol- 
gerungen nicht  die  Berechtigung  entzogen  werden  soll,  mit  den  Atomen  nicht  mehr 
wie  mit  materiellen  Punkten  rechnen  darf,  sondern  gezwungen  ist,  ihnen 
endliche  Ausdehnung  beizulegen.  Es  erweist  sich  demnach  nicht  als  genügend, 
mit  bestimmten  Annahmen  über  die  räumliche  Vertheilung  der  von  einem  Kohlen- 
stoffatom ausgehenden  Valenzen  zu  operiren;  vielmehr  muss  man  versuchen,  auch 
zu  Vorstellungen  über  den  räumlichen  Bau  des  Kohlenstoffatoms  selbst  zu  gelangen. 

Man  kann  sich  das  Kohlenstoffatom  zunächst  als  räumlich  ausgedehnte  Masse 
von  beliebiger  Form  vorstellen,  die  vier  Affini tätaeinheiten  als  vier  Punkte,  die  auf 
der  Oberfläche  so  orientirt  sind,  dass  sie  den  Ecken  eines  regulären  Tetraeders  ent- 
sprechen ,  in  dessen  Mittelpunkt  sich  der  Schwerpunkt  des  Atoms  befindet  Von 
diesen  Punkten  nun  —  nicht  von  dem  Schwerpunkt  des  Atoms  —  denke  man  sicli 
die  die  Valenzen  repiäsentirenden  Anziehungskräfte  ausgehend;  ihre  Wirkungsrich- 
tung möge  im  Allgemeinen  in  die  Verlängerung  der  Verbindungslinie  zwischen  ihrem 
Ausgangspunkt  und  dem  Schwerpunkt  fallen;  die  vier  Kraftrichtungen  bilden  dem- 
nach mit  einander,  wie  die  Axen  des  regulären  Tetraeders,  einen  Winkel  von  109*  28'. 

Wenn  nun  zwei  Kohlenstofiatome  nur  durch  einfache  Bindung  verkettet  sind, 
so  können  sie  sich  stets  so  anordnen,  dass  die  Richtung  der  beiden  die  Bindung  be- 
wirkenden Valenzen    zusammenfällt;    bei    mehrfacher  Bindung   ist  dies  indess  nicht 
mehr  möglich.    Für  diesen  Fall  (und  für  den  Fall  der  Ringschliessung,  vgl.  Bd.  II) 
macht  nun  Baeyer  die  Annahme,  „dass  die  Richtung  der  Valenzen  eine  Ab- 
lenkung erfahren  kann,   die  jedoch  eine  mit  der   Grösse   der  Letzteren 
wachsende  Spannung  zur  Folge  hat.^^    Stellt  man  sich  vor,  dass  bei  der  mebr- 
fachen  Bindung  die  Valenzen  so  weit  abgelenkt  werden,  bis  sie  der  Verbindungslinie 
zwischen  den  Schwerpunkten  der  beiden  Atome  parallel  gerichtet  sind,  so  ergiebt  sich, 
dass  bei  der  doppelten  Bindung  jede  der  Valenzen  um  54°  44',  bei  der  dreifachen 
Bindung  jede  um  70°  32'  aus  ihrer  ursprünglichen  Richtung  abgelenkt  werden  muss. 
Durch  die  Richtungsänderung    aber    wird    eine    der    Anziehung    entgegenwirkende 
„Spannung''  veranlasst;  es  ergiebt  sich  daraus,  dass  die  doppelte  und  dreifache  Bin- 
dung in  Bezug  auf  ihre  Festigkeit  keineswegs  gleich  der  Summe  von  zwei  bezw.  drei 
Bindungen  zu  setzen  ist;  auch  lässt  sich  mit  Hülfe  dieser  „Spannungstheorie''  Baeyer's 
verstehen,    dass  eine  sehr  starke  Ablenkung  der  Valenzrichtungen,   wie  sie  für   die 
dreifache  Bindung  erforderlich  ist,   durch  die  von  ihr  bedingte  erhebliche  Spannan^r 
eine  grosse  Unbeständigkeit  des  Atomcomplexes  (Explosivität  der  betreffenden  Ver- 
bindungen) zur  Folge  haben  kann. 


Standpunkt  der  Stereochemie  betrachtet.  435 


Andere  Vorstellungen  über  die  Natur  der  Kohlenstoff- Valenzen  führen  zu  ähn- 
lichen Ergebnissen.  Wunderlich  denkt  sich  die  Vereinigung  der  Atome  durch  be- 
sondere ausgezeichnete  Stellen  derselben  —  „Bindestellen"  —  vermittelt;  treten 
zwei  Atome  mit  einander  in  Verkettung,  so  suchen  die  Bindestellen  der  beiden  ver- 
schiedenen Atome  sich  auf  eine  Entfernung  nahe  zu  kommen,  welche  klein  ist  im 
Yerhfiltniss  zur  Grösse  der  Atome.  Als  vierwerthiges  Atom  besitzt  das  Kohlenstoff- 
atom vier  solche  Bindestelien,  welche  räumlich  derart  orientirt  sind,  dass  ihre  Schwer- 
punkte —  „Bindeschwerpunkte''  —  von  dem  Schwerpunkte  des  Atoms  sich  in  gleicher 
Entfernung  befinden  und  gleichen  Abstand  von  einander  besitzen.  Man  kann  sich 
z.  B.  das  Kohlenstoffatom  als  eine  Kugel  vorstellen,  von  der  vier  gleich  grosse  sym- 
metrisch gelegene  Segmente  abgeschnitten  sind,  welch*  letztere  die  Bindestellen  dar- 
stellen. Bei  einfacher  Bindung  können  sich  dann  die  Bindestellen  zweier  Atome  bis 
zur  Berührung  nähern,  und  jedes  Atom  kann  unabhängig  vom  anderen  um  die  die 
Schwerpunkte  der  beiden  Atome  verbindende  Axe  rotiren,  denn  die  gegenseitige  Lage 
der  beiden  Bindestellen  wird  dadurch  nicht  geändert.  Bei  mehrfacher  Bindung  in- 
dessen ist  eine  Berührung  der  auf  einander  wirkenden  Bindestellen  nicht  mehr  mög- 
lich, da  die  Massen  der  beiden  Kohlenstoffatome  sich  nicht  durchdringen  können. 
Die  Bindestellen  können  sich  nur  bis  auf  einen  bestimmten  Abstand  einander  nähern; 
die  freie  Drehbarkeit  der  beiden  Atome  ist  aufgehoben ,  da  jede  unabhängige  Be- 
wegung eines  Atoms  den  Abstand  der  correspondirenden  Bindestellen  verändern 
würde;  die  Anziehung,  welche  zwischen  je  einer  Bindestelle  des  einen  Atoms 
und  der  entsprechenden  Stelle  des  zweiten  Atoms  wirkt,  wird  infolge  des  grösseren 
Abstandes  kleiner  sein ,  als  die  bei  einfacher  Bindung  zwischen  einem  Paare  von 
Bindestellen  wirksame  Kraft.  Die  doppelte  Bindung  kann  demnach  auch  nach  dieser 
Aufiassungsweise  nicht  den  zweifachen,  die  dreifache  Bindung  nicht  den  dreifachen 
Festigkeitswerth  der  einfachen  Bindung  erreichen. 

Auf  Grund  der  stereochemischen  Anschauungen  kann  man  bei  Annahme  ge- 
wisser  Voraussetzungen  zahlenmässige  Berechnungen  des  Festigkeitsverhältnisses 
zwischen  einfacher,  doppelter  und  dreifacher  Bindung  anstellen;  vgl.  hierüber  Aüwebs 
und  Naxtxakn^. 

Um  aber  zu  erkennen,  dass  bei  mehrfacher  Bindung  die  Wirkung 
der  einzelnen  Valenzen  zweier  Kohlenstoffatome  auf  einander  geringer 
sein  wird,  als  bei  einfacher  Bindung,  bedarf  es  alT  dieser  Hypothesen 
nicht;  es  genügt  die  einfache  Vorstellung,  das  Kohlenstoffatom  sei  eine 
Kugel,  die  vier  Valenzen  vier  ausgezeichnete  Punkte  auf  der  Ober- 
fläche derselben.  Es  leuchtet  sofort  ein,  dass  bei  einfacher  Bindung 
eine  directe  Berührung  der  Valenzen  möglich  ist,  nicht  aber  bei  mehr- 
facher Bindung.    Die  folgenden  (nicht  perspecti vischen)  Zeichnungen: 


In  den  S.  432  citirten  Abhandlungen. 

28' 


436  Alkylene  (Zusammensetzung, 


in  welchen  die  hinter   der  Ebene   des   Papieres   befindlichen  Valenzen   fortgelassen 
sind,  werden  dies  erläutern. 

Auch  in  derartigen  Betrachtungen  wird  man  erkennen,  dass  die  Verfolgung  der 
stereochemischen  Lehren  einen  Fortschritt  gegenüber  der  älteren  Structurtheorie  be> 
deutet.  Wir  gewinnen  für  das  Verhältniss  der  einfachen  zur  mehrfachen  Bindung 
ein  Bild,  welches  den  vom  Standpimkte  der  Structurtheorie  höchst  auffällig  erschei- 
nenden Resultaten  der  thermochemischen  Beobachtungen  (vgl.  S.  433)  entspricht.  Und 
wenn  uns  einstweilen  bei  Anstellung  solcher  Erwägungen  jeder  Schritt  den  Mangel 
einer  präcisen  Vorstellung  vom  Wesen  der  chemischen  Verwandtschaft  empfinden 
lässt,  so  darf  uns  doch  der  bescheidene  Erfolg  in  der  Hoffnung  bestärken,  dass  die 
Zeit,  die  unserer  Wissenschaft  eine  Klärung  dieses  Grundbegri£&  bringt,  nicht  mehr 
gar  zu  fem  ist. 


Dreizehntes  Kapitel. 

Die  ungesättigten  Eohlenwassersto£fe. 


I.  Die  Kohlenwasserstoffe  ron  der  Zasammensetzang  C^H^^. 

Alkylene. 

Znsammensetzang  und  Nomenclatnr.  Die  Kohlenwasserstoffe 
dieser  Reihe  —  CgH^ ,  CgH^ ,  C^Hg  etc.  —  haben  alle  die  gleiche 
procentische  Zusammensetzung,  dem  Aequivalent- Verhältniss  1 C :  2H  ent- 
sprechend. Man  kann  sie  daher  nicht  durch  die  Analyse  Ton  einander 
unterscheiden,  wohl  aber,  indem  man  durch  Dampfdichtemessung  ihre 
Moleculargrösse  ermittelt  oder  den  Bromgehalt  ihrer  Bromadditionspro- 
dukte —  CjH^Brg,  CgHgBrg,  C^HgBrj  etc.  —  bestimmt. 

Nach  dem  S.  97  (Anm.)  erwähnten  Nomenclatur-Princip  würden  die 
Kohlenwasserstoffe  dieser  Reihe  durch  die  Endung  „en"  charakterisirt. 
Es  entsprechen  also  den  gesättigten  Kohlenwasserstoffen: 

Aethan  CjH,  ^^  ungesättigten        ^^^^e»    C.H^ 

Propan  C3H3         Kohlenwasserstoffe:      ^^^P^^    ^^^ 
Butan    O^HjQ  Buten      C^Hq. 

Diese  Bezeichnungsweise  wird  neuerdings  von  Baeter  ^  wieder  aufgenom- 
men, welcher  das  Vorkommen  einer  Doppelbindung  durch  die  Endsilbe 
,,en"  charakterisiren  will;  bisher  ist  sie  nicht  sehr  gebräuchlich  gewesen; 
man  benutzte  vielmehr  fast  allgemein  die  Endung  „ylen"  und  nannte 
demgemäss  den  Kohlenwasserstoff  CjjH^  Aethylen,  CgHg  Propylen, 
C^Hg  Butylen  etc.;  die  ganze  Reihe  fasst  man  unter  dem  Gruppennamen 
Alkylene  zusammen. 

Eine  der  am  frühesten  bekannt  gewordenen  Eigenschaften  dieser 
Kohlenwasserstoffe  ist  ihr  Vermögen,  mit  Chlor  und  Brom  leicht  zu  Ver- 


*  Die  bezüglichen  Vorschläge  unterliegen  gegenwärtig  der  Berathang  einer  Com- 
mission  (vgl.  Ber.  23,  568),  deren  Beschlüsse  zur  Zeit  der  Drucklegung  dieses  Bogens 
noch  nicht  vorliegen. 


Isomeriefälle,  Nomendatur),  437 


bindungen  zusammenzutreten,  welche  in  den  niederen  Reihen  mit  Wasser 
nicht  mischbare  Flüssigkeiten  darstellen.  Wegen  dieser  Eigenschaft 
nannte  man  das  Aethylen  das  ölbildende  Gas  (gaz  ol6fiant),  und  auch 
die  ganze  Reihe  wurde  häufig  mit  der  Bezeichnung  Oelbildner  oder 
Olefine  belegt. 

Um  in  den  höheren  Reihen  die  Isomeren  von  einander  zu  unter- 
scheiden, denkt  man  sie  sich  am  zweckmässigsten  auf  das  erste  Glied 
der  Reihe  zurückgeführt.  Alle  höheren  Glieder  lassen  sich  als  Alkyl- 
Sabstitutionsprodukte  des  Aethylens  auffassen,  welche  einer  der  folgenden 
allgemeinen  Formeln  entsprechen: 

CH,:CHR  CHRiCHR'  CH,:CRR' 

einfach  alkyllrt.  symmetr.  zweifach  alkylirt  unsymmetr.  zweifach  alkylirt. 

CHR:  CR'R"  CRR' :  CR"R'", 

dreifach  alkylirt  vierfach  alkylirt. 

wo  R,  R',  R",  R'"  beliebige  Alkylreste  darstellen.  So  kann  man  z.  B. 
die  isomeren  Butylene  durch  die  Bezeichnungen: 

CH,.CH,.CH:CH,  CHjCHiCHCH, 

Aethyläthylen  symmetr.  Dimethyläthylen 

<CH8 
CH, 
unsymmetr.  Dimethyläthylen 
Iso-Dimethyl&thylen 

unterscheiden.  Dass  die  symmetrisch  dialkylirten  Aethylene  der  Theorie 
nach  in  zwei  räumlich  verschiedenen  Configurationen  —  durch  die  Vor- 
silben eis-  und  cis-trans-  zu  unterscheiden  —  existiren  können,  ist  schon 
hervorgehoben  worden  (S.  431).  Es  mag  indessen  noch  erwähnt  sein, 
dass  derartige  Isomerien  bei  den  Kohlenwasserstoffen  dieser  Reihe  noch 
nicht  constatirt  worden  sind. 

Eatstehongsweisen.  Alkylene  bilden  sich  sehr  häufig  bei  der  Zer- 
setzung complicirter  organischer  Stoffe  durch  Hitze.  Ihr  Vorkommen  im 
Leuchtgas  ist  hierauf  zurückzuführen.  Beim  Destilliren  vonParaffin  unter 
Druck  ^  entstehen  Alkylene.  Näher  untersucht  wurden  die  durch  Destilla- 
tion des  elsässischen  Erdpeches  erhältlichen  Alkylene*;  im  Harzöl  finden 
sie  sich  in  geringer  Menge*. 

Auch  aus  einfachen  Kohlenstoffverbindungen  erhält  man  in  pyro- 
genen  Processen  Kohlenwasserstoffe  dieser  Reihe,  so  z.  B.  Aethylen, 
wenn  ein  Gemisch  von  Schwefelkohlenstoffdampf,  Schwefelwasserstoff  und 
Kohlenoxyd  über  glühende  Eisenspähne  geleitet  wird,  —  Propylen,  wenn 
ein  Gemisch  von  Methan  und  Kohlenoxyd  der  dunklen  Rothgluth  aus- 
gesetzt wird*. 


*  Thobpb  u.  Youno,  Ann.  165,  1. 

*  Le  Bel,  Bull.  18,  164.    Compt.  rend.  85,  852. 

'  Renard,  Ann.  eh.  [6]  1,  226.  ^  Berthelot,  Ann.  108,  196. 


438  Bildungsweisen  der 


Bei  der  Lösung  des  Spiegeleisens  in  verdünnten  Säuren  giebt  der 
KohlenstoflPgehalt  des  Eisens  zur  Bildung  von  Alkylenen  Anlass^. 

Für  die  Darstellung  bestimmter  Glieder  dieser  Kohlenwasserstoif- 
reihe  kommen  in  erster  Linie  die  folgenden  beiden  Methoden  in  Betracht. 

1.  Abspaltung  von  Wasser  aus  den  Grenzalkoholen: 

CHjOH  CH, 

-H.O    = 
CH3  CHj 

2.  Abspaltung  von  HalogenwasserstofF  aus  den  Halogenalkylen  (na- 
mentlich den  Jodüren): 

I  -HJ    =  I      . 

CHs-CH,  CHg-CH 

Für  die  Ausführung  der  ersten  Reaction  benutzt  man  in  der  Regel 
die  Wirkung  der  concentrirten  Schwefelsäure  oder  des  Chlorzinks. 
Bei  Anwendung  der  concentrirten  Schwefelsäure  hat  man  sich  die  Re- 
action in  zwei  Phasen: 


CH3 


CHjOH  CHjO.SOjOH 

+  OH. SO,. OH    =  +H,0, 

CH3 

CHaO.SOj.OH^      CH, 
I  =    I       +OH.SO,.OH 

CHj  CH, 


zerlegt  zu  denken.  In  manchen  Fällen  genügt  auch  eine  mit  dem  ein- 
bis  zweifachen  Volum  Wasser  verdünnte  Schwefelsäure.  Zusatz  von  Sul- 
faten* (Kaliumsulfat  und  Gyps),  welche  indess  nur  mechanisch  zu  wirken 
scheinen  und  auch  z.  B.  durch  Glaspulver  ^  oder  Talk*  ersetzt  werden 
können,  beinflusst  zuweilen  die  Reaction  vortheilhaft.  Auch  Phosphor- 
pentoxyd^  kann  zur  Wasserentziehung  angewendet  werden. 

Der  glatte  Verlauf  dieser  Reaction  wird  von  der  vierten  Reihe  an  sehr  beein- 
trächtigt durch  die  BUdung  polym  er  er  Kohlenwasserstoffe.  In  Berührung  mitconc 
Schwefelsäure  oder  Chlorzink  erleiden  die  Alkylene  leicht  eine  Polymerisation;  man 
erhält  daher  z.  B.  bei  der  Darstellung  von  Butylen  C4H8  daneben  Dibutylen  CgHj^, 
Tributylen  Ci,Hj4  (Näheres  vgl.  unter  Butylen  S.  449  und  Amylen  S.  452).  Aber  auch 
insofern  complicirt  sich  die  Reaction  in  den  höheren  Reihen,  als  theilweise  ümlage- 
rungen  des  normalen  Reactionsproduktes  in  isomere  Kohlenwasserstoffe  eintreten. 
Während  z.  B.  der  gewöhnliche  Amylalkohol  ja  ausschliesslich  primäre  Alkohole 
enthält  und  durch  Wasserabspaltung  bei  normaler  Reaction  also  nur  Alkylene  vom 
Typus  CHjiCHR  oder  CHjiCRR'  entstehen  lassen  sollte,  enthält  das  daraus  gewon- 
nene Amylen  in  Folge  einer  Verschiebung  der  doppelten  Bindung  reichliche  Mengen 
von  Trimethyläthylen  (CH3)2C:CH(CH,)  (vgl.  S.  450—451).  Selbst  Veränderungen 
des  Kohlenstoffgerüstes  treten  ein;  so  entsteht  aus  dem  Isobutylalkohol  nicht  allein 
das  unsymmetrische  Dimethyläthylen  (CHglsC :  CH„  sondern  daneben  auch  in  grosser 


*  Hahn,  Ann.  120,  57.  —  CloKz,  Compt.  rend.  78,  1565. 

*  PüCHOT,  Ann.  eh.  [4]  28,  508.  ^  Lermontofp,  Ann.  106,  117  Anm. 

*  KoNowALOPF,  Ber.  13,  2395. 

*  Beilstein  u.  Wieg  and,  Ber.  15,  1498. 


Alkylene.  439 


Menge  Kohlenwasserstoffe  mit  normaler  Kette,  nämlich  das  sj-mmetrische  Dimethyl- 
äthylen»  CHj-CPIiCHCH,  und  das  Aethyläthylen  •  CH,.CH,.CH:CHj. 

Statt  den  Alkoholen  direct  Wasser  zu  entziehen,  ist  es  in  den 
höchsten  Reihen  sehr  zweckmässig,  den  Alkohol  zunächst  in  den  Ester 
einer  höheren  Fettsäure  (durch  Einwirkung  des  Säurechlorids)  zu  ver- 
wandeln und  diesen  Ester  zu  destilliren;  bei  der  Destillation  unter  ge- 
wöhnlichem oder  passend  vermindertem  Druck  zerfällt  letzterer  in  die 
Säure  und  das  entsprechende  Alkylen  (vgl.  S.  360).  Unter  Benutzung 
der  Palmitinsäure  hat  dieser  Weg  zur  Gew^innung  mehrerer  normaler 
hochmolecularer  Alkylene  vom  Typus  CHRrCHg  gedient^,  z.  B.: 

C,»H„.CHj.CH,.OH  +  Cl.COCijHai     =    HCl  +  C,eH8s.CH,.CH,.O.CO.C,8H„, 
Octadecylalkohol 

Ci^Hsj'CHj'CHj'O'CO'CisHji  =  CißHss-CH:  CHj  +  OH'CO-CisHji. 

Octadecylen 

Zur  Einleitung  der  zweiten  der  oben  genannten  Hauptreactionen 
—  der  Abspaltung  von  Halogenwasserstoff  aus  Halogenalkylen  —  be- 
dient man  sich  in  der  ßegel  der  Einwirkung  des  alkoholischen 
Kalis  auf  die  Alkyljodüre;  seltener  bewirkt  man  sie  durch  Ueber- 
leiten  über  glühenden  Aetzkalk  oder  Erhitzen  mit  Bleioxyd*.  Bei  der 
Behandlung  mit  alkoholischem  Kali  wird  die  Alkylenbildung  meist  von 
der  Bildung  von  Aethern  begleitet,  z.  B.: 

C^HgJ  +  KOCgHs  =  C^H^OCjHg  +  KJ. 

Namentlich  bei  Benutzung  der  primären  normalen  Alkyljodüre  tritt  die 
letztere  Reaction  zuweilen  sehr  in  den  Vordergrund  und  beeinträchtigt 
daher  die  Ausbeute  an  Alkylen  beträchtlich,  w^ährend  secundäre  und 
tertiäre  Alkyljodüre  viel  leichter  und  glatter  im  Sinne  der  Alkylen- 
abspaltung  reagiren^. 

Alkylene  entstehen  in  erheblicher  Menge  bei  der  Zersetzung  der  salpetrig- 
sauren  Salze  primärer  Amine^  durch  Kochen  in  wflssriger  Lösung  (vgl. 
S.  161—162),  z.B.: 

CHg  —  CHj  CHg  —  CH 

+  Nj  +  2HjO. 
CHjNHj.NOOH  CHj 

Von  den  Dihalogen-Derivaten  der  Paraffine,  welche  die 
Halogenatome  an  zwei  benachbarten  Kohlenstoffatomen  ent- 
halten, gelangt  man  durch  Halogenentziehung  zu  Alkylenen,  z.B.: 

CH,Br  CH, 

-Er,    =      I     . 

CHjBr  CH, 

Bei  den  Bromiden  kann  man  diese  Keaction  leicht   durch  Einwirkung 

'  Le  Bel  u.  Greene,  Bull.  20,  306.  —  Konowaloff,  Ber.  18,  2395. 

'  Fawobskt  u.  Debout,  J.  pr.  [2]  42,  152. 

■  Krapft,  Ber.  16,  3018.  *  Eltekoff,  Ber.  11,  414. 

^  Vgl.  Lieben  u.  Bossi,  Ann.  158,  164. 

*  y.  Metef,  Forstes  u.  Barbieri,  Ber.  0,  543;  10,  136. 


440  Bildungsiveisen  der  Alkylene. 


von  Zink  oder  verkupfertem  Zink  in  alkoholischer  Lösung  hervorrufend 
Sehr  leicht  erfolgt  die  Jodabscheidung  aus  den  Jodiden*;  Propylenjodid 
CH3'CHJ-CH2J  z.  B.  zersetzt  sich  schon  bei  gelindem  Erwärmen  explo- 
sionsartig in  Propylen  CHg-CHiCHg  und  Jod  ^.  Da  indess  diese  Dihalo- 
gen-Verbindungen  fast  stets  erst  aus  den  Alkylenen  durch  Addition  von 
Halogenen  gewonnen  werden,  so  besitzt  diese  Reaction  nur  etwa  für 
solche  Fälle  präparative  Bedeutung,  in  denen  man  aus  einem  Gasgemisch 
zunächst  das  Alkylen  durch  Ueberfuhrung  in  sein  Dibromid  isoliren  und 
aus  letzterem  nun  wieder  das  Alkylen  regeneriren  will. 

Diese  Bildungsweisen  dienen  zur  Ueberfuhrung  von  gesättigten 
Verbindungen  in  Alkylene;  durch  Abspaltung  eines  anorganischen 
Molecüls  aus  dem  Molecül  eines  Paraffin-Derivates  werden  KohlenstoflF- 
Valenzen  an  benachbarten  Atomen  ihrer  bisherigen  Function  entzogen 
und  lassen  nun  durch  gegenseitige  Sättigung  die  Doppelbindung  ent- 
stehen. Geht  man  von  ungesättigten  Verbindungen  aus,  welche 
schon  die  Doppelbindung  enthalten,  so  lassen  sich  manche  der  für  die 
Gewinnung  der  Paraffine  S.  123 — 127  angegebenen  Darstellungsweisen 
auch  zur  Bildung  von  Alkylenen  benutzen.  Es  ist  nicht  nöthig,  diese 
Reactionen  noch  einmal  einzeln  zu  besprechen,  einige  Gleichungen  wer- 
den zur  Erläuterung  ihrer  Anwendung  genügen: 

CH^rCHCHsJ  +  Hj,  =  H  J  +  CH^iCHCHs ; 
Allyljodid  Propylen 

2CH,:CH.CH8J  +  ZnCCHg),  =  ZnJ,  +  2  CH, :  CH  •  CHj  •  CH,. 

Aber  auch  hier  muss  hervorgehoben  werden,  dass  bei  der  Bildung  der 
ungesättigten  Kohlenwasserstoffe  häufig  ümlagerungen  eintreten,  so  dass 
die  Constitution  des  Reactionsproduktes  nicht  immer  der  bei  normalem 
Verlaufe  zu  erwartenden- entspricht.  Bei  der  durch  die  letzte  Gleichung 
ausgedrückten  Umsetzung  zwischen  Allyljodid  und  Zinkmethyl  z.  B. 
bildet  sich  das  Aethyläthylen  nur  in  geringer  Menge;  das  Hauptprodukt 
ist  vielmehr  das  symmetrische  Dimethyläthylen*  CHg-CHrCH-CHj. 

Aus  den  einbasischen  ungesätttigten  Säuren   der  Reihe  CaHjn jOj 

(Oelaäure-ßeihe)  kann  man  durch  Erhitzen  ihrer  Natriumsalze  mit  Natronkalk  (vgl. 
S.  1 25)  nicht  die  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmeren  Alkylene  in  analoger  Weise,  wie  die 
Paraffine  aus  den  Fettsäuren,  gewinnen;  denn  diese  Säuren  würden  hierbei  eine  Spal- 
tung ihrer  Kohlenstoffkette  erleiden  (vgl.  S.  493—494).  Ersetzt  man  aber  das  Natron- 
hydrat durch  Natriummethylat,  so  lässt  sich  die  einfache  Kohlensäureabspaltung 
zuweilen  ausführen*;  aus  der  Säure  C21H41  •  CO  •  OH  erhält  man  z.  B.  das  Alkylen  Cg|H4s. 

Von  niederen  Gliedern  der  Alkylenreihe  kann  man  zu  höheren 
Homologen  aufsteigen,  indem  man  sie  in  Gegenwart  eines  Oxyds  (Bleioxyd  oder 
Kalk)  mit  Halogensilkylen  erhitzt •,  z.B.: 

^ßHig  -h  CHjJ — HJ  =  CßHi2 
C5H10  -f  2CH3J-2HJ  =  CyHi4. 

*  Gladstonk  u.  Täibe,  Ber.  7,  364. 

•  Vgl.  Wanklyn  u.  Thakn,  Ann.  112,  201.         •  Malbot,  Ann.  eh.  [6]  19,  349. 

*  Vgl.  Grosheintz,  Bull.  29,  201.  •  Mai,  Ber.  22,  2135. 

•  Eltekofp,  Ber.  11,  412.  —  Leemontofp,  Ann.  196,  116. 


Tabellarische  Uebersicht  über  die  Alkylefie. 


441 


Allgemeine  Charakteristik.  Bis  zur  vierten  Eeihe  sind  die  Alky- 
lene  Gase,  welche  mit  russender  Flamme  verbrennen.  Dann  folgen 
Flüssigkeiten,  welche  in  Wasser  nicht,  in  Alkohol  und  Aether  leicht 
löslich  sind,  endlich  krystallisirbare  Verbindungen.  Die  folgende  Tabelle 
Nr.  24  enthält  die  Constanten  für  eine  grössere  Zahl  von  Alkylenen; 
von  der  sechsten  Reihe  an  aufwärts  sind  nur  die  normalen  Alkylene  vom 
Typus  CHR:CHj  berücksichtigt: 

Tabelle  Nr.  24. 


Name 


Aethylen*-"" 

Propylen** 

Butylene": 

Aethyläthylen" 

Sjmm.  Dimethyläthylen*  .  .  . 

Isobutylen* 

Amylene**: 

Sjinm.  Methyl&thyläthylen«    . 

Ißopropyl&thylen ' 

Unsymm.  Methyläthylathylen* 

TrimethylÄthylen* 

Hexylen* 

Heptylen*-" 

Octylen" 


Formel 

ilCHjtCH, 
CH.CHiCH, 

!l 

'CsH5  •  CH :  CHj 
CHjCHiCHCH, 

CH,.CH:CH.CgH5 

(CHaljCHCHiCH, 

(CH,XC,H,)C:CH, 

(CHg)jC:CH(CIl8) 

C^Hp  •  CH :  CHj 

C5H1J  •  CH :  CHg 

CeH,3.CH:CH, 


Schm.- 
punkt 

—169° 


Dodecylen" CjoH,i  •  CH :  CH, 

Tetradecjlen" C^HssCHiCHj 

Hexadecjlen'»-" CuHj^CHiCH, 

OctÄdecylen" |C,8H„.CH:CHg 


—310 
—120 

+  40 
+  18« 


Siede- 
punkt 

—  1030 


—50 
+  1<> 
-6° 

+  36° 
+  20—21° 
31—320 
36—380 
68—700 
96—990 
122—123» 


Spec. 
Gew. 


960 
1270 
1550 
1790 


B 
B 

ö 


0-648(00) 
0-670(00) 
0-67«  (0°) 

0-703(19-50) 
0-722(170) 


0-795  \o- 

a 

B 
0-794    ^ 

>B 
0-792    g- 

0791     K 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  24:  *  Wboblewsky  u.  Olszewski,  Monatsh.  4, 
338.  —  «  Olszewski,  Compt  rend.  00,  138.  Monatsh.  8,  71.  —  "  Wübtz,  Ann.  162, 
23.  —  *  Liebe»,  Ann.  160,  108.  —  *  Bütlerow,  Ztachr.  Chem.  1870,  236.  — 
•  Waqkbe  u.  Saytzeff,  Ann.  175,  373.  —  '  Flawitzky,  Ber.  11,  992.  —  *  Le 
Bbl,  Jb.  1870,  347.  —  »  Moboan,  Ann.  177,  304.  —  "  Schorlemmbr,  Ann.  136, 
267.  -  "  Möslinüeb,  Ann.  186,  53.  —  "  Kbappt,  Ber.  16,  3018.  —  "  Dumas  u. 
i'^LiGOT,  Ann.  10,  292.  —  "  Mendelbjeff,  Compt  rend.  51,  97.  —  "  Lasabenko, 
Ber.  7,  125.  —  "  Smith,  Ann.  eh.  [3]  6,  51.  —  "  Vgl.  d.  specielle  Besprechung 
S.  446—452. 

Von  den  in  chemischer  Beziehung  so  trägen  Paraffinen  sind  die  Alkylene 
durch  leichte  Angreifbarkeit  wesentlich  unterschieden.  Ihr  chemisches 
^erhalten  wird  in  erster  Linie  bestimmt  durch  das  charakteristische 
Merkmal  aller  ungesättigten  Verbindungen:   das  Additionsbestreben. 


442  Additiofisreaßtionen 


An  einer  Stelle  ihres  Molecüls  sind  ja  zwei  KohlenstoflFatome  durch  mehr 
Valenzen  verknüpft,  als  zu  ihrem  Zusammenhalt  erforderlich  ist.  Hier 
können  weitere  Atome  oder  Radicale,  ohne  den  Bestand  des  Kohlen- 
stoflfgerüstes  zu  gefährden,  hinzutreten.  Die  Molecüle  zahlreicher  anorga- 
nischer Verbindungen,  welche  man  mit  den  Alkylenen  in  Reaction 
bringt,  werden  daher  in  zwei  einwerthige  Bestandtheile  gespalten,  die 
sich  nun  an  die  beiden  ursprünglich  doppelt  gebundenen  Kohlenstoff- 
atome anlagern: 

\c/  \cx/ 

II     +XY=      I        . 

/^\  /^^\ 

Die  Anlagerung  von  Wasserstoff: 

Cllg  •  CHj  +  Hj  =  Cxi3  •  Cxig 

gelingt  verhältnissmässig  nicht  leicht.  Erhitzt  man  ein  Gemisch  von 
Aethylen  und  Wasserstoff,  so  bildet  sich  zwar  reichlich  Aethan,  aber 
die  Reaction  bleibt  unvollständig;  ihr  entgegen  wirkt  die  in  der 
Hitze  eintretende  Spaltung  des  Aethans  in  Aethylen  und  Wasserstoff 
(C3H3  =  CgH^  +  H3),  und  zwischen  beiden  Reactionen  stellt  sich  ein 
Gleichgewichtszustand  her^  Viel  rascher  und  vollständig  verläuft  die 
Wasserstoffaddition  in  Gegenwart  von  etwas  Platinschwarz  bei  gewöhn- 
licher Temperatur*. 

Die  Fixirung  der  Halogene,  namentlich  des  Chlors  und  Broms: 

CHj, :  CHj  +  Clj  =  CHjCl  .CH,C1 
CHj  :  CHj  +  Br,  =  CHjBrCHaBr, 

erfolgt  unmittelbar  beim  Zusammenbringen  mit  grösster  Leichtigkeit  und 
unter  Wärmeentwickelung.  Man  zieht  von  dieser  meist  äusserst  glatt 
verlaufenden  Additionsreaction  häufig  Nutzen,  wenn  es  sich  um  die  Er- 
kennung der  Alkylene  —  namentlich  in  gasformigen  Reactionsprodukten  — 
handelt;  die  Gase  werden  durch  Brom  geleitet,  und  nach  dem  Lösen 
des  überschüssigen  Broms  in  Alkali  erhält  man  die  Alkylene  in  Gestalt 
ihrer  in  Wasser  unlöslichen  und  durch  den  Siedepunkt  leicht  zu  charak- 
terisirenden  Dibromide  (vgl.  Tabelle  Nr.  30  in  Kap.  19). 

Bei  der  Einwirkung  des  Chlors  wird  zuweilen  statt  eines  Additionsprodoktes 
ein  Substitut! onsprodukt  erhalten",  wohl  weil  das  zunfichst  entstehende  Dichlorid 
unter  Chlorwasserstoff- Abspaltung  zerföllt,  z.  B.: 

C^Hs  +  Cl,  =  C^HßCl,  =  C4H7CI  +  HCL 

Die  Anlagerung  der  Halogenwasserstoffsäuren*  führt  von 
den  Alkylenen  zu  den  Halogenalkylen: 

CHj :  CH,  +  HCl  =  CHa  •  CH,C1 
CH, :  CH,  +  HBr  =  CHj  •  CHjBr. 


*  Vgl.  Berthelot,  Ann.  eh.  [4]  9,  431.  Bull.  39, 145.        *  de  Wilde,  Ber.  7,  353. 

*  Vgl.  ScHESCHUKOw,  Bcr.  17  o,  412.  —  Kondakow,  Ber.  21c,  440;  24,  982,  — 
Hell  u.  Wildermann,  Ber.  24,  216.  —  Gustavson,  J.  pr.  [2]  42,  495. 

*  Berthelot,  Ann.  104,  184;  116,  114. 


der  Alhylene.  443 


Sie  ist  am  leichtesten  mit  der  Jodwasserstoffsäure  zu  erzielen,  auch 
Bromwasserstoff  wird  meist  leicht  aufgenommen,  während  Chlorwasser- 
stoff oft  träge  reagirt.  Bei  den  Homologen  des  Aethylens  erfolgt  die 
Anlagerung  stets  in  der  Weise,  dass  das  Halogenatom  an  dasjenige 
Kohlenstoffatom  tritt,  mit  welchem  die  geringere  Zahl  von 
Wasserstoffatomen  verbunden  ist^  Demgemäss  entstehen  z.  B. 
aus  dem  Propylen  CH^iCH-CHj  nicht  die  Derivate  des  normalen  Pro- 
pylalkohols,  sondern  des  Isopropylalkohols*: 

CHj:  CHCHs  +  H  J  =  CHaCHJCHs. 

Zur  Ausfiihrung  der  Addition  genügt  bei  Anwendung  von  Brom-  oder 
Jodwasserstoffsäure  meist  die  Digestion  mit  den  rauchenden  wässrigen 
Säuren  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  Mit  concentrirter  Salzsäure  reagiren 
ebenfalls  manche  Alkylene  schon  in  der  Kälte,  andere  bedürfen  der  Ein- 
wirkung bei  höherer  Temperatur  im  geschlossenen  Apparat.  Dieses  un- 
gleichartige Verhalten  gegen  Salzsäure  lässt  sich  oft  mit  Vortheil  zur 
Trennung  von  Alkylengemischen  benutzen^.  Es  scheint,  dass  die  Alky- 
lene um  so  leichter  Salzsäure  anlagern,  je  weniger  Wasserstaffatome  sich 
an  den  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatomen  befinden;  die  Kohlen- 
wasserstoffe vom  Typus  CHg :  CRR'  und  CHE :  CR'R"  addiren  Chlorwasser- 
stoff schon  in  der  Kälte,  dagegen  die  einfach  alkylirten  Aethylene 
CHjiCHR  erst  bei  höherer  Temperatur*. 

Mit  unterchloriger  Säure  (in  wässriger  Lösung)  treten  die  Alky- 
lene zu  Glykolchlorhydrinen  zusammen*: 

CH,:CHj  +  ClOH  =  CHjCl-CHj-OH. 

Von  concentrirter  bezw.  rauchender  Schwefelsäure  werden 
die  Alkylene  gelöst;  erwärmt  man  die  mit  Wasser  versetzte  Lösung, 
so  erhält  man  einen  Alkohol  der  Grenzreihe;  der  Effect  dieser  Eeaction® 
besteht  also  in  einer  Wasseranlagerung: 

CH, :  CH,  +  HaO  =  CHsCHj-OH; 

man  hat  sie  sich  indessen  derart  vorzustellen,  dass  zunächst  durch  Addi- 
tion von  Schwefelsäure  eine  Alkylschwefelsäure: 

CH,:CH,  +  HjSO^  =  CHg  •  OH,  •  0  •  SOjH 

sich  bildet^,    welche  nun  durch  Wasser  in  Alkohol   und  Schwefelsäure 
gespalten  wird  (vgl.  S.  203): 

Bei  den  Homologen  des  Aethylens  bewirkt  diese  Reaction  niemals  die 

*  Markownikoff,  Ann.  153,  256.     Ber.  2,  660.  —  Vgl.  auch  Saytzefp,  Ann, 
179,  296. 

*  Erlenmeyer,  Ann.  139,  228.  —  Butlerow,  Ann.  145,  274. 

■  Vgl.  z.  B.  Morgan,  Ann.  177,  304.  —  Schorlemmer,  Ann.  166,  177;  199,  139. 

*  Le  Bel,  Compt.  rend.  86,  852.  *  Carius,  Ann.  126,  197. 

*  Vgl.  GoRiAiNOw  u.  BcTLERow,  Ann.  169,  146. 
'  Berthelot,  Ann.  eh.  [3]  48,  391. 


1 


444  AdditionsreacHanen, 


Bildung  primärer,  sondern  stets  diejenige  secundärer  oder  tertiärer  Alko- 
hole, indem  —  gerade  wie  bei  der  Addition  der  Halogenwasserstoffsäuren 
(s.  S.  443)  —  der  saure  Rest  ( — SO^H  bezw.  — OH)  stets  das  am  we- 
nigsten hydrogenisirte  Kohlenstoffatom  aufsucht  (vgl.  S.  147 — 148).  Von 
der  in  vielen  Fällen  daneben  verlaufenden  Polymerisirung  der  Alkylene 
wird  noch  die  Rede  sein  (S.  445,  449,  452).  Für  die  üeberfiihrung  in 
Alkylschwefelsäuren  bezw.  Alkohole  genügt  bei  einigen  Alkylenen  eine 
mit  etwa  dem  halben  Volum  Wasser  verdünnte  Schwefelsäure,  andere 
werden  von  einer  derart  verdünnten  Säure  nicht  verändert;  auf  dieses 
Verhalten  können  zuweilen  vortheilhafte  Trennungsmethoden  der  Alkylene 
gegründet  werden  (vgl.  unter  Amylene  S.  450  u.  451). 

Die  Umwandlung  der  Alkylene  in  die  zugehörigen  Alkohole  durch 
Wasseranlagerung  erfolgt  in  einigen  Fällen  auch  schon  durch  längere 
Einwirkung  von  verdünnter  Salpetersäure  bei  gewöhnlicher  Tempera- 
tur^, z.  B.: 

(CH8)jC:CHj,  +  HjO  =  (CH8)8C(OH).CH8. 

Während  die  Lösung  der  niederen  gasformigen  Alkylene  in  concentrirter  Schwe- 
felsäure hei  gewöhnlicher  Temperatur  ziemlich  langsam  verläuft,  erfolgt  durch 
rauchende  Schwefelsäure  rasche  Absorption,  wobei  z.  B.  aus  Aethylen  und 
Schwefelsäureanhydrid : 

CHs-O-SOgv 
CHj,:CH, +  2S08  =  I  >0 

CH, SO/ 

Carbylsulfat  (vgl.  Kap.  20)  entsteht '.  Man  benutzt  daher  die  rauchende  Schwefelsäure 
in  der  Gasanalyse  —  z.  B.  bei  der  Analyse  des  Leuchtgases  — ,  um  die  Alkylene  zu 
absorbiren  und  durch  die  infolgedessen  eintretende  Volumverminderung  des  Gases  den 
Gehalt  an  Alkylenen  festzustellen.  Wasserstoff,  Sumpfgas  und  seine  Homologen, 
Kohlenoxyd  etc.  werden  von  der  rauchenden  Schwefelsäure  nicht  absorbirt,  wohl  aber 
ausser  den  Alkylenen  auch  das  Acetylen  und  seine  Homologen  und  die  aromatischen 
Kohlenwasserstoffe  (Benzol  etc.). 

Mit  organischen  Säuren  können  Alkylene  zu  Alkylestem  zusammen- 
treten, z.  B.: 

(CHaljCiCHCHs  +  OH-COCHs  =  (CH,),C  •  CH,  •  CHj 

I  ; 

OCOCHs 

mit  Essigsäure  verläuft  diese  Eeaction  sehr  langsam,  sehr  viel  rascher  mit  den  Chlor- 
Substitutionsprodukten  der  Essigsäure'. 

Durch  Einwirkung  von  Wasserstoffsuperoxyd  soll  aus  Aethylen  nach  Carixts* 
in  sehr  geringer  Menge  Aethylenglykol  gebildet  werden: 

CHj :  CH,  +  H,0,     =     CH/OH)  •  CH,(OH). 

Stickstofftetroxyd  lagert  sich  an  die  Alkylene  unter  Bildung 
von  Isonitroso-Nitraten  an^: 


*  BüTLEBOw,  Ann.  180,  245.  *  Regnault,  Ann.  25,  82. 

'  KoKOWALow,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  2,  880.  *  Ann.  126,  209. 

*  Guthrie,  Ann.  116,   248;  119,  83;  121,  116.    —  Wallach,  Ann.  241,   288; 
248,  161. 


Polymei'isaiion  und  Oxydation  der  Alkylene.  445 


(CH3),C  (CH8)aC-0.N0j      (CHaljC-O-NO, 

11     +NA=  1=1; 

(CH3)CH  (CH8)CH-N0  (CH8)C— N-OH 

auch  Nitrosylchlorid  bildet  additioneile  Verbindungen ^ 

Mit  Chlorschwefel  (S,C],  und  SClj)  bilden  die  Alkjlene  ölige,  nicht  unzer- 

setzt  flüchtige  Additionsprodukte'. 

Auch  mit  einigen  Metallhaloidsalzen,  wie  z.  B.  Eisenbromür,  Platinchlorür 

und  -bromür,  Iridiumchlorid'  vereinigen  sich   die  Alkylene.    Von  Interesse  sind  die 

Verbindungen  mit  Platinchlorür,   wie  das  Aethylenplatinchlorür*  CjH^.PtClj; 

sie  bilden  sich  auch   beim  Erwärmen  von  Platinchlorid  mit  Alkoholen,   indem  ein 

Theil  des  Alkohols  zu  Aldehyd  oxydirt  wird: 

PtCU  +  2C,HeO  =  CjH^.PtClj  +  CjH^O  +  H,0  +  2  HCl, 

und  treten  mit  Chlorkalium  zu  schön  krystallisirten  gelben  Doppelsalzen,  wie  z.  B.. 
CjH^.PtCl,  +  KCl  +  HjO,  zusammen. 

Die  Polymerisation  der  Alkylene  —  das  Zusammentreten  meh- 
rerer Molecüle  unter  dem  Einfluss  condensirender  Mittel,  wie  Schwefel- 
säure, Chlorzink,  Fluorbor  —  ist  bereits  mehrfach  erwähnt.  Das 
Aethylen  lässt  sich  nicht  polymerisiren  ^ ;  fiir  seine  Homologen  ist  der 
Polymerisationsvorgang  hauptsächlich  beim  Isobutylen  und  Amylen  unter- 
sucht worden  (vgl.  S.  449,  452).  Es  hat  sich  nachweisen  lassen,  dass  die 
dimolecularen  Produkte  Glieder  derselben  Kohlen wasserstoflfreihe  sind; 
so  besitzt  z.  B.  das  Diisobutylen  die  Structur  (CHg)3C=^CH- 0(0113)3; 
seine  Bildung  unter  dem  Einfluss  der  concentrirten  Schwefelsäure  kann 
man  derart  interpretiren,  dass  aus  einem  Molecül  Isobutylen  durch  Addi- 
tion von  Schwefelsäure  eine  Aetherschwefelsäure  entsteht: 

(CH3),C :  CH,  +  H,SO^  =  (CHal^c/      '    , 

\SO4H 

welche   nun  mit  einem  zweiten  Molecül  Isobutylen  sich  unter  Wieder- 
abspaltnng  von  Schwefelsäure  condensirt®: 

(CH,),C :  CH,  +  SO^HCCCH,),  =  H^SO^  +  (CHs^jC :  CH.C(CH8)8. 

Eine  Polymerisation  findet  auch  bei  der  Einwirkung  von  Aluminiumbromid 
(oder  -Chlorid)  in  Gegenwart  von  Bromwasserstoff  (oder  Chlorwasserstoff)  statt  In- 
dem daneben  Grenzkohlenwasserstoffe  entstehen,  resultirt  aus  dem  Aethylen  das 
Rohlenwasserstoff-Bromaluminium  ^:  eine  dicke  Flüssigkeit,  deren  Zusammen- 
setzung der  Formel  AlBrj.CiHg  entspricht,  und  die  von  Wasser  unter  Bildung  schwer 
flüchtiger  ungesättigter  Kohlenwasserstoffe  zersetzt  wird. 

Wie  alle  bisher  besprochenen  Reactionen  als  Anlagerungsprocesse 
an  die  doppelte  Bindung  der  Alkylene  erscheinen,  so  lässt  sich  auch  das 
Verhalten   bei  der  Oxydation   unter   diesem  Gesichtspunkt   auffassen. 


*  TöNKiEs,  Ber.  12,  169.  —  Wallach,  Ann.  246,  246. 

"  Guthrie,  Ann.  113,  270;  116,  235;  119,  90;  121,  108.  —  Niemann,  Ann.  113,  288. 
'  Vgl.  Chojnacki,  Ztschr.  Chem.  1870,  419.  —  Sadtleb,  Bull.  17,  54. 

*  Zeise,  Pogg.  21,  497;  40,  234.  —  Ghiess  u.  Martius,  Ann.  120,  324.  —  Birn- 
baum, Ann.  146,  67. 

*  BOTLEBOW  U.  GORIAINOW,  AuiL  169,    146, 

*  BuTLERow,  Ann.  189,  65.  '  Gustavson,  J.  pr.  [2]  34,  161. 


446  Aethylen. 


Bei  der  Behandlung  mit  schwacher  Permanganatlösung  gehen  die  Alkr- 
lene  in  zweiwerthige  Alkohole  (Glykole,  s.  Kap.  20)  über^,  indem  zvei 
Hydroxylgruppen  sich  an  die  doppelt  gebundenen  Eohlenstoffatome  an- 
lagern, z.  B.: 

(CHj^jC :  CHj  +  H,0  +  0   =   (CHg^jCtOHj.CHjfOH). 

Bei  energischerer  Oxydation  ^  bleiben  diese  schon  mit  Sauerstoff  beladeneu 
Kohlenstoflfatome  die  Angriflfspunkte;  die  Kette  wird  gesprengt  (vgl. 
S.  432),  und  es  entstehen  Spaltungsstücke  von  niederer  Kohlenstoffzahl 
im  obigen  Fall  z.  B.  Aceton  (CH3)2CO  und  Ameisensäure  H-CO-OH  (nacL 
vorhergehender  Bildung  von  Oxyisobuttersäure  (CH3)2C(0H)-CO-0H). 

Bei  der  Oxydation  in  saurer  Losung  werden  zuweilen  Produkte  erhalten,  deren 
Bildung  diesem  allgemeinen  Oxydationsverlauf  zu  widersprechen  scheint,  z.  B.  Acet- 
aldehyd  aus  Aethylen'.  Es  erklärt  sich  dies  dadurch,  dass  die  Glykole  eine  Wasser- 
abspaltung  erleiden  (vgl.  Kap.  20),  durch  welche  z.  B.  aus  Aethylenglykol 
CHa(OH).CH,(OH)  Acetaldehyd  CHjCHO  gebildet  wird. 

Einzelne  Glieder. 

Aethylen  oder  Aethen  CgH^  (früher  ölbildendes  Gas,  Elayl  ge- 
nannt) wurde  zuerst  1795  von  den  holländischen  Chemikern  DEiMiJf>*. 
Paets  V.  Tboostwtk,  Bondt  und  Lauwebenbubgh  eingehender  unter- 
sucht*. Man  gewinnt  es  am  leichtesten  durch  Wasserabspaltung  aus 
Aethylalkohol. 

Darstellung:  In  einem  Kolben  von  ca.  2  Liter  Capacität  erhitzt  man  ein 
Gemisch  von  25  g  absolutem  Alkohol  und  150  g  concentrirter  Schwefelsäure  bis  wm 
Eintritt  einer  lebhaften  Gasentwickelung.  Dann  lässt  man  ein  Gemisch  von  1  Theil 
Alkohol  und  2  Theilen  Schwefelsäure  so  rasch  zutropfen,  dass  die  Gasentwickelunp 
stetig  anhält,  der  Kolbeninhalt  aber  nicht  in  zu  starkes  Schäumen  geräth.  Sollte 
nach  längerer  Entwickelung  das  Ueberschäumen  nicht  mehr  zu  hindern  sein,  so  ent- 
leert man  den  Kolben  und  setzt  die  Entwickelung  aufs  Neue,  wie  oben  angegeben,  in 
Gang.  Das  Gas  wird  zur  Absorption  von  Alkohol-  und  Aetherdämpfen  mit  con- 
centrirter Schwefelsäure,  dann  zur  Befreiung  von  schwefliger  Säure  mit  Natronlaugf 
gewaschen. 

Das  Aethylen  —  ein  farbloses,  leicht  entzündliches  Gas  von  eigen- 
thümlichem ,  nicht  unangenehmem,  etwas  süssUchem  Geruch,  das  mit 
Sauerstoff  heftig  explodirende  Gemenge  bildet,  —  bedarf  bei  +10°  zur 
Verflüssigung  eines  Druckes  von  60  Atmosphären^.  Es  ist  in  Wasser 
und  Weingeist  nur  wenig  löslich;  W^asser  nimmt  bei  0**  0,25  Vol.. 
W^eingeist  3,59  Vol.  auf®.  Verflüssigtes  Aethylen  dient  zur  Erzielung 
sehr  niedriger  Temperaturen;  lässt  man  es  unter  Atmosphäreudruck 
sieden,   so   erreicht   man  eine  Temperatur  von  — 102  bis  103°;  lässt 


»  G.  Wagxer,  Ber.  21,  1230,  3359.  —  Vgl.  femer  MAEKo^TfiKOFF,  Ber.  24,  69. 
—  G.  Waqner,  Ber.  24,  1683. 

^  0.  u.  F.  Zeidler,  Ann.  197,  243. 

*  Berthelot,  Ann.  150,  373. 

*  Vgl.  Roscoe-Schorlemmer,  Lehrb.  d.  Chem.  III.  646  (Braunschweig  1884). 

*  Cailletet,  Compt.  rend.  94,  1224. 

®  Bunsen,  Gasometr.  Methoden.  2.  Aufl.  S.  217.     (Braunschweig  1877.) 


Propylen.  447 

man  es  unter  vermindertem  Druck  sieden,    so  kann  man   bis   zu   einer 
Temperatur  von  — 150*^  herabsteigen. 

Das  Aethylen  ist  bis  etwa  350^  beständig;  bei  höherem  Erhitzen 
wird  es  zersetzt  unter  Bildung  von  höheren  Alkylenen,  von  Kohlenwasser- 
stoffen der  Paraffin-,  der  Acetylenreihe  und  der  aromatischen  Keihe^ 
Beim  Durchschlagen  von  Inductionsfunken  zerfallt  es  zunächst  in  Ace- 
tylen  und  Wasserstoff,  dann  in  Kohlenstoff  und  Wasserstoff^. 

Propylen  oder  Propen,  CHa-CHiCH,  (Methyläthylen),  wird  am  zweckmässig- 
8ten  durch  Wasserabspaltung  aus  normalem  Propylalkohol'  mittelst  Phosphorpentoxyd  ^ 
oder  durch  Reduction  von  Allyljodid  CH, :  CH  •  CH, J  mit  nascirendem  Wasserstoff  *  ge- 
wonnen. Auch  Destillation  von  Glycerin  mit  Zinkstaub  in  grösseren  Mengen  wird  zur 
Darstellung  des  Propylens  empfohlen^.  —  Das  Propylen  verflüssigt  sich  unter  einem 
Druck  von  7—8  Athmosphären^  Wasser  absorbirt  bei  0*^  0-45  Vol.*.  —  Dass  der 
nach  den  obigen  Methoden  gewonnene  Kohlenwasserstoff,  welcher  durch  Vereinigung 
mit  Brom  ein  bei  141 — 142^  siedendes  Dibromid  liefert,  die  Constitution  des  Methyl- 

.CH,. 
äthylens  und  nicht  des  Trimethylens  CH/ -CHj  besitzt  (vgl.  S.  430),  geht  be- 
sonders daraus  hervor,  dass  er  sich  sowohl  aus  dem  normalen  Propyljodid  wie  aus 
dem  Isopropyljodid  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali  bildet*: 


S:Sä'-h/:1^«'-^«=^«'- 


lieber  das  dem  Propylen  isomere  Trimethylen  vgl.  Bd.  II. 
Bntylene  oder  Butene  C«!!^: 

1)  Aethyläthylen  CgH^-CHiCHj  entsteht  aus  normalem  primärem  Butyljodid 
durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali^^: 

CjHg  •  CH)  •  CH J — HJ     =     C2H5  •  CH  :  CHg , 

durch  Umsetzung  zwischen  Vinylbromid  CHgiCHBr  und  ZinkäthyP*: 

(CjHAZn  +  2Br.CH  :  CH,  =  ZuBr,  +  2C,H5.CH  :  CH,, 

ferner  bei  der  Zersetzung  des  normalen  primären  Butylamins  mit  salpetriger  Säure  **. 
Es  vereinigt  sich  mit  Jodwasserstoff^^  zu  secundärem  Butyljodid  CjHg •  CHJ •  CH,,  mit 
unterchloriger  Säure »^  zu  dem  Chlorhydrin  C,H5.CH(0H).CHaCl. 

2)  Normales  (symmetrisches)  Dimethyläthylen  CHg-CH :  CH-CHj  wird 
aus  secundärem  Butyljodid  durch  Abspaltung  von  Jodwasserstoff: 

CHg .  CH, .  CH  J .  CHs-HJ     =     CH3  •  CH :  CH  •  CHj 

erhalten  ^^    Diese  Bildungsweise  des  Kohlenwasserstoffs,  ebenso  wie  seine  Rückfuhr- 

*  Berthblot,  Ann.  eh.  [4]  9,  442.  —  Norton  u.  Noyes,  Jb.  1886,  573.  —  Day, 
Jb.  1886,  574. 

'  DE  Wilde,  Bull.  6,  267.  •  Friedel  u.  Silva,  Compt.  rend.  76,  1595. 

*  Beilstein  u.  Wieqand,  Ber.  15,  1498. 

*  Behthelot  u.  Luca,  Ann.  92,  310.  —  Than,  Ann.  123,  189.  —  Erlenmeyer, 
Ann.  139,  225.  —  Tollens  u.  Henninoer,  Ann.  156,  156.  —  Linnemann,  Ann.  161, 
ä4-  —  Gladstone  u.  Tribe,  Ber.  6,  1550.  —  Malbot,  Ann.  eh.  [6J  19,  358. 

*  Claus,  Ber.  9,  696;  18,  2931.  '  Moltschanowsky,  Ber.  22  o,  250. 
"  Than,  Ann.  123,  188.            »  Freund,  Monatsh.  3,  633. 

"  A.  u.  M.  Saytzepf,  J.  pr.  [2]  3,  88.  —  Grabowsky  u.  Saytzefp,  Ann.  179,  330. 

"  WuBTz,  Ann.  162,  21.  >«  V,  Meyer,  Ber.  10,  136. 

^'  Lieben  u.  Rossi,  Ann.  168,  166. 

"  DE  Luynes,  Ann.  129,  200.  —  Lieben,  Ann.  160,  108;  151,  121. 


' 


448  Butylene. 


barkeit  in  secundfires  Butyljodid  durch  Wiederanlagierung  von  ^Jodwasserstoff,  berech- 
tigt dazu,  ihm  die  Formel  des  normalen  Dimethjläthylens  zu  ertheilen;  denn 
die  ausserdem  mit  diesen  Reactionen  zu  vereinbarende  Formel  CH,-CHs -011:0111 
ist  schon  fiir  den  bestimmt  davon  verschiedenen  unter  1)  angeführten  Kohlenwasser- 
stoff vergeben.  Das  normale  Dimethjläthylen  wurde  auch  durch  Zersetzung  ?on 
Bromhydrotiglinsäure  mit  kohlensaurem  Natrium  erhalten^: 

C^HsBrCOONa  =  C^Hg  ■♦-  NaBr  -f  COj. 

Unter  den  drei  Butylenen  ist  es  dasjenige,  welches  in  seiner  Structur  die  grosste 
Symmetrie  zeigt;  hierdurch  erklärt  es  sich  wohl,  dass  zu  seiner  Bildung  eine  beson- 
dere Tendenz  besteht,  und  dass  man  es  daher  zuweilen  in  Eeactionen  erhält,  welche 
bei  normalem  Verlauf  zu  seinen  Isomeren  fuhren  sollten.  So  bildet  es  sich  bei  der 
Einwirkung  von  Natrium  auf  ein  Gemisch  von  Methyljodid  und  Allyljodid',  während 
hierbei  die  Entstehung  des  Aethyläthylens: 

CHjJ  +  CHjJCH  :  CH,  +  Na,  =  2NaJ  +  CHj-CHj-CH  :  CH, 

zu  erwarten  wäre.  Der  Isobutylalkohol  sollte  durch  Wasserabspaltung  lediglich  das 
unsymmetrische  Dimethyläthylen: 

(CH8)aCH.CH,.0H-H,0     =     (CHs),C:CH, 

liefern;  aber  man  erhält  daneben  so  beträchtliche  Mengen  des  symmetrischen  Di- 
methyläthylens^,  dass  dieser  Weg  die  gebräuchlichste  Darstellungsweise  für  diesen 
Kohlenwasserstoff  bietet.  Man  trennt  das  Gemisch  durch  Behandlung  mit  nicht  ganz 
concentrirter  Schwefelsäure,  welche  das  unsymmetrische  Dimethyläthylen  auflöst,  das 
symmetrische  aber  nicht  aufiiimmt;  hat  man  mit  Chlorzink  gearbeitet,  so  ist  der  so  er- 
haltene Kohlenwasserstoff  mit  Aethyläthylen  verunreinigt^.  Auch  beim  Erhitzen  des 
Isobutyljodids  mit  Bleioxyd  bildet  sich  symmetrisches  Dimethyläthylen*. 

3.  Unsymmetrisches  Dimethyläthylen,  Isobutyl^en  (CHj),C:CH2.  Bei 
der  Behandlung  des  IsobutylalkohoLs  mit  Schwefelsäure^  erhäl)\man,  wie  eben  aus- 
geführt wurde,  diesen  Kohlenwasserstoff  gemengt  mit  dem  symmetrischen  Dimethyl- 
äthylen. Um  ihn  aus  diesem  Gemisch  zu  isoliren,  kann  man  die  G^ase  durch  bei  0.^ 
gesättigte  Jodwasserstoffsäure  absorbiren  und  das  so  erhaltene  Gemenge  der  Jodide 
(CHa)sCJ-CH3  und  CHj-CHj-CHJ-CHj  in  siedendes  Wasser  tropfen  lassen;  da  das 
secundäre  Butyljodid  durch  siedendes  Wasser  nicht  zersetzt  wird,  das  tertiäre  Jodid 
aber  unter  Jodwasserstoffabspaltung  zerfällt,  so  entwickelt  sich  jetzt  reines  Isobutylen  ^. 
Rein  erhält  man  das  Isobutjden  femer  durch  Behandlung  von  Isobutyljodür  oder 
tertiärem  Butyljodür  mit  alkoholischem  Kali^: 


(CH8)jCn  •  CHaJ — H J  =  1  /pxT  -v  p  .  pxx 
(CHs^jCJ  .  CHa  -HJ  =  i  ^^^8Ja^  •  ^^t- 


Das  Isobutylen  vereinigt  sich  mit  Jodwasserstoff  zu  tertiärem  Butyljodid,  mit  unter- 
chloriger Säure  zu  einem  Chlorhydrin  (CH8)jCCl' CHg  •  OH;  seine  Losung  in  mit 
Vs  Wasser  verdünnter  Schwefelsäure  liefert  bei  der  Zersetzung  mit  Wasser  den  ter- 
tiären Butylalkohol  (vgl.  S.  163)^  Diese  Reactionen  thun  die  Berechtigung  seiner 
AufBEissüng  als  Isobutylen  dar. 


^  Pagenstecheb,  Ann.  195,  113.  *  Wurtz,  Ann.  144,  234;  162,  21. 

^  Le  Bel  u.  Greene,  Bull.  29,  306.  —  Konow^alofp,  Ber.  18,  2395. 

*  Faworsky  u.  Debotjt,  J.  pr.  [2]  42,  152.  ^  Eltekopp,  Ber.  13,  2404. 

®  PüCHOT,  Ann.  eh.  [5]  28,  508.  —  Lermontofp,  Ann.  196,  117  Anm.  —  Koso- 
WALOPP,  Ber.  13,  2396.  —  Hell  u.  Rothbebg,  Ber.  22,  1738. 

^  ScHESCHUKOW,  Ber.  19  o,  545. 

^  BuTLERow,  Ann.  144,  19.  Ztschr.  Chem.  1870,  238.  Ber.  3,  623.  —  Maä- 
KOWNIKOFP,  Ber.  2,  660. 


Amylene,  449 

Zur  Unterscheidung  der  drei  bei  gewöhnlicher  Temperatur  gasformigen  Butylene 
benatzt  man  am  bequemsten  die  Siedepunkte  ihrer  Dibromide.  Das  Bromid  des 
Aethyläthylens  CjHg^CHBr-CHjBr  siedet  bei  165°,  dasjenige  des  normalen  Dimethjl- 
äthylens  CHs-CHBr-CHBr-CHj  bei  156%  das  Isobutylenbromid  (CH3)8CBr.CH,Br 
bei' 148«. 

Polymere  des  Isobutylens*:  Von  den  Polymerisationsprodukten,  in  welche 
das  Isobufylen  durch  Berührung  mit  condensirenden  Mitteln  wie  Schwefelsäure  und 
Chlorzink  übergeführt  wird,  welche  sich  daher  auch  häufig  statt  seiner  bei  Eeactionen 
wie  z.  B.  der  Wasserentziehung  aus  Isobutylalkohol  direct  bilden,  sind  die  beiden 
einfachsten  —  das  Isodibutylen  CgHje  und  das  Isotributylen  CjjH,^  —  isoUrt 
worden  (vgl.  S.  445).  Man  erhält  sie  am  besten,  indem  man  Isobutylalkohol,  dem 
4—5  ^/q  Isobutylchlorid  zugesetzt  werden,  mit  Chlorzink  unter  Kückfluss  erhitzt.  Das 
Isodibutylen  siedet  bei  110— 113<^  und  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  0-734.  Es 
addirt  mit  Leichtigkeit  1  Mol.  Chlorwa^erstoff  oder  Jodwasserstoff;  da  bei  der  Oxy- 
dation mit  Chromsäure  als  Hauptprodukte  Aceton  und  Trimethylessigsäure  auftreten, 
so  ertheilt  man  ihm  die  Constitutionsformel: 

(CH,),C=CH.C(CH,^3. 

Isotribatylen  siedet  bei  178—181®  und  besitzt  bei  0*  das  spec.  Gewicht  0*774. 
Amylene  oder  Pentene  C5H10. 
Mit  Normaler  Kohlenstoffkette  sind  zwei  Amylene  denkbar: 

Cxij  •  Cxi]  •  CH]  •  CH :  CHj  CH3  •  CHg  •  CH  :  CH  •  CH3. 

Propyläthylen.  Symmetrisches  Methyläthyläthylen. 

Das  symmetrische  Methyläthyläthylen'  ist  aus  dem  Jodür  des  Diäthylcarbinols 
durch  Jod  Wasserstoffabspaltung  gewonnen: 

CI13  •  CH]  •  CHJ  •  CHg  •  CH3 — HJ  =  CH3  •  CH]  •  CH :  CH  •  CH3 

and  geht  durch  Jodwasserstoffanlagerung  in  das  Jodür  des  Methylpropylcarbinols  über: 

CH3.CH,.CH:CH.CH3 +  HJ    =    CH3.CHa.CH,.  CHJ- CH3. 

Hiermit  identisch  ist  wohl  das  Amylen,  welches  bei  der  Zersetzung  der  Bromhydro- 
Sthylcrotonsäure  durch  Alkalien  auftritt',  und  ein  durch  Einwirkung  von  Zinkäthyl 
auf  Chloroform^  entstehendes  Amylen.  Auch  das  Amylen,  welches  aus  Jodallyl  und 
Zinkäthyl'  erhalten  wird  und  bei  normalem  Reactionsverlauf: 

(CjH6),Zn  +  2J.CHj.CH  :  CH,  =  ZnJ,  +  2C8H6.CHj.CH  :  CH, 

das  Propyläthylen  darstellen  sollte,  liefert  durch  J od wasserstoffiiufhahme  das  Jodür 
des  Methylpropylcarbinols,  ebenso  ein  normales  Amylen  ^,  welches  sich  unter  den  Ein- 
wirkongsprodukten  von  Chlorzink  auf  gewöhnlichen  Amylalkohol  befindet  (vgl.  S.  451). 
Die  Bildung  des  Methylpropylcarbinjodids  kann  offenbar  nicht  zur  Auswahl  zwischen 
den  beiden  normalen  Amylenformeln  dienen,  da  sie  mit  beiden  vereinbar  ist.  Für 
das  ans  dem  Gährungsamylalkohol  entstehende  normale  Amylen  ist  indess  die  Formel 
des  Propyläthylens  wahrscheinlicher,  da  bei  seiner  Oxydation  Buttersäure  und  Bem- 
steinsänre  neben  Ameisensäure  erhalten  werden^;  andererseits  sprechen  freilich  einige 


*  BuTLEROW,  Ann.  189,  44.  Ber.  15,  1575.  Jb.  1879,  364.  —  Butlerow  u.  Go- 
RiAiNow,  Ber.  6,  561.  —  Lermontow,  Ann.  196,  116?  —  Püchot,  Ann.  eh.  [5]  28,  529. 
—  Maiaot  u.  Gentil,  Ann.  eh.  [6]  19,  370.  —  Dobbin,  Joum.  Soc.  37,  239. 

*  Wagker  n.  Saytzepp,  Ann.  176,  373;  179,  302,  313. 

»  Frrrio,  Ann.  200,  29.  *  Riete  u.  Beilstein,  Ann.  124,  245. 

»  WuBTz,  Ann.  127,  55;  148,  131.  «  Wischnegradsky,  Ann.  190,  346. 

'  O-  n.  F.  Zeidler,  Ann.  197,  253. 
V.  MxTXK  0.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  29 


450  Amylene. 

Beobachtungen   über  das  Verhalten   des  aus   seinem  Dibromid  QH^oBr,  durch  dl« 

Eeaction : 

C,H,oBr,-2HBr  =  CH« 

erhältlichen  Pentins^  für  die  Auffassung  als  Methyläthyläthylen. 

Von  Amylenen  mit  verzweigter  Kohlenstoffkette  lässt  die  Theorie  drei 
Isomere  voraussehen: 

CHgv  CHs\  xCHj  •  CH3 

>CH.CH:CH,  NC-CHCH,  CH,  :  CJ< 

CH3/  cn/  ^CH, 

Isopropyläthylen.  Trimethyläthylen.  Unsymm.  MethylfithylälrleD. 

Da  der  gewöhnliche  Amylalkohol  (vgl.  S.  164)  ein  Gemenge  der  beiden  Alkohole: 

'\cH.CHj.CH,(OH)         und         CH,(OH).CH< 

darstellt,  so  sollte  man  erwarten,  durch  Wasserabspaltung  (bezw.  aus  seinem  Jodür 
durch  JodwasserstofiPabspaltung)  ein  Gemenge  von  Isopropyläthylen  und  unsvmme 
trischen  Methyläthyläthylen  zu  erhalten. 

Geht  man  von  dem  Jodür  aus  und  unterwirft  dieses  der  Einwirkung  des  alko- 
holischen Kalis',  so  entspricht  die  Zusammensetzung  des  resultirendeu ,  bei  23— 2T 
siedenden  Kohlenwasserstoffgemisches  in  der  That  dieser  Erwartung*.  Aus  dem  Jöe- 
misch  lässt  sich  das  Isopropyläthylen  (CHj)jCH-CH:  CHg  ohne  grosse  Möhe 
rein  abscheiden,  da  es  viel  weniger  reactionsfähig,  als  sein  Begleiter  —  das  Methjl- 
äthyläthylen  —  ist;  behandelt  man  das  Gemenge  mit  Schwefelsäure  (2  VoL  cone. 
HjSO^  und  1  Vol.  HjO),  so  wird  letzteres  gelöst,  während  das  Isopropyläthylen  un- 
gelöst bleibt;  ebenso  bleibt  es  bei  der  Einwirkung  von  Jodwasserstoff  bei  —20* 
unverändert,  während  das  Methyläthyläthylen  schon  bei  dieser  niederen  Temperatur 
in  tertiäres  Amyljodid  übergeführt  wird.  Bei  Zimmertemperatur  fizirt  auch  das  Iso- 
propyläthylen Jodtraaserstoff,  um  in  das  Jodid  des  Methylisopropylcarbinols  über- 
zugehen : 

(CHsljCHCHrCH, +  HJ    =    (CHaJjCHCHJCHs; 

hieraus,  sowie  aus  der  Verwandlung  seines  Dibromids  in  Isopropylacetylen: 

(CH3\CH.CHBr.CHaBr-2HBr    =    (CH8),CH •  C  i  CH 

wird  seine  Constitution  gefolgert. 

Das   unsymmetrische    Methyläthyläthylen    (CHaXCjHsKJ :  CH,    entsteht 
aus  dem  Jodür  des  activen  Amylalkohols  durch  Jodwasserstofiabspaltung^: 

CHj\  CHjv 

>CH.CH,J-HJ    =  NCiCHj, 

CHj-CH/  CHjCH/ 

und  vereinigt  sich,   wie  eben  bemerkt,   sehr  leicht  mit  Jodwasserstoff  zu  tertifirein 

Amyljodid : 

CHgv  CHg\ 

>C :  CH,  +  HJ  =  >CJ.CHs  . 

CHgCH/  CHjCH,/ 

Von  dem  aus  dem  Gährungsamyljodür  entstehenden  Amylengemisch  wesentlich 
verschieden  ist  indessen  das  bei  22 — 45^  siedende  Heactionsprodukt,  welches  mau  bei 


*  Eltekoff,  Ber.  10,  1905,  2057.  ■  Flawitzky,  Ann.  179,  847. 

*  WiscBNEQBADSKY,  Ann.  190,  351.  —  Eltekoep,  Ber.  10,  707. 

*  Le  BB^  Jb.  1876,  347. 


Käufliches  oder  gewöhnUches  Amylen.  451 


der  Einwirkang  von  Chlorzink  auf  das  Fuselöl  erhält^,  und  welches  das  ,,  käu  fliehe 
Amylen**  darstellt.  Es  geht  dies  schon  daraus  hervor,  dass  man  aus  demselben  ein 
bei  35 — 38^  siedendes  Produkt  herausfractioniren  kann,  während  die  Siedepunkte  des 
Isopropyläthylens  und  unsymmetrischen  Methyläthyläthylens  niedriger  liegen  (vgl.  die 
Tabelle  Nr.  24  auf  S.  441).  Dieses  käufliche  oder  gewöhnliche  Amylen'  enthält  nicht 
nur  ungesättigte  Kohlenwasserstoffe,  sondern  auch  beträchtliche  Mengen  von  Pentan; 
dass  ein  Amylen  mit  normaler  Kohlenstoffkette  darin  vorkommt,  ist  schon  S.  449  er- 
wähnt Dieses  normale  Amylen  und  das  Pentan  bilden  denjenigen  Theil  des  käuf- 
lichen Amylens,  welcher  durch  Behandlung  mit  Schwefelsäure  (1  Vol.  HgSO«  und 
1  Vol.  H^O)  bei  niederer  Temperatur  nicht  in  Lösung  geht  Das  Isopropyläthylen 
dagegen  —  das  directe  Wasserabspaltungsprodukt  des  inactiven  Amylalkohols: 

(CHaljCH.CHj.CHjOH-HjO    =    (CH8)jCH.CH:CH„ 

welches  bei  glattem  Reactionsverlauf  das  Hauptprodukt  sein  sollte,  da  doch  der  in- 
active  Amylalkohol  den  Hauptbestandtheil  des  Fuselöls  bildet,  —  kommt,  wenn  über- 
haupt, so  jedenfalls  nur  in  geringer  Menge  darin  vor';  es  erleidet  unter  dem  Einfluss 
des  Chlorzinks  eine  ümlagerung  in  Trimethyläthylen  (CHj^jC : CH^CHj) : 

>CH .  CH :  CH, >-  >C  :  CH  •  CHg ; 

CU/  CH/ 

auch  hier  also  besteht  eine  Tendenz  zur  Bildung  de^enigen  Isomeren,  dessen  Molecül 
die  grösste  Zahl  gleichartiger  Gruppen  (Methylgruppeu)  in  möglichst  gleichförmiger  Ver- 
theilung  enthält  (vgl.  norm.  Dimethyläthylen  S.  448).  Dieses  Trimethyläthylen  bildet 
zugleich  mit  dem  aus  dem  activen  Amylalkohol  gebildeten  unsymmetrischen  Methyl- 
äthyläthylen den  bei  obiger  Behandlung  mit  Schwefelsäure  in  Lösung  gehenden  An- 
theil  des  käuflichen  Amylens.  Es  ergiebt  sich  dies  daraus,  dass  bei  der  Zersetzung 
der  schwefelsauren  Lösung  mit  Wasser  der  tertiäre  Amylalkohol  (Darstellungsmethode 
desselben,  vgl.  S.  166),  in  fast  theoretischer  Menge  gebildet  wird: 

(CH3),C;CH.CH8  +  H,0  =  (CH3),C(0H)  •  CH,  •  CH, ; 

die  Entstehung  desselben  könnte  freilich  lediglich  auf  das  unsymmetrische  Methyl- 
äthyläthylen zurückgeführt  werden: 

'  Vc-CH, .  CH,  +  H,0  =       '\C(0H)-CH,  •  CH, ; 
CH,/  CH,/ 

dem  widerspricht  aber,  dass  das  aus  dem  käuflichen  Amylen  durch  die  Reactionen: 

C5H10  +  Br,  =  C,HioBr„        C,HioBr,  +  2H.0H  =  C5Hio(OH)j  +  2HBr 

gewinnbare    Amylenylykol    C5Hio(OH)2     bei     der     Oxydation     Oxyisobutterdäure 

(CH,),C(OH).CO-OH  liefert*,  welch'  letztere  sich  nicht  aus  dem  Glykol  des  Methyl- 

äthylStfaylens: 

CHj(OHK 

>C-CHa.CH, 

CH,/  I 
OH 

wohl  aber  aus  demjenigen  des  Trimethyläthylens: 

(CH,),C(OH) .  CH(OH) .  CH, 
bilden  kann. 


*  Balabd,  Ann.  eh.  [3]  12,  320.  —  Wurtz,  Ann.  128,  225  u.  316.  —  Baues, 
J.  pr.  84,  257.  —  Etabd,  Compt  rend.  86,  488. 

'  Vgl.  besonders  Wischneobadsky,  Ann.  190,  328. 

•  Vgl.  Eltekopp,  Ber.  10,  1904.  *  Wuetz,  Ann.  eh.  [3]  65,  458. 

29* 


452  Höhere  Alkylene, 


Keines  Trimetfajläthylen  soll  aus  dem  tertiären  Amylalkohol  durch  Erhitzen  mit 
Schwefelsäure  entstehen  ^ ;  aus  dem  tertiären  Amyljodür  erhält  man  durch  Einwirkung 
von  alkoholischem  Kali  ein  Gemenge  von  Trimethjläthylen  und  unsymmetrischem 
Methyläthyläthylen«: 

\CJ.CH,.CHs-HJ    =   <^        . 

^"»  X^^»\C.CH,.CHs 

CH,/ 

Nach  WüBTz^  entstände  bei  der  Einwirkung  von  Chlorzink  auf  Amylalkohol 
auch  Hexylen  in  erheblicher  Menge.  Bei  Anwendung  von  reinem  Amylalkohol  tritt 
indess,  selbst  wenn  man  in  sehr  grossem  Massstab  arbeitet,  wie  uns  Herr  Dr.  A.  Ban- 
Now  —  Leiter  der  KAHLSAUM'schen  Fabrik  in  Berlin  —  freundlichst  mittheilt,  niemals 
Hexylen  auf.  Jene  Angabe  dürfte  sich  nach  Dr.  Bannow's  Vermuthung  möglicherweise 
so  erklären,  dass  der  von  Wubtz  verarbeitete  Amylalkohol  etwas  Hexylalkohol  ent- 
halten hat,  welcher  in  Form  von  Fettsäureestem  zuweilen  im  rohen  Fuselöl  vorkommt 
Polymere  des  gewöhnlichen  Amylens^:  Das  Amylen  polymerisirt  sich  sehr 
leicht.  Schon  bei  0^  liefert  es  unter  der  Einwirkung  einer  mit  dem  halben  Volum 
Wasser  verdünnten  Schwefelsäure  das  Dlamylen  CioHgo,  eine  angenehm  obstartig 
riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  153 — 156^  siedet;  in  ätherischer  Lösung  lässt  sich 
das  Diamylen  mit  Brom  bei  — 17*^  zu  einem  Dibromid  CjoHjoBr,  vereinigen,  wäh- 
rend bei  höherer  Temperatur  stets  Bromwasserstoffentwickelung  eintritt.  Aus  den 
Umwandlungsprodukten  des  Amylens  durch  Chlorzink  ist  femer  Triamylen  CjjHjo 
(Siedepunkt  245 — 248  °)  isolirt  worden,  welches  ebenfalls  bei  niederer  Temperatur  sich 
mit  Brom  zu  einem  Dibromid  CiaHgoBr,  vereinigt.  Die  Constitution  dieser  Kohlen- 
wasserstoffe ist  noch  nicht  ermittelt. 

Höhere  Alkylene.  In  der  Tabelle  Nr.  24  auf  S.  441  sind  die  physikalischen 
Constanten  für  eine  Reihe  von  höheren  Alkylenen  der  normalen  Structur  R-CH-.CHj 
aufgefiihrt.  Es  sei  bemerkt,  dass  allerdings  für  das  Hexylen  und  Heptylen  die  noi^ 
male  Structur  noch  nicht  sicher  begründet  ist;  diese  Kohlenwasserstoffe  wurden  aus  Chlo- 
riden CqHsq  ^  iCl,  die  aus  Petroleumfractionen  durch  Chlorirung  erhalten  waren,  durch 
Chlorwasserstoffabspaltung  gewonnen;  für  ihre  Zugehörigkeit  zum  Tjrpus  R-CH:CH2 
spricht  der  Umstand,  dass  sie  sich  nicht  mit  rauchender  Salzsäure  in  der  Kälte  ver- 
einigen (vgl.  S.  443).  Die  weiter  dort  aufgeführten  Kohlenwasserstoffe:  Octylen, 
Do-,  Tetra-,  Hexa-  und  Octa-decylen  sind  aus  den  normalen  primären  Alkoholen 
gewonnen  worden  und  können  daher  als  sicher  normal  constituirt  betrachtet  werden. 

Die  höchsten  Glieder  der  Alkylenreihe,  welche  bisher  bekannt  geworden  sind, 
wurden  aus  den  Wachsarten  erhalten.  Durch  Destillation  des  chinesischen  Wachses 
wurde  das  Ceroten  C27H54  (oder  C^Hg,?)  als  paraffinähnliche  Masse  vom  Schmelz- 
punkt 57—58®,  durch  Destillation  des  Bienenwachses  das  Melen  C^o^eo  (o<ier  CgtH^'?) 
vom  Schmelzpunkt  62®  gewonnen ^  Sie  verdanken  ihre  Entstehung  offenbar  einer 
Spaltung  der  Fettsäureester  (Cerotinsäure-Cerylester  bezw.  Palmitinsäure-myricylester, 
vgl.  S.  362)  in  freie  Säure  und  Alkylen  (vgl.  S.  360).  In  Alkohol  sind  sie  nur  noch 
wenig  löslich. 


^  Eltekoff  nach  BEiLSTEm,  Handb.  d.  org.  Chem.  I.  146  (2.  Aufl.  Hamburg  u. 
Leipzig  1886). 

*  Waqneb,  Ber.  21,  1234.  —  Kondakow,  Ber.  22  o,  251.  •  Ann.  128,  316. 

*  Bebthelot,  Ann.  128,  314.  —  Bauer,  J.  pr.  84,  257.  Ann.  137,  249.  — 
Erlenmeyer,  Ztschr.  Chem.  1866,  362.  — -  Schneider,  Ann.  167,  207.  —  Eltekoff, 
Ber.  11,  991.  —  Wischnegradsky,  Ber,  8,  434. 

*  Brodie,  Ann.  67,  210;  71,  156. 


Acetylen.  453 

n.  Die  Kohlenwasserstoffe  Ton  der  Zusammensetzang  C„H2q_2. 

Acetylen-Kellie. 

Das  Acetylen  oder  Aethln  (vgl.  S.  97  Anm.)  G^^  =  CHiCH  — 
das  Anfangsglied  dieser  Reihe  und  der  Prototyp  aller  Verbindungen 
mit  dreifacher  Kohlenstoffbindung  —  wurde  zwar  schon  1836  von 
E.  Davy^  beobachtet,  als  er  die  bei  einem  Versuch  der  Kaliumdar- 
stellung aus  Weinstein  und  Kohlepulver  erhaltene  graubraune  Masse 
mit  Wasser  zei*setzte.  Die  eigentliche  Charakterisirung  dieses  gas- 
formigen Kohlenwasserstoffs,  welcher  durch  die  Einfachheit  seiner  Zu- 
sammensetzung, durch  seine  Darstellbarkeit  in  directer  Synthese  aus 
den  Elementen  ulid  durch  die  Eigenartigkeit  seiner  Eigenschafben 
das  Interesse  fesselt,  datirt  indessen  erst  von  einer  Reihe  wichtiger 
Untersuchungen,  welche  Bebthelot*  1859  begann.  Beethelot  zeigte, 
dass  das  Acetylen  zu  den  beständigsten  Kohlenwasserstoffen  gehört; 
denn  es  bildet  sich  aus  den  meisten  organischen  Verbindungen 
unter  dem  fortgesetzten  Einfluss  der  Rothglühhitze,  so  z.B. 
aus  Aethylen,  Methyl-  und  Aethylalkohol,  Aldehyd,  besonders  reich- 
lich aus  Aether;  es  findet  sich  daher  im  Leuchtgas,  wenn  auch  nur 
in  geringer  Quantität  (0-06 — 0*07  Vol.-Proc.^).  Nicht  weniger  allgemein 
ist  seine  Bildung  durch  unvollständige  Verbrennung,  d.  h.  bei  der 
Verbrennung  von  Kohlenstoffverbindungen  unter  solchen  Bedingungen, 
dass  der  zugeflihrte  Sauerstoff  nicht  für  die  vollständige  Oxydation  zu 
Kohlensäure  und  Wasser  genügt;  die  Gase,  welche  von  einer  zurück- 
geschlagenen Flamme  des  BuNSEN'schen  Brenners  geliefert  werden*,  ent- 
halten daher  eine  viel  bedeutendere  Menge  an  Acetylen  als  das  Leucht- 
gas selbst  (etwa  0-75— 0-80  Vol.-Proc.*^. 

Wie  die  Beobachtung  dieser  Entstehungsweisen,  so  rührt  auch 
die  Synthese  des  Acetylens  aus  Kohlenstoff  und  Wasserstoff 
von  Bebthelot  her.  Die  Einwirkung  der  höchsten  durch  Heizung  er- 
reichbaren Hitzegrade  genügt  zur  Vereinigung  der  beiden  Elemente 
nicht;  in  einem  Versuch,  bei  welchem  Kohle  im  Wasserstoffstrom  so 
hoch  erhitzt  wurde,  dass  das  die  Kohle  enthaltende  Porcellanrohr  weich 
wie  Glas  wurde,  entstand  keine  Spur  von  Acetylen.  Bei  den  durch 
EHektricität  erreichbaren  höheren  Temperaturen  wird  die  Synthese  indess 
ausföhrbar.  Wenn  man  durch  eine  Glocke,  in  welcher  zwischen  zwei 
Kohlepolen  ein  elektrischer  Lichtbogen  erzeugt  wird,  einen  Wasser- 
stoffstrom leitet,  so  ist  dem  austretenden  Wasserstoff  von  Beginn  des 
Versuches  an  Acetylen  beigemengt.   Durch  diese  Bildungsweise  wird  das 


^  Ann.  23,  144. 

•  Ann.  eh.  [3]  67,  52;  [4]  9,  385,  413,  418,   421,  426,  428;  [4]  18,  143;  [5] 
10,  365. 

'  Blochmakn,  Ann.  173,  171.  ^  vgl.  Rieth,  Zeitschr.  Chem.  1867,  598. 

*  Blochmakn,  Ann.  173,  178.     - 


454  Acetylen  (Bildung 


Acetylen  zum  Ausgangspunkt  in  den  synthetischen  Processen  der  orga- 
nischen Chemie;  von  ihm  kann  man  durch  Wasserstoflfzufahr  zum 
Aethylen  CgH^  (vgl.  S.  457),  vom  Aethylen  durch  Wasseranlagerung  zum 
Aethylalkohol  CgH^O  (vgl.  S.  143,  156)  und  weiter  auf  mannigfachen 
Wegen  zu  Verbindungen  von  stets  wachsender  Complication  fortschreiten. 
Das  Acetylen  ist  der  einzige  Kohlenwasserstoff,  welcher  durch  directe 
Vereinigung  der  Elemente  erhalten  werden  konnte. 

Das  Acetylen  bildet  sich  femer  bei  der  Elektrolyse  von  Fumar- 
oder  Maleinsäure^: 

CH.COjH         CH 

+  2C0j      +       Hj 
CH.CO.H  CH___  -Eldll^ode' 

+  Elektrode 

beim  Erhitzen  von  Chloroform  mit  Kaliumamalgam  ^: 

2CHC18  +  6Na  =  CH:  CH  +  6NaCl, 

ebenso  aus  Jodoform  CHJg  unter  der  Einwirkung  fein  vertheilter  Metalle'. 
Durch  Abspaltung  von  Bromwasserstoff  entsteht  es  aus  dem  Aethylen- 
bromid  .CgH^Br^  unter  intermediärer  Bildung  von  Bromäthylen*  CgHjBr 
(Vihylbromid,  vgl.  S.  471): 

CH,Br  CHjBr  —  HBr  =  CH, :  CHBr 
CHj :  CHBr  -  HBr  =  CH :  CH. 

Die  letztere  Bildungsweise  ist  diejenige,  welche  gewöhDÜch  zur  Daretellung 
des  Acetylens  benutzt  wird^  Man  lässt  Aethylenbromid  in  eine  unter  Rückfluss 
siedende  alkoholische  Alkalilösung  tropfen;  das  entweichende  Gas  ist  ein  Gremenge 
von  Acetylen  und  Vinylbromid.  Wenn  man  bei  der  Beaction  die  Gegenwart  von 
Wasser  möglichst  ausschliesst^  so  erhält  man  ein  Gas,  welches  an  Vinylbromid  yer- 
hältnissmässig  arm  ist.  Es  ist  daher  zweckmässig,  statt  einer  alkoholischen  Lösung 
von  Aetzkali  eine  Lösung  von  metallischem  Natrium  in  absolutem  Alkohol  (50  g 
Na  in  500  ccm  Alkohol  für  100  g  Aethylenbromid)  zu  verwenden.  Das  entwickelte 
Gas  leitet  man  durch  zwei,  in  einer  Kältemischung  befindliche  Waschfiaschen  mit 
absolutem  Alkohol,  in  welchen  das  Vinylbromid  grösstentheils  absorbirt  wird,  und 
f&ngt  es  dann  über  Kochsalzlösung  auf,  da  Acetylen  in  Kochsalzlösung  weniger  lös- 
lich als  in  Wasser  ist®.  —  Man  bedient  sich  ferner  zur  Darstellung  des  Acetylens 
seiner  Bildung  bei  der  Verbrennung  des  Leuchtgases  unter  ungenügendem  Luftzu- 
tritt Lässt  man  ein  kleines  Gasflämmchen  innerhalb  einer  Metallröhre  brennend 
welche  nach  Art  des  inneren  Rohres  des  LiEBio'schen  Kühlers  in  einem  Glasmantel 
steckt  und  durch  Wasser  abgekühlt  wird,  und  saugt  vom  oberen  Ende  der  Metallröhre 
mittelst  der  Wasserluftpumpe  die  Gase  durch  Cylinder  ab,  welche  eine  ammonia- 
kaiische  Kupferchlorürlösung  enthalten,  so  erhält  man  in  letzteren  einen  Niederschlag 


»  Kekül6,  Ann.  131,  85.        *  Kletzinsky,  Ztschr.  Chem.  1866,  127. 

•  Cazeneuve,  Compt.  rend.  97,  1371. 

*  Sawitsch,  Compt.  rend.  62,  157.  —  Miasnikow,  Ann.  118,  330. 

*  vgl.  Sabanejepf,  Ann.  178,  109.  —  Zeisel,  Ann.  191,  368.  —  de  Forcband, 
Compt.  rend.  104,  697. 

•  Nach  Privatmittheilungen  von  L.  Gattebmann. 

^  Diese  Versuchsanordnung  rührt  von  Sandmeyer  (Privatmittheilung)  her;  über 
andere  Apparate  vgl.  Jükqfleisch,  Compt.  rend.  90,  364.  —  Schlegel,  Ann.  226,  153 


und  Eigenschaften).  455 


der  unten  beschriebenen  Eupferverbindung ;  aus  dem  Acetylenkupfer  kann  man 
das  Acetylen  durch  Erwärmen  mit  Salzsäure  (nicht  aber  mit  Schwefelsäure)  wieder 
frei  machen,  erhält  aber  auf  diese  Weise  ebenfalls  ein  mit  Vinylchlorid  (CjHjCl) 
verunreinigtes  Gas^  Sehr  reines  Acetjlen  gewinnt  man  durch  Zersetzung  der 
Kupferverbindung    mittelst    Cjankalium'. 

Das  Acetylen  ist  ein  farbloses  Gas;  es  besitzt,  wie  wir  an  einer 
Probe  des  reinen  —  aus  der  Kupferverbindung  durch  Cyankalium 
abgeschiedenen  —  Grases  feststellten,  einen  unangenehmen,  lauchartigen, 
nicht  durchdringenden  Geruch.  Man  begegnet  häufig  der  Ansicht,  dass 
der  eigen thümliche  Geruch,  durch  welchen  man  im  Laboratorium  oft 
auf  das  Vorhandensein  zurückgeschlagener  Flammen  aufmerksam  wird, 
vom  Acetylen  herrühre;  der  Geruch  des  Acetylens  ist  indessen  durch- 
aus verschieden  davon.  Das  Acetylen  brennt  mit  intensiv  leuchtender 
und  russender  Flamme.  Bei  18^  löst  Wasser  etwa  das  gleiche  Volum, 
Chloroform  und  Benzol  etwa  das  vierfache,  Eisessig  und  absoluter 
Alkohol  etwa  das  sechsfache  Volum.  Bei  18^  wird  das  Acetylen  durch 
einen  Druck  von  83  Atmosphären  zu  einer  farblosen,  leicht  beweglichen 
Flüssigkeit  verdichtet,  welche  bei  0^  das  spec.  Gew.  0-451  besitzt  und 
in  Wasser  beträchtlich  löslich  ist'. 

Diejenige  Eigenschaft,  welche  das  Acetylen  besonders  charakteri- 
sirt,  ist  seine  Fähigkeit  zur  Bildung  von  Metallverbindungen*,  die 
durch  heftige  Explosivität  ausgezeichnet  sind.  Besonders  wichtig  ist  die 
Kupferverbindung,  welche  man  als  bräunlichrothen,  amorphen  Nieder- 
schlag erhält,  wenn  Acetylen  durch  eine  ammoniakalische  Kupferchlorür- 
lösung  streicht;  ihre  Bildung  giebt  ein  einfaches  Mittel  an  die  Hand, 
das  Acetylen  in  Gasgemischen  zu  erkennen  und  aus  denselben  zu  iso- 
liren  (vgl.  oben  die  Darstellung  durch  unvollständige  Verbrennung  des 
Leuchtgases);  mit  Hülfe  dieser  Kupferverbind ung  konnte  Acetylen  noch 
in  Gasgemischen  nachgewiesen  werden,  welche  nur  0-OP/o  enthielten. 
Im  trockenen  Zustand  detonirt  sie  bei  gelindem  Erhitzen,  aber  auch 
durch  Schlag.  Viel  explosiver  noch  ist  die  Silberverbindung:  ein 
weisser,  lichtempfindlicher  Niederschlag,  der  sich  beim  Einleiten  von 
Acetylen  in  ammoniakalische  Silbemitratlösung  bildet.  Die  Zusammen- 
setzung dieser  Verbindungen  entspricht  den  Formeln: 

CjHjCujO         und         CjHjAgaO. 

Ihrer  empirischen  Zusammensetzung  nach  könnten  sie  demnach  als  Mole- 
cularverbindungen  des  Acetylens  mit  Metalloxyden  angesehen  werden; 
doch  hat  man  zweifellos  in  ihnen  Metallatome  direct  an  KohlenstoiF- 
atome  gebunden  anzunehmen,  entsprechend  den  Structurformeln : 


*  vgl.  Zeisel,  Ann.  191,  368;  über  Beimengung  von  Polyacetylenen  vgl.  Römer, 
Ann.  233,  182. 

*  vgl.  Baever,  Ber.  18,  2273. 

'  Cailletet,  Compt.  rend.  86,  851.  —  Ansdell,  Jb.  1879,  68. 

*  Berthelot,  Ann.  eh.  [4]  9,  385.  —  Behrend,  Ann.  136,  258.  —  Blochmann, 
Ann.  173,  174.  —  Bassett,  Ztschr.  Chem.  1869,  314. 


456  Acetylen  (MetaXlverhindungenj 


C-Cu  C-Ag 

C-Cu  Ö-Ag 

CH  CH 


oder  vielleicht: 


C-Cu~Cu-OH  C— Ag-Ag-OH. 

Die  Ersetzbarkeit  durch  Metallatome  ist  nämlich  eine  charakteristische 
Eigenschaft  der  an  einem  dreifach  gebundenen  Eohlenstoffatom  haftenden 
Wasserstoflfatome.  Es  geht  dies  besonders  deutlich  aus  der  Zusammen- 
setzung der  Silberverbindung  CgHgAg  hervor,  welche  das  Allylen  —  das 
nächste  Homologe  des  Acetylens  (vgl.  S.  460 — 461)  —  bildet;  man  kann 
diese  Verbindung  nicht  anders  als  durch  die  Formel: 

AgCiCCH, 

deuten.  Es  lässt  sich  ferner  dafür  die  Einwirkung  der  Alkalimetalle  auf 
das  Acetylen  anfiihren.  Erhitzt  man  Natrium  gelinde  in  einem  ab- 
geschlossenen Acetylenvolum,  so  verschwindet  das  Acetylen,  und  es  bleibt 
ein  Gasvolum  zurück,  welches  ungefähr  die  Hälfte  des  ursprünglichen 
Volums  ausmacht  und  hauptsächlich  aus  Wasserstoff  besteht;  das  Na- 
trium bedeckt  sich  mit  einer  bräunlichen  Kruste  und  diese  Substanz 
lässt  bei  der  Behandlung  mit  Wasser  das  Acetylen  wieder  entstehen; 
man  darf  daher  diese  Einwirkung  des  Natriums  auf  das  Acetylen  durch 
die  Gleichung  darstellen: 

CsH,  +  Na  =  C,HNa  +  H. 

Reagirt  Natiium  bei  höherer  Temperatur  (dunkler  Rothgluth)  auf  Ace- 
tylen, so  bleibt  das  Gasvolum  während  der  Operation  ziemlich  un- 
verändert und  besteht  nach  Beendigung  derselben  fast  ausschliesshch 
aus  Wasserstoff;  es  bildet  sich  unter  theilweiser  Zerstörung  des  Acetylens 
eine  schwarze,  kohlige  Masse,  die  mit  Wasser  Acetylen  regenerirt,  und 
in  der  demnach  eine  Dinatriumverbindung  des  Acetylens: 

C,H,  +  Na,  =  C,Na,  +  H, 
vorzuliegen  scheint. 

Eine  Reihe  halogenhaltiger  Metallverbiudungen  ist  erhalten  worden,  indem  man 
Acetylen  durch  Lösungen  von  Kupferchlorür  in  Chlorkalium,  Chlorsilber  in  Ammo- 
niak etc.  leitete;  ihre  Zusammensetzung  ist  indessen  nicht  durch  die  Analyse  er- 
mittelt. 

Wenn  vorher  auf  die  grosse  Beständigkeit  des  Aetylens  gegen  hohe 
Temperaturen  hingewiesen  wurde,  durch  welche  seine  Entstehung  in 
vielen  pyrogenen  Processen  möglich  wird,  so  muss  jetzt  hinzugefugt 
werden,  dass  diese  Beständigkeit  nur  dann  dem  Acetylen  eigen  ist,  wenn 
es  mit  einer  grossen  Menge  fremder  Gase  —  wie  z.  B.  bei  seiner  Synthese 
(vgl.  S.  453)  mit  einem  grossen  Ueberschuss  von  Wasserstoff  —  gemischt 
ist.  Acetylen  für  sich,  durch  eine  hellrothglühende  Köhre  geleitet,  zer- 
fallt wieder  fast  vollständig  in  seine  Elemente :  Kohlenstoff  und  Wasser- 
stoff. Wird  es  dagegen  längere  Zeit  der  beginnenden  Rothgluth 
ausgesetzt,  so  erleidet  es  eine  sehr  bemerkenswerthe  Polymerisation  zu 


Polymerisation  und  Additionsreactionen).  457 


düssigen  und  festen  Kohlenwasserstoffen;  das  Hauptprodukt  ist  in  diesem 
Falle  das  Benzol  CgH^  —  der  wichtigste  Repräsentant  der  aromatischen 
Kohlenwasserstoffe  — ,  welches  durch  Zusammentritt  von  drei  Acetylen- 
molecülen  zu  einem  sechsgliedrigen  Eingsjstem  entsteht: 

HC 
HC 

HC         CH         CH         CH 
HC^  \CH^ 


bezw. 


CH 


CH- 

Dieser  von  Bebthelot  entdeckte  Process  stellt  einen  der  wichtigsten 
Uebergänge  von  der  aliphatischen  in  die  aromatische  Beihe  dar.  —  Auch 
unter  dem  Einfluss  einer  längeren  Elektrisirung^  condensirt  sich  das 
Acetylen  zu  flüssigen  und  festen  homartigen  Produkten  von  gleicher  Zu- 
sammensetzung, die  aber  verschieden  von  den  durch  die  Einwirkung 
der  Hitze  entstehenden  Produkten  sind,  und  deren  Natur  noch  nicht 
erkannt  ist.  , 

Als  ungesättigte  Verbindung  ist  das  Acetylen  natürlich  zu  einer 
Reihe  von  Additions-Reactionen  befähigt;  durch  Hinzutritt  von  zwei 
einwerthigen    Gruppen   kann   die   dreifache  Kohlenstoffbindung   in   eine 

doppelte: 

CH^CH  +  2X    =    CHX=CHX, 

durch  Hinzutritt  von  vier  einwerthigen  Gruppen  in  eine  einfache  über- 
geführt werden: 

CH  =  CH  +  4X    =    CHX,-CHX,. 

So  entsteht,  wenn  man  das  Acetylenkupfer  mit  nascirendem  Wasser- 
stoff in  alkalischer  Flüssigkeit  behandelt,  oder  wenn  man  ein  Gemenge 
Ton  Acetylen  mit  Wasserstoff  erhitzt,  durch  Aufnahme  von  2  Wasser- 
stoffatomen das  Aethylen  (Berthelot): 

CH:CH  +  H,  =  CH,:CH,; 

in  Gegenwart  von  Platinschwarz  aber  vereinigt  sich  das  Acetylen  schon 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  rasch  mit  Wasserstoff  zu  Aethan*: 

CH:CH  +  4H  =  CH8CH,. 

Chlor  wirkt  auf  Acetylen  bei  Lichtabschluss  nicht  ein^     Im  Lichte 
erfolgt  zunächst  sehr  langsame  Vereinigung  zu  Dichloräthylen: 

CH :  CH  +  Cl,  =  CHCl :  CHCl , 

dann  bedeutend  raschere  Eeaction  unter  Bildung  von  Tetrachloräthan*: 

CHCl :  CHCl  +  Clj  =  CHCl,  •  CHCl,. 

Oemische  von   unreinem  Acetylen   und   Chlor   explodiren   bei   Lichtzu- 
l    tritt  sehr  heftig  unter  Abscheidung  von  Kohle  und  Bildung  von  Chlor- 

*  A.U.  P.  Th£nard,  Compt.  rend.  78,  219.  —  de  Wilde,  Ber.  7,  357. 

*  DE  Wilde,  Ber.  7,  353.  '  Schlegel,  Ann.  226,  154. 
^  E5ifEB,  Ann.  283,  214. 


458  Homologe  des  Äcetylens. 


Wasserstoff.  —  Aus  Acetylen  und  Brom^  kann  man,  wenn  man  das 
Brom  in  yerdünnter  Lösung  anwendet  und  stets  für  das  Vorhandensein 
von  überschüssigem  Acetylen  sorgt,  das  Dibromid  CHBr:CHBr  erhalten; 
ohne  Verdünnungsmittel  erhält  man  das  Tetrabromid  CHBrg-CHBr^ 
(neben  geringen  Mengen  von  Tribromäthylen  CHBriCBrj).  —  Mit  Jod 
lässt  sich  das  Acetylen  zu  Dijodäthylen  C3H2J2  vereinigend  (Vgl. 
Kap.  19,  Dihalogenderivate  der  ungesättigten  Kohlenwasserstoffe). 

Die  Halogenwasserstoffs äuren  vereinigen  sich  ebenfalls  mit 
dem  Acetylen.  Durch  Fixirung  eines  Molecüls  können  Monohalogen- 
Substitutionsprodukte  des  Aethylens  entstehen: 

CH  :  CH  +  HCl  =  CHj :  CHCl ; 

auf  diese  Reaction  ist  wohl  die  Bildung  des  Vinylchlorids  bei  der  Zer- 
setzung des  Acetylenkupfers  mit  Salzsäure  (vgl.  S.  455)  zurückzufuhren. 
Durch  Aufnahme  von  zwei  Molecülen  bilden  sich  unsymmetrische  Di- 
halogensubstitutionsprodukte  des  Aethans,  z.  B.: 

CH :  CH  +  2HJ  =  CHgCHJ,. 

Durch  Aufnahme  von  Wasser  entsteht  aus  dem  Acetylen  der  Acet- 

aldehyd : 

CH  :  CH  +  H,0  =  CHs-CHO; 

diese  Reaction  vollzieht  sich,  wenn  man  Acetylen  mit  einer  wässrigen 
Lösung  von  Bromquecksilber  in  Berührung  lässt  ^.  (Näheres  über  die 
Wirkungsweise  des  Quecksilbersalzes  vgl.  bei  AUylen,  S.  461). 


Wenn  man  vom  Acetylen  aus  in  der  Reihe  G^^^_^  zu  Gliedern 
mit  höherer  Kohlenstoffzahl  aufsteigt,  so  sind,  wie  schon  fiüher  (S.  431) 
erwähnt  wurde,  zwei  Klassen  von  Kohlenwasserstoffen  zu  unterscheiden. 
Die  eine  Klasse  ist  durch  das  einmalige  Vorkommen  einer  drei- 
fachen Bindung  charakterisirt ;  ihre  Glieder  sind  wahre  Homo- 
loge des  Acetylens  und  werden  mit  ihrem  Stammkörper  vielfache 
Analogien  zeigen.  Die  zweite  Klasse  umfasst  Kohlenwasserstoffe,  deren 
Molecüle  zweimal  je  eine  doppelte  Bindung  aufweisen,  und  deren  Ver- 
halten daher  mehr  an  dasjenige  der  Aethylenkohlen Wasserstoffe  er- 
innern wird.  Nach  Baeteb  (vgl.  S.  436)  drückt  man  das  Vorkommen  der 
dreifachen  Bindung  durch  die  Silbe  „in",  dasjenige  der  Doppelbindung 
durch  die  Silbe  „en"  aus ;  demzufolge  kann  mau  die  Acetylenhomologen 
als  „..  .in- Reihe",  die  isomeren  Kohlenwasserstoffe  mit  zwei  Doppel- 
bindungen als  „...  .dien -Reihe"  bezeichnen. 

A.  Homologe  des  Acetylens  (•  •  •  In -Reihe),    unter  ihnen  hat  man 
wiederum  zwei  ünterabtheilungen  von  einander  zu  sondern,  je  nachdem 
nur  ein  Wasserstoffatom  des  Acetylens  oder  beide  durch  Alkylreste  (K) 
vertreten  sind: 
RC^C-H       und       R.C~C-Ri . 

^  Sabanejeff,  Ann.  178,  112.  —  Patern6  u.  Peratoner,  Ber.  24c,  152. 
■  KuTscHERow,  Ber.  14,  1540. 


Einfach  alkylirte  Äcetylene,  459 


a)  Einfach  alkylirte  Äcetylene.  Zu  ihrer  Gewinnung  kann  man 
von  den  gesättigten  Aldehyden  ausgehen  i;  man  ersetzt  ihr  Sauerstoff- 
atom durch  zwei  Atome  Chlor  (bezw.  Brom),  indem  man  sie  mit  Phos- 
phorpentachlorid  (bezw.  PCljBr^)  behandelt: 

CsH7.CHa.CHO  +  PCI5  =  POCls  +  CsH^.CHj.CHCl,; 

diesen  Dichloriden  wird  nun  durch  Behandlung  mit  alkoholischem  Kali 
Chlorwasserstoff  entzogen,  wodurch  sich  unter  intermediärer  Bildung  eines 
ilonochloralkylens  das  Acetylen-Homologe  bildet: 

CjHy .  CH, .  CHCl  j-HCl  =  CgH,  •  CH :  CHCl 
C3H7 .  CH :  CHCl  -HCl  =  CgH^  •  C  •  CH . 

Unterwirft  man  der  gleichen  Behandlung  ein  Keton,  an  dessen  Car- 
bonylgruppe  ein  Methylrest  geknüpft  ist,  so  bildet  sich  ebenfalls  ein 
monosubstituirtes  Acetylen  ^,  obwohl  bei  dieser  Reaction  in  vielen  Fällen 
die  Entstehung  isomerer  Kohlenwasserstoffe  theoretisch  möglich  wäre; 
z.  B.: 

CHsCH^.COCHa  +  PCI5  =  CHjCHjCCljCHj  +  POClg 
CH,.CH,.CC1,.CH8-2HC1  =  CHj •  CH, •  C  •  CH. 

Aus  den  Alkylenen  der  allgemeinen  Formel  E-CH:CH2  erhält  man 
monosubstituirte  Äcetylene,  indem  man  zunächst  Halogen  addirt,  dann 
Halogenwasserstoff  entzieht ' : 

CHg.CH  :  CH,  +  Br,  =  CHsCHBr-CHjBr 
CH,.CHBr.CH,Br-2HBr  =  CH3C  ;  CH. 

Um  bei  diesen  Reactionen  wirklich  monosubstituirte  Äcetylene  zu 
erhalten,  ist  es  —  infolge  unten  näher  zu  besprechender  Umlagerungen 
—  nothwendig,  das  alkoholische  Kali  nicht  bei  zu  hohen  Temperaturen 
{im  Allgemeinen  nicht  über  120 — 130^)  wirken  zu  lassen*;  noch  zweck- 
mässiger ist  es,  die  Entziehung  von  Halogenwasserstoff  durch  trockenes 
Kali  zu  bewirken*. 

In  ihrem  Verhalten  zeigen  diese  Homologen  des  Acetylens  die 
grösste  Analogie  mit  dem  Acetylen  selbst.  Besonders  theilen  sie  mit 
diesem  die  Fähigkeit,  in  ammoniakalischer  Lösung  von  Kupferchlorür 
oder  Silbemitrat  Niederschläge  zu  erzeugen;  man  bedient  sich  daher 
dieser  Eigenschaft,  um  Kohlenwasserstoffe  als  zu  der  Gruppe  der  ein- 
fach substituirten  Äcetylene  gehörig  zu  charakterisiren ;  für  die  höheren 
Glieder  der  Reihe  empfiehlt  sich  als  empfindlicheres  Reagens  eine  alko- 
holische Silbernitratlösung  *. 

Natrium  wii'kt  auf  die  ätherische  Lösung  dieser  Kohlenwasserstoffe 
unter  Abscheidung  von  Natriumverbindungen   ein,    welche  Kohlensäure 


*  Hexry,  Ber.  7,  759.  —  Brutlants,  Ber.  8,  406. 

*  Friedel,  Ann.  eh.  [4]  16,  343.  —  Brüylants,  Ber.  8,  410.  —  B^hal,  Ann.  eh. 
:6]  15,  282. 

*  Vgl.  Eltekofp,  Ber.  10,  2058.  *  Faworsky,  J.  pr.  [2]  37,  395. 

*  BfeAL,  Ann.  eh.  [6J  15,  431.  ®  Vgl.  B6hal,  Ann.  eh.  [6]  15,  423. 


■ 

l 


460  Allylen. 

energisch  absorbiren,  um  in  Natriumsalze  ungesättigter  Säuren  überzu- 
gehen ^  (vgl.  S.  515—516,  518): 

CHgC  :  CH  +  Na  =  CHa-C :  CNa  +  H 
CHg.C :  CNa  +  CO,  =  CHjC  :  C.CO,Na. 

Höchst  merkwürdig  ist  ihr  Verhalten  gegen  alkoholisches  Kali  oder 
Natron  bei  höheren  Temperaturen*  (etwa  170^.  Diejenigen  Kohlen- 
wasserstoffe, welche  einen  primären  Alkylrest  in  das  Acetylenmolecül 
eingeführt  enthalten,  gehen  unter  Verschiebung  der  dreifachen  Bindung 
in  isomere,  zweifach  substituirte  Acetylene  über: 

aus    CHj-CH^-CiCH    wird    CHj-CiCCHj, 

Aethylacetylen  Dimethylacetylen 

n      CjHg-CHg-CiCH      „      CgHß-CiC-CHj 

Propylacetylen  Methyläthylaeetylen. 

Kohlenwasserstoffe  mit  einem  secundären  Alkylrest  liefern  isomere  Glie- 
der der  ....  dien -Reihe: 

aus    (CH3)2CH.C:CH    wird    (CH3)2C :  C :  CH^ 

Isopropylacetylen  Dimethylallen. 

(Aus  diesem  Grunde  darf  bei  der  Darstellung  der  monosubstituirten 
Acetylene  mit  alkoholischem  Kali  (S.  459)  die  Temperatur  nicht  zu  hoch 
gewählt  werden.)  Kohlenwasserstoffe  dagegen  mit  einem  tertiären  Alkyl- 
rest, wie  z.  B.: 

(CH3)3C.C:CH 

erleiden  durch  Erhitzen  mit  alkoholischem  Kali  selbst  bei  200®  keine 
Umlagerang. 

üeber  einige  Eeactionen,  welche  den  einfach-  und  zweifach-substi- 
tuirten  Acetylen  gemeinsam  sind,  vgl.  S.  462. 

Das  Mcthylacetylen'  oder  Propin  CHgC-CH  wird   gewöhnlicher  Allylen 

genannt    Man  stellt  es  aus  Propylenbromid  CgHeBrj  (bezw.  Brompropylen  CjH^Br) 

durch   Behandlung  mit   alkoholischem  Kali   dar.    Bemerkenswerth   ist   ferner  seine 

Bildung   durch  Elektrolyse   der  Citraconsäure   und  Mesaconsäure,   welche   durchaus 

der  Bildung  des  Acetylens  bei  der  Elektrolyse  der  Fumar-  und  Maleinsäure  (S.  454) 

entspricht: 

CHgCCOjH  CHa-C 

Ij  =  II      +2C0,     +  Hj 

^^•^^«^  ^^  -^El^trode. 

+  Elektrode 

Das  Allylen  ist  ein  unangenehm  riechendes  Gras,  welches  in  Alkohol  sehr  leicht,  in 
Wasser  ziemlich  löslich  ist  und  unter  einem  Druck  von  3 — 4  Atmosphären  sich  ver- 


*  Lagermask  u.  Eltekopp,  Ber.  12,  853.  —  Fawobsey,  J.  pr.  [2]  87,  417. 

*  Faworsky,  J.  pr.  [2]  37,  382. 

'  Sawitsch,  Ann.  119,  185.  —  Oppenheim,  Ann.  182,  124.  —  Borsghb  u.  Frmo, 
Ann.  133,  119.  —  Ppepfee  u.  Fittig,  Ann.  136,  367.  —  Liebermann,  Ann.  135,  266. 

—  Aabland,  J.  pr.  [2]  6,  257;  7,  142.  —  Berthelot,  Ann.  eh.  [4]  9,  392,  395,  407. 

—  Kütscherow,   Ber.  17,  13.  —  Moltschanowski,   Ber.  22  o,  250.  —  Rebocl,  Ann. 
eh.  [5]  14,  458,  465. 


Tabellarische  üebersicki  über  einfach  alkylirte  Acetylene. 


461 


lüssigt.     In  ammoniakalificher  Kupferchlorürlösung  bringt  es  einen  zeisiggelben,  in 
immoniakalischer  Silbemitratlösung  einen  weissen  Niederschlag  hervor,  welch'  letz- 
terer die  Zosammensetzang  C^HgAg  besitzt  (vgl.  S.  456),  nicht  explosiv  ist,  bei  etwa 
150^  aber,   ohne  vorher  zu  schmelzen,  unter  Abscheidung  einer  schwammigen  Kohle 
verpuflft.    In  einer  alkalischen  Quecksilberjodid- Jodkalium losung,  sowie  beim  Schütteln 
mit  aofgeschlSmmtem  Quecksilberoxyd  entsteht  die  Verbindung  (C3Hs)2Hg:  glänzende 
Krystalle,   welche  in  Wasser  unlöslich,  in  kaltem  Alkohol  fast  unlöslich,  in  heissem 
Alkohol  löslich  sind.    Aus  diesen  Metallsubstitutionsprodukten  wird  durch  Säuren  das 
AUylen  wieder  in  Freiheit  gesetzt.    Leitet  man   aber  Allylen  in  eine  Quecksilber- 
chloTidlösung,  so  erhftlt  man  unter  Freiwerden  von  Salzsäure  einen  weissen  krystal- 
linischen   Niederschlag  von  der  Zusammensetzung  3HgCls  .  SHgO  .  2CsH(,   welcher 
durch  Zersetzung  mit  Säuren  nicht  wieder  das  Allylen,  sondern  sein  Wasseranlage- 
rungsprodokt,  das  Aceton,  liefert  (vgl.  S.  462): 

CHg-C :  CH  +  H,0  =  CHs-COCH,. 

Mit  Brom   vereinigt  sich  das  Allylen  zu  den  Verbindungen  CjHiBr,  und  CjH^Br^, 
mit  concentrirten  Halogenwasserstofiisäuren  zu  Verbindungen  wie  CH,  •  CGI,  •  CHj. 

Eine  Keihe  weiterer,  einfach  substituirter  Acetylene  sind  in  der  folgenden  Tabelle 
\)^T.  25)  zusammengestellt: 


Tabelle  Nr.  25*. 


Formel 


Schmelz- 
punkt 


Siede- 
punkt 


Specifisches 
Gewicht 


Aethylacetylen  *~  ' 
Propylacetylen  *•'  . 
Isopropylacetylen  *•' 
Norm.  Butylacetylen'   .  . 
Tert.  Butylacetylen*  .  .  . 
Norm.  Oenanthyliden  *•*  • 
.,     Capryliden*  .  .  .  . 


» 


ündecyliden* 
Dodecyliden' 


•  I 


„  Tetradecyliden' .  .  .  . 
,t  Hexadecyliden'*  .  .  . 
«    Octadecyliden  ^  .  .  .  . 


CgH^  •  C :  CH 

C2H5  •  CHg  •  C :  CH    ! 

(CHg^CHCiCH 

C4H9  •  C :  CH 

(CH3)3C.C:CH 
C5H11  «CtCH 

CqH|s  •  C :  CH 

CgHiQ  •  C ;  CH 
CiqH^i  'CiCH 

C}2H)5  •  C :  CH 

Cj^H^g  •  C :  CH 
CjeHjg  •  C :  CH 


4-18° 
48— 50<^ 
28—30° 
68—70° 

39° 
106—108° 
133—134° 

210—215° 


0-652  (11°) 


0-771  (0°) 


-9° 

105° 

0-810 

+  6.5° 

134° 

0-806 

20° 

160° 

B 

3 

0-804 

30° 

184° 

0-802. 

5? 

CT- 
TT 


t 


*  Die  Namen,  wie  Oenanthyliden,  Capryliden  etc.  sind  die  gegenwärtig  in  der 
Literatur  meistgebrauchten.  Nach  Baeteb's  Vorschlägen  (vgl.  S.  458)  wären  sie  zu 
ewitzeu  durch  Namen,  wie  Heptin,  Octin  etc. 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  25.  ^  Bruylants,  Ber.  8,  406,  410.  —  '  Kutscheropp, 
ß«.  17,  24.  —  •  Faworsky,  J.  pr.  [2]  37,  382,  417.  —  *  Flawitzky  u.  Krilopp, 
^- 10,  1102.  —  *  B6hal,  Ann.  eh.  [6J  15,  267.  —  «  Rübien,  Ann.  142,  295.  — 
'  KiAPPT,  Ber.  17,  1371.  —  ^  Chydeniüs,  Ann.  143,  268. 


Zweifaeh  alkylirte  Acetyhne. 


weifach  alkylirte  Acetylene':  Dasg  Kohlenwasserstoffe  dieser 
ich  durch  Umlagerung  aus  einfach  alkylirten  Acetylenen  beim 
mit  alkoholischen  Alkalien  bilden  können: 

R-CH,.C-CH     — »-     R-CiC-CH,, 
erwähnt  (S.  460). 

erhält  sie  ferner,  wenn  man  Ketone,  deren  Carhonylgrappe 
.  mit  einer  CHj-Gruppe,  andererseits  nicht  mit  einer  Methjl- 
erknttpft  ist,  in  die  entsprechenden  Dichloride  überfährt  und 
eren  durch  AlkaUen  zwei  Mol,  Chlorwasserstoff  entzieht,  z.  B.: 

C,H(  ■  CH,  C,H, .  CH,  C,H,  -  C 

H,.CH,-CO  C,H,-CH.-CC1,  C,HjCH,-Ö  ' 

h    von   Aethylenkohlen Wasserstoffen ,    deren    doppelte   Bindung 
(ständig  ist,  ausgehend,  gelangt  man  zu  dialkylirten  Acetylenen 
Idition  von  Brom  und  darauffolgende  Entziehung  von  Halogeo- 
)ff,  z.  B.T 
i(CH,-CH  CiH(,CH,-CHBr  C,He-CH,-C 

[       ■ »-  »-  ,'i  . 

CH,ÖH  CH,.CHBr  CH.-C 

dem  Acetylen  und  seinen  Monalkylderivaten  auterscheiden  sich 
hlen  Wasser  Stoffe  wesentlich  durch  die  Unfähigkeit,  in  ammonia- 

Kupfer-   oder  Silberlösungen  Niederschläge  zu  erzeugen.     Da- 
eilen  sie  mit  jenen  die  Eigenschaft,  bei  Behandlung  mit  Qneck- 
)ridlö8ung  weisse  Verbindungen  zu  liefern,  die  von  Säuren  unter 
von  Ketonen  zersetzt  werden, 
ohl  bei  einfach  wie  bei  zweifach  alkylirten  Acetylenen  bietet 

dieses  Verhalten  gegen  Quecksilberchlorid  (und  andere  Queck- 
le)  ein  Mittel,  um  eine  Hydratation  zu  bewirken*; 

CH,C  CH,-CO 

II  >■  I 

CH  CH, 

C,H.-C  C,H.-CH, 

C,Hj-C  C,H,CO 

seranlagerung  lässt  sich  auch  ausführen,  wenn  mau  concentrirte 
ääure  bei  niederer  Temperatur  einwirken  läsat  und  die  dadurch 
[den  Schwefelsäurederivat«  durch  einen  grossen  Ueberschuss  von 
zersetzt'.  Durch  längere  Einwirkung  einer  wenig  verdünnten 
jäure  dagegen  wird  eine  Polymerisation  zu  Benzolhomolt^en 
äl57)  bewirkt*: 

1.  BiüAL,  Ann.  eh.  [6]  16,  408. 

;1.  Kdtsobebow,  Bot.  14,  1540;  17,  13. 

HAL,  Ann.  oh.  [6]  IB,  268,  *12;  16,  378. 

}ROHE,  Ber.  S,  17,  367.  —  Fawobskt,  J.  pr.  |2]  37,  384. 


Kohlenwasserstoffe  mit  zwei  Doppelbindungen,  463 


^3 


CH, 

aus  CHCICH  wird        »d^    ^H 

Methylaoetylen,  AUylen  CH.C       C— CH. 

H 
Trimethjlbenzol,  Mesitylen. 

CH, 

A 
aus    CHg.CiC-CHj    wird  I        \\ 

Dimethylacetylen  CH3-C        C-CH3  . 

CH, 
Hexamethylbenzol. 

Erhitzt  man  zweifach  alkylirte  Acetylene  mit  metallischem  Natrium', 
so  erhält  man  in  Folge  einer  Verschiebung  der  dreifachen  Bindung  die 
Xatriumderiyate  isomerer,  einfach  alkylirter  Alkylene,  aus  welchen  letz- 
tere durch  Wasser  abgeschieden  werden;  z.  B.  entsteht  so  aus 

CsH5  •  C :  C  •  CHj  ^        C2H5  •  CHj  •  C !  CH. 

Methyläthylacetylen  Propylacetylen. 

Dimethylaeetylen *  CHg-CiC-CHg  (Bildung  s.  S.  460,  462)  siedet  bei  27—28« 
und  giebt  mit  Brom  ein  öliges  Dibromid  C^HeBr,,  dann  ein  dimorphes,  bei  230^ 
schmebeendes  Tetrabromid  C4HeBr4. 

B.  Kohlenwasserstoffe  mit  zwei  Doppelbindungen  (...dlen- 
Reihe).  Den  beiden  Doppelbindungen  kann  ein  Eohlenstoffatom  gemein- 
sam sein,  so  dass  der  Complex: 

\c=c--c/ 

im  Molecül  des  Kohlenwasserstoffs  vorkommt;  man  fasst  diese  bisher 
wenig  untersuchten  Kohlenwasserstoffe  als  „Alien-Reihe"  zusammen. 
Oder  die  beiden  Doppelbindungen  sind  nicht  durch  ein  gemeinschaft- 
liches Kohlenstoffatom  verknüpft: 

Nc=C— C==c/"   bezw.   \c=:C C=c/; 


nach  dem  bekanntesten  Eepräsentanten  mag  diese  Gruppe  als  ,,Diallyl- 
Reihe"  bezeichnet  werden. 

a.  Allen -Beihe.    Das  AUen^  oder  Propadlen  CH,:C:CH,  (Dimethylen- 


*  Fawobskt,  J.  pr.  [2]  37,  417.  —  B6hal,  Bull.  50,  629. 
■  Fawoksky,  J.  pr.  [2]  42,  143. 

'  GüBTAVsoH  u.  Dem  JANOFF,  J.  pr.  [2]  38,  201.  —  B£hal,  Ann.  eh.  [6]  16,  356. 
—  Vaübel,  Ber.  24,  1685. 


Jilen-Reihe. 

)  wird  am  besten  ans  dem  Dibrompropylen,  welche»  durch  Zenetznng  tm 
bjdrin  mit  festem  Kali: 

CH,BrCHBr.CH,Br-HBr     =     CH,:CBr-CH,Br 
durch  Bromentziehiu^  mittelst  Zinkataub: 

CH,:CBrCH,Br~Br,     =     CH,:C:CH, 
n.     In  geringer  Menge   erbiet  inaa  es  durch  Zersetnmg  von  AUjIbalogenen 
holischem  Kali; 

CH,:CHCH,Br-HBr  =  CH,:C:CH,. 
ia  farbloaes  Gas,  welches  im  Gegensati:  zum  Alljlen  ammonialudiscbe  LS- 
;on  Kupferchlorür  tmd  Silbermtrat  Dicht  föllt;  in  Ldsungen  vod  Queck- 
irid  und  Quecksilbersulfat  erxeugt  es  weisse  Niederschläge.  Durch  Wasser- 
Dg  (mittelst  SchwefekSure)  liefert  es  AcetoD.  Beim  Erhitzen  mit  alkoboli' 
.ali  geht  es  durch  AnAiahme  von  einem  Molecül  Alkohol  in  AIljUthjlitlieT 
[■CH,(O.C,H,)  ober. 

itbjlallen'  CH,CH:C:CH,  (Siedepunkt  18—19°)  ist  aus  dem  Tettachlorid 
C1-CCI,'CH,C1  durch  Chlorentziebung  gewonnen.  Unsymmetrische«  Di- 
allen'  (CHAC:C:CH,  kann  aus  dem  Bromid  des  Trimethyläthylens  durch 
»eratoff-Entziehung : 

(CH,),C  l,CH,),CBr  (CH,),C 


CH, 


CHBr       >.  C 

CH,  hu. 


werden;  es  siedet  bei  39—40°.     Tetramethylallen'  (CHi),C:C:CCCH,l, 
nkt  etwa  70°)  entsteht  aus  dem  Chlorid  des  Isobutyrons; 

(CH,|,CH  (CH,),CH  (CH,),C 

CO        - ^  CC!,        >  C  . 

I  I  I 

(CH,),CH  (CHj>,CH  (CH,),a 

iB   Allen-Koblenwasserstoffen  entstehen   durch  Erhitzen   mit  Natrium'  (TgL 
lie  Natriumderivate  isomerer  Acetylen- Kohlenwasserstoffe: 
aus      CH,:ClCH,       wird         CH,  CiCH 
Allen  Allylen, 

„    (CHAC:C:CH,       „       (CH.I.CH-CiCH 
Di  methy  lallen  Isopropylacetylen. 

Kohlenwasserstoffe  mit  zwei  getrennten  Doppelbindungen.    Dem 
ten  Glied  dieser  Reihe  kommt  die  Formel: 

CH,:CH.CH:CH, 
lein  MolecUl  zwei  einwerthige  Reste  CII,:CH—  mit  einander  verbunden  ent- 
d  dieses  Radical  als  „Vinyl"  (vgL  S.  469—470)  bezeichnet  wird,  so  kann  man 
blenwasaerstoff  dieser  Constitution   als  DlTlnyl    von  den   isomeren  Kohlen- 

SoBTON  u,  NotES,  Ber.  22c,  202.  '  FiwoBSKV,  J.  pr.  [2]  37,  S92,  423. 

Henbv,  Ber.  8,  400.  —  Vaubel,  Ber.  24,  1692. 

Fawobskv,  J.  pr.  [2]  37,  423.  —  Gdstavson  u.  Dekjanopp,  J.  pr.  [2]  38,  206. 


Divinyl  und  DiallyL  465 


Wasserstoffen    C^H«   (Aethylacetylen   vgl.  S.  461,   Dimethjlacetylen  S.  463,   Methyl- 
allen S.   464)   unterscheiden;   von  seinen  Bearbeitern   ist   dieser   auf  den   verschie- 
densten   Wegen    erhaltene    Kohlenwasseistofif    unter    den    Namen    „Crotonylen, 
Butin,  Erythren,  Pyrrolylen"  beschrieben.    Er  bildet  sich  häufig  auf  pyrogene- 
tischem  Wege  —  so  aus  einem  Gemisch  von  Aethylen  und  Acetylen  bei  dunkler  Roth- 
glutb^,  aus  Paraffinen*  und  Aethylen'  bei  Glühhitze  —  und  ist  daher  auch  im  Leucht- 
gas vorhanden  ^'^     Er  bildet  sich  femer  durch  Eeduction  des  Erythrits  mit  concen- 
trvrter  Ameisensäure''®  und  aus  Methylirungsprodukten  des  Pyrrolidins  (vgl.  Bd.  II) 
durch  Destillation  mit  Aetzkali^.     In  einer  Kältemischung  Ifisst  sich  dieser  Kohlen- 
wasserstoff zu  einer  leicht  beweglichen,  farblosen,  eigenthümlich  riechenden  Flüssig- 
keit verdichten.     Mit  Brom  tritt  er  zu  zwei  isomeren  Tetrabromiden'  C^H^Br^  zu- 
sammen,   die   durch  Petroleumäther  getrennt  werden  können;   das  schwer  lösliche, 
gewöhnlich   zur   Charakterisirung   des  Divinyls   benutzte   Tetrabromid   schmihst  bei 
118—119%  das  leicht  lösliche  bei  38— 39<». 

Das  Diallyl  CHaiCHCHjCHjCHrCH,  —  so  genannt,  weil  sein  Molecül  aus 
zwei  „AUyl"-Radicalen  CH,:CHCH,—  (s.  S.  469)  besteht,  —  wird  aus  Allyljodid 
CH,:CH'CH,J  durch  Jodentziehung  (z.  B.  mit  Natrium)  gewonnen  •: 

2CH,:CH.CH,J  +  2Na  =  2NaJ  +  CH,:CH.CH,.CH,.CH:CH,. 

Es  siedet  bei  58— 59«  und   besitzt   bei  20 <»   das  spec.  Gew.  0-690".     Mit  Brom" 

liefert  es  zwei   isomere  Tetrabromide  0^11, oBr4,   bei  der  Oxydation"   mit  Kalium- 

pennanganat  zwei  isomere  Hexylerythrite  CeHio(OH)4.    (Vielleicht  ist  der  unter  dem 

Namen  „Diallyl"  bekannte  Kohlenwasserstoff  keine  einheitliche  Verbindung,  wie  von 

einigen  neueren  Bearbeitern  desselben"  vermuthet  wird;  die  Bildung  der  isomeren 

Tetrabromide  und  Hexylerythrite  genügt  freilich  nicht  als  Stütze  dieser  Vermuthung, 

da  ihre  Verschiedenheit  auch  auf  einer  durch  die  Gegenwart  asymmetrischer  Kohlen- 

&to£Eatome  bedingten  stereochemischen  Isomerie  beruhen  kann,  wie  sie  auch  wohl  für 

die  beiden  Tetrabromide  des  Divinyls  (vgl.  oben)  anzunehmen  ist.)    Das  Diallyl  giebt 

weder  mit  ammoniakalischer  Kupfer-  und  Silberlösung,  noch  mit  Quecksilberchlorid 

Niederschläge.    Durch  Wasseranlagerung"  (mittelst  concentrirter  Schwefelsäure)  geht 

es  in  Hexylenoxyd  (Anhydrid  eines  Hexylenglykols): 

CHg  •  CH  •  CM)  •  CHj  •  CH  •  Cri8 

\o 

über. 

Höhere  Glieder  dieser  Gruppe  sind  theils  auf  ähnlichem  Wege,  wie  das  Diallyl 


*  Bebthelot,  Ann.  eh.  [4]  9,  466.  —  Pbünieb,  Ann.  eh.  [5]  17,  16. 

*  Norton  u.  Andrews,  Jb.  1886,  572. 

'  Norton  u.  Notes,  Jb.  1886,  573.  *  Caventou,  Ber.  6,  70. 

*  Groiaux  u.  Cloez,  Bull.  48,  31.    Compt  rend.  104,  118. 

*  Henninger,  Ber.  6,  70. 

'  CiAMiciAN  u.  Maonaqhi,  Bcr.  18,  2081;  19,  569.  —  Ciamician,  Ber.  20,  3061. 
^  Vgl.  Ciamician  u.  Maqnanini,  Ber.  21,  1430. 

*  Bebthelot  u.  Lüca,  Ann.  100,  361.  —  Oppenheim,  Ber.  4,  671. 

"  BüPP,   Ann.  Suppl.  4,    146.  —  Vgl.  femer  Zander,    Ann.  214,  148.    Schipp, 
Ann.  220,  90.    Gartenmeister,  Ztschr.  f  physik.  Chem.  6,  529  (1890). 

"  Sabanejew,  Ber.  18o,  182.  —  Ciamician  u.  Anderlini,  Ber.  22,  2497. 
"  Hehrt,  Bull.  30,  50.  —  Sorokin,  Ber.  11,  1257.  —  G.  Wagner,  Ber.  21,  3343. 
"  Sabanejew,  Ber.  18  c,  182.  —  G.  Wagner,  Ber.  21,  3845. 
"  Jekyll,  Ztschr.  Chem.  1871,  36.  —  B^hal,  Ann.  eh.  [6]  16,  200. 
^-  MsYXB  u.  JAOOBBON,  OTg.  Chem.  I.  30 


466  Isopren, 

erhalten^,   theils   durch   Wasserentziehung    aus   ungesättigten   Alkoholen   gewoDnen 
worden*,  z.  B.: 

CHg :  CH  •  C  XI  jv       /CHj  *  CHs  Cxi) :  CH  •  CHgv 

>C<  -H,0   =  >c=<:;H.CHa. 

CHs-CH/     \0H  CHj.CH,/^ 


Kohlenwasserstoffe,  deren  Zusammensetzung  der  allgemeinen  Formel 
C^H2^_2  entspricht,  sind  noch  in  manchen  Zersetzungsprocessen  com- 
pUcirterer  Substanzen  gewonnen  worden,  so  das  Piperylen  CjH^ 
aus  Piperidin,  Conylen-  CgH^^  aus  Coniin,  Campholen  C^Hj^  und 
Menthen  Cj^jH^g  aus  Körpern  der  Campher-Gruppe.  Da  ihre  Struetur 
noch  nicht  mit  Sicherheit  ermittelt  ist,  so  mögen  sie  erst  bei  den  Ver- 
bindungen behandelt  werden,  durch  deren  Zersetzung  sie  entstehen. 

Ein  interessanter  Kohlenwasserstoff  von  der  Formel  C^Hg  —  das 
Isopren^  — ,  welcher  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  einer  der  vier 
oben  behandelten  Gruppen  zuzurechnen  ist,  muss  indess  hier  noch 
erwähnt  werden.  Er  wird  durch  trockene  De^illation  von  Kautschuk 
erhalten  und  geht  bei  der  Behandlung  mit  concentrirter  Salzsäure  wieder 
zum  Theil  in  eine  Masse  über,  die  dem  natürlichen  Kautschuk  völlig 
gleicht.  Er  entsteht  femer  bei  der  Zersetzung  von  Terpentinöl-Dämpfen 
in  beginnender  Rothglühhitze  und  wird  wieder  durch  Erhitzen  auf  250 
bis  280^  zu  einem  Kohlenwasserstoff  CjjjHjg  von  der  Zusammensetzung 
der  natürlichen  Terpene  polymerisirt,  welcher  identisch  ist  mit  dem 
auch  in  der  Natur  verbreiteten  Dipenten  (vgl.  Terpene,  Bd.  11);  daneben 
entstehen  höhere  Polymerisationsprodukte.  Das  Isopren  siedet  bei  34 
bis  35^,  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gew.  0-682,  vereinigt  sich  mit 
Brom  zu  einem  flüssigen  Tetrabromid  CgHgßr^  und  oxydirt  sich  an 
der  Luft  rasch  zu  einer  syrupartigen  Substanz  von  explosiven  Eigen- 
schaften. Da  es  weder  Kupfer-  noch  Silberverbindungen  bildet,  auch 
nicht  mit  Quecksilberbromid-Lösung  reagirt,  so  gehört  es  wahrscheinlich 
in  die  Gruppe  des  Divinyls  und  Diallys  und  ist  vielleicht  als  Methyl- 
Di  vinyl: 

0x13  C/H3 

I  oder  I 

CH:CH.CH:CH,  CH,:C.CH:CH, 

anzusprechen. 

III.  Wasserstoffärmere  Kohlenwasserstoffe. 

An   die  Acetylen- Reihe  CqH2q_2  schliessen  sich  Kohlenwasserstoff- 
gruppen von  der  allgemeinen  Zusammensetzung  C^H^^.^  und  C^Hjj^_,j. 
In  der  Reihe  CqHj^_^  können  einerseits  Kohlenwasserstoffe  mit  drei 


^  Vgl.  Przybytek,  Ber.  20,  3240;  21o,  709. 

*  S.  Rbformatsky,  Ber.  16,  1223;  17c,  9. 

'  Williams,  Jb.  1860,  494.  —  Boüchardat,  Compt.  rend.  80,  1446;  89,  11  IT. 
—  Tilden,  Chem.  News  46,  120.  Joum.  Soc.  45,  410.  —  Wallach,  Ann.  227,  295; 
238,  88. 


Diacetylen.  467 


Doppelbindungen  (. . .  trien- Reihe),  andererseits  solche  mit  einer  doppelten 
und  einer  dreifachen  Bindung  {. . .  in-  en-Reihe)  unterschieden  Averden; 
diese  Reihen  sind  bisher  wenig  untersucht.  Der  Zusammensetzung  nach 
könnte  eine  grössere  Zahl  im  Pflanzenreich  sehr  verbreiteter  Kohlen- 
wasserstoffe Cj^Hj^  —  die  „Terpene"  —  ihr  zugerechnet  werden;  diese 
wichtigen  Kohlenwasserstoffe  enthalten  indess  ringförmige  Atomanordnung 
lind  sind  daher  erst  in  Band  11  zu  behandeln.  Neuerdings  ist  aus  einem 
Naturprodukt,  dem  Geraniol  (s.  S.  485),  durch  Wasserabspaltung  auf 
künstlichem  Wege  ein  Kohlenwasserstoff^  Ci^jH^g  erhalten  worden,  dessen 
Molecül  eine  offene  Kohlenstoffkette  und  drei  doppelte  Bindungen  enthält, 
und  dessen  Constitution  auf  Grund  seiner  Bildungsweise  durch  die  Formel: 

(CH,),CH.CH,.CH:CH.C(CHs):C:  CH, 

auszudiiicken  wäre;  er  siedet  bei  172 — 176®,  besitzt  bei  20®  das  spec. 
Gew.  0-823  und  addirt  6  Atome  Wasserstoff  bezw.  Brom. 

In  der  Reihe  C^Hg^.,^  findet  man  einige  interessante  Kohlenwasser- 
stoffe, welche  zwei  dreifache  Bindungen  in  ihrem  Molecül  enthalten. 
Der  einfachste  Kohlenwasserstoff  von  solcher  Constitution  —  das  Diacetylen 
oder  Batadiin  C^H^  =  CH^C — C^C  —  ist  von  Baeyer^  entdeckt 
worden.  Er  erhielt  dasselbe  aus  der  Diacetylendicarbonsäure  (Butadiindi- 
carbonsäure)  COjH-CiC-CiC-COgH  durch  Kohlensäure  -  Abspaltung ;  er- 
wärmt man  letztere  in  ammoniakalischer  Lösung  mit  ammoniakalischem 
Kupferchlorür,  so  entsteht  die  violettrothe  Kupferverbindung  des  Dia- 
cetylens,  aus  welcher  der  Kohlenwasserstoff  selbst  beim  Erwärmen  mit 
Cyankaliumlösung  gasförmig  in  Freiheit  gesetzt  wird.  Er  besitzt  einen 
charakteristischen  Geruch  und  erzeugt  in  ammoniakalischer  Silberlösung 
einen  gelben  Niederschlag,  der  schon  beim  Zerreiben  in  feuchtem  Zustand 
explodirt.  Das  Vorliegen  von  Diacetylenderivaten  in  diesen  Substanzen, 
welche  freilich  selbst  nicht  analysirt  werden  konnten,  ergiebt  sich  einer- 
seits aus  ihrer  Bildungs weise,  andererseits  aus  der  Umsetzung,  welche 
die  Silberverbindung  bei  der  Einwirkung  von  Jod  erleidet;  es  entsteht 
Dijoddiacetylen  C^Jj  (farblose  Krystalle,  bei  101^  schmelzend,  von 
jodoformähnlichem  Geruch,  beim  Erhitzen  heftig  explodirend,  am  Lichte 
sich  polymerisirend),  dessen  Zusammensetzung  durch  die  Analyse  bestätigt 
werden  konnte;  durch  ammoniakalische  Kupferlösung  wird  letzteres  wieder 
in  die  Kupferverbindung  des  Diacetylens  zurückgeführt. 

DIpropargyP  oder  Hexadlln  C,Hg  =  CHiCCHg.CHg.CiCH  — 
ein  Kohlenwasserstoff  mit  offener  Kette,  welcher  dem  wichtigsten  der 
cyclischen  Kohlenwasserstoffe,  dem  Benzol,  isomer  ist  —  wird  aus  dem 
Tetrabromid  des  Diallyls  (vgl.  S.  465)  durch  Abspaltung  von  Brom- 
wasserstoff mittelst  Kali  unter  intermediärer  Bildung  von  Dibromdiallyl 
erhalten: 


^  Sbhmler,  Ber.  24,  688.  *  Ber.  18,  2272,  2276. 

•  ÜEfRY,  Ber.  6,  956;   7,  20;  14,  401.     —    B6hal,  Ann.  eh.  [6]  16,  279.    — 
Bevthelot,  Ann.  eh.  [5]  23.  195. 

80* 


468  DipropargyL 


CjHßBr,  C,H4Br 

I  -2HBr  = 

CsHjBrs  CgH^Br 

CgH^Br  ^s^a 

I  -2HBr=  I 

CgH^Br  ^ffli 

Aus  dieser  Bildungsweise  und  aus  seinen  acetjlenartigen  Eigenschaften 
ergiebt  sich  seine  Constitution.  Es  stellt  eine  farblose  Flüssigkeit  von 
intensivem  Geruch  dar,  ist  in  Wasser  unlöslich,  siedet  gegen  85®  (vgl. 
unten)  und  besitzt  bei  18®  das  spec.  Gew.  0-81.  Mit  ammoniakalischer 
Eupferchlorür  -  Lösung  liefert  es  einen  amorphen,  zeisiggelben,  mit 
Silbemitrat-Lösung  einen  amorphen  weissen  Niederschlag;  diese  Nieder- 
schläge sind  explosiv  und  besitzen  die  Zusammensetzung  CgH^Cu^  +  2H,0 
bezw.  CgH^Agj  +  2H3O ;  auch  mit  Quecksilberchlorid-Lösung  behandelt, 
giebt  es  eine  weisse,  in  Wasser  und  Alkohol  unlösliche  Verbindung. 
Mit  Brom  vereinigt  es  sich  zu  einem  Tetrabromid  CgHgBr^  und  einem 
Octobromid  C^HgBrg.  Schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  polymerisirt 
es  sich  allmählich  zu  einem  festen,  schellakähnlichen,  beim  Erhitzen 
verpuffenden  Harz;  aus  diesem  Grunde  konnte  der  Siedepunkt  des  Di- 
propargyls  bisher  nicht  genau  festgestellt  werden. 

Ein  iBomerer,  fester  Kohlenwasserstoff  entsteht  nach  Gbiner^  durch  Oxydation 
von  Allylenkupfer  mit  Kaliamferricyanid- Lösung;  dieser  Bildung  zufolge  könnte 
man  ihm  die  Constitution  des  Bimethyldiaeetylens: 

CH,-C^C-CfeC-CHa 

zuschreiben,  mit  welcher  Annahme  auch  seine  Indifferenz  gegen  ammoniakalische 
Kupferchlorür-Lösung  übereinstimmen  würde.  Sein  Schmelzpunlct  wird  zu  64  ^  sein 
Siedepunkt  zu  129—130^  angegeben;  erwägt  man,  dass  Benzol  bei  81  ^^  Dipropaigyl 
bei  85^  siedet,  so  muss  diese  Siedepunktsangabe  für  einen  gleich  zusammengesetzten 
Kohlenwasserstoff  sehr  befremdlich  erscheinen. 

Kohlenwasserstoffe  mit  offenen  Ketten,  deren  Molecül  mehr  als  drei 
doppelte  Bindungen  oder  mehr  als  zwei  dreifache  Bindungen  enthält, 
sind  bisher  nicht  mit  Sicherheit  bekannt  geworden. 


Vierzehntes  Kapitel. 
Einwerthige  ungesättigte  Halogenderiyate. 


I.  Monohalogenderirate  der  Aethylenkolüenwasserstoffe. 

Allgemeine  Zusammensetzung:  CQH3^_jCl(Br,J). 

Von  den  Kohlenwasserstoffen  der  Aethylenreihe  gelangt  man  zu  ihren 
Monohalogen- Substitutionsprodukten,  indem  man  zunächst  ein  Molecül 
Halogen  fixiren  lässt: 


^  Compt.  rend.  105,  283. 


Monöhalogenderivate  der  Äethylenkohlenwasserstoffe,  469 


CHj  CHjCl 

+  C1,  =   I 
H,  CH,C1 


i 


und  dem  so  entstandenen  gesättigten  Dihalogenderivat  durch  gemässigte 
Einwirkung  von  alkoholischen  Alkalien  (ygl.  S.  454)  ein  Molecül  Halogen- 
wasserstoff entzieht: 

CHjCl  CHCl 

I         -HCl  =  i,       . 

In  ganz  ähnlicher  Weise  liefern  die  aus  den  Aldehyden  und  Ketonen 
durch  Austausch  des  Sauerstoffs  gegen  Halogen  entstehenden  Verbin- 
dungen (vgl.  S.  388,  459,  462)  nach  Abspaltung  von  1  Mol.  Halogen- 
wasserstoff ungesättigte  Monöhalogenderivate^: 

CH3  CHs  CHj 

CHj  Gxi}  GH] 

CO  CGI,  CGI  ' 

GH3  GXI3  GHg 

die  den  Ketonen  entsprechenden  Dichloride  sind  oft  so  unbeständig,  dass 
sie  schon  bei  der  Destillation  der  Abspaltung  von  einem  Molecül  Chlor- 
wasserstoff unterliegen. 

Einige  Verbindungen  dieser  Gruppe  sind  aus  ungesättigten  Säuren  erhalten', 
indem  man  die  aus  letzteren  durch  Addition  von  Halogen  entstehenden  gesättigten 
halogensubstitnirten  Säuren  mit  kohlensauren  Alkalien  behandelte.  So  wird  z.  B.  die 
aus  Grotonsäure  GH3-GH:GHG0,H  erhältliche  Dichlorbuttersäure  GHg-CHGlGHGl- 
CO)H  in  alkalischer  Ldsung  nach  der  Gleichung: 

GHj-GHClGHGlGOjNa  =  GH,.GH:  GHGl  +  NaGl  +  GO, 
gespalten. 

Diese  Reactionen  fuhren  stets  zu  Verbindungen,  deren  Halogenatom 
an  einem  der  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatome  haftet.  Solchen  Ver- 
bindungen lässt  sich  eine  Gruppe  von  Halogenderivaten  gegenüberstellen, 
die  zwar  ebenfalls  ungesättigt  sind,  deren  Halogenatom  aber  sich  an 
eines  der  an  der  Doppelbindung  nicht  direct  betheiligten  Kohlenstoffatome 
lagert,  wie  CH3:CH-CHjCl  etc.  Zu  letzteren  gelangt  man  von  den  ent- 
sprechenden ungesättigten  Alkoholen  auf  analogen  Wegen,  wie  von  den 
Grenzalkoholen  zu  den  Halogenalkylen  (vgl.  S.  180 — 182),  z.  B.: 
3  GH,  :  GHGHjOH  +  PBr,  =  P(OH)j  +  3GH,  :  GHGH,Br. 

Von  den  Monohalogen-Derivaten  der  Äethylenkohlenwasserstoffe  sind 
am  besten  untersucht  die  Abkömmlinge  des  Aethylens  selbst  und  die- 
jenigen des  Propylens  CH3:CH-CH3,  welche  ihr  Substituens  in  der  Methyl- 
gruppe enthalten.  Das  den  ersteren  gemeinsame  einwerthige  Radical 
CHj :  OH —  wird  „Vinyl",  das  für  die  letzteren  charakteristische  Radical 
CH,:CH-CH,—  wird  „AUyl"  (Ableitung  s.  S.  481)  genannt: 

*  Bbüylants,  Ber.  8,  410  (1875). 

'  B.  jAFFt,  Ann.  135,  300  (1865).  —  Paoenstecher,  Ann.  196,  125  (1878).  ~ 
Wäuckkcs,  Ann,  248,  297  (1888). 


470     Verschiedene  Beweglichkeit  der  Halogenatom'e  je  nach  der  Bindungsart, 


OH]  0H| 

'!  Jl 

CHX  CH-CHgX 

Vinyl-  AUyl-Derivate. 

In  den  Vinylhalogenen  haben  wir  Repräsentanten  jener  Verbindungen, 
deren  Halogenatom  direct  an  der  Doppelbindung  seinen  Sitz  hat;  die 
Allylhalogene  dagegen  bieten  ein  Beispiel  für  den  zweiten  oben  erwähnten 
Fall,  da  ihr  Halogenatom  an  ein  einfach  gebundenes  Kohlenstoffatom  ge- 
kettet ist.  Diese  Verschiedenheit  der  Constitution  äussert  sich  deutlich 
in  der  Verschiedenheit  des  chemischen  Verhaltens. 

Die  an  den  AUylrest  gebundenen  Halogenatome  sind  ebenso  beweg- 
lich, ebenso  leicht  austauschbar,  wie  die  Halogenatome  der  Alkylhalogene 
(ygl.  S.  185).  Wie  sich  mit  Hülfe  der  letzteren  die  gesättigten  Radicale 
in  alle  möglichen  Verbindungsformen  überführen  lassen,  so  können  daher 
die  Allylhalogene  dazu  dienen,  um  das  ungesättigte  AUylradical  CgH^ 
von  einem  Molecül  in  ein  anderes  wandern  zu  lassen,  z.  B.: 

CsHg.J  +  NH,  =  CsHßNHj.HJ 
CgH^-J  +  NaCHCCOj.CÄ),  =  CsHjCHCCOjCjHj,),  +  NaJ  etc. 

Da  das  AUyljodid  direct,  das  Chlorid  und  Bromid  durch  Vermittelung  des 
Allylalkohols  (S.  479)  verhältnissmässig  leicht  aus  dem  Glycerin  gewinnbar 
ist,  so  bedient  man  sich  ihrer  Eeactionsfähigkeit  sehr  häufig  für  die 
Synthese  ungesättigter  Verbindungen.  Derartige  Eeactionen  verlaufen 
sogar  mit  den  ungesättigten  Verbindungen  oft  bedeutend  lebhafter,  als 
mit  den  gesättigten.  Während  z.  B.  die  Reaction  zwischen  Propyljodid 
CHg-CHj-CHJ  und  Natrium- Acetessigester  (s.  S.  308)  in  alkoholischer 
Lösung  nur  ganz  schwache  freiwillige  Erwärmung  hervorbringt  und  zu 
ihrer  Vollendung  2 — 3  stündiges  Erhitzen  erfordert,  tritt  bei  Anwendung 
von  AUyljodid  CHgiCH-CHgJ  innerhalb  einer  halben  Minute  von  selbst 
Sieden  ein,  und  im  Verlauf  von  kaum  einer  Minute  ist  die  Reaction  be- 
endigte Bei  der  Umsetzung  mit  Natriumäthylat  (zu  Allyl-  bezw.  Propyl- 
äthyläther)  ist  die  Reactionsgeschwindigkeit  für  Allylhalogene  ungefähr 
60  mal  so  gross,  wie  für  Propylhalogene*.  AUyljodid  lässt  sich  von  Propyl- 
jodid und  anderen  Alkyljodiden  sehr  leicht  trennen,  da  es  mit  Quecksilber 
schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nach  sehr  kurzer  Zeit  sich  zu  Queck- 
silberallyljodid  vereinigt,  während  die  übrigen  Jodide  bedeutend  lang- 
samer reagiren^. 

Ganz  anders  aber  verhalten  sich  die  Vinyl-Halogenverbindungen;  ihr 
Halogenatom  ist  nicht  zu  doppelten  Umsetzungen  geneigt;  versucht  man 
dieselben  Reactionen,  in  welchen  sich  die  Alkylhalogene  wiUf ährig  er- 
weisen, mit  den  Vinylhalogenen  anzustellen,  so  findet  man  sie  meist  ver- 
sagen.   So  giebt  das  Vinylbromid  mit  AlkaUen  nicht  den  entsprechenden 

*  WiSLicENUs,  Ann.  212,  244  (1882). 

*  Conrad  u.  Bbückneb,  Ztschr.  f.  physik.  Chemie  4,  631  (1889). 
'  LiNNEMANN,  Ann.  Suppl.  3,  262  (1865). 


Vinylhalogene,  47 1 


Alkohol,  mit  Alkoholaten  keine  Aether,  mit  essigsaurem  Kalium  keinen 
Ester,  sondern  zerfällt  in  Bromwasserstoff  und  Acetylen: 

CH, :  CHBr  -  HBr  =  CH  :  CH; 

auf  feuchtes  essigsaures  Silber  reagirt  es  bei  100^  nicht,  mit  alkoholi- 
schem Ammoniak  kann  man  es  48  Stunden  auf  150®  ohne  Veränderung 
erhitzen^,  es  reagirt  weder  mit  Cyankalium  noch  mit  Cyansilber  bei  län- 
gerem Erhitzen«. 

Ein  interessantes  Beispiel  für  den  Einfluss  der  Stellung  der  Halogen- 
atome auf  den  chemischen  Charakter  bietet  auch  das  Verhalten  der  drei 
isomeren  Brompropylene  gegen  Triäthylamin.     Das  AUylbromid 

CH,:CH.CH,Br 

vereinigt  sich  mit  dem  tertiären  Amin  unter  bedeutender  Wärmeentwicke- 
lung zu  einem  quatemären  Ammoniumbromid  (C2Hg)g(C3Hß)NBr.  Gegen- 
über dem  a-  und  /9-Brompropylen  (CHBriCH-CHj  und  CHjiCBr-CHj) 
dagegen  wirkt  das  Triäthylamin  wie  ein  Alkali;  es  spaltet  diese  Ver- 
bindungen in  Allylen  CH:C-CHg  und  Brom  Wasserstoff  und  vereinigt  sich 
mit  letzterem  zu  bromwasserstoffsaurem  Triäthylamin'. 

Als  ungesättigte  Verbindungen  sind  die  Monohalogen- Derivate  der 
Aethylene  zu  Additionsreactionen  befähigt,  z.  B.: 

CH, :  CBr.CHj  +  HBr  =  CHsCBr^CH,. 

Tinylbalosrene.  Sie  können  sowohl  aus  den  dem  Acetaldehyd  entsprechenden 
Dihalogenftthanen  (Aethylidenverbindungen),  wie  aus  den  Halogenadditionsprodukten 
des  Aethylens  durch  Entziehung  von  Halogenwasserstoff  gewonnen  werden : 

CHgCHCl,  -  HCl  =  CH, :  CHCl 
CHjBrCHjBr  -  HBr  =  CH, :  CHBr; 

letzterer  Weg  wird  gewöhnlich  zur  Gewinnung  des  Bromvinyls  eingeschlagen.    Auch 
bilden  sie  sich  durch  Anlagerung  von  Halogenwasserstoff  an  Acetylen: 

CH  :•  CH  +  H J  =  CH,  :  CHJ. 

Viuylchlorid^  CH,  :CHC1  ist  ein  farbloses  Gas,  das  sich  im  Kältegemisch 
verflüssigen  Ifisst;  1  Vol.  Wasser  löst  bei  25 <»  0-8  Vol.  Vinylchlorid ,  1  Vol.  absoluter 
Alkohol  bei  23  ^  55  Vol.  Im  Sonnenlicht  wird  es  zu  einer  zähen ,  blendend  weissen 
Masse  polymerisirt 

Vinylbromid'  CH,:CHBr  ist  eine  leicht  bewegliche,  ätherisch  riechende  Flüssig- 
keit, in  Wasser  etwas  löslich,  siedet  bei  16^  und  besitzt  bei  14^  das  spec.  Gew.  1-517. 
Im  Sonnenlicht  wird  es  zu  einer  festen  weissen  Majsse  polymerisirt,  welche  das  spec. 
Gew.  2*075  zeigt  und  in  Alkohol  und  Aether  vollständig  unlöslich  ist;  durch  Zusatz 
einer  geringen  Menge  Jod  kann  die  Polymerisation  verhindert  werden. 

*  Vgl.  KüTSCHEBOPP,  Ber.  14,  1532  (1881).  —  Engel,  Bull.  48,  94  (1887). 

*  Baumawn,  Ann.  163,  311  (1872).  »  Reboül,  Compt.  rend.  92,  1422  (1881). 

*  Reokaült,  Ann.  14,  28  (1885).  —  Wuktz  u.Frapolu,  Ann.  108,  223  (1858).  — 
BAnfAKv,  Ann.  163,  317  (1872).  —  Glinsky,  Ztschr.  Chem.  1867,  676. 

*  ßsoNAULT,  Ann.  15,  65  (1835).  —  Baumann,  Ann.  163,  812  (1872).  —  An- 
schCtz,  Ann.  221,  141  (1883).  —  Semenow,  Ztschr.  Chem.  1864,  141.  —  Gunsky, 
ebenda  1867,  675.  —  de  Forcband,  Ann.  eh.  [5]  28,  31  (1883).  —  Lwow,  Ber.  11, 
1258  (1878).  —  KüTSCHEBOPP,  Ber.  14,  1532  (1881). 


472 


Monohalogenderivaie  des  Propylens  (Aüylhalogene). 


Vinyljodid*  CH,:CHJ  ist  flüssig,  siedet  bei  56^  und  besitzt  bei  0^  das  spec 
(Jew.  2-09. 

Monohalogren-Berirate  des  Propylens.  Je  nach  der  Stellung  des  Halogen- 
atoms sind  drei  Isomere  zu  unterscheiden,  welche  als  a-  und  /^Propjlenderivate  nnd 
als  AUjlderivate  bezeichnet  werden,  z.  B.: 

CHCl :  CH .  CHs  CH, :  CGI  •  CH,  CH, :  CH  •  CH.Cl. 

ct-Chlorpropylen.  |?-Chlorpropylen.  Allylchlorid. 

Die  folgende  Tabelle  Nr.  26  enthält  die  Siedepunkte  und  specifischen  Grewicbte 
der  hierhergehörigen  Verbindungen  zusammengestellt  Das  a-Jodpropylen  ist  noch 
nicht  bekannt. 

•  Tabelle  Nr.  26. 


Specifisches 
Gewicht 


AHylchlorid»-«"  .  .  . 
Allylbromid"-*«-^-'«  .  . 
AUyljodid »•-••••••"•"  .  . 

«-Chlorpropylen  •*  "•  **  . 
«-Brompropylen  »•>•— i« 

/^Chlorpropylen »-»ö»*  . 
^Brompropylen**^  .  . 
^-Jodpropylen""  .  .  . 


CH.rCHCHjCl 
CHj-.CHCH.Br 
CHjtCHCHjJ 

CHChCHCH, 
CHBnCHCHs 

CHjiCClCH, 
CHj:CBr.CH, 
CH.iCJ.CHj 


46° 

103° 
35— 36<» 


60  0 

23^ 

48  ö 

82  0 

0.961(0«) 
1.459(0«) 
1-870(0«) 

1.428(19.5«) 

0-931  (0«) 
1 .  362  (20  «) 
1.835(0«) 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  26:  ^  Oppenheim,  Ann.  140,  205  (1866);  Ann. 
Suppl.  e,  355  (1868).  —  «  ToLLBNs,  Ann.  1Ö0,  151  (1870).  —  »  Brühl,  Ann.  200, 
179  (1880).  —  *  Zander,  Ann.  214,  142  (1882).  —  *  R.  Schiff,  Ann.  220,  98  (1883). 

—  *  Peibram  u.  Handl,  Monatsh.  2,  659  (1881).  —  ^  Geosheintz,  Bull.  30,  98  (1878). 

—  ^  LiNNEUANN,  Ann.  Suppl.  3,  264  (1864).  —  «  Beboul,  Ann.  eh.  [5]  14,  458  (1878). 

—  »«  FßiEDEL,  Ann.  134,  262  (1865).  —  "  Ltnnemann,  Ann.  138,  123  (1866);  161, 
66  (1872).  —  "  Oppenheim,  Ztschr.  Chem.  1866,  719.  —  "  Semenow,  Ztschr.  Chem. 
1865,  725.  —  **  Niederist,  Ann.  196,  850  (1878).  —  "  Wislicenus,  Ann.  248,  297, 
305  (1888).  —  "  FiTTio,  Ann.  2Ö9,  28,  36  (1890).  —  "  C.  Kolbe,  J.  pr.  [2]  26,  391 
(1882).   —   "  Lanobein,  Ann.  248,  322  (1888).    —    "  Vaübel,  Ber.  24,  1685  (1891). 

Allylchlorid  und  AUylbromid  werden  am  besten  aus  dem  Allylalkohol 
CH, :  CH  •  CHj  •  OH  (vgl.  S.  479)  durch  Austausch  der  Hydroxylgruppe  gegen  Halogen 
nach  den  S.  180 — 181  besprochenen  Methoden  gewonnen. 

Zur  Gewinnung  des  Allyljodids'  dagegen  benutzt  man  in  der  Begel  seine 
reichliche  Bildung  bei  der  Einwirkung  von  Phosphor  und  Jod  auf  Glycerin: 

C,H,(OH),  +  P  4-  J  =  CjHftJ  +  HPO,  +  H,0; 

die  Bedingungen  der  Reaction  müssen  so  gewählt  sein,  dass  das  entstehende  Jodallyl 
nicht  Gelegenheit  findet,  durch  Jodwasserstoff  weiter  verändert  zu  werden.    Denn  mit 


>  Reonault,    Ann.  16,  69  (1835).  —  Baümann,    Ann.  163,  309,  819  (1872).  — 
-^usTAVflON,  Ber.  7,  731  (1874). 

'  Berthelot  u.  de  Luca,  Ann.  eh.  [3]  43,  258  (1855).  —  Claus,  Ann.  131,  59 
Anm.  (1864).  —  Oppenheim,  Ann.  Suppl.  6,  354  (1868).  —  Kanonnikoff  u.  Sattzeff, 
Ann.  186,  191  (1877).  —  James,  Ann.  226,  206  (1884).  —  G.  Wagner,  Ber.  9, 1810 
(1876).  —  BfiHAL,  Bull.  47,  875  (1887).  —  Malbot,  Ann.  eh.  [6]  19,  355,  363  (1890). 


MonohcUogenderivaie  des  Acetylens.  473 


Jodwasserstoff  vereinigt  es  sich  zu  Propylenjodid  CHg  •  CHJ  •  CH, J,  welch'  letzteres  bei 
weiterer  Einwirkung  von  Jodwasserstoff  zu  Isopropyljodid  reducirt  wird  (vgl.  S.  188, 
Darstellung  des  Isopropyljodids),  in  der  Wärme  dagegen  in  Jod  und  Propylen  zerfiällt. 
Allylfluorid'  CgHsFl,  aus  AUjljodid  und  Fluorsilber  erhalten,  ist  ein  farb- 
loses Gas,  das  sich  gegen  —  1^  verflüssigt,  in  Wasser  ziemlich,  in  Alkohol  und  Aether 
sehr  leicht  löslich  ist. 

Die  a-Derivate  des  Propylens  erh&lt  man  in  reinem  Zustande  aus  den  dem 
Propionaldehyd  entsprechenden  Dihalogenverbindungen  durch  Halogenwasserstoff- 
Entziehung: 

CHs-CHj.CHCl,  -  HCl  =  CHs-CH :  CHCl, 

die  I?- Derivate  aus  den  dem  Aceton  entsprechenden  Isomeren  (vgl.  S.  545): 

CHsCBrj.CH,  -  HBr  =  CH8CBr:CH,; 

unterwirft  man  die  Halogen -Additionsprodukte  des  Propjlens  der  Einwirkung  des 
alkoholischen  Kalis,  so  erhält  man  ein  Gemenge: 

<CH,.CH:CHBr 
CH8CBr:CH, 

Die  a-Derivate  vereinigen  sich  viel  schwerer  mit  Brom  Wasserstoff  zu  gesättigten  Di- 
halogenverbindungen, als  die  |9-Derivate  —  ein  Umstand,  der  mit  Vortheil  zu  ihrer 
Trennung  in  Gemischen  verwerthet  werden  kann.  Durch  weitere  Einwirkung  von 
alkohoÜBchen  Alkalien  liefern  die  «-  und  ^-Derivate  Allylen  CHs-C-CH,  während 
die  Alljlhalogene  hierbei  zum  geringen  Theil  in  Allen  CH, :  C :  CH,,  der  Hauptmenge 
nach  aber  in  Allyläthyläther  CH,:CH.CH8-0-C,H5  übergehen. 

II.    MonohalogeiiderlTate  der  Acetylenkolilenwasserstoffc. 

Derivate  des  Acetylens.    Chloracetylen'  CCl-CH  bildet  sich  bei  der  Zer- 
setzung von  Dichlorakrylsäure  CCl2:CH'C0,H  durch  wässrige  Alkalien: 

CCl, :  CHCOjNa  =  CCl  \  CH  +  CO,  +  NaCl. 

£a  ist  ein  Gas  von  sehr  merkwürdiger  Unbeständigkeit*,  nur  bei  hinreichender  Ver- 
dünnung mit  Wasserstoff  konnte  es  untersucht  werden ;  in  annähernd  reinem  Zustand 
zerftUt  es  nach  einiger  Zeit  von  selbst  unter  Explosion  und  Rohlensto£BEibscheidung'. 
Es  erzeugt  in  ammoniakalischer  Kupferchlorürlösung  einen  gelbrothen,  in  ammonia- 
kaÜscher  Chlorsilberlösung  einen  weissen  Niederschlag;  beide  Niederschläge  sind 
äusserst  explosiv.  Das  Vorliegen  des  Chloracetylens  in  diesem  Gase  ergiebt  sich 
daraus,  daas  durch  Einleiten  desselben  in  Brom  ein  Tetrabrommonochloräthan 
C,HBr,Cl  erhalten  wird. 

Bromacetylen*  CBrjCH  wird  durch  Zersetzung  von  symmetrischem  Dibrom- 
äthylen  mit  wässrig-alkoholischer  Natronlauge  erhalten: 

CHBr :  CHBr  -  HBr  =  CBr  iCH , 

wobei  man  wegen  seiner  Selbstentzündlichkeit  in  einer  Stickstoffatmosphäre  arbeiten 
muss.     In  einer  Kältemischung  lässt  es  sich  zu  einer  leicht  beweglichen,    farblosen 


•  Meslans,  Compt.  rend.  111,  882  (1890). 

•  Wallach,  Ann.  203,  88  (1880).  —  Zinoke,  Ber.  23,  3783  (1890). 

•  VgL  über  derartige  spontane  Zersetzungen  V.  Meyer,  Ann.  176,  138  (1874). 

^  Reboül,  Ann.  126,  81  (1868).    —   Schmelz  u.  Beilsteik,  Ann.  Suppl.  3,  280 
(1865).  —  Sabahejew,  Ber.  18  o,  374  (1885). 


474  PropargylrlJalogene, 


Flüssigkeit  verdichten.  Am  Licht  erleidet  es  eine  Polymerisation ,  wodurch  es 
grösstentheils  in  unlösliche,  nicht  unzersetzt  schmelzende  Produkte,  theilweise  (zu 
etwa  lO^/o)  in  symmetrisches  Tribrombenzol  CeHgBr,  übergeht.  In  ammoniakalisclier 
Kupferchlorürlösung  erzeugt  es  einen  Niederschlag  von  Acetylenkupfer. 

Jodacetylen*  CJ-CH  entsteht  aus  Jodpropargylsäure  CJ:C'CO,H  bei  der 
Zersetzung  ihres  Bariumsalzes  durch  Kochen  in  wftssriger  Lösung: 

CJ :  CCOjH  —  CO,  =  CJ :  CH. 

Es  ist  krystallinisch,  sehr  leicht  schmelzbar  und  flüchtig,  in  Wasser  ziemlich  löslich, 
besitzt  einen  unangenehmen  Geruch  und  scheint  ausserordentlich  giftig  zu  sein.  Mit 
ammoniakalischer  Kupferchlorürlösung  giebt  es  einen  purpurrothen  Niederschlag,  der 
sich  bei  Ueberschuss  der  Kupferlösung  bald  in  ein  Gemenge  von  Kupferjodür  und 
Acetylenkupfer  verwandelt.  Beim  Aufbewahren  polymerisirt  es  sich  zu  einer  kry- 
stallisirbaren  Substanz  vom  Schmelzpunkt  17 1*'  (vermuthlich  symmetr.  Trijodbenzol). 

Derirate  des  Allylens.  Für  Monosubstitutionsprodukte  des  Ally- 
lens  lässt  die  Theorie  zwei  Structurfälle  vorherrschen: 

HC  :•  C .  CH,X  und  XC :  C  •  CHj. 

Die  Verbindungen  der  ersten  Art  enthalten  das  einwerthige  Radical 
CHjCCHg — ,  für  welches  die  Benennung  „Propargyl"  (vgl.  Lieber- 
MANN,  S.  484)  eingeführt  ist,  und  werden  daher  als  Propargyl -Verbin- 
dungen bezeichnet;  von  den  Halogenverbindungen  der  zweiten  Art  ist 
nur  das  Jodallylen  bekannt.  Die  Reactionsfähigkeit  der  Verbindungen 
wird  wieder  durch  die  Stellung  des  Halogenatoms  beeinflusst  (vgl. 
S.  470 — 471).  Die  Propargylhalogene,  welche  ihr  Halogenatom  am  ge- 
sättigten Kohlenstoffatom  enthalten,  sind,  wie  die  Alkylhalogene  und 
AUylhalogene,  reactionsfähig;  so  reagirt  z.  B.  das  Bromid  leicht  mit 
Rhodankalium  (KONS)  unter  Bildung  der  Verbindung  CjHj-CNS;  das 
Jodür  verbindet  sich  mit  Quecksilber  leicht  zu  der  Verbindung  CjHj« 
Hg-J.  Das  isomere  Jodallylen  dagegen,  dessen  Jodatom  am  dreifach 
gebundenen  Kohlenstoffatom  haftet,  besitzt  nicht  die  Fähigkeit  des  dop- 
pelten Austausches. 

DiePropargyl-Halogene'  werden  aus  dem  Propaigylalkohol  CH  •  CH  •  CH^OH) 
(s.  S.  4S3)  durch  Einwirkung  der  Phosphorhalogenverbindungen  erhalten.  Das  Chlorid 
CH  :  C-CHjCl  siedet  bei  65°  (spec.  Gew.  bei  b^ :  1  -045),  das  Brpmid  CH  :  CH-CH^Br 
bei  88—90*»  (spec.  Gew.  bei  20^:1 -52),  das  Jodid  CH:CH.CH,J  bei  120^  (spec 
Gew.  bei  0^:2- Ol 8).    Es  sind  stechend  riechende  Flüssigkeiten. 

Das  Jodallylen'  CJ-C^CHg  entsteht  aus  Allylensilber  durch  Einwirkung  von 
Jodjodkaliumlösung  und  stellt  ein  Oel  von  höchst  stechendem  Geruch  dar,  welches 
bei  etwa  98^  siedet  und  ungefähr  das  spec.  Gew.  1  •  7  besitzt. 


1  Baeyeb,  Ber.  18,  2274  (1885). 

«  Henry,  Ber.  0,  728  (1878);  7,  761  (1874);  8,  398  (1875);  17,  1132  (1884). 

'  LiEBEBHANN,  Ann.  135,  270  (1865). 


Mnwerihige  ungesättigte  Alkohole.  475 


Fünfzehntes  Kapitel. 

Einwerthige  ungesättigte  Alkohole  und  ihre  Abkömmlinge. 

Ungesättigte  einwerthige  Alkohole  sind  Verbindungen,  welche  sich 
von  den  ungesättigten  Kohlenwasserstoffen  durch  Ersatz  eines  Wasser- 
stoffatoms mittelst  der  Hydroxylgruppe  ableiten.  Analog  der  Unter- 
scheidung, welche  im  vorigen  Kapitel  für  die  einwerthigen  ungesättigten 
Halogenverbindungen  öfters  betont  wurde,  wird  man  auch  hier  vom  Stand- 
punkt der  Theorie  aus  einerseits  Alkohole,  deren  Hydroxylgruppe  un- 
mittelbar am  Ort  der  mehrfachen  Bindung  haftet,  und  andererseits  Al- 
kohole, deren  Hydroxylgruppe  mit  einem  an  der  mehrfachen  Bindung 
unbetheiligten  Kohlenstoffatom  verknüpft  ist,  einander  gegenüberstellen. 

Die  Alkohole  der  letzteren  Art,  wie  z.  B.: 

CH,:CH.CH,.OH,  *'  'NcHOH,  CHsCCHj-OH, 

CHjiCHCH/ 

Allylalkohol  Diallylcarbinol  Propargylalkohol 

können  nach  den  meisten  der  für  die  gesättigten  einwerthigen  Alkohole 
angeführten  Bildungsweisen  (S,  143 — 147)  gewonnen  werden,  wenn  man 
von  ungesättigten  Verbindungen,   statt  von  gesättigten,  ausgeht,  z.  B.: 

CH, :  CH .  CH,  J  4-  U  -OH  =  H J  +  CH, :  OH •  CH,  •  OH 
CH,:CH.CHO  +  H,  =  CH, :  CH  •  CH,  •  OH 

CH,:CH.CHa  +  Zn(C,Hj),  =  CH,:CH.Ch/  * 

^O.Zn.CjHs 

CH,:CH.Ch/  '    *  +  H,0  =  CH,:  CH.CH(0H).C,H5  +  ZnO  4-  C,He  etc. 

\O.Zn.C,H,, 

In  ihrem  Verhalten  erhalten  sie  ihren  Charakter  einerseits  durch  die 
typischen  Reactionen  der  alkoholischen  Hydroxylgruppe  (S.  150  ff.), 
andererseits  durch  die  von  der  Gegenwart  doppelter  oder  dreifacher 
Bindungen  bedingten  Eigenthümlichkeiten  (vgl.  S.  442  ff.,  456). 

Versucht  man  dagegen  Alkohole  zu  gewinnen,  die  ihre  Hydroxyl- 
gruppe an  ungesättigten  Kohlenstoffatomen  enthalten,  so  sieht  man  in 
Reactionen,  welche  zu  ihrer  Bildung  führen  sollten,  isomere  Verbindungen 
entstehen;  während  z.  ß.  durch  Wasserabspaltung  aus  dem  Aethylen- 
glykol  —  dem  einfachsten  zweiwerthigen  Alkohol  — : 

CH,(OH)  CH, 

-H,0  =   ' 
CH,(OH)  CH(OH) 

der  Vinylalkohol  entstehen  könnte,  bildet  sich  statt  dessen  der  isomere 
Acetaldehyd^;  während  aus  /9-Brompropylen  CHgtCBr-CHj  durch  Aus- 
wechselung des  Broms  gegen  Hydroxyl  ein /S-Oxypropylen  CH2  :  C(0H)-CH3 
zu  erwarten  ist,  entsteht  statt  dessen  beim  Erhitzen  mit  Wasser^  das 

*  WuBTZ,  Ann.  108,  86  (1858).  *  Linnemann,  Ann.  161,  66  (1872). 


476     Unbeständigkeit  d.  Comb,  einer  Hydroxylgruppe  m,  unges.  Kohknsioffaiomen. 


isomere  Aceton  CHj-CO-CHj.  So  wurde  man  zu  der  Ansicht  gefuhrt, 
dass  die  Vereinigung  der  Hydroxylgruppe  mit  ungesättigten  Kohlenstoff- 
atomen in  Verbindungen  mit  offener  Kohlenstoffkette  eine  nicht  existenz- 
fähige Atomgruppirung  darstelle,  und  dass  daher  im  Momente  des  Ent- 
stehens der  Complex: 


C    CH(OH)      in     \cH-CHO, 


> 

\c— C(OH)-C^    in    VjH-CO-C:^ 

tibergehe;  statt  der  unbeständigen,  ungesättigten  Alkohole  bilden  sich 
demzufolge  ihnen  isomere  Aldehyde  bezw.  Ketone^. 

Wenn  auch  heute  noch  die  vorliegenden  Erfahrungen  im  Allgemeinen 
für  die  Unbeständigkeit  dieser  Atomcomplexe  sprechen,  so  darf  doch 
ihre  Existenzfähigkeit  nicht  mehr  bestritten  werden,  seitdem  der  Vinyl- 
alkohol  CH3:CH(0H)  wenigstens  als  in  ätherischer  und  wässriger  Lösung 
bestehend  nachgewiesen  ist  (s.  unten),  ohne  freilich  seiner  Zersetzlichkeit 
wegen  in  reinem  Zustand  abgeschieden  werden  zu  können,  —  seitdem 
femer  für  den  Formylcampher  die  Constitutionsformel : 

.C-  CH(OH) 

sehr  wahrscheinlich  gemacht  worden  ist*. 

Derivate  dieser  unbeständigen  Alkohole  indessen,  welche  an  Stelle 
des  Hydroxyl- Wasserstoffatoms  Badicale  enthalten,  wie  z.  B.: 

CHjiCHOCjH^  CH,:CH.O.CH:CH„ 

Vinyläthyl&ther  Divinyläther 

sind  in  grösserer  Zahl  erhalten  und  als  beständig  befunden  worden.  Es 
kann  dies  kaum  auffällig  erscheinen;  der  Uebergang  von 

CH,:CH(OH)     in     CHjCHO 

erfordert  ja  nur  den  Platzwechsel  eines  Wasserstoffatoms  —  des  leich- 
testen und  daher  jedenfalls  auch  beweglichsten  Atoms,  das  wir  kennen; 

der  Uebergang  von 

CHjrCHOCjHs     in     CH,(C,H5).CH0 

dagegen,  der  vielleicht  auch  das  Aufsuchen  einer  stabileren  Atomgrup- 
pirung bedeuten  würde,  bedürfte  der  Verschiebung  einer  ganzen  Atom- 
gruppe. 

I.  Alkohole  von  der  Zusammensetzung  C„H2„_i(0H)  =  C„H,„0. 

Ylnylalkohol  CHjiCHCOH)  ist  1889  von  Poleck  und  Thümmel' 
als  ständiger  Begleiter  des  Diäthyläthers  (vgl.  S.  196 — 197)  constatirt 
worden.     Er  entsteht  schon  bei  der  Bereitung  des  Aethers  und  bildet 

'  Vgl.  £rlbnmey£r,  Ber.  13.  309  (1880). 

^  Vgl.  Claisen,  Sitzungaber.  d.  math.-phys.  Klasse  d.  bayer.  Akad.  20,  459  (1890j. 

>  Ber.  22,  2863. 


Vinylalkohol.  477 


sich  —  gleichzeitig  mit  Wasserstoffsuperoxyd  —  aus  reinem  Aether 
durch  Oxydation  mittelst  des  atmosphärischen  Sauerstoffs.  Auf  seine 
Gegenwart  wurden  die  genannten  Forscher  dadurch  aufmerksam,  dass 
die  gewöhnlichen  Aethersorten  beim  Durchschütteln  mit  einer  Mischung 
aus  Quecksilberchlorid  und  Kaliumbicarbonat-Lösung  (alkalische  Lösung 
von  Quecksilbermonoxychlorid)  einen  weissen  amorphen  Niederschlag 
(Vinylquecksilberoxychlorid)  in  schwankenden  Mengen  (0.89  bis 
6  6470)  lieferten,  welcher  die  Zusammensetzung  HggClgOgCgHj  besitzt. 
In  dieser  Verbindung  nehmen  Poleck  und  Thümmel  die  Vinylgruppe 
an,  indem  sie  sich  darauf  stützen,  dass  bei  der  Zersetzung  mit  Chlor-, 
Jod-  und  Cyanwasserstoff  flüchtige  Vinylverbindungen  zu  entstehen  schei- 
nen, dass  Vinylchlorid  und  Vinyljodid  in  alkoholischer  Lösung  mit  obiger 
Quecksilberlösung  denselben  Niederschlag  erzeugen,  und  dass  bei  Be- 
handlung desselben  mit  kochender  Kalilauge  eine  dunkelgrüne,  fast 
schwarze  Verbindung  von  der  Zusammensetzung  Hg^CgHjO^  entsteht, 
welche  in  Anbetracht  ihrer  überaus  heftigen  Explosivität  als  ein  Acetylen- 
Derivat  anzusprechen  ist. 

Desüllirt  man  den  auf  die  Quecksilberlösung  reagirenden  Aether 
mit  Phenylhydrazin,  so  erweist  sich  das  Destillat  als  unwirksam  auf  die 
alkalische  Quecksilberoxychloridlösung,  und  im  Rückstand  findet  man  das 
Hydrazon  des  Acetaldehyds  CHg-CH:N-NH-CgHß.  Acetaldehyd  selbst 
kann  aber  nicht  die  Beimengung  des  Aethers  darstellen,  da  einerseits 
die  Silberspiegel -Reaction  mit  dem  gewöhnlichen  Aether  ausbleibt,  an- 
dererseits Acetaldehyd  nicht  jene  weisse  Quecksilberverbindung  erzeugt. 
Es  ist  demnach  hierbei  eine  Umlagerung  der  Vinylgruppe  CHg^CH — 
in  die  Aethylidengruppe  CH3 — CH=  anzunehmen. 

Durch  Ausschütteln  des  Aethers  mit  Wasser  lässt  sich  der  Vinyl- 
alkohol in  wässrige  Lösung  überführen.  Durch  fractionirte  Destillation 
der  letzteren  wurden  zwei  auf  die  Quecksilberlösung  lebhaft  reagirende 
Fractionen  von  den  Siedepunkten  30—31^  und  37—38^  erhalten.  Doch 
konnten  dieselben  nicht  rein  genug  erhalten  werden,  um  ihre  Zusammen- 
setzung durch  Dampfdichtebestimmung  und  Analyse  festzustellen.  Kali- 
lauge bräunt  diese  Destillate,  indem  sich  Harzklümpchen  abscheiden, 
und  der  Geruch  nach  Aldehydharz  auftritt. 

Deriyate  des  Vinylalkohols.  Ueber  die  dem  Vinylalkohol  ent- 
sprechenden Halogen-Derivate  vgl.  S.  470—472. 

Divinyläther*  CH,:CH0.CH:CH2  —  eine  farblose,  bei  39<>  siedende,  dem 
DiäthyUther  ähnlich  riechende  Flüssigkeit  —  ist  aus  Vinylsulfid  durch  Einwirkung 
von  trockenem  Silberoxyd  erhalten  worden.  —  Vinyläthyläther»  CHjcCH-O-CHj- 
CH3  entsteht  aus  Monochloracetal  CHjCl  •  CH(0  •  Q^lli,\  durch  Behandlung  mit  Natrium : 
CHjClCHlOCjHfi),  +  Naa  =  CH, :  CHCOC^H,)  +  NaCl  +  NaOC^Hj,  ferner  aus 
Jodäthyläther  CH, J •  CH, •  0 •  C^Hg  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali;  er 
siedet  bei  35.5°,  besitzt  bei  14-50  das  spec.  Gew.  0-762,  verbindet  sich  mit  Chlor 


*  SBiMLER,.Ann.  241,  90  (1887). 


'  WiSLiCENus,  Ann.  192,  106  (1878).  —  Henry,  Compt.  rend.  100,  1007  (1885). 


478  Vinylstäßdf   Vinylamin, 


zu  Dichloräther  (s.  S.  198)  und  wird  von  verdünnter  Schwefelsäure  in  Aoetaldehyd 
und  Aethjlalkohol  gespalten. 

Vinylsulfid^  CHatCHS-CHiCHa  bildet  den  Hauptbestandtheil  des 
ätherischen  Oels  von  AUium  ursinum.  Es  stellt  ein  knoblauchartig  rie- 
chendes Oel  dar,  welches  bei  101®  siedet  und  das  spec.  Gew.  0'912 
besitzt.  Durch  Oxydationsmittel  wird  es  nicht  in  ein  Sulfoxyd  oder 
Sulfon  übergeführt,  sondern  liefert  unter  Abspaltung  des  Schwefels 
Oxalsäure  und  Kohlensäure.  Von  trockenem  Silberoxyd  wird  es  in 
Vinyläther  (s.  oben)  verwandelt;  feuchtes  Silberoxyd  erzeugt  zuerst  Vinyl- 
alkohol,  der  sich  sofort  in  Acetaldehyd  umlagert,  welch  letzterer  dann 
zu  Essigsäure  oxydirt  wird. 

Vinylamin*  CHgtCH-NHg  wird  aus  dem  Bromäthylamin  CH^Br- 
CHg-NHg  durch  Bromwasserstoffentziehung  mittelst  feuchten  Silberoxyds 
gewonnen;  auch  entsteht  sein  Bromhydrat  schon  beim  kurzen  gelinden 
Erwärmen  der  wässrigen  Lösung  des  Bromäthylamins  durch  Umlagerung: 

CHjBrCHj.NHj  =  CH,:  CH.NH,.HBr. 

Die  stark  alkalisch  reagirende  Base  ist  nicht  als  solche  abgeschieden, 
sondern  lediglich  in  wässriger  Lösung  und  in  Form  ihrer  Salze  unter- 
sucht. Sehr  charakteristisch  ist  ihr  Verhalten  gegen  Jodkaliumwismuth- 
lösung,  welche  selbst  in  sehr  verdünnten,  mit  Salzsäure  übersättigten 
Lösungen  eine  feurigrothe,  krystallinische  Fällung  von  Vinylamin- 
wismuthjodid,  3C3HgNJ.2BiJ3,  hervorruft.  Das  Vinylamin  ist  sehr 
veränderlich ;  die  neutrale  Lösung  seines  Chlorhydrats  zersetzt  sich  durch 
Erhitzen,  die  Lösung  der  freien  Base  sogar  schon  in  der  Kälte.  Beim 
Eindampfen  seiner  mit  Mineralsäuren  übersättigten  Lösungen  erleidet  es 
Additionsreactionen;  so  entsteht  mit  Salzsäure  Chloräthylamin: 

CH, :  CH.NH,  +  HCi;=  CH,C1CH,.NH,, 

analog  wirken  Brom-  und  Jodwasserstoff;  Salpetersäure  bewirkt  durch 
Wasseranlagerung  die  Bildung  von  Oxyäthylamin  : 

CHj :  CH.NH,  +  H,0  =  CH,(OH).CHj.NH,; 

mit  Schwefelsäure  erfolgt  Zusammentritt  zu  Amidoäthylschwefelsäure: 

CH, — 0 — SO, 
CH, :  CH.NH,  +  OHSOjOH  =   ,         v  , 

CH,-NH,-0 

mit  schwefliger  Säure  Zusammentritt  zu  Taurin  (Amidoäthylsulfosäure): 

CH, :  CH.NH,  +  HjSGs  =  CH,(SO,H)  •  CH,  •  NH, . 

Das  Neurin'  —  eine  für  die  physiologische  Chemie  ausserordent- 


^  Semmler,  Ann.  241,  90  (1887). 

*  Gabriel,  Ber.  21,  1049,  2664  (1888). 

*  A.  W.  Hofmann,  Compt.  rend.  47,  559  (1858).  —  Baeyer,  Ann.  140,  311 
(1866).  —  Liebreich,  Ber.  2,  12  (1869).  —  Brieger,  Ber.  16,  1190,  1406  (1883); 
17,  516,  1137  (1884).  —  Marino-Zücco,  Ber.  17,  1043  (1884).  —  Hündeshaqes,  J.  pr. 
[2]  28,  245  (1883). 


Neurin.  479 


lieh  wichtige  Substanz  —  stellt  ebenfalls  eme  ein  Vinylradical  enthaltende 
Base,  nämlich  das  Trimethylvinylammoniumhydroxyd 

CH,\      /CH:CH, 

CH,/      \0H 

dar;  es  ergiebt  sich  dies  aus  seiner  künstlichen  Bildung  durch  Behand- 
lung des  aus  Aethylenbromid  CH^Br-CH^Br  und  Trimethylamin  entstehen- 

yCHg  •  CHjBr 
den  quatemären  Bromids  (CH3)3N<^  mit  Silberoxyd.     Wich- 

\Br 
tiger  indess  als  diese  Synthese  ist  seine  Entstehung  bei  der  Fäulniss 
von  Fleisch  und  anderen  fermentativen  Vorgängen;  dieselbe  ist  zurück- 
zuführen auf  eine  Spaltung  des  in  allen  pflanzlichen  und  thierischen 
Geweben  verbreiteten  Lecithins,  dessen  Molecül  das  im  Vergleich  mit 
dem  Neurin  um  ein  Wassermolecül  reichere  Cholin: 

.CH,.CH,(OH) 

enthält  Das  Neurin  zeigt  die  allgemeinen  Eigenschaften  quatemärer 
Ammoniumbasen,  ist  in  Wasser  sehr  löslich  und  reagirt  stark  alkaHsch; 
sein  Chlorhydrat  ist  sehr  leicht  löslich. 

AUylalkohol,  CgH^O  =  CH^  :  CH-CHaCOH),  ist  unter  den  ungesättig- 
ten Alkoholen  der  bestgekannte.  Er  ist  von  Cahoues  und  Hofmann  ^ 
zuerst  dargestellt,  von  Tollens  besonders  eingehend  untersucht.  Tollens 
und  Henntngeb*  arbeiteten  die  seither  stets  zur  Gewinnung  des  AUyl- 
alkohols  benutzte  Methode  aus,  welche  auf  der  Reaction  zwischen  Oxal- 
säure und  Glycerin  beruht.  Bei  diesem  schon  für  die  Ameisensäure- 
Darstellung  besprochenen  Process  (vgl.  S.  316)  bildet  sich  zunächst 
ein  Ameisensäureester  des  Glycerins,  welcher  nun  bei  weiterem  Erhitzen 
in  Allylalkohol,  Kohlensäure  und  Wasser  zerfällt: 

CHj.OH  CHjOH 

CH   ÖH  =      CH  4-CO, +  H,0. 

CH,.ÖVcÖ|;h  CH, 

Darstellung:  Man  erhitzt  4  Th.  Glycerin  mit  1  Th.  Oxalsäure;  der  letzteren 
setzt  man,  um  einen  häufig  vorkommenden  und  den  Process  ungünstig  beeinflussen- 
den Gehalt  derselben  an  Alkali  unschädlich  zu  machen ^  ^U-^^l^  °/o  Salmiak  zu;  in 
das  Gemisch  wird  ein  Thermometer  eingesenkt.  Man  beobachtet  nun  zunächst  eine 
reichliche  Kohlensäureentwickelung  (Bildung  des  Ameisensäureglycerinesters,  vgl. 
S.  316),  während  welcher  sich  das  Thermometer  längere  Zeit  unterhalb  130^  hält; 
dami  beginnt  es  zu  steigen;  zwischen  205  und  210^  tritt  unter  erneuter  Gasentwicke- 
^^g  der  Zerfall  des  Ameisensäureglycerinesters  ein.  Von  195^  an  sammelt  man  das 
Destillat,  erhitzt  sehr  langsam,  so  dass  das  Thermometer  längere  Zeit  220—230°  zeigt, 
^d  hört  bei  260®  auf.    (Der  Destillationsrückstand  —  überschüssig  angewendetes 

*  Ann.  102,  285  (1857). 

*  Ann,  156,  134  (1870);  vgl.  ferner  Ann.  167,  222  Anm.  (1873). 


480  AüykUkohol. 


Glycerin  —  kann  zu  neuen  Operationen  mit  einer  etwas  verringerten  Menge  Oxal- 
säure dienen.)  Das  Destillat  enthält  ausser  dem  AUylalkohol  Wasser,  etwas  Ameisen- 
säureall jläther,  Glycerin,  Allylglycerinäther  und  Akrolei'n;  durch  eine  erneute  Destil- 
lation, die  so  lange  fortgesetzt  wird,  bis  eine  Probe  mit  Raliumcarbonat  keine  Oel- 
tropfen  mehr  abscheidet,  erhält  man  ein  reineres  Produkt,  aus  welchem  der  rohe 
Allylalkohol  durch  Raliumcarbonat  abgesondert  wird.  Letzterer  wird  nun  mit  5  bis 
10  ^/o  pulverigem  Kali  24  Stunden  zur  Zerstörung  des  Akrolelns  stehen  gelassen, 
dann  abdestillirt,  darauf  mit  geglühter  Pottasche  getrocknet  und  rectificirt.  Zur 
völligen  Entwässerung  muss  man  wasserfreien  Baryt  verwenden,  wobei  man  indess 
infolge  der  Bildung  eines  Bariumallylats  Verlust  erleidet^.  Die  Ausbeute  beträgt 
20 — 25  *^/o  von  der  verwendeten  Oxalsäure. 

Kleine  Mengen  von  Allylalkohol  sind  im  rohen  Holzgeist  enthalten'. 

Der  Allylalkohol  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  sehr  stechend 
riecht,  mit  Wasser  in  allen  Verhältnissen  mischbar  ist  und  aus  diesen 
Lösungen  wieder  durch  Kaliumcarbonat  abgeschieden  wird.  Bei  etwa 
—  50®  erstarrt  er^,  siedet  bei  96-5®  und  besitzt  bei  0^  das  spec.  Ge- 
wicht^ 0-872. 

Das  Verhalten  des  AUylalkohols  zeigt,  dass  sein  Molecül  einerseits 
eine  doppelte  Bindung,  andererseits  die  Gruppe  — CH2(0H)  enthält,  dass 
ihm  demnach  die  Structurformel: 

CH,:CH.CHj(OH) 

zuertheilt  werden  muss.  Das  Vorhandensein  der  doppelten  Bindung  er- 
giebt  sich  aus  seinem  Additionsvermögen;  er  vermag  2  Halogenatome 
aufzunehmen,  um  in  gesättigte  Verbindungen  überzugehend  Die  Gegen- 
wart der  für  die  primären  Alkohole  charakteristischen  Gruppe  — CH,(OH) 
lässt  sich  aus  den  Beziehungen  folgern,  die  zwischen  dem  Allylalkohol 
und  dem  Akroleln  (vgl.  S.  552)  bestehen.  Letztere  Verbindung  CjH^O 
zeigt  durchaus  den  Charakter  eines  Aldehyds;  sie  wird  leicht  zu  einer 
Säure  CgH^Og  (Akrylsäure,  s.  S.  495)  oxydirt  und  lässt  sich  andererseits 
zu  einem  Alkohol  CjHgO  reduciren,  und  dieser  Alkohol  ist  nichts  anderes 
als  der  Allylalkohol®.  Diese  Uebergänge  zeigen,  dass  der  Allylalkohol 
als  Reductionsprodukt  eines  Aldehyds  der  Klasse  der  primären  Alkohole 
zugerechnet  werden  muss: 

CH,  CH,  CH, 

ÖH  -< 6r       >-       CH       . 


CO- 


Ch,(oh)  cho  CO  oh 

Allylalkohol  Akrolei'n  Akrylsäure 

Man  sollte  nun  erwarten,  den  Allylalkohol  leicht  durch  Zufuhr  von 
zwei  Wasserstoffatomen  in  normalen  Propylalkohol  verwandeln  zu  können. 


*  Vincent  u.  Delacbanal,  Compt.  rend.  90,  1360  (1880). 

*  Aronhbim,  Ber.  7,  1381  (1874).  —  Grodzki  u.  Krämer,  Ber.  7,  1493  (1874). 

*  ToLLENS  u.  Henninqer,  Ann.  166,  137  (1870). 

*  Zander,  Ann.  214,  140  (1882).  —  R.  Schiff,  Ann.  220,  102  (1883). 

*  Tollens,  Ann.  156,  164  (1870).  —  H.  Hübner  u.  Lellmann,  Ber.  13,  460  (1880) 
ö  LiNNEMANN,  Auu.  Suppl.  3,  260  (1865).  —  Clacs,  Ber.  3,  407  (1870). 


AUylmlfid.  481 


Die  WasserstoflFaufnahine  erfolgt  indess  in  alkalischer  Lösung,  wenn  tiber- 
baupt,  sehr  schwierig;  durch  Behandlung  des  Allylalkohols  mit  nasciren- 
Jem  Wasserstoff  in  saurer  Lösung  hat  man  Gemische  erhalten,  in 
welchen  sich  die  Gegenwart  beträchtlicher  Mengen  von  Propylalkohol 
neben  viel  unverändertem  Allylalkohol  nachweisen  Hess;  doch  ist  es 
nicht  gelungen,  den  normalen  Propylalkohol  in  Substanz  als  Reductions- 
produkt  abzuscheiden^.  —  In  einer  complexen  Reaction  entsteht  neben 
vielen  anderen  Produkten  der  normale  Propylalkohol  beim  Erhitzen  des 
Allylalkohols  mit  Kali*. 

Die  Oxydation'  des  Allylalkohols  kann  nach  zwei  verschiedenen  Rich- 
tungen verlaufen.  Der  Angriffspunkt  ist  entweder  die  Gruppe  — CH2{0H) 
oder  der  Ort .  der  Doppelbindung.  Im  ersten  Fall  bildet  sich  das  Akro- 
leln  und  die  Akrylsäure,  im  zweiten  Fall  entsteht  durch  Anlagerung  zweier 
Hydroxylgruppen  (vgl.  S.  445—446)  das  Glycerin  CH2(0H).CH(0H)- 
CH3(0H).  Bei  der  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  verläuft  der  Pro- 
cess  vorwiegend  im  Sinne  der  Glycerinbildung. 

Beim  Erhitzen  mit .  verdünnten  Mineralsäuren^  erleidet  der  Allylalkohol  Ver- 
änderoBgen,  durch  welche  unter  anderen  Produkten  ein  ungesättigter  Aldehyd 
CeHioO  (Methylfithylakrolelb,  vgl.  S.  528)  und  Propylenglykol  CH8CH(0H).CH,(0H) 
(Tgl.  S.  568)  entsteht. 

Derlrate  des  Allylalkohols.  Die  dem  Allylalkohol  entsprechenden 
Halogenverbindungen  sind  schon  im  vorigen  Kapitel  (S.  470,  472)  be- 
sprochen. 

Eine  Reihe  weiterer  AUylverbindungen  sind  in  der  Tabelle  Nr.  27 
(S.  482)  zusammengestellt;  kurz  hervorgehoben  seien  die  folgenden. 

Das  Allylsullid^  (€3115)38  verdient  wegen  seines  Vorkommens  im 
Knoblauchöl  —  dem  bei  der  Destillation  der  Zwiebeln  von  AUium  sati- 
vum mit  Wasser  erhältlichen  flüchtigen  Oele  —  Interesse.  Als  Haupt- 
bestandtheil  dieses  Oeles  ist  es  1844  von  Webtheim  erkannt  und 
Schwefelallyl  genannt  worden;  hierher  rührt  die  Bezeichnung  AUyl  für 
das  Radical  CjHg,  die  sich  bis  heute  erhalten  hat.  Auch  einige  andere 
Pflanzen  liefern  bei  der  Behandlung  mit  Wasser  —  vermuthlich  durch 
Zersetzung  complicirterer  Substanzen  infolge  von  Gährungsprocessen  — 
Allylsulfid.  Künstlich  erhält  man  dasselbe  durch  Einwirkung  von  Allyl- 
jodid  auf  Kaliumsulfld.  Es  stellt  ein  farbloses,  unangenehm  riechendes 
Oel  dar,  welches  in  Wasser  kaum  löslich  ist.  Mit  Silbernitrat  tritt  es 
zu  der  Verbindung  (C3Hg)2S .  AgNOg  zusammen ;  bei  der  Einwirkung  von 
Quecksilberchlorid  und  Platinchlorid  in  alkoholischer  Lösung  tritt  theil- 

*  Vgl.  ToLLENS,  Ann.  166,  159  (1870).  —  Linnemakn,  Ber.  7,  856  (1874). 

*  ToLLKNS,  Ann.  159,  92  (1871). 

'  ToLLENS  u.  Rinne,  Ann.  159,  110  (1871).  —  Kekulä  u.  Rinne,  Ber.  6,  386 
(1873).  ~  G.  Waoner,  Ber.  21,  3351  (1888). 

*  Salonina,  Ber.  SOo,  699  (1887). 

^  Wertheim,  Ann.  51,  289  (1844);  55,  302  (1845).  —  Pless,  Ann.  58,  37  (1846). 
-  Cahoübs  u.  A.  W.  Hofmann,  Ann.  102,  291  (1857).  —  Ludwig,  Ann.  139,  121 
(1866).  —  Semmler,  Ann.  241,  117  (1887). 

V.  Msrnt  o.  Jacobson,  org.  Chem.    I.  31        * 


482 


Tabellarische  Uehersicht  über  Attyl-Derivaie. 


Tabelle  Nr.  27. 


Name 


Formel 
(All  =  CsHs) 


Siedepunkt 


Spec 
Gewicht 


Diallyläther»-» 

AllylÄthyläther  i-«*-^.".«* 

AUylnitrit« 

Allylnitrat* 

Allylacetat'** 

Allylmercaptan  *■••".  .  .  . 
Allylsulfid  »<> 

Allylamin»-"-" 

Diallylamin»"" 

Triallylamin  »•»•'»-» ^  .  .  . 
Aethylallylamin''".  .  .  . 
Diäthylallylamin""  .  .  . 


(A11),0 

AllOCjHß 

AUO-NO 

AU-ONO, 

AllOCOCHg 

All-SH 

(AlDjS 

AU.NHj 

(A11),NH 

(AlDsN 

All.NH.CjHß 

All.N(C,Ha), 


94<> 

670 
440 

106  <> 
1040 

90  0 
140  <^ 

bl^ 

IIP 

155—156® 

84—86® 

110—113® 


0-822(0®) 

0-765(20») 

0-955(0®) 

1-09(10®) 

0-928(20') 

0-888(27®) 
0-864(15®) 

0-821(0®) 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  27:  '  Cahoüm  u.  A.  W.  Hofmann,  Ann.  102,  290 
(1857).  —  •  Berthelot  u.  de  Luca,  Ann.  eh.  [3]  48,  290  (1856).  —  •  Zandeb,  Ann. 
214,  146,  151  (1882).  —  *  Bbühl,  Ann.  200,  177,  179  (1879).  —  «  Henry,  Her.  5, 
449  (1872).  —  •  Oppenheim,  Ztschr.  Chem.  1866,  573.  —  ^  Maäkownikow,  Ztschr. 
Chem.  1865,  554.  —  «  Bertont,  Jb.  1885,  1157.  —  «  Gerlich,  Ann.  178,  87  (1875).  — 
»®  Nasini  u.  Scala,  Jb.  1886,  296—297.  —  "  A.  W.  Hopmann,  Ber.  1,  182  (1868).  - 
"  Oeser,  Ann.  134,  8  (1865).  —  *»  Rinne,  Ann.  168,  262  (1873).  —  "  Andbeasch, 
Monatsh.  5,  35  (1884).  —  "  Ostwald,  J.  pr.  [2]  33,  362  (1886).  —  "  Liebbrmakk  u. 
Paal,  Ber.  16,  523  (1883).  —  "  R.  Schiff,  Ber.  19,  565.  —  "  Ladenburo,  Ber.  14, 
1879  (1881).  —  *«  LiBBERMANN  u.  Hagen,  Ber.  16,  1641  (1883).  —  •®  Groshkiktz, 
Bull.  31,  390  (1879).  —  "  Pinner,  Ber.  12,  2054  (1879).  —  "  Kischner,  Ber.  23 o, 
194  (1890).  —  "  Keutzer,  Archiv  d.  Pharm.  228,  2  (1889).  —  •*  VAUBE^  Ber.  24, 
1690  (1891).  . 

weise  Umsetzung  zu  AUylchlorid  und  Quecksilbersulfid  bezw.  Platinsulfid 
ein,  und  es  bilden  sich  complexe  Verbindungen  aus  AUylchlorid,  Allyl- 
sulfid,  Metallchlorid  und  Metallsulfid,  wie  z.  B.  2C3HßC1.2HgCla.(C3H5)jS. 
2HgS. 

Alljlamin  C3H5  •  NH,  wird  am  hesten  durch  Zersetzung  des  AUybenfoIs 
CjHg'NiCS  mit  concentrirter  Schwefelsäure  erhalten: 

CsHs .  N :  CS  +  H,0    =    CjHs  •  NH,  +  COS. 

E^  ist  eine  farblose,  mit  Wasser  mischbare  Flüssigkeit  von  penetrant  ammoniakalischem, 
entfernt  lauchartigem  Geruch. 

Quecksilberallyljodid»  CgHj.HgJ  bildet  sich  sehr  leicht  (vgl  S.  470)  schon 
in  der  Kälte  durch  Schütteln  von  Allyljodid  mit  Quecksilber;  es  krystalUsirt  in  silber- 
glänzenden Schuppen,  färbt  sich  rasch  gelb,  schmilzt  bei  135^,  ist  in  Wasser  kaum, 
in  kaltem  Alkohol  schwer,  in  Aceton  und  Schwefelkohlenstoff  ziemlich  leicht  löslich, 
riecht  lauchartig  und  greift  die  Haut  an. 


*  ZiNiN,    Ann.  96,  363  (1855).    —   Linnbmann,    Ann.  Suppl.  3,  262  (1865).  — 
OppENHEiiff,  Ber,  4,  670  (1871). 


Höhere  Alkohole  der  Reihe  C^Hg^O.  483 


Der  Aethyläther^  des  dem  Allylalkohol  isomeren,  an  sich  unbeständigen  (vgl. 
>.  475—476)  Isopropenylalkohols  CHj:C(0H).CH8  entsteht  beim  Erhitzen  von 
AUylen  mit  alkoholischem  Kali  auf  170—180^: 

CHj.C  :  CH  +  C^HgOH  =  CHjCCOCjHs) :  CH,. 

Er  siedet  bei  62- -63®,  besitzt  bei  0^  das  spec.  Gew.  0'790,  wird  von  einprocentiger 
Schwefelsfittre  schon  bei  Zimmertemperatur  rasch  in  Aceton  und  Aethylalkohol  zer- 
setzt, Ton  concentrirter  Jodwasserstofl&fture  vollständig  verharzt. 

Hffhere  Alkohole  der  Reihe  C^H^^O  sind  in  grösserer  Zahl  erhalten 
worden.  Zur  Gewinnung  primärer  Alkohole  führte  die  Reduction  von 
ungesättigten  Aldehyden*  oder  die  Zersetzung  von  Chloriden  CJti^^_^' 
CH^Cl  durch  Alkalien^;  secundäre  Alkohole  wurden  durch  Einwirkung 
von  Zinkalkylen  auf  ungesättigte  Aldehyde*  (vgl.  S.  145)  und  durch  Re- 
duction von  ungesättigten  Ketonen*,  tertiäre  durch  Einwirkung  von  AUyl- 
jodid  und  Zink  auf  Ketone®  (vgl.  S.  147),  sowie  aus  tertiären  Chloriden^ 
Cj^Hjj^_jCl  durch  Austausch  von  Cl  gegen  OH  dargestellt. 

II.  Alkohole  von  der  Zusammensetzung  C^Hj„_3(0H)  =  C^H^^^gO- 

In  dieser  Gruppe  hat  man  zu  unterscheiden  zwischen  Alkoholen, 
deren  Molecül  eine  dreifache  Bindung  enthält,  und  solchen,  deren  Mole- 
cül  zwei  doppelte  Bindungen  aufweist. 

Der  Propargylalkohol  CHiCCHj-OH  ist  hisher  das  einzige  Bei- 
spiel fiir  Alkohole  der  ersten  Art.  Henry®  gelangte  zu  demselben  auf 
folgendem  Wege;  das  dem  Glycerin  CHj(OH)  •  CH(OH)  •  CH2(0H)  ent- 
sprechende  Tribromhydrin  CHjBr-CHBr-CHgBr  liefert  durch  Zersetzung 
mit  festem  Kalihydrat  Epidibromhydrin  CH^ :  CBr-CHgBr,  letzteres  bei 
der  Einwirkung  von  essigsaurem  Kali  den  Essigester  des  Bromallylalkohols 
CHj:CBr-CH2-0-COCH3,  aus  welchem  man  den  Bromallylalkohol  selbst 
durch  Verseifung  erhält;  durch  Erhitzen  desselben  mit  wässrigem  Kali 
bildet  sich  nun  infolge  von  Bromwasserstoflf-Entziehung  der  Propargyl- 
alkohol: 

CH,Br  CHjBr  CH,(OH  CH^fOH) 

I                             I 
CHBr >-     CBr       >-      CBr         >      C 

CH,Br  CH,  CH,  CH 

*  Paworsky,  Ben  21  o,  614  (1888). 

*  Lieben  u.  Zeisbl,  Jb.  1881,  595,     Monatsh.  4,  21  (1883).  —  Pebkin,  Ber.  15, 
2808  (1882);  16,  211  (1883). 

'  ScHBSCHüKOW,  Ber.  17o,  414  (1884).  —  Kowoakow,  Ber.  21o,  440  (1888). 

*  G.  Waoneb,  Ber.  17o,  316  (1884). 

*  Cbow,  Ann.  201,  42  (1880}. 

*  M.,  F.  u.  A.  Saytzew,  Ann.  185,  151,  175  (1876);  196,  109  (1878).  —  Saytzew 
tu  ScHiBOKOw,  Ann.  196,  113  (1878).  —  Semljanftzin,  J.  pr.  [2]  23,  263  (1889).  — 
DiEPP,  J.  pr.  [2]  27,  364  (1883).  —  Lebediksky,  J.  pr.  [2]  28,  22  (1880).  —  Pittochin, 
Ber.  16,  2285  (1883).  —  Kononowitz,  J.  pr.  [2]  30,  399  (1885). 

'  Chupotzky  u.  Mariutza,  Ber.  22o,  760  (1889). 

*  Ber.  5,  453,  569  (1872);  6,  729  (1873);  8,  399  (1875). 

31* 


484  Propargylalkohöl, 


Der  Propargylalkohöl  ist  eine  farblose  bewegliche  Flüssigkeit  von  ange- 
nehmem Geruch  und  brennendem  Geschmack;  er  löst  sich  in  Walser, 
wird  aus  dieser  Lösung  durch  Kaliumcarbonat  abgeschieden,  siedet  bei 
114 — 115®  und  besitzt  bei  21®  des  spec.  Gew.  0-963.  Die  Gegenwart 
der  Hydroxylgruppe  giebt  sich  bei  der  Einwirkung  von  Phosphorhalogenen 
kund,  welche  zur  Bildung  der  Propargylhalogene  (vgl.  S.  474)  führt.  Als 
ungesättigte  Verbindung  verbindet  er  sich  lebhaft  mit  Brom  und  Brom- 
wasserstoflf.  Als  Acetylenderivat  wird  er  durch  die  Fähigkeit,  Metall- 
verbindungen einzugehen,  charakterisirt ;  in  ammoniakalischer  Kupfer- 
chlorürlösung  erzeugt  er  einen  zeisiggelben  Niederschlag  (Cu3(C3H30)2), 
in  ammoniakalischer  Silberlösung  einen  weissen  Niederschlag  (AgCjHjO); 
diese  Metallverbindungen  verbrennen  beim  Erhitzen  lebhaft  unter  Ex- 
plosion. Beim  Erhitzen  mit  Aetzkali  liefert  der  Propargylalkohöl  Acetylen 
und  Ameisensäure. 

Schon  vor  Henby's  Darstellung  des  Propargylalkohols  hatte  Liebee- 
MANN^  Aether  desselben*  gefunden,  welche  ebenfalls  die  Fähigkeit  zeigten, 
Silber  durch  Substitution  für  Wasserstoff  aufzunehmen.  Um  an  diese 
hervorstechende  Eigenschaft,  femer  an  die  Zahl  der  Kohlenstoffatome  zu 
erinnern,  schlug  Liebeemann  fiir  das  Radical  C^H^  (^  CH:C-CHj — )  die 
Bezeichnung  „Propargyl"  vor.  Er  gewann  den  Propargyläthyläther 
CjHg-O-CgHg  zuerst  aus  dem  Glyceryltribromid  durch  Einwirkung  von 
alkoholischem  Kali: 

CHsBr.CHBr.CHjBr  +  3  K-OCgH^  =  CH  \  CCHjOCjHa  +  3  KBr  +  2  CjEsOH; 

leichter  erhält  man  ihn,  indem  man  dem  Allyläthyläther  ein  Molecäl 
Brom  addirt  und  darauf  successive  zwei  Molecüle  Bromwassers toflF  entzieht: 

CjHß  •  0  •  CjHg >■  CaHsBra '  0  •  C.Hg >  CgH^Br  •  0  •  CjHj >■  CjHa  •  0  •  C.Hy 

Der  Propargyläthyläther  ist  eine  Flüssigkeit  von  penetrantem  Geruch, 
siedet  bei  81 — 85°  und  besitzt  bei  7®  das  spec.  Gew.  0-83.  Seine  Silber- 
verbindung CjHgAgO-CjHg  ist  weiss,  die  Kupferverbindung  Cuj(CjH3- 
O-C^H,)^  gelb. 

Propargylacetat'  C3H3'0'C0-CH8  (auB  Propargylalkohöl  und  Acetylchlorid) 
siedet  bei  124—125°  und  besitzt  bei  \2^  das  spec.  Gew.  1-003. 

Propargylamin*  CaHg-NH,  wird  aus  dem  Dibrompropylamin  —  dem  Brom- 
additionsprodukt des  Allylamins  —  durch  Einwirkung  von  Natrinmalkoholat  in  ab- 
solut alkoholischer  Lösung  erhalten: 

CHjBrCHBr.CHjNH,  +  2  NaOCjHj  =  CHiCCH.NH,  +  2  NaBr  +  2C,H5.0H; 

nur  bei  völligem  Ausschluss  von  Wasser  gelingt  seine  Darstellung.  Die  freie  Base 
scheint  eine  ausserordentlich   grosse  Löslichkeit  in  Wasser   zu   besitzen  und  konnte 


»  Ann.  135,  278  (1865). 

'  Vgl.  femer  Baeyeb,  Ann.  138,  196  (1866).  —  Liebermamn  u.  KbetzscbheSy 
Ann.  158,  230  (1871).  —  Oppenheim,  Ann.  Suppl.  6,  373  (1868j.  —  Hekby,  Ber.  6, 
188,  274,  455  (1872).  Compt  rend.  93,  388  (1881).  —  Eltekow,  Ber.  10,  1903  (1877). 

»  Henky,  Ber.  6,  729  (1873). 

*  Paal  u.  Hermann,  Ber.  22,  3076  (1889). 


Olefinische  Campherarten,  485 


>isher  nur  in  wäasriger  oder  alkobolischer  Lösung  erhalten  werden.  Beim  Versetzen 
ier  alkoholischen  Lösung  mit  alkoholischer  Oxalsfiure-Lösung  föUt  das  saure  Oxalat 
G'slIs'N'Hs.CsHjO«  (Schmelzpunkt  148^)  in  feinen  weissen  Nadeln  aus;  seine  wässrig- 
ajp moniak al ische  Lösung  giebt  mit  ammoniakalischer  Silbemitratlösung  einen  weissen 
Niederschlag,  der,  trocken  erhitzt,  ziemlich  stark  verpufft.  Das  Chlorhjdrat  0,11, • 
NH^.HCI  ist  nur  durch  Einleiten  von  trockenem  Ohlorwasserstoff  in  die  alkoholische 
Losung;  der  Base  zu  gewinnen,  beim  Eindunsten  seiner  wSssrigen  Lösung  tritt  unter 
Abacheidnug  von  Salmiak  Zersetzung  ein. 

Die  Gruppe  der  Alkohole  mit  zwei  Doppelbindungen  wird  ver- 
treten durch  eine  Anzahl  von  künstlich  gewonnenen  Alkoholen,  die  in 
ihrem  Molecül  zwei  AUylgruppen  enthalten  und  aus  Fettsäureestem  durch 
^Einwirkung  von  Allyljodid  und  Zink  erhalten  wurden  ^  So  entsteht  aus 
Ameisensäureester  in  dieser  Beaction  (vgl.  S.  145)  das  Diallylcarhinol 
(C3H5)jCH(0H);  aus  den  Homologen  des  Ameisensäureesters  werden 
tertiäre  Alkohole  gewonnen,  z.  B.  aus  Essigsäureäthylester,  Allyljodid 
und  Zink  das  Methyldiallylcarbinol  (CH3)(C,Hß)3C(0H). 

Neuerdings  hat  es  sich  gezeigt,  dess  Alkohole  mit  zwei  Doppelbin- 
dungen in  der  Natur  vorkommen.    Als  Hauptbestandtheile  der  ätherischen 
Oele  hat  man  schon  lange  einerseits  Kohlenwasserstoffe  von  der  Zusam- 
mensetzung Ci^HjQ  —  Terpene  — ,  andererseits  sauerstoffhaltige  Verbin- 
dungen von  der  Zusammensetzung  Ci^Hj^jO,  CjgHjgO,  Ci^Hj^O  erkannt, 
welch'  letztere   als   „Campherarten"   zusammengefasst  werden.     Für 
einige  dieser  Campherarten   war  nachgewiesen,   dass  sie  Benzolderivate 
sind,  demnach  ringförmige  Atomgruppirungen  enthalten;  jetzt  hat  sich 
nun  durch  Untersuchungen  von  Semmleb  ergeben,  dass  unter  den  Campher- 
arten ungesättigte  Verbindungen   der  Fettreihe  —  Alkohole,   Aldehyde 
oder  Ketone  —  mindestens  ebenso  zahlreich  sind,  als  die  der  aromati- 
schen  Iteihe   angehörigen  Verbindungen.     Von   diesen   „olefinischen 
Campherarten",   wie  sie  Semmler  nennt,  sind  an  dieser  Stelle  einige 
ungesättigte  Alkohole  Cj^HigO  zu  erwähnen:  Coriandrol*  (aus  Corian- 
deröl),   LinalooP   (aus  Linaloeöl)   und  Geraniol;   letzteres   ist  seiner 
Constitution  nach  völlig  aufgeklärt  und  sei  daher  näher  besprochen. 

Aeraniol^  Cj^HigO  bildet  den  Hauptbestandtheil  (etwa  90  7o)  des 
indischen  Geraniumöls  (von  Andropogon  Schoenanthus  L.),  welches  vielfach 
zur  Verfälschung  des  Bosenöls  benutzt  wird.  Es  ist  ein  farbloses  Oel 
von  äusserst  angenehmem  Bimengeruch,  siedet  unter  17  mm  Druck  bei 
120-5— 122-5^  unter  gewöhnlichem  Druck  bei  232—233®  und  besitzt 
bei  15®  das  spec.  Gew.  0-890.    Es   ist   ein  Alkohol  CioHi7(OH);   denn 


*  M.,  P.  u.  A.  Sattzew,  Ann.  185,  129  (1876);  193,  362  (1878).  —  Kanonnikow 
u.  Sattzew,  Ann.  185,  148  (1876).  —  Sorokin,  Ann.  185,  169  (1876).  —  Rjabron 
u.  Sattzew,  Ann.  197,  70  (1879).  —  Smieensky,  J.  pr.  [2]  26,  59  (1881). 

'  Kawaueb,  J.  pr.  58,  226  (1852).  —  Grosser,  Ben  14,  2485  (1881).  —  Semm- 
UR,  Ber.  24,  206  (1891). 

»  MoRiK,  Ann.  eh.  [5]  25,  427  (1882).  -^  Semmler,  Ber.  24,  207  (1891). 

*  Jacobsen,  Ann.  157,  232  (1871).  —  Gintl,  Jb.  1879,  941.  —  Semmler,  Ber. 
^3,  1098,  2965,  3556  (1890);  24,  204,  683  (1891). 


486  Oeraniol. 


es  lässt  sich  in  ein  Chlorid  Ci^Hi^Cl,  einen  Aether  (CiqHj7)20  etc.  ver- 
wandeln ;  als  primärer  Alkohol  erweist  es  sich  durch  sein  Verhalten  bei 
der  Oxydation  mit  Chromsäure-Gemisch,  welche  zur  Bildung  eines  Alde- 
hyds Ci^HjgO  (Geranial,  s.  S.  529)  und  einer  Säure  CjoHi^Oj  (Gera- 
niumsäure)  flihrt.  Aus  dem  Umstand,  dass  ein  Molecül  Geraniol  vier 
Atome  Jod  fixirt,  femer  aus  seinem  Lichtbrechungsvermögen  folgt,  dass 
sein  Molecül  zwei  Doppelbindungen  enthält;  ein  Alkohol  von  der  Formel 
Ci^jHjqO  mit  zwei  Doppelbindungen  kann  nun  lediglich  kettenförmige 
Structur  besitzen,  da  bei  ringförmiger  Structur  ein  so  hoher  Wasser- 
stoffgehalt unmöglich  wäre.  Zur  weiteren  Aufklärung  seiner  Constitution 
dient  der  Umstand,  dass  bei  der  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  Iso- 
valeriansäure  entsteht,  ferner  dass  der  oben  erwähnte  entsprechende  Al- 
dehyd —  das  Geranial  —  durch  Wasserabspaltung  in  Cymol  (para-Me- 
thyl-Isopropyl-Benzol)  übergeht;  diese  Reactionen  finden  ihre  Erklärung, 
wenn  man  dem  Geraniol  die  Formel: 

(CHsljCH .  CH, .  GH :  CH .  C(CH,) :  CH  -  CH,(OH) 

beilegt;  bei  der  Spaltung  an  der  Stelle  der  Doppelbindungen  bleibt  dann 
die  links  geschriebene,  das  Skelett  der  Isovaleriansäure  entiialtende  Hälfte 
des  Molecüls  zusammen,  und  die  Cymolbildung  aus  dem  Geranial  wird 
nach  dieser  Formel  leicht  verständlich: 

CH(CH3\  CII(CH8)8 

I  I 

CHO      CH  OT     CH      . 

I  l     -H,0     =       1  \ 

CH         CH  CH     ÖH 

^c/  V/ 

i  1 

CHg  CH3 

Dass  das  Geraniol  selbst  durch  Wasserabspaltung  einen  Kohlenwasserstofif 
^10-^16  ^^^  ^^^^  doppelten  Bindungen  liefert,  ist  bereits  erwähnt  worden 

(S.  467). 

Zum  Geraniol  steht  in  naher  Beziehung  ein  im  Rosenöl  sich  findender  Alkohol 
CjoHigO,    welcher  durch  Oxydation   denselben  Aldehyd   wie  das  Geraniol   liefert*. 


*  PoLECK  u.  Eckart,  Ber.  23,  3554  (1890). 


Akrylsäure-  oder  Oelsäure-JReihe.  487 


Sechzehntes  Kapitel. 

Einbasische  ungesättigte  S&uren. 

(Oelsäore-Reihe,  Propiolsäure-Reihe,  trocknende  Oelsäuren.) 


I.   Säuren  Ton  der  Zusammensetzung  C^H3„_202. 
(Akrylsäure-  oder  Oelsäure-Reihe.) 

Zusammensetzung y    Bildungsweisen,    Isomeriefälle. 

Wie  von  den  Grenzkohlenwassersto£fen  sich  durch  Einführung  einer 
Carboxylgruppe  an  Stelle  eines  Wasserstoffatoms  die  Fettsäuren  ableiten, 
so  entspricht  der  Reihe  der  Alkylene  eine  Reihe  einwerthiger  Carbon- 
säuren,  welche  stets  um  zwei  Wasserstoffatome  ärmer  sind  als  die  Fett- 
säuren von  gleicher  Eohlenstoffzahl: 

CnH2n+2  Paraffine         >-         C^Hj^Oa  Fettsäuren, 

C^Hg„  Alkylene  >-         CJi^^_20^  Oelsäuren. 

Als  Anfangsglied  dieser  Reihe  ergiebt  sich  das  Monocarboxyl- Derivat 
des  Aethylens: 

CHj—CH — COjH  Aethylencarbonsäure. 

Da  diese  Säure  gewöhnlich  Akrylsäure  genannt  wird,  so  giebt  man  der 
ganzen  Reihe  zuweilen  den  Namen  „ Akrylsäure-Reihe" ;  gebräuchlicher 
ist  die  Bezeichnung  „Oelsäure-Reihe",  hergeleitet  von  der  Oelsäure  — 
der  1 8  C- Atome  enthaltenden  Säure  CigHg^Oj,  welcher  als  Bestand theil 
von  natürlichen  Stoffen  eine  besonders  hervorragende  Bedeutung  zukommt. 

Auch  ausser  der  Oelsäure  finden  sich  einige  Säuren  dieser  Reihe 
als  Ester  in  der  Natur.  Ihre  künstlichen  Blldungs weisen  können 
in  die  folgenden  drei  Gruppen  eingetheilt  werden. 

1.  Modificationen  der  Fettsäure-Synthesen.  Dem  Uebergang 
von  den  ungesättigten  Alkoholen  bezw.  ungesättigten  Halogen  Verbindungen 
durch  Vermittelung  der  entsprechenden  Cyanide  zu  den  um  ein  Kohlen- 
stoffatom reicheren  Säuren,  z.  B.: 

CHj  CHg  CHg  CHg 

CH  ->        CH >        CH         >        CH 

I  I  I  I 

CH,(OH)  CHjBr  CHjCN  CH,.CO,H, 

kommt  verhältnissmässig  geringe  Bedeutung  in  präparativer  Beziehung 
zu.  Es  liegt  dies  einerseits  daran,  dass  nur  wenige  ungesättigte  Alko- 
hole leicht  zugänglich  sind,  andererseits  daran,  dass  den  Halogenatomen, 
welche  an  mehrfach  gebundenen  Kohlenstoffatomen  haften,  die  Reactions- 
iahigkeit  mangelt  (s.  S.  470 — 471).  Die  durch  die  obigen  Formeln  aus- 
gedrückte^ vom  AUylalkohol  ausgehende  Reactionsfolge  ist  allerdings  durch- 
geführt,  hat  aber  nicht  zu  dem  erwarteten  Reactionsprodukt,  sondern 


' 


488  Bildungsweisen  ungesättigter  Säuren, 


zu  einer  isomeren  Säure  CHj-CHiCHCOgH  —  durch  Verschiebung  der 
doppelten  Bindung  entstanden  —  geführt  (vgl.  S.  497). 

Die  Oxydation  von  ungesättigten  Aldehyden  mit  gelinde  wirken- 
den Mitteln  (Silberoxyd,  freier  Sauerstoff),  welche  die  doppelte  Bin- 
dung möglichst  intact  lassen,  ist  zuweilen  zur  Bildung  von  Gliedern 
der  Oelsäure-Reihe  benutzt^,  z.  B.: 

CH,:CH.CHO        >-        CHjtCHCOOH. 

Durch  Benutzung  der  Allylhalogene  bei  der  Acetessigester-Synthese 
und  Malonsäureester- Synthese  ist  man  zur  Allylessigsäure  CH^rCH- 
CHj.CHjj-COaH  gelangt»  (vgl.  S.  505). 

2.  Umwandlung  von  gesättigten  Säuren  in  ungesättigte 
Säuren  gleicher  Kohlenstoff  zahl.  Wie  die  Abspaltung  von  Halo- 
genwasserstoflf  aus  den  Monohalogenderivaten  der  Paraffine  oder  die 
Wasserabspaltung  aus  den  Grenzalkoholen  zur  Bildung  der  Alkylene 
führt  (vgl.  S.  438 — 439),  so  können  durch  analoge  Beactionen  aus  Mono- 
halogen-  und  Monohydroxy-Derivaten  der  Fettsäuren  Oelsäuren  erhalten 
werden.  Diese  Reaction  tritt  besonders  leicht  ein,  wenn  das  Halogen- 
atom bezw.  die  Hydroxylgruppe  sich  in  der  /9-Stellung  zur  Carboxyl- 
gruppe  befindet: 

Br(OH) 

I 
C-C-C-CO,H  , 

z.  B.: 

CHjJ.CHs-COgH-HJ     =     CHjiCH.COjH, 
CHg .  CH(OH) .  CH, .  COaH-HjO     =     CH,  •  CH :  CH  •  CO,H. 

Aber  auch  a-substituirte  Säuren  (bezw.  ihre  Ester)  lassen  sich  in  diesem 
Sinne  umwandeln',  zumal  wenn  das  e^-ständige  KohlenstoflFatom  ein  ter- 
tiäres ist*: 

>C(OH).CO,H-HsO     =  Nc.COjH, 

CHj .  CHjj . CHBr  •  CO,H-HBr     =     CH,  •  CH  -CH  •  CO^H. 

Bei  /  -  substituirten  Säuren  dagegen  führt  die  Reaction  zur  Bildung 
der  den  Oelsäuren  isomeren  Lactone  (s.  dort).  —  Die  Halogenwasserstoff- 
Abspaltung  erfolgt  zuweilen  schon  beim  Kochen  mit  Wasser^,  in  an- 
deren Fällen   unter   der   Einwirkung  alkoholischer  Alkalien  '•^;   gleich- 


^  Claus,  Ann.  Suppl.  2,  123  (1862).  —  Lieben  u.  Zeisel,  Monatsh.  4,  52 
(1883).  —  Salonina,  Ber.  20o,  700  (1887). 

'  Zeidleb,  Ann.  187,  39  (1875).  —  Conrad  u.  Bischofp,  Ann.  204,  166 
(1880).  —  Messebschmidt,  Ann.  208,  92  (1881). 

•  Hell  u-  Laüber,  Ber.  7,  560  (1874).  —  Duvillier,  Ann.  eh.  [5]  10, 
428  (1880). 

*  Fbankland  u.  Duppa,  Ann.  136,  12  (1865).  —  Thomsen,  Ann.  200,  86  (1879). 

*  Thomsen,  Ann.  200,  81  u.  86. 

•  V.  Schneider  u.  Eblenueveb,  Ben  3,  339  1870). 


Perkin'scke  Beaetion,  489 


zeitig  mit  der  durch  Abspaltung  von  Halogenwasserstoff  zu  Stande 
kommenden  Bildung  der  ungesättigten  Säure  erfolgt  in  der  Begel  auch 
Aas  tausch  des  Halogenatoms  gegen  OH  bezw.  O-CgHg.  —  Die  Wasser- 
abspaltung ^  tritt  bei  der  Destillation  oder  unter  der  Einwirkung  wasser- 
entziehender Mittel  (Schwefelsäure,  Chlorphosphor)  ein. 

Diese  beiden  !Reactionen  sind  besonders  häufig  für  die  Bildung  der 
Glieder  der  Oelsäure-Reihe  benutzt  worden. 

3.  Bildung  ungesättigter  Säuren  durch  Kohlenstoff- 
Synthese.  Von  grösster  Bedeutung  für  die  Eenntniss  der  ungesättigten 
Säuren  ist  eine  zuerst  von  Pebkin*  angewendete  Eeaction  geworden, 
welche  in  dem  Erhitzen  eines  Aldehyds  mit  dem  Natriumsalz  einer 
Säure  bei  Gegenwart  von  Essigsäureanhydrid  (oder  einem  anderen  Säure- 
anhydrid) besteht.  Die  erste  Phase  dieser  „PEEKiN'schen  ßeaction^", 
um  deren  Aufklärung  sich  namentlich  Fittig*  verdient  gemacht  hat, 
besteht  in  einer  Addition  des  Natriumsalzes  an  den  Aldehyd,  z,  B. : 

/OH 
CeHj, .  CH=0  +  CHa .  CO .  ONa  =  CeHja  •  CH<  ; 

XJHjCO.OXa 

es  entsteht  das  Natriumsalz  einer  Oxysäure,  welche  nun  unter  dem  Ein- 

fluss  des  Säureanhydrids  Wasser  abspaltet,  um  in  eine  ungesättigte  Säure 

überzugehen: 

/OH 
CeH,a  •  CH<  -HjO  =  CeH,8  •  CH :  GH  -  CO  •  ONa . 

M:iH,.CO.ONa 

Es  ist  stets  das  der  Carboxylgruppe  unmittelbar  benachbarte  Kohlen- 
stoffatom, welches  an  der  Condensation  theilnimmt.  Wenn  dieses  Kohlen- 
stoffatom nur  ein  Wasserstoffatom  trägt,  so  kann  zwar  die  erste  Reac- 
tionsphase  eintreten,  z.  B.: 

/CHa  /H  /CH3 

CeHs-CHO  +  HCeCOgNa    =     CaHj.C^Cf^COjNa; 

\CH,  ^OH^CHa 

die  Hydroxylgruppe  der  entstandenen  Oxysäure  findet  nun  aber  am 
benachbarten  Kohlenstoffatom  kein  Wasserstoffatom  mehr,  um  als  Wasser 
auszutreten;  die  Eeaction  bleibt  daher  bei  der  Bildung  |der  Oxysäure 
stehen. 

In  ihrer  einfachsten  Form  ist  die  PERKiN'sche  Beaction  nur  zur 
Gewinnung  von  wenigen  Gliedern  der  Oelsäure-Reihe  benutzt  worden^, 
während  sie  für  die  aromatischen  einwerthigen,  ungesättigten  Säuren  fast 
als  die  wichtigste  Darstellungsmethode  zu  bezeichnen  ist.     Mit  einigen 


^  Bkilstbin,  Ann.  132,  372  (1862).     —    Rohrbeck,  Ann.  188,   235  (1877).   — 
Albitckt,  J.  pr.  [2]  30,  209  (1884).  —  Wislicenus,  Ztschr.  Chem.  1869,  325. 

*  Jb.  1877,  789. 

'  Ausfuhrliche  Besprechung    derselben  vgl.   in   Elbs  ,    Synthet.    Darstellungs- 
metboden d.  Kohlenstoff-Vrbdgn.  I,  S.  215flP'.  (Leipzig  1889). 

*  Ann.  216,  115  (1882);  227,  48  (1885). 

*  ScHKKEGAw,  Ann.  227,  79  (1885). 


Perkin'sche  Beadion,  durch  Mttig  modifidrt. 


jneu  hat  sie  sich  indess  durch  Fittio's  Bemühungen  auch  in 
ahe  fruchtbringend  erwiesen. 

1  man  einen  Aldehyd  der  Fettreihe  mit  bernsteinsaurem  Na- 
)jNa  ■  UH,  ■  CHj,  ■  COjNa)  und  Essigsäureanhydrid  in  ReactioD 
3  bildet  Bich  eine  einbasische  Laetonsäure  (Alkylparaconsäure), 


CH,  ■  CHO  +  CH,<  =  CH,  -  CH  ■  CH/ 

\CH,-CO,H 


,CO,H 


,CO,H 
CH.  CH-CH< 
=  H,0+  j  ^CH,. 

0 —CO 

MethylparacousSure 

iactionsprodukte   spalten    nun   bei   der   trockenen    Destillation 
re  ab  und  liefern  ungesättigte  einbasische  Säuren: 

,CO,H 
CH,  CH-CH<  -CO,     =     CH..CH:CH.CH,  CO,H. 

1  ^CH, 


'etisch  könnte  bei  der  durch  diese  Gleichungen  viedergegebeneD 
entweder  die  Säure  CHj-CHiCH-CHj -COjH  oder  CH,:CH- 
DOjH  (AUylessigsäure)  entstehen;  es  hat  sich  indess  gezeigt, 
gewonnene  Säure  von  der  AUylessigsäure  {vgl.  S.  505)  ver- 
ist  und  demnach  die  erste  Formel  besitzen  muss.  Daher 
nommen  werden,  dass  tlberhaupt  die  auf  obigem  Wege  ge- 
Säuren ihre  doppelte  Bindung  zwischen  dem  ß-  und  y-Kohlen- 
enthalten : 

;CH,-CH:CH-CH,-CO,H 
C,H,-CH:CH.CH,.CO,H  etc. 
r  Desdllation  der  AlkylparaconBäuren  bilden  eich  neben  den  ungesättigten 
Säuren  Lactone  in  untergeordneter  Menge: 
,CO,H 
^  -CO,  =  CH,  CH-CH,  CH, 


x;h, 


0 CO 


mdet  femer  Umlttgerung  in  unge&ättjgte  eweiba^ische  SSuren  atatt: 
yCO.H 

,.CO,H  . 


I,  Ann.  265,  1  |1SS9). 


,CÜ,H 


IsomeriefaUe  in  der  Oelsäure-Beihe.  491 


Aehnlich  der  PERKiN'schen  Synthese  verläuft  die  Keaction  zwischen 
Aldehyden  und  Malonsäure  in  Gegenwart  von  Eisessig  ^;  unter  Ent- 
weichen von  Kohlensäure  findet  Condensation  zu  einer  einbasischen,  un- 
gesättigten Säure  statt,  z.  B.: 

/CO,H  /COgH 

CH3.CHO  +  CH,<  =    CH3CH(0H).CH< 

\CO,H  X)0,H 

=     CHs  •  CH :  CH .  CO,H  +  CO,  +  H,0. 

(Daneben  bilden  sich  gesättigte  zweibasische  Säuren,  durch  Eohlensäure- 
abspaltung  aus  Condensationsprodukten  zwischen  1  Molecül  Aldehyd  und 
2  Molecül  Malonsäure  entstehend. 

.CHCCOgH),  XHjCOjH  \ 

CH3.CH/  =    CHj.CH/  +2C0,. 

NdHCCO^H),  ^CHj.COäjH  / 

Aehnlich  wie  Aldehyde  wirken  a-Retonsäuren '  —  Säuren  von  der  allgemeinen 
Zosammensetzung  E'CO-CO'OH— ,  indem  sie  unter  Kohlensäureabepaltung  während 
der  Reaction  in  einen  Adehyd  R<COH  übergehen.  So  ist  aus  Brenztraubeusäure 
CH,- CO -CO -OH  durch  Erhitzen  mit  Essigsäureanhydrid  und  Natriumacetat  die 
Crotonsäare  CHaCHiCH.COjH  erhalten  worden- 

Die  IsomeriefaUe  in  der  Oelsäurereihe  werden  theils  hervorgerufen 
durch  verschiedenartige  Anordnung  des  mit  der  Carboxylgruppe  ver- 
bundenen Kohlenstoffgertists: 

>C-CO,H ,  CHs-CH—CH-COsH ; 

CH,/ 

bei  gleicher  Verzweigung  der  KohlenstoflFkette  kann  Isomerie  durch  die 
verschiedene  Stellung  der  an  der  Doppelbindung  betheiligten  Kohlen- 
stoffatome bedingt  werden: 

CH, :  CH .  CH,  •  CH,  •  COaH ,       CH,  •  CH :  CH  •  CH,  •  CO,H ,       CHs  •  CH,  •  CH :  CH  -  CO,H. 

Um  den  Ort  der  Doppelbindung  kurz  zu  bezeichnen,  empfiehlt  sich 
die  Benutzung  des  von  Baeyee^  für  die  Doppelbindung  eingeführten 
Zeichens  J;  als  Indices  für  die  einzelnen  Kohlenstoffatome  der  Kette 
benutzt  man.  die  kleinen  Buchstaben  des  griechischen  Alphabets  und 
beginnt  die  Zählung  an  dem  der  Carboxylgruppe  benachbarten  Kohlen- 
stoffatom; es  ist  demnach 

die  Crotonsäure        CHj-CHiCH-COaH    eine  J«'/^-Säure, 
„    Vinylessigsäure  CH^  iCH-CHg-COjH  eine  J^'^-Säure  etc. 
Ausser  diesen  auf  andersartiger  Structur  beruhenden  Isomeriefällen 
werden  indess   noch   weitere   durch    stereochemische   Erwägungen   (vgl. 
S.  85—87)  in  Aussicht  gestellt.     Das  erste  Glied  der  Oelsäurereihe  — 

die  Akrylsäure  — : 

H— 0— CO,H 

H-C-H 


*  KoMNENOs,  Ann.  218,  145  (1883).     *  Homolka,  Ber.  18,  987  (1885). 
'  Ann.  245,  112  (1888);  251,  268  (1889). 


492  Allgemeine  Charakteristik  der  Oelsäure-Eeüie. 


wird  freilich  als  Monosubstitutionsderivat  des  Aethylens  nicht  in  zwei 
stereochemisch  isomeren  Modificationen  auftreten  können,  ebensowenig 
unter  seinen  nächsten  Homologen  diejenige  Säure,  deren  Methylgruppe 
am  gleichen  Kohlenstoffatom  wie  die  Carboxylgruppe  haftet: 

CH3— C— CO,H 

H-C-H 

Wird  indess  die  Methylgruppe  an  das  mit  der  Carboxylgruppe  nicht 
direct  verbundene  Kohlenstoffatom  gekettet,  so  sind  die  Bedingungen 
für  das  Zustandekommen  von  zwei  räumlich  isomeren  Verbindungen: 

H~C-CO,H  H-C-COjH 

I  und  ! 

H — C — CH3  CH8 — C — H 

erfüllt. 

In  der  That  wird  die  Erklärung  mehrerer  bei  Gliedern  dieser  Beihe 
beobachteter  Isomeriefälle  in  der  räumlich  verschiedenen  Anordnung 
gleich  constituirter  Gruppen  zu  beiden  Seiten  des  doppelt  gebundenen 
Kohlenstoffatompaares  gesucht.  Man  kennt  einige  Säuren  in  zwei  verschie- 
denen Modificationen,  von  denen  die  eine  in  die  andere  durch  die  Ein- 
wirkung höherer  Wärmegrade  tiberflihrbar  ist;  das  chemische  Verhalten 
lässt  die  Annahme  gleicher  Structur  für  beide  Modificationen  geboten 
erscheinen;  die  stereochemischen  Erwägungen  machen  ihre  Existenz  be- 
greiflich (Näheres  vgl.  unten  bei  Crotonsäure  und  Isocrotonsäure  S.  499  ff., 
Angelicasäure  und  Tiglinsäure  S.  506). 

Allgemeine  Charakteristik 

Die  Akrylsäure  CgH^Og  —  das  erste  Glied  der  Eeihe  —  ist  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  flüssig.  Schon  unter  ihren  nächsten  Homo- 
logen (C^HgOj)  tritt  indess  neben  einer  flüssigen,  bei  — 15®  noch  nicht  er- 
starrenden Säure  (Isocrotonsäure)  eine  feste,  erst  bei  verhältnissmässig 
hoher  Temperatur  (72®)  schmelzende  Säure  (Crotonsäure)  auf.  Ebenso 
zeigt  es  sich  bei  weiterem  Vorschreiten  in  der  Eeihe,  dass  der  Schmelz- 
punkt weit  weniger  durch  die  Kohlenstoffzahl,  als  durch  die  Constitution 
beeinflusst  wird.  Selbst  unter  den  höchsten  Gliedern  finden  wir  noch 
die  bei  Zimmertemperatur  flüssige  Oelsäure  C^gEg^Og,  während  die  Fett- 
säuren von  der  10.  Reihe  an  aufwärts  sämmtlich  fest  sind  (vgl.  Tab. 
Nr.  14,  S.  312).  —  Der  Siedepunkt  des  Anfangsglieds  liegt  bei  140®; 
er  steigt  regelmässig  für  die  folgenden  Glieder  und  entfernt  sich  meist 
wenig  von  dem  Siedepunkt  der  gleich  kohlenstoffreichen  Fettsäuren.  Die 
höchsten  Glieder  sind  für  sich  nicht  mehr  unzersetzt  destillirbar,  wohl 
aber  mit  überhitzten  Wasserdämpfen  flüchtig.  —  Das  specifische  Ge- 
wicht sinkt,  wie  in  der  Fettsäurereihe  (vgl.  S.  310),  auch  hier  mit  stei- 
gendem Moleculargewicht.  —  Die  niederen  Glieder  sind  leicht  in  Wasser 
löslich  (Akrylsäure  und  Isocrotonsäure  in  jedem  Verhältniss  damit  misch- 
bar), die  mittleren  Glieder  schwer  löslich,  die  höheren  unlöslich. 


Chemisches  Verhalten  der  ungesättigten  Säuren,  493 

Das  chemische  Verhalten  wird  einerseits  durch  die  Carboxylgruppe, 
andererseits  durch  die  doppelte  Bindung  bestimmt.  Durch  die  Gegen- 
wart der  Carboxylgruppe  werden  die  Oelsäuren  zur  Bildung  von  Salzen, 
Estern,  Chloriden,  Amiden  etc.  befähigt.  Die  Gegenwart  der  doppelten 
Bindung  dagegen  bedingt  das  Eintreten  mehrerer  Additionsreactionen 
(vgl.  S.  441£F.). 

Die  üeberfuhrung  von  Oelsäuren  in  Fettsäuren  durch  Wasserstoff- 
zufuhr gelingt  bei  manchen  Säuren  unter  der  Einwirkung  des  nasciren- 
den  Wasserstoffs,  z.  B.: 

OH, :  CH-COsH  +  H,  =  CHaCHaCOjH  , 

während  sie  bei  anderen  Säuren  (z.  B.  Oelsäure)  viel  energischere  An- 
griffe (Erhitzen  mit  Jodwasserstoff)  erforderte 

Die  Addition  der  Halogene  und  Halogenwasserstoffsäuren,  wie  auch 
der  unterchlorigen  Säure,  erfolgt  meist  sehr  leicht. 

Von  den  Fettsäuren  (abgesehen  von  der  Ameisensäure,  vgl.  S.  318) 
sehr  scharf  unterschieden  sind  die  Oelsäuren  und  andere  ungesättigte 
Säuren  in  ihrer  Empfindlichkeit  gegen  Oxydationsmittel.  In  über- 
schüssiger Sodalösung  gelöst,  entfärben  sie  sofort  oder  nach  kurzer  Zeit 
Kaliumpermanganatlösung;  dieses  Verhalten  kann  geradezu  als  Hülfs- 
mittel  für  die  Diagnose  von  doppelten  Bindungen  in  Säuren  von  un- 
bekannter Structur  benutzt  werden*.  Bei  sehr  vorsichtiger  Oxydation 
mit  Kaliumpermanganat^  gelangt  man  zu  Dioxyfettsäuren  von  gleicher 
Kohlenstoffzahl,  indem  an  die  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatome  zwei 
Hydroxylgruppen  herantreten,  z.  B.: 

<CjH5  /(^aHö 
>-      CH3 .  CH(OH)-C^  OH     . 
COgH  ^COjH 

Auch  bei  kräftigerer  Oxydation  ist  zunächst  eine  Reaction  in  diesem 
Sinne  anzunehmen;  die  beiden  mit  Hydroxylgruppen  beladenen  Kohlen- 
stoffatome bilden  dann  die  Angriffspunkte  für  den  weiteren  Fortgang  der 
Oxydation,  der  nun  zwischen  ihnen  —  also  an  der  Stelle,  wo  sich  ur- 
sprünglich die  Doppelbindung  befand  —  eine  Sprengung  der  Kohlen- 
stoffkette bewirkt;  so  bildet  sich  z.  B.  aus  Allylessigsäure  CH^rCH- 
CHj-CHj-COgH  bei  der  Behandlung  mit  Salpetersäure  Ameisensäure 
H.COjH  und  Bemsteinsäure  COaHCHa-CHg.CO^H.  Dieses  Verhalten  ist 
werthvoll  für  die  Ermittelung  der  Structur  der  ungesättigten  Säuren. 

Eine  Sprengung  der  Kohlenstoffkette  tritt  auch  beim  Schmelzen  mit 
Alkaüen  ein.  Ein  Molecül  einer  Oelsäure  wird  hierbei  in  zwei  Fett- 
säuremolecüle  gespalten,  .welche  zusammen  ebenso  viele  Kohlenstoffatome 
enthalten  als  das  Molecül  der  Ausgangs-Substanz ;  es  entstehen  z.  B.  aus 


^  Vgl.  hierzu  Baeteb,  Ann.  261,  265  (1889). 

*  Ygl.BAETEB,  Ann.  246,  148  (1888). 

•  A.SAirrzEW,  J.  pr.  [2]  31,  541  (1885);    38,  300  (1886).   —  Pittio,  Ber.  21, 
919  (1889). 


494  Umlagerungsprocesse  bei  ungesättigten  Säuren. 


^  -»r  1  itr  xi    1     1  «       r^Tr    m/  ^     1  Mol.  AmeisensäuTe  CILO-  und 
1  Mol.  Methakrylsäure  CHjiC^  •  n^r  i  ü  -        ntr    ncr    nr^  xr 

^       ^CO  H  Propionsäure  CHg-CHj-COjH, 

aus  1  Mol.  Crotonsäure  CHg.CHiCHCOgH:  2  Mol.  Essigsäure  CEj-COgH. 

Man  hat  früher^  geglaubt,  dass  auch  diese  Spaltung  stets  an  der  Stelle 
der  doppelten  Bindung  eintrete,  und  beispielsweise  für  die  Oelsäure 
CigHj^Og  aus  dem  Umstand,  dass  sie  in  Palmitinsäure  und  Essigsäure 
zerfällt,  die  Structurformel  CigHgiCHiCH-COgH  abgeleitet.  Neuere  Er- 
fahrungen* zeigen  indess,  dass  die  aus  diesem  Verhalten  auf  die  Con- 
,  stitution  gezogenen  Schlüsse  keineswegs  immer  zuverlässig  sind.  Da  man 
häufig  Gelegenheit  hat,  zu  verfolgen,  mit  welcher  Leichtigkeit  mehrfache 
Bindungen  in  den  Molecülen  der  ungesättigten  Verbindungen  ihren  Ort 
wechseln  (vgl.  S.  448,  451,  460,  463,  497,  518),  so  kann  es  kaum  auf- 
fällig erscheinen,  wenn  eine  unter  der  Einwirkung  schmelzender  Alkalien 
eintretende  Reaction  zu  Constitutionsbestimmungen  nicht  geeignet  ist. 

An  den  ungesättigten  Säuren  hat  man  eine  Beihe  von  sehr  merk- 
würdigen Umlagerungs-Processen  beobachtet.  Es  ist  bereits  an- 
gedeutet worden  (S.  492),  dass  einige  Glieder  der  Oelsäure -Reihe  bei 
längerer  Einwirkung  höherer  Wärmegrade  sich  in  Isomere  verwandeln, 
denen  man  gleiche  Structur,  aber  verschiedene  räumliche  Configuration 
zuschreibt. 

Eine  andere  Art  der  Umlagerung  unter  dem  Einfluss  höherer  Tem- 
peratur ist  bei  solchen  Säuren  beobachtet,  deren  Doppelbindung  an  dem 
/-KohlenstofiFatom  (von  der  Carboxylgruppe  aus  gerecjinet)  sich  befindet: 
es  entsteht  ein  ,,Lacton"^  z.  B.: 

I      ;  II 

CH,     I  aus  CH 

CH,-<bo  CH,-CO-OH. 

Man  kann  diesen  Vorgang  als  eine  Addition  der  Carboxylgruppe  an  die 
ungesättigten  Kohlenstoffatome  auffassen;  indem  die  dopppelte  Bindung 
gelöst  wird,  lagert  sich  an  das  eine  KohlenstoflFatom  das  WasserstoflFatom 
der  Carboxylgruppe  an,  während  das  zweite  KohlenstofiFatom  durch  die 
nun  am  Sauerstofiatom  frei  gewordene  Valenz  in  Bindung  mit  der  Carb- 
oxylgruppe selbst  tritt,  und  dadurch  der  ringförmige,  den  Lactonen  eigene 
Complex  zu  Stande  kommt.  Die  Umwandlung  in  isomere  Lactone  tritt 
bei  den  meisten  /9-;^-ungesättigten  Säuren  schon  durch  kurzes  Erwärmen 
mit  massig  verdünnter  Schwefelsäure  ein. 

Ganz  allgemein  scheint  bei  Säuren,  deren  Doppelbindung  sich  in 
/^-/-Stellung  zur  Carboxylgruppe  befindet,  durch  Kochen  mit  Natron- 
lauge eine  Verschiebung  der  Doppelbindung'  um  ein  Glied  in  der  Eich- 


*  Vgl.  Marassb,  Ber.  2,  359  (1S69).  *  Vgl.  Frrrio,  Ann.  265,  18  (1889). 

»  PiTTio,   Ber.  24,  82  (1891).  —  Vgl.  ferner  Baeyeb  u.  Rufe,   Ann.  261,  264 
(1889);  256,  3  (1889). 


Akrylsäure,  495 


tung   zur  Carboxylgruppe  bewirkt   zu  werden;   so   entsteht   aus  Hydro- 

sorbinsäure 

C,H6.CH:CH.CH,.C0,H 
die  isomere  Säure: 

CsHsCHs.CHiCH.CO.H. 

Wieder  eine  andere,  bisher  noch  nicht  erklärte  Art  der  Umlagerung 
erleiden  die  kohlenstoflfreichen  Oelsäuren,  wenn  sie  mit  geringen  Mengen 
salpetriger  Säure  in  Berührung  sind  (vgl.  den  üebergang  von  Oelsäure  in 
Elaldinsäure  S.  513,  von  Erucasäure  in  Brassidinsäure  S.  514). 

Die  einzelnen  Glieder. 

AkrylsSure  C3H40j  =  CH2:CHC0aH  (Methylenessigsäure,  Aethylen- 
carbonsäure).  Zu  ibref  Gewinnung  kann  man  diejenige  Reaction  .be- 
nutzen, welche  auch  ftft  ihrer  Entdeckung  ^  geführt  hat,  nämlich  die  Oxy- 
dation des  ihr  entsprechenden  Aldehyds*,  des  Akrolelns  CHjiCH'CHO, 
mit  Silberoxyd.  Einen  vortheilhafteren  Weg  bietet  indess  die  Entziehung 
von  Jodwasserstoff  aus  der  j9- Jodpropionsäure  CHjJ'CHg-COjH  mittelst 
alkoholischen  Kalis  ^  oder  Bleioxyd  ^,  ebenso  die  folgende  vom  Allyl- 
alkohol  ausgehende  Combination  von  Reactionen.  Der  Allylalkohol  lie- 
fert mit  Brom  einen  ^Dibrompropylalkohol,  letzterer  durch  Oxydation 
die  a-/9-Dibrompropionsäure: 

CH,                               CH.Br  CH,Br^ 

CH  >■  CHBr  >-  ÖHBr      , 

CH,(OH)  CH,(OH)  CO.  OH 

welche  nun  bei  der  Behandlung  mit  Zink  und  Schwefelsäure*  oder  wäss- 
riger  Jodkalium- Lösung •,  indem  ihr  die  beiden  Bromatome  entzogen 
werden,  in  Akrylsäure  tibergeht.  Die  Bildung  der  Akrylsäure  ist  femer 
beobachtet  bei  der  Destillation  von  Salzen  der  beiden  isomeren  Oxy- 
propionsäuren  ^  CHj(OH)  •  CH,  •  COaH  und  CHs  •  CH(OH)  •  CO3H  (Milchsäuren), 
sowie  bei  der  Deslülation  der  j9-Oxypropionsäure  für  sich®. 

Die  AkrylsäuF#  ist  eine  stechend  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei 
140®  siedet;  in  dW  Kälte  erstarrt  sie  krystallinisch  und  schmilzt  dann 
zwischen  +  7  und  8^  Von  nascirendem  Wasserstoff  wird  sie  zu  Propion- 
säure reducirt.  Die  Addition  der  Halogenwasserstoffsäuren*®  erfolgt  hier, 
wie  bei  vielen  anderen  ungesättigten  Säuren ^^,  nicht  derart,  dass  sich 


'  Redtbvbacher,  Ann.  47,  125  (1S43).  '  Claus,  Ann.  Suppl.  2,  123  (1862). 

'  V.  ScHirEiBEB  u.  Eblenmeteb,  Ber.  3,  340  (1870). 

*  W18LICEKU8,  Ann.  lee,  1  (1872). 

*  Cabpart  u.  Tollens,  Ann.  167,  241  (1873). 
«  V.  ZoTTA,  Ann.  192,  102  (1878). 

'  Bbilstein,  Ann.  122,  372  (1862).  —  Claus,  Ann.  136,  288  (1865). 

*  MoLDENHAüER,  Ann.  131,  335  (1864). 

*  LnncBMANK,  Ann.  126,  317  (1863);  163,  95  (1872);  171,  291  (1873). 
"  VgL  Michael,  J.  pr.  [2]  40,  171  (1889). 


496  Orotonsäuren. 


das  Halogenatom  an  das  wenigst  hydrogenisirte  Eohlenstoffatom  anlagert 
(vgl.  S.  443),  wodurch  fir-Halogenpropionsäuren  entstehen  sollten;  es  bilden 
sich  im  Gegentheil  die  /9-Derivate: 

CH, :  CH .  CO,H  +  HCl     =     CH.Cl  •  CH,  •  CO,H. 

Die  Salze  der  Akrylsäure'  sind  meist  in  Wasser  leicht  löslich.  Charakte- 
ristisch ist  das  Bleisalz  (C8H30s)9Pb,  welches  aus  Wasser  in  gl&nzenden  Nadeln 
krystallbirt  und  sich  auch  in  Weingeist  löst 

Der  Methylester«»  CaHaOjCHs  siedet  bei  80°  (spec.  Gew.  bei  0°:  0-974), 
der  Aethylester"  CjHsOj-CjHs  bei  98.5«  (spec.  Gew.  bei  0°:  0.939).  Bei  längerem 
Aufbewahren  der  Ester  oder  bei  andauerndem  Erwärmen,  zuweilen  schon  bei  der 
Destillation  tritt  Polymerisation  ein. 

Säuren  C^H^O,.  Es  sind  vier  Säuren  von  dieser  ZusammensetzuDg 
bekannt: 

1.  Gewöhnliche  oder  feste  Croton säure, 

2.  Isocrotonsäure, 

3.  Methakrylsäure, 

4.  Eine  aus  Vinaconsäure  (dem  Einwirkungsproduct  von  Aethylen- 
bromid  auf  Natriummalonsäureester,  vgl.  die  Gleichungen  auf  S.  501) 
durch  Kohlensäureabspaltung  entstehende  Säure. 

Hält  man  an  der  freilich  nicht  ausnahmslos  bestätigten  Annahme  fest, 
dass  jede  Substanz  von  ausgeprägtem  Säurecharakter  eine  Carboxyl- 
gruppe  enthält,  so  kann  die  Formel  all'  dieser  Verbindungen  in  CjHj- 
CO  «OH  aufgelöst  werden,  und  der  Grund  ihrer  Isomerie  muss  in  ver- 
schiedener Beschaffenheit  des  Restes  CgH^  gesucht  werden. 

Vom  Standpunkt  der  Theorie  lassen  sich  dann  die  folgenden  Structur- 
möglichkeiten  entwickeln: 

a)  CH2:CH.CH2-C02H  :  Vinylessigsäure. 

b)  CH3CH:CHC02H  :  Aethylidenessigsäure  oder /?-Methylakrylsäure. 

c)  CH2:C(CH3)-C02H  :  Methylmethylenessigsäure  oder  a-Methylakryl- 
säure. 

d)  I  ^CH-CO-H  :  Aethylenessigsäure  oder  Trimethylencarbonsaure. 
CH3/ 

Für  die  unter  b)  angefiihrte  Säure  giebt  es  femer  die  beiden  stereo- 
chemisch isomeren  Modificationen : 


b«)    H-C-CO,H  hß)    H~C-CO,H 

H — C — 0113.  CH3 — C — H 

Cis-  Cis-trans- 

ß'  Methy  lakrylsäure. 

Die  Vertheilung   dieser  Formeln   auf  die  vier  bekannten  Säuren  bietet 
nun  eigenthümliche  Schwierigkeiten. 


'  Redtenbachee,  Ann.  47,  127  ff.  (1843).  —  Claus,  Ann.  Suppl.  2,  125  ff.  (1862). 
Oaspaet  u.  Tollens,  Ann.  167,  243  ff.  (1873). 

*  Caspaby  u.  Tollens,  Ann.  167,  247  (1873).  —  Wbgeb,  Ann.  221,  79  (1883.) 
Kahlbaum,  Ber.  13,  2348  (1880);  18,  2108  (1885). 


Orotonsäuren,  497 


Der  festen  Crotonsäure,  welche  ihren  Namen  daher  hat,  dass 
zuerst  ans  dem  CrotonöP  eine  Säure  von  der  Zusammensetzung  C^H^Og 
abgeschieden  wurde,  die  sich  freilich  später  als  nicht  einheitlich^  erwies, 
Mrird  die  der  Formel  b)  entsprechende  Structur  zugeschrieben.  Denn 
wenn  auch  ihre  Bildung  durch  Wasserabspaltung  aus  der  j9-0xybutter- 
säure^  im  Sinne  der  Formeln  a)  und  b)  gedeutet  werden  kann: 

CH, .  CH(OH) .  CHj .  COsII-HjO    =    CH,  :  CH  •  CH,  -  COgH  oder  CHg  •  CH  :  CH  •  CO,H, 

so  lässt  sich  ihre  —  jfreilich  nur  wenig  reichliche^  —  Entstehung  aus 
«-Brombutt^rsäureester  unter  der  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali^ 
nur  bei  Annahme  der  Formel  b)  erklären: 

CHj  •  CH, .  CHBr  •  CO,H-HBr     =     CHs  •  CH  :  CH  •  COjH. 

Mit   dieser  Formel   gut  vereinbar   sind   ferner   die  Bildungsweisen   aus 
Aldehyd    und  Malonsäure   (vgl.  die    Gleichung   auf  S.  491),    sowie    aus 
Brenztraubensäure  beim  Erhitzen  mit  Essigsäureanhydrid  und  essigsaurem 
Natrium  (vgl.  S.  491).     Ihr  scheint  zu  widersprechen,  dass  Crotonsäure 
auch  aus  dem  Allylalkohol  durch  Vermittelung  des  Cyanids  gewonnen  wird 
(vgl.  S.  487 — 488);    allein  es  hat  sich  gezeigt,    dass  das  AUylcyanid® 
nicht  die  aus  seiner  Bildung  zu  erwartende  Structur  CH^  :  CH-CH^-CN  be- 
sitzt, dass  vielmehr  infolge  einer  Verschiebung  der  Doppelbindung,  wie  sie 
ja  häufig  bei  ungesättigten  Verbindungen  zu  Gunsten  von  symmetrischer 
gebauten  Molecülen  beobachtet  wird  (vgl.  S.  448,  451),  durch  Einwirkung 
von  AUylhalogenen  auf  Cyankaliüm  die  Verbindung  CH3CH:CH-CN  ent- 
steht; das  sogenannte  Allylcyanid  liefert  nämlich  durch  Bromaddition  ein 
Dibrompropylcyanid ,  das  bei  der  Verseif ung  in   a-j8-Dibrombuttersäure 
übergeht: 

CHg                             Crlß  CHg 

CH  >-  CHBr >-  CHBr 

CH-CN  CHBr— CN  CHBr-COgH. 

Die  Auffassung  der  Crotonsäure  als  Aethylidenessigsäure  wird  ferner 
ilurch  ihr  Verhalten  bei  der  Oxydation^  gestützt;  ihr  Molecül  zerfällt  in 
zwei  Spaltungsstücke  mit  je  zwei  Kohlenstoffatomen;  es  konnten  Acet- 
aldehyd   und    Oxalsäure   als    Oxydationsprodukte   nachgewiesen    werden. 


*  Schlippe,  Ann.  105,  21  (1858). 

*  Geütheb  u.  Fröhlich,  Ztschr.  Chem.  1870,  549. 

'  WißLicENüS,  Ztschr.  Chem.  1869,  825.  —  Hemilian,  Ann.  174,  328  (1874).  — 
Beilstein  u.  Wiegand,  Ber.  18,  482  (1885). 

*  Browne  u.  Michael,  J.  pr.  [2]  38,  12  (1888). 

*  Hell  u.  Laubeb,  Ber.  7,  560  (1874). 

«  Will  u.  Koerweb,  Ann.  125,  271  (1862).  —  Claus,  Ann.  131,  58  (1864).  — 
Risse  u.  Tollens,  Ann.  169,  105  (1871).  —  Kekul6  u.  Rinne,  Ber.  6,  388  (1873).  — 
PaKNE,  ebenda,  p.  389.  —  Pinnbe,  Ber.  12,  2053  (1879);  17,  2007  (1884).  —  Palmeb, 
Ber.  22o,  494  (1889). 

'  Kekul6,  Ann.  162,  315  (1872). 
V.  Hbybs  o.  Jaoobsox,  org.  Chemie.    I.  32 


498  Orotofisäuren, 


Auch  das  Verhalten  gegen  HalogenwasserstoflFsäuren  ^  kann  als  Stütze 
herbeigezogen  werden;  durch  Anlagerung  von  Jodwasserstoff  entsteht 
/?-  Jodbuttersäure : 

CHj .  CH :  CH .  CO,H  +  H  J     =     CH^  •  CH  J  •  CHj  •  COjH. 

Ihre  Bildung  wäre  zwar  auch  aus  der  Vinylessigsäure  CH^ :  CH-CHj-COjH 
theoretisch  verständlich,  aber  in  Anbetracht  des  ßeactionsverlaufs,  wie 
er  an  anderen  J'^'J'- Säuren  beobachtet  ist,  unwahrscheinlich;  denn  solche 
Säuren  lagern  Halogenwasserstoff  stets  so  an,  dass  das  Halogenatom  an 
die  /-Stelle  tritt  (vgl.  Aethylidenpropionsäure  etc.  S.  505,  507 — 508). 

Wie  die  feste  Crotonsäure,  so  enthält  auch  die  ihr  isomere  flüssige 
Isocrotonsäure  in  ihrem  Molecül  eine  unverzweigte  Kette  von  Kohlen- 
stoffatomen. Es  ergiebt  sich  dies  für  beide  Säuren  —  abgesehen  von 
ihren  Bildungsweisen  —  aus  ihrer  Ueberführbarkeit  in  normale  Butter- 
säure. Crotonsäure  kann  durch  Behandlung  mit  Natriumamalgam  direct 
zu  Buttersäure  reducirt  werden  2;  bei  der  Isocrotonsäure  ist  die  directe 
Ueberführbarkeit  zwar  noch  nicht  constatirt,  aber  die  durch  Addition 
von  Halogenwasserstoff  aus  beiden  Säuren  entstehenden  Brom-  resp.  Jod- 
buttersäuren werden  durch  Natriumamalgam  leicht  zu  normaler  Butter- 
säure reducirt': 

C^HeO,  +  HBr     =     C^H^BrO^;        C4H,BrO,  +  2H     =     C^HgO,  +  HBr. 

Nachdem  nun  für  die  Crotonsäure  die  Constitution  der  Aethyliden- 
essigsäure  CHj-CHiCH-COgH  acceptirt  ist,  liegt  es  am  nächsten,  die 
Isocrotonsäure  als  Vinylessigsäure  CHg  :  CH  •  CHg  •  COgH  anzusprechen : 
eine  Auffassung,  welche  auch  mit  dem  nun  zu  beschreibenden  Bildungs- 
process  der  Isocrotonsäure*  —  dem  einzigen,  in  welchem  bisher  die  Ent- 
stehung der  Isocrotonsäure  mit  Sicherheit  constatirt  ist  —  ganz  gut 
verträglich  wäre. 

Wenn  man  auf  AcetessigesterCHg-CO-CHjCOg-CgHg  Phosphorpen ta- 
chlorid  einwirken  lässt,  so  erhält  man  zwei  isomere  Säuren  von  der 
Zusammensetzung  C^H^ClOg  theils  in  Form  ihrer  Chloride,  theils  in  Form 
ihrer  Aethylester.  Sie  sind  offenbar  entstanden,  indem  der  Carbonylsauer- 
stoff  des  Acetessigesters  zunächst  durch  zwei  Chloratome  vertreten  wurde, 
und  dann  Abspaltung  von  1  Mol.  Chlorwasserstoff  eintrat;  in  der  That 
ist  ja  die  Möglichkeit  der  Bildung  von  zwei  isomeren  Säuren  in  letzterer 
Reaction  leicht  einzusehen: 

Cllg .  CO .  CH, .  CO, .  CjHß  +  PCls     =     CH3 .  CGI,  •  CH,  •  CO,  •  C,Hß  +  POCl, , 

^  CH3.CC1:CH.C0,.C,U5 
CH,.CCl,.CH,.C0,.C,H5-nCl     =     < 

^  CH, :  CGI .  CH, .  CO, .  CjH». 


*  Hemilian,  Ann.  174,  322  (1874).  —  Albeeti,  Her.  9,  1194  (1876).  —  Michael 
u.  Fbeer,  J.  pr.  [2J  40,  95  (1889). 

*  BüLK,  Ann.  139,  66  (1866).  —  Baeyer,  Ann.  251,  265  (1889). 

*  Alberti,  Her.  9,  1194  (1876).  *  Geuthbr,  Ztsclir.  Chem.  1871,  237, 


Orotonsäuren.  499 


Die  beiden  Säuren  lassen  sich  leicht  trennen,  da  die  eine  sich  mit  Wasser- 
dämpfen sehr  leicht,  die  andere  sehr  schwer  verflüchtigt.  Die  schwer 
flüchtige  Säure  giebt  nun  bei  der  ßeduction  mit  Natriumamalgam  gewöhn- 
liche feste  Crotonsäure  und  wird  daher  Chlorcrotonsäure  genannt;  da- 
gegen liefert  die  leicht  flüchtige  Säure,  welche  in  grösserer  Menge  auf- 
tritt, mit  Natriumamalgam  die  isomere  flüssige  Isocrotonsäure  und 
wird  daher  als  Chlorisocrotonsäure  bezeichnet.  Im  Sinne  der  oben  ent- 
wickelten Auffassung  wären  diese  Uebergänge  in  folgender  Weise  zu 
formuliren : 

CHs-CCliCH.COaH  +  2H  =     HCl  +  CHs-CHiCHCOsH 

Chlorcrotonsäare  Crotons&are ; 

CH,:CC1.CH,.C08H  +  2H  =    HCl  +  CH,  :  CH •  CH, - CO,H 
Chlorisocrotonsäure  Isocrotonsäure. 

Trotzdem  aber  ist  man  heute  nicht  geneigt,  die  Isocroton- 
säure als  Vinylessigsäure  aufzufassen,  sondern  wird  durch 
ihr  Verhalten  bestimmt,  sie  als  structuridentisch  mit  der 
festen  Crotonsäure,  also  ebenfalls  als  Aethylidenessigsäure 
CHj-CHrCH-COgH  anzusehen.  Gleichfalls  legt  man  den  beiden  ge- 
chlorten Säuren  die  gleiche  Structurformel  CHg-CClrCH-COjH  bei. 

Der  Umstand,  dass  die  Isocrotonsäure  in  der  Kalischmelze ^  nur 
Essigsäure  liefert,  kann  hierfür  freilich  nicht  in's  Gewicht  fallen;  auch 
der  Nachweis,  dass  Chlorcrotonsäure  und  Chlorisocrotonsäure  mit  alkoholi- 
schen und  wässrigen  Alkalilösungen  dieselben  Umwandlungsprodukte 
liefern*,  zwingt  nicht  durchaus  zur  Annahme  gleicher  Structur;  es  wäre 
nicht  undenkbar,  ja  sogar  wahrscheinlich,  dass  unter  dem  Einfluss  von 
Alkali  in  höherer  Temperatur  eine  Verschiebung  der  Doppelbindung  von 
der  ß'Y'  in  die  a-j9- Stellung  einträte  (vgl.  S.  494 — 495). 

Dagegen  macht  das  Verhalten  der  Crotonsäure  und  Isocroton- 
säure gegen  Halogenwasserstoffe'  und  Halogene*  für  beide  die  gleiche 
Structur  wahrscheinlich.  Dass  die  bei  gewöhnlicher  Temperatur  erfolgende 
Addition  dieser  Reagentien  von  einer  Verschiebung  der  Doppelbindung 
begleitet  sein  kann,  erscheint  zwar  nicht  ausgeschlossen,  ist  aber  bis- 
her doch  nicht  durch  Beobachtungen  erwiesen.  Man  hat  daher  noch 
keinen  Grund,  an  der  Benutzbarkeit  dieser  Reactionen  für  Constitutions- 
bestimmungen  zu  zweifeln,  und  darf  mit  einiger  Sicherheit  annehmen, 
dass  die  in  das  Molecül  der  ungesättigten  Verbindung  eintretenden 
Elemente  durch  die  von  ihnen  aufgesuchten  Stellen  wirklich  den  Ort 
der  gelösten  Doppelbindung  bezeichnen.  Nun  giebt  die  Isocroton- 
säure ebenso  wie  die  Crotonsäure  durch  Addition  von  Jodwasser- 
stoff /9- Jodbuttersäure,  und  aus  den  S.  498  angedeuteten  Gründen  ist 
daher    anzunehmen,   dass  sie   die  Doppelbindung   in  der  oj-j9- Stellung, 


1  Gecther,  Ztschr.  Ohem.  1871,  243.  '  Friedrich,  Ann.  219,  822  (1883). 

»  A1.BERTI,  Ber.  9,  1194  (1876).  —  Michael  u.  Freer,  J.  pr  [2]  40,  96  (1889). 
*  C.  KoLBB,  J.  pr.  [2]  25,  369  (1882).  —  Wwlicenus,  Ann.  248,  281  (1888). 

32* 


500  Orotonsäuren, 


nicht  in  der  /?-/-Stellung  enthält  (vgl.  S.  508).  —  Die  aus  Crotonsäure  und 
Isocrotonsäure  durch  Addition  von  Chlor  oder  Brom  entstehenden  Dibrom- 
bezw.  Dichlorbuttersäuren  sind  zwar  von  einander  verschieden;  aber  sie 
verhalten  sich  insofern  gleichartig,  als  sie  bei  der  Behandlung  mit  wanner 
Sodalösung  eine  charakteristische  Spaltung  in  Kohlensäure  und  <^-Halogeu- 
derivate  des  Propylens  erleiden,  wie  sie  auch  bei  anderen  e^-/9-lialoge- 
nirten  Säuren  in  analoger  Weise  beobachtet  ist: 

CH, .  CHCI .  CHCl .  CO.Na    =     CHj  •  CH :  CHCl  +  CO,  +  NaCl. 

Dies  Verhalten  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  sowohl  die  Additions- 
producte  der  Crotonsäure  wie  auch  diejenigen  der  Isocrotonsäure  a-ß- 
Derivate  sind,  demnach  gleiche  Structur  besitzen,  und  dass  der  Grund 
ihrer  Verschiedenheit  in  räumlichen  Atomlagerungsverhältnissen  zu 
suchen  ist. 

Unter  dßn  Beziehungen  der  beiden  Crotonsäuren  zu  einander  ist  vor 
Allem  die  interessante  Thatsache  hervorzuheben,  dass  Isocrotonsäui'o 
durch  anhaltendes  Erhitzen  auf  170 — 180^  in  gewöhnliche  Crotonsäure 
übergeführt  wird^;  es  bildet  sich  daher  bei  jeder  Destillation  der  Iso- 
crotonsäure unter  gewöhnlichem  Druck  eine  gewisse  Menge  der  fest^^n 
Crotonsäure,  während  diese  ümlagerung  bei  der  Destillation  im  Vacuum 
vermieden  wird^.    Fasst  man  die  beiden  Säuren  als  structurverschieden  auf: 

CHa  •  CH :  CH .  CO,H  CH, :  CH  •  CH,  •  CO,H 

Crotonsäure  Isocrotonsäure, 

SO  erscheint  dieser  Uebergaiig  als  Folge  einer  Verschiebung  der  Doppel- 
bindung; erblickt  man  in  ihnen  die  beiden  stereochemisch  isomeren  Mo- 
dificationen  der  Aethyüdenessigsäure  (vgl.  S.  496): 

H-C-CO,H  H-C-CO,H 

H — C — CH3  CHß — C — H 

so  muss  man  einen  Platzwechsel  von  Methyl  und  Wasserstoff  annehmend 
—  Jede  der  beiden  Säuren  lässt  sich  femer  in  die  ihr  isomere  SäuiT 
umwandeln,  wenn  man  ihr  zunächst  Chlor  addirt,  die  so  entstandeneu 
Dichlorbuttersäuren  durch  Behandlung  mit  Natronlauge  unter  Abspaltung 
von  einem  Molecül  Chlorwasserstoff  in  eine  Monochlorcrotonsäure  über- 
führt und  in  letzterer  durch  Behandlung  mit  Natriumamalgam  das  Chlor- 
atom gegen  Wasserstoff  austauscht*: 

C^HeO,        —>-  C4HeCl,0,  —V         C^H^CIO,         — >         C4HeO, 

Feste  Crotons.  — >■    Crotonsäuredichlorid   — >'    Chlorisocrotons.    — >-     Isocrotons.  ; 
Isoerotons.    — >- Isocrotonsäuredichlorid — >"      Chlorcrotons.      — >■  Feste  Crotons. 


^  Hemilian,  Ann.  174,  330  (1874). 
«  Michael  u.  Freeb,  J.  pr.  [2]  40,  96  (1889). 

'  Vgl.  Erklärung:    Wislicenüs,  Abhandlgen.  d.  kgl.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wis- 
sensch.  14,  54  (1887). 

*  WiSLiCENus,  Ann.  248,  309  (1888). 


Orotonsävren,  501 


)urrh  eine  Reihenfolge  ähnlicher  ßeactionen  (Anlagerung  und  Wieder- 
Ijspaltung)  erklärt  es  sich  wohl,  dass  grosse  Mengen  von  Isocrotonsäure 
iirch  eine  sehr  geringe  Menge  Chlorwasserstoff  schon  bei  100^  in  feste 
•rotonsäure  umgewandelt  werdend 

Wir  sind  oben  zu  dem  Resultat  gelangt,  dass  das  Verhalten  der 
)eiden  isomeren  Säuren  durch  Annahme  einer  verschiedenen  Stellung  der 
loppelten  Bindung  in  ihrem  Molecül  nicht  genügend  erklärt  wird,  dass 
lasselbe  vielmehr  für  beide  die  gleiche  Structurformel: 

CH,.CH:CH:CO,H 

wahrscheinlich  macht.  Allein  man  kann  sich  nicht  verhehlen,  dass  die 
Uründe  für  diese  Auffassung  einstweilen  doch  nicht  durchaus  zwingende 
sind.  Wenn  es  gelänge,  eine  Säure  zu  gewinnen,  deren  Verhalten  durch- 
uus  der  Formel 

CH,:CH.CH,.CO,H 

entspricht,  und  diese  Säure  als  bestimmt  von  der  Isocrotonsäure  ver- 
schieden zu  charakterisiren,  dann  erst  wäre  jene  Auffassung,  die  in  den 
letzten  Jahren  sich  fast  allgemein  eingebürgert  hat,  sicher  begründet. 
Bisher  ist  die  Auffindung  einer  solchen  Säure  noch  nicht  geglückt,  und 
die  Möglichkeit,  dass  in  der  Isocrotonsäure  die  Vinylessigsäure  vorliegt, 
ist  daher  noch  nichi  als  völlig  ausgeschlossen  zu  betrachten. 

Man  glaubte  vor  einiger  Zeit,  dass  die  auf  S.  496  sub  4  aufgeführte  Sfture  die 
(Constitution  der  Vinylessigsäure  besitze',  indem  man  ihren  Bilduugsprocess  durch 
fulgende  Gleichungen  interpretirte: 

/CO,  •  CgHft  /COj  •  CjHß 

GHjBr.CHaBr  +  CHNa<  =     NaBr  +  CH,Br.Cn,.CII<  , 

•COj  •  C1H5  /COj  •  C*H5 

CH,Br.CH,.CH<:  — HBr     =     CH,:CH.CH< 

xjOj.CjHb  m:!0,.c,h, 

/CO,H 
CH,:CH.CH<  -CO,     =     CH,:CH.CH,.CO,H. 

N:io,H 

Diese  Auffassung  hat  sich  indessen  nicht  bestätigt;    man  nimmt  jetzt  vielmehr  an, 

dasB  das  Reactionsprodukt  von  Aethjlenbromid  auf  Malonsäureester  der  Ester   der 

Trimethylendicarbonsäure : 

CH,v       /CO,H 

CH,/"     \CO,H 

5€L    Dem  zu  Folge  erblickt  man  in  der  durch  Kohlensäure-Abspaltung  daraus  her- 
vorgehenden Säure  die  Trimethylenmonocarbonsäure : 

CH,. 

I       >CH.CO,H; 
CH,/ 

fliese  Säure  wird  daher  erst  im  zweiten  Bande  bei  den  isocyclischen  Verbindungen 
^Wdelt  werden. 

^  WisucBfus,  Ann.  248,  340  (1088).  *  Vgl.  Ffttig,  Ann.  227,  25  (1885). 


l 


502  Orotonsäv/ren, 


Ein  wichtiges  Argument  für  die  Structurgleichheit  der  beiden  Cro- 
tonsäuren  kann  indess  noch  aus  dem  Vergleich  mit  analog  constitairten 
Säuren  der  aromatischen  Reihe  hergeleitet  werden.  Denken  wir  uns  iu 
der  Formel  der  Aethylidenessigsäure  CHj-CHrCH-COjH  die  Methylgruppe 
ersetzt  durch  den  für  die  Benzolderivate  charakteristischen  Phenylrest 
CgHg,  so  erhalten  wir  die  als  /S-Phenylakrylsäure  oder  Benzylidenessig- 
säure  zu  bezeichnende  Säure: 

CeHßCHiCHCOjiH, 

welche  gewöhnlicher  Zimmtsäure  genannt  wird.  Auch  hier  nun  treten 
uns  sowohl  in  der  Existenz  verschiedener  Zimmtsäuren,  wie  namentlich 
bei  der  Untersuchung  ihrer  Monohalogen-Substitutionsprodukte  Isomerie- 
Verhältnisse  entgegen,  welche  durch  Structurformeln  allein  nicht  gedeutet 
werden  können.  Diese  Erscheinungen  sind  —  besonders  für  die  Halo- 
genderivate der  Crotonsäuren  und  Zimmtsäuren  —  so  durchaus  ähnlich, 
dass  man  nicht  fehl  gehen  wird,  sie  in  beiden  Reihen  durch  die  gleichen 
Ursachen  bedingt  anzusehen.  Jener  für  die  Crotonsäuren  nach  den  oben 
gegebenen  Entwickelungen  noch  nicht  völlig  ausgeschlossenen  Formulirung: 

CH,:CH.CH,.CO,H     und     CHaCHiCH.CO.H 

würde  in  der  Zimmtsäure-Reihe  die  Aufstellung  der  beiden  Formeln: 

QH^iCH-CH,  CO,H     und     CflHft.CHiCöCO.H 

entsprechen.  Unter  diesen  ist  nun  aber  die  erstere,  welche  den  Ereatz 
von  zwei  Wasserstoffatomen  des  Benzolkerns  (C^Hg)  durch  zwei  Valenzen 
eines  und  desselben  Kohlenstoffatoms  annimmt,  nach  allen  Erfahrungen 
über  die  Verbindungen  der  aromatischen  Reihe  so  gut  wie  ausgeschlossen. 
Da  man  unter  den  unzähligen  Benzolderivaten  bisher  niemals  eine  analog 
constituirte  Verbindung  aufgefunden  hat,  so  darf  man  sich  wohl  für  be- 
rechtigt halten,  eine  solche  Atomgruppirung  als  nicht  existenzfähig  zu 
betrachten.  Und  will  man  daher  die  Einheitlichkeit  in  der  Auffassung 
der  Crotonsäure-  und  Zimmtsäure-Reihe  festhalten,  so  ist  man  genöthigt, 
da  für  die  Deutung  der  verschiedenen  Zimmtsäuren  und  ihrer  Halogen- 
derivate nur  die  Formel: 

zu  Grunde  gelegt  werden  kann,  die  analoge  Formel: 

CH,.CH:CH.CO,H 

als  einzig  berechtigte  Grundlage  für  beide  Crotonsäuren  und  ihre  Halo- 
genderivate gelten  zu  lassen. 

Stellen  wir  uns  nun  auf  diesen  Standpunkt,  fassen  wir  also  sowohl 
Crotonsäure  wie  Isocrotonsäure  als  Aethylidenessigsäure  auf  und  suchen 
den  Grund  ihrer  Isomerie  in  andersartiger  räumlicher  Atomgruppirung 
bei  gleicher  Structur,  so  bietet  sich  jetzt  die  Aufgabe,  unter  den  beiden 
räumlich  verschiedenen  Configurationen: 

H-C-CO,H  H-C-COjH 


„4- 


CH3  CH,-C~H 


Orotonsäuren,  503 


tur  jede  Säure  die  zutreffende  auszuwählen.  Die  Bildung  der  festen 
L'rotonsäure  aus  Tetrolsäure  CHg-CiC-COgH  (vgl.  S.  517)  durch  Behand- 
lung mit  Natriumamalgam  ^ : 

CHs .  C :  C .  CO,H  +  ir,    =    CHs .  CH :  CH  •  CO,H 

ermöglicht  dies.  Es  wird  bei  räumlicher  Verfolgung  dieses  Processes, 
in  welchem  eine  dreifache  Bindung  durch  Zutritt  von  zwei  Wasserstoff- 
atomen  iu  eine  doppelte  Bindung  übergeht,  sofort  klar,  dass  in  der  ent- 
stehenden Configuration  die  schon  von  vornherein  an  die  mehrfach  ge- 
bundenen Kohlenstoffatome  angelagerten  Radicale  sich  auf  derselben  Seite 
(lt*s  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatompaares  befinden  müssen,  ebenso 
wie  die  neu  hinzugetretenen  Wasserstoffatome,  nachdem  sie  den  Zusam- 
menhalt der  beiden  Kohleustoffatome  an  einer  der  drei  Bindestellen  auf- 
g»?hobeu  hahen,  übereinander  liegen  müssen: 

H 


CH, 


CH,   . 

\/ 


+  H,     = 


H-C-CH,  CH, 


(;o,H 

CO,H 

Es  ist  daher   die  feste  Crotonsäure  als  eis-,  die  Isocrotonsäure  als  cis- 
trans-Aethylidenessigsäurc  aufzufassen : 

H-C-CO,H  H— C-CO,H 

-C-H 
Crotonsäure  Isocrotonsäure. 

Zur  Darstellung  der  Crotonsäure'  geht  man  zweckmässig  von  Acetessig- 
ester  aus;  man  behandelt  ihn  mit  Natriumamalgam  in  Gegenwart  von  Wasser: 

CHsCO.CHj.CO.CjHß  +  2H     =     CH3.CH(0H).CH,.C0,.C,H5; 

säuert  man  nun  mit  Schwefelsäure  an  und  destillirt,  so  geht  die  in  Folge  von 
Wasserabspaltung  aus  der  i^-Oxybutteraäure  entstehende  Crotonsäure  mit  den  Wasser- 
dämpfen über.  —  Die  Crotonsäure  krystallisirt  aus  heisser,  wässriger  Lösung  beim 
Erkalten  in  feinen  Nadeln,  schmilzt  bei  71— 72^  siedet  bei  180— 181  <>  und  löst  sich 
bei  15®  in  12-07  TL  Wasser*.  Zugleich  mit  der  Isocrotonsäure  findet  sie  sich  im 
ro\\eii  Holzessig*.  —  Calciumsalz  (C^HjOjljCa  und  Bariumsalz  (C^HjOgyia 
krystallisiren  wasserfrei  und  sind  in  Wasser  leicht  löslich*.  —  Der  Aethylester*** 
^*H5,0,.C,H5  siedet  zwischen  139.5<>  und  Ul-b^  und  besitzt  bei  20*^  das  spec.  Gew. 


^  Abomstein  u.  Hollemann,  Ber.  22,  1182  (1889). 

*  Vgl.  Beilstein  u.  Wieoand,  Ber.  18,  482  (1885). 

*  BüLK,  Ann.  139,  64  (1866).  *  Kraemer  u.  Grodzki,  Ber.  11,  1359  (1878). 

*  Brühl,  Ber.  14,  2798  (1881). 


504  Metluikrylsäure, 


0-924.  —  Das  Nitril  CgHs-CN  (Allylcyanid,  s.  S.  497)  siedet  bei  116— 118*  mwi 
besitzt  bei  0°  das  spec.  Gew.  0-849. 

Die  Isocrotonsäurc  (Darstellung  s.  S.  498 — 499)  ist  eine  farblose,  ölige  FIüäu- 
keit  von  stechendem,  an  Buttersäure  erinnernden  Geruch,  wird  bei  — 15**  nicht  f.>t 
siedet  bei  172*  und  besitzt  bei  25^  das  spec.  Gew.  1-018;  mit  Was -er  mischt  sie  w-'. 
in  allen  Verhältnissen.  —  Calciumsalz  (C4H50s),Ca  und  Bariumsalz  (GJIsO.JL 
sind  in  Wasser  löslich  und  krystallisireu  beide  mit  2  MoL  HjO.  —  Der  Aethyle-t»-r 
C^HöOj-CjHö  siedet  bei  136®  und  besitzt  bei  19®  djis  spec.  Gew.  0-927. 

Die  den  Crotoiisäureii  isomere  Methakrylsäure  bietet  bei  derlMi- 
tuug  ihrer  Constitution  keine  Schwierigkeiten.  Da  sie  aus  of-Ox}i<)- 
buttersäure  durch  Wasserabspaltung  ^ : 

>C(OH) .  COsH-IlgO     =  >C-CO,H , 

ebenso    aus   «:- Bromisobuttersäure   (0H3)2CBr-CO2H   durch    Bromwa>HT- 

stofiF- Abspaltung^  entsteht,    so  wird  man  ihr  die  Formel  der  a-MetiiU- 

akrylsäure: 

CII,~C--CO,II 

I 

zuschreiben,  welche  auch  durch  ihr  Verhalten  durchaus  gerechtfertigt  wir«l. 

Methakrylsäure  findet  sich  in   geringer    Menge    i m    Rö misch  -  Kamillenöi l 

Zu  ihrer  Darstellung*  geht  man  am  besten  von  dem  durch  Destillation  der  Citroiieu- 

CHg-C CO. 

säure  erhältlichen  Citrakonsäureanhydrid  ||  j>0  aus;  die««   wird  «hmh 

CH-CQ/ 
mehrtägige  Digestion   mit   rauchender    Bromwasserstoffsäure   in   der  Kälte  in  C^fra- 
brombrenzweinsäure  übergeführt: 

CHs-C CO,H  CHs-CBr-COjH 

II  +HBr     = 

CH-CO,n  CH,-CO,H 

und   letztere   spaltet  nun   bei   gelindem    Erwärmen   mit   überschüssiger  Sodalösunir 
Methakrylsäure  ab: 


CH3— C  Br  — CO,Na  GH.— C— CO,Na 

\'      '■■  =     NaBr  +  CO,  +  i| 

CII,-   COjNa  CH, 

Die  Methakrylsäure  krystallisirt  aus  Wasser  bei  niederer  Temperatur  in  langen, 
farblosen,  glänzenden  Prismen,  schmilzt  bei  16®,  siedet  bei  160—161*,  hesi^zt  einen 
starken,  aber  nicht  unangenehmen  Geruch  und  löst  sich  leicht  in  warmem  Wasser, 
in  Alkohol  und  Aether  in  jedem  Verhältniss.  Ihr  Calciumsalz  (CJI^Oa^jCÄ  kry- 
stallisirt in  langen,  feinen  Nadeln  und  ist  leicht  löslich.  Von  nascirendem  WasstT 
Stoff  wird  sie  sehr  leicht  zu  Isobuttersäure  reducirt,  Halogenwasserstoff  addirt  sie 
unter  Bildung  von  /^-Halogen-Derivaten  der  Isobuttersäure*: 

*  Frankland  u.  Düppa,  Ann.  136,  12  (1865). 

*  Thomson,  Ann.  200,  86  (1879).  —  Bischopf,  Ber.  24,  1042  (1891). 

*  H.  Kopp,  Ann.  195,  81  (1879). 

*  Vgl.  Pbkhn,  Ann.  188,  44  (1877).  —  Paul,  ebenda  52.  —  Frrrio  u.  Landoit, 
ebenda  81.  —  C.  Kolbb,  J.  pr.  |2|  25,  872  (1S82). 

*  Enoelhorn,  Ann.  200,  G5  (1879). 


Normale  Samen  CßHgOg.  505 


CH,.  CHjBrv 

>0-CO,H  +  HBr     =  >CH-CO,H  , 

Gll/  CU/ 

in  der  Kalischmelze  zerfällt  sie  in  AmeisensÄure  und  Propionsäure.  Die  Methakryl- 
^äurt*  polymerisirt*'*  sich  leicht  zu  einer  weissen,  amorphen  Masse,  die  in  kaltem 
Wasser  nach  und  nach  aufquillt,  ohne  sich  aber  zu  lösen,  und  die  Eigenschaften  einer 
.schwachen  Säure  besitzt;  bei  jeder  Destillation  geht  ein  kleiner  Theil  in  die  polymere 
Saure  über,  bei  130®  erfolgt  vollständige  Polymerisation  innerhalb  einiger  Stunden; 
in  Berührung  mit  Salzsäure  tritt  sie  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ein,  was  bei 
•  Icr  Darstellung  der  Methakrylsäure  zu  beachten  ist. 

Säaren  CgH^O,.    Die  drei  von  der  Theorie  vorausgesehenen,  struc- 
turisoiueren  Säuren  C^HgOg  mit  normaler  Kohlenstoffkette: 

(  n,:OH.CH,.CH,.CO,H,        CIl3.Cn:ClI.CH,.C0,II,        CHjCIIjCHiCHCOaH 
AUjlessigsäure  Aethylidenpropionsäure  Propylidenessigsäure 

sind  sämmtlich  bekannt. 

Allylessigsäure»  CH,;CHCn,.CH,.CO,H  (/^-Vinylpropionsäure)  ist  aus 
Allylacetessige«ter  und  Allylmalonsäurcester  gewonnen  worden  (vgl.  S.  307 — 809  und 
ITOi.  Sie  erstarrt  nicht  bei  —18®,  siedet  bei  185—188®,  besitzt  bei  25®  das  spec. 
(Jew.  0-977,  ist  in  Wasser  etwas  löslich  und  riecht  ähnlich  der  Valeriansäure.  Bei 
der  Oxydation  mit  Salpetersäure  liefei-t  sie  Bernsteinsäure,  durch  Addition  von  Brom- 
wasseratoff  y-Bromvaleriansöure  CHa.CHBrCHjCHj.COJL 

Aethylidenpropionsäure^  CHa-CHiCH-CHj-OOjH  ist  aus  Acetaldehyd  und 
Rtnisteinsäure  nach  der  PERKiN'schen  Reaction  gewonnen  (vgl.  S.  490).  Sie  erstaii't 
nicht  bei  —15®,  siedet  bei  193—194®,  löst  sich  in  10—12  Th.  Wasser,  ist  mit  Was- 
si'nlämpfen  leicht  flüchtig  und  liefert  durch  Addition  von  Bromwasserstoff  gleichfalls 
Y'  Hrom  valeriansäure. 

Propylidenessigsäure*  CIla-CHi-CHiClI-COjH  wird  aus  Propionaldehyd 
niul  Malonsäure  (vgl.  S.  491)  erhalten.  Sie  stellt  ein  farbloses  Oel  dar,  ist  in  Wasser 
wenig  löslich,  riecht  stechend,  siedet  bei  195 — 196®  und  besitzt  bei  16®  das  spec. 
Oew.  0-988. 

unter  den  Säuren  CgHgOg  mit  verzweigter  Kohlenstoffkette  haben 
/.wei  durch  enge  Beziehungen  mit  einander  verknüpfte,  in  Naturpro- 
dukten aufgefundene  Säuren  —  die  Angelicasäure  und  TIglinsfture  — 
in  hervoiTsigendem  Grade  das  Interesse  der  Chemiker  gewonnen. 

Wenn  man  zu  diesen  Säuren  Jodwasserstoff'  addirt  und  die  erhal- 
U}uen  Additionsprodukte  reducirt: 

CsHgO,  +  HJ  =  CjH^JO,;       CftllgJO,  +  2H  =  CsHioO»  +  HJ, 

s(j  erhält  man  aus  beiden  Säuren  eine  und  dieselbe  Valeriansäure®,  näm- 


^  Enoelhorn,  Ann.  200,  65  (1879). 

'  Balbiano  u.  Testa,  Ber.  13,  1984  (1880).  —  Aüwers  u.  Koebneb,  Ber.  24, 
1«  11891). 

•  Zeidleb,  Ann.  187,  39  (1875).  —  Conrad  u.  Bischopp,  Ann.  204,  170  (1880). 
-  Mb88kb8chmidt,  Ann.  208,  92  (1881).  —  Pebkin,  Journ.  Soc.  49,  211  (1886).  — 
Reboul,  Compt  rend.  84,  1236  (1887). 

*  Praenkel,  Ann.  266,  27  (1889). 

*  KoMNBNOs,  Ann.  218,  166  (1883).  —  Zinckb  u.  Küster,  Ber.  22,  495  (1889); 
23,  818  (1890);  24,  908  (1891). 

•  E.  Schmidt,  Ann.  208,  253  (1881). 


506  Angelicasäure  und 


CHo  •  CH«\ 


lieh  die  MetLyläthylessigsäure  (vgl.   S.  331).        '       "NcH-CO.H.    Es 

CH3/ 

folgt  daraus,  dass  beide  Säuren  sich  von  dem  Kohlenstoflskelett: 

^  C-CO,H 

ableiten;  zur  Enthüllung  ilirer  Constitution  bedarf  es  nun  noch  der  Fest- 
stellung des  Ortes  der  Doppelbindung.  Für  die  Tiglinsäure  ergiebt  sicli 
derselbe  unzweifelhaft  aus  ihren  synthetischen  Bildungsweisen  ^.  Sie  ent- 
steht sowohl  aus  a-Methyl-<^-Oxy buttersäure,  w^ie  aus  «z -Methyl -/S-Ox\- 
buttersäure  durch  Wasserabspaltung,  womit  lediglich  die  Constitutimi 
einer  a-Methylcro tonsäure  vereinbar  ist: 

^^'  Ch'>  ^(^^  •  CO,H-H,( 

=     CH8.CH:C-C0,H. 


CH, .  CH(OH)^  (.  jj .  CO,H-H,0>  ^^jj 

Die  Frage  nach  der  Constitution  der  Angelicasäure  ist  dagegen  noch 
eine  offene.  Mehrere  Beobachtungen  weisen  darauf  hin,  dass  zwischen 
den  beiden  Säuren  die  gleichen  Beziehungen  wie  zwischen  den  beiden 
Crotonsäuren  bestehen,  so  zwar,  dass  die  Angelicasäure  der  Isocroton- 
säure,  die  Tiglinsäure  der  festen  Crotonsäure  entspricht.  Angelicasäure 
ist  nämlich  leicht  in  Tiglinsäure  überfuhrbar  ^;  durch  etwa  40  stündiges 
Kochen  unter  ßückfluss  wird  sie  vollständig  umgelagert,  durch  Erhitzen 
im  zugeschmolzenen  Rohr  auf  300*^  innerhalb  zwei  Stunden,  durch  con- 
centrirte  Schwefelsäure  schon  bei  100^.  Bei  der  Einwirkung  von  Brom 
auf  Angelicasäure  entsteht  femer  als  Hauptprodukt  dasselbe  Dibromid, 
welches  die  Tiglinsäure  liefert^.  Auch  hier  steht  man  also  vor  der  Alter- 
native, entweder  für  beide  Säuren  gleiche  Structur,  aber  verschiedene 
räumliche  Configuration,  oder  im  Molectil  der  Angelicasäure  eine  ihren 
Ort  sehr  leicht  wechselnde  Doppelbindung  anzunehmen. 

Während  durch  Einwirkung  von  Bromwasserstoff  aus  beiden  Säuren 
der  Hauptmenge  nach  ein  und  dasselbe  Additionsprodukt  entsteht*,  bildet 
Jodwasserstoff  mit  jeder  Säure  ein  anderes  Additionsprodukt ^.     In  der 


*  Frankland  u.  Düppa,  Ann.  136,  9  (1865).  —  Rohebeck,  Ann.  188,  235  (1877). 

—  E.  Schmidt  u.  Bebendes,  Ann.  191,  107  (1877).  —  v.  Milleb,  Ann.  200,  265  (1880). 

—  RCrcKER,  Ann.  201,  61  (1877).   —   Wislicenus  u.  Puckert,  Ann.  250,  243  (l88^iU 

«  Demar^ay,  Ber.  9,  1933  (1876).  —  Kopp,  Ann.  195,  90  (1878).  —  Fittio, 
Ann.  259,  6  (1890).  —  Vgl.  auch  E.  Schmidt,  Archiv  f.  Pharm.  229,  68  (1891). 

*  Vgl.  Demarqat,  Compt.  rend.  80,  1400  (1875).  —  Paqenstecber,  Ann.  196, 
122  (1878).  —  E.  Schmidt,  Ann.  208,  253  (1881).  —  Wislicenus  u.  Puckert,  Ann. 
248,  240  (1888).  —  Fittig,  Ann.  259,  1  (1890). 

*  Paoenstecher,  Ann.  195,  109  (1878). 

^  E.  Schmidt,  Ann.  208,  254  (1881).  —   Fittio,  Ann.  216,  161  Anm.  (1882). 


T^linsäure.  507 


Kalischmelze  ^  entsteht  aus  beiden  Säuren  Essigsäure  und  Propion- 
säure. 

Die  Angelicasäure  ist  zuerst  aus  der  Wurzel  von  Angelica  Archangelica  L. 
erhalten*  und  kann  yortheiihaft  daraus  gewonnen  werden'^.  Eine  weitere  Quelle  zu 
ihrer  Gewinnung  bietet  das  Römisch-Kamillenöl,  in  welchem  sie  sich  neben  Isobutter- 
säore  und  TiglinsÄure  in  Gestalt  von  Estern  findet*.  Sie  bildet  farblose  Krystalle 
vom  Schmelzpunkt  45^,  siedet  bei  185®,  riecht  gewürzhaft  und  ist  in  kaltem  Wasser 
schwer  löslich.  —  Ihr  Aethjlester  CgHyOj'CjHg  ist  flüssig,  siedet  bei  141-5®  und 
besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  0-935. 

Die  Tiglinsftnre  (a-Methvlcrotonsäure)  kann  ebenfalls  aus  dem  Kömisch- 
Kamillenöl  (s.  oben)  gewonnen  werden.  Sie  findet  sich  femer  neben  anderen  Säuren 
als  Glycerid  im  Crotonöl*;  zugleich  mit  Angelicasäure  wird  sie  aus  Bestandtheilen 
der  Sumbul Wurzel  durch  Spaltung  mit  alkoholischem  Kali  erhalten*.  Zu  ihrer  Dar- 
stellung verfährt  man  zweckmässig  in  ähnlicher  Weise,  wie  bei  der  Darstellung  der 
festen  Grotonsäure  (vgl.  S.  503),  indem  man  statt  des  Acctessigesters  den  Methylacet- 
essigesfer  als  Ausgangspunkt  nimmt': 

CH,.C0.CH.C0,.C,H5     -V     CH8.CH(0H).CH.C0,H     ->-     CH,.CH:CH.CO,H 

I  I  I  • 

CHg  CHj  CII3 

Die  Tiglinsäure  bildet  wasserhelle  Krystalle,  schmilzt  bei  65®,  siedet  bei  198-5®,  riecht 
angenehm  gewürzhaft  und  löst  sich  ziemlich  schwer  in  kaltem,  reichlich  in  heissem 
Wasser  auf.  Mit  Wasserdämpfen  ist  sie  ebenso  wie  die  Angelicasäure  leicht 
flüchtig.  —  Ihr  Aethylester  CsHyOs-CaHg  siedet  bei  152®  und  besitzt  bei  0®  das 
spec  Gew.  0-942. 

SSnren  C^Hj^jOg  bis  CioHigOg.  Unter  ihnen  ist  zunächst  eine 
Reihe  von  Säuren  analoger  Structur  hervorzuheben,  welche  vermittelst 
der  S.  490  besprochenen  Reaction  —  Einwirkung  von  Aldehyden  auf  bern- 
steinsaures Natrium  in  Gegenwart  von  Essigsäureanhydrid  —  gewonnen 

sind: 

Sdpkt. 
Hexylensäure*         (aus  Propionaldehyd):  C^U^  - CH  :  CH  •  CH,  -  COjH    208 ® 

Heptylensäure »      (  „     norm.  Butyraldehyd) :   C2H5  •  CH,  •  CH  :  CH  ■  CH,  •  CO,H    227  ® 
Isoheptylensäure »®  (  „    Isobutyraldehy  d) :  (CH,),CH.CH  :  CHCHjCOjH    217® 


*  Chiozza,  Ann.  86,  261  (1853).    —    Dsmab^at,  Compt.  rend.  80,  1400  (1875). 

—  Frakkland  u.  Düppa,  Ann.  136,  11  (1865).  —  £.  Schmidt  u.  Bekenoes,  Ann.  191, 
113  (1877). 

>  BuoHKEB,  Ann.  42,  226  (1842). 

*  H.  Metek  u.  Zenker,  Ann.  55,  317  (1845).  —  E.  Schmidt,  Ann.  208,  250  (1881). 

*  Gerhardt,  Ann.  67,  237  (1848).    —     B.  Jaffa,  Ann.  135,  291  (1865).    — 
H.  Kopp,  Ann.  195,  81  (1879).  —  Köbio,  ebenda  92.   —  Paqenstecher,  ebenda  108. 

—  WisLicENUS  u.  Puckert,  Ann.  250,  241  (1888).  —  Pittig,  Ann.  259,  29  (1890).  — 
BfiLSTEiN  u.  WiEOAND,  Ber.  17,  2261  (1884). 

*  Geüthsr  u.  Fröhlich,  Ztschr.  CJhem.  1870,  551.    —   E.  Schmidt  u.  Behendes, 
Ann.  191,  94  (1877). 

*  E.  Schmidt  u.  Sasse,  Jb.  1886,  1356. 

'  Bohrbeck,  Ann.  188,  235  (1877).    —  Wislioenus  u.  Puckert,  Ann.  250,  243 
(1888). 

*  Dbuslb,  Ann.  255,  61  (1889).  ®  Schmidt,  ebenda,  77. 
^®  Zanner,  ebenda,  91. 


508  A^'^' Satiren  (Hydrosorbinsäure). 


Sdpkt 
Isoctylensäure '       (aus  Valeraldehyd) :  C4H«  •  CII :  CH  •  CH.  •  CO,H      232  * 

Decylensäure "        (  „     Oenanthol) :  CgHig  •  CH :  CH  •  CHj  •  COjH 

Schmelzpunkt  +  10^ 

Warum  für  die  ßeihe  dieser  sämmtlich  noch  mit  Wasserdampf  leicht 
flüchtigen  Säuren,  deren  Anfangsglied  die  Aethylidenpropionsäure  (S-  505; 
dai-stellt,  die  Doppelbindung  in  /9-/-Stellung  befindlich  anzunehmen  ist 
wurde  bereits  S.  490  auseinander  gesetzt.  Alle  diese  Säuren^  addiren 
sehr  leicht  BromwasserstofiF  derart,  dass  das  Bromatom  in  die  /-StelluDg 
tritt;  es  zeigt  sich  dies  darin,  dass  die  gebromten  Säuren  beim  Erwärmen 
mit  Wasser  glatt  in  y-Lactone  übergehen: 

CsHfi.CHiCHCH^.COOH  +  HBr      =      CHs.CHBrCHj.CH^CO.OH, 
CjHsCHBrCHj.CHj.CO  —  HBr      =      C,Hg.CH.CH,.CH,.CO. 


OH  O 

In  letztere  lassen  sich  die  ungesättigten  Säuren  auch  direct  durch  kurzo 
Erwärmen  mit  massig  verdünnter  Schwefelsäure  umwandeln  (vgl.  S.  494). 
Die  einfachste  Säure  dieser  ß-y -Reihe  wäre  die  Vinylessigsäure  CHjiCH- 
CH3  -COgH ;  von  einer  Säure  dieser  Constitution  müsste  man  ein  analoges  Ver- 

CHj.CHg.CH^CO 
halten,  d.  h.  die  leichte  Ueberführbarkeit  in  Butyrolacton 

0 

erwarten.  Dass  für  die  sich  ganz  anders  verhaltenden  Crotonsäureu  die 
Constitution  der  Vinylessigsäure  verworfen  wurde,  wird  nach  diesen  Er- 
fahrungen noch  mehr  berechtigt  erscheinen  (vgl.  S.  498 — 501). 

Die  in  obiger  Zusammenstellung  zuerst  aufgeführte  Hexylensäure  C,H5*GH:GH- 
CH2*C0,H  hat  sich  als  identisch  erwiesen  mit  einer  Säure,  welche  zuerst  durch  Be- 
duction  von  Sorbinsäure  (vgl.  S.  518)  erhalten  und  daher  HydrosorblnsSnre*  ge- 
nannt wurde.  Sie  liefert  in  der  Kalischmelze  Buttersäure  und  Essigsäure  —  eines 
jener  Beispiele,  aus  denen  hervorgeht,  dass  aus  dem  Verhalten  in  der  Kaliachmelze 
nicht  die  Stellung  der  Doppelbindung  abgeleitet  werden  darf  (vgl.  S.  494).  Doch 
erklärt  sich  dieses  Verhalten  leicht  durch  die  Beobachtung,  dass  die  Hydrosorbin- 
säure schon  durch  längeres  Kochen  mit  Natronlauge  in  die  isomere  Säure  C^H^- 
CHj.CH-.CH.COjH  (lange  glänzende  Nadeln,  Schmelzpunkt  83.5«,  Siedepunkt 
216°)  übergeführt  wird.  —  Der  Aethylester  der  Hydrosorbinsäure  CgHjOj-CjHi 
siedet  bei  166— 167  ^ 

Interesse  verdienen  femer  zwei  Säuren,  welche  zu  den  Terpenen  in  Beziehung 
stehen.  Durch  Oxydation  von  Terpentinöl  entstehen  unter  anderen  Säuren  zwei 
Lactonsäuren :  Terebinsäure  C7H10O4  und  Terponylsäure  CgHuO^.  Diese  Säuren  ver- 
lieren bei  der  trockenen  Destillation  ein  Molecül  Kohlensäure,  um  in  Säuren  der 
Oelsäure-Reihe  überzugehen: 

aus  Terebinsäure    C7H10O4  wird  Brenzterebinsäure  CgHioO, , 
„    Terpenylsäure  CgHijO^     „     Terakrylsäure        CyHjjO,. 

^  ScHNEEQANs,  Auu.  255,  103  (1889).  '  Sohneboans,  Ann.  227,  90  (18v^5). 

'  FiTTiG,  Ann.  255,  11  (1889). 

*  FiTTiQ  u.  Baeringer,  Auu.  161,  307  (1872).  —  Kachel  u.  Pittio,  Ann.  168, 
289  (1873).  —  FiTTiQ,  Ann.  200,  42  (1879).  —  Fittig  u.  Delisle,  Ann.  255,  64 
(1889).  —  Fittig,  Ber.  24,  83  (1891). 


Brenxterebinsäure  und  Terakrylsäure.  509 


Die  BrenztereblnsSure  ^  Celiio^a  bildet  eine  farblose  Flüssigkeit,  erstarrt  bei 
— 15**  nicht,  ist  leichter  als  Wasser,  darin  schwer  löslich  und  besitzt  einen  eigen- 
thümUehen,  etwas  scharfen  Geruch.  Durch  Reduction  mit  Jodwasserstoff  liefert  sie 
Isocapronsaure  (CHalaCH-CHj'CHg'COall,  woraus  sich  die  Structur  ihres  Kohlenstoff- 
skeletts ergiebt;  in  der  Kalischmclze  zerMlt  sie  in  Essigsäure  und  Isobuttersäure. 
Sehr  bemerkenswerth  ist  die  ausserordentliche  Leichtigkeit,  mit  welcher  sie  in  das 
ihr  isomere  Isocaprolacton 

yC — CHg — CHj 
CH3/  I 

0 CO 

übergeht;  diese  Umwandlung  erfolgt  in  beträchtlichem  Umfang  schon  bei  einmaliger 
Destillation,  daher  erhält  man  bei  der  Destillation  der  Tercbiusäure  stets  ein  Ge- 
misch von  Brenzterebinsäure  und  Isocaprolacton;  bei  längerem  Erhitzen  auf  den  Siede- 
punkt ist  sie  volktändig.  Auch  Brom  Wasserstoff  bewirkt  die  Umwandlung  glatt  und 
quantitativ.  Zur  Erklärung  dieses  Uebergangs  muss  man  für  die  Brenzterebinsäure 
eine  der  beiden  Structurformeln: 

CH  CH 

'\C  :  CII  -CHj .  CO .  OH         oder  ^'^C  •  ClI^  •  CH,  •  CO  •  OH 

CH/  CH/ 

annehmen.  Auch  hier  also  erweist  sich  die  Kalischmelze  (vergl.  S.  508)  als  ungeeig- 
nete Grundlage  zur  Constitutionsbestimmung,  da  aus  ihr  die  Formel  (CH3)2CH- 
CH:CH»CO,H  abgeleitet  werden  müsste. 

Terakrylsäure'  CrlliaO,  bildet  eine  farblose  Flüssigkeit,  erstarrt  nicht  in  einer 
Kältemischung,  siedet  bei  218*^,  ist  leichter  als  Wasser,  darin  wenig  löslich;  ihr  Ge- 
ruch erinnert  an  den  der  Valeriansäure  und  Capronsäure,  ist  aber  angenehmer.  Durch 
Bromwasserstoff  wird  sie  leicht  unter  intermediärer  Bildung  eines  Additionsprodukten 
in  das  isomere  Heptolacton  verwandelt.  Ihr  Aethylester  CyHnOj'CjHg  siedet  bei 
189-191  <>. 

Eine  normale  Undeeylensäure^  CJ^HgoOg  lässt  sich  leicht  durch 
Destillation  von  Ricinusöl  unter  schwachem  Druck  gewinnen  (vgl.  S.  409); 
man  erhält  ein  farbloses  öliges  Destillat,  daneben  wenig  einer  wässrigen 
Flüssigkeit,  während  der  Rückstand  in  der  Retorte  zu  einer  schwam- 
migen Masse  erstarrt;  das  Oel  lässt  sich  leicht  durch  fractionirte  Destil- 
lation im  Vacuum  in  Oenanthol  (ca.  IS^o  ^^^  angewendeten  Ricinus- 
öls)  und  die  viel  höher  siedende  Undecylensäure  (ca.  10  ^q)  zerlegen. 
Letztere  Säure  wird  durch  diese  Bildungsweise  wohl  das  am  leichtesten 
in  grösseren  Quantitäten  zugängliche  Glied  der  Oelsäure-Reihe.  Sie  er- 
starrt bei  Zimmertemperatur  krystallinisch,  schmilzt  bei  24-5®,  siedet 
bei  gewöhnlichem  Druck  unter  Zersetzung  bei  275®,  unter  100  mm  Druck 
unzersetzt  bei  213-5*^  und  besitzt  bei  25°   das  spec.  Gew.  0-910.     Ihr 


*  Chaütard,  Jb.  1855,  652.  —  Mielck,  Ann.  180,  51  (1875).  —  W.  C.  Williams, 
Ber.  e,  1095  (1873).  —  Fittiq  u.  Bredt,  Ann.  200,  58,  259  (1879).  —  Fittiq  u. 
Geisleb,  Ann.  208,  37  (1881).  —  Fittig,  ebenda,  119. 

"  Ptttio  u.  Krafpt,  Ann.  208,  79  (1881).  —  Amthob,  Jb.  1881  760.  — 
Amthor  o.  Müller,  J.  pr.  |2|  42,  388  (1890). 

»  Krafit,  Ber.  10,  2034  (1877);  11,  2218  (1878)-,  12,  1668  (1879).  —  Becker, 
Ber.  11,  1412  (1878).  —  Noerdlinoer,  Ber.  23,  2357  (1890).  —  Bbünner,  Ber.  19, 
2224  (1886).  —  Perkin,  Joum.  Soc,  49,  205  (1886). 


Ündecytensäure, 


lz{CjjH,gOa)jBa  bildet  glänzende  flache  Krj-ställchen  und  er- 
15-5"  1073  Th.  Wasser  zur  Lösung.  Durch  die  Kalischmelze 
udecylensäure  in  Essigsäure  und  normale  Nonylsäure  zerlegt, 
etersäure  zu  einer  zweibasischen  Säure  mit  10  C-Atomeu  — 
isäure  CgH,g(COjH),  —  oxydirt,  durch  Jodwasserstoff  zu  nor- 
icylsäure  reducirt.    Durch  diese  Keactionen  wird  die  Stnietur- 

CH,:CH(CH,ljCO,H 
icheinlich.    —   Der   Undecylensäureäthylester   CjjHj,0,' 
n  farbloses  Oel  von  quittenäbulichem  Geruch,  siedet  bei  259" 
,  bei  25"  das  spec.  Gew.  0-877. 

idecjlensäure  wird  unter  dem  Einfluss  höherer  TemperatureD  polymeri- 
man  sie  im  geschlossenen  Kohr  einige  Stunden  Über  SOO"  und  deetillirt 
hreuinhalt  im  Vftcuum,  so  erhält  man,  nacbdem  unveränderte  Undecylen- 
gangen  ist,  Biundecylensfinre  C„H„0,  —  eine  einbasische  Säare. 
chwachem  Weingeist  in  der  Kälte  krystaliisirt,  bei  29  —  30°  schmilzt  und 
I  Druck  bei  275°  siedet  — ,  während  im  Rückstand  ein  kautschuckahn- 
kt  —  vcrmuthlich  eine  Polyundecjlcnsfture  —  bleibt.  Zur  Biundecjlen- 
t  man  auch  auf  einem  anderen  Wege;  sie  entsteht  aus  der  durch  Addition 
üratoff  an  Undecylensäure  gebildeten  Monojodundei^lsfiure: 
:H,J.C1I,-(CH,),.C0,H  oder  CH.CHJ  (CH,)gCO,H 
kung  auf  uudecjlenaaures  Silber.    Hieraus  ergicbt  sich  eine  der  Formeln: 

CII,:CH-(CH,),.CO-OCH,CH,.tCH,)g-CO,H 
oder        OH,:CH(CH,),-CO-0-CH-tCH,),CO,H 
I 
CH, 

:  für  die  Structur  der  BiundecjleoBäiire.  Der  Pol/merisationsproccss  cr- 
^li  derart,  dass  die  Doppelhindung  in  einem  Moiccül  Undecylcnsäure  ge- 
ilem die  Elemente  der  Carboij'K'^PP^  ^''^  einem  zweiten  Molecul  addirt 

re  Glieder  (Oelstture).  Im  Gegensatz  zu  der  grossen  Zahl  von 
,  welche  man  in  der  Natur  verbreitet  gefunden  hat,  ist  man  ver- 
isig  wenigen  Gliedern  der  Oelsäuregruppe  bei  der  Untersuchung 
itolfen  begegnet.  Von  der  6.  bis  24.  Reibe  konnten  wir  — 
geraden  Zahl  zur  nächsten  vorschreitend  —  in  der  Gruppe 
iren  stets  eine  wohlcharakterisirte,  aus  Naturprodukten  isolirte 
ihren  (vgl.  S.  334—338).  Ueber  das  natürliche  Vorkommen 
iren  der  6.  bis  17.  Reihe  dagegen  liegt  nur  eine  kleine  Zahl 
ihtungen  vor,  die  zudem  noch  keineswegs  als  sicher  l>ezeichnct 
nuen.  Säuren  der  6.  bis  8.  Reihe  scheinen  in  kleiner  Menge 
51  enthalten  zu  sein',  eine  Säure  der  15.  Reihe  {Cimiciii- 
jHjgOj)  soll  von  der  grauen  ßlattwanze  abgesondert  werden, 
tier  untersucht  ist  früher  eine  aus  dem  Oel  der  Erdnuss  {Ara- 

'FT  u.  Th.  BatraMEB,   Ber.  17,   2985  (1884).  —  Ph.   Brdknbr,   Bei.   19, 

IDT  u.  Berbkdbs,  Ann.  191,  121  (1877). 
US,  Ann.  U4,  147  (1880). 


Oelsäure.  511 


"his  hypogaea)  gewinnbare  und  daher  Hypogaeasäure^  genaimte  Säure, 
Für  welche  man  die  Zusammensetzung  Cj^Hg^Og  ermittelt  hatte;  nach 
LMuer  neueren  Untersuchung^  indess  ist  dieses  der  Palmitinsäure  ent- 
sprechende Glied  der  Oelsäure-Reihe  im  Erdnussöl  nicht  enthalten.  Auch 
aus  dem  Wallrathöl  ist  einmal  eine  Säure  Cj^HgoOg  (Physetölsäure) 
abgeschieden^,  ohne  dass  seither  diese  Beobachtung  bestätigt  wurde. 
Neuerdings  ist  eine  flüssige  Säure  dieser  Zusammensetzung  als  Glycerid 
in  dem  Oel,  mit  welchem  die  Lycopodiumsporen  durchtränkt  sind,  auf- 
gefunden und  daher  Lycopodiumölsäure*  genannt  worden;  da  sie  in 
der  Kälischmelze  neben  Laurinsäure  Isobuttersäure,  bei  der  Oxydation 
unter  anderen  Säuren  eine  Isocapronsäure  lieferte,  so  kommt  ihr  jeden- 
falls nicht  normale  Structur  zu. 

Erst  in  der  achtzehnten  —  also  der  Stearinsäure  entsprechenden  — 
Reihe  tritt  uns  eine  Säure  entgegen,  welche  von  der  Natur  in  allergrösstem 
Massstab  producirt  wird.   Es  ist  dies  die  eigentliche  Oelsäure  CJigHj^Og 
(auch  Oleinsäure,  Elalnsäure  genannt),  welche  der  ganzen  Reihe  den 
Namen  gegeben  hat.    Wie  schon  S.  336  bemerkt  wurde,   bildet  ihr  Gly- 
terinester  (Olein)  einen  Bestandtheil  der  meisten  pflanzlichen  und  thieri- 
schen  Fette;  beim  Verseifen  der  Fette  erhält  man  daher  in  der  Regel  ein 
Siiuregemenge,  welches  neben  den  festen  höheren  Fettsäuren  die  flüssige 
Oelsäure  in  mehr  oder  weniger  hervorti'etender  Menge  enthält.    Schon  von 
('hevreül  ist   im  Laufe   seiner  Untersuchungen   über  die  Fette  am  Be- 
ginn unseres  Jahrhunderts  die  Oelsäure  entdeckt  worden;   doch  ist  ihre 
wahre  Zusammensetzung   erst   1846    durch    eine   sehr  sorgfältige   Unter- 
suchung von  Gottlieb  ^  festgestellt. 

Zur  Darstellung**"'  der  Oelsäure  wird  man  naturlich  von  Fetten   ausgehen, 

die  möglichst   reich    an    Olein   sind;    es   sind  dies   die  flüssigen   oder  halbilüssigen 

Fette.  Mandelöl,  Olivenöl,  Schweineschmalz  sind  als  Ausgangsmaterialien  empfehlens- 

werHi.    Man  verseift  die  Fette  mit  Kalilauge  und  zersetzt  den  klaren  Seifenleim  mit 

Salzsaure;   das  so  erhaltene  Gemenge  von  Fettsäuren  und  Oelsäure  wird  bei  100^ 

uu>lirere  Stunden    mit  Blcioxyd  behufs  Ueberfuhruug  in   die  Bleisalze    digerirt.     Im 

(ifgensatz  zu  den  ßleisalzen    der  Fettsäuren  ist  nun  das   Ölsäure  Blei- 

(>xyd  in  Aether  leicht  löslich,   und  daher  kann  man  durch  Extraction  des  Blei- 

^alzgomischcs   mit  kaltem  Aether    leicht  die  Trennung  bewirken ;    auch    unter   An- 

wi'ndung  von  Alkohol  (spec.  Gew.  0-82)  kommt    man  bei  Einhaltung  gewisser    Be- 

«lingungen*  zum  Ziel.   Die  aus  dem  Ölsäuren  Bleioxyd  durch  Salzsäure  abgeschiedene 

rohe  Oelsäure  bedarf  noch  einer  weiteren  Reinigung.     Man  verwandelt  sie  entweder 

iu  (Ins  Bariumsalz,  reinigt  dieses  durch  Krystallisation  aus  Alkohol  mittlerer  Stärke 

und  scheidet  die  Säure  dann  aus   dem  Bariumsalz  wieder  ab;    oder  man  lässt  die 

rohe  Oelsäure  bei  etwa  —6  bis  — 7  °  erstarren,  entfernt  die  flüssig  bleibenden  schmie- 

*  GossMANx  u.  ScHEVEN,  Ann.  94,  230  (1855).  —  Caldwell  u.  Güssmann,  Ann. 
Öö,  305  (1856).  —  Schröder,  Ann.  143,  22  (1867). 

*  Schön,  Ann.  244,  253  (1887).  »  Hopstädter,  Ann.  91,  177  (1854). 

*  Lanokr,  Ber.  22  o,  341,  835  (1889).  »  Ann.  57,  38. 

*  Varrektrapp,  Ann.  35,  197  (1840). 

'  Besediet  u.  Hazuka,  Monatsh.  10,  356  (1889). 

*  Saukdebs,  Jb.  1880,  831. 


512  Oelsäure. 


rigen  Verunreinigungen  durch  Abpressen  in  der  Kälte  und  wiederholt  dieses  Ver- 
fahren —  zuletzt  unter  Zusatz  einer  geringen  Menge  Alkohol  —  so  oft,  bis  die  ab- 
gepresste  Säure  rein  weiss  erscheint  und  —  im  Kohlensäurestrom  getrocknet  —  einen 
Schmelzpunit  von  +14^  zeigt.  —  In  ähnlicher  Weise  kann  man  die  käufliche,  bei 
der  Stearinfabrikation  abfallende  Oelsäure  auf  reine  Oelsäure  verarbeiten. 

Die  reine  Oelsäure  stellt  bei  gewöhnlicher  Temperatur  eine  wasser- 
helle fai'blose  Flüssigkeit  von  ölartiger  Consistenz  ohne  Genich  und  Ge- 
schmack dar  und  röthet  in  alkoholischer  Lösung  nicht  blaues  Lakmiis- 
papier.  An  der  Luft  aber  oxydirt  sie  sich  leicht,  indem  sie  sich  bräunt, 
saure  Reaction  und  ranzigen  Geruch  annimmt.  In  der  Kälte  erstarrt 
sie  zu  einer  weissen  harten  krystallinischen  Masse,  welche  bei  -f  14'^ 
wieder  schmilzt.  Unter  gewöhnlichem  Druck  kann  sie  nicht  unzersctzl 
destillirt  werden.  Unter  einem  Druck  von  10  mm  liegt  ihr  Siedepunkt^ 
bei  223^;  im  überhitzten  Wasserdampfstrom  von  250^  kann  sie  ebenfalls 
ohne  Zersetzimg  destillirt  werden  ^. 

Salze  der  Oelsäure^:  Die  Alkalisalze  bilden  Bestandtheile  der  Seifen  (vgl 
S.  337)  und  ähneln  den  Alkalisalzen  der  höheren  Fettsäuren;  sie  lösen  sich  im 
Wasser  und  Alkohol  und  werden  aus  der  wässrigen  Lösung  durch  Kochsalz  abge- 
schieden. —  Das  Bariumsalz  (CigHggOg)9Ba  erhält  man,  wenn  man  Tlie  ammoniaka- 
lische  Lösung  der  Oelsäure  mit  Chlorbarium  fällt,  als  voluminösen  weissen  Nieder- 
schlag, durch  Krystallisation  aus  Alkohol  als  lockeres  krystallinisches  Pulver.  —  Das 
neutrale  Bleisalz  (Ci8Hs302),Pb  erhält  man  durch  Fällung  einer  Lösung  von  ölsaurem 
Natrium  mit  Bleiacetat  als  weissen  flockigen  Niederschlag;  es  schmilzt  schon  bei  etwa 
80°  zu  einer  gelben  Flüssigkeit. 

Der  Aethylester*  ist  ein  Oel,  welches  bei  18°  das  spec.  Gew.  0*871  besitzt. 
Von  wässrigen  Alkalien  wird  er  nicht,  von  alkoholischen  Alkalien  sehr  leicht  verseit). 

Die  Constitution  der  Oelsäure  ist  noch  nicht  vollständig  aufgeklärt. 
Mit  Sicherheit  kann  man  behaupten,  dass  ihr  Molecül  eine  normale  Kette 
von  18  Kohlenstoflfatomen  enthält;  denn  sie  wird  durch  Erhitzen  mit  Jod- 
wassei-stoff  und  Phosphor  unter  Au&ahme  von  zwei  WasserstoflFatomen 
zu  gewöhnlicher  Stearinsäure  reducirt*^.  Ihr  gesammtes  Verhalten  weist 
ferner  auf  das  Vorhandensein  einer  Doppelbindung  hin;  sie  nimmt  Bnmi 
unter  Bildung  eines  Dibromids  G^qE^^Bt^O^  (Dibromstearinsäure)  auf®: 
von  Kaliumpermanganat  in  alkalischer  Lösung  wird  sie  zu  einer  Dioxy- 
stearinsäure  oxydirt^  (vgl.  S.  493);  mit  concentrirter  Schwefelsäure®  ver- 
einigt sie  sich  zu  Stearinschwefelsäure  Ci7H^4(SO^H)-C03H,  welche  beim 
Stehen  in  wässriger  Lösung,  rascher  beim  Kochen,  unter  Abspaltung  des 


^  Krafft  u.  NöRDLiNGEB,  Bcr.  22,  819  (1889). 
'  BoLLET  u.  BoRGMANN,  Ztschr.  Chcm.  1866,  186. 

*  Vgl.  Vakbentrapp,  Ann.  35,  202  (1840).  —  Gottlieb,  Ann.  57,  45  (1846).  - 
Schön,  Ann.  244,  264  (1887). 

*  Laurent,  Ann.  28,  253  (1837). 

^  GoLDsoHMiEDT,  Jb.  1876,  579.  —  Vgl.  auch  de  Wilde  u.  Rey^chlsr,  Bull.  [3 
1,  295  (1888). 

*  Overbbck,  Ann.  140,  42  (1866).  »  A.  Saytzew,  J.  pr.  [2]  33,  300  (1886). 
®  Ssabanejbw,  Ber.  19c,   239  (1886).  -—  M.  C.  u.  A.  Saytzeff,  J.  pr.  [2]  36, 

369  (1887).  —  Gettel,  J.  pr.  [2]  37,  62  (1887). 


Eldidinsäure  und  IsoÖlsäure.  513 


ächwefelsäurerestes  in  Oxystearinsäure  (bezw.  deren  Anhydiide)  übergeht. 
A.ber  an  welcher  Stelle  der  Kohlenstoffkette  die  Doppelbindung  anzu- 
nehmen ist,  lässt  sich  zur  Zeit  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.  Aus 
dem  Umstand,  dass  die  Oelsäure  durch  die  Kalischmelze ^  in  Palmitin- 
ääure  und  Essigsäure  gespalten  wird,  hat  man  firtiher  die  Structurformel 
CH3-(CHj)j^-CH:CH-C0jH  abgeleitet,  welche  bis  vor  wenigen  Jahren 
als  sicher  begründet  galt.  Heute  darf  man  diesem  Schluss  kein  Vertrauen 
mehr  entgegenbringen  (vgl.  S.  494,  508,  509);  neuere  Autoren*  plaidiren 
luT  die  Formel  CHg-CCHj^j-CH :  CHCHjCOjH.  Die  Beobachtungen  da- 
gegen, welche  bei  der  Oxydation  der  aus  dem  Oelsäuredibromid  durch 
Bromwasserstoff-Entziehung  entstehenden  Stearolsäure  gemacht  sind  (vgl. 
S.  519 — 520),  würden  am  besten  erklärt,  wenn  man  die  Doppelbindung 
gerade  in  der  Mitte  der  Kette  —  entsprechend  der  Formel: 

CHj .  (CH,)y .  CH :  CH  •  (CH,),  •  CO.H 

—  befindlich  annähme. 

Höchst  bemerkenswerth  ist  die  Umwandlung,  welche  die  Oelsäure  in 
Berührung  mit   salpetriger  Säure  erfährt;   sie  verwandelt   sich   in   eine 
weisse  krystallinische  Masse;  sehr  geringe  Mengen  salpetriger  Säure  ge- 
nügen, um  grosse  Quantitäten  Oelsäure  in  dieser  Weise  zu  verändern. 
Das  Umwandlungsprodukt    ist    eine    der   Oelsäure   isomere   Säure,    die 
ElaldinsSure^  ^la^i^a?  welche  aus  Alkohol  in  grossen  Blättern  krystal- 
lisirt,  bei  45 — 41^  schmilzt  und  unter  einem  Druck  von  10  mm  bei  225^ 
siedet    Sie  ist  ebenfalls  eine  ungesättigte  Säure  von  nonnaler  Structur. 
Von  Jodwasserstoff  und  Phosphor  wird  sie  zu  Stearinsäure  reducirt,  Brom 
addirt  sie  unter  Bildung  einer  Dibromstearinsäure,  von  alkalischer  Per- 
manganaÜösung  wird  sie  zu  einer  Dioxystearinsäure  oxydirt;  die  letzteren 
beiden  Eeactionsprodukte  sind  verschieden  von  den  in  analoger  Weise 
aus  der  Oelsäure  hervorgehenden  gleich  zusammengesetzten  Verbindungen. 
In  der  EaUschmelze  liefert  sie  Essigsäure  und  Palmitinsäure.     Die  Er- 
klärung für  die  Umwandlung  der  Oelsäure  in  Elaldinsäure  kann  man  in 
einer  Verschiebung  der  Doppelbindung  oder  in  einer  Veränderung  der 
räumlichen  Atomgruppirung  suchen. 

Zu  der  seit  langer  Zeit  bekannten  Elaldinsäure  haben  neuere  Unter- 
suchungen eine  zweite  feste  ungesättigte  Säure  der  18.  Reihe  gesellt, 
welche  ebenfalls  durch  Umwandlung  der  gewöhnlichen  Oelsäure  erhalten 
werden  kann,  die  IsoSlsSure^  CjgHg^Oj.  Wenn  man  die  aus  Oelsäure 
durch  Einwirkung  concentrirter  Schwefelsäure  erhältliche  Oxystearinsäure 

^  Vabsentrafp,  Ann.  36,  209  (1840). 

'  M,  C.  u.  A.  Saytzew,  J.  pr.  [2]  36,  389  (1887).  —  Benedikt,  Monatsh.  11, 
83  (1890). 

•BoüDBT,  Ann.  4,  1  (1882).  —  Laurent,  Ann.  28,  253  (1837).  —  H.  Meter, 
Ann.  35,  174  (1840).  —  Gottueb,  Ann.  57,  52  (1846).  —  Büro,  J.  pr.  93,  227  (1864). 
-  OvERBBCK,  Ann.  140,  61  (1866).  —  Goldschmiedt,  Jb.  1876,  579.  —  Saytzew, 
^'  pr.  [2]  33,  300  (1886).  —  Krafpt  u.  Nördlinqer,  Ber.  22,  819  (1889). 

*  M.  C.  u.  A.  Saytzew,  J.  pr.  [2]  35,  385  (1887);  37,  269  (1888). 
^.  Mbtkr  u.  Jacobson,  org.  Chem.    I.  33 


514  Erucasäure  und  Brassidinsäure. 


(vgl  S.  512 — 513)  unter  einem  Druck  von  100 — 150  mm  für  sich  destillirt. 
ebenso  wenn  man  die  durch  Anlagerung  von  Jodwasserstoff  an  Oelsäure 
entstehende  Jodstearinsäure  mit  alkoholischem  Kali  kocht,  so  wird  —  im 
ersten  Fall  durch  Abspaltung  von  Wasser,  im  zweiten  Fall  von  Jod- 
wasserstoff —  unter  theilweiser  Rückbildung  von  gewöhnlicher  Oelsäure 
in  erheblicher  Menge  die  feste  isomere  Säure  gewonnen.  Offenbar  be- 
steht der  Vorgang  darin,  dass  die  Abspaltung  der  Elemente  aus  der  ge- 
sättigten Verbindung  theilweise  in  anderer  Richtung,  als  die  Anlagerung 
an  die  ungesättigte  Verbindung  erfolgt,  dass  sich  demnach  die  Doppel- 
bindung um  ein  Glied  in  der  Kohlenstoff  kette  verschiebt: 

....  CH]  —  CH — CH  ....  -I-  HjO     =     ....  Cxij  —  CH(OH)  —  CHj  . . . ., 
....  CHg  —  CH(OH)  —  CHj ....  —  HjO     =     ....  CH — CH  —  CHj  .... 

Die  IsoÖlsäure  krystallisirt  aus  Aether  in  farblosen  rhombischen  Tafeln, 
schmilzt  bei  44 — 45*^,  ist  in  Alkohol  sehr  leicht,  in  Aether  schwerer 
löslich.  Gleich  der  Oelsäure  und  Elaldinsäure  zerfällt  sie  durch  die 
Kalischmelze  in  Essigsäure  und  Palmitinsäure.  Die  Addition  von  Brom 
führt  zur  Bildung  einer  Dibromstearinsäure,  die  Oxydation  mit  alkalischer 
Permanganatlösung  zur  Entstehung  einer  Dioxystearinsäure;  diese  Um- 
wandlungsprodukte sind  verschieden  von  den  entsprechenden  Reactions- 
produkten  der  Oelsäure  und  Elaldinsäure. 

£racasäare  ^  C^gH^gOg  —  eine  Säure,  welche  als  Glycerid  im  fetten 
Oel  des  weissen  und  schwarzen  Senfsamens,  der  Traubenkerne  und  im 
Riiböl  gefunden  wurde,  aus  Rüböl  leicht  gewonnen  werden  kann,  aus 
Alkohol  in  glänzenden  Nadeln  krystallisirt,  bei  +  34*^  schmilzt  und  unter 
10  mm  Druck  bei  254-5®  siedet,  —  steht  in  ihrem  Verhalten  der  Oel- 
säure sehr  nahe.  Ihr  Bleisalz  ist  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  warmem 
Aether  leicht  löslich.  Durch  geringe  Mengen  von  salpetriger  Säure  wird 
sie  in  die  ihr  isomere  Brassldinsfture  umgewandelt,  welche  aus  Alkohol 
in  Blättchen  krystallisirt,  bei  60®  schmilzt,  unter  10  mm  Druck  bei  256® 
siedet,  und  deren  Bleisalz  in  warmem  Aether  schwer  löslich  ist.  Beide 
Säuren  werden  durch  Jodwasserstoff  zu  Behensäure  (vgl.  S.  338)  reducirt 
und  zerfallen  durch  die  Kalischmelze  in  Arachinsäure  und  Essigsäure; 
durch  diese  Spaltung  wird  ihre  normale  Structur  sehr  wahrscheinUch. 
Die  Säuren: 

Erucasäure  Brassidinsäure  Behensäure 

stehen  offenbar  zu  einander  in  derselben  Beziehung  wie  die  Säuren: 
Oelsäure  Elaldinsäure  Stearinsäure. 


»  Darby,  Ann.  69,  1  (1849).  —  Websky,  J.  pr.  58,  449  (1853).  —  Stadelbb, 
Ann.  87,  133  (1853).  —  Otto,  Ann.  127,  182  (1863).  —  Haussknecht,  Ann.  143,  41 
(1867).  —  GoLDSCHMiEDT,  Jb.  1874,  920;  1876,  579;  1877,  728.  —  Fitz,  Ber.  4,442 
(1871).  —  Reimer  u.  Will,  Ber.  19,  3320  (1886).  —  Krafft  u.  Nöbdlinoeb,  Her.  22, 
819  (1889).  —  ÜBWANzopp,  J.  pr.  [2]  39,  334  (1889).  —  GrOssner  u.  Hazüba,  Monatsh. 
10,  196  (1889).  —  Reychlke,  Bull.  [3]  1,  296  (1888). 


Propiolsäure- Reihe.  515 


)urch  Einwirkung  von  Brom  bezw.  durch  Oxydation  mit  Kaliumperman- 
ranat  in  alkalischer  Lösung  liefern  Erucasäure  und  Brassidinsäure  von 
linander  verschiedene  Dibrombehensäuren  bezw.  Dioxybehensäuren. 

Der  Aethylester  C2jH4iOj(C,H5)  der  Eracasäore  ist  ein  Oel,  derjenige  der 
Srassidinsfiore  krystallisirt  aus  Alkohol  in  prachtvollen,  glasglänzenden  Blättern  vom 
khmelzponkt  29 — 30^;  beide  sieden  über  360^  anzersetzt  —  Durch  Einwirkung  von 
Phosphortrichlorid  auf  die  Säuren  erhält  man  ihre  Anhydride  C44H8,0,,  welche  in 
/Alkohol  sehr  schwer,  in  Aether  leicht  löslich  sind;  das  Anhydrid  der  Erucasäure  er- 
stjirrt  erst  in  einer  Kältemischung,  dasjenige  der  Brassidinsäure  schmilzt  bei  28— 
29*^.  —  Beim  Einleiten  von  Ammoniak  in  die  ätherische  Lösung  der  Anhydride  fallen 
die  Amide  aus;  Erucasäureamld  schmilzt  bei  84^,  Brassidinsäureamid  bei  90^. 


n.   Säuren  ron  der  Zusammensetzung  C^EL^^^^Oj. 

(Propiolsäure-Reihe.) 

Die  Reactionen^  welche  den  Uebergang  von  Gliedern  der  Alky- 
lenreihe  zu  solchen  der  Acetylenreihe  mit  gleicher  Kohlenstoflfzahl  ver- 
mitteln, können  auch  benutzt  werden,  um  Säuren  der  Oelsäure-Reihe  in 
Säuren  überzuführen,  die  um  zwei  WasserstoflFatome  ärmer  sind.  Man 
addirt  Brom  und  entzieht  dem  gebildeten  Dibromid  successive  zwei  Mole- 
cüle  Bromwasserstoff,  z.  B.: 

C18H84OJ  4-  Br,     =     CjsHg^BrjOj; 
Ci8H34BrjOj  —  HBr     =     CisHggBrOg,  1 
^isHssBrO,  —  HBr     =     CjgHgjOj.       J 

Die  Reihe  der  Säuren,  welche  zwei  Wasserstoffatome  weniger  als 
die  Oelsäuren  enthalten,  kann  wieder  in  zwei  Gruppen  getheilt  wer- 
den, welche  den  beiden  Hauptgruppen  der  Acetylen- Kohlenwasserstoffe 
(vgl.  S.  458)  entsprechen.  Zur  einen  Gruppe  gehören  die  Säuren,  welche 
eine  dreifache  Bindung  im  Molecül  enthalten;  ihr  erstes  Glied  ist  die 
Säure: 

HCiC-COjH,  Propiolsäure  oder  Acetylencarbonsäure, 

das  Carboxylsubstitutionsprodukt  des  Acetylens.  Die  andere  Gruppe  um- 
fasst  diejenigen  Säuren,  in  deren  Molecül  zwei  Doppelbindungen  vor- 
kommen; die  denkbar  einfachste  Säure  von  solcher  Constitution: 

H3C:C:CH.C03H, 

das  Carboxylsubstitutionsprodukt  des  Aliens,  ist  noch  nicht  bekannt,  viel- 
leictt  auch  nicht  beständig;  zur  Zeit  ist  die  Sorbinsäure  der  einfachste 
Vertreter  dieser  Gruppe. 

Die  Bildungsweisen  dieser  Säuren  bestehen  in  passenden  Modifica- 
tionen  der  Reactionen,  welche  zur  Bildung  von  Fettsäuren  und  Oelsäuren 
mhren,  Speciell  hervorgehoben  sei  die  Synthese  einer  Reihe  von  Säure 
aus  den  einfach  alkylirten  Acetylenen  R-CiCH;  wenn  man  zu  den  unter 
Ä^ether  suspendirten  Natriumverbindungen  dieser  Kohlenwasserstoffe  Koh- 

33* 


516  Propiolsäure, 


lensäure  leitet,  so  wird  letztere  absorbirt,  indem  sich  die  Natriumsalze 
von  Propiolsäure-  Homologen  bilden^,  z.  B.: 

CHj .  C :  CNa  +  CO,     =     CH,  •  C :  C  •  CO.Na. 

Diese  Eeaction  entspricht  offenbar  der  Bildung  von  Fettsäuren  aus  Na- 
triumalkylen  (vgl.  S.  306).  Die  Säuren,  zu  deren  Bildung  sie  fuhrt,  zer- 
fallen ihrerseits  wieder  leicht  durch  Erwärmen  in  Kohlensäure  und  die 
ihnen  zu  Grunde  liegenden  Acetylenkohlenwasserstoffe;  ihre  Silbersalze 
sind  höchst  unbeständig  und  zerfallen  schon  in  der  Kälte  in  Kohlensäure 
und  die  Silberverbindungen  der  entsprechenden  Kohlenwasserstoffe. 

PropioMure»  CgHgOj,  =  CH:C'CO,H  (Propargylsäure,  Aethin- 
carbonsäure,  Acetylencarbonsäure).  Ihr  KaUumsalz  entsteht  aus 
dem  sauren  Kaliumsalz  der  Acetylendicarbonsäure  beim  Erwärmen  in 
wässriger  Lösung  durch  Kohlensäureabspaltung: 

COjH.C  :  C .  CO,K  -  CO,     =     CH :  C .  CO,K. 

Die  freie  Säure  bildet  eine  wasserhelle  Flüssigkeit,  welche  ähnlich  dem 
Eisessig,  jedoch  stärker  riecht,  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  löslich 
ist;  sie  erstarrt  bei  etwa  4^  zu  langen,  seideglänzenden  KrystaUen,  die 
bei  6^  wieder  schmelzen;  imVacuum  kann  sie  ohne  Zersetzung  destillirt 
werden,  bei  gewöhnlichem  Druck  destillirt  sie  grösstentheils  zwischen 
140^  und  145*^  unter  erheblicher  Zersetzung. 

Die  Salze  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  sind  krystallinisch  und  äusserst 
löslich.  Das  Kaliumsalz  G^HO^K  +  KjO  stellt  spitze  Säulen  dar,  verliert  sein 
Krystallwasser  über  Schwefelsäure,  verpufft  bei  t05^  und  wird  bei  längerem  Kochen 
mit  Wasser  unter  Entwickelung  von  Kohlensäure  und  Acetylen  zersetzt: 

2CjH08K  +  H,0     =     KjCOs  +  CO,  +  2CjHj. 

Der  Aethylester  CgHOaCCaHg)  ist  eine  wasserklare  Flüssigkeit  von  starkem 
Geruch,  in  Wasser  unlöslich;  er  siedet  bei  119^  und  wird  durch  Zink  und  Salzsäure 
in  alkoholischer  Lösung  leicht  zu  Prppargyläthyläther  (s.  S.  484)  reducirt 

Die  Propiolsäure  vereinigt  in  sich  die  Eigenschaften  einer  Carbon- 
säure mit  den  charakteristischen  Eigenthümlichkeiten  des  Acetylens.  Das 
Wasserstoflfatom  der  Carboxylgruppe  befähigt  sie  zur  Bildung  von  eigent- 
lichen Salzen;  aber  auch  das  WasserstofiFatom  der  Acetylengruppe  kann  — 
ebenso  wie  im  Acetylen  und  AUylen  (vgl.  S.  456)  —  durch  Metalle  vertreten 
werden.  Es  zeigt  sich  dies  besonders  deutlich  in  der  Fähigkeit  des 
Aethylesters,  mit  ammoniakalischer  Kupferchlortirlösung  eine  Kupferver- 
bindung (von  orangegelber  Farbe)  zu  bilden.  Die  freie  Säure  giebt  mit 
ammoniakalischer  Kupferchlortirlösung  einen  grünen,  bald  sich  bräunen- 
den amorphen  Niederschlag,  mit  ammoniakalischem  Silbemitrat  einen 
krystallinischen   Niederschlag,    der   sich   bald  gelb  färbt;    beide  Nieder- 


^  Laqeruabe,  6er.  12,  853  (1879).  —  Laoebmabk  u.  Eltekow,  Ber.  12,  854 
(1879).  —  Fawobsky,  J.  pr.  [2]  37,  417  (1888). 

■  Bandbowsky,  Ber.  13,  2340  (1880);  15,  2698  (1882).  —  Baetkb,  Ber.  18,  677, 
2270  (1885);  19,  2185  (1886).  —  Stolz,  Ber.  19,  536  (1886). 


Tetrolsäure  und  homologe  Säuren.  517 


schlage  explodiren  beim  Erwärmen.  Auf  wässrige  Silbernitratlösung  da- 
gegen (ebenso  auf  Quecksilberchlorid  und  Platinsalze)  wirkt  die  Säure 
unter  Metallabscheidung,  also  reducirend,  ein. 

Sie  vereinigt  sich  mit  1  Mol.  Halogenwasserstoff,  bezw.  1  Mol.  Brom 
zu  ^-Mono-  bezw.  a-j?-Dihalogenderivaten  der  Akrylsäure.  Von  nasciren- 
dem  Wasserstoff  wird  sie  leicht  zu  Propionsäure  reducirt.  Durch  Oxy- 
dation der  Kupfervrerbindung  des  Esters  oder  der  Kupferverbindung  des 
Natriumsalzes  mit  Kaliumferricyanid  gelangt  man  zur  Diacetylendi- 
carbonsäure : 

(CO,Na.C:C),Cuj  +  20    =    CO^NaC ;  C-C  •  C.CO,Na  +  "&  CuO. 

Die  Umwandlung,  welche  sie  durch  Polymerisation  —  und  zwar 
unter  dem  Einfluss  des  Sonnenlichtes  bei  Luftabschluss  —  erleidet,  ent- 
spricht vollständig  dem  Polymerisationsprocess  ihres  Stammkörpers,  des 
Acetylens.  Wie  dieses  unter  Zusammentritt  dreier  Molecüle  das  Benzol 
liefert  (s.  S.  457),  so  entsteht  aus  der  Propiolsäure  —  freilich  in  nicht 
erheblicher  Menge  —  eine  Tricarbonsäure  des  Benzols,  die  Trimesinsäure : 

C— CO,H 


<^\ 


CH 

1' 

CO,H-C         C-CO,H 
JH 


^ 


Die  eigentliehen  Homologen  der  PropiolsSure  R-G:CCO,H. 

Tetrolsäure'  CHj •  C •  C •  COjH  (Methylpropiohäure,  PropincarbonsÄure,  Ally len - 
carbonsäure)  wird  aus  ^-Chlorcrotonsfture  und  ^-Ohlorisocrotonsäure  durch  Einwir- 
kung von  verdünnter  Kalilauge: 

CHs .  CGI :  CH .  CO,H  -  HCl     =     CH«  •  C  jJC  •  CO,H , 

femer  aus  Allylennatrium  durch  Einwirkung  von  Kohlensäure  erhalten.  Sie  krystal- 
lisirt  aus  Wasser  in  farblosen  rhombischen  Tafeln,  schmilzt  bei  76* 5^,  siedet  bei 
203^  und  ist  in  Wasser  sehr  leicht,  auch  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich.  Durch 
Anlagerung  von  Salzsäure  liefert  sie  ^-Chlorcrotonsäure,  bei  der  Oxydation  mit  Kalium- 
permanganat in  alkalischer  Losung  wird  sie  in  Essigsäure  |Und  Oxalsäure  gespalten. 
Beim  Erhitzen  mit  starker  Kalilauge  bis  130^  entsteht  Aceton: 

CHgC  :  CCO.H  +  H,0    =     CHgCO-CHg  +  CO,. 

In  wSssriger  Lösung  mit  Natriumamalgam  reducirt  liefert  sie  feste  Crotonsäure,  mit 
Natrium  in  methylalkoholischer  Lösung  dagegen  Buttersäure.  Ihr  Dampf  zerföllt 
wemg  oberhalb  des  Siedepunktes  in  Allylen  und  Kohlensäure.  —  Fast  alle  ihre  Salze 
sind  löslich;  das  Silber-,  Gold-  und  Quecksilberoxydulsalz  sind  leicht  reducirbar. 

Nach  der  S.  515 — 516  erwähnten  Reaction  sind  femer  aus  den  Natriumverbin- 
dungen von  Kohlenwasserstoffen  der  Acetylenreihe  die  folgenden  Homologen*  ge- 
wonnen worden: 


^  Oedthbb,  Ztschr.  Chem.  1871,  245.  —  Lagebmark,  Ber.  12,  854  (1879).  — 
ÖLBAUM,  ebenda,  2337.  —  Pinner,  Ber.  14,  1081  (1881).  —  Friedrich,  Ann.  219, 
322,  370  (1883).  —  Abonstein  u.  Hollemakn,  Ber.  22,  1182  (1889). 

'  Fawobsky,  J.  pr.  [2]  37,  417  (1888). 


1 


518  Sorbinsäure,  Diallylessigsäure, 


Schmelzpunkt      Siedepunkt  bd 

20  mm  Dmck 
Aethy  lacetylencarbonsÄure :        CjHa  •  C  •  C  •  CO,H  +  50  ^  — 

Propy lacetylencarbonsäure :        CgH,  •  C  i  C  •  COjH  +  27  <>  1 25 « 

Isopropylacetylencarbonfl&ure :    CaH^  •  C  •  C  •  CO^H  +  38  ^  107 « 

Buty lacety lencarbonfläure :  C^H^ •  C  •  C  •  CO jH  flüss.  1 85 <>. 

Der  einfachste  Vertreter  aus  der  Gruppe  der  Säuren  mit  zwei  Dop- 
pelbindungen (vgl.  S.  515)  —  die  Sorbinsfture^  C^HgOa  —  ist  von  A.W. 
Hofmann  als  Bestandtheil  des  Saftes  von  unreifen  Vogelbeeren  entdeckt 
Synthetisch  ist  die  Sorbinsäure  noch  nicht  erhalten  worden.  Sie  krystal- 
lisirt  in  langen  weissen  Nadeln,  ist  geruchlos,  schmilzt  bei  134-5®,  siedet 
bei  228  ®  unter  nicht  unbeträchtlicher  Zersetzung  und  löst  sich  leicht  in 
Alkohol  und  Aether.  Ihr  Aethylester  CgH^OaCCaHg)  siedet  bei  195-5^ 
—  Von  Natriumamalgam  wird  die  Sorbinsäure  leicht  in  Hydrosorbinsäure 
CßHjQOg  übergeführt,  mit  Brom  vereinigt  sie  sich  je  nach  den  Bedin- 
gungen zu  Dibromhydrosorbinsäure  CgHgBrgOj  oder  Tetrabromcapronsäure 
CgHgBr^Og ,  hei  der  Oxydation  mit  KaUumpermanganat  wird  sie  grössten- 
theils  in  Acetaldehyd  und  Traubensäure  COaH-CH(OH)CH(OH)-C0jH 
gespalten.  Dieser  Oxydationsverlauf  erklärt  sich  leicht,  wenn  man  für 
die  Sorbinsäure  die  Structurformel: 

CH3.CH :  CHCH  :  CH-CO.H 

annimmt;  während  an  der  von  der  Carboxylgruppe  entfernteren  Doppel- 
bindung die  Kette  zerreisst,  würde  die  der  Carboxylgruppe  benachbarte 
Doppelbindung  unter  Addition  von  zwei  Hydroxylgruppen  in  eine  einfache 
Bindung  übergehen.  Es  erscheint  freilich  bei  Annahme  dieser  Formel 
zunächst  auffällig,  dass  durch  Anlagerung  von  zwei  Wasserstoflfatomen 
die  Hydrosorbinsäure  entsteht,  für  welche  die  Structur 

CH3 .  CHj .  CH :  CH  •  CHj  •  COjH 
erwiesen  ist  (vgl.  S.  508),  und  nicht  vielmehr  eine  der  Säuren 

CHg .  CH :  CH .  CH,  •  CH,  •  CO,H       oder       CH,  -  CH,  •  CH,  •  CH :  CH  •  CO.H. 

Diese  Erscheinung  steht  indess  nicht  vereinzelt  da;  vielmehr  scheint  es 
ein  allgemeines  Gesetz  zu  sein,  dass  die  Kette 

....  CH:CH.CH:CH.COjH 

bei  der  Hydrirung  unter  Verschiebung  einer  Doppelbindung  in 

....  CHjCHiCHCHjCOjH 

tibergeht.     Es  sprechen  hierfür  eine  Reihe  von  Beobachtungen,  die  an 

aromatischen  Säuren  gemacht  wurden  (vgl.  z.  B.  Piperinsäure,  Bd.  11). 

Unter  den  einbasischen  Säuren  mit  zwei  Doppelbindungen  ist  leicht  zugfinglich 

die  J>iallyles8igr8ft1lre^  CgH^O,  =  (C8H5)8CH.COjH,  welche  mittelst  der  Acetessig- 


*  A.  W.  Hopmann,.  Ann.  HO,  130  (1859).  — ■  Fittiq  u.  Barrinoer,  Ann.  161,  307 
(1872).  —  Kachel  u.  Fittiq,  Ann.  168,. 276  (1873);  200,  44  (1879).  —  Menschdtkix, 
Ber.  13,  163  (1880).  —  Doebner,  Ber.  23,  2376  (1890).  —  Fittio,  Ber.  24,85(1891). 

2  WoLFF,  Ann.  201,  49  (1876).  —  Conrad  u.  Bischoff,  Ann.  204,  173  (1880). 


Undecolsäure,  Stearolsäure,  Behenolsäure,  519 


ester-  oder  Malonsäoreester-Synthese  (vgl.  S.  307—309)  durch  zweimalige  Einführung 
des  Alljlrefites  gewonnen  werden  kann.  Sie  stellt  ein  farbloses,  unangenehm  riechen- 
des Oel  dar,  siedet  bei  219— 222^  und  besitzt  bei  25®  das  specifische  Gewicht  0-950. 
Durch  Anlagerung  von  Brom  Wasserstoff  entsteht  ein  bromhaltiges  Lacton: 

CHj  :  CH .  CH,v  CHg .  CHBr  •  CH.v 

>CH.CO.OH  +  2HBr     =  NCH-CO-OH 

CHa  :  CH .  CH/  CH,  ■  CHBr  •  CH,/ 

CHj  •  CHBr  •  CHjv 

>CH  +  HBr. 
CHjCH     .CH,/ 


A. 


CO 


Bei  der  Oxydation  mit  Salpetersäure  tritt  an  beiden  Doppelbindungen  Spaltung  ein, 
and  man  erhfilt  Tricarballylsfiure: 


COjH.CHj 


\ 


CHCOjH. 


COjHCH,/ 

Einige  höhere  Glieder  der  Oelsfiure-Reihe  sind  auf  dem  S.  515  bezeichneten 
Wege  durch  Vermittelung  ihrer  Dibromide  in  gleich  kohlenstoffreiche  Glieder  der 
Propiolsäure-Reihe  übergeführt.  So  ist  aus  Undecjlensäurebibromid  durch  Einwirkung 
von  alkoholischem  Kali  die  UndeeolsSare  ^  ^iiHigOs  (Schmelzpunkt  59*5®)  erhalten, 
welche  durch  rauchende  Salpetersäure  zu  Azelainsäure  C02H*(CH,)7*C02H  oxydirt 
wird.  —  Ans  Oelsäure  und  Elal'dinsäure  entsteht  eine  und  dieselbe  StearolsSare  * 
^is^ss^s  (Schmelzpunkt  48®).  Bei  der  Behandlung  mit  rauchender  Salpetersäure 
wird  letztere  theilweise  zu  einer  einbasischen  Säure  von  gleicher  Kohlenstoflzahl 
(Stearoxylsäure  CisHgjO«)  oxydirt,  theilweise  in  Azelainsäure  und  Pelargonsäure 
gespalten.  Die  Stearoxylsäure  wird  auch  bei  der  Oxydation  der  Stearolsäure  mit  alkalischer 
KaliumpermanganatlÖsnng  erhalten.  —  Aus  Erucasäure  ist  eine  Behenolsftare'  CSSH40O3 
(Schmelzpunkt  57 '5^)  gewonnen,  welche  sich  gegen  Salpetersäure  ähnlich  wie  die 
Stearolsäure  verhält.  —  Zur  sicheren  Beurtheilung  der  Constitution  dieser  Säuren  besitzt 
man  bislang  nicht  genügende  Anhaltspunkte.  Die  Beobachtungen  über  die  Oxydation 
der  Stearolsäure  machen  es  wahrscheinlich,  dass  wir  es  hier  mit  Säuren  zu  thun 
haben,  deren  Molecül  eine  dreifache  Bindung  enthält.  Bei  Gegenwart  von  zwei 
Doppelbindungen  sollte  man  durch  Annahme  von  vier  Hydroxylgruppen  die  Bildung 
einer  Tetraoxystearinsäure  erwarten;  die  Entstehung  der  Stearoxylsäure  aus  Stearol- 
säure aber  erfolgt  durch  die  Aufnahme  von  zwei  Sauerstoffatomen  und  wird  leicht 
verständlich,  wenn  man  sich  den  Complex 

-C  =  C-         in         — CO-CO  — 

äbergeliend  denkt.  Aus  dem  Auftreten  der  Azelainsäure  und  Pelargonsäure  als 
Spaltungsprodukte  kann  man  auch  auf  den  Ort  der  dreifachen  Bindung  (vgl.  S.  513) 
einen  Schluss  ziehen;  die  folgenden  Structurformeln :    • 


—  FiTTia  u.  Hjelt,  Ann.  216,  73  (1882).  —  Schatzky,  Ber.  18  c,  220  (1885).  — 
Rkboul,  Compt.  rend.  84,  1235  (1877). 

»  Kbappt,  Ber.  11,  14U  (1878). 

'  OvERBECK,  Ann.  140,  49  (1866).  —  Limpach,  Ann.  190,  294  (1876).  —  Marasse, 
Ber.  2,  359  (1869).  —  Hazüra,  Monatsh.  9,.  469  (1888). 

*  Haüsskkecht,  Ann.  143,  41  (1867).  —  Stohmasn  u.  Langbein,  J.  pr.  [2]  42, 
380  (1890). 


520  Trocknende  Oelsäuren, 


CHg  CHg  CHj 

I  I  I 

(CH,),  (CH,v  (CH,\ 


C  CO  CO,H 

:,        — ^        I        — ► 

C  CO  CO,H 

I  I  I 

(CH,),  (CH,),  (CH,), 

I  I  ! 

COjH  CO,H  CO,H 

vermögen  den  Oxydationsverlauf  in  befriedigender  Weise  zu  erkl&ren. 

Mit  der  Stearolsäure  isomer  ist  die  Linolsfture  CjgHj^Oj,  deren 
Glycerid  als  ein  wichtiger  Bestandtheil  der  trocknenden  Oele  (Leinöl. 
Hanföl,  Mohnöl  etc.)  angesehen  werden  muss.  Zwar  ist  sie  noch  nicht 
in  reinem  Zustand  daraus  abgeschieden,  doch  darf  auf  ihr  Vorkommen 
und  ihre  Zusammensetzung  aus  dem  Umstand  geschlossen  werden,  dass 
aus  dem  Säuregemisch,  welches  man  bei  der  Verseifung  jener  Oele 
erhält  (s.  unten),  durch  Einwirkung  von  Brom  eine  Tetrabromstearin- 
säure CjgHg^Br^Oj ,  durch  Oxydation  mit  alkalischer  Kaliumpermanganat- 
lösung  eine  Tetraoxystearinsäure  Cj3H[32(0H)^03  (Sativinsäure)  gewonnen 
werden  kann.  Da  die  letztere  bei  der  Reduction  mit  Jodwasserstoff  ge- 
wöhnliche Stearinsäure  liefert,  so  ist  die  Linolsäure  als  eine  normal 
constituirte  ungesättigte  Säure  mit  zwei  Doppelbindungen  zu  betrachten. 
Sie  findet  sich  in  besonders  reichlicher  Menge  im  Sonnenblumenöl. 


Im  Gegensatz  zu  den  fetten  Oelen,  welche  als  wesentlichen  Bestand- 
theil das'  Glycerid  der  gewöhnlichen  Oelsäure  aufweisen,  enthalten  die 
trocknenden  Oele  vorwiegend  wasserstoffarmere  Säuren  in  Form  ihrer 
Glyceride.  Die  aus  diesen  Oelen  durch  Verseifung  abgeschiedenen  trock- 
nenden Oelsäuren  ^  stellen  nach  passender  Reinigung  farblose  oder 
schwach  gelbliche  ölige  Flüssigkeiten  dar,  die  in  Alkohol  und  Aether 
leicht  löslich  sind,  in  der  Kälte  nicht  erstarren,  bei  der  Einwirkung  von 
salpetriger  Säure  nur  dickflüssig  werden,  ohne  aber  eine  der  Elaldinsäure- 
Bildung  ähnliche  Umwandlung  zu  erfahren.  Durch  den  Sauerstoff  der 
Luft  werden  sie  rasch  oxydirt,  indem  sie  in  dickflüssige  Produkte  über- 
gehen. Ihre  Salze  sind  meist  nicht  krystallisirbar  und  oxydiren  sich  an 
der  Luft  noch  begieriger  als  die  freien  Säuren ;  nur  die  Alkalisalze  sind 
in  Wasser  löslich;  die  Bleisalze  lösen  sich,  ebenso  wie  das  Ölsäure  B/ei, 
in  Aether  auf. 


*  Saoc,  Ann.  61,  213  (1844).  —  Schüler,  Ann.  101,  252  (1857).  —  Oudmuks, 
Jb.  1868,  804.  —  MüLDER,  Jb.  1865.  324.  —  SösflBHauTH,  Jb.  1866,  826.  —  Bim 
u.  Hazura,  Monateh.  7,  216,(1886);  9,  459  (1888).  —  Peters,  Monatsh.  7,  552 
(1886).  —  IIazura,  ebenda,  637;  8,  147,  260  (1887);  9,  180  (1888);  10,  190  (18891. 
—  Hazura  u.  Friedreich,  Monatsh.  8,  156  (1887).  —  Hazura  u.  GrOssker,  Monatsh. 
9,  198,  475  (1888).  —  Diepp  u.  Repormatzky,  Ber.  20,  1211  (1887).  —  Nobtok  u. 
KiCHARDSON,  Ber.  21  o,  245  (1888). 


Trocknende  Oelsäuren.  521 


Ueber   die  Natur   der  trocknenden    Oelsäuren  haben  hauptsächlich 
neuere   Untersuchungen  von  Bauee  und  Hazüba  Aufklärung  gebracht. 
Es  sind  keine  einheitlichen  Körper,  sondern  im  Wesentlichen  Gemenge 
Terschiedener  ungesättigter  Säuren,  welche  neben  der  gewöhnlichen  Oel- 
s'äure  Säuren  von  gleicher  Eohlenstoffzahl,  aber  geringerem  Wasserstoff- 
gehalt    enthalten.       Wenn    auch    eine    Beindarstellung    der    einzelnen 
Gomponenten  bislang  nicht  ausgeführt  ist,   so  lässt  sich  doch  auf  ihre 
Zusammensetzung  aus  der  Zusammensetzung   der   krystallisirbaren  und 
daher  leichter  zu  trennenden  Produkte  schliessen,  welche  man  aus  den 
rohen  Säuren  durch  Addition  von  Brom  oder  durch  Oxydation  mit  alka- 
lischer  Ealiumpermanganatlösung   erhält.     Wie  aus    der   Bildung    von 
Tetrabrom-    und   Tetraoxystearinsäure    die    Gegenwart    der  Linolsäure 
C^gHjjO,   (vgl.  S.  520)  gefolgert  werden  darf,    so  ergiebt  sich  aus  der 
Entstehung  von  je  zwei  isomeren  Hexabrom-  und  Hexaoxystearinsäuren 
(CjgHjjjBrgOj    und   C,QHgQ(OH)gO,)    das   Vorkommen    von    zwei    Säuren 
CjgHj^jOj,  deren  Molecül  drei  doppelte  Bindungen  enthält;  man  bezeichnet 
sie  als  Linolensäure  und  Isolinolensänre.    Aus  der  Bildung  von  Di- 
bromstearinsäure  und  Dioxystearinsäure  kann  man  femer  das  Vorkommen 
der  gewöhnlichen  Oelsäure  folgern.     Als  Gomponenten  der  trocknenden 
Oelsäuren  sind  demnach  erkannt:] 

Oelsäure  CjgHg^Og 

Linolsäure  CJjgHjgOg 

Linolensäure  1  p   TT   O 

Isolinolensänre  i     is    3o   2- 

Die  flüssige  Säure  des  Leinöls  besteht  zum  grössten  Theil  (zu  etwa  SO^j^) 
aus  Linolensäure  und  Isolinolensänre,  enthält  ferner  Linolsäure  und 
geringe  Mengen  von  Oelsäure;  dagegen  bestehen  die  flüssigen  Säuren  des 
Hanföls,  Nussöls,  Mohnöls,  Baumwollsamenöls  und  Sonnenblumenöls  der 
Hauptmenge  nach  aus  Linolsäure. 


Siebzehntes  Kapitel. 

Einwerthige  imges&ttigte  Aldehyde  und  Eetone. 

(AkroleiQ.    Condensationsprodukte  der  gesättigten  Aldehyde  und  Retone.) 


A.  Ungesättigte  Aldehyde. 

Wenn  man  sich  im  Aethylen  ein  Wasserstoflfatom  durch  die  Gruppe 
— CHO  ersetzt  denkt,  so  gelangt  man  zu  dem  einfachsten  ungesättigten 
Aldehyd: 

CH, :  CH,        >-        CH, :  CH  •  CHO. 

Man  bezeichnet  diese  Verbindung,  welche  eine  Mittelstellung  zwischen 
Allylalkohol  und  Akrylsäure  einnimmt: 


522  Äkrolein, 


I 


CHj  CHj  Crig 

CH  CH  CH 

I  I    ■  I 

CHaCOH)  CHO  CO.  OH 

als  Akroleln,  weil  ihre  Gegenwart  als  Ursache  des  äusserst  scharfen 
Geruchs  der  Dämpfe  erkannt  ist,  die  sich  beim  Erhitzen  von  Fetten 
bilden. 

Akroleln  CjH^O  ist  zuerst  von  Redtenbacher  ^  genauer  untersucht, 
nachdem  schon  früher  einige  Forscher  unreines  Akroleln  als  leicht  flüch- 
tige Flüssigkeit  aus  den  Destillationsprodukten  von  Fetten  abgeschieden 
hatten.  Es  entsteht  aus  den  Fetten  in  Folge  einer  Zersetzung  des 
Glycerins;  während  es  kaum  möglich  ist,  aus  jenen  Destillationsprodukten 
reines  Akroleln  abzuscheiden,  gelingt  dies  daher  leicht,  wenn  man  reines 
Glycerin  der  Einwirkung  von  wasserentziehenden  Mitteln  —  am  besten 
von  saurem  Kaliumsulfat  (s.  unten  die  Darstellung)  —  unterwirft: 

C3H,03-2H,0     =    CgH.O. 

Man  versteht  diesen  Vorgang  leicht,  wenn  man  sich  zunächst  aus  dem 
Glycerin  durch  Wasserabspaltung  einen  ungesättigten  Alkohol  hervor- 
gehend denkt: 

HCH.  OH  HCH 

C  H  OH     =     2H,0  +     0 

HCH.  OH  HC. OH 

welcher  sich  sofort  in  einen  Aldehyd  umlagern  wird: 

CH,:C:CH.OH       >-       CH,:CH.CHO, 

da  seine  Hydroxylgruppe  an  ein  ungesättigtes  Kohlenstoffatom  gebun- 
den ist  (vgl.  S.  476).  Diese  Bildungsweise  ist  es,  welche  stets  zur 
Darstellung  des  Akrolelns  verwendet  wird.  Theoretisch  interessant  ist 
seine  Entstehung  durch  Oxydation  des  AUylalkohols*  und  durch  directe 
Vereinigung  von  Aethylen  mit  Kohlenoxyd  ^: 

CjII*  +  CO     =    CjH^O ; 

letzterer  Vorgang  vollzieht  sich  —  freilich  in  sehr  geringem  Umfange  — . 
wenn  Aethylen  mit  einer  zur  Verbrennung  unzureichenden  Menge  Sauer- 
stoff im  Eudiometer  verpufft  wird. 

Darstellung  des  Akrolei'ns*:  Man  destillirt  ein  Gemenge  von  1  Th.  Gly- 
ceriu;  das  vorher  bei  170^  entwässert  wurde,  und  2  Th.  Kaliumbisulfat,  das  in  linsen- 
grosse  Stücke  zerschlagen  ist,  aus  einem  geräumigen  Grefäss  —  zweckmässig  aus  einer 
eisernen  Retorte  —  in  eine  stark  gekühlte  Vorlage;  dem  halb  wässrigen,  halb  öligen 
Destillat,  welches  erhebliche  Mengen  von  schwefliger  Säure  enthält,  fSgt  man  so 
lange  Bleiglätte   zu,   als   dieselbe   noch  beim  Umschütteln  in  weisses  Bleisulfit  ver- 

*  Ann.  47,  113  (1843).  •  Cahoürs  u.  Hofmann,  Ann.  102,  291  (1857). 
»  E.  V.  Meter,  J.  pr.  [2]  10,  113  (1874). 

*  Geüther  u.  Cart3Iell,  Ann.  112,  2  (1858).  —  Hübner  u.  Geüther,  Ann.  114, 
35  (1859).  —  V.  Rombürgh,  Bull.  36,  549  (1881). 


Äkrolein,  523 


wandelt  wird.  Darauf  destillirt  man  aus  dem  Gemisch  das  AkroJei'u  bei  Wasser- 
badwärme ab;  durch  Stehenlassen  über  Chlorcalcium  und  Bectificiren  kann  man  es 
weiter  reinigen. 

Das  Akroleln  ist  eine  wasserhelle,  stark  lichtbrechende  Flüssigkeit, 
in  Wasser  ziemlich  löslich.  Es  siedet  bei  52-4®  und  ist  leichter  als 
Wasser.  Es  besitzt  einen  höchst  durchdringenden  Geruch;  sein  Dampf 
greift  namentlich  die  Augen  in  so  heftiger  Weise  an,  dass  das  Arbeiten 
mit  Akroleln  zu  den  unangenehmsten  Operationen  gehört.  Gleichwohl 
ist  einmal  eine  sehr  grosse  Quantität  (1700  g)  dieses  ftirchtbaren  Stoffes 
für  die  Zucker-Synthesen  von  E.  Fischer  und  Tafel  in  den  Farbwerken 
zu  Höchst  dargestellt  worden  ^ 

Das  Akroleln  ist  eine  sehr  leicht  veränderliche  Substanz ;  die  charak- 
teristischen Eigenschafl;en  der  Aldehyde  —  die  Neigung  zur  Oxydation 
and  Polymerisation  —  sind  bei  ihm  besonders  stark  ausgeprägt.  Man 
muss  daher  bei  der  Darstellung  den  Zutritt  von  Luft  möglichst  ein- 
schränken, möglichst  rasch  operiren  und  thut  am  besten,  das  Präparat 
unmittelbar  nach  der  Bereitung  weiter  zu  verai'beiten.  Zuweilen  gelingt 
es,  das  Akroleln  Wochen  lang  ziemlich  unverändert  aufzubewahren^, 
zuweilen  polymerisirt  es  sich  innerhalb  einer  Stunde. 

Unter  seinen  ßeactionen  ^  ist  zunächst  als  wichtig  für  die  Beurthei- 

lung  seiner  Constitution  hervorzuheben  die  Ueberfuhrbarkeit  durch  ßeduc- 

tion  in  AUylalkohol  und  durch  Oxydation  in  Akrylsäure. 

Bei  der  Reduction  mit  Zink  und  Salzsäure  entsteht  neben  Allylalkoliol  und 
Propylalkohol  als  Hauptprodukt  das  in  Wasser  unlösliche  Akropinakon  CeH^oO,, 
eine  farblose,  zwischen  160—180^  siedende  Flüssigkeit  von  campherartigem  Geruch: 

2C8H4O  +  H,     =     CeHioO,. 

Da  das  Akroleln-Molecül  eine  doppelte  KohlenstoflFbindung  mit  der 
Aldehydgruppe  in  sich  vereinigt,  so  erscheinen  Additionsreactionen 
in  zwei  verschiedenen  Richtungen  denkbar;  entweder  kann  die  doppelte 
Kohlenstofthindung  in  eine  einfache  Bindung  übergeführt  werden,  oder 
das  Sauerstoifatom  der  Aldehydgruppe  kann  sich  mit  einer  Valenz  vom 
Kohlenstoffatom  losreissen  und  dadurch  Raum  für  neu  hinzutretende 
Atome  bezw.  Radicale  schaffen.  Die  Halogene  und  Halogenwasserstoffe 
suchen  die  doppelte  Kohlenstoffbindung  als  Ort  der  Anlagerung  auf: 

CH, :  CH .  CHO  +  Br,     =     CU^Bv  •  CHBr  •  CHO , 

+  HC1     =     CHjClCHjCHO. 

Essigsäureanhydrid  wird  dagegen  von  der  Aldehydgruppe  aufgenommen: 

/O-COCHg 

CHj :  CH .  CHO  +  0(C0 .  CH3),     =     CH, :  CH  •  CH< 

^O-CO-CHs 

»  E.  Fischer  u.  Tafel,  Her.  20,  3388  (1887).  "  Brühl,  Ber.  12,  317  (1879). 

'  Vgl.  besonders  Geüther  u.  Carthell,  Ann.  112,  1  (1859).  —  Hübner  u.  Geu- 
THER,  Ann.  114,  35  (1859).  —  Linnehanx,  Ann.  126,  315  (1863);  Ann.  Suppl.  3,  257 
ilb64j.  —  Aroxstein,  Ann.  Suppl.  3,  180  (1864).  —  Krestownikofp,  Ber.  12,  1487 
»1879).  —  V.  RouBURGH,  Bull.  36,  550  (1881).  —  Grihavx  u.  Adam,  Compt.  rend. 
02,  300  (1881).  —  Lederer,  J.  pr.  [2]  42,  384  (1890). 


524  Äkrolein, 


Auch  die  schon  erwähnte  Reduction  zu  Allylalkohol  bietet  ein  Beispiel 
für  Anlagerung  in  demselben  Sinne: 

CH,:CH.CHO  +  H,     =     CH,:CH.CH/ 

Die  Addition  kann  aber  auch  an  den  beiden  ungesättigten  Stellen 
des  Molecüls  zugleich  stattfinden  und  zur  Bildung  einer  völlig  gesättigten 
Verbindung  führen.  So  verläuft  die  B.eaction  zwischen  Akroleln  und 
Natriumbisulfit^  im  Sinne  der  Gleichung: 

CH, :  CH .  CHO  +  2  NaHSO,     =     CH,(SO,Na)  •  CH,  •  CH< 

\SO,Na 

Ammoniak  reagirt  auf  das  Akroleln  nicht  in  so  einfacher  Weise,  wie 
auf  den  Acetaldehyd  (vgl.  S.  393,  407).  Für  das  Akrolelnammoniak* 
—  eine  amorphe,  in  Wasser  leicht,  in  kaltem  Alkohol  und  Aether  nicht 
lösliche  Substanz  von  basischen  Eigenschaften,  welche  in  ihren  äusseren 
Eigenschaften  und  dem  Verhalten  gegen  Wasser  auffallende  AehnUchkeit 
mit  dem  Leim  zeigt,  —  leitet  sich  aus  der  Zusammensetzung  seines  Platin- 
doppelchlorids die  Formel  CgH^NO  ab;  man  kann  es  sich  aus  2  Mol. 
Akroleln  und  1  Mol.  Ammoniak  durch  Abspaltung  von  1  Mol.  Wasser 
entstehend  denken:  ^ 

2C8H4O  +  NHs     =    CeHgNO  +  H^O. 

Bei  der  trockenen  Destillation  liefert  es  durch  Wasserabspaltung  eine 
flüchtige  Base  —  das  Picolin  (vgl.  Band  11): 

welche  in  die  mit  dem  Pyridin  beginnende  Reihe  von  Basen  gehört,  die 
bei  der  trockenen  Destillation  von  Knochen  entstehen;  ihre  Bildung  bei 
letzterem  Process  ist  vermuthlich  auf  das  Zusammentreffen  von  Akroleln, 
das  durch  Zersetzung  des  Knochenfetts  entsteht,  mit  Ammoniak,  Methyl- 
amin etc.  bei  hoher  Temperatur  zurückzuführen*. 

Die  amorphe,  in  Wasser  und  Alkohol  unlösliche  Masse,  in  welche  sich  das 
Akrolein  schon  beim  Stehen  der  wässrigen  Lösung  allmählich  umwandelt,  und  welche 
vielleicht  ein  Polymerisationsprodukt  desselben  darstellt,  hat  man  Disakryl  genannt 

Mit  wässrigen  Alkalien  verharzt  das  Akrolein;  bei  |der  Einwirkung  von  alko- 
holischem Kali  entsteht  das  Kaliumsalz  der  einbasischen,  dem  Akroleln  polymeren 
Hexakrolsäure*  CjgHj^OeC  =  öCgH^O),  aus  dessen  Lösung  die  freie  Säure  durch 
Mineralsäuren  als  gelber,  amorpher  Körper  gefällt  wird. 

Metakrolein^  wird  eine  Substanz  von  der  Zusammensetzung  C^HisO,  (=  SCaHfO) 
genannt,  welche  zum  Akrolei'n  in  ähnlicher  Beziehung  zu  stehen  scheint,  wie  der  Par- 
aldehyd  zum  gewöhnlichen  Acetaldehyd.     Man  hat  sie  nicht  direct  durch  Polymeri- 


^  M.  Müller,  Ber.  6,  1445  (1873).  ^  Bosenthal,  Ann.  233,  36  (1886). 

"  Hübner  u.  Geuther,  Ann.  114,  43  (1859).  —  Claus,  Ann.  130,  185  (1864): 
158,  222  (1870).  —  Schipf,  Ann.  SuppL  6,  26  (1867).  —  Baetbr,  Ann.  166,  281  (1870j. 

'  Vgl.  Wetoel  u.  Ciamician,  Ber.  13,  85  (1880). 

*  Claus,  Ann.  Suppl.  2,  120  (1862). 

^  Geuther  u.  Cartmell,  Ann.  112,  6  (1859).  —  Grimaux  u.  Adax,  Compt  rend. 
92,  301  (1881). 


Homologe  des  Akroleins.  525 


sation  des  Akrolelns  erhalten,  sondern  aus  dem  Chlorpropionaldehyd  CH,C1  •  CH,  •  COH, 
welcher  durch  Anlagerung  yon  Chlorwasserstoff  an  Akrolein  entsteht  (s.  S.  528),  durch 
Destillation  mit  Kali: 

aCsH^cio-aHCi    =    c^HijOg. 

Das  MetakroIeTn  krjstallisirt  in  langen  farblosen  Nadeln,  besitzt  einen  eigenthüm- 
lichen  gewürzhaften,  nur  entfernt  an  AkroleYn  erinnernden  Geruch,  ist  nur  wenig 
löslich  in  warmem  Wasser,  leicht  in  Alkohol  und  Aether.  Es  schmilzt  bei  45 — 46^; 
mit  WasserdSmpfen  ist  es  unzersetzt  flüchtig;  für  sich  destillirt,  liefert  es  ein  Destillat, 
welches  theilweise  aus  unverändertem  Metakrole'in ,  theilweise  aus  gewöhnlichem 
AkroleYn  besteht  Seine  Molecularformel  ist  aus  einer  Dampfdichtebestimmung  ab- 
geleitet, welche  nach  der  HoFMANN'schen  Methode  —  also  unter  vermindertem  Druck 
—  bei  132^  ausgeführt  wurde.  Durch  Einwirkung  von  Mineralsäuren  wird  das 
Metakrolein  zu  gewöhnlichem  Akrolein  depoljmerisirt. 


Man  hat  eine  grössere  Zahl  von  Homologen  des  Akrolelns  kennen 
gelernt,  zu  deren  Gewinnung  fast  ausschliessKch  die  S.  396  u.  407  er- 
wähnte Beaction  —  die  Condensation  der  gesättigten  Aldehyde  —  ge- 
dient hat.  Unter  der  Einwirkung  geeigneter  Reagentien  —  z.  B.  beim 
Erhitzen  mit  Lösungen  von  Chlorzink,  ameisensaurem  oder  essigsaurem 
Natrium,  Seignettesalz,  mit  festem  Kaliumcarbonat  —  treten  zwei  Mole- 
cüle  des  Aldehyds  mit  einander  zusammen,  indem  ein  Molecül  Wasser 
abgespalten  wird: 

Die  Condensationsprodukte  erweisen  sich  als  Homologe  des  Akrolelns 
durch  ihr  chemisches  Verhalten.  Denn  einerseits  giebt  sich  ihre  Aldehyd- 
natur in  der  Fähigkeit,  Silberoxyd  zu  reduciren,  in  der  Oxydirbarkeit  zu 
einbasischen  Säuren  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  und  in  dem  Verbin- 
dungsvermögen  mit  Natriumbisulfit  zu  erkennen;  andererseits  berechtigt 
der  Umstand,  dass  sie  1  Mol.  Halogen  bezw.  Halogenwasserstoff  fixiren,  zu 
der  Annahme  einer  doppelten  Kohlenstoffbindung  in  ihrem  Molecül. 
Zur  vollständigen  Kenntniss  ihrer  Structur  fehlt  nun  noch  die  Ermitte- 
lung der  Verzweigung  der  Kohlenstoffkette  und  des  Ortes  der  Doppel- 
bindung. 

Was  zunächst  das  Condensationsprodukt  des  gewöhnlichen  Aldehyds 
betrifft,  so  hat  man  die  Wahl  zwischen  zwei  Formeln,  je  nachdem  man 
annimmt,  dass  das  Sauerstoffatom  des  einen  Aldehydmolecüls  mit  zwei 
Wasserstoffatomen  des  zweiten  Molecüls  als  Wasser  austritt: 

CH,.CH;Ö  +  H^CHCHO     =     HjO  +  CHgCH :  CH-CHO 

oder  aus  jedem  der  beiden  Aldehydmolecüle  je  ein  Wasserstoffatom  ent- 

inmmt: 

HCiFIj^CHiO  +  HiCHj.CHO     =     H,0  +  CH, :  CHCHjCHO. 

Nun  liefert  der  in  Frage  stehende  ungesättigte  Aldehyd  durch  Oxydation 
^1^  4er  Luft  oder  mit  Silberoxyd  feste  Crotonsäure  CHj-CHiCH.CO-OH. 


526  Condefisation  gesättigter  Aldeliyde  zu 


V 


Die  Reaction  verläuft  demnach  im  Sinne  der  ersten  Annahme;  das  Con- 
densationsprodukt  besitzt  die  Constitution: 

CHjCHiCHCHO, 

man  bezeichnet  es  daher  als  Crotonaldehyd.  Man  kann  seine  Ent- 
stehung auch  derart  interpretiren,  dass  man  zunächst  Zusammentritt  von 
zwei  Aldehydmolecülen  zu  Aldol  (vgl.  S.  395): 

CH, .  CHO  +  CH^.  CHO     =     CH,  •  CH(OH)  •  CH,  •  CHO 

und  darauf  Wasseraustritt: 

CH,.CH(OH).CH,.CHO-H,0     =     CHs-CH :  CH-CHO 

annimmt.  In  der  That  erhält  man  aus  Aldol  durch  Erhitzen  auf  140^ 
oder  auch  durch  längere  Einwirkung  von  verdünnter  Salzsäure  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  Crotonaldehyd. 

Die  Kenntniss  der  Constitution  des  Crotonaldehyds  und  damit  die 
Aufklärung  eines  der  einfachsten  Condensationsvorgänge  verdankt  man 
Kekulä^ 

Nachdem  sich  an  diesem  Beispiel  gezeigt  hat,  dass  das  Sauerstoff- 
atom eines  Aldehydmolecüls  mit  zwei  WasserstoflFatomen  eines  zweiten 
austritt,  wird  man  für  das  Condensationsprodukt  des  Propionaldehyds 
zwischen  den  Formeln: 

CHjCHjCHiCHCHjCHO  oder  CHjCHjCH:  CCHO 

I 
CHs 

zu  wählen  haben;  im  ersten  Falle  denkt  man  sich  die  entnommenen  Wasser- 
stoffatome aus  der  entständigen  Methylgruppe,  im  zweiten  Falle  aus  der 
mittelständigen  CHg-Gruppe  austretend.  Vor  ähnliche  Alternativen  sieht 
man  sich  bei  der  Interpretation  des  Condensationsverlaufes  der  höheren 
Aldehyde  gestellt. 

Es  scheint  ein  allgemeines  Gesetz  zu  sein*,  dass  stets  diejenigen 
Wasserstoffatome  bei  der  Condensation  austreten,  welche  an  dem  der 
Aldehydgruppe  benachbarten  Kohlenstoffatom  haften.  Eine  ganz  analoge 
Gesetzmässigkeit  hat  sich  ja  auch  für  die  Synthese  ungesättigter  Säuren 
nach  der  PEEKm'schen  Reaction  ergeben  (vgl.  S.  489).  Für  die  folgen- 
den Beispiele  ist  die  Condensation  in  diesem  Sinne  bewiesen. 

Das  eben   erwähnte  Produkt  aus  Propionaldehyd  besitzt  die  zweite 

der  obigen  Formeln: 

CHjCHjCHiCCHO, 

I 
CH, 

ist  demnach  als  Methyläthylakroleln  zu  bezeichnen.  Denn  bei  der 
Reduction  entsteht  ein  Capronaldehyd  und  ein  Hexylalkohol,  welche  von 
den  betreffenden  normalen  Verbindungen  verschieden  sind,  für  welche 
sich  vielmehr  die  Constitutionsformeln 


*  Ann.  162,  91  (1872). 

'  Vgl.  LiKBEN  u.  Zeisel,  Monatdh.  4,  10  (1883). 


on  iigiinsaure  neien.  —  ijas 
Is  Pentyl-hexylakroleln: 

C/XI3  •  Cxig  •  OHf  •  Cii)  •  Ori|  •  Cxi|  •  Cr 

Ji 
UXI3  •  C/xl|  •  Grlj '  Cxlj  •  CHj  •  C  • ' 

ftfi     wirH     hfti     (\f^r    Oxydation 


ungesättigten  Aldehyden  fCrotonaUlehyd  etc.),  527 

CHj .  CH, .  CH, .  CH .  CHO      und     CHg  •  CH,  •  CH,  •  CH  •  CH,(OH) 

I  I 

CHg  CHg 

als  zutreflfend  erweisen,  da  sie  durch  Oxydation  in  Methylpropylessig- 
siinre 

CHg .  CH, .  CH, .  CH .  CO .  OH 

I 
CH, 

(auch  durch  Spaltung  von  Methylpropylacetessigester  erhältlich)  über- 
gehen. —  Das  gemischte  Coridensationsprodukt  aus  Acetaldehyd  und 
Propionaldehyd  erweist  sich  als  Tiglinaldehyd   (Dimethylakroleln) 

CHg.CHiCCHO 

I 
CH, 

da  es  durch  Oxydation  Tiglinsäure  liefert.  —  Das  Condensationsprodukt 
des  Oenanthols  ist  als  Pentyl-hexylakroleln: 

CH 

CHO 

aufzufassen;    denn    es    wird    bei    der   Oxydation   in   Capronsäure   und 
()enanthylsäure  gespalten. 

Die  Tabelle  Nr.  28  auf  S.  528  giebt  eine  Zusammenstellung  der  durch 
Condensation  von  gesättigten  Aldehyden  erhaltenen  ungesättigten  Aldehyde 

Die  Verbindungen  stellen  farblose  Flüssigkeiten  dar,  welche  schon 
durch  den  Sauerstoff  der  Luft  oxydirt  werden;  die  flüchtigeren  unter 
ihnen  besitzen  einen  durchdringenden  Geruch. 

Aehnlich  wie  beim  Akroleln  bilden  auch  bei  den  Homologen  die 
Aldehydgruppe  und  die  doppelte  Kohlenstoffbindung  oft  zugleich  die 
Angriffspunkte  für  chemische  Eingriffe.  So  erhält  man  z.  B.  durch 
Reduction  des  Crotonaldehyds  CHg-CHrCH-CHO  ein  Gemisch  von 

Crotylalkohol    CH3.CH:CH.CHa(0H), 
ButjTaldehyd   CHg-CH^CH^CHO 
und  Butylalkohol  CHg-CHj-CHjCH^COH).  — 

Die  Oxydation  —  auch  mit  nur  gelinde  wirkenden  Mitteln  ausgeführt  — 
verwandelt  immer  nur  einen  Theil  des  Aldehyds  in  die  entsprechende 
ungesättigte  Säure;  ein  erheblicher  Theil  fällt  der  oxydirenden  Wirkung 
auch  an  der  Stelle  der  Doppelbildung  anheim.  So  erhält  man  aus  Methyl- 
äthylakroleln  neben  Methyläthylakrylsäure  noch  eine  Dioxycapronsäure, 
femer  durch  Spaltung  des  Molecüls  Propionsäure,  Essigsäure,  Ameisen- 
säure, Kohlensäure  und  Methylpropylketon.  —  Schweflige  Säure  wird  an 
^)eiden  Stellen  —  zuerst  aber  an  der  Doppelbindung  —  angelagert;  aus 
Methyläthylakroleln  CgHg-CHO  entsteht  durch  Einwirkung  von  wässriger 
schwefliger  Säure  bei  gewöhnlicher  Temperatur  Capronaldehydsulfonsäure 


T^w^ 


528 


Crotonaldehyd  und  Homologe, 


Tabelle  Nr.  28. 


Zu- 
sammen- 
setzung 

Name 

Erhalten  durch 
Condensation  von 

Siede- 
punkt 

Spec. 
Gewick: 

C,H,0 

Crotonaldehyd*    ®  .  .  .  . 

Acetaldehyd 

104—105  • 

— 

C»H,0 

Tiglinaldehyd^"  .... 

Acet-  mit  Propionaldehyd 

116« 

0-871(15''i 

C,H,oO 

Methyläthylakrolein  »*-" 

Propionaldehyd 

137« 

0-858(2i'^ 

C,HuO 

Aethylpropylakrolein*®  . 

Butyraldehyd 

173«               — 

J9 

19 

Isobutyraldehyd 

149—151  <>          — 

C|oH„0 

tO— M 

IsoY&leraldehyd 

187— 191*»0-851(14*i 

CiAeO 

Pentylhexylakrolei'n**  .  . 

Oenanthol 

277—279«' 

0-849(15^ 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr^  28:  *  Lieben,  Ann.  Suppl.  1,  117  (1860).  — 
'  Rekul£,  Ann.  162,  93  (1872).  —  '  Lieben  u.  Zeisel,  Jb.  1881,  595.  —  *  Kslms 
u.  Pinner,  Ber.  3,  75  (1870).  —  *  Newbuby,  Compt  rend.  92,  316  (1881).  —  •  CoxBra. 
Compt.  rend.  96,  1862  (1883).  —  ^  Wurtz,  Compt.  rend.  88,  1154  (1879);  97,  1169 
(1888).  —  «  Zeisel,  Monatsh.  7,  859  (1886).  —  »  Voelckel,  Ann.  89,  346  (1854).  - 
*«  V.  GiLM  u.  Hlasiwetz,  Ann.  106,  379  (1858).  —  "  Herzig,  Monatsh.  3,  118  (18821 

—  "  Lieben  u.  Zeisel,  Monatsh.  7,  53  (1886).  —  »»  Hayman,  Monatsh.  9,  1055  (188Si. 

—  "  Lieben  u.  Zeisel,  Monatsh.  4,  10  (1883).  —  "  Waaoe,  ebenda,  725.  —  *•  Ln>- 
wia,  Monatsh.  9,  658  (1888).  —  "  Salonina,  Ber.  20o,  700  (1887).  —  "  Raupes- 
8TRAUCH,  Monatsh.  8,  108  (1887).  —  "  Fossek,  Monatsh.  2,  614  (1881).  —  **  Bobodd.', 
Ber.  2,  552  (1869);  6,  481  (1872).  —  "  Gaess  u.  Hell,  Ber.  8,  369  (1875).  —  »•  Rnus, 
Bull.  13,  24  (1870);  18,  62  (1872).  —  «•  W.  H.  Perkin  (jun.),  Ber.  15,  2802  (1882.; 
16,  210  (1883).    Joum.  Soc.  43,  45  (1883). 


CßHio(S03H)-CHO,   in  der  Wärme   Oxyhexandisulfosäure  CßH^^CSOgFl- 

.OH 
CH<f  .     Es  ist  daher  leicht  verständlich,  dass  man  die  ungesättig- 

\SO3H 
ten  Aldehyde  aus  ihren  Natriumbisulfit- Verbindungen  durch  Einwirkung 
von  Soda  nicht  wieder  regeneriren  kann. 

^emerkenswerth  ist  der  Verlauf  der  Einwirkung  des  CJhlors  auf  den  Croton- 
aldehyd; in  der  Kälte  und  im  Dunkeln  erfolgt  zunächst  einfache  Addition  zu  Dichlor- 
butyraldehyd  CHg-CHClCHClCHO;  setzt  man  nun  die  Einwirkung  ohne  Kühlung 
fort,  so  wird  das  Wasserstoffatom  der  Aldehydgruppe  substituirt;  es  bildet  sich  das 
Chlorid  der  Dichlorbuttersäure  CHgCHCl-CHCl-COCl. 

Der  Tiglinaldehyd  hat  sich  identisch  erwiesen  mit  einem  Produkt,  welches  bei 
der  Destillation  des  Guajakharzes  entsteht  und  daher  Guajol  genannt  wurde. 

Bei  der  Condensation  der  gesättigten  Aldehyde  entstehen  neben  den  Akrolein- 
Homologen  auch  höhere  Condensationsprodukte,  welche  wahrscheinlich  noch  w^ger 
gesättigte  Aldehyde  darsteilen.  So  hat  man  Anzeichen  dafür,  dass  bei  d^r  Conden- 
sation des  Acetaldehyds  ein  Aldehyd^  CeH80(=  3CJH4O— 2H,0)  gebildet  wird '.  Aus 
denCondensationsprodukten  des  Oenanthols  ist  ein  Aldehyd  C88H5oO(=  4C,Hi40 — 3H,0) 
isolirt  worden';    derselbe  stellt  ein  hellgelbes,   sehr  dickes  Oel  von  unangenehmem 


*  Kekül6,  Ann.  162,  105  (1872). 

»  W.  H.  Perkin  (jun.),  Ber.  15,  2805  (1882);  16,  210  (1883). 


OUrondlaMehyd  und  Oeramal,  529 

reruch  dar,  siedet  unter  850  mm  Druck  bei  830—340^  und  besitzt  bei  15^  das  spec. 
rew.  0-883.  — 

Einwerthige    ungesättigte   Aldehyde    finden   sich   femer   unter  den 

!ampherarten  der  Fettreihe  (vgl.  S.  485). 

CitTOneUaldehyd  ^  C^^H^gO  ist  ein  Bestandtheil  des  Citronellaöls 
aus  Andropogon  nardus)  und  anderer  Oele.  Er  siedet  bei  202 — 209  ^ 
st  rechtsdrehend,  addirt  leicht  1  Mol.  Brom,  verbindet  sich  mit  Natrium- 
>isulfit,  wird  von  Natriumamalgam  in  Eisessiglösung  zu  Citronell- 
ilkohol  CjqH^^O  reducirt,  von  Silberoxyd  zu  Citronellasäure  Ci^HjgOj 
)xydirt. 

^leranlal'  (Citral)  C^^Hj^O  —  das  Oxydationsprodukt  des  Geraniols, 
vrelchem  wahrscheinlich  die  Structur: 

(CH,),CH .  CH, .  CH :  CH .  (XCH,) :  CH  •  CHO 

zukommt  (vgl.  S.  486),  —  findet  sich  auch  fertig  gebildet  in  vielen  äthe- 
rischen Oelen,  so  im  Apfelsinenschalenöl  und  im  Citronenöl.  Es  ist  ein 
Oel,  welches  nach  Apfelsinen  und  Citronen  riecht,  unter  12  mm  Druck 
bei  110—112®  ohne  Zersetzung,  unter  760  mm  Druck  bei  224—228^ 
nicht  ganz  unzersetzt  siedet,  bei  15®  das  spec.  Gew.  0-897  besitzt  und 
optisch  inactiv  ist.  Des  interessanten  Debergangs  in  Cymol  durch  Wasser- 
abspaltung ist  schon  gedacht  (S.  486);  diese  Umwandlung  wird  am  besten 
durch  Erhitzen  mit  Kaliumhydrosulfat  bewirkt. 

B.   Ungesättigte  Ketone. 

Es  ist  bereits  S.  411  erwähnt  worden,  dass  die  Condensation  der 
gesättigten  Ketone  ganz  ähnlich  verläuft,  wie  diejenige  der  Aldehyde, 
und  demnach  zur  Bildung  von-  ungesättigten  Ketonen  führt.  Dieser 
Process  ist  nur  an  dem  einfachsten  Beispiel  ausfuhrlich  untersucht;  das 
Aceton  hefert,  wie  schon  S.  411  durch  Gleichungen  erläutert  wurde,  die 
beiden  ungesättigten  Ketone: 

(CH,),C :  CH .  CO .  CH,  und  (CH,),C :  CH  -  CO  -  CH  :  C(CH,), 

Mesitylozyd  Phoron. 

ilan  gewinnt  diese  Verbindungen  am  besten,  indem  man  Aceton,  mit 
bdlzsänregas  unter  Abkühlung  gesättigt,  einige  Wochen  stehen  lässt;  die 
darauf  mit  Wasser  abgeschiedenen  chlorhaltigen  Produkte  —  Salzsäure- 
Ä\dungen  des  Mesityloxyds  und  Phorons  —  werden  nun  durch  Schüt- 
teln mit  wässriger  Natronlauge,  durch  Destillation  im  Wasserdampfstrom 
^Wr  Kreidestücken,  endlich  durch  Behandlung  mit  alkoholischem  Kali 
von  Chlor  befreit;  das  so  erhaltene  Gemenge  von  Mesityloxyd  und  Phoron 
W  durch  Fractionirung  leicht  in  seine  Componenten  zerlegt  werden.  — 
öeim  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  erleideii  Mesityloxyd  und 
^Won  wieder  eine  Rtickwärtsspaltung  unter  Bildung  von  Aceton. 

'  I>oi>oE,  Ber.  23  o,   175  (1890).  —  Semkleb,  Ber.  24,  208  (1891). 
'  Soou^  Ber.  23,  2966  (1890);  24,  201  (1891). 
^  Httu  u.  Jaoobsom,  org.  Chem.    L  34 


\ 


530  Ungeaältigte  Ketone. 


Hesilylox jd >  C,H,gO  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  bei  130°  siedet,  bei 
23°  das  epec.  Gew.  0-848  besitzt,  in  Wasser  nicht  ISslicb  ist  und  stark  nach  PfeBe^ 
münze  riecht.  Durch  seine  Ueberföhrbarkeit  in  ein  Oxim  C,H„(:N-OH)  (nicht  ebne 
Zersetzung  destillirbares  Oel)  wird  es  als  ein  Keton  charakterisirt-,  seine  Additioio- 
ilihigkeit  für  I  Mol.  Brom  und  1  Mol.  Jodwaaserstoff  l&sst  die  Gegenwart  einer 
Doppelbindung  in  seinem  Molet^ül  erkennen.  Bei  der  Einwirkung  von  Natriun- 
biaulfit  scheint  lediglich  die  Doppelbindung  in  Reaction  zu  treten;  denn  aus  dem 
entstehenden  Ädditlonsprodukt  CaH,,0'SOgNa  +  H,0  wird  weder  durch  Kochen  mit 
Sodalösung  noch  durch  verdttnnte  Schwefelsäure  das  Meaityloiyd   regenerirt,  wie  m 

\     /"" 
erwarten  w&re,  wenn  es  die  Gruppe    >C<  enthielte;  es  ist  daher  wobl  ala 

/  \S0,Na 
Salz  einer  Isobutjlmethy  1  keton -SulfousSuie  C4H,(S0,H)'C0.CH,  ao&ufassen;  von 
concentrirter  Natronlauge  wird  es  leicht  unter  Äbecheidung  von  Mesitjrloiyd  zersetic. 
Der  oben  gegebenen  Structurformel  des  Meaitjloxyds  gereicht  zur  Stütze  sein  Ver- 
halten bei  der  Oxydation;  man  erhält  bei  der  Einwirkung  von  Kaliumpermanganat 
EssigsJiare  and  Oiyisobuttersäure,  wie  jene  Formel  ea  vorauaseben  Ittsst;  denn  werden 
zunfichst  an  der  Doppelbindung  zwei  Hydroxylgruppen  angelagert  (vgl.  S.  432,  4J5 
— 446),  so  entsteht  eine  Verbindung: 

(CH^C[0HJ-CH{0H1.  CO-CH,, 
welche  durch  Spaltung  an  der  bezeichneten  Stelle  jene  beiden  wirklich  nachgewiesenen 
OxydaUonsprodukte  liefern  muss. 

Phoron*  CgHi^O  erstarrt  in  der  Kälte  zu  langen,  spröden  Krystallen  von 
gelblich  grüner  Farbe,  schmilzt  bei  -)- 28°  zu  einer  gelben  Flüssigkeit  nnd  siedet  bei 
190  — 191°  (uncoiT.);  sein  Qeruch  erinnert  an  Geranium,  ist  aber  unangenehm.  Es 
bildet  ein  Oiim  C,H„(:N-OU),  welches  in  weissen  Tafeln  krjstallisirt,  bei  48' 
schmilzt  und  bei  218°  destillirt.  Mit  Brom  tritt  es  za  einem  luystallisirbaren  Tetra- 
bromid  CBH„BrjO  (Schmelzpunkt  88  — 89°J,  mit  Jodwasserstoff  zu  einem  Dihydro- 
jodid  U,H,eJ,0  (Schmelzpunkt  +  13°J,  mit  Natriumbisalfit  sehr  langsam  zu  der  Ver- 
bindung CnHuO.aNaHSO,  +  2'/,H.0  zusammen.  Diese  Eeacüonen  deuten  die 
Gegenwart  einer  Carbonylgruppe  und  zweier  Doppelbindungen  in  seinem  Molecnl  an- 

Bei  der  Oondeosation  des  Acetons  unter  anderen  Bedingungen  (Einwirkung  vwi 
Kalk,  Natrium  u.  a.)  hat  man  Oele  von  der  Zusammensetzung  des  Phorons  erbslteo. 
filr  welche  indess  ein  etwas  höherer  Siedepunkt  ala  für  das  mit  Salzsäure  erhältliche 
Phoron  gefunden  wurde.  Diese  in  der  Kälte  flüssig  bleibenden,  von  dem  gewöhn- 
lichen Phoron  vielleicht  verschiedenen  Produkte  werden  als  Isopboron*  bezeicbneL 

Ausser  dem  Mesiljloxyd  und  Phoron  entstehen  durch  Condcnsation  des  Acetons 
noch  h5her  siedende  Produkte*.    Aus  BiickstAnden  von  der  Phorondsrstellung  wnrde 

■  Kank,  Pogg-44,  475(1838).  —  Fmia,  Ann.  UO,  34(1858)-  —  Babteb,  Ann. 
140,  291  (1866).  —  Claisek,  Ann.  180,  1  (1875).  —  PiWLOW,  Ann.  188,  130,  13S 
(1876).  —  PiNSBB,  Ber.  IB,  590  (1882);  16,  1727  (1883).  —  Näobu,  Ber.  16,  495 
(1883).  —  Louise,  Compt.  rend.  9B,  602  (1882). 

'  Baeyeb,  Ann.  140,  301  (1866).  —  Cijjsek,  Ann.  180,  1  (1875).  -  Hkistz. 
Ann.  187,  220  (1877).  —  Kasabzew,  Ber.  8,  435  (1875).  —  Jacobsek,  Ber.  10,  856 
(1877).  —  ÜLAiSEN  u.  Olapab^db,  Ber.  14,  352  (1881).  —  PrenER,  Ber.  16,  586  (1882J. 
—  Näoeli,  Ber.  18,  496  (1883).  —  Louise,  Compt.  rend.  BB,  602  (1882). 

'  Städelkb,  Ann.  lU,  279  (1859).  —  Fittio,  Ann.  110,  32  (1858);  U2,  311 
(1858).  ~  Kachlkb,  Ann.  164,  78  1.1872).  ^  K.  E.  Sohciäe,  Ber.  16,  64  (1882;.  — 
I'iNNER,  Ber.  16,  588  (1882).  —  Claiben,  Bei.  23,  1013  (1889). 

*  Weidhanh  u.  ScHWErrzKtt,  Pogg.  49,  301  (1840);  60,  265  (1840).  —  Löwis  u. 
Weidmanm,  Pogg.  50,  299  (1840). 


Mesityloxyd,  Phoron  etc.  531 


eine  flüssige  Verbindung,  das  Xjliton*  CuHigO  (=  4C3H4O— SHgO)  vom  Siedepunkt 
251—252®  isolirt  Hiermit  identisch  ist  yielleicht  das  gleich  zusammengesetzte  Pro- 
dukt', welches  aus  Mesityloxyd  durch  Einwirkung  von  Natriumäthylat  in  ätherischer 
Lösung  entsteht  (2C^HioO— H,0  =  CigHigO),  für  welches  indess  der  Siedepunkt 
238— 242<^  und  das  spec.  Gew.  0*935  beobachtet  ist. 

Homologe  des  Mesitylozyds*  entstehen  als  Nebenprodukte  bei  der  Syn- 
these von  Ketonen  oder  tertiären  Alkoholen  aus  Säurechloriden  und  Zinkmethyl 
(vgl.  S.  146  und  385),  indem  sich  in  einem  gewissen  Stadium  des  Processes  schon 
fertiges  Keton  neben  unverändertem  Zinkmethyl  findet,  und  letzteres  nun  auf  das 
Keton  condensirend  einwirkt  Bei  der  Reaction  zwischen  Propionylchlorid  und  Zink- 
methyl  z.  B.  erhält  man  das  erste  Condensationsprodukt  des  Methyläthylketons: 

2C4HeO-H,0     =     CsH^O. 

In  dieser  Weise  sind  dargestellt  worden  die  Verbii^dungen: 

Siedepunkt  Spec.  Gew. 
CgHi^O  aus  Propionylchlorid             167— 168  <>  0-87T 

CioHisO    „    Isobutyrylchlorid  189— 191  <>  0-870 

C„HmO    „    Isovalerylchlorid  217—2190  0-864  5 

es  sind  dies  farblose,  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeiten  von  eigenthümlichem  Ge- 
racb,  welche  sich  mit  Halogenwasserstoffen  im  Verhältniss  von  1  Mol.  auf  1  Mol.  zu 
öligen  Verbindungen  (z.  ß.  CgHuJO)  vereinigen. 

Fernere  ungesättigte  Ketone.  Ein  Keton  CjHgO  (Siedepunkt  129—131°) 
findet  sich  im  rohen  Holzgeist*.  —  Durch  Spaltung  von  Allylacetessigester  und  Di- 
alljlacetesaigester  (vgl.  S.  385—386)  hat  man  Allylaceton  und  Diallylaceton  erhalten. 
Allylaceton»  CeH,oO  =  CHj:CH.CHj.CH,.C0.CH8  (isomer  mit  Mesityloxyd)  siedet 
bei  128— 130 <>  und  besitzt  bei  27«  das  spec.  Gew.  0-834;  sein  Oxim  CeHio(:N-OH) 
ist  flüssig  und  siedet  bei  187.5°.  Diallylaceton«  C^Hj^O  =  (C8H5)jCH.C0.CH8 
(isomer  mit  Phoron)  siedet  bei  174—175°. 


1  PiMNEai,  Ber.  15,  589  (1882).  *  Claisen  u.  Ehrhardt,  Ber.  22,  1013  (1889). 

•  Pawlow,  Ann.  188,  126  (1876). 

*  Claisek,  Ber.  8,  1257  (1875).  —  Pinker,  Ber.  16,  594  (1882). 

*  Zeidler,  Ann.  187,  35  (1877).     —     0.  Hopmann,    Ann.  201,  80  (1878).    — 
N'ÄoELi,  Ber.  16,  496  (1883).  —  Henry,  Compt.  rend.  87,  171  (1878). 

•  C.  WoLFP,  Ann.  201,  48  (1876). 


34' 


C.   Die  mehrwerthigen  Verbindungeo. 


ÄchtzehnteB  Kapitel. 

Eintheilung  und  Nomendatiir  der  mehrwerthigen 
Terbindnngen. 

Für  die  Besprechung  der  Verbindungeii  der  Fettreihd  gingen  wir 
von  den  Grenzkohlenwasaerstofien  aus  und  betrachteten  zunächst  solche 
Verhindungeii,  welche  man  von  diesen  gesättigten  Kohlenwasserstoffen  ah- 
leiten  kann,  indem  man  sich  ein  Wasserstoffatom  ihres  Molecüls  ent- 
fernt und  die  dadurch  entstehenden  einwerthigeu  Radicale  (AlkykesU') 
in  Bindung  mit  anderen  Atomen  bezw.  Atomgruppen  tretend  denkt. 

Wir  gingen  dann  zu  den  ungesättigt«n  Kohle nwasserstofFreihen  über 
und  lernten  wieder  deren  einwerthige  Derivate  kennen. 

Auf  diese  Weise  haben  wir  uns  ein  Bild  von  den  wichtigsten  Typen 
der  aliphatischen  Verbindungen  verschaflFt,  Aber  es  lässt  sich  vorans- 
sehen,  dass  eine  weit  grössere  Zahl  von  Verbindungen  sich  von  den 
Kohlenwasserstoffen  durch  Substitution  mehrerer  Waeserstoffatome  ab- 
leiten wird. 

Zu  den  Monohalogen-Denvaten  der  Kohlenwasserstoffe  z.  B.  werden 
Dihatogen-,  Trihalogen-Derivate  etc.  treten: 

CHjCl,        CiH^Br,        C,C1,. 
Durch  Bintritt   mehrerer  Hydroxylgruppen   in  je  ein  Kohlenwasserstoff- 
molecill  werden  mehrwerthige  Alkohole: 

C,H,(OH),        C,H,{OH),        C4H,(0H)«, 
durch  Eintritt  mehrerer  Carboxylgruppen  mehrwerthige  Säuren: 

CH,{CO,H),        C,H,CCO,H),        C,H,(CO,H), 
entstehen.    An  die  einwerthigeu  Aldehyde  und  Ketone  werden  sich  solche 
Verbindungen  schliessen,  deren  Molecül  die  Aldehydgmppe  — CHO  bezw. 
die  Carbonylgruppe  — CO —  an  mehreren  SteDen  aufweist. 

Die  Atome  bezw.  Rculicale,  welche  mehrere  Waaserstoffatome  eines 
und  desselben  Kohlenwasser^toffmolecttls  vertreten,  brauchen  femer  nicht 
gleichartig  zu  sein.  Wir  können  uns  Halogenatome  und  Hydroxylgruppen 
gleichzeitig  als  Substituenten  denken: 

C,H,CI(OH)        C.HjCl,(OH)        C,HsCl,(OH)«; 


EintheüuTtg  der  mehrwertkigtn  Verbindufigen. 

Hydroxylgruppen   und   Carboxylgruppen  werden  sich   neben  einai 
■inem  Molecill  befinden  können: 

CH,(OH)(CO,H)        CH(OH)(CO,H),        C,H,(OH),(CO,H),; 
."arbonylgruppeu   uud   Carboxylgruppen  werden  als  Bestandtbeilf 
und  desselben  MoIeciUs  anilreten: 


CH,< 


.CO,H  ,CO-CO,H 

CH,< 
•CO-CH,  ^CO,H 


Die  Molecöle  solcher  Verbindungen  enthalten  verschiede 
Gruppen ,  deren  jede  ein  cbarakteristischeB  Verhalten  bedingt, 
kommen  so  zu  Verbindungen,  welche  in  sich  die  typischen  Eigensi 
mehrerer  £örperklassen  vereinigen;  Alkoholsäuren,  ÄmidoBäuren, 
säuren,  Aldehydalkohote,  Ketonjilkohole  etc. 

Diesen  mehrwerthigen  Verbindungen  müssen  wir  uns  n 
wenden  und  wollen  sie  in  der  folgenden  Reihenfolge  kennen  lern 

1.  Mehrwerthige  Halogenverbindungen. 

2.  Mehrwerthige  Alkohole  und  ihnen  entsprechende  Sc 
Verbindungen. 

3.  Verbindungen,  welche  Halogeuatome  und  Hydroxylgrupp 
gleich  enthalten. 

4.  Mehirwerthige  Nitro-  und  Amidoverbindungen.  —  VerbiniS 
welche  neben  Nitro-  bezw.  Amidogruppen  Halogenätonie  oder  Hy 
gnippen  enthalten. 

5.  Mehrwerthige  Carbonsäuren. 

6.  Halogen derivate  der  Garbonsäuren. 

7.  Hydro-tylderivate   der   Carbonsäuren :    Alkoholsäuren   odei 

8.  Nitro-,  Amido-  und  Diazoderivate  der  Carbonsäuren. 

9.  Mehrwerthige  Aldehyde  und  Ketone. 

10.  Halogenderivate  der  Eetone. 

11.  Aldehydalkobole  und  Ketonalkohole    (Zuckerarten    und 
Kohlenhydrate). 

12.  Amidoderivate  der  Aldehyde  und  Ketone. 

13.  Aldehydsäuren  und  Eetonsäuren. 

Der  Bpecielien  Besprechung  dieser  Verbindungsgmppen  seien 
allgemeinere  Bemerkungen  über  die  Nomenclatur  der  mebrwerl 
ßadicale  und  Verbindungen  vorausgeschickt. 

Wir  charakterisirten  die  einwerthigen  Radicale  C„Hj„^.i-, 
•las  den  Grenzkohlenwasserstoffen  durch  Fortnahme  eines  Wass 
atoms  entstehend  gedacht  werden,  durch  die  Endung  „yl".  1 
jweiwerthigen  ßadicale  CyH,„<  benutzen  wir  nun  die  1 
vjlen"  oder  „yliden": 

C,H,<  Aethylen  oder  Aethyliden, 
CgHg<  Propylen     „     Propyliden 


1 


534  Nomendaiur  der 


unter  Beachtung  der  folgenden  Unterscheidung.  Die  Endung  „ylen**  be- 
zeichnet meist  solche  Radicale,  deren  freie  Valenzen  zwei  verschiedenen 
Kohlenstoffatomen  angehören: 

CK— 
CH,- 


iAethylen,  CH —  Propylen; 

^-  L 

die  Endung  „yliden"  dagegen  bleibt  solchen  Radicalen  vorbehalten,  deren 
freie  Valenzen  von  einem  und  demselben  Kohlenstoffatom  —  und  zwar 
von  einem  endständigen  —  ausgehen: 

CH< 
CH<  I 

I  Aethyliden,  CH„     Propyliden. 

CH,  I 

CH3 

Es  sind  dies  also  die  Radicale,  durch  deren  Vereinigung  mit  einem 
Sauerstoffatom  die  Aldehyde  zu  Stande  kommen. 

'  Diejenigen  zweiwerthigen  Radicale,  welche  aus  den  normalen  Grenz- 
kohlenwasserstoffen durch  Entfernung  je  eines  Wasserstoffatoms  der  bei- 
den entständigen  Methylgruppen  hervorgehen,  welche  demnach  aus  einer 
Kette  von  Methylengruppen  — CHj —  bestehen,  bezeichnet  msui  durch 
Angabe  der  Anzahl  dieser  Gruppen: 

yCHj —  CHj — CHj — 

CH3<^  Trimethylen ,  1  Tetramethylen. 


GHn — CBL — 


CH,-  CH,-CH, 

Nach  diesen  Bemerkungen  werden  Namen,  wie: 

CH^.OH  CHBr, 

I  Aethylenalkohol,  1  Aethylidenbromid, 

CH3.OH  CH3  . 

yCHa— CN 

CH«<;  Trimethylencyanid 

'XCHa— CN  ^       ^ 

ohne  Weiteres  verständlich  sein. 

Für  die  dreiwerthigen  Kadicale  Ci|H2a_iv--  benutzt  man  die  Endung  „enyl": 

CH(^  Methenyl,  CsH,:^  Aethenyl,  CgH,^  Propenyl . 

Die  dreiwerthigen  Radicale  werden  leider  zuweilen  auch  durch  die  Endung  „in"  be- 
zeichnet; es  kann  dies  nur  zu  Missverständnissen  führen,  da  in  Uebereinstimmung  mit 
der  Nomenclatur  der  Kohlenwasserstoffe  (vgl.  S.  97  Anm.  u.  S.  458)  die  Endung  „in*^  den 
vierwerthigen  Badicalen  CnHgn—a  gebührt;  die  sechswerthigen  Radicale  Cjfli^—^  können 
durch  die  Endung  „on",  die  acbtwerthigen  CnH2n_^  durch  „un"  charakterisirt 
werden.  Doch  bildet  man  für  die  höherwerthigen  Verbindungen  besser  Namen,  welche 
auf  ihre  Ableitung  durch  Substitution  der  Kohlenwasserstoffe  gegründet  werden,  2.  B.: 

CaHgBra  Tribrompropan,       C2H3(C08H),  Aethantricarbons&ure. 


mehrwerthigen  Verbindtmgen.  535 


Um  bei  mehrwerthigen  Verbindungen  die  Stellung  der  einzelnen 
Truppen  zu  einander  in  ihrem  Namen  wiederzugeben,  benutzt  man  häufig 
las  folgende  Princip.  Man  bezeichnet  die  einzelnen  Kohlenstoffatome 
ies  Kohlenstoffskeletts  mit  den  kleinen  griechischen  Buchstaben,  so  zwar, 
lass  dasjenige  Kohlenstoffatom,  welches  der  endständigen,  das  charak- 
:eristische  Verhalten  bedingenden  Gruppe  —  sei  dies  nun  eine  Carb- 
>xylgruppe  — CO -OH,  oder  eine  Aldehydgruppe — CHO  oder  eine  Alkohol- 
^nippe  — CH2{0H)  etc.  —  benachbart  ist,  mit  dem  Buchstaben  cc  be- 
zeichnet wird,  das  nächste  mit  ß  u.  s.  w.,  z.  B.: 

Y       ß        a 

So  ergeben  sich  Benennungen,  wie: 

CHjCl .  CH, .  CH,(OH)    /9-Chlorpropylalkohol, 
CH,fOH) .  CH, .  CHj .  COjH    y-Oxybuttersäure, 
CH3.CHCl.CClj. CHO    a^|?-Trichlorbutyraldehyd  etc. 

Die    endständigen  Kohlenstoffatome  in  Kohlenwasserstoffen   charak- 

terisirt  man  nach  Baeyer^  durch  den  Buchstaben  a>  und  gelangt  so  zu 

Namen,  wie: 

CHgClCHjCl  oxa'  Dichloräthan, 

CHj.CHClg  ü  Dichloräthan, 

CHjBrCHBr.CHgBr  waw'  Tribrompropan. 


Neunzehntes  Kapitel. 

Mehrwerthige  Halogenderivate. 


I.    Mehrwerthige  Halogenderlyate  des  Methans. 

Die  Polyhalogenderivate  des  Methans  nehmen  schon  durch  ihre 
einfache  Constitution  eine  Sonderstellung  ein;  auch  werden  sie  meist  in 
eigenthümlichen  Reactionen  gewonnen,  welche  fiir  die  Bildung  von  Poly- 
halogenderivaten  der  Homologen  nicht  in  Anwendung  kommen.  Es 
empfiehlt  sich  daher,  sie  gesondert  für  sich  zu  besprechen;  die  Tabelle 
Nr.  29  auf  S.  536  giebt  eine  Uebersicht  über  die  hierher  gehörenden 
Verbindungen. 

DlhalogeilTerblndungen  CHgXg ,  Halogenverbindungen  des 
Radicals  Methylen.  Methylenchlorid  CHgClg  und  Methylen- 
bromid  CH^Brg  entstehen  durch  weitere  Chlorirung  bezw.  Bromirung 
der  Monohalogenverbindungen  (Methylchlorid,  Methylbromid): 

CH,C1  +  Ci,  =  CHjCl^  +  HCl. 

Andererseits  kann  man  zur  Gewinnung  der  Methylenhalogenide  von  den 
Trihalogenderivaten  ausgehen  und  in  letzteren  ein  Halogenatom  durch 

*  Ber.  17,  961  (1884). 


j 


536     Tahdlarisohe  üeberaicfii  über  du  Folt/halogenderivate  des  J^thans. 


Tabelle  Nr.  29. 


Methyienchlorid'"  '" 
„       broniid*"" 


CHjCl, 
CH.Ur, 
CH,J, 


Schmelz- 


Siede- 
pntikt 


[i-ssTiia") 

■  ,3-292(18«) 

2-M7(ll'l 
2 -92«  (IT) 


— 

88" 

1.925{15") 

— 

123—125'» 

2-445(15') 

— 

181» 

2-454  m 

-24-7'» 

76« 

1.593(20'1 

+  92° 

189" 

— 

— 

104* 

2-0S5(0«l 

+  38» 

150» 

— 

+  85» 

— 

— 

chlorobromid" CH,ClBr 

„       chlorojodid" CH,C1J 

„        bromojodid" CH,BrJ 

Chloroform'"-""-""«»   .  .  .    CHCIs 

Bromofomi '■"■"~'" CHBr, 

Jodoform"""**—" CHJ, 

Dichlorbrommethan  *"■*'■"   ....    OIICI.Br 

Chlordibrommethan*«" CHClBr, 

Dicblorjodmethan""-" |  CHC1,J 

Tetrachlormethan  ■■s->-i»-ii-**-«i-m  CCI, 

Tetrabronunethan"'*«-" '  CBr, 

Trichlorbrommethan '■'■""**  .  .  .  i  CCl,Br 

Di  chlordibrommethan«^ CCI,Br, 

Dichlordijodmethan' CCIjJ, 


:ate  zu  der  Tabelle  Nr.  29:    ■  REaNAVLT,  Aun.  33,  326  (1840).   Jb.  1863. 

-  '  BuTLKHow,  Ann.  LH,  242  (1858);  120,  356  (1861).  Ztechr.  Chein.  1869, 
1.  eh.  |3]  53,  313  (1858),  —  '  Pkbkim,  Ztachr.  Chem.  1888,  714.  —  *  Gbeekk. 
■end.  89,  11)77  (1879).  —  «  Thobpk,  Joum.  Soc.  37,  195  (1880).  —  *  Fob- 
nn.  eh.'  [5]  28,  12ff.  (1883).  —  '  AvB«k,  Compt  rend.  103,  1474  (1886).  - 
.,   Ann.  240,   225  (1887).    —    "  Stbikeb,   Ber.  7,   507  (1874).    —    "  Rom, 

[5]  30,  266  (1883).  —  "  Pebkjh,  Joum-  Soc  46,  519,  527,  530,  533  (1884). 
W.  HoFHANH,  Ann.  US,  267  (1860).  —  ■■  Likbeit,  Ztschr.  Chem.  1868,  713. 
EYER,  Ber.  6,  1094  (1872).  —  '«  Henbv,  CompL  rend.  101,  599  (1885).  - 
u,  Joura.  Soc.  41,  362(1882);  47,   198  (1885).  —  "  Bebthelot,  Bull.  20.3 

-  '*  Schiff,  Ano.  220,  95  (1883).  —  "  Cbakcel  u.  Parmentieb,  Compt  renrf. 
774  (1885).  —  "°  DüMAH,  Ann.  eh.  |2l  68,  115  (1834).  —  »'  Loir,  Compt  rend. 
(1852).  —  "  Vgl.  ferner  die  Citate  auf  S.  537—541.  —  "  Löwia,  Ann.  3. 
2).  —  "  IhTKAH,  Ann.  16,  165  (1835).  —  "  Cahoob«.  Ann.  64,  351  (1848). 
nn>Ei.,  Pogg.  (N.  F.)  18,  .373  (1882).  —  "  E.  Scbmibt,  Ber.  10,  1»3  (18771. 
KO,  Ann.  194,  28  (1878).  -    "  GüSTivsoy,  Jb.  1886,  588.    —    "  Gühtbkk, 

),    547   (1887).     —     "'    BOÜCHARDAT,    Ann.    22,    225    (18371.    —     "   BAMKELgBEHfl, 

low,  Jb.  1867,  431.  —  "  Butlehow,  Ann.  114,  204  (1860).  —  "  Caeemwub. 
■end,  67,  1371  (1883);    98,  369  (1884).    —    "  Luhtgabtk»,  Monatah.  S,  715 

-  '•  GoRBOFF  u.  KEBSLim,  Ber.  17o,  67  (1884).   —   ■'  Cottoh,  Bull,  43,  423 

-  "  MruiER,  Rec.  trar.  chim.  7,  810  (1888),  —  '*  BbOhiko,  Ann.  104,  187 
-  "  Jacobsen  u.  NEüMEiffTBB,  BfiT,  15,  601  (1882),  —  "  ZmoKE  u.  Kmel, 
237  (1890),  —   "  Levt  u,  Jbi>licei,  Ber,  20,  2819  (1887),  —  "  ScHwaoni- 

Jb.  1856,  576,  —  **  Bobodih,  Ann.  136,  239(1863).  —  "  Dmus,  Ann.  33. 
0).  —  *•  Haoem,  Bull.  10,  355  (1868).  —  *'  Gdbtavbon,  Ztochr.  Chem.  1871 
"  SohXffbb,  Ber,  4,  369  (1871).  —  **  Hamilton,  Joum.  Soc  39,  48  (188U 
LHL,  Ber.  11,  2297(1878).  —  "  Lobw,  Zlachr,  Chem.  1869,  624.  —  "Paibb**, 


DihalogenderiixiU  des  Methans. 

b-  1871,  269.  —  "  Fbiedel  u.  Silva,  Bull.  17,  538  (1812).  —  "  vak't  Hoff 
0,  6te  (1877).  —  "  Abhhou),  Aon.  240,  207  (18S7),  —  *•  G«BTBii)iKisrEB,  ! 
plijsik.  Chem.  8,  529  (IS90t. 

VaaserstofiF  ersetzen;  dieser  Weg  bildet  die  gewöhnliche  Darstell 
aethode  fiir  Methyleochlorid  nnd  Methyl enjodid.  Um  Methylencl 
u  erhalten,  reducirt  man  Chloroform  CHCIj  in  alkoholischer  Li 
uit  Zink  und  Salzsäure,  zur  C^ewinuung  von  Methylenjodid  re( 
luiii  Jodoform  CHJ,  mit  Jodwasserstoff  und  Phosphor: 

CHJ,  +  HJ  =  CH,J,  +  J,. 
\«s  Methylenjodid  kann   mau   das   entsprechende  Chlorid   und  Bi 
lurch  Einwirkung  von  Chlor  bezw.  Brom  erhalten: 
CH,J,  +  2Br,  =  CH,Br,  +  2BrJ; 
unterwirft  man  es  der  Einwirkung  von  Chlorjod  oder  Bromjod,   sc 
>lehen  gemischte  Halogenverbindungen: 

CH,J,  +  JCl  =  CH,CIJ  +J,. 
Die  Methylenhalogenide  stellen  Flüssigkeiten  dar,  welche  in  W 
unifislich  sind  und  süsslichen  (reruch  besitzen.    Ihre  Halogenatome 
leicht  austauschbar,  z.  B.  in  den  Reactionen: 

CHrF,  +  2AgO-CO-CH,  =  2AgJ  +  CH,(0-CO-CH,)„ 
CH,C],  +  2NaOC,H.  =  2NaCl  +  CH,(0-C,Hjl,- 
Methylenchlorid  ist  zur  Benutzung  als  Anas theticum  empfohlen  wot 
hiil  ):ich  indess  kaum  B^ngang  in  die  ärztliche  Praxis  verschafft.  ~  Metl 
jiKlid  ist  durch  sein  ausserordentlich  hohes  specitisches  Gewicht  (vj 
Tiibelle  Nr.  29  auf  S.  536),  das  durch  seinen  hohen  Jodgehalt  (94 
licilingt  wird,  interessant;  es  ist  wohl  von  allen  bekannten  organi 
Flüssigkeiten  die  schwerste;  hierdurch  wird  es  als  Medium  zur  Trei 
von  Gesteinsbestandtheilen  für  raineralogische  Untersuchungen*  ui 
im  Gemisch  mit  wechselnden  Mengen  Benzol  —  zur  specifischer 
»iclitsbestimmung  von  Salzen  (nach  der  Schwebemethode*)  benutzt; 
Die  TrihalOf^ndertTate  CHX^  (Halogen Verbindungen 
Radicals  Methenyl}  sind  bedeutend  wichtiger;  zwei  derselben  - 
''hlüroform  CHClj  und  das  Jodoform  CHJ^  —  gehören  bekannthi 
den  meistgebrauchten  Arzneimitteln,  das  Chloroform  findet  überdi< 
Lii^uiigsmittei  manche  gewerbliche  Anwendung;  ihre  Gewinnung 
'iiiber  seit  Jahren  fabrikmässig  betrieben. 

Chloroform  CHCl,  (Trichlormethan,  Methenylchlorid)  i 
l''')!  gleichzeitig  von  Liebig'  und  Soubeiran*  entdeckt.  Zu  i 
technischen  Darstellung*   benutzt   man   meist   die   Einwirkung 

'  EicHBoLi  u.  Grdthee,  Pharmac.  Centralhalle  28,  431  (1887). 

'  Bumte,  Jb.  1886,  2220. 

'  RrroEM,  Zteehr.  f,  physik.  Chcra.  3,  289  (1889). 

'  Ann.  l,  ]9fi.  '  Ann.  eh.  [2]  48,  131. 

'  Vgl.  Jahreebericbt  f.  chem.  Technologie  1886,  *27. 


k  auf  verdünnten  Alkohol;  das  in  geeigneten  Verhältnissen  Iier- 

GemiBch  wird  durch  Wasaerdampf  auf  etwa  45"  angewärmt; 
[■mt  sich  dann  weiter  durch  die  Beaction  selbst  und  geräth  in's 
zuweilen  verläuft  die  Reaction  sehr  stiirmiach,  so  dass  der  Blaseu- 
iberateigt,  oder  selbst  Explosionen  eintreten;  man  erhält  ein 
.,  das  sich  in  zwei  Schichten  trennt.  Die  schwerere  Schicht, 
Chloroform,  wird  von  der  darüber  stehenden  wässrigen  Schicht 
,  mit  Wasser  gewaschen,  dann  mit  concentrirter  Schwefelsäure 
elt,  wodurch  andere  Halogenverbindungen  —  gechlorte  Aethane 
ort  werden  sollen.  Das  so  behandelte  Chloroform  wird  dann 
ich  durch  Kectificiren  gereinigt.  —  Gegenwärtig  benutzt  man 
i  Alkohols  vielfach  Aceton  •,  welches  in  ähnlicher  Weise  der  Ein- 

des  Chlorkalks  unterworfen  wird. 

Bildung  des  Chloroforms  aus  Alkohol'  hat  man  wahrscheinhch 
dgende  Reactionen  zu  erklären.  Der  Chlorkalk  wirkt  theils  als 
des,  theils  als  chlorirendes  Mittel,  indem  er  zunächst  den  Alkohol 
lyd: 

2CH,-CH,-0H  +  Cii(CIO),  =  2CH,-CH0  +  CaCl,  +  2H,0, 
n  Aldehyd  in  Trichloraldehyd  (Cbloral)  überführt: 
2CH,-CH0  +  8Ca(C10),  =  2CCI,-CH0  +  8Ca(0H),! 

befindet  sich  nun  in  Gegenwart  von  Calciumhydroxyd  und  zer- 
her  —  wie  stets  in  Gegenwart  von  Alkalien  —  in  Chloroforni 
eiseusäure : 

2CC1,-CH0  +  Ca(OH),  =  2CHa,  +  Ca(OCHO),. 
icher  Weise  kann  man  zur  Erklärung  der  Chloroformbildung  aus 
zunächst  Entstehung  von  Trichloraceton  CCl,-COCHg  und  dann 
;  desselben  in  Chloroform  und  Essigsäure  annehmen.) 
'  Zerfall  des  Chlorals  in  Gegenwart  von  Alkalien: 

CCI,CHO +  H-OH  =  CnClj +  CHOOH, 
als  letzte  Phase  der  eben  besprochenen  Reaction  angesehen  wird, 
;h  fllr  sich  zur  Gewinnung  des  Chloroforms  benutzt.    Das  Chloro- 
s  Cbloral   ist  —  frisch   bereitet  —  reiner  als   das   gewohnliche 
rm,  aber  auch  erheblich  theurer, 

Frankreich  soll  Chloroform  durch  weiteres  Chloriren  von  Chlor- 
ygi,  S.  187)  gewonnen  werdend 

i  Chloroform  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche  Flüssigkeit  von  an- 
süsslichem  Geruch  (Constanten  s.  in  der  Tabelle  Nr.  29  auf  S.  536). 
er  ist  es  nur  sehr  wenig  löslich;  1  Liter  der  gesättigten  Lösung 
bei   mittleren  Temperaturen  etwa  7  g  Chloroform.     Das  Chloro- 

{1.  OsMDOBP?  u.  Hessbl,  Cheio.  Industrie  14,  115  (1891). 

icHAMP,  Ann.  cb.  [S]  28,  347  (18S1). 

TKQE,  Schweiz.  Ber.  über  die  Klasse  45  der  Pariser  WeltaiuateUiuig  IBS« 

J90J,  p.  43. 


Chloroform.  539 


form  ist  nicht  brennbar;  bringt  man  einige  Tropfen  am  Glasstab  in  die 
nichtleuchtende  Gasflamme,  so  wird  letztere  leuchtend  und  grün  gesäumt, 
es  treten  Salzsäuredämpfe  auf,  aber  nach  dem  Zurückziehen  aus  der 
Flamme  brennt  das  Chloroform  nicht  weiter.  —  Sein  Dampf  bewirkt 
beim  Einathmen  fiewusstlosigkeit  und  Gefühllosigkeit;  man  benutzt  diese 
Eigenschaft  heute  bekanntlich  allgemein  für  chirurgische  Operationen. 
Simpson*  verwendete  zuerst  1848  das  Chloroform  als  Anästheticum  und 
schuf  dadurch  jene  Operationsmethode,  die  seither  zahllosen  Menschen 
Segen  gebracht  hat. 

Das  reine  Chloroform  ist  nicht  sehr  haltbar;  unter  der  Einwirkung 
von  Luft  und  Licht  erleidet  es  eine  allmähliche  Zersetzung,  durch 
welche  sich  neben  freiem  Chlor  und  Salzsäure  auch  das  sehr  scharf 
riechende  Phosgen  COCl,  zu  bilden  scheint.  Aus  diesem  Grunde  ver- 
wendet man  f&r  officinelle  Zwecke  nicht  ein  ganz  reines  Chloroform,  son- 
dern ein  Präparat,  das  einen  geringen  Alkoholgehalt  (bis  zu  1  ^j^  be- 
sitzt; durch  den  Alkoholgehalt  wird  die  Haltbarkeit  erhöht. 

Die  Chloratome  des  Chloroforms  sind  sehr  reactionsfähig.  In  man- 
chen Fällen  gelingt  es,  sie  gegen  drei  einwerthige  Gruppen  auszu- 
tauschen, z.  B. : 

CHCla  +  SNaO-CjHs  =  CH(0C,H5),  +  SNaCl  (vgl.  S.  363), 

CHClj  4-  3CeHe  =        CHCCeHj),  +  3  HCl    (in  Gegenwart  von  AlClg). 

Auch  bei  der  Einwirkung  der  Alkalien,  welche  zur  Bildung  von  Ameisen- 
säure ftihrt,  kann  man  wohl  zunächst  Austausch  gegen  drei  Hydroxyl- 
gruppen annehmen: 

CHCla  +  3H.0H  =  3  HCl  +  CH(OH), 

(JHOOH  +  HjO  ' 

diese  Ueberführung  in  Ameisensäure  erfolgt  sehr  leicht  beim  Erhitzen 
des  Chloroforms  mit  alkoholischem  Kali  (daneben  bildet  sich  auch  Kohlen- 
oxyd*); auf  die  Bildung  von  ameisensaurem  Alkali  ist  es  auch  zurück- 
zuführen, dass  Chloroform  aus  FBHLiNG'scher  Lösung  beim  Erwärmen 
Kupferoxydul  abscheidet s.  —  Beim  Erhitzen  mit  wässrigem  Ammoniak* 
auf  200 — 225®  wird  Chloroform  ebenfalls  in  Ameisensäure  unter  gleich- 
zeitiger Bildung  von  Kohlenoxyd  verwandelt*;  dagegen  entsteht  beim 
Erwärmen  mit  alkoholischem  Ammoniak  —  rasch  namentlich  in  Gegen- 
wart von  etwas  Kali®  —  Blausäure,  bezw.  deren  Salze: 

CH  Ci,  +  HaN  +  3K.0H  =  CHN  +  3KC1  +  3H,0. 

Beim  Erwärmen  von  Chloroform  mit  primären  Aminen  in  Gegenwart 
von  alkoholischem  Kali  bilden  sich  die  Isonitrile  R-NC  (vgl.  S.  251); 
das  Auftreten  des  durchdringenden,  widerwärtigen  Isonitrilgeruchs  kann 


'  Ann.  65,  121.  *  Gsutheb,  Ann.  123,  121  (1862). 

•  Baudrmont,  Ztßchr.  Cham.  ,1869,  728.  *  Heintz,  Pogg.  98,  266  (1856). 
^  Ahdr^,  Compt  rend.  102,  553  (1886). 

•  A.  W.  HoPMANN,  Ann.  144,  116  (1867). 


Bromoform,  Jodoform, 

ntificiruDg  des  Chloroforms  und  zur  Prüfimg  auf  Chloroform  be- 
erden.  Diese  Isonitril-Keaction  ist  äusserst  empfindlich;  als  das 
[uemsten  zugängUche  primäre  Amin  verwendet  man  bei  ihrer 
mg  Anilin  CgHj-NHj,  welches  mit  der  auf  Chloroform  zu  prfl- 
Müssigkeit  und  alkoholischem  Kali  gemischt  wird,  worauf  nach 
n  Erwärmen  bei  Gegenwart  von  Chloroform  sich  der  charakteri- 
G-eruch    entwickelt   (Tetrachlormethan   giebt  die  Eeaction  eben- 

B  einzige  Wasserstoffatom  des  Chloroforms  kann  in  manchen 
len  stibstituirt  werden,  so  durch  Chlor  und  Brom  unter  Bildung 
rahalogenverbindnngen  des  Methans;  bei  längerem  Erhitzen  mit 
'aucheuder  Salpetersäure*  liefert  Chloroform  geringe  Mengen  von 
Irin  C{NOj)Cl,. 

rch  Oxydation  mit  einer  Mischung  von  Kaliumbichromat  und 
•irter  Schwefelsäure'  liefert  Chloroform  Phosgen  COCl,  in  reicli- 
[enge. 

imofonn  CHBt,  ist  eine  dem  Chloroform  sehr  ähnliche  Flüssigkeit  (Constanten 
Tab.  Nr,  29  auf  S.  586).  Man  guwinnt  es  durch  Einwirkung  von  Bromkalk 
hol,  von  ürom  in  alkalischer  Lösung  auf  Aceton,  oder  durch  Spaltang  von 
nit  Alkalien.  Ea  ist  femer  nicht  Kelten  als  Verunreinigung  im  kfiuflicben 
halten*.  Mau  hat  es  als  llittel  gegen  Keuchhusten  empfohlen*. 
loform  CHJ,  ist  1822  von  StsuiiLAs"  entdeckt.  Es  entsteht  aus 
anzen  Anzahl   von  Verbindungen   der  Fettreihe  (Aethylalkobol, 

Aldehyd  etc.)  unter  der  Einwirkung  von  Jod  in  Gegenwart  von 
i';  hierauf  beruht  die  Jodoformreaction  zam  Nachweis  des  Aethyl- 

(vgl.  8.  159)  und  die  quantitative  Bestimmung  des  Acetons  im 
olzgeist  (vgl.  S.  170).  —  Zur  Darstellung  des  Jodoforms ^  giebt 
1  allmählich  zu  einer  gelinde  erwärmten  Lösung  von  Soda  bezw. 
le  in  verdünntem    Alkohol;    das   abgeschiedene  Jodoform  wird 

Mutterlauge,  in  welcher  eine  erhebliche  Jodmenge  in  Form  von 
did  nnd  Alkalijodat  zurückbleibt,  durch  Filtration  getrennt  Man 
ese  Jodmenge  in  der  Weise  nutzbar  machen,  dass  man  nach  Zu- 
1  neuen  Mengen  Soda  und  Alkohol  das  Jod  durch  einen  lang- 
yhlorstrom  in  Freiheit  setzt,  wodurch  eine  neue  Abscheiduug  von 
n  erzielt  wird;  zweckmässig  ist  es,  die  Fabrikation  von  Jodo- 
it  der  Uewinnung  von  Jodkalium  zu  vereinigen  nnd  die  Hutter- 
auf  letzteres  Präparat  zu  verarbeiten,  —  Gegenwärtig  beginnt 
ie  für  die  Chloroformdarstellung,  auch  f^r  die  Jodoform&brikation 
:ohol  als  Ausgangsmaterial  durch  das  Aceton  zu  ersetzen*;  man 

BiWT  u.  Merz,  Ber.  8,  1298  (1B75).  »  Milw,  Ann.  160,  117  (1811). 

MMEBLtNO  n.  Lgnqibl,  Ann.  Suppl.  7,  101  (1669). 

gl.  Hehhahh,  Ann.  B6,  211   (1655). 

rRPF,  Phannac.  Ceotralhalle  31,  111  (1890). 

nn.  oh.  [21  20,  165;  22,  172  (1623);  26,  811  (1824). 

iBBBK,  Ann.  Suppl.  7,  218,  377  (1670).  «  Vgl.  Rotme,  Jb.  1874,  Sil. 

gl.  SuiLLioT  n.  a*.yiiAuti,  Bull.  [3]  1,  3  (1889). 


Fluoroform.  541 


fugt  z.  B.  zu  einer  alkalisch  gemachten  Lösung  von  Jodkalium  und 
Aceton  in  Wasser  allmählich  eine  Lösung  von  unterchlorigsaurem  Natrium, 
wodurch  sofort  die'  Jodoformbildung  eintritt: 

KJ  +  NaClO     =     Ka  +  NaJO, 
CaHeO  +  3NaJ0     =     CHJ,  +  CHaCOONa  +  2NaOH . 

—  Erhebliche  Mengen  von  Jodoform  werden  auf  elektrolytischem  Wege 
gewonnen  ^,  indem  man  eine  mit  Alkohol  bezw.  Aceton  versetzte  wässrige 
Lösung  von  Jodkalium  unter  Einleiten  von  Kohlensäure  durch  den  elek- 
trischen Strom  zerlegt;  das  so  gewonnene  Präparat  kommt  als  Jodofor- 
mium  absolutum  in  den  Handel  und  wird  besonders  geschätzt.  —  Die 
Bildung  des  Jodoforms  aus  Alkohol  und  Aceton  hat  man  wohl  durch 
ähnliche  Reactionen,  wie  die  Chloroformbildung,  d.  h.  durch  intermediäre 
Entstehung  von  Jodal  CJj-CHO  bew.  Trijodaceton  CJj-COCHg  zu  er- 
klären (vgl.  S.  538). 

Das  Jodoform  krystallisirt  in  citronengelben  Täfelchen,  besitzt  einen 
durchdringenden,  safranartigen,  süsslichen  Geruch  und  ist  in  Wasser 
känm,  in  Alkohol  massig,  in  Aether  sehr  leicht  löslich.  Es  verdampft 
merklich  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur,  ist  mit  Wasserdämpfen 
leicht  flüchtig,  kann  aber  fttr  sich  nicht  ohne  Zersetzung  destiUirt  wer- 
den. Es  findet  bekanntlich  als  Desinficiens  in  der  Wundbehandlung 
ausgebreitete  Verwendung;  zwar  ist  nachgewiesen,  dass  Jodoform  an  sich 
auf  Bacterien  keinen  Einfluss  ausübt;  aber  seine  Wirksamkeit  beginnt, 
wenn  es  in  eine  Zersetzung  geräth^,  welche  durch  die  fermentative  Wir- 
kung der  Wundsecrete  unter  Mitwirkung  der  Körperwärme  hervorgerufen 
wird.  Im  trockenen  Zustand  sowohl  wie  in  Lösung  erleidet  es  am 
Lichte  ziemlich  rasche  Zersetzung'*. 

Gemischte  Trihalogenderivate  des  Methans  (vgl.  Tabelle  Nr.  29  auf 
S-536)  sind  in  verschiedenen  Reactionen  erhalten  worden,  z.  B.: 

CBrClj.CHO  +  KOH     =     CBrCl,H  +  CHO-OK; 
CHJ, +  HgCl,     =     CHJCl, +  HgJ,; 
CH^Cl^  +  JBr     =     CHJCl,  +  HBr . 

Flnoroform^  CHFlg,  gewinnbar  durch  Umsetzung  zwischen  Jodoform  und 
FhoiBÜber,  ist  ein  fieurbloses  Gas  von  chloroformähnlichem  Geruch,  das  in  Wasser 
wenig  löslich  ist  und  sich  unter  einem  Druck  von  40  Atm.  bei  20^  verflüssigt. 

Tetrahalogen-Derirate  CX^  (vgl.  d.  Tab.  Nr.  29  auf  S.  536).  Tetra- 
chlormethan CCl^  (Perchlormethan,  Tetrachlorkohlenstoff)  und 
Tetrabrommethan  CBr^  werden  gewonnen,  indem  man  im  Chloroform 
bezw.  Bromoform  das  letzte  Wasserstoffatom  durch  Halogen  ersetzt*, 
oder  zweckmässiger,   indem  man  Schwefelkohlenstoff  der  erschöpfenden 


*  Vgl.  Chem.  Fabr.  auf  Actien,  Ber.  17  o,  624  (1884). 

'  Vgl.  DE  RtTYTEB,  Vcrhdlgn.  d.  dtsch.  Gesellsch.  f.  Chirurgie  1887,  124. 
'  Vgl.  Dacoomo,  Jb.  1886,  848;  1886,  316. 

*  Mbslahs,  Compt,  rend.  110,  717  (1890). 

*Vgl.  Pribdel   u.   Silva,   Bull.   17,   537   (1872).  —   Habermann,   Ann.   167, 
^''^  (1873). 


i 


542  Tetroßhlor-,  Tetrabrom-, 


% 


Einwirkung  von  Chlor ^  bezw.  Brom*  unterwirft,  wobei  man  die  Wirkung 
der  Halogene  durch  Zusatz  von  Antimonchlorid  bezw.  -bromid  oder  von 
Jod  erhöht.  Die  Ueberfuhrung  von  Schwefelkohlenstofif  in  Tetrahalogen- 
derivate des  Methans  verläuft  wahrscheinlich  in  verschiedenen  Phasen^, 
wie  sie  durch  folgende  Gleichungen  ausgedrückt  werden: 


C^+Cl, 

/SCI 

/SCI 
2C(<=S      +C1, 

\ci 

-     2C^S    +S,C1,, 

\ci 

C^i    +C1, 
\C1 

«     CCl,-SCi , 

2CC18-SC1  +  Cl^ 

=     2CCl4  +  S,Cl,; 

die  Verbindungen  CSCl^  und  CClg-SCl  sind  mit  Sicherheit  als  Durch- 
gangsprodukte der  Reaction  nachgewiesen. 

Tetrachlormethan  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  chloroformähn- 
lichem  Geruch;  Tetrabrommethan  krystallisirt  in  weissen  glänzenden 
Blättern*,  riecht  ätherisch  und  schmeckt  süsslich. 

Beim  Erhitzen  dieser  Verbindungen  mit  alkoholischem  Kali  werden 

alle  Halogenatome  vom  Kohlenstoffatom  unter  Bildung  von  Kohlensäure 

gelöst : 

CBr^  +  6K0H     =     CO(OK),  +  4KBr  -I-  3H,0 ; 

beim  Erhitzen  von  Tetrachlormethan  mit  wenig  Wasser*^  auf  250®  (ebenso 
bei  der  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid®)  werden  nur  zwei  Chlor- 
atome durch  Sauerstoff  ersetzt,  und  es  bildet  sich  Phosgen: 

CCI4  +  H,0     =     COClj  +  2HC1 ; 

beim  Erhitzen  des  Tetrachlormethans  mit  fein  vertheilten  Metallen  (Silber* 
oder  Kupfer^)  wird  je  einem  Molecül  ein  Chloratom  entnommen,  und 
zwei  Reste  — CCI3 ,  vereinigen  sich  zu  Hexachlormethan: 

2CCl4  4-Ag,     =     2AgCl  +  CCls-CCl,. 

*  KoLBE,  Ann.  45,  41  (1843);  54,  146  (1845).  —  A.  W.  HoFMAim,  Ann.  U5, 
264  (1860). 

>  B0LA8  u.  Gboves,  Ztschr.  Chem.  1870,  441;  1871,  432.  Ann.  156,  60  (1870). 
—  IIöLAND,  Ann.  240,  238  (1887). 

»  Vgl.  Klason,  Ber.  20,  2376  (1887). 

^  Die  Kristalle  des  Tetrabrommethanfl  gehören  nicht  dem  regulären  System  an, 
was  in  theoretischer  Beziehung  im  Hinblick  auf  seine  durchaus  symmetrische  Structur 
beachtenswerth  erscheint;  vgl.  über  Speculationen,  welche  sich  an  diese  Thatsacbc 
knüpfen,  Le  Bel,  Bull.  [8J  3,  790  (1890). 

*  H.  Goldschmidt,  Ber.  14,  928  (1881). 

*  ScHüTZENBERGER,  Compt.  reud.  69,  352  (1869).  —  Armbtbong,  J.  pr.  [2]  1, 
245  (1870). 

'  Radziszewski,  Ber.  17,  834  Anm.  (1884). 


Tetrajod-  und  Telrafiuormethtm. 


Tetrajodmetbani  CJ4  wird  ans  Tetrachlormethan  durch  Einwirku 
Alumini umJodid  erhalten  und  kiyatallisirt  in  dunkelrothen  Oktaedern;  es 
DubeeUndige  Substanz  und  liefert  schon  durch  Kochen  mit  Wasser  Jodoform 

Tetrafluormethan*  CFl^  kann  durch  directe  Vereinigur 
Fluor  mit  Kohlenstoff  erhalten  werden;  während  es  unmöglich  ist, 
mit  Kohlenstoff  durch  directe  Synthese  zu  verbinden,  tritt  zwiachec 
und  Kohlenstoff,  wenn  letzterer  in  leicht  angreifbarer  Form  —  al 
oder  leichte  Holzkohle  —  angewendet  wird,  unter  Feuererscheinm 
eioigung  ein.  Tetrafluormethaa  entsteht  ferner  durch  Umsetzung  zv 
TetrachJormethan  und  Fluorsilber;  es  ist  gasförmig  and  wird  von  al 
schem  Kali  unter  Bildung  von  Fluorkalium  und  Kaliumcarbonat  abf 

II.    DUialogenderivate  des  Aethans  and  seiner  Homolog 

Allgemeine  Zusammensetzung  C^H^^Clg. 
Unt«r  den   Dihalogenderivaten   der    Grubengas -Homologen    I 
je  nach  der  Stellung  der  beiden  Halogenatome  zu  einander  drei  G 
unterschieden  werden. 

1.  Die  beiden  Halogenatome  haften  an  einem  und  demselben  i 
Stoffatom;  typische  Verbindungen: 

CHCljCHj  Aethylidenchlorid,     CHg-CCIj-CHg  Chloracetol. 

2.  Die  beiden  Halogenatome  haften  an  zwei  benachbarten  Kohli 
atomen;  typische  Verbindung: 

CHjClCHjCl  Aethylenchlorid. 

3.  Die  beiden  Halogenatome  haften  an  zwei  nicht  direct  an  ei 
gebundenen  Kohlenstoffatomen;  typische  Verbindung: 

CH,C1-CH,CH,C1  Trimethylenchlorid. 
k.  Verblndangen  TOm  Typns  des  Aethylldenchlorlds  and 
aeetols.     Man  gewisint  die  hierher  gehörenden  Chlor-  und  BTo 
hindungen  aus  den  Aldehyden  bezw.  Ketonen,  indem  man  ihr 
^toffatom  durch  Chlor  bezw.  Brom  ersetzt: 

CH.-CHO        *-        CH,-CHC1., 

CH,.COCH, >-        CH,-CBi,.CH,; 

es  geschieht   dies   durch   Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  ^, 
pliorchlorobromid  *  PClgBr,  oder  auch  Chlorkohlenoxyd "  COClj. 
Sie  werden  ferner  häufig  bei  der  weiteren  Chlorirung  bezw. 

'  GwTAvmx,  Adu.  172,  113  (1874). 

'  Uoiaa.u(,  Compt  rend.  110,  276  (1890).  —  Güktz,  ebenda,  279.  —  1 
ebenda,  273. 

•  Vgl.  Rbboul,  Ann.  ch,  [5]  14,  459  (1878).  —  Libpbicht,  Ann.  103,  81 

-  FErsuEL,  Ann.  US,  236  (18591.  —  Frieiiei.  u.  LASKNBima,  Ann.  142,  315 

-  BBDVLum,  B«r.  8,  410  (1875|.  —  Oeconoxidbs,  Bull.  3S,  493  (1881). 

*  P1TBB116  u.  PiBATi,  Ber.  6,  289  (1872).  ^  Fk[Edel  u.  Ladenbubo,  Ztschi 
1868,  48.  —  Bbotuhts,  Ber.  8,  406  (I87&). 

'  EcKBHBOTB,  Ber.  18,  516  (1885). 


1^ 

^f  1  — 


544  Dih(dogenverbindungen  vom  Typus  des 

rung  von  HaJogenalkylen   erhalten  \   z.  B.  CHg-CHCl,    aus  CH^-CH^Cl. 
CHj.CCljCHg  aus  CH3.CHCI.CH3. 

Aus  den  Monohalogenderivaten  der  Aethylen- Kohlenwasserstoffe 
C^HjQ_jX  bilden  sie  sich  zuweilen  durch  Anlagerung  von  Halogenwasser- 
stoff«: 

CH,  :  CHBr  +  HBr     =     CH,  •  CHBr,  . 

Aus  den  Acetylenkohlenwasserstoffen  entstehen  sie  durch  Anlagerung 
von  2  Mol.  Halogen  Wasserstoff ' : 

CH:CH  +  2HC1     =     CH,.CHC1^; 
CH,.C:CH  +  2HBr     =     CH,  •  CBr,  •  GH, ; 

diese  Hildungs weise  wird  als  Darstellungsmethode  für   die  Jodverbin- 
dungen^  benutzt: 

CHsCH  +  2HJ     =     CH,.CHJ,. 

Die  drei  letzterwähnten  Beactionen  sind  insofern  bemerkenswerth,  als  sie  zeigen, 
dass  anter  Umständen  zwei  Halogenatome  einander  möglichst  nahe  Plätze  in  einem 
Molecül  aufsuchen,  während  man  vom  Standpunkt  elektrochemischer  Anschauungen 
im  Gegentheil  erwarten  sollte,  dass  gleichartige  Atome  sich  abstossen  und  dem- 
nach möglichst  entfernte  Orte  wählen.  Der  Verlauf  dieser  Beactionen  hängt  indess 
wesentlich  von  den  Bedingungen  ah;  während  z.  B.  Isopropylchlorid  bei  gemat«- 
sigter  Einwirkung  von  Chlor  im  Sonnenlicht  ein  Gemisch  von  Propylenchlorid 
CHjClCliClCH,  und  Chloracetol  CHj.CCl,CHj  liefert,  in  welchem  letzteres  vor- 
herrscht, entsteht  durch  Einwirkung  von  Chlorjod  bei  höherer  Temperatur  lediglich 
Propjlenchlorid*.  Vinylbromid  giebt  mit  sehr  concentrirter  Bromwasserstoffsfture 
Aethylenbromid,  mit  einer  weniger  concentrirten  Aethylidenbromid^ 

Die  den  Ketonen  entsprechenden  Dihalogenverbindungen  sind  ziem- 
lich unbeständig;  sie  spalten  sehr  leicht  ein  Molecül  Halogenwasser- 
stoff ab,  um  in  Monohalogenderivate  der  Aethylenkohlenwasserstoffe  über- 
zugehen. So  erhält  man  schon  bei  der  Darstellung  des  Chloracetols  aus 
Aceton  und  Phosphorpentachlorid  ^  daneben  Chlorpropylen  in  Folge  der 
XLßactiOTi  * 

CH,.CCl,.CHa-Ha  =  CH,:CC1.CH,. 

Die  höheren  Glieder®  zersetzen  sich  schon  beim  Sieden  theilweise  oder 
vollständig  in  dieser  Weise. 

Die  den  Aldehyden  und  Ketonen  entsprechenden  Dihalogenverbindungen  sind 
im  Allgemeinen   wenig  zu  glatten  Beactionen   bef&higt;   sie  besitzen  daher  f&r  die 

•  Vgl.  Reonault,  Ann.  33,  312  (1840).  —  Staedel,  Ztschr.  Chem.  1871,  197.  Ann. 
195,  183  (1878).  —  Peiedel  u.  Silva,  Ztschr.  Chem.  1871,  489. 

•  Reboül,  Compt  rend.  70,  398  (1870).    Ann.  eh.  [5]  14,  466,  469,  482  (1HT8). 

•  Sajbakejeff,  Ann.  178,  111  Anm.  (1873).  —  Reboul,  Ann.  eh.  (5|  14,  438, 
465  (1878). 

•  Bebthelot,  Ann.  132,  122  (1864).  —  Semenow,  Ztschr.  Chem.  1866,  72.5.  - 
Oppenheim,  ebenda,  719. 

^  Feiedsl  u.  Silva,  Ztschr.  Chem.  1871,  489. 

•  Reboul,  Compt  rend.  70,  398  (1870). 

7  Fbiedel,  Ann.  112,  286  (1859).  —  Fribdel  u.  Ladenbübo,  Ann.  142,  315  (1867). 
»  Vgl.  HsNBY,  Ber.  8,  400  (1875).    —    Bruyijints,  Ber.  8.  410  (1875).  —  Gik- 
SECKE,  Ztschr.  Chem.  1870,  431. 


Aethylidenehlorids  und  Chioracetols,  545 


chemische  Synthese  nur  geringe  Bedeutung  und  werden  selten  dargestellt  Als 
Zwischenprodukte  benutzt  man  sie  für  die  S.  124—125  besprochene  Darstellungs- 
methode höherer  Paraffine  und  die  S.  459  und  462  erwähnte  Gewinnungsweise  von 
Aoetylen-Homologen.  Es  genüge  hier,  die  dem  Acetaldehyd  und  Aceton  correspon- 
direnden  Halogenverbindungen  etwas  näher  zu  charakterisiren. 

Aethylidenchlorid^  (w  Dichloräthan)  CH, •  CHCl,  ist  eine  farblose,  mit  Wasser 
nicht  mischbare  Flüssigkeit,  siedet  bei  57  •  7®  und  besitzt  bei  10°  das  spec.  Gew.  1  •  189. 
Es  ist  in  den  Nebenprodukten  enthalten,  welche  bei  der  Chloralfabrikation  entstehen, 
und  bildet  sich  dabei  wohl  durch  weitere  Chlorirung  von  Chloräthyl.  Es  ist  als  An- 
Sstheticum  vorgeschlagen,  hat  aber  keine  Verbreitung  gefunden. 

Aethylidenbromid'  CH,-CHBrg  ist  flüssig,  siedet  bei  110-5®  und  besitzt  bei 
21-5^  das  spec.  Gew.  2082. 

Aethylidenjodid'  CH,-CHJ2  ist  eine  Flüssigkeit,  welche  zwischen  177  und 
179®  nicht  ganz  unzersetzt  siedet  und  bei  0°  das  spec.  Gew.  2-84  besitzt 

Chloracetol^  (CHg)2CCl2  («j  Dichlorpropan)  siedet  bei  69-7®;  spec.  Gew.  1-097 
115%  —  Bromacetol*  (CH8)8CBr,:  Siedepunkt  114—1160;  spec.  Gew.  1-848  (15<^). 
-  Jodacetol^  (CH8),CJj  siedet  unter  starker  Zersetzung  bei  147— 148 ^ 

B.  Verbindungen  Tom  Typus  des  Aethylenehlorids.  Man  ge- 
winnt diese  Verbindungen  durch  directe  Vereinigung  der  Aethylenkohlen- 
wasserstofFe    mit  den  freien  Halogenen: 

CH,:CH,  +  Cl,    =  CHjCl-CHjCl  :  Aethylenchlorid 

CHa-CH:CH,  +  Br,  =  CH,-CHBr.CH,Br  ;  Propylenbromid. 

Wenn  nach  dieser  Bildungsweise  auch  die  Structurformeln  der  hierher  gehören- 
den Verbindungen  als  selbstverständlich  erscheinen  mögen,  so  bedürfen  sie  doch  noch 
einer  besonderen  Prüfung.  Denn  gerade  der  Umstand,  dass  die  Additionsprodukte 
der  Alkylene  die  aufgenommenen  Atome  an  zwei  benachbarten  Kohlenstoffiitomen  ent- 
halten, war  ja  in  erster  Linie  dafür  massgebend,  das  Vorhandensein  einer  Doppel- 
bindung im  Molecül  dieser  Kohlenwasserstoffe  anzunehmen  (vgl.  S.  429—430).  Eb  ist 
daher  för  die  Theorie  der  ungesättigten  Verbindungen  von  grösster  Wichtigkeit,  die 
Constitutionsformeln  von  Verbindungen,  wie  Aethylenchlorid,  Aethylenbromid ,  Pro- 
pylenbromid, möglichst  sicher  zu  stellen. 

Dem  S.  429  gegebenen  indirecten  Beweise  für  die  Constitution  des  Aethylen- 
ehlorids sei  hier  zunächst  noch  ein  directer  Beweis  der  Structurformel  CHsBr-CHiBr 
für  Aethylenbromid   zugefügt.     Durch  Austausch   der  beiden  Bromatome  gegen 


^  Beilstein,  Ann.  113,  110  (1860).  —  Kbamee,  Ber.  3,  259  (1870).  —  Stadel, 
Ber.  16,  2563  (1882).  —  Tollens,  Ann.  137,  311  (1866).  —  BrüHL,  Ann.  203,  10 
11880).  —  ScHtPF,  Ann.  220,  96  (1883).  —  Thorpe,  Joum.  Soc.  37,  183  (1880).  — 
PRniRAM  a.  Handl,  Monatsh.  2,  650  (1881). 

*  A.  W.  Hopmann,  Jb.  1860,  346  Anm.  —  Caventou,  Ann.  120,  322  (186i). 
~  Tawildarow,  Ann.  176,  12  (18^5).  —  Denzel,  Ann.  196,  202  (1879).  —  ANsontJTz, 
Ann.  221,  137  (1883).  —  Perkin,  Joum.  Soc.  46,  523  (1884).  —  Henry,  Compt 
rend.  97,  1492  (1883).  —  Porcrand,  Ann.  eh.  [6]  28,  30  (1883). 

*  ausTAVsoH,  Ber.  7,  731  (1874).  —  Fribdel,  Ber.  7,  823  (1874). 

*  Friedel  u.  Ladenbüro,  Ann.  142,  315  (1867).  Ztschr.  Chem.  1868,  48.  — 
LiKNEKANN,  Ann.  161,  67  (1871).  —  Friedel  u.  Silva,  Compt.  rend.  74,  806  (1872). 
—  Perdn,  Joum.  Soc.  46,  529  (1884).  —  Spring,  Ber.  14,  758  (1881). 

^  LnrNEXANN,  Ann.  138,  125  Anm.  (1866);  161,  67  (1871).  —  Friedel  u.  Laden- 
Buso,  Ztackr.  Chem.  1868,  48.  —  Perkin,  Joum.  Soc.  46,  524  (1884). 

^  Oppenheim,  Ztschr.  Chem.  1866,  719.  —  Semenow,  ebenda,  725.  —  Sorokin, 
ebenda  1871,  264. 

T.  llsm  u.  Jacobson,  org.  Cb«iii.   I.  35 


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Constitution  der  Alkylenkcdogenide,  547 

Citate  zn  der  Tabelle  Nr.  30:  *  Limpbicht,  Ann.  94,  245  (1845).  —  "  Thobpe, 
Joum.  Soc.  37,  176,  182  (1880).  —  »  Stadel,  Ber.  15,  2563  (1882).  —  *  Brühl, 
Ann.  203,  10  (1880).  —  *  Schipp,  Ann.  220,  96  (1883).  —  «  Fobcrand,  Ann.  eh.  [5] 
28,  27  (1883).  —  '  Hagen,  Bull.  10,  355  (1868).  —  •  Perkin,  Joum.  Soc.  45,  520  flP. 
(1884).  —  •  Bronault,  Jb.  1863,  74.  —  "  Tawildarow,  Ann.  176,  14  (1875).  — 
"  Anschütz,  Ann.  221,  136  (1883).  —  "  Schorlemmer,  Ann.  150,  214  (1869).  — 
»  Cahoürs,  Ann.  76,  282  (1850).  —  "  Keynolds,  Ann.  77,  114  (1851).  —  "  Linne- 
MANN,  Ann.  136,  52  (1865);  161,  41,  53  ff.  (1872).  —  »•  Niederist,  Ann.  196,  358 
(1878).  —  "  Zander,  Ann.  214,  175  (1882).  —  "  Wurtz,  Ann.  152,  23  (1869).  — 
"  GrRARowBKT  u.  Saytzew,  Ann.  179,  330  (1875).  —  *®  Scheschükow,  Ber.  17o,  415 
(1884).  —  «1  WüRTZ,  Ann.  144,  236  (1867).  —  "  Linnemann  u.  Zotta,  Ann.  162,  33 
(1871).  —  »»  Wagner  u.  Saytzew,  Ann.  179,  308  (1875).  —  «*  Kondakofp,  Ber.  21o, 
439  (1888);  24,  930  (1891).  —  "  Hell  u.  Wildermann,  Ber.  24,  216  (1891).  — 
»Kbafpt,  Ber.  17,  1371  (1884). 

Hydroxyl  erfafilt  man  das  Gljkol  CsH4(0H)2,  in  letzterem  kann  man  durch  Erhitzen 

mit  Salzsäure   wieder   eine  Hydroxylgruppe   durch  Chlor   ersetzen   und   so   zu  dem 

/Gl 
Glykolchlorfaydrin   C^H«^        gelangen: 

.01 

CABrj      >-        CÄ(OH),        >-        C,H4<        , 

\0H 

in  welchem  die  Stellung  des  Chloratoms  und  der  Hydroxylgruppe  der  Stellung  der 
beiden  Bromatome  im  Aethylenbromid  entsprechen  muss;  von  den  beiden  möglichen 
Formeln: 

CH,a .  CH,(OH)        und        CH,  •  CH<f 

^OH 

wird  nun  die  erste  bestätigt,  die  zweite  dagegen  vollkommen  ausgeschlossen  durch 
das  Verhalten  des  Glykolchlorhydrins  bei  der  Oxydation  mit  Chromsäuregemisch, 
welche  zur  Bildung  von  Chloressigsäure: 

CH,C1.C0,H 

^rt^  Ueberdies  liefert  Aethylenbromid  auch  direct  durch  Oxydation  mit  Salpeter- 
säure Bromessigsäure»  CH,Br.CO,H. 

Da  bei  der  Addition  von  Jodwasserstoff  an  Propylen  Isopropyljodid  CH,  •  CHJ-  CHg 
entsteht',  eines  der  fixirten  Atome  also  das  mittelständige  Kohlenstoffatom  aufsucht, 
so  muss  auch  das  durch  Addition  von  Brom  an  Propylen  entstehende  Propylen- 
bromid  ein  Bromatom  am  mittelständigen  KohlenstofFatom  enthalten.  Es  sind  dem- 
nach nur  zwei  Formeln  möglich: 

CHsCBrj.CH,        und        CH^BrCHBrCHj, 

von  denen  aber  die  erste  schon  dem  Bromacetol  wegen  seiner  Beziehungen  zum  Aceton: 

CHjv  CH,v 

>C0      >-  >CBr, 

CHg/  CH/ 

zugeschrieben  werden  musste  (vgl.  S.  545.).    Für  das  vom  Bromacetol  durchaus  ver- 
schiedene Propylenbromid  ergiebt  sich  demnach  die  Formel: 

CHjBrCHBrCH, 

'  Kriwaxik,  Ztschr.  Chem.  1871,  264.  *  Kachler,  Monatsh.  2,  559  (1881). 

■  £bleiimeteb,  Ann.  139,  228  (1866).  —  Bütlerow,  Ann.  145,  275  (1867). 

35* 


Rtactionen  der 

1,  die  femer  dadurch  bestätigt  wird,  das8  ea  sowohl  ans  oonnalein  Pru- 
rie  auch  aus  leopropjlbromid  durch  weitere  Bromirung  entsteht', 
ibelle  Nr,  30  auf  S.  546  giebt  eine  ZusainmeiisteUung  hierher 
Ihloride  und  Bromide.  Die  Verbindungen  sind  farblose  Flüasig- 
besitzen  meist  einen  angenehmen  ätherischen  Geruch,  welcher 
leren  Eeiben  weniger  hervortritt. 

Gegensatz  zu  den  selten  gebrauchten  isomeren  Verbindnngeu 
des  Aethylidenchlorids  (vgl,  S.  544 — 545)  sind  diese  Dihalogen- 
en  für  synthetische  Arbeiten  von  der  grössten  "Wichtigkeit; 
las  Aetbylenbromid  CH,Br-CHjBr  wird  ausserordentlich  häuäg 
und  vielfach  verwendet. 

P^erth  dieser  Dibromide  besteht  namentlich  darin,  dass  sie 
;ang  von  den  einwerthigen  zu  den  zweiwerthigen  Verbindungen 
Indem  wir  z.  B.  von  dem  einwerthigen  Aetbylalkohol  aus- 
sen durch  Waaaerentziehung  in  Aethylen  verwandeln  und  letz- 
Brom  vereinigen: 

CHjOII  CH,  GH,-Br 

CH,  CH,  CH,— Br' 

urch  zwei  glatt  verlaufende  und  leicht  ausfilhrbare  Reactionen. 
dich  zu  einer  Operation  zusammengezogen  werden  (vgl.  S.  5.i(i). 
Kweiwerthigen  Verbindung  gelangt,  welche  nun  in  Folge  der 
ibigkeit  ihrer  Halogenatome  in  zahllose  andere  zweiwerthig? 
»en  verwandelt  werden  kann: 

C,H,Br,  +  2H,0  =  2HBr  +  C,H,{OH)„ 

0,H,Br, +  2NH,  =  C,HjNH,),.2HBr, 

C,H,Br,  +  2KCN  =  2KBr  +  C,H,(CN)„ 

C,H«Br,  +  2K8H  =  2KBr  +  C,H,(SH)(  u.  a.  w. 

erwendbarkeit  für  solche  Reactionen,  durch  welche  die  beiden 
ime  gegen  zwei  andere  einwerthige  Reste  ausgetauscht  »er- 
,  wird  freilich  dadurch  etwas  beeinträchtigt,  dass  die  V>\\ao- 
■  der  Einwirkung  mancher  Beagei>tien  leicht  Bromwassenituff 

um  in  die  wenig  reactionsfahigen  Iifonohalogenderivat«?  iler 
fgl.  S,  470—471)  überzugehen: 

CH,Br.CH,Br— HBr  =  CH,:CHBr. 
,  man   z.  B.,   wenn   man  Äethylenbromid  C^H^Br,  in  Glykoi 

umwandeln  will  (vgl.  S.  566),  meist  einen  beträchÜichen  Theil 
enbromids  durch  die  Bildung  von  Vinylbromid  CjHjBr;  bei 
kung  von  wässrigem'  oder  alkoholischem  Aetzkali  erhält  man 
)ezw,  Acetylen,  vgl,  S.  454)  ausscbliesshch,  bei  der  Einwirkung 
isaurem  AlkaU  entsteht  sowohl  Vinylbromid  wie  Glykol,  bei 

DUNH,  Ann.  136,  52  (1865);  161,  41  (1872). 
nfBVBST,  Ana.  192,  240  (1878). 


Alkylenhatogenide. 

iigerem  Srhitzen  mit  Wasser'  allein  aaf  100"  oder  mit  Silbercar 
[k1  Wasser  auf  55"  erhält  man  Glykol  in  reichlicher  Menge. 

Durch  die  eben  erwähnte  Eigenschaft,  leicht  1  Mol.  Halogene 
toff  abzuspalten,  erhalten  diese  Verbindungen  indess  in  anderer 
lüg  Bedeatung,  indem  sie  Ausgangspunkte  zur  Gewinnung  1 
lalogeoderivate  werden.  Denn  die  durch  diese  Abspaltung  ent 
en  Monohalogenderivate  vermögen  als  ungesättigte  Verbindungen 
Mol.  Halogen  zu  fixiren,  um  in  gesättigte  Trihalogenderivate 
iigehen ,  welche  ihrerseits  nun  wieder  durch  Abspaltung  von 
{(tlogenwasser Stoff  und  darauf  folgende  Anlagerung  von  1  Mol.  S 
Cetrahalogeriderivate  liefern  u,  s.  w.  So  kann  man  vom  Aethylenl 
i.  B.  durch  eine  Reihe  von  Zwischenstufen  bis  zum  völlig  brc 
.\eUiylen  und  Aethan  gelangen: 

CHjBrCHiBr         -»-     CH,:CHBr 

CH,Br-CHBr,     »-     CH, :  CBr, 

-*' — ■ " 

CHjBr.CfBr, >■     CHBr:CBr, 

CHBr.-CBr,       »-     CBr,:  CBr, 

CBr, -CBr, 
Beim  Erhitzen  der  Alkjleubromide  mit  Waaser  allein*  auf  höhere  Ten 
oder  mit  Wasser  in  Gegenwart  von  Bieioxyd*  oder  Silberoiyd*  hat  man  hS 
Reactionsprodukte  nicht  die  zu  erwartenden  Glykole,  sondern  Htattdeiwen  A 
hfxv.  Ketone  erhalten,  z.  B.  Aeetaldehjd  aus  Aethylenbromid.  Es  erklärt  s 
ilidnrch,  dass  entweder  das  Alkjlenbromid  zunächst  in  Bromalkylen  übei^egi 
ist.  und  letzteres  nun  in  Beaction  getreten  iat: 

CH,Br  CH,  CB,  CU, 

CH^Br  CHBr  ^      CH(OH)  CHO' 

iHfr  daas  die  primSr  gebildeten  Gtjkole  durch  Abspaltung  von  Wasser  in  d 
tyde  verwandelt  sind  (vgi.  S.  475—476,  565): 

CH,Br  CH,COH)  CH,  CH, 

CH,Br  CH,(OH)  CH(OH)  CHO  " 

Bei  der  Einwirkung  von  Reductionsmitteln*  verlieren  die  Ä 
bromide  leicht  ihr  Brom,  um  in  Alkylene  überzugehen  (vgl.  S.  439- 
__  CH,-CHBr.CH,Br  +  2H  =  CH,CH:  CH,  +  2HBr. 

'  NsDBum',  Ann.  196,  354  1,1678).        ■  BsiutTeiM  a.  Wiboahd,  Ber.  IB,  136: 
*  CuuüB,  Ann.  131,  172  (1864).  —  Linbmakn,  Ann.  181,  58  (1872).  - 
!u!o.-  n.  ZoiT*,  Ann.  163,  33  (1811).  —  NIobli,  Ber.  16,  2983  (1883). 
'  Eltmow,  Ber.  6,  558  (1873).  —  Nbvoi-b,  Ber.  9,  447  (1876), 
'  BnwTMji  u.  WiRQAND,  Ber.  16,  1388,  1496  (1882). 
'  OuDarotni  n.  Tbibe,  Ber.  7,  364  (1874).  ~   Liknbuakn,  Ann.  161,  5( 
^- 10,  1113  (1877). 


550  Aethylenrchlorid,  -hromid,  -Jodid. 

unter  den  einzelnen  Dihalogenderivaten  der  Paraffine  besitzt  das  Aethylen- 
chlorid  ein  historisches  Interesse,  da  die  Bildung  dieser  öligen  Flüssigkeit  durch 
die  Vereinigung  der  beiden  Gase  Aethylen  und  Chlor,  welche  übrigens  ziemlich  lang- 
sam von  statten  geht,  schon  frühzeitig  (1795)  von  vier  holländischen  Chemikem  be- 
obachtet wurde;  die  Verbindung  wurde  daher  früher  das  ^^Oel  der  holländischen 
Chemiker"  genannt  (vgl.  S,  436-437,  446). 

Das  Aethylenbromid  CHjBr'CHjBr (öw'  Dibromäthan)  wird,  wie  schon  S.  5i8 
erwähnt  ist,  sehr  häufig  im  Laboratorium  für  synthetische  Zwecke  verwendet;  da  es 
für  viele  Stoffe  ein  erhebliches  Lösungsvermögen  besitzt,  leicht  erstarrt  (bei +8°)  und 
unzersetzt  siedet  (bei  131^),  so  leistet  es  auch  als  Losungsmittel  für  Moleculargewichts- 
bestimmungen  nach  der  Gefrier-  oder  Siedemethode  gute  Dienste*.  Neuerdings  ist  seine 
Anwendung  für  medicinische  Zwecke  als  Anti-Epilepticum  vorgeschlagen  worden '.  In 
grösseren  Gaben  wirkt  es  als  Herzgift;  man  hat  sich  daher  sehr  vor  Verwechslungen  mit 
dem  als  Narkoticum  benutzten  Aethylbromid  (vgl.  S.  187—188)  zu  hüten,  wie  sie  beider 
Aehnlichkeit  der  Namen  leicht  verkommen  können  und  in  einigen  Fällen  zu  beklagens- 
werthen  Folgen  gefuhrt  haben*.  —  Zur  Darstellung*  des  Aethylenbromids  lässtman 
das  nach  der  auf  S.  446  gegebenen  Vorschrift  entwickelte  Aethylengas  in  massigem 
Strome  durch  Brom  streichen,  welches  mit  etwas  Wasser  überschichtet  ist;  man  bringt 
das  Brom  zweckmässig  in  Absorptionsflaschen,  deren  Kappen  eingeschliffen  sind,  um 
Korkverbindungen  zu  vermeiden,  schaltet  zwei  Flaschen  —  mit  je  100g  Brom  beschickt 
—  hintereinander  und  stellt  sie  während  der  Operation  in  kaltes  Wasser.  Die  Absorp- 
tion erfolgt  sehr  rasch;  man  erkennt  den  Fortgang  der  Beaction  daran,  dass  das 
Brom  allmählich  entfärbt  wird  und  sein  Volum  vergrössert;  wenn  schliesslich  die 
Bromschicht  in  eine  fast  farblose  ölige  Flüssigkeit  verwandelt  ist,  unterbricht  man 
das  Einleiten,  wäscht  das  Oel  mehrmals  mit  Wasser  imd  schwacher  Natronlauge  und 
reinigt  es  schliesslich  durch  Bectificiren. 

Die  Alkylenjodide  CqHjqJs  sind  unbeständige  Verbindungen.  Aethylen- 
jodid^  CHsJ-CHgJ  bildet  farblose  Nadeln,  schmilzt  bei  81—82^,  zersetzt  sich  bei 
85^  unter  Abscheidung  von  Jod  und  besitzt  einen  starken,  zu  Thränen  reizenden 
Geruch.  Propylenjodid«  (w«  Dijodpropan)  CHa.CHJ-CHjJ  (vgl.  Allyljodid  S.  472 
—473)  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  vom  spec.  Gew.  2-49  bei  18  «5®. 

C.  Verbindungen  vom  Typus  des  Trimethylenehlorids.  Diese 
Verbindungen,  in  deren  Molectilen  die  Halogenatome  an  entfernteren 
Stellen  des  KohlenstoflFgerüsts  haften,  sind  mindestens  ebenso  reactions- 
fähig,  wie  die  isomeren,  im  vorigen  Abschnitt  besprochenen  Verbindungen 
vom  Typus  des  Aethylenchlorids.  Sie  würden  zweifellos  eine  ausgebreitete 
Verwendung  für  synthetische  Arbeiten  finden,  wenn  nicht  leider  ihre 
Darstellung  vorläufig  eine  verhältnismässig  mühsame  wäre. 

Den  Ausgangspunkt  zur  Gewinnung  der  Trimethylenhalogenide 
XCHj-CHj-CHgX   bildet   das   Trimethylenbromid ,    welches    man   durch 


*  Vgl.  Beckmann,  Ztscbr.  f.  physik.  Obern.  6,  472  (1890). 
«  Donath,  Pharmac.  Centralballe  32,  277  (1891). 

»  Vgl.  Pharmac.  Centralballe  30,  105  (1889). 

^  Vgl.  Erlbnmeyeb  u.  Bxtnte,  Ann.  163,  64  (1873).    —    Eklenmsybr,  Ann.  192, 
244  (1878). 

*  Reonault,  Ann.  15,  67  (1835).  —  Semenow,  Zeitschr.  Chem.  1864,  674.  — 
SoBOKiN,  Zeitschr.  Chem.  1870,  519.    —   Akonsteen  u.  Kramps,  Her.  13,  489  (I880i. 

*  Berthelot  u.  Luca,    Ann.  92,  311  (1854).     —     Malbot,    Ann.  eh.  [6]    19, 
348  (1890). 


k 


Trimethylen^chlorid,  -bromid,  -Jodid.  551 


idition    von  Bromwasserstoff  an  Allylbromid  erhalten  kann.     Da  diese 
leaction  in  zwei  Richtungen  verlaufen  kann: 

_^  CH,.CHBr.CH,Br 
CH,:CH.CH,Br  +  HBr     =     ^""^  , 

"^»^  CHjBrCHj.CHjBr 

)  koniint  es  für  die  Gewinnung  des  Trimethylenbromids  auf  die  Ein- 
altung  bestimmter  Bedingungen^  an;  wenn  man  das  Allylbromid  bei 
iederer  Temperatur  mit  Bromwasserstoff  sättigt,  dann  im  verschlossenen 
Jefass  bei  35 — 40^  stehen  lässt  und  das  Sättigen  und  Stehenlassen  so 
ange  wiederholt,  bis  der  Bromwasserstoff  nicht  mehr  absorbirt  wird,  so 
'rhält  man  fast  die  theoretische  Ausbeute  an  Trimethylenbromid,  wel- 
L'hes  völlig  frei  von  Propylenbromid  ist.  —  Trimethylenchlorid  und  -Jodid 
werden  aus  dem  Bromid  durch  Umsetzung  mit  Quecksilberchlorid  bezw. 
Jodkalium  oder  Jodnatrium  oder  aus  dem  entsprechenden  Glykol  (vgl. 
S.  569)   durchErhitzen  mit  Chlor-  bezw.  Jodwasserstoffsäure  gewonnen. 

Trimethylenchlorid**'  CH,Cl-CHt'CH,Cl  (ww'  Dichlorpropan)  ist  eine  an- 
genehm riechende  Flüssigkeit;  siedet  bei  120^  und  besitzt  bei  18^  das  spec.  Gew. 
1190.  —  Trimethylenbromid»-*  CH,Br.CH,.CH,Br  siedet  bei  165<>  und  besitzt 
bei  17®  das  spec.  Gew.  1-974;  durch  Kochen  mit  Wasser  wird  es  fast  quantitativ 
m  Trimethylenglykol  übergeführt,  mit  alkoholischem  Kali  liefert  es  AUyläthyläther; 
schon  bei  gelindem  Erhitzen  mit  Zinkstaub  und  Alkohol  wird  ihm  das  Brom  unter 
Bildung  von  Trimethylen  entzogen;  beim  Stehen  mit  Aluminiumbromid  lagert  es 
sich  in  gewöhnliches  Propylenbromid  um.  —  Trimethylenjodid"**  CHjJ-CH,« 
Cllfi  bleibt  noch  bei  —20®  flüssig,  siedet  bei  224®  und  besitzt  bei  15®  das  spec. 
ßew.  2-576. 

Die  Constitution  des  Trimethylenbromids  muss,  da  von  den  vier  überhaupt 
möglichen  Formeln  einer  Verbindung  CgH^Br,: 

CHBr,  CHs  CH,  CH,Br 

I  I  I  I 

CH,  CBr,  CHBr  CH, 

'II' 
CH,  CH,  CH,Br  CH,Br 

<lie  drei  ersten  schon  fiir  das  Propylidenbromid ,  Bromacetol  (S.  545)  und  Propylen- 
bromid (S.  546 — 547)  als  richtig  erkannt  sind,  das  Trimethylenbromid  aber  ver- 
schieden von  diesen  Verbindungen  ist,  durch  die  vierte  Formel  ausgedrückt  werden, 
welche  sich  auch  seiner  Entstehungsweise  und  seinen  Umwandlungen  aufs  Beste 
anpasst 

Unter  den  isomeren  Dihalogenderivaten  C,HeX,  zeigen  die  Trimethylenverbin- 
dungen  den  höchsten  Siedepunkt;  darauf  folgen  die  Propylenverbindungen,  dann  die 
Propyliden Verbindungen,  während  die  dem  Aceton  entsprechenden  Substanzen  am 
flfichtigsten  sind. 


*  Reboül,  Ann.  eh.  [5]  14,  470  (1878).  —  Lermomtoff,  Ann.  182,  858  (1876).  —  | 
Erlewoteb,  Ann.  197,  16»  (1878).  —  Bora,  Ber.  14,  1851  Anm.  (1881).  ' 

'  Reboul,  Ann.  eh.  [5]  14,  460,  470  (1878). 

*  Fbeühd,  Monatsh.  2,  688  (1881). 

*  Geromokt,  Ann.  158,  370  (1871).  —  Zandbb,  Ann.  214,  176  (1882).  —  Nie- 
DEWOT,  Monatsh.  3,  838  (1882).  —  Güstavson,  J.  pr.  [2]  36,  300,  303  (1887).  — 
Beimtbik  u.  Wiboahd,  Ber.  15,  1497  (1882). 

*  FEBEor,  Ber.  18,  221  (1885).  —  Henbt,  Ber.  18,  519  (1885). 


552  Tetra/mstkylenbromid,  PenfcMnethylenbromid. 


Infolge   der    Bildung   des   Trimethjlenbromids  aus  AUjlbromid    sind  die  Tri 
methylenverbindungen  noch  cinigcrmassen  leicht  zugänglich;  sehr  mühsam  zu  ertiAlt^i. 
und  daher  noch  wenig  bekannt  sind  Verbindungen ,  deren  Ualogenatome  durch  *^ 
grössere  Zahl  von  Methylengruppen  getrennt  sind. 

Tetramethylenbromid»  (ww' Dibrombutan)  CH,BrCH,.CH,.CH,Br  tSied? 
punkt  188 — 190^)  gewinnt  man,  indem  man  das  aus  Aethjlenbromid  erhaltlirh« 
Aethjlencyanid  zu  einem  Diamin  reducirt,  dieses  Tetramethylendiamin  durch  ba' 
petrige  Säure  in  das  entsprechende  Glykol  verwandelt  und  letzteres  mit  Brr^u- 
Wasserstoff  erhitzt: 

CH,Br  CHjCN  CH^CH^NHa  CHjCHgOH  CH..Clf.JBr 

CHjßr  CHjCN  CH,.CH,.NH,  CH^CHjOH  CH^Ch^r 

—  Ein  Homologes    —    j'-Pentylenbromid*  {10^  Dibrompentan)  CH,-CHBrCH. 
CHj.CHjBr  (Siedepunkt  202®)  —  wurde  aus  dem  y-Pentylenglykol  (vgl.  S.  5i0i  n- 
halten.  *—  Die  analoge  Stellung  der  Halogenatome  findet  sich  wahrscheinlich  auch  ii- 
den  Produkten,  welche  durch  Anlagerung  von  Halogen  Wasserstoff  an  Diallyl'  iv/i 
S.  465)  entstehen: 

CH,:CH.eH,.CH8.CH:CHs  +  2HCl  =  CHa.CHCl.CHj.CHj.CHCl.CH,. 

Pentamethylenbromid*  (ca«'  Dibrompentan)  CH,Br-(CH,),-CH,Br  (Siede- 
punkt 204—206®)  kann  aus  dem  Trimethylcnbromid  durch  dieselbe  Folge  von  Hem- 
tionen  gewonnen  werden,  wie  das  Tetramethylenbromid  (s.  oben)  aus  Aethjlenbromid. 

III.    Dihalogenderlyate  der  ungesSttl^n  Kohlenwasserstoffe. 

Unter  diesen  weniger  wichtigen  und  in  nicht  sehr  grosser  Zahl  bekannfen  Vcr- 
bindungen  seien  nur  die  Substitutionsprodukte  des  Aethylens  hervorgehobeo;  sn^ 
können  in  zwei  isomeren  Formen  auftreten,  welche  man  zweckmässig  als  ajmmetnsch' 
und  unsymmetrische  Derivate  unterscheidet: 

CHX :  CHX  CH, :  CX, 

symmetrisch  un^mmetrisch. 

Von  den  symmetrisch  constituirten  Verbindungen  ist  namentlich  das  Di  bro  in  • 
äthylen*  CHBr:CHBr  (Acetylendibromid)  genauer  untersucht  Man  kann  f^ 
durch  Vereinigung  von  Acetylen  mit  Brom  erhalten,  wenn  man  verdünnte  Brom 
lösungen  anwendet  und  stets  für  das  Vorhandensein  von  überschüssigem  Acetrleii 
sorgt;  zweckmässiger  gewinnt  man  es  aus  Acetylentetrabromid  CHBrj'CHBr,,  indeni 
man  letzterem  durch  Einwirkung  von  Zink  und  Alkohol  zwei  Bromatome  entzieht. 
Es  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  riecht  chloroformähnlich,  erstarrt  nicht  bei  -l'^- 
siedet  bei  110®  und  besitzt  bei  17 «5®  das  spec  Gew.  2-271.  Zu  doppelten  Um- 
setzungen, in  denen  beide  Bromatome  gegen  einwerthige  Reste  ausgetauscht  werden. 
ist  es  nicht  befähigt;  es  spaltet  leicht  Brom  Wasserstoff  unter  BUdung  von  Brow- 
acetylen  ab;  mit  Brom  vereinigt  es  sich  zu  Acetylentetrabromid.  —  Das  symme- 


*  GüSTAVsoN  u.  Demjanoff,  J.  pr.  [2]  39,  542  (1889). 

*  Lipp,  Ber.  22,  2570  (1889). 

»  WiTRTz,  Ann.  eh.  |4|  3,  158  (1864).   —   Sorokik,  J.  pr.  [21  23,  17  (1880). 
Dehjanoff,  Ber.  23  o,  326  (1890). 

*  GüSTAVsoN  u.  Devjanoff,  J.  pr.  \2\  39,  542  (1889). 

■^  Sabanejbw,  Ann.  178,  115  (1873);  216,  251  (1882).   Ber.  18o,  374  (1885). 
WEaEB,  Ann.  221,  72  (1883).  —  Anschütz,  Ann.  221,  141  (1883). 


i 


Dihalogenderivate  des  Aethylens,  553 


Tische  Oijodäthylen^  CH J :  CH J  (Acetylendijodid)  wird  durch  Vereinigung 
on  Acetylen  mit  Jod  erhalten,  bildet  dünne  Nadeln  von  intensivem  Greruch,  schmilzt 
>ei  73  *>  und  siedet  bei  192  ^ 

W&brend  diese  Verbindungen  ohne  Veränderung  aufbewahrt  werden  können, 
Tleiden  die  unsymmetrisch  constitnirten  Isomeren  bei  Luftzutritt  sehr  rasch  Poly- 
merisation. Man  gewinnt  sie  aus  den  Halogenadditionsprodukten  der  Vinylhalogene 
iuTch  Bromiirajsserstoffentziehung,  z.  B.: 

CHjiCHBr  +  Br,  =  CH^BrCHBr,, 
CHjBrCHBr,  -  HBr  =  CH« :  CBr, . 

l>as    unsymmetrische    Dichloräthylen*    CHg :  CGI,    ist    eine    knoblauchartig 
riechende    Flüssigkeit,   siedet  bei  37**  und  besitzt  bei  15®  das  spec.  Gew.  1'25.   — 
Unsymmetrisches  Dibromäthylen"  CHj :  CBr,  siedet  bei  91 — 92*  und  zeigt  bei 
21®  das  spec.  Gew.  2-178.   Es  besitzt  die  höchst  merkwürdige  Eigenschaft,  den  Sauer- 
stoff der  Lnft  zu  absorbiren,  um  in  eine  Verbindung  CgHsBrjO  überzugehen,  welche 
mchts   anderes   als   Bromacetylbromid  CH^Br-COBr   ist^   und    demnach  die  beiden 
Bromatome,   die  vorher  an  einem  Kohlenstoffatom  hafteten,  auf  beide  Kohlenstoff- 
atome vertheilt  enthfilt     Vielleicht  erklärt  sich  dieser  sonderbare  Vorgang  derart, 
(hss  ein  Molecül  Dibromftthylen  einem  zweiten  Molecül  Bromwasserstoff  entzieht  und 
letzteren  zugleich  mit  einem  Sauerstoffiitom  addirt: 

CH,  CHj  CH       CHjBr 

II       +  0  +  Jl        =  ^!     +  I 

Cßrj  CBr,         ÖBr      CBr.OH 

es  wurde  sich  eine  unbeständige  Verbindung  bilden,  welche  durch  Bromwasserstoff- 
Abgabe  in  Bromacetylbromid  übergehen  müsste,  und  durch  die  Aufnahme  des  ab- 
gespaltenen Bromwasserstofis  könnte  das  in  der  ersten  Phase  gebildete  Bromacetylen 
wieder  in  Dibromacetylen  verwandelt  werden: 

CH       CH,Br  CH,       CH,Br 

CBr      CBrjOH         CBr,       COBr 

lY.    Trlhalogenderlyate. 

Für  Trihalogenderivate  des  Aethans  ergeben  sich  zwei  Isomerief^lle  als 
möglich: 

CHjXCHX,        und        CHg-CXg. 

Die  Verbindungen  der  ersten  Art  bilden  sich  durch  Addition  der  Halogene  an 
die  Vinylhalogene: 

CH, :  CHBr  +  Br,  =  CH,Br.CHBr„ 

femer  durch  weitere  Chlorirung  bezw.  Bromirung  der  Alkylenhalogenide : 

_  CH,C1.CH,C1  +  Cl,  =  CH,C1CHC1,  +  HCl. 

*  Berthelot,  Ann.  132,  122  (1864).  —  Sabanejew,  Ann.  178,  118  (1873);  216, 
*-i'<5  (1882).  —  PLmpTON,  Journ.  Soc.  41,  391  (1882).  —  Patebnö  u.  Peratoneb,  Ber. 
24o,  152  (1891). 

*  Rbonault,  J.  pr.  18,  82  (1838).  —  Krämbe,  Ber.  3,  261  (1870).  —  Henry, 
^'ompt  rend.  97,  1492  (1883).  —  Engel,  Compt.  rend.  104,  1624  (1887). 

*  Sawitsch,  Ztschr.  Chem.  1860,  744;  1861,  1.  —  Fontaine,  Ann.  156,  260 
(1870).  -  Tawildabow,  Ann.  176,  23  (1875).—  Sabanejew,  Ann.  216,  255  (1882).  — 
AsscHüTz,  Ann.  221,  142  (1883).  —  Henry,  Bull.  42,  262  (1884).  Compt.  rend.  97, 
1493  (1883). 

*  Dmole,  Ber.  11,  316,  1307  (1878);  12,  2245  (1879).  Bull.  29,  205  (1878);  34i 
201  (1880).  -Michael,  Ber.  16,  2499  (1888).  —  G.  Wagner,  Ber.  21,  8356  (1888). 


554  TViJuüögenderivcUe  des  Aßthans,  Äethylens,  Propans, 


Sie  spalten  leicht  Ilalogenwasserstoff  ab,  um  in  die  unsymmetrischen  Dihalogenderi- 
vate  des  Aethylens  überzugehen  (s.  S.  553).  —  Chloräthylenchlorid^  CH,C1-CHC1^ 
(Vinjltrichlorid,  (ucü^-Trichloräthan)  findet  sich  unter  den  Nebenprodukten 
der  Chloralfabrikation ;  es  siedet  bei  114^  und  besitzt  bei  9^  das  spec.  Gew.  1*458.  — 
Bromäthylenbromid*  CHsBrCHBr,  siedet  bei  188<>  und  besitzt  bei  18'  das 
spec.  Gew.  2-619. 

Das  Chlorderivat  der  zweiten  Form  —  Chloräthylidenchlorid'  CHj-CClj 
(Methylchloroform,  w  Trichloräthan)  —  wird  durch  Chlorirung  von  Aethyliden- 
chlorid  erhalten,  siedet  bei  74®  und  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  1*346;  durch  Ein- 
wirkung von  alkoholischem  Kali  wird  es  in  Essigsäure  übergeführt.  —  Die  ent- 
sprechende Jod  Verbindung  —  Methyljodoform*  CHg-CJa  —  entsteht  daraus  durch 
Plin Wirkung  von  Aluminiumjodid,  bildet  gelbe  Oktaäder  und  schmilzt  bei  95  **  anter 
Zersetzung. 

Trihalogenderivate  des  Aethylens  sind  nur  in  einer  Modifie-ation: 

CHX :  CX, 

denkbar;  zu  dieRcn  Verbindungen  gelangt  man  vom  Acetylen  aus,  indem  man  den 
Halogenadditionsprodukten  desselben  (s.  S.  555)  Halogenwasserstoff  entzieht: 

CH :  CH  +  2  Cl,     =     CIICl, .  CHCl, ;        CHCl,  •  CHC1,-HC1     =     CHCl :  CCl, , 

oder  von  den  Dihalogenderivaten  des  Aethylens  (S.  558),  indem  man  sie  gleichfalls 
zunächst  mit  Halogen  verbindet  und  dann  wieder  Halogenwasserstoff  abspaltet: 

CH,  :  CBr,  +  Br,     =     CHjBr-CBrj  ;        CH.BrCBr,— HBr     =     CHBr :  CBr, . 

Trichloräthylen»  CHC1:CC1,   siedet  bei  87— 88^  —  Etwas   genauer  untersucht 

ist  das  Tribromäthylen«  CHBriCBr^,  welches  bei  163—164«  siedet  und  bei  20® 

das  spec.  Gew.  2*708  besitzt;  ähnlich  dem  unsymmetrischem  Dibromäthylcn  (8.553) 

geht  es  durch  Absorption  von  Sauerstoff  in  Dibromacetylbromid  CHBr,*COBr  über. 

Unter  den  Trihalogenderivaten  des  Propans  sind  die  Verbindungen  von 

der  Structur 

CH,X.CHX*CH,X 

hervorzuheben.  Da  die  Stellung  ihrer  Halogenatome  der  Stellung  der  Hydroxyl- 
gruppen im  Glycerin  CH8rOH)*CH(OH)*CH,(OH)  entspricht,  so  sind  sie  aus  dem 
Glycerin  gewinnbar,  indem  man  seine  Hydroxylgruppen  gegen  Halogenatome  aus- 
tauscht; zwei  Hydroxylgruppen  werden  bereits  bei  der  Einwirkung  von  concentrirten 
Halogenwasserstoffisäuren   auf  Glycerin   ausgewechselt;   iu   den  so  entstehenden  Di- 


»  Rbqnault,  Ann.  eh.  [2]  69,  153,  159  (1888).  —  Krämer,  Ber.  3,  261  (1870).  - 
Pierre,  Ann.  80,  127  (1851).  —  Schiff,  Ann.  220,  97  (1883).  —  Brünner  u.  Bbak- 
DENBüRO,  Ber.  10,  1496  (1877);  U,  61  (1878).  —  Staedel,  Ber.  16,  2563  (1882).  — 
Engel,  Compt.  rend.  104,  1624  (1887). 

•  WuRTz,  Ann.  104,  243  (1857).  —  Simpson,  Jb.  1857,  461.  —  Caventou,  Ann. 
120,  323  (1861).  —  Glöckner,  Ann.  Suppl.  7,  108  (1869).  —  Tawildaeow,  Ann- 176, 
21  (1875).  —  ANSCHtJTz,  Ann.  221,  138  (1883).  ~  Henry,  Bull.  42,  262  (1884).  Compt 
rend.  97,  1493  (1883). 

»  Regnault,  Ann.  33,  319  (1840).  —  Pierre,  Ann.  80,  127  (1851).  —  For- 
CRAND,  Ann.  eh.  [5]  28,  25  (1883).  —  Staedel,  Ber.  15,  2563  (1882). 

*  DE  Boissieu,  Ber.  21c,  607  (1888). 

^  E.  Fischer,  Ztschr.  Chem.  1864,  268.  —  Berthblot  u.  Jünqflsisch,  Ann. 
Suppl.  7,  255  (1870).  —  Patern6  u.  Oglialoro,  Ber.  7,  81  (1874). 

ö  Lennox,  Ann.  122,  125  (1862).  --  Sabanejew,  Ann.  178,  114,  122  (1878).  — 
Sabanejew  u.  DwoRKOwrrscH,  Ann.  216,  279  (1882).  —  Demole,  BulL  29,  207  (1878). 
Ber.  U,  318  (1878). 


TeirahalogendenvcUe  des  Aethans.  555 


lalogenhydrinen  ersetzt  mAn  das  letzte  Hydroxjl  durch  Behandlung  mit  Phosphor- 
pentachlorid  bezw.  -bromid: 

(CH,C1),CH.0H  +  PCI5     =     (CH,C1),CHC1  +  POCl,  +  HCl . 

Dieser  Beziehung  wegen  bezeichnet  man  die  Verbindungen  als  Glycerylhaloge- 
nlde.  Sie  entstehen  femer  aus  den  Allylhalogenen  durch  Vereinigung  mit  den  Ha- 
logenen : 

CH,  :  CR .  CH,Br  +  Er,     =     CH,Br  •  CHBr  •  CH,Br . 

Glyceryltrichlorid»    CH.CICHCI.  CH,C1    (Trichlorhydrin,    Allyltri- 

chlorid,    6iaa>'-Trichlorpropan)  kann  auch  (neben  Isomeren)  durch  Chlorirung 

von  Propylenchlorid  mittelst  Chlorjod  erhalten  werden;  es  siedet  bei  155®,  besitzt  bei 

0®  das  flpec  Gew.  1-41  und  riecht  ähnlich  dem  Chloral.    Durch  Erhitzen  mit  Wasser 

liefert  es  Glycerin,  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali  Propargyläthylfithcr 

rH:C.CH,.0.C,H5   (vgl.  S.  484).    —   Glyceryltribromid«   CH,Br.CHBr.CH,Br 

(Tribrom hydrin)   erstarrt  in  der  Kälte   krystallinisch ,   schmilzt   dann  bei  +16®, 

siedet  bei   219—220®  und  besitzt  das  spec.  Gew.  2«436  bei  23®.   —  Glyceryltri- 

jodid  ist  als  solches  nicht  bekannt;  seine  vorübergehende  Entstehung  wird  bei  der 

Bildung    von   Allyljodid   aus   Glycerin  durch   Einwirkung   von   Jodwasserstoff  (vgl. 

S.  188  und  472)  angenommen. 

y.    Polyhalogenderlyate. 

Für  Tetrahalogenderivate  des  Aethans  ergeben  sich  die  beiden  Structur- 

fUlle: 

CHX,.  CHX,        und        CH,X.CX,. 

Die  der  ersten  Formel  entsprechenden,  symmetrisch  constituirten  Verbindungen 
entstehen  durch  Addition  der  Halogene  an  Acetylen.  —  Acetylentetrachlorid' 
CHC1,-CHC1,  (iü,a>/  Tetrachloräthan)  siedet  bei  147®  und  besitzt  bei  0®  das 
spec  Gew.  1-614.  —  Acetylentetrabromid*  CHBr,'CHBr,  ist  eine  stark  licht- 
brechende  Flüssigkeit,  die  einen  an  Campher  und  Chloroform  erinnernden  Geruch 
besitzt,  sieb  an  der  Luft  unter  Anziehung  von  Feuchtigkeit  trübt  und  nicht  bei  ge- 
wöhnlichem Druck  für  sich  destillirt,  dagegen  mit  Wasserdampf  ohne  Zersetzung  über- 
getrieben werden  kann;  unter  12  mm  Druck  liegt  der  Siedepunkt  bei  114®,  das  spec. 
Uew.  beträgt  2-971  bei  18®. 

Unsymmetrisches  (fiia^sO  Tetrachloräthan^  CHsCl-CClg   ist   durch  Chlo- 
riren von  Chloräthylenchlorid  erhalten  worden,  siedet  bei  130®  und  besitzt  bei  0® 


'  Cariüs,  Ann.  124,  223  Anm.  (1862).  —  Oppenheim,  Ann.  133,  383  (1864).  - 
Ptcffer  u.  Fittio,  Ann.  136,  359  (1865).  —  Baeyek,  Ann.  138,  196  (1866).  —  Ber- 
THBLOT,  Ann.  156,  105  (1870).  —  Fbiedel  u.  Silva,  Compt.  rend.  74,  808  (1872); 
76,  1596  (1873). 

'  Berthelot  u.  Luca,  Ann.  101,  76  (1857).  —  Wubtz,  Ann.  102,  339;  104,  247 
(1857).  —  Hekby,  Ann.  154,  368  (1870).  —  Henbt,  Bbbthelot,  Ann.  166,  343  (1870). 
-  Tollen»,  Ann.  166,  168  (1870). 

'  Bebthblot  u.  JimoFLBiscH,  Ann.  Suppl.  7,  254  (1870).  ~  Paterm6  u.  Pisati, 
«J.  pt.  [2]  4,  176  (1871).  —  Staedbl,  Ber.  16,  2563  (1882).  —  Colson  u.  Gautieb, 
Compt  rend.  102,  1076  (1886). 

*  Rbboül,  Ann.  124,  269  (1862).  —  Sabambjbw,  Ann.  178,  112,  121  (1875); 
218,  255  (1882).  —  BouBOOiH,  Ann.  eh.  [5]  4,  428  (1875).  —  AnscHtJTz,  Ann.  221, 
138  (1888).  —  Wdjzn:,  Ber.  16,  2891  (1883). 

•  Laubkht,  Ann.  22,  293  (1837).  —  Regnault,  Ann.  eh.  [2]  69,  162  (1838).  — 
PimE,  Ann.  80,  130  (1851).  --  Geuther  u.  Bbockhopf,  J.  pr.  [2]  7,  112  (1873).  — 
S^ABDB^  Ber.  16,  2563  (1882).    Ann.  196,  187  (1878). 


Perhahgend&ivate  des  Aethans  und  AeChylens. 

Gew.  1-612.  —  UnBymmetriachea  Tetrabromäthan'  CH.BrCBij 
m  KHltegemisch,  siedet  unter  gewöhnlichem  Druck  nicht  ohne  Zersatmng, 
mm  bei  104'  nnd  besitzt  bei  18»  das  spec  Gew.  2'9S9;  man  gewinnt« 
ireinigung  von  unnymmetrifichem  Dibromätliylen  mit  Brom, 
ter  den  höliereii  Halogeiiderivaten  lenken  besonders  diejeuigen  die 
isamkeit  auf  sich,  welche  aus  den  Kohlenwasserstoffen  durch  Ver- 

sänamtlicher  Wasserstoffatome  hervorgehen,  demnach  lediglwL 
hlenstoff  und  Halogen  bestehen.  Von  diesen  „Perhalogen- 
ten"  der  aliphatischen  Kohlenwasserstoffe  sind  der  Vierfach- 
[ilenstoff  und  seine  Analoga  als  Methanderivate  schon  S.  541 — 543 
ben. 

I  Perhalogenderivate  des  Aethans  C^Xg  entstehen,  wie  zu 
1  ist,  durch  erschöpfende  Chlorirung*  bezw.  Bromirung'  der 
I  Halogenderivate  des  Aethans  (CjH.CI,  CjH.CIj,  C^HaBr^  etc). 
e  bilden  sich  auch  aus  Derivaten  des  Methans  durch  Synthese  — 
iloräthan  aus  Tetrachlormethan  durch  Erhitzen  mit  molecnlarem 
vgl.  S.  542),  aus  Chloroformdampf  beim  Durchleiten  durch  ein 
jthglühendes  Rohr*  — ,  femer  aus  Verbindungen  höherer  Keihen 
hgreifender  Halogenirung  (vgl.  S,  557)  darch  Spaltung  der  Kohlen- 
;e.  Perchloi^tlian'^  CjCl,  stellt  farblose  Krystalle  von  campher- 
tm  Geruch  dar;  es  schmilzt  bei  184";  sein  Siedepunkt  liegt  dem 
pnnkt  so  nahe,  dass  es  unter  gewöhnlichem  Druck  ohne  zn 
an  verdampft;  unter  einem  Druck  von  1000  mm  siedet  es  bei 
97°.  Beim  Erhitzen  mit  Kali  auf  200"  entsteht  Oxalsäure 
OjH.     Durch  Einwirkung  von  nascirendem  Wasserstoff,   alkoho- 

Kaliumsulfhydrat ,  durch  Erhitzen  mit  Silber  auf  280*  oder 
Erhitzen  fttr  sich  auf  Rothgluth  wird  es  in  Perchloräthylen  Dber- 
Durch  Erhitzen  mit  Antimonpentachlorid  auf  etwa  450"  wird 
tändig  in  Tetrachlormethan  umgewandelt.  —  FerbromKthftll' 
)ildet  durchsichtige  prismatische  Krystalle,  ist  in  Alkohol  und 
schwer,  in  Schwefelkohlenstoff  leicht  löslich  und  zersetzt  sich, 
rher  zu  schmelzen,  bei  etwa  200"  in  Brom  und  Perbromäthylen. 

Perhalogenderivate  dea  Aethylene  entstehen  ans  denjenigen  <iee 
wie  eben  bemerkt,  dnrch  Entziehung  von  Halogen;  andereraeits  können  ^c 
arcb  Aufnahme  von  Halogen  in  die  gesättigten  Verbindungen  iibeif^hen  — 

BNNOi,  Ann.  122, 124  (1882).  —  Sabakkjbw,  Ann.  216, 255  (1882).  —  AkmiCtz, 

1,  140  (18S3). 

laABAY,  Ann.  eh.  [2]  18,  48  (l'82l).  —  Rbokaült,  Ann.  eh.  12]  69,  185  (18381. 

323  (1840).  —  HüBiTBR  u.  MCiLEB,  Ztachr.  Chem.  1870,  328. 
EHotTL,  Ann.  134,  21I  (1862). 
AHKAV  u.  Tomo,  Jb.  1886,  628. 

AHN,  Ber.  11,  1735  (1878).  —  SrasÖnBit,  Ber.  13,  1070  (1B80i,  —  Berthbi.ot, 
t,  121  (1859).  —  Geutheb,  Ann.  107,  212  (1858);   111,  174  (1858).  —  Akm- 
I.  pr.  [2]  1,  251  (1870).    —    Geotbkr  u.  Brockhopf,  J.  pr.  [2]  7,  107  (1873i. 
loMHB,  Ann.  156,  342  (1870).   —  Habtmakn,  Ber.  24,  1028  (18al). 
EBODL,  Ann.  124,  271  (1862). 


Höhere  PerhalogenderivcUe.  557 


Perchloräthylen  in  Perchloräthan  durch  EinwirkuDg  von  Chlor  im  Sonnenlichte,  Per- 
bromäthylen  in  Perbromäthan  durch  Erhitzen  mit  Brom  auf  100°.  —  Perchlor- 
ärhylen*  CgCl^  ist  flüssig,  siedet  bei  121°  und  besitzt  bei  9°  das  spec.  Gew.  1'631.  — 
Perbromftthylen^  C^Br«  krystallisirt  in  Tafeln,  riecht  aromatisch  und  schmilzt  bei 
5.3°;  da  es  sich  so  leicht  aus  Perbromäthan  bildet  (vgl.  8.  556),  so  erhält  man  es  sehr 
häufig  als  Produkt  energischer  Bromirungen. 

Perchlorpropan'  CsClg  ist  aus  Trichlorhjdrin  und  aus  Isobutylchlorid  durch 
durchgreifende  Chlorirung  erhalten  worden;  es  stellt  eine  blättrige  Krystallmasse  dar, 
riecht  campherähnlich,  ist  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich,  schmilzt  gegen  160° 
und  siedet  bei  268—269°.  Beim  längeren  Erhitzen  auf  300°  spaltet  es  sich  in  Per- 
chloräthjlen  CgCl«  und  Tetrachlormethan  CCI4. 

Das  letzterwähnte  Verhalten  lässt  schon  für  das  Perchlorpropan  eine  Tendenz 
erkennen,    in  einfachere   und   augenscheinlich   beständigere  Perchlorderivate  zu  zer- 
fallen; es  kann  daher  nicht  befremden,  dass  es  nicht  gelungen  ist,  die  Perchlorderi- 
vate der  höheren  Grubengas-Homologen  zu  gewinnen.    Man  erhält  bei  durchgreifen- 
der Chlorirung*  (vgl.  S.  129)  auch  aus  den  Verbindungen  der  höheren  Reihen  theils 
durch  Spaltung   die   schon   besprochenen   einfacheren  Perchlorderivate   (CCI4,  CjCl«, 
CiCV),  theils  durch  Condensation  solche  der  aromatischen  Kohlenwasserstoffe  (C^CIq  etc.). 
Ein  Perchlorderivat  eines  ungesättigten  Kohlenwasserstofib  der  4.  Reihe  indess 
^iid  noch  häufig  bei  energischen  Chlonrungen  erhalten.    Es  ist  dies  das  Perchlor- 
mesol  ^  0401^,  welches  aus  Alkohol  in  farblosen  glänzenden  Prismen  krystallisirt,  bei 
t^9°  schmilzt  und  bei  283 — 284°   fast   unzersetzt  siedet.    Man  besitzt  keine  sicheren 
Anhaltspunkte  zur  Beurtheilung  seiner  Constitution;  doch  liegt  es  nahe,  in  Rücksicht 
auf  die  zu  seiner  Bildung  bestehende  Tendenz   diesen  Körper  als  analog  constituirt 
aufzufassen  wie  den  in  pyrogenetischen  Processen  sich  so  häufig  bildenden  Kohlen- 
wasserstoff C4He  (das  Divinyl,  Erythren  etc.,  vgl.  S.  464—465): 

CC1,:CC1.CC1:CC1,. 

Die  Reihe  der  den  Paraffinen  entsprechenden  Perbromderivate  schliesst 
schon  mit  dem  Perbromäthan  ab.  Bei  energischer  Bromirung^  zerfällt  Propan  in 
Perbrommethan  und  Perbromäthan  bezw.  Perbromäthylen.  Eine  ungesättigte  Broni- 
kolilenstoffverbindung  C^Bra  ist  durch  Bromirung  von  Hexyljodid  (aus  Mannit)  er- 
halten; sie  krystallisirt  in  wasserhellen  Prismen,  wird  von  alkoholischem  Kali  unter 
HUdnng  von  Bromkalium  und  huminartigen  Substanzen  zersetzt  und  spaltet  sich  gegen 
200*,  ohne  vorher  zu  schmelzen,  in  Brom  und  Perbrombenzol  CeBr^. 


*  Faradat,  Ann.  eh.  |2|  18,  53  (1821).  —  Reonault,  Ann.  33,  325,  333  (1840).  — 
Oeüther,  Ann.  107,  212  (1858);  111,  175  (1858).  —  Prudhomme,  Ann.  156,  342 
11870).  —  Schiff,  Ann.  220,  97  (1883).  —  Bourgoin,  Ann.  eh.  |5|  6,  142  (1875).  — 
fTECTHEB  u.  Fischer,  Ztschr.  Chem.  1864,  269.  —  Geuther  u.  Brockhoff,  J.  pr.  |2| 
7,  102  (1873).  —  H.  GoLDSCHiHDT,  Ber.  14,  929  (1881). 

*  Lowio,  Pogg.  16,  377  (1829).  —  Lennox,  Ann.  122,  126  (1862).  —  Reboul, 
Ann,  124,  271  (1862).  —  Höland,  Ann.  240,  237  (1887).  —  Wahl,  Ber.  U,  2238 
I1S78). 

*  Krafft  u.  Merz,  Ber.  8,  1298  (1875). 

*  Vgl.  auch  Habtmann,  Ber.  10,  1011  (1891). 

*  Krapft,  Ber.  10,  801  (1877).  —  Vgl.  auch  C.  Hopfmann,  Ber.  22,  1270  (1889). 
-  Habtmann,  Ber.  24,  1022  (1891). 

*  Merz  u.  Wbith,  Ber.  U,  2241,  2244  (1878). 


558  Zweiwerthige  Alkohole. 


Zwanzigstes  Kapitel. 

Zweiwerthige  Alkohole  und  Mercaptane  und  ihre  Derivate. 

(Acetale.    Glykole  und  Alkylenozyde.    Zweiwerthige  Mercaptane,  Sulfide  und  Sul- 
fone  (Mercaptale,  Mercaptole,  Sulfonal).    Zweiwerthige  Sulfosäuren.    Halbgeschwefelte 

Glykole.    Oxysulfoßäuren.) 


Werden  zwei  Wasserstoffatome  eines  Eohlenwasserstoffmolecüls  durch 
Hydroxylgruppen  vertreten,  so  entstehen  die  zweiwerthigen  Alkohole.  Ent- 
sprechend der  S.  543  für  Dihalogenderivate  getroffenen  Eintheilung  wer- 
den auch  hier  drei  Gruppen  von  einander  zu  sondern  sein,  je  nachdem 
die  beiden  Hydroxylgruppen  an  demselben  Kohlenstoffatom  oder  an  zwei 
benachbarten  oder  endlich  an  zwei  von  einander  getrennten  Kohlenstoff- 
atomen haften.  Allein  es  muss  gleich  vorausgeschickt  werden,  dass  die 
zweiwerthigen  Alkohole  der  ersten  Gruppe,  welche  durch  Formeln  wie 

/OH  /OH 

CH,<(  (CH,),C<  etc. 

X)H  \0H 

ausgedrückt  würden,  nur  in  Gestalt  von  Derivaten  bekannt,  für  sich 
dagegen  nicht  existenzfähig  sind.  Bei  dem  Versuch,  sie  zu  isoliren,  er- 
hält man  statt  dessen  stets  durch  Abspaltung  von  Wasser  Aldehyde 
oder  Ketone: 

CH,.CH(OH),-H,0     =     CHg.CHO, 
(CH,),C(OH),-H,0     =     (CH,),CO. 

Mehrere  Hydroxylgruppen  können  im  Allgemeinen  nicht  neben  einander 
an  einem  und  demselben  Kohlenstoffatom  sich  halten;  nur  in  Ausnahme- 
fallen,  wenn  das  Molecül   mit  elektronegativen  Bestandtheilen  beladen 

.OH 
ist  (vgl.  Chloral  und  Mesoxalsäure),  scheint  der  Complex  >C<^        be- 

\0H 
ständig  zu  sein. 

Man  kennt  dagegen  durchaus  beständige  ätherartige  und  esterartige 
Derivate  dieser  hypothetischen  Alkohole,  welche  anstatt  der  Hydroxyl- 
wasserstoffatome  Alkyl-  oder  Acylradicale  enthalten,  wie 

.OCH,  /O-CO-CH, 

M).CO.CH,. 

Die  Alkylderivate  dieser  Art  werden  als  „Acetale"  bezeichnet. 

Der  einfachste,  für  sich  beständige  zweiwerthige  Alkohol  ist  dem- 
nach der  Aethylenalkohol 

CH,(OH)-CH,(OH) , 

welcher  gewöhnlicher  Glykol  genannt  wird;  man  bezeichnet  daher  in  der 
Regel  die  zweiwerthigen  Alkohole  überhaupt  als  „Glykole". 


yV  '  UH,  yU 

CH,<  CH,.CH< 


■^-T" 


Acetale,  559 

L    Aeetale   und  Ilinen  entsprechende  Säurederlyate  BCH(0R^2. 

Schon  bei  der  Besprechung  der  Aldehyde  (S.  394)  ist  die  Bildung 
lieser  Verbindungen  aus  Aldehyden  durch  Vereinigung  mit  Alkoholen 
>ezw.  Säureanhydriden  erwähnt. 

Zur  Grewinnung  von  Methylenverbindungen  CH3(0-R)3  ist  diese  Me- 
thode nicht  verwendbar,  da  man  mit  Formaldehyd  nur  in  wässriger 
Lösung  arbeiten  kann;  man  kann  indess  zu  diesen  Verbindungen  durch 
Umsetzung  zwischen  Methylenchlorid  (bezw.  -Jodid)  und  Natriumalkoho- 
laten^  oder  Silbersalzen  von  Säuren  gelangen: 

CH^Cl,  +  2  NaO  •  CjHb     =     CH,(0  •  CjHg),  +  2  NaCl ; 
CH,J,  +  2AgO.CO.CH,     =     CH,(O.CO.CH,),  +  2AgJ . 

Acetale  entstehen  ferner  sehr  häufig  bei  der  Oxydation  von  Alko- 
holen (vgl.  S.  307),  z.  B.  CH^CO-CHj)^  aus  CH3(0H),  indem  der  zunächst 
sich  bildende  Aldehyd  sich  gleich  im  Augenblick  des  Entstehens  mit 
noch  unverändertem  Alkohol  vereinigt. 

Aus  dem  Beactionsprodukt  von  Sabssäure  auf  Acetaldehyd  —  dem  Aethyliden- 
oxychlorid  (vgl.  S.  394 — 395)  —  erhält  man  durch  Einwirkung  von  alkoholhaltigen 
^^atriumalkoholaten  anhydridartige  Derivate  der  Acetale': 

•Cl  yO  •  CjHs 

CH,— CH<  CH8-CH< 

>0  +  2NaO.CjH5  =     2NaCl  + 
CH,--CH<  CHg-CH< 

^Cl  M).C8H5 

diese  Verbindungen  sind  sehr  unbeständig  und  zerfallen  allmählich  schon  bei  gewöhn- 
Wcher  Temperatur  in  Aldehyd  und  Acetale: 

/O.CÄ 
CH,~CH<  /OCjHs 

>0  =     CH,.CH<  +CH8.CH0. 

CH,-CH/  H).C^5 

M)«CjH5 

Auch  analoge  Säurederivate'  sind  darstellbar: 

.01  /O-CO-CH, 

CH,.CH< 

>0  +2NaO.CO.CH,     =     2NaCl  +  >0 

CH,.CH< 
)l  ^O-CO-CHj 

hl  den  Verbindungen,  welche  durch  Vereinigung  von  Aldehyden  mit  Säure- 
chloriden entstehen  (vgl.  S.  395),  lässt  sich  das  Chloratom  bei  der  Umsetzung  mit 
Mka\isalzen  oder  Silbersalzen  von  Säuren  durch  ein  Säureradical  ersetzen^;  auf  diese 
Weise  kann  man  zu  gemischten  Verbindungen  mit  zwei  verschiedenen  Säureradicalen 


/Cl  /O-COC^Hj 

CH,.CH<  +AgO.CO.C,H5     =    AgCl  +  CHs-CH/ 

N).CO.CH,  M).CO.CH, 

^  Vgl.  besonders  Arnhold,  Ann.  240,  197  (1887). 

*  Geuther  u.  Laatsch,  Ann.  218,  25  (1883). 
'  Gkitpher,  Ann.  226,  223  (1884). 

*  ScjHiyp,  Ber.  9,  306  (1876).  —  Geuther  u.  Rüpencamp,  Ann.  225,  273  (1884). 


560     TabeU.   Uebersicht  iiher  j. 

{cstale  u.  ihnen  entsprechende  Saun 
Pabelle  Nr.  31. 

iderivaie. 

T 

Name 

Formel 

Siedepunkt 

Spec.  Gew. 

Alkoholderivate. 

Methylal*-  * 

CH,(O.CH,), 

42  0 

0-854  (20*») 
0-834  (20«) 

Diäthylmethylal'^  ' 

87  <> 

Dipropylmethylal  * 

CH^CO-CaH,), 

137<> 

0-834  (20«) 

Diißopropy  Imethylal  * 

CH,(0-C8H,), 

118* 

0-831  (20»l 

Diisobutylmethy  lal  **^ 

CH,(O.CA). 

164* 

0-824  (20") 

Diisoamylmethylal  ^ 

CH,(O.C,H„), 

207» 

0.835  (20«) 

Dioctylmethylal* 

CH,(O.CsH„), 

über  360» 

0-846  (20«) 

Dimethylacetal'~** 

CHa-CHCO-CHa), 

68  <» 

0-865  (22«) 

Diäthylacetal  »"-" 

CHa-CHlO-C^H,), 

104* 

0-831  (20«) 

Dipropylacetal " 

CHj-CHCO-CaH,), 

147« 

0-825  (22«) 

Diiflobutylacetal  "•*• 

CHa-CHCOCA), 

170» 

0-816  (22«j 

Diisoamylacetal*^*" 

CH,.CH(0.C5Hh), 

211* 

0-835  (15«) 

Säurederivate. 

Methylendiacetat" 

CH,(O.CO.CH,), 

170* 

— 

Aethylidendiacetat*®"*' 

CHa.CH(Ö.CO.CHa), 

169* 

1-073  (15«l 

Aethylidendipropionat" 

CH,.CH(0.C0-C,H5), 

192* 

1-020  (15«) 

Aethylidendibutyrat*' 

CHa-CHCO-CO-CaH,), 

215* 

0-985  {\b') 

AetfaylidendÜBovalerianat'^   .  .  . 

CHa.CH(0.C0.CÄ)2 

225* 

0-947  (15«) 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  31:  ^  Kake,  Ann.  19,  175  (1836).  —  •  Malaqcti, 
Ann.  32,  55  (1839).  —  •  Ränabd,  Ann.  eh.  [5]  17,  290  (1879).  —  *  Brühl,  Ann.  203, 
12,  25  (1880).  —  «  Abhhold,  Ann.  240,  197  (1887).  —  *  Gkkbne,  Chem.  News  50, 
75  (1884).  —  ^  Pratesi,  Ber.  16,  1870  (1883).  —  *  Gobbow  u.  Kbssleb,  Ber.  20c,  778 
(1887).  —  *  Danceb,  Ann.  132,  240  (1864).  —  '*  Alsbebg,  Jb.  1864,  485.  —  "  Geü- 
THER  u.  Bachmann,  Ann.  218,  44  (1883).  —  "  R.  Schipp,  Ann.  220,  104  (1888).  — 
"  LiEBiQ,  Ann.  5,  25  (1833);  14,  156  (1835).  —  "  Stab,  Ann.  64,  322  (1848).  - 
**  Gbuther,  Ann.  126,  62  (1862).  —  "  Würtz  u.  Fbapolli,  Ann.  eh.  [8]  56,  139  (1859). 
—  "  Engel  u.  Gibard,  Compt.  rend.  90,  692;  91,  629  (1880).  —  **  Claus  u.  Traikeb. 
Ber.  19,  3006  (1886).  —  "  Bütlerow,  Ann.  107,  111  (1858);  lU,  243  (1859).  - 
**  Geuther,  Ann.  106,  249  (1858).  —  "  Schipp,  Ber.- 9,  306  (1876).  —  "  Fbakchi- 
mont,  Reo.  trav.  chim.  1,  248  (1882).  -  '"  Geuther  u.  Rüpencamp,  Ann.  226,  273  (1884). 

Die  Acetale  sind  unzersetzt  destillirbare  Flüssigkeiten  von  aroma- 
tischem Geruch;  in  Wasser  sind  die  niederen  Glieder  nicht  unbeträcht- 
lich löslich.  Sie  sind  gegen  wässrige  Alkalien  bei  Siedehitze  beständig^ 
werden  dagegen  von  wässrigen  Säuren  leicht  in  Aldehyd  und  Alkohol 
gespaltene  Die  ihnen  entsprechenden  Säurederivate  werden  langsam 
schon  durch  Einwirkung  von  Wasser,  rascher  durch  Alkalien  in  Alde- 
hyde und  Säuren  zerlegt. 

-    Bemerkenswerth  ist  das  Verhalten  der  Acetale  beim  Erhitzen  mit  überschüssigefl 
Alkoholen';  es  kann  hierbei  ein  kohlenstofireicherer  Alkylrest  durch  einen  kohlenstoff- 

»  GiRARD,  Coü  pt.  rend.  91,  630  (1880).  »  Grodzki,  Ber.  16,  512  (1888). 

'  Gecther  u.  Bachuann,  Ann.  218,  44  (1883). 


AcetcUe.  561 

rmeren  ersetzt,  so  z.  B.  Diäthylacetal  CHg -011(0 -C^Hß),  durch  Erhitzen  mit  Methyl- 
Ikohol  fast  vollständig  in  DimethylacetÄl  CHj-CHfOCHa),  übergeführt  werden, 
rährend  amgekehrt  Dimethylacetal  beim  Erhitzen  mit  überschüssigem  Aethylalkohol 
ist  unverftndert  bleibt. 

Die  Tabelle  Nr.  31  giebt  eine  üebersicht  über  einige  vom  Form- 
ildehyd   und  Acetaldehyd  sich  ableitende  Verbindungen  dieser  Gruppe. 

Unter  den  einzelnen  Gliedern  ist  das  durch  Oxydation  von  Methyl- 
ükohol  leicht  gewinnbai-e  Methylal  CH2(0-CH3)2  (in  etwa  3  Th.  Wasser 
öslich),  hervoi:zuheben,  welches  häufig  für  Condensationsreactionen  be- 
nutzt wird;  dieselben  verlaufen  ebenso,  als  wenn  man  Formaldehyd  an- 
gewendet hätte.  Mit  Formaldehyd  selbst  kann  man  ja  nur  in  wässriger 
Lösung  arbeiten;  daher  ist  es  wichtig,  in  dem  Methylal  einen  Ersatz 
desselben  für  Reactionen  zu  besitzen,  bei  denen  die  Gegenwart  von  Wasser 
uusgesclilossen  werden  muss.  —  Das  Dimethylacetal  CH3-CH(0-CH3)3 
findet  sich  im  rohen  Holzgeist  (vgl.  S.  169),  das  gewöhnliche  Acetal 
i'H3CH(O.C3Hg)3  in  dem  durch  Kohle  filtrirten  Rohspiritus. 

II.  Das  Aethylenglykol  und  seine  eigentlichen  Homologen. 

(a-eiykole.) 

Bildungsweisen. 

Die  Glykole  sind  von  Wurtz  entdeckt.  Er  erhielt  das  Aethylen- 
glykol und  seine  nächsten  Homologen,  indem  er  die  Halogenadditions- 
proilukte  der  AUcylene  zunächst  mit  essigsaurem  Silber  umsetzte: 

CHjBr  CHs-OCO-CHj 

I  +2AgO.CO.CH,     =     2AgBr  +  I 

CH,Br  CHj-OCOCH, 

und  darauf  die  entstandenen  Essigester  durch  Alkalien  verseifte: 

CHa— 0  •  CO .  CHa  CH, .  OH 

I  +2K0H     =     I  +2K0.C0.CHj. 

CHj-OCOCH,  CHjOH 

Seine  Untersuchungen  über  die  Glykole  fasste  Wüetz  in  einer  1859 
erschienenen  Abhandlung^  zusammen,  welche  nicht  allein  durch  die  Fülle 
neuen  thatsächlichen  Materials  ungewöhnlichen  Einfiuss  auf  die  Kennt- 
niss  der  organischen  Verbindungen  gewann;  die  Natur  und  Bedeutung 
<ler  mehratomigen  Radicale  wurden  im  Anschluss  an  die  Chemie  der 
Wykole  und  unter  Berücksichtigung  ihrer  Zwischenstellung  zwischen  den 
einwerthigen  Alkoholen  und  dem  dreiwerthigen  Glycerin  ir't  solcher 
Klarheit  erörtert,  dass  zumal  für  die  Entwickelung  der  Theorien  eine 
^nächtige  Förderung  nicht  ausbleiben  konnte. 

Der  von  Wubtz  vorgezeichnete  Weg  wird  auch  heute  meist  zur 
Gewinnung  der  Glykole  eingeschlagen,  wenn  auch  gewöhnlich  unter  Be- 
nutzung einiger  Modificationeii.    Man  kann  das  Silberacetat  durch  Kalium- 

■ Ol 

*  Ann.  ch  [3]  56,  400. 
V.  Mktxs  u.  Jacobsox,  org.  Ch^m.   I.  36 


562  cc-Olykole  (Bildungsweisen 


acetat  ersetzen;  setzt  man  'z.  B.  Aethylenbromid  mit  KaliumaceUt  in 
Gegenwart  von  wasserhaltigem  Alkohol  um,  so  erhält  man  das  Mono- 
acetat  des  Glykols  CH3(0H)-CHa(0-C0-CH3),  welches  dann  der  Ver- 
seifung  unterworfen  werden  kann.  Einfacher  und  direct  führt  man  die 
Alkylenbromide  durch  Kochen  mit  einer  verdünnten  wässrigen  Lösung 
von  Kaliumcarbonat  in  Glykole  über  (vgl.  S.  566  die  Darstellung  de> 
Aethylenglykols).  Immerhin  wird  der  Verlauf  dieser  Reactionen  durch 
Nebenreactionen  ungünstig  beeinflusst  (vgl.  S.  548 — 549);  und  da  aucli 
die  Isolirung  der  Glykole  aus  dem  Reactionsgemisch  ziemlich  umständlieli 
ist,    so    bleibt   die  Gewinnung  grösserer  Mengen  noch  immer  mühsam. 

Von  den  Alkylenen  gelangt  man  direct  zu  den  Glykolen  durcli 
Oxydation  mit  schwacher  Kaliumpermanganat-Lösung  ^  (vgl.  S.  446). 

Zweifach  secundäre  Glykole  entstehen  aus  Aldehyden^,  wenn 
dieselben  mit  alkoholischem  Kali  behandelt  werden  (vgl.  S.  396);  ein 
Theil  des  Aldehyds  wird  zur  entsprechenden  Säure  oxydirt,  eiu  anderer 
erleidet  eine  Reduction,  welche  unter  Verkettung  zweier  Moleoüle  zur 
Bildung  eines  Glykols  führt,  z.  B.: 

CsHy.CHCOHj 
SCaH^CHO  +  KOH  =  CaH,.CO.OK  +  | 

CaHyCHiOH) 

Auch  auf  Gemische  von  zwei  Aldehyden  lässt  sich   diese  Reaction  an- 
wenden; man   erhält  z.  B.  aus  einem  Gemisch  von  Acet-  und  Isobutyi- 

CH3— CH(OH) 
aldehyd  das  Methyl-isopropyl-glykol  | 

C3H,— GH(OH) 
Ganz  analog  ist  die  Bildung  zweifach  tertiärer  Glykole  bei  der 
Reduction  von   Ketonen  mit  Natrium  in  Gegenwart   von  Wasser^  (vgl. 

S.  387): 

(CHa),C(OH) 
2(CHa),CO  +  2H     =  |  ; 

(CH3),C(0H) 

die  so  entstehenden  Glykole  werden  als  „Pinakone*'  bezeichnet. 

Allgemeine  Charakteristik. 

Die  Glykole  der  niederen  Reihen  sind  farblose,  schwer  flüchtige, 
etwas  zähflüssige,  geruchlose  Flüssigkeiten  von  süssem  Geschmack,  die 
unzersetzt  destillirt  werden  können.  Mit  Wasser  und  Alkohol  sind  sie 
mischbar,  in  Aether  zwar  auch  löslich,  aber  nicht  in  jedem  Verhältuiss 
damit  mischbar.  (Es  ist  eine  allgemeine  Erscheinung,  dass  die  An- 
häufung von  Hydroxylgruppen  auf  die  Löslichkeit  in  Wasser  beforderml. 
auf  die  Löslichkeit  in  Aether  dagegen  vermindernd  einwirkt.    Auch  hndtt 


*  G.  Wagner,  Ber.  21,  1230  (1888j. 

*  F08SKK,  Monatsh.  4,  663  (1883);  5,  119  (1884).  —  Swoboda  u.  Fossek,  Monatsh. 
11,  383  (1890). 

'  Vgl.  z.  B.  KüRTz,  Ami.  161,  215  (1871).  —  Wislioenus,  Ann.  219,  309  (1883i. 


und  Charakteristik).  5G3 


lan  in  der  Kegel,  dass  Körper  von  süssem  <je8chmack  in  Wasser  leicht, 
3  Aether  schwer  löslich  sind.) 

Die  aus  den  Aldehyden  und  Ketonen  gewinnbaren  disecundären  und 
litertiären  Glykole  sind  meist  krystallisirbar  und  in  kaltem  Wasser  nicht 
;anz  leicht  (die  hochmolecularen  gar  nicht)  löslich. 

Das  chemische  Verhalten  der  Glykole  wird  durch  die  charak- 
eristischen  Eeactionen  der  alkoholischen  Hydroxylgruppen  bestimmt. 
Die  HydroxylwasserstofiFatome  sind  nach  den  gebräuchlichen  Methoden 
lurch  Alkalimetalle,  Alkybreste  und  Säurereste  vertretbar: 

CH,.ONa  CHjONa  CHj-OCA 

I  I  I 

CHoOH  CHj.ONa  CH,-OH 

CH^-O.CjHj  CHj.OCO.CH,  CH^-ONOa 

I  I  I  etc.; 

CHj.OCjHs  CHjO.COCHs  CHRONO, 

mit  Phosphorpentachlorid  erfolgt  heftige  Reaction,  indem  beide  Hydroxyl- 
gruppen durch  Chloratome  vertreten  werden: 

CHgOH  CHjCl 

I  +  2PCI5    =      I  +  2  HCl  +  2POC18. 

CHgOH  CHjCl 

In  manchen  Reactionen  verhalten  sich  die  beiden  Hydroxylgruppen 
nicht  gleichmässig.  Beim  Erhitzen  mit  Chlorwasserstoff  oder  Brom- 
wasserstoff wird  nur  die  eine  Hydroxylgruppe  durch  Halogen  ersetzt: 

CH,(OH) .  CHgfOH)  +  HCl     =     CHj(OH)  •  CH^Cl  +  H,0. 

Bei  der  Einwirkung  von  organischen  Säurechloriden  ^  wird  die  eine 
Hydroxylgruppe  acylirt,  an  Stelle  der  zweiten  Hydroxylgruppe  Chlor 
eingeftihrt: 

CH4.OH  CHj.O.CO.CHg 

I  +2CI.COCH3     =      I  +OH.CO.CHs  +  HCl. 

CHj-OH  CH,.C1 

Aehnlich  verhalten  sich  alle  mehratomigen  Alkohole;  man  bezeichnet 
diejenigen  Derivate  derselben,  in  welchen  die  Hydroxylgruppen  theilweise 
durch  Halogenatome  ersetzt  sind,  als  ,,Halogenhydrine": 

CHjCl  CHjCl 

I  Aethylenchlorhvdrin :  |  Aethylenacetochlorhydrin . 

CK,.  OH  CHo-OCOCHj 

üeber  das  Verhalten  der  Glykole  bei  der  Oxydation  vgl.  unter  Aethylenglykol 
i>i.  566)  und  Propylenglykol  (S.  568)  5  die  höheren  Glykole  werden  durch  Oxydation 
Qieist  in  Bruchstücke  von  geringerer  KohlenstofFzahl  gespalten '. 

Zu  den  Glykolen  stehen  im  Verhältniss  innerer  Anhydride  die 
»Alkylenoxyde*': 

CH,.OH  CHav 

I  Aethylenglykol;  |       yO  Aethylenoxyd . 

CHg.OH  CH/ 


*  L0ÜREN90,  Ann.  eh.  [3]  67,  259  (1863). 

*  Vgl  z.  B.  Grabowskt  u.  Saytzew,  Ann.  179,  332  (1875). 

36' 


564  ÄÜcylenoQcyde. 


Man  gewinnt  sie  aus  den  "den  Glykolen  entsprechenden  Chlorhydriueü 
durch  Einwirkung  von  Alkalien: 

eil«  •  Cl  CHjv 

I     '         +KOH     =      I       >0  +  KCl  +  H,0. 
CH^OH  GK,^ 

Diese  den  Aldehyden  und  Ketonen  isomeren  Alkylenoxyde  ^  sind  weit 
flüchtiger  als  die  zugehörigen  Glykole;  während  z.  B.  das  Aethyleuglykol 
erst  wenige  Grade  unterhalb  200®  siedet,  ist  das  Aethylenoxyd  bei 
Zimmertemperatur  gasförmig,  das  Propylenoxyd  eine  Flüssigkeit  von  der 
Flüchtigkeit  des  Aethers. 

Das  Verhalten  der  Alkylenoxyde  ist  sehr  eigenthümlich.  Obgleich 
ihr  Molecül  nur  einfache  Bindungen  aufweist,  sie  demnach  als  „gesät- 
tigte" Verbindungen  aufzufassen  sind,  besitzen  sie  eine  stark  ausgeprägte 
Neigung  zu  Additionsreactionen,  durch  welche  der  ringförmige  Complex 

geöffnet  wird: 

CH,v  X  CHj-OX 

I      >0j+  1=1 
CH/  Y  CH,-Y 

So  vereinigen  sie  sich  mit  Wasser  zu  den  Glykolen: 

CHjv  CHj.OH 

1       >0  +  H.OH  ==    I  ; 

CHj/  CHj.OH 

während  diese  Reaction  beim  Aethylenoxyd  und  Propylenoxyd  mehr- 
stündiges Erhitzen  auf  100®  erfordert,  tritt  sie  bei  einigen  Homologeu 

—  namentlich  solchen,  welche  ein  tertiäres  KohlenstoiFatom  an  das  Sauer- 

stoflfatom  gebunden  enthalten,  wie  z.B.  Isobutylenoxyd  {juR^^C"^ — -CH^ 

—  schon  durch  einfaches  Zusammenschütteln  bei  gewöhnlicher  Temperatur, 
zuweilen  sogar  unter  bedeutender  Wärmeentwickelung  vor  sich.  —  Mit 
Chlorwasserstoff  verbinden  sich  die  Alkylenoxyde  in  energischer  Reaction 

zu  Chlorhydrinen: 

CH^v  CH^OH 

I       >0  +  HCl    =     I 
CH/  CHaCl 

Dieses  Vereinigungsbestreben  ist  so  gross,  dass  sie  selbst  Salze  der 
Chlorwasserstoffsäure  zu  zersetzen  vermögen  und  so  gewissermassen 
basische  Eigenschaften  erlangen;  wenn  man  Aethylenoxyd  mit  einer 
concentrirten  Lösung  von  Chlormagnesium  einschliesst,  so  ist  am  nächsten 
Tage  ein  reichlicher  Niederschlag  von  Magnesia  entstanden,  während  sich 
Glykolchlorhydrin  gebildet  hat;  auch  Thonerde,  Eisenoxyd,  Kupferoxyd 
werden  aus  ihren  Chloriden  abgeschieden.  —  Mit  nascirendem  Wasser- 
stoff vereinigen  sich  die  Alkylenoxyde  zu  einatomigen  Alkoholen: 

CHgCHv  CHa-CHOH 

I      >0  +  2H     =  I 

CH,/  CH, 


*  Vgl.  besonders  Eltkkow,  Ber.  16,  395  (1883). 


Bildung  von  einwerthigen  Aldehydmi  und  Ketonmi  mm  Glykolen,       565 


i\it  Ammoniak^  zu  Amidoderivaten  derselben: 

CH,v  CHjOH 

I      >0  +  NH3     =     I 

CR/  CH,NHj 

Diese    Additionsreactionen   zeigen   deutlich,    dass   der  dreigliedrige 
ringförmige  Complex: 

eine  Atomgruppirung  von  geringer  Beständigkeit  darstellt,  vermuthlich 
weil  in  Folge  der  räumlichen  Verhältnisse  der  einzelnen  Atome  eine  der- 
artige Vereinigung  nicht  ohne  starke  Spannungen  zu  Stande  kommen 
kann.  Man  findet  ähnliche  Verhältnisse  bei  anderen  dreigliedrigen  Ring- 
systemen (vgl.  Trimethylen,  Bd.  11). 

Diesem  Umstand  ist  vielleicht  auch  die  auffällige  Erscheinung  zu- 
zuschreiben, dass  die  a-Glykole  nicht  direct  durch  Wasserentziehung 
in  Alkylenoxyde  übergeführt  werden  können,  obgleich  sich  doch  die 
letzteren  als  ihre  wahren  Anhydride  dadurch  zu  erkennen  geben,  dass 
sie  durch  Wasseraufnahme  leicht  in  Glykole  verwandelt  werden.  Viel- 
mehr liefern  die  Glykole  bei  der  Einwirkung  wasserentziehender  Mittel^, 
wie  z.  B.  Chlorzink,  Aldehyde  oder  Ketone  —  also  Verbindungen,  welche 
zu  ihnen  in  gar  keiner  näheren  constitutionellen  Beziehung  stehen; 
so  entsteht  Acetaldehyd  aus  Aethylenglykol ,  Methyl -isopropyketon  aus 
Trimethyläthylenglykol  (CH3)3C{0H)— CH(0H).CH3;  die  gleiche  Umwand- 
lung erleiden  die  Glykole  auch  bei  längerem  Erhitzen  mit  Wasser^ 
unter  Druck.  Man  kann  sie  sich  erklären,  wenn  man  zunächst  die  Bil- 
dung der  unbeständigen  einwerthigen  ungesättigten  Alkohole  (vgl.  S.  476) 
annimmt: 

HCH.  :ÖH  HCH  CH, 


-H,0    =11  ^       \ 

HCHiOH  HC-OH  CHO 

Die  Tendenz  zur  Bildung  von  Ketonen  durch  Wasserabspaltung 
führt  bei  den  zweifach-tertiären  Glykolen  —  den  Pinakonen  —  zu  einer 
der  merkwürdigsten  Reactionen.  Offenbar  kann  bei  ihnen  ein  Reactions- 
verlauf,  wie  er  eben  angenommen  wurde,  nicht  eintreten,  weil  eben  beide 
Hydroxylgruppen  an  tertiär  gebundenen  Kohlenstoffatomen  haften.  Trotz- 
dem aber  wandeln  sich  die  Pinakone  mit  grösster  Leichtigkeit  —  schon 
durch  Erwärmen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  —  in  Ketone  um,  welche 
durch  Wanderung  eines  Alkylrests  entstehen  und  Pinakoline  (vgl.  S.  419) 
genannt  werden,  z.  B.: 

(CH3),C(0H)  CH3-CO 

I  -H,0  =  I     . 

_____  (CHs),C(OH)  iSm^XQ 

*  Vgl.  WuBTz,  Ann.  121,  227  (1862). 

*WuRTz,    Ann.  eh.  [3]  55,  423  (1859).    —    Plawitsky,   Ber.  10,  2240  (1877); 
^  1256  (1878). 

'  Nevolb,  Ber.  9,  448  (1876).  —  Lihnbmakh,  Ann.  192,  61  (1878). 


r 


"^ 


566  Äethylenglykol, 


Einzelne  Glieder. 

AethylenglykoP  C^HeOa  =;CH2(0H)-CH2(0H)  (Aethylenalkohol. 
auch  Glykol  schlechthin  genannt)  siedet  hei  195®  und  hesitzt  bei  0^* 
das  spec.  Gew.  1-128;  in  starker  Kälte  erstarrt  es  und  schmilzt  wieder 
hei  — 11-5®.  Es  ist  in  Aether  nur  wenig  löslich,  löst  seinerseits  Aetz- 
kali  mit  grösster  Leichtigkeit  und  unter  Wärmeentwickelung  auf. 

Darstellung':  188  g  Aethylenbromid  werden  mit  einer  Lösung  von  188g 
Kaliumcarbonat  in  1  Liter  Wasser  am  Rückflusskühler  gekocht,  bis  fast  alles  Aethylen- 
bromid verschwunden  ist  (10—20  Stunden).  Die  Lösung  wird  nun  auf  dem  Wasser- 
bade möglichst  stark  bis  zur  Krystallisation  des  Bromkaliuros  eingedampft,  die  rück- 
ständige Masse  behufs  vollstfindigerer  Abscheidung  des  Bromkaliums  darauf  mit  ab- 
solutem Alkohol  angerührt.  Aus  der  vom  Bromkalium  filtrirten  alkoholischen  Ldsmig 
wird  zunächst  der  Alkohol  verjagt,  der  noch  etwas  salzhaltige  Bückstand  darauf 
aus  dem  Oelbade  dcstillirt,  das  hierdurch  gewonnene  Glykol  durch  Rectifidren  ge- 
reinigt. 

Da  das  Glykol  zwei  Gruppen  — CH2(0H)  enthält,  deren  jede  in  die 
Aldehydgruppe  — CHO  oder  in  die  Carboxylgruppe  — CO -OH  übergehen 
kann,  so  erscheinen  die  folgenden  Oxydationsprodukte  möglich: 

CHO  CO.  OH 

CH,.OH  CHjOH 

Glykolylaldehyd.  Glykolsäure. 

CHO  CO.  OH  CO.  OH 

I  I  I  • 

CHO  CHO  CO  OH 

Glyoxal.  Glyoxylsäure.  Oxalsäure. 

Li  der  That  sind  Glykolsäure,  Glyoxylsäure  und  Oxalsäure  als  Produkt« 
der  Oxydation  mit  Salpetersäure^**  constatirt.  Oxalsäure  bildet  sich 
auch  sehr  reichlich  beim  Erhitzen  des  Glykols  mit  festem  Kali^  unter 
gleichzeitiger  Entwickelung  von  Wasserstoff.  Durch  Oxydation  in  alka- 
lischer Lösung  mit  Bleisuperoxyd  ^  entsteht  dagegen  unter  Waaserstoff- 
entwickelung  Ameisensäure. 

Aether  und  Ester  des  Olykols.  Glykolmonäthyläther*  CHjOH^ 
CHjCO-CjHj)  ist  eine  in  Wasser  ziemlich  lösliche,  beinahe  geruchlose  Flüssigkeit, 
welche  bei  134**  siedet   und   bei  13*  das  spec.  Gew.  0-926   besitzt  —  Glykoldi- 


*  WuBTz,  Ann.  eh.  [3]  55,  410  (1859).  —  Pribbam  u.  Hakdl,  Monatsh.  2,  6TS 
(1881).  —  BoucHARDAT,  Compt  rend.  100,  452  (1885). 

«  Vgl.  Atkinson,  Ann.  109,  282  (1859).  —  Debus,  Ann.  110,  317  (1859).  - 
Demole,  Ann.  177,  45  (1875).  —  Börnsteik,  Ber.  9,  480,  917  (1876).  —  Letzeiocbtek, 
Ann.  180,  284  (1875).  —  Stehpnewsky,  Ann.  192,  240  (1878).  —  £rleni[Byeb,  Ann. 
192,  246  (1878).  —  Zelleb  u.  HttFNEB,  J.  pr.  [2]  U,  229  (1875).  —  Hsnbt,  Ann.  eh. 
[4]  27,  250  Anm.  (1872).  —  Grosheintz,  Bull.  31,  293  (1879).  —  Bouchardat,  Compt. 
rend.  100,  452  (1885). 

»  WuBTz,  Ann.  eh.  [3]  55,  414,  417  (1859).         *  Debus,  Ann.  110,  319  (1859' 

^  Gläser  u.  Morawski,  Monatsh.  10,  582  (1889). 

ö  Demole,  Ber.  9,  745  (1876). 


Aetkylenoxyd  und  PolyäthyleTmlko^fdtti^  -**'*  567 


äthyläther*  CH8(0.C,H5).CH,(0-C,H5)  riecht  angenehm  ätherisch,  siedet  bei  1240 
und  besitzt  bei  0^  das  spec.  Grew.  0-799. 

Glykoldinitrat«  CH,(0N0j).CHj(0N02)  ist  eine  farblose  bewegliche  Flüs- 
sigkeit, welche  bei  — 15**  flüssig  bleibt,  in  Wasser  unlöslich  ist,  bei  5*  das  spec.  Gew. 
1-484  besitzt  nnd  durch  Schlag  explodirt. 

Glykolmonacetat»  CHj(OH).CHj(O.CO.CHs)  ist  eine  ölige,  mit  Wasser 
mischbare  Flüssigkeit;  ihr  Siedepunkt  liegt  bei  182^  —  Gljkoldiacetat^ 
rH,fO-CO.CH,).CH,(0-C0.CH8)  bedarf  bei  22»  7  Vol.  Wasser  zur  Lösung,  siedet 
bei  186~-187®  und  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  1-128. 

Aethylenoxyd^  CgH^O  =  CH^^ — -^CH^  siedet  bei  +14«  und 
besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  0-894.  Mit  Wasser  ist  es  in  jedem  Ver- 
liältniss  mischbar.  Mit  Phosphorpentachlorid  reagirt  es  unter  Bildung 
von  Aethylencblorid,  mit  Phosphoniumjodid  unter  Bildung  von  Aethylen- 
jodid.  Bei  längerem  Stehen  mit  kleinen  Mengen  von  Chlorzink  oder 
Aetzkali  geht  es  in  eine  polymere  krystallinische,  bei  56®  schmelzende 
Modification  über. 

Es  ist  schon  S.  564  erwähnt  worden,  dass  Aethylenoxyd  beim  Er- 
hitzen mit  Wasser  durch  Aufoahme  von  1  Mol.  Wasser  Glykol  bildet; 
allein  daneben  entsteht  eine  ganze  Reihe  von  höher  molecularen  Ver- 
bindungen, welche  Sauerstoff  theils  in  ätherartiger,  theils  in  alkohol- 
artiger Form  gebunden  enthalten  und  sich  bilden,  indem  2,  3  oder 
mehr  Molecüle  Aethylenoxyd  sich  mit  einem  Wassermolecül  vereinigen. 
Diese  PolyStliylenalkoliole  ^  von  der  allgemeinen  Zusammensetzung 
iiCjH^O  +  H3O   bilden  sich  auch  beim  Erhitzen  von  Aethylenoxyd  mit 

Glykol: 

CHjv  H  CHa— OH 

1  >0+  I  =     I 

CK,/         OCHjCHaOH         CH,— OCHj.CHj.OH 

und  beim  Elrhitzen  von  Aethylenbromid  mit  Glykol  auf  115 — 120®: 

CH,Br  CH,-0  •  CHg  -  CHj  •  OH 

I  +  20H.CH,.CHs.0H  =  2HBr  +    | 

CH,Br  CH,-0  •  CH, .  CH,  •  OH 

Sie  stellen  dicke,  mit  Wasser  mischbare,  unzersetzt  destillirbare  Flüssig- 
keiten dar.  Ihre  Essigsäureester  entstehen,  wenn  man  Eisessig  oder 
Essigsäureanhydrid  mit  überschüssigem  Aethylenoxyd  erhitzt: 

CHj.  XO-CHj  /CHj-CHsOCOCHa 

2  I      >0  +  0<  ^  0< 

GH/  ^COCHg  ^CHsCHj.OCOCH, 


*  WuRTz,  Ann.  eh.  [3]  55,  431  (1859).  —  Henry,  Compt.  rend.  100,  1007  (1885). 
'  Champion,  Compt.  rend.  73,  571  (1871).  —  Henry,  Ann.  eh.  [4]  27,  253  (1872). 
'  Atkinson,  Ann.  109,  233  (1859).    —    Louren^o,  Ann.  eh.  [3]  67,  267  (1863). 

*  Wurtz,  Ann.  eh.  [3]  65,  438  (1859). 

'  Wurtz,  Ann.  eh.  [8]  56,  427  (1859);  69,  317,  355  (1863).  Bull.  29,  530  (1878). 
Anji.  Suppl.  6,  201  (1868).  —  De-öle,  Ann.  173,  125  (1874).  —  Greenb,  Compt. 
rend.  86,  624  (1877).  —  Girard,  Compt.  rend.  101,  478  (1885). 

*  LouREN^o,  Ann.  eh.  [3]  67,  275  (1863).  —  Wurtz,  Ann.  eh.  [3]  69,  330 
i^ä).  -  M0H8,  Ztschr.  Chem.  1866,  495. 


Propylenglykolj  Pinakon, 


Propylengrlykol'  CHg  •  CH(ä)H)  •  CH,(OH)  kann  durch  Destillation  von  Mono- 
natriumglycerat  gewonnen  werden.  Es  siedet  bei  188 — 189**,  besitzt  bei  20*^  das  spec. 
Gew.  1'044  und  löst  sich  in  12—13  Vol.  Aether.    Durch  Oxydation  mit  Platinschwarz 

liefert  es  MilchsÄure  CHg  •  CH(OH)  -  CO  •  OH.  —  Propylenoxyd»  CHj-CH^-— ^IL 
siedet  bei  35^  und  ist  mit  Wasser,  Alkohol  und  Aether  mischbar. 

Als  Beispiel  der  disecundären  Glykole  sei  das  Diisopropyl-äthylenglykoP 
(CaHyXOITlCH-  CH(OH)(C8H7)  (aus  Isobutyraldehyd  und  alkoholischem  Kali)  erwähnt. 
Es  bildet  farblose,  tafelförmige  Krystalle,  schmilzt  bei  51-5^  und  siedet  bei  222—223'. 

Unter  den  ditertiären  Alkoholen  ist  die  ein&chste  Verbindung  das  Tetra- 
methyl-äthylenglykol  (CHa)2C(0H)— CCOHXCHj).,  —  gewöhnHch  als  Plnakon* 
schlechthin  bezeichnet  — ,  welches  man  am  besten  erhält,  indem  man  Aceton,  das 
über  Raliumcarbonatlösung  geschichtet  ist,  mit  Natrium  behandelt.  Es  bildet  eine 
weisse  krystallinische  Masse,  riecht  campherähnlich,  schmilzt  bei  42^  und  siedet  bei 
171 — 172**.  In  kaltem  Wasser  ist  es  schwer  löslich,  in  heissem  leicht,  fällt  aber  beim 
Abkühlen  der  wässrigen  Lösung  als  Pinakonhydrat  CgHi^Oj  +  6HjO  aus;  letz- 
teres bildet  durchsichtige  Tafeln,  schmilzt  bei  46*3^,  löst  sich  wenig  in  kaltem  Wasser 
und  Aether,  leicht  in  Weingeist,  sublimirt  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  and 
verflüchtigt  sich  leicht  mit  Wasserdämpfen.  Durch  Oxydation  wird  das  Pinakon 
wieder  in  Aceton  zurück  verwandelt. 

Die  Constitution  des  Pinakons  ist  durch  Synthese  erwiesen  worden;  indem  man 
zunächst  das  Jodid  des  durch  Einwirkung  von  Zinkmethyl  auf  Isobutyrylchlorid  er- 
hältlichen Dimethylisopropylcarbinols  (vgl.  S.  146—147)  der  Einwirkung  von  alkoholi 
schem  Kali  unterwarf,  gelangte  man  zu  einem  Hexylen  CqHj^,  das  die  Structur  des 
Tetramethyläthylens  besitzen  musste: 

(CIUCH-CJCCH,),  =  HJ  +  (CH,),C=C(CH,),; 

das  Bromid  dieses  Kohlenwasserstoffs  liefert  nun  bei  der  Umsetzung  mit  essigsaurem 
Silber  und  darauffolgender  Verseifung  des  entstandenen  Aoetats  das  Pinakon.  Ver- 
einigt man  das  Tetramethyläthylen  mit  unterchloriger  Säure,  so  erhält  man  das 
Pinakonchlorhydrin  (CH3)2CC1— C(0H)(CH,)2,  welches,  mit  concentrirter  Kalilauge 
zersetzt,  Pinakonhydrat,  dagegen  beim  Destilliren  über  festem  Aetzkali  Tetra- 
methyl-äthylenoxyd*   {CILi\G C(CH,)j   liefert.    Letzteres   siedet  bei  95—96* 

\o/ 

und  vereinigt  sich  mit  Wasser  unter  bedeutender  Wärmeentwickelung  zu  Pinakon- 
hydrat 


*  WuRTz,  Ann.  eh.  |3l  65,  438  (1859).  —  Louren^o,  Ann.  120,  91  (1861).  - 
LiNNEMANN,  Auu.  192,  61  (1878).  —  NiEDEBiST,  Auu.  196,  359  (1878).  —  Zai^bb,  Ann. 
214,  177  (1882).  —  Belohoubek,  Ber.  12,  1872  (1879).  —  Habtmaiw,  J.  pr.  |2l  16. 
383  (1877).  —  Hanriot,  Ann.  eh.  |5|  17,  84  (1879).  —  Le  Bel,  Compt.  rend.  92. 
532  (1881).  —  Gabtenmeister,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  6,  529  (1890). 

*  Oseb,  Ann.  Suppl.  1,  255  (1866).  —  Liknbmakk,  Ann.  140,  178  (1866).  Mo- 
natsh.  e,  369  (1885).  —  Henry,  Ann.  eh.  [4]  27,  261  (1872). 

^  FossEK,  Monatsh.  4,  663  (1883). 

*  FiTTio,  Ann.  HO,  26  (1858);  114,  54  (1859).  —  StIdeler,  Ann.  111,  277 
(1859).  —  Friedbl,  Ann.  124,  329  (1826).  Ann.  eh.  [4]  16,  390  (1869).  —  Linwe- 
mann,  Ann.  Suppl.  3,  374  (1865).  Jb.  1871,  422.  —  Friedkl  u.  Silva.  Ber.  6,  35. 
267  (1873).  —  BoucHARDAT,  Ztschr.  Chem.  1871,  698.  —  Pawlow,  Ann.  196,  126 
(1879).  —  Thörher  u.  Zincke,  Ber.  13,  645  (1880). 

*  Eltekow,  Ber.  16,  399  (1S83). 


Trimethylenglykol  und  andere  ß-Olykole,  569 


III.   (xlykole,  deren  Hydroxylgruppen  an  zwei  Ton  einander 

getrennten  Kohlenstoffatomen  haften« 

Je  nach  der  Stellung,  welche  die  beiden  mit  Hydroxyl  verbundenen 
Kuhlenstoffatome  zu  einander  einnehmen,  kann  man  /?-61ykole  mit 
der  Gruppe: 

J(OH)-C-C(OH)/ 


> 


^'-Glykole: 

\C(OH)-C-C-C(OH)/, 

A-Cilvkole  etc.  unterscheiden. 

Trimethylenglykol'  CH^COH)— CH^— CH^COH)  ist  der  Prototyp 
der  /9-Glykole.  Es  kann  aus  dem  Trimethylenbromid  durch  Auswechse- 
lung der  Bromatome  gegen  Hydroxyl  —  schon  durch  einfaches  Kochen 
mit  Wasser  —  gewonnen  werden  und  bildet  sich  ferner  in  erheblicher 
Menge  bei  der  Schizomycetengährung  des  Glycerins.  Es  ist  eine  dicke, 
süss  schmeckende  Flüssigkeit,  erstarrt  in  einem  Kältegemisch  von  fester 
Kuhlensäure  und  Aether  zu  einer  seideglänzenden  Krystallmasse,  siedet 
bei  214^,  besitzt  bei  18^  das  spec.  Gew.  1-053  und  ist  in  Wasser  und 
Alkohol  in  jedem  Verhältniss  löslich.  Beim  Erhitzen  mit  Chlor-  oder 
Bromwasserstoffsäure  liefert  es  neben  den  Halogenhydrinen  CHgCl-CH^- 
CH3(0H)  auch  stets  die  Dihalogenderivate  CHgClCHjCHgCl.  Aus  dem 
Chlorhydrin  erhält  man  durch  Erhitzen  mit  festem  Kali  dasTrimethylen- 
oxyd  CHj— CHj— CHj  —  eine  farblose,  bewegUche,  durchdringend  rie- 

chende  Flüssigkeit,   welche   gegen   50^  siedet   und  mit  Wasser  misch- 
bar ist. 

Von  ^-Glykolen  seien  femer  erwähnt  das  Butylenglykol*  CH8-CH(0H)- 
rH,.CHj(OH)  (Siedepunkt:  207—208«,  spec.  Gew.  bei  0<»:  1-026),  welches  durch 
Rfduction  von  Aldol  CHs •  CH(OH) •  CH,  •  CHO  (vgl.  S.  395,  407)  entsteht,  und  daa 
durch  Reduction  von  Acetylaceton  CHj •  CO •  CH, •  CO •  CH3  erhältliche  AmylenglykoP 
(Hs.CH(0Hj.CH,.CH(0H).CH8  (Siedepunkt  177«). 

;'-  und  J-Glykole  sind  aus  den  ihnen  entsprechenden  Aminen 
durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  (vgl.  S.  144),  z.  B.: 

/CH, .  CN  /CH, .  CH, .  NH2 

CH2<  +  SH  =  CH,< 

^CH^ .  CN  \CH, .  CH, .  NHj 


*  Gbäoiiont,  Ann.  168,  371  (1871).  —  Reboul,  Ann.  eh.  [ö]  14,  491  (1878).  — 
Zander,  Ann.  214,  178  (1882).  --  Freund,  Monatsh.  2,  636  (1881).  —  Niederist, 
Monatsh.  3,  838  (1882).  —  Frühling,  Monatsh.  3,  697  (1882).  —  Beilstein  u.  Wie- 
öAKD,  Ber.  16,  1497  (1882). 

'  KKKt7L6,  Ann.  162,  310  (1872).  —  Wuetz,  J.  pr.  [2]  7,  822  (1873).  Compt. 
rend.  97,  473  (1883). 

*  CoiiBES,  Bull.  48,  474  (1887). 


570  r-  ""^  S-Qlykole. 

<H,  ■  CH, .  NH,  ,CH,  ■  CHj  -  OH 

+  2HN0,  =  CH/  +  2N,  +  2H,0, 

H,-CH,-NH,  N:!H,CH,-OH 

ferner  durch  Reduction  von  Eetonalkoholen: 

CH,.CO-CH,CH,-CH,(OH)  +  H,  =  CH,-CH(UH)-CH,.CH,CH,(OH) 
gewonnen  worden.  Sie  zeigen  in  ilirem  Verhalten  gegenüber  den  a-Gly- 
kolen  einen  sehr  bemerkeaBwertben  Unterschied.  Während  die  or-Glykole 
durch  directe  Wasserentziehung  nicht  in  die  entsprechenden  a-Alkylen- 
oxyde  ilbergefuhrt  werden  konnten,  letztere  hingegen  sich  leicht  mit 
Wasser  zu  den  Qlykolen  vereinigen  (vgl.  S.  564,  565),  ist  das  Verhält- 
niss  bei  den  y-  und  .?- Verbindungen  gerade  umgekehrt.  Die  Glykole 
werden  durch  Erhitzen  mit  60 procentiger  Schwefelsäure  in  die  Oxyde 
verwandelt;  die  Oxyde  dagegen  vereinigen  sieb  nicht  wieder  mit  Wasser, 
sie  können  damit  stundenlang  über  200"  ohne  Veränderung  erhitzt 
werden;  ebenso  widerstandsrähig  erweisen  sie  sich  im  Gegensatz  zn  den 
ß-Oxyden  gegen, -Ammoniak.  Mit  Chlorwasserstoff  reagiren  sie  zwar 
unter  Bildung,  von  Chlorhydrinen  bezw.  Dichloriden ;  dass  indess  auch 
hierAlr  die  £,eactionsfahigkeit  bedeutend  abgeschwächt  ist,  erkennt  man 
daraus,  d^ias  Chlormagnesiumlösuug  von  diesen  Oxyden  nicht  mehr  zer- 
setzt wri.rd.    Es  erhellt  daraus,  dass,  während  der  dreigliedrige  Gomples: 

einen  unbeständigen  und  daher  sich  schwer  schliessenden ,  aber  leicht 
öffnenden  Eing  darstellt,  umgekehrt  in  den  fUnf-  und  sechsgliedrigen 
Complexen: 


<r\ 


c  c        und         i  I 

beständige  fingfiirmige  Gruppiningen  vorliegen,  welche  leicht  zu  Stande 
kommen  und  der  Sprengung  stärkeren  Widerstand  entgegensetzen. 
Weitere  Belege  hierfür  werden  sich  bei  der  Besprechung  anderer  Körper- 
gruppen ergeben  (vgl,  die  Änhydridbildung  bei  den  Dicarbonsauren,  die 
Lactonbildung  bei  den  Oxysäuren). 

y-PentylenglykoP  CH,  CH(OH)-CH,-CH,.CH,(OH)  (aus  Acetopropylalko- 
hol,  vgl.  oben  die  GleichuDK)  ist  eine  dickliche,  schwach  bitter  schmeckende  Flüssig- 
keit, siedet  bei  219—220*  besitzt  bei  0'  dos  spec.  Gew,  1000  und  ist  mit  Wasser 
mischbar.  j-Pentylenoxyd  CsH„0  ist  eine  bewegliche  Flüssigkeit,  riecht  fitber- 
ähnlich,  siedet  bei  77—78°,  besitzt  bei  0"  das  spec.  Gew.  0-875  und  löst  sieb  in 
10  RsumtheiIeD  Wasser. 

Zu  den  f-Ölykolcn  gehört  ferner  wahrscheinlich  auch  das  Heiylenglykol' 

■  Fkeeb  u.  PB&Era,  Journ.  Soo.  61,  886  (I8S7).  —  Ltpp,  Der.  2S,  2507  (1889). 
»  WusTz,  Ann.  ch.  i,4j  3,  162  (1864). 


Zfwdwerthige  Mercaptane.  571 


C^HiiO,  (Diallyldihjdrat),  welches  aus  dem  Diallyldihjdrojodid  durch  Ans- 
wechselung  der  Jodatome  gegen  Hydrozjl  sich  bildet: 

CI^, :  CH .  CH,  CH,  •  CH  J  •  CH,  CHg  •  CH(OH)  •  CH, 

I  — >  I  — ^  I       , 

CH, :  CH .  CH,  CH,  •  CHJ  •  CH,  CH,  •  CH(OH)  •  CH, 

bei  212  —  215^  siedet  und  bei  0®  das  spec.  Gew.  0-964  besitzt.  Das  entsprechende 
Hexylenoxyd*  CeHi,0  (Siedepunkt  93^  löslich  in  etwa  15  Theilen  Wasser)  ent- 
steht direct  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  Dialljl  (vgl.  S.  465). 

Pentamethylenglykol«  CH,(OH).(CH,),.CH,(OH)  (vgl.  S.  569—570  die  Bil- 
dungsgleichungen)  siedet  bei  260^  —  ^-Hexylenglykol»  CH, •  CH(OH) •  (CH,), • 
CH,(OH)  (aus  Acetobutylalkohol)  siedet  bei  234— 235«-,  spec.  Gew.  bei  0^:  0981. 
(J-Hexylenoxyd  CeH^^O  siedet  bei  103— 104®;  spec.  Gew.  bei  0®:  0-874. 

Hochmoleculare  Glykole  finden  sich  natürlich  gebildet  in  Wachsarten  vor.  — 
AoB  dem  Camaubawachs^  ist  ein  bei  103 -5°  schmelzender  Alkohol  C25H520,  isolirt 
worden,  dessen  Formel  in  Cg,H4e(CH, •  OH),  aufgelöst  werden  kann,  da  er  beim  Er- 
hitzen mit  Natronkalk  (vgl.  S.  169)  in  eine  Dicarbonsäure  C,3H4^(CO^II),  übergeht.  — 
Die  Wachsart  (Coccerin"),  welche  die  Silbercochenille  in  Form  eines  weissen  glän- 
zenden Ueberzngs  bedeckt,  zerfKllt  bei  der  Yerseifung  einerseits  in  Coccerylsäure 
C„H«,03,  andererseits  in  einen  zweiatomigen  Alkohol:  Coccerylalkohol  C,oHeo(OH),y 
welcher  bei  101 — 104®  schmilzt  und  bei  der  Oxydation  mit  Chromsäure  in  Eisessig 
eine  Pentadecylsäure  CigH^O,  liefert. 

IT.  Zweiwerthlge  SehwefelTerbindungen. 

Zweiwerthige  Mercaptane  und  ihre  Derivate. 

Es  ist  schon  S.  420 — 421  angeführt  worden,  dass  man  berechtigt  ist, 
die  Bildung  von  Methylenmercaptan  CH2{SH)j  bei  der  Einwirkung  von 
Schwefelwasserstoff  auf  Formaldehyd  anzunehmen;  daselbst  wurden  auch 
einige  bestandige  Derivate  dieses  einfachsten  zweiwerthigen  Mercaptans 
angeführt,  durch  deren  Charakterisirung  eben  der  Nachweis  für  das 
Vorhandensein  des  Methylenmercaptans  in  dem  Reactionsgemisch  er- 
bracht werden  konnte.  An  sich  konnte  das  Methylenmercaptan  und 
andere  Mercaptane  mit  zwei  an  einem  Eohlenstoffatom  haftenden  Sulf- 
hydrylgruppen  bisher  ebenso  wenig  isolirt  werden,  wie  die  entsprechen- 
den zweiwerthigen  Alkohole  (vgl.  S.  558). 

Dagegen  sind  Derivate  derselben,  welche  die  Wasserstoffatome  der 
Sulfhydrylgruppen  durch  Kohlenwasserstoffreste  ersetzt  enthalten,  leicht 
gewinnbar.  Sie  entstehen  durch  Einwirkung  von  Mercaptanen  auf  Alde- 
hyde oder  Ketone  in  Gegenwart  von  Salzsäure  oder  Chlorzink  (vgl.  S.  388). 
Die  aus  den  Aldehyden  hervorgehenden  Verbindungen,  z.  B.: 

CH,.CHO  +  2SH.C,H5  =  CH,.CH(S.C,H6),  +  II^O, 

entsprechen  vollkommen  in  ihrer  Constitution  den  Acetalen  und  werden 


*  Jekyll,  Ztschr.  Chem.  1871,  36.  —  B^hm.,  Ann.  eh.  [6]  16,  201  (1888). 

•  Gfstavson  u.  Demjanoff,  J.  pr.  [2]  39,  542  (1889). 

•  Lipp,  Ber.  18,  8282  (1885).  *  Stürcke,  Ann.  223,  299  (1884). 

*  LdSBERMAim,   Ber.   18,    1975   (1885).    —    Liebermank  u.  Beroaiii,    Ber.    20, 
959  (1887> 


572  Mercaptale^  Mercaptole, 


„Mercaptale^^  genannt.  Die  aus  den  Ketonen  sich  bildenden  Verbin- 
dungen, z.  B.: 

(CH,)aCO  +  2SH.C,H5  =  (CH3),C(S.Cä)s  +  H,0, 

deren  sauerstoffhaltige  Analoga  unbekannt  sind,  werden  als  „Mercaptole^^ 

bezeichnet. 

Die  Mercaptale  des  Formaldehjds  werden  durch  Umsetzung  von  Methylen- 
chlorid  bezw.  Methylenjodid  mit  Natriununercaptiden  erhalten^,  z.  B.: 

CII^Cl,  +  2NaS.C2H5  =  CH,(S.C,H5)j  +  2Naa. 

Die  von  Baumann  ^  entdeckten  Mercaptale  und  Mercaptole  sind  in 
Wasser  unlösliche  farblose  Flüssigkeiten  von  unangenehmem  Geruch  und 
werden  von  Säuren  und  Alkalien  auch  beim  Kochen  kaum  angegriffen. 

Dimethyl -diäthylmercaptol  (CH8)jC(S'C2H5)2  ist  das  Zwischenprodukt 
der  Sulfonalfabrikation  (s.  S.  573)  und  wird  daher  fabrikmässig  erzeugt  Man  ge- 
winnt es  durch  Condensation  von  Aceton  mit  Aethylmercaptan  (Gleichung  s.  oben) 
oder,  um  die  Darstellung  des  scheusslich  riechenden  Mercaptans  zu  umgehen,  mit 
äthylthioschwefelsaurem  Natrium^  CaHg-S-SOaNa  (vgl.  S.  225)  in  Gegenwart  von 
Salzsäure;  in  letzterem  Falle  wird  das  durch  Zersetzung  des  äthylthioschwefelsauren 
Salzes  entstehende  Mercaptan  sofort  durch  das  Aceton  gebunden.  Das  Mercaptol 
siedet  bei  190  —  191°  und  verbindet  sich  mit  Jodmethyl  zu  einer  krystallinischen 
Sulfinverbindung. 

Die  Mercaptale  und  Mercaptole  sind  als  den  zweiwerthigen  Mercap- 
tanen  entsprecliende  Sulfide  anzusehen.  Demgemäss  können  sie  durch 
Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  in  Disulfone*  verwandelt  werden,  z.  B.: 

(CH8),C(S.C,H5)3  +  40  =  (CHs),C(SO,.CÄ),. 

Diese  Disulfone  —  farblose,  geruchlose,  krystallisirbare  Substanzen  — 
sind  von  grosser  Beständigkeit;  weder  durch  Kochen  mit  Säuren  noch 
mit  Alkalien  werden  sie  verändert.  —  Die  aus  den  Mercaptalen  hervor- 
gehenden Disulfone,  welche  entweder,  wie  die  Derivate  des  Pormaldehyds: 

Hv    ySOj.R 

h/\so,.r' 

an  dem  zwischen  den  beiden  Sulfongruppen  befindlichen  Kohlenstoffatom 
noch  zwei  Wasserstoffatome  oder,  w^ie  die  Derivate  der  homologen  Al- 
dehyde 

R'v     ^0,.R 

h/\so,.r' 

noch  ein  Wasserstoffatom  daselbst  enthalten,  erinnern  in  ihrem  chemi- 
schen Verhalten  an  die  primären  und  secundären  Nitroäthane  (vgl.  S.  255 


»  Claesson,  J.  pr.  [21  15,  176  (1877).  —  Fromm,  Ann.  263,  155  (1889). 
«  Ber.  18,  883  (1885);  19,  2803  (1886). 

*  Bayer  u.  Co.,  Ber.  22  o,  115  (1889). 

*  Baümann,  Ber.  19,  2806(1886).  —  Esoales  u.  Baumann,  Ber.  19,  2814(18861. 
—  Fromm,  Ber.  21,  185  (1888);  Ann.  253,  185  (1889).  —  Stufper,  Ber.  23,  1410, 
3226  (1890). 


StUfoml.  573 

—256).  Jene  Wasserstoflfatome  werden  nämlich  sehr  leicht  durch  Ha- 
logenatome substituirt  —  schon  bei  der  Einwirkung  von  Bromwasser  in 
der  Kälte  — ,  indem  aus  den  Derivaten  des  Pormaldehyds  Dibromderi- 
vate  (z.  B.  CBr2(S03-C3H5)3),  aus  denjenigen  der  übrigen  Aldehyde  Mono- 
bromderivate  (z.  B.  CHg-CBr(S02- 03115)2)  entstehen.  Aus  den  so  gebil- 
deten Bromprodukten  wird  das  Brom  schon  durch  Kochen  mit  wässriger 
Kalilauge  abgespalten,  wobei  unter  Oxydation  eines  Theils  der  Verbin- 
dung ein  erheblicher  Theil  des  ursprünglichen  Disulfons  zurückgebildet 
wird.  —  Die  den  Mercaptolen  entsprechenden  Disulfone  dagegen 

R"/      ^SOj.R 

welche  keine  Wasserstoffatome  in  der  unmittelbaren  Wirkungssphäre  der 
beiden  Sulfongruppen  enthalten,  sind  der  Substitution  schwer  oder  gar 
Dicht  zugänglich  (vgl.  unten  Sulfonal). 

Jene  von  den  beiden  Sulfongruppen  beeinflussten  Wasserstoffatome 
sind  ferner  durch  Alkalimetalle  vertretbar;  aus  der  Benzollösung  des  Aethy- 
lidendiäthylsulfons  0H3-CH(S03C3Hß)3  z.  B.  entwickelt  Natrium  reichlich 
Wasserstoff.  Die  solche  Wasserstoffatome  aufweisenden  Verbindungen 
sind  demgemäss  in  Alkalien  leichter  löslich,  als  in  Wasser,  und  werden 
aus  diesen  ihre  Salze  enthaltenden  Lösungen  durch  Säuren  nieder- 
geschlagen. Behandelt  man  sie  in  alkalischer  Lösung  mit  einem  Alkyl- 
jodüi*,  so  gelingt  es,  an  Stelle  der  Wasserstoffatome  Alkylreste  einzu- 
führen; man  gelangt  so  von  den  Oxydationsprodukten  der  Mercaptale  zu 
denjenigen  der  Mercaptole,  z.  B.: 

CH, .  CNa(SO, .  CjHs),  +  CH, J     =     (CH,)jC(SO,  •  Cßs\  +  NaJ  . 

Unter  diesen  Disulfonen  ist  das  von  Baumann  entdeckte  Diäthyl- 
sulfon-dimethylmethan  (CH3)3C(S02-C2H5)2,  welches  aus  dem  S.  572 
besprochenen  Condensationsprodukte  von  Aceton  mit  Aethylmercaptan 
durch  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  entsteht,  in  den  letzten  Jahren 
unter  der  Bezeichnung  Sulfonal  ^  eines  der  beliebtesten  Arzneimittel 
geworden,  nachdem  1888  von  Käst  seine  schlafbringende  Wirkung  er- 
kannt worden  war.  Das  Sulfonal  bildet  farblose  prismatische  Krystalle, 
schmilzt  bei  125 — 126®  und  siedet  fast  ohne  Zersetzung  bei  etwa  300®; 
es  löst  sich  in  15  Th.  siedendem,  500  Th.  kaltem  Wasser,  in  2  Th. 
siedendem  Alkohol,  135  Th.  Aether  von  15®.  Von  Brom  wird  es  beim 
Erhitzen  bis  150®  nicht  verändert. 

Bei  einer  vergleichenden,  physiologischen  Untersuchung'  verschiedener  dem 
Sulfonal  analog  constituirter  Disulfone  hat  sich  herausgestellt,  dass  die  Intensität 
der  schlaf  bringenden  Wirkung  durch  die  in  den  Disulfonen  enthaltenen  Aethylgruppen 
bedingt  ist,  die  SO^-Glruppe  dagegen  für  die  Wirkung  nicht  in  Betracht  kommt  So 
ist  z.  B.  das  Disulfon  mit  4  Methylgruppen  (CH3)aC(S()2  •  CH3)  ganz  unwirksam,  wäh- 

1  Baumann,  Her.  19,  2808  (1886).  —  Rast,  Pharmac.  Centralhalle,  1888,  224, 
438.  —  RnsDEL,  ebenda,  280.  —  Fbohu,  Ann.  263,  147,  157  (1889). 
•  Baumann  u.  Käst,  Ztschr.  f.  physiol.  Chera.  14,  52  (1889). 


574  Thioäthylmglykol,  Diäthylendisulfid, 


rend  das  „umgekehrte  SulfouaP^  (CsHslgCCSO,  •  CHg),  nicht  anders  wie  das  gewöhn- 
liche Sulfonal  wirkt,  das  Disulfon  mit  4  Aethylgruppen  (C,H5)aC(S0s  •  CgH«),  dagegen 
unter  alien  bisher  untersuchten  Disulfonen  die  stärkste  Wirkung  zeigt.  Man  hat 
daher  Verbindungen  als  Schlafmittel  einzufahren  versucht,  welche  mehr  Aethylgruppen 
als  das  Sulfonal  enthalten^: 

C2H5V       /SOj'CjHß  CjHöv      ySOj-CjHg 

XK  Trional,  >(X  Tetronal; 

CU/     \S0,-C,H5  C,H/     \S0,.C,H5 

doch  scheinen  dieselben  dem  Sulfonal  gegenüber  nicht  erhebliche  Vorziige  zu  besitzen. 

Unter  den  den  a-Glykolen  entsprechenden  Schwefelverbindungen  er- 
giebt  sich  als  einfachster  Repräsentant  das  ThloSthylenglykol '  (Aethy- 
lenmercaptan)  CH2(SH)-CH3(SH).  Es  entsteht  in  stürmischer  Reaction 
durch  Einwirkung  von  alkoholischer  Natriumsulf hydratlösung  auf  Aethylen- 
bromid,  stellt  ein  farbloses  Oel  dar,  welches  bei  146®  siedet  und  bei  24®  das 
spec.  Gew.  1  •  123  besitzt,  und  zeigt  die  typischen  Reactionen  der  Mercaptane. 

Von  Interesse  sind  die  vom  Thioglykol  sich  ableitenden  Sulfide  und  Disulfide. 

Das  dem  Aethylenoxyd  entsprechende  Sulfid       \a/     ^t  nicht  bekannt,  wohl  aber 

Polymere'  desselben.  Wenn  man  Aethylenbromid  nach  und  nach  zu  einer  warmen 
alkoholischen  Lösung  von  Schwefelkalium  fliessen  lässt,  oder  wenn  man  es  mit  con- 
centrirter  wässriger  Schwefelkaliumlosung  längere  Zeit  zum  Sieden  erhitzt,  so  erhält 
man  weisse,  amorphe,  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  unlösliche  Substanzen,  welche 
zwar  die  der  Formel  C^H^S  entsprechende  Zusammensetzung  zeigen,  in  Anbetracht 
ihrer  Löslichkeits Verhältnisse  und  ihrer  Nichtflüchtigkeit  aber  zweifellos  ein  höhere 
Moleculargewicht  —  mindestens  der  Formel  (C2H4S)3,  wahrscheinlich  aber  einem 
höheren  Multiplum  von  CSII4S  entsprechend  —  besitzen.  Die  Substanzen,  obwohl 
äusserlich  sehr  ähnlich,  erweisen  sich  je  nach  den  Darstellungsbedingungen  ver- 
schieden. Während  die  mit  alkoholischer  AlkalisulfidlÖsung  gewonnene  Substaiu 
beim  längeren  Erhitzen  für  sich  oder  mit  Losungsmitteln  —  am  besten  bei  mehr- 
stündigem schwachen  Sieden  mit  Phenol  (Siedepunkt  183^  —  eine  einfachere,  krystallisir- 
bare  und  destillirbare  Substanz  von  gleicher  Zusammensetzung  liefert,  erweist  sich  die 
mit  w ä SS riger  Schwefelkaliumlosung  dargestellte  Substanz  denselben  Einflüssen  gegen- 
über als  unveränderlich.  Für  die  aus  der  spaltbaren  Modification  hervorgehende 
einfachere   Substanz   ergiebt  sich   aus    der  Dampfdichtebestimmung   die   MolecuUr- 

y  OH  J O  Hg  V 

formel  C4H8S8;   sie  ist   demnach   als  Diäthylendisulfid   S^  ^  anzu- 

N:!Ha— CH/ 
sprechen,  ihr  Molecül  wird  durch  einen  sechsgliedrigen  Bing  gebildet  Das  Diäthylen- 
disulfid ist  ein  farbloser  Körper  von  ausserordentlicher  Rrystallisationsföhigkeit,  riecht 
unangenehm,  schmilzt  bei  111^,  siedet  unzersetzt  bei  200^,  ist  mit  Wasserdämpfen 
leicht  flüchtig  und  verdampft  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  merklich;  in  Wasser 
ist  CS  wenig,  in  Alkohol,  Aether  etc.  leicht  löslich.  Es  zeigt  die  allgemeinen  Eigen- 
schaften der  Sulfide,   tritt  mit  Halogenen  und  Halogenverbindungen  der  Metalle  zu 

^  Pharmac.  Centralhalle  1890,  608,  751. 

«  Wkhneb,  Ztschr.  Chem.  1862,    581-  —  V.  Msver,   Ber.  19,   8263  (1886).  - 
Fasbender,  ßer.  20,  461  (1887);  21,  1475  Anm.  (1888). 

»  Löwig  u.  Weidmamn,  Ann.  36,  321  (1840).  —  Craffts,  Ann.  124,  110  (1862); 
125,  123  (1863);  128,  220  (1863).  —  Hüsemann,  Ann.  126,  280  (1863).  —  Manspelp. 
Her.  19,  696,  2658  (1886).  —  V.  Meyer,  Ber-  19,  3262  (1886).  —  Masson,  Jouru. 
Soc.  49,  283  (1886).  —  Oiro,  J.  pr.  [2]  36,  446  (1887). 


Sulfurane,  575 

Idditionsprodukten  zusammen,  liefert  durch  Oxydation  Sulfoxyde  bezw.  Sulfone  und 
ereinigt  sich  mit  Ilalogenalkylen  zu  Sulfinverbindungen,  wie  C^HqSs.CHjJ  und 
'4^98, .  (CHj  J),. 

Diese  Snlfinverbindungen  zeigen  ein  eigenthümliches  Verhalten.  Wenn  man  die 
lurch  Addition  von  einem  Molecül  Halogenalkjl  entstehenden  Produkte  in  wässriger 
^osung  mit  Silberoxyd  behandelt,  so  erhält  man  zwar  eine  stark  alkalische  Lösung 
les  entsprechenden  Sulfinhydroxyds  (z.  B.  C4H8S8 .  CHgOH) ,  aber  beim  Erhitzen  der 
liösuDg  tritt  Zersetzung  ein,  indem  die  Sulfinhydroxyde  Wasser  abspalten  und  in 
luchtige,  unangenehm  riechende  Gele  der  allgemeinen  Zusammensetzung  CqHjqS  über- 
sehen; diese  Umwandlungsprodukte,  welche  aus  obigen  Sulfinjodiden  auch  durch 
Kochen  mit  Natronlauge  entstehen,  sind  Sulfurane^  genannt  worden,  und  es  hat  sich 

CH,-S.CH:CH, 
nachweisen  lassen,    dass  sie  als  Alkylvinyläther  des  Thioglykols    | 

CH,— S'CnH^n^i 
anzusprechen  sind;  so  ist  z.  B.  die  Zersetzung  des  Jodfithyl- Additionsprodukts  durch 
die  Gleichung: 

yCHj — CH2V       >'CjH5  •CHj — CHg — S — CjH5 

S<  >S<  -HJ     =     S< 

\CHj-CH/     \J  ^CHTiCHj 

zu  erläutern,  das  dadurch  entstehende  Aethylsulfuran  (Siedepunkt  215^,  spec. 
Gew.  bei  15**:  1-017)  also  als  Aethylvinyläther  des  Thioglykols  anzusehen. 

Durch  gelinde  wirkende  Oxydationsmittel  (Brom  in  Chloroformlösung,  concentrirte 
Schwefelsäure,  Sulfiirylchlorid,  Hydroxylamin)  erhält  man  aus  dem  Thioäthylenglykol 

CHg — S  'S  •  — CHj 
das  Diäthylentetrasulfid*  |  |      —  eine  weisse,  amorphe,  bei  151-  152° 

CHs-SS.-CII, 

schmelzende,  in  Alkohol  und  Aether  unlösliche  Substanz,  welche  durch  Oxydation 
mit  Salpetersäure  Aethylendisulfosäure  liefert. 

Durch  Einwirkung  des  Thioglykols  auf  Aldehyde  und  Ketone^  erhält  man  Mer- 
captale  und  Mercaptole,   deren  Molecüle   einen  fünfgliedrigen  Ring  aufweisen,  z.  B. 

yS CHj 

aus  Acetaldehyd    und   Thioglykol   Aethylidendiäthylsulfid    CHg-CH/'        | 

(Siedepunkt  172—173*'). 

CHj  •  SOj  •  R 
Die  den  Aethem  des  Thioglykols  entsprechenden  Disulfone  |  unter- 

CH2  ■  öOj  •  R 

scheiden  sich  von  den  so  ausserordentlich  beständigen  Disulfonen  der  Mercaptale  und 

Mercaptole,   welche   beide  Sulfongruppen   an  einem  Kohlenstoffatom  enthalten  (vgl. 

S.  572—573)  in  bemerkenswerther  Weise  dadurch,  dass  durch  Kochen  mit  Alkali  eine 

ihrer  Sulfongruppen  abgespalten  wird ;  so  wird  z.  B.  das  Aethylendiäthylsulfon* 

eHo-SO,.CA 

(Schmelzpunkt    186 — 137^)   in   Aethylsulfinsäure    und   Aethylsulfon- 

1^'Ü.-S0,.C,H5 
Äthylalkohol  gespalten: 

CHg  •  SO2'  •  CgHj  CHj  •  SOg  •  C2II5 

I  H-KOH     =     I  +KSO2.C2H0. 

CHj-SOgC^Hß  CHjOH 


*  Manspeld,  Ber.  19,  2658  (1886).  —  V.  Meter,  Ber.  19,  3264  (1886).  —  R.  De- 
MUTH  u.  V.  Mkyeb,  Ann.  240,  305  (1887).  —  Braun,  Ber.  20,  2967  (1887). 

'  Pasbender,  Ber.  20,  460  (1887);  21,  1470  (1888).  —  Otto,  Ber.  20,  208  (1887). 
'  Fasbender,  Ber.  21,  1473  (1888).  —  Miolati,  Ann.  262,  67  (1890). 

*  Beckmann,  J.  pr.  [2]  17,  469  (1878).  ~  Otto,  J.  pr.  [2]  36,  436  (1887). 


1 


576  Zweiwerihige  Sulfosmtren. 


Zweiwerthige  Sulfosäuren. 

Zweiwerthige  Sulfosfturen  können  durch  Umsetzung  zwischen  Dihalogenverbin- 
dungen  und  neutralen  Alkalisulfiten*  erhalten  werden: 

CHjBr .  CHjBr  +  2  K^SOg     =     CHjCSOjK)  •  CHsCSOjK)  +  2  KBr, 

femer  durch  Oxydation  von  zweiwerthigen  Mercaptanen  oder  ihren  Derivaten*,  z,  K 
Aethylendisulfosäure  CH,(SOeH)  •  CHsCSOsH)  aus  Thioglykol  und  Aethylenrhodauid 
CHa(S-CN)-CH8(S.CN),  Aethylidendisulfosäure  CH3 •  CHCSOjH),  aus  Thialdin  {y^l 
S.  425).  Auch  entstehen  sie  bei  der  Einwirkung  von  rauchender  Schwefelsäure  auf 
Amide  und  Nitrile  der  Fettsäuren',  z.B.  Methylendisulfosäure  OHsCSOsH),  ausAcet- 
amid  und  Acetonitril. 

Methylendisulfosäure^  (Methandisulfosäure ,  Methionsäure)  CH,(SOsH)i  ist 
häufig  als  Einwirkungsprodukt  von  rauchender  Schwefelsäure  auf  einfache  Verbindun- 
gen der  Fettreihe  beobachtet,  so  ist  sie  aus  Essigsäure,  Acetamid,  Acetonitril,  Milchsäure 
erhalten;  auch  aus  Aethyläther  entsteht  sie  in  geringer  Menge  bei  der  Einwirkung 
von  Schwefelsäureanhydrid.  —  Die  freie  Säure  stellt  lange,  zerfliessliche  Nadeln  dar; 
das  Bariumsalz  CHg(S08)sBa  +  2H2O  hält  sein  Krystallwasser  bei  100®  zurück,  ver- 
liert es  bei  140  ^ 

Aethylendisulfosäure'^  CHsCSOjH) •  CHjlSOjH)  (01  w'-Aethandisulfos&ure) stellt 
eine  strahlig  krystallinische  Masse  dar  und  schmilzt  wasserfrei  bei  92®;  das  Barium- 
salz  krystallisirt  je  nach  den  Bedingungen  wasserfrei  oder  wasserhaltig. 

Aethylidendisulfosäure*  CHg*CH(SO,H),  (6i-Aethandisulfosänre)  ist  eine 
ölige,  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  lösliche  Flüssigkeit;  das  Bariumsalz  enthält, 
aus  Wasser  krystallisirt,  3  Mol.  Krystallwasser.  In  dem  Aethylester  CHa-CHlSO,- 
OCjHg)^  ist  das  Wasserstoffatom  der  Methenylgruppe  durch  Natrium  vertretbar,  so' 
dass  man  im  Stande  ist,  dasselbe  durch  Kochen  des  Esters  mit  Natriumalkohulat 
und  einem  Alkyljodid  in  alkoholischer  Lösung  gegen  Alkylreste  auszuwechseln. 

Halbgeschwefelte  Glykole  und  Oxysulfosäuren. 

Es  ist  zu  erwarten,  dass  zwischen  den  zweiwerthigen  Alkoholen  und  den  zwei- 
werthigen Mercaptanen  Verbindungen  in  der  Mitte  stehen,  die  zugleich  Alkohol  umi 

Mercaptan  sind: 

„  /OH  „  /OH  „  /SH 

ßV  rV  R°<      . 

N)H  \SH  \SH 

Eine  solche  Verbindung  —  das  MonothioäthylenglykoF  CH,(OH).CHg(SH)  - 
entsteht  durch  Umsetzung  von  Glykolchloriiydrin  CHs(OII)  •  CHgCl  mit  Kaliumsolf* 
hydrat;  es  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  schwerer  als  Wasser,  darin  wenig  löslich  und 

»  Bender,  Ann.  148,  107  (1868).  —  Monabi,  Ber.  18,  1343  (1885). 

»  Weenee,  Ztschr.  Chem.  1862,  586.  —  Bufp,  Ann.  100,  232  (1856).  - 
GcABESCHi,  Ber.  U,  1384,  1692  (1878). 

'  Buckton  u.  A.  W.  Hofmann,  Ann.  100,  129  (1856). 

*  Buckton  u.  A.  W.  Hofmann,  Ann.  100,  133,  169  (1856).  —  Strecker,  Auu. 
100,  199  (1856);  118,  290  (1861);  148,  92  (1868).  —  Husemann,  Ann.  126,  2^3 
(1863).  —  Baumstark,  Ann.  140,  82  (1866).  —  R.  Hübnkb,  Ann.  223,  203  (1884). 

»  Husemann,  Ann.  126,  272  (1863).  —  V.  Meyer,  Ann.  171,  53  (1873).  - 
Königs,  Ber.  7,  1163  (1874).  —  Guareschi,  Ber.  12,682  (1879),  —  Andkkasch,  Ber. 
16,  1185  (1883).  —  Otto,  J.  pr.  [2]  36,  437  (1887). 

«  Guareschi,  Ber.  12,  682  (1879).  Ann.  222,  302  (1883).  —  Amdreasch,  Ber 
16,  1185  (1883).  —  Manzelius,  Ber.  21,  1551  (1888). 

'  Caruts,  Ann.  124,  257  (1862). 


Oxystüfosäuven,  57  7 


efert  durch  Oxydation  mit  Salpetersäure  Isäthionsäure  CHs(0H)-CH2(S0,H).  Das 
Dtsprechende  Sulfid  —  Thiodiglykol*  SCCH, •  CH, •  OH),  —  erhÄlt  man  durch 
anwirkimg  von  wSasriger  Kaliumsulfidlösung  auf  Gljkolchlorhydrin ;  es  ist  ein  fast 
;eruclüosery  mit  Wasser  in  allen  Verfaflltnissen  mischbarer  Syrup. 

•  Als   Derivate  solcher  „halbgeschwefelter   Glykole^'   können   femer  die   Oxy 
ulfosäuren 

\SO9H 
lufgefasst    werden,  die  andererseits ,  auch  als  Sulfosubstitutionsprodukte  der  einwer- 
tlugen  Alkohole  betrachtet  werden  können. 

Als  hierher  gehörig  sind  zunächst  die  Verbindungen  zu  erwähnen,  welche  aus 
den  Aldehyden  und  Ketonen  durch  Anlagerung  von  Alkalidisulfiten  entstehen  (vgl. 
S.  387—888): 


/OH  Rv       /OH 

R.CH<  >C< 

^SO.Na  R'/     \SOJ 


SOjNa  R'/     ^SOgNa 

Die  dem  Formaldehyd  entsprechende  Oxymethansulfosäure  CH2(OHXS08H) 
(vgL  S.  404)  wird  auch  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  auf  ein  Ge- 
menge von  wenig  Methylalkohol  mit  viel  concentrirter  Schwefelsäure  erhalten'.' 

Wenn  man  Schwefelsäureanhydrid  auf  Aethylalkohol  oder  Aether  einwirken 
lässt,  das  Produkt  mit  Wasser  verdünnt  und  längere  Zeit  kocht,  so  erhält  man  eine 
Snlfosäure  des  Aethylalkohols,  welche  die  Hydroxylgruppe  und  Sulfogruppe  an  ver- 
schiedenen Kohlenstofiatomen  enthält: 

CHs(OH)— CH^^CSOsH) 

und  daher  als  Aethylenhydrinsulfo säure  bezeichnet  werden  kann.  Diese  viel- 
fach untersuchte  Säure  ist  bekannter  unter  dem  Namen  „Isäthionsäure^^';  sie  wurde 
oben  bereits  als  Oxydationsprodukt  des  halbgeschwefelten  Glykols  erwähnt;  weitere 
Belege  für  die  ihr  zugeschriebene  Constitution  bietet  ihre  Bildung  durch  Umsetzung 
von  Glykolchlorhydrin  mit  Natriumsulfit  und  durch  Vereinigung  von  Aethylenoxyd 
mit  Natriumbisulfit: 

GH..  CHj.OH 

I       >0  -H  NaHSO,  =  ! 

CH,/  CHj.SOgNa 

Sie  bildet  zerfliessliche  Rrystallnadeln;  ihre  Salze  sind  leicht  löslich  und  krystallisir- 
bar;  das  Bariumsalz  krystallisirt  wasserfrei.  Isomer  mit  der  Aethylschwefelsäure 
CHg-CH^-O-SOsH,  unterscheidet  sie  sich  von  letzterer  wesentlich  dadurch,  dass  durch 
Kochen  mit  Wasser  ihre  Sulfogruppe  nicht  abgespalten  wird.  Bei  der  Oxydation 
mit  Chromsäure  liefert  sie  Sulfoessigsäure  CH^SOgH)— CO,H. 

Die  Isäthionsäure  ist  nicht  das  ursprüngliche  Einwirkungsprodukt  von  Schwefel- 
säureanhydrid auf  Alkohol,  sondern  entsteht  aus  dem  Reactionsprodukt  erst  durch 
die  Behandlung  mit  Wasser.    Zunächst  bildet  sich  Carbylsulfat  ^ 

CH, SO,v 

C,HÄOe  =1  >0 

CH,-O.SO/ 

^  Caeius,  Ann.  124,  257  (1862).  —  V.  Mbtäb,  Ber.  19,  3260  (1886). 

*  M.  MüLLEE,  Ber.  6,  1032  (18T3). 

'  Maohus,  Ann.  6,  163  (1833).  —  Liebio,  Ann.  13,  33  (1835).  —  Meves,  Ann. 
}43,  196  (1867).  —  CoLLMAKN,  Ann.  148,  107  (1868).  —  Eklenmeyeb  u.  Daemstadtee, 
'/-tschr.  Cbem.  1868,  342.  —  R.  Hübneb,  Ann.  223,  198  (1884).  —  M.  Müllbe,  Ber. 
Ö.  1031  (1873).  —  Cabl,  Ber.  12,  1604  (1879);  14,  63  (1881). 

*  Rbohault,  Ann.  25,  32  (1838).  —  Maghüs,  Pogg.  47,  509  (1839). 
^'  MiTBs  Q.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  37 


578  Dreiwerihige  Alkohole. 


—  eine  krjstallinische,  bei  etwa  80^  schmelzende  Verbindung,  welche  auch  doicli 

directe  Vereinigung  von  Aethylen  mit  Schwefelsäureanhydrid  (vgl.  S.  444)  erhalten  wird 

CH,— SOj.OH 
und  mit  grösster  Begierde  Wasser  anzieht,  um   in  Aethionsänre  ^   I 

CHj-OSOvOH 

überzugehen.    Die  Aethionsäure  ist  nur  in  wässnger  Losung  und  in  Form  von  Salzen 

bekannt;  sie  ist  halb  Sulfosäure  und  halb  Aetherschwefelsäure;  daher  zersetzt  sie  sich 

beim  Erwärmen  der  wässrigen  Lösung,  indem  der  esterartig  gebundene  Schwefelsftoie- 

rest  abgespalten,  und  Isäthionsäure  gebildet  wird: 

CH, .  SO, .  OH  GH, .  SOs  •  OH 

I  +  H,0  =  I  +  OH. SO,. OH. 

CHjO.SO.OH  CHjOH 


Einundzwanzigstes   Kapitel. 

Dreiwerthige  Alkohole. 

(Glycerin  und  seine  Derivate.  —  Technologie  der  Fette  und  Oele:  Kerzen-  und 

Seifenindustrie,  Glycerin  und  Nitroglycerin.) 


Es   ist  schon  S.  558  betont,    dass  sich  mehrere  Hydroxylgruppen 
im  Allgemeinen  an  einem  Eohlenstoffatom  nicht  halten  können.    Wie 

die  Gruppe  ^C<^        durch  Wasserabspaltung  in  die  Carbonylgruppe  ^C-0 

/     \0H  .         .OH  / 

übergeht,  und  man  daher  statt  der  die  Gruppe  y>C<^         enthaltenden  zwei- 

werthigen  Alkohole  fast  stets  Aldehyde  oder  Ketone  erhält^  so  wird  aus  der 

/OH  yO 

Gruppe  — C^OH  durch  Wasserabspaltung  die  Carboxylgruppe  — C^ 

\0H  \0H 

werden,  und  wo  Gelegenheit  zur  Bildung  solcher  Alkohole  mit  drei  an 
einem  und  demselben  Eohlenstoffatom  befindlichen  Hydroxylgruppen  sich 
bietet,  sieht  man  daher  stattdessen  die  einwerthigen,  um  ein  Wasser- 
molecül  ärmeren  Carbonsäuren  entstehen.  Wegen  dieser  Beziehung  be- 
zeichet  man  jene   hypothetischen   dreiwerthigen  Alkohole   als  „Ortho- 

säuren": 

/OH  jy 

CHjC^OH  CH,.CC        ; 

N)H  N)H 

OrthoessigsSure  Essigsäure 

die  Frage,  ob  sie  vielleicht  als  in  der  wässrigen  Lösung  der  Fettsäuren 
bestehend  anzunehmen  seien,  wurde  S.  321  gestreift  und  in  verneinendem 
Sinne  beantwortet.  Auch  hier  wieder  wird  die  Unbeständigkeit  auf- 
gehoben, sobald  die  Wasserstoffatome  der  Hydroxylgruppen  durch  Alkyl- 


»  Maokus,  Pogg.  47,  514  (1839).  —  Clabsson,  J.  pr.  [2]  19,  253  (1879.) 


Glycerin.  579 

I  I  ■  —       -  ■■       I      M        I  I  I      I        I  11      I         I 

reste  vertreten  sind:  die  Ester  der  Orthosäuren,  wie  CH(0 «02115)3,  sind 
beständig,  sie  wurden  bereits  S.  362 — 363  besprochen. 

Vom  Methan  und  Aethan  können  sich  in  Folge  dieser  Verhältnisse 
beständige  dreiwerthige  Alkohole  nicht  ableiten;  erst  das  Propan  bietet 
die  Möglichkeit  für  die  Anlagerung  dreier  Hydroxylgruppen  an  drei  yer- 
schiedene  Kohlenstoffatome : 

CH,  (OH)-CH(OH)-CH,(OH). 

Dieses  Trioxypropan  —  der  denkbar  einfachste  dreiwerthige  Alkohol  — 
ist  eine  äusserst  wichtige  Verbindung:  das  schon  mehrfach  erwähnte 
Glycerin. 

Glycerin. 

Glycerin  CgHgOg  (wegen  seiner  Beziehung  zu  den  Fetten  und  seines 
süssen  Geschmacks  früher  auch  „Oelsiiss"  genannt,  nach  der  „Genfer 
Nomenclatur"  (vgl.  S.  602)  Propantriol  zu  nennen)  wurde  1779  von 
Scheele  entdeckt;  Cheybeul  erkannte  es  als  Stammsubstanz  der  natür- 
lichen Fette  und  Oele,  Pelouzb^  stellte  seine  Zusammensetzung  fest, 
Bebthelot*  und  V^ubtz^  trugen  namentlich  zur  Aufklärung  seiner  Con- 
stitution bei. 

Wie  schon  mehrfach  angedeutet  (vgl.  S.  305 — 306,  334,  511),  be- 
stehen die  natürlichen  Fette  und  Oele  aus  Verbindungen,  welche  sich 
vom  Glycerin  durch  Vertretung  der  Hydroxylwasserstoffatome  mittelst 
der  Badicale  von  höheren  Gliedern  der  Fettsäure-  und  Oelsäure-Beihe 
ableiten;  diese  Ester  des  Glycerins,  wie 

C,H5(0 .  CO .  Ci^Ha,),  CaH.CO  •  CO  •  C^Ha,),  C.H.CO  •  CO  •  C„H„)a 

Palmitinsäure-  StearinsICure-  Oebäure-Glycerinester ' 

zerfallen  unter  der  Einwirkung  verseifender  Mittel  in  Glycerin  und  die 
entsprechende  Säure,  z.  B.: 

CaH^COCOCnHas),  +  8H,0  =  CsH^COHJa  +  30H.CO.C„H,5. 

Die  Verseifung  der  Fette  und  Oele  bietet  daher  einen  Weg,  um  Glycerin 
in  grösstem  Massstab  zu  gewinnen;  die  Methoden,  deren  sich  die  Industrie 
hierfür  bedient,  werden  am  Schlüsse  dieses  Kapitels  (S.  592  ff)  geschildert 
werden. 

Die  vollständige  Synthese  des  Glycerins  ist  Feibdel  und  Silva* 
auf  einem  Wege  geglückt,  als  dessen]  Ausgangspunkt  die  Essigsäure 
(vgl  deren  synthetische  Gewinnung  S.  131  und  319)  angesehen  werden 
kann.  Das  durch  Destillation  von  essigsaurem  Calcium  gewinnbare  Aceton 
wurde  zu  Isopropylalkohol  Yeducirt,  letzterer  durch  Wasserabspaltung  in 
Propylen  übergeführt,  und  das  Propylen  mit  Chlor  vereinigt: 


»  Ann.  20,  46,  (1886).    Compt  rend.  21,  718  (1845). 
»  Ann.  eh.  [3]  41,  306  (1854). 

*  Ann.  eh.  [3]  43,  492  (1855).     Ann.  102,  839  (1857). 

*  Compt.  rend.  74,  805  (1872);  76,  1594  (1873). 

37* 


580  Glycerin  (Entstehung,  Constitution). 


CH,  CH,  CH,  CH,a 

CO  — >-  CH(OH)      — >-      CH  — >-         CHGl 

CH,  CH3  CH,  CH,; 

das  80  gewonnene  Propylenchlorid  wird  nun  beim  Erhitzen  init  Chlorjod 
grösstentheils  derart  chlorirt,  dass  das  neu  eintretende  Chloratom  da? 
noch  nicht  chlorirte  Kohlenstoffatom  aufsucht;  so  entsteht  das  GljcerrJ- 
trichlorid  oder  Trichlorhydrin  (ygl.  S.  555),  welches  beim  Erhitzen  mit 
Wasser  Glycerin  liefert: 

CHjCl                      CHjCl  CH,(OH) 

CHCl       >-      CHCl       >-      CH(OH). 

CH,  CH,C1  CH,(OH) 

Die  Richtigkeit  letzterer  Angabe^  vorausgesetzt,  müsste  zwischen  Tri- 
chlorhydrin und  Tribromhydrin  im  Verhalten  gegen  Wasser  ein  grosser 
Unterschied  bestehen;  denn  aus  Tribromhydrin  konnte  durch  ErhitzcD 
mit  Wasser  Glycerin  nicht  oder  nur  sehr  schwierig  erhalten  werden*.  — 
Uebrigens  kann  Tribromhydrin  aus  dem  durch  Vereinigung  von  Propylei. 
mit  Brom  entstehenden  Propylenbromid  nach  neueren  Beobachtungen^ 
durch  Erhitzen  mit  Brom  in  Gegenwart  von  Eisendraht  quantitativ  er- 
halten und  nach  Wübtz  *  durch  Einwirkung  von  Silberacetat  in  Triacetin 
(8.  586)  verwandelt  werden,  welch  letzteres  durch  Barythydrat  in  Essig- 
säure und  Glycerin  gespalten  wird. 

Von  sonstigen  Entstehungsweisen  des  Glycerins  ist  zu  erwähnen 
seine  Bildung  durch  Oxydation  des  AUylalkohols  mit  Kaliumpermanganat* 
(vgl.  S.  481)  und  sein  ständiges  Auftreten  als  Nebenprodukt  bei  der  alkoholi- 
schen Gährung  des  Zuckers®  (vgl.  S.  173);  infolge  der  letzteren  Bildung 
enthalten  alle  nicht  destillirten  vergohrenen  Flüssigkeiten  —  Bier,  \\eiü. 
vergohrene  Branntweinmaische  —  geringe  Mengen  von  Glycerin. 

Für  die  Beurtheilung  der  Constitution  des  Glycerins  kommen  nament- 
lich die  folgenden  Anhaltspunkte  in  Betracht.  Die  oben  erwähnte  Sp- 
these  aus  Propylen  zeigt,  dass  das  Glycerin  ein  Propanderivat  ist;  aus 
der  Existenz  der  unten  beschriebenen  Ester  folgt  zweifellos,  dass  seine 
drei  Sauers toflfatome  in  Form  von  drei  Hydroxylgruppen  gebunden  sind; 
die  Vertheilung  dieser  drei  Hydroxylgruppen  kann  ferner  aus  dem  Um- 
stand gefolgert  werden,  dass  durch  Oxydation  (vgl.  S.  582)  eine  einbasische 
Säure  mit  zwei  alkoholischen  Hydroxylgruppen: 

die  Glycerinsäure  CO2H.CH(0H)-CHa(OH) 

»  Vgl.  Berthelot,  Ann.  156,  107  (1870). 

*  Nach  neuerdings  im  Heidelberger  Üniv.-Labor.  gemachten  Erfahrungen. 
3  Kronstein,  Ber.  24,  4246  (1891).        *  Ann.  102,  340  (1857). 

*  G.  Wagner,  Ber.  21,  3351  (1888). 

*  Pasteur,  Ann.  106,  838  (1858).  —  Vgl.  auch  Thylmann  u.  Hiloee,  Ber.  22c, 
344  (1889). 


Olycerin  (Eigenschaften).  581 


nd    eine   zweibasiscbe  Säure  mit  einer  alkoholischen  Hydroxylgruppe: 

die  Tartronsäure  CO,HCH{OH)-CO,H 
rhalten  werden  kann.    Offenbar  ist  dies  nur  erklärlich,  wenn  durch  das 
'orbandenaein  je  einer  Hydroxylgruppe  an  jedem  endständigen  Y'^^'~ 
totfatom    die  Möglichkeit  zur  Bildung  zweier  Carboxylgruppen  g 
it,  und  auch  am  mittelständigen  Kohlenstoffatom  sieb  noch  eine  Hy< 
;ruppe  befindet. 

Glycerin  ist  eine  farblose  und  geruchlose,  stark  hygrosk( 
Flüssigkeit  von  rein  süssem  Geschmack  und  syrupartiger  Com 
ilit  Wasser  und  Alkohol  ist  es  in  jedem  Verhältniss  mischbar,  in 
md  Chloroform  unlöslich ';  es  löst  seinerseits  viele  anorganiscl 
trgauiscbe  Verbindungen',  so  die  Alkalien,  viele  Salze,  selbst 
Die  fast  ölartige  Beschaffenheit  einerseits,  andererseits  die  Misch 
mit  Wasser,  seine  Beständigkeit  an  der  Luft,  der  Umstand,  dass 
gewöhnlicher  Temperatur  nicht  verdampft,  sein  Lösungsvermög 
fiele  Stoffe,  der  angenehme  Geschmack  und  die  Fähigkeit,  die 
weich  und  geschmeidig  zu  machen,  ohne  eine  ätzende  Wirkung 
üben,  —  dies  alles'  sind  Eigenschaften,  welche  in  dieser  Weise  ve 
sich  bei  keiner  anderen  leicht  zugänglichen  Substanz  wiederfindt 
dem  Glycerin  in  den  Gewerben  and  in  der  Heilkunde  eine  bede 
Stellung  sichern. 

Das  Glycerin  ist  krystallisirbar*;  überlässt  man  es  länger 
einer  Temperatur  von  0",  so  bilden  sich  sehr  langsam  harte,  glär 
dm'chsichtJge  Krystalle  aus,  welche  dem  rhombistjien  System  ang 
und  bei  +17"  wieder  schmelzen*.  Unter  gewöhnlichem  Druck  si 
das  Glycerin  fast  völlig  unversetzt  bei  290",  unter  einem  Dru( 
50  mm  bei  205*.  Sein  specifisches  Gewicht^''  beträgt  bei  15": 
Bei  der  Mischung  mit  Wasser'  tritt  geringe  Contraction  und  Tempi 
erhobung  ein. 

An  dem  chemischen  Verhalten  des  Glycerins  ist  besond* 
Vertretbarkeit  dreier  Wasserstoffatome  hervorzuheben,  welche  dasse 
Tri bydroxyl Verbindung  —  als  dreiwerthigen  Alkohol  —  charakti 
die  anten  näher  besprochenen  Alkoholate,  Aether  und  Ester 
Belege  dafür.  —  Bei  der  Einwirkung  von  Chlor-  und  Bromverbinf 

Ueapeb,  Cbem.  Newa.  21,  87  (1870). 

Vgl.  KxEVEH,    BuU,    18.    372  (1872).    —    Peloü;!e,    Ann.  30,  46  (18 
[,  Compt.  rend.  76,  884  (1873). 

Crookes,   Uladstone,   Sabq,   Jb.  1867,   673.  —    Nitschk,  Jb.  1873,  ; 
Lamo,  Jb.  1B74,  338. 
Vgl  Henninqeb,  Bor.  8,  643  (1875);  9,  361  (1876). 
Ofpbkiieih  u.  Salzkahn,  Her.  7,   1622  (IS74).  —  Bolas,   Zischr.  Clien: 
Geblach,  Ber.  17c,  522  (1884).  —  Kichardbon,  Journ.  Sog,  49,  761   II 
MENDfLEJEFF.  Ann.  114,  167  (1860). 

Lenz,    Ztsthr.    f.   anal.    Chem.   19,   297   (1880).    —    Geblach.   Ber.    V, 
-  Sthohueh,   Monntsh.  5,  59  (1884), 


582  Qlycerin  (ehemisdtes  Verhalten). 

des  Phosphors  werden  zunächst  Zwischenprodukte',  wie  Monochlorhydrin 
o  TT  ^.,^TT,    T^ichlorhydrin  C,HjClj{OH),  Epichlorhydrin  CH,-CH-CH,Cl 

uch  bei  der  Einwirkimg  von  Chlorwasserstoff  auf  Glycerin' 
iesslich  werden  alle  drei  Hydroxylgruppen  durch  Chlor  bezw, 
und  es  entsteht  Trichlor-  bezw.  Tribromhydrin  {vgl,  S.  555). 
läuft  die  schon  mehrfach  besprochene  Einwirkung  des  Jod- 
ler eines  Gemisches  von  Jod  und  Phosphor  (vgl.  8.  146, 
<];  wohl  in  Folge  der  Unbeständigkeit  der  zunächst  ent- 
dukte»,  wie  Dijodbydrin  C3HjJg(0H)  und  Trijodhydrin 
.  man  je  nach  den  Bedingungen  schliesslich  AUyljodid, 
Isopropyljodid, 

litzen  in  Gegenwart  von  wasserentziebenden  Substanzen 
cerin  Äkroleln  (vgl.  S.  522). 

^xydationsprodukte  des  Glycerins  wird  man  die  beiden 
>indungen : 

CHO  CH,{OH) 

CH{OH)  und       CO 

OH,[OH)  CH,(OH) 

Glycerinaldehyd  Dioijaceton 

I  Gemisch  dieser  Verbindungen  —  Glycerose*  genaniit 
n  Kap.  35)  — ,  in  welchem  das  Dioxyaceton  vorwaltet, 
der  That  durch  Anwendung  gemässigter  Oxydationsmittel r 
etersäure,  Brom  und  Soda,  Piatinschwarz,  am  besten  durch 
n  Bromdampf  auf  Bleiglycerat.  Die  beiden  Verbindungen 
lirt,  ihr  Vorhandensein  in  dem  Oxydationsgemisch  aber 
irung  in  Derivate  sicher  festgestellt;  die  Glycerose  ist  von 
ung  für  das  Problem  der  synthetischen  Darstellung  von 
iworden  (vgl.  Kap,  35). 

n  S.  580 — 581  erwähnt,  dass  sich  durch  kräftigere  Oxydation 
rin  entsprechenden  Carbonsäuren  bilden;  starke  Salpeter- 
Quecksilberoxyd  bei  Gegenwart  von  Barytbydrat'  liefert 
Kaliumpermangat'  neben  anderen  Produkten  kleine  Mengen 
ire, 
leren  Cxydationsbedingimgen   findet   eine   ziemlich    glatte 


c  u.  Lcci,  Ann.  101,  e7  (1857). 
-,  Ann.  88,  311  (1853);  92,  302  (1854). 
lY,  Ber,  14,  403  (1881). 

Jb.  1863,  501.  —  E.  FiBCHKR  o.  Tapei.,  Ber.  20,  1089,  S^-, 
(1888);  32,  106  (188»).  -  Ghimaui,  Compt  rend.  104,  1276  (18871 
nn.  106,  79  (1858).  —  Socolofp,  ebenda,  95.  —  Hhntz,  Ann.  162 

,  Ber.  18,  3357  (1885). 

i.  BizzABi,  Jb.  1880,  787;  1882,  647. 


Alkokolate  des  Olycerins.  583 


Sprengung  der  KohlenstoflFkette  statt.  Silberoxyd  wird  von  einer  alkali- 
schen Glycerinlösung  rasch  reducirt,  indem  sich  reichliche  Mengen  von 
Glykolsäure  CHjj(0H)-C02H  bilden  i;  Bleisuperoxyd  wirkt  auf  die  alka- 
lische Lösung  unter  Zerlegung  des  Glycerins  in  Wasserstoff  und  Ameisen- 
säure*: 

CjHeOa  +  0,  =  H,  +  3  CH,Oj. 

Durch  Spaltpilze  kann  das  Glycerin  in  lebhafte  Gährung'  versetzt 
werden ;  die  Produkte  sind  je  nach  der  Natur  des  Gährungserregers  und 
den  Gährungsbedingungen  verschieden;  ein  Bacillus  erzeugt  als  Haupt- 
produkt normalen  Butylalkohol  (Darstellungsmethode,  vgl.  S.  162),  ein 
anderer  als  Hauptprodukt  Aethylalkohol.  Daneben  wurden  als  Gährungs- 
produkte  flüchtige  Fettsäuren,  Bernsteinsäure,  Trimethylenglykol  (in  er- 
heblicher Menge,  vgl.  S.  569),  auch  eine  Verbindung  von  der  Zusammen- 
setzung des  Phorons  C^Hj^O  (vgl.  S.  530)  beobachtet. 

Abkömmlinge  des  Glycerins. 

Vom  Glycerin  leiten  eich  Alkobolate  ab,  indem  die  Hydrozylwasserstoffatome 
darch  Metallatome  vertreten  werden;   auf  der  Bildung   solcher   Alkoholate   beruht 
zweifellos  die  Fähigkeit  des  Glycerins,  viele  Metalloxyde*  —  Kalk,  Strontian,  Baryt, 
Bleioxyd  etc.  —  in  beträchtlicher  Menge  au&ulösen.  —  Mononatriumglycerat*'* 
CjH5(0H),(0Na),  verbunden  mit  Krystallalkohol  (NaCsHTOg  +  OjK^O),  erhält  man  in 
Form  von  sternförmig  gruppirten  RrystäUchen,  wenn  man  Glycerin  zu  einer  Lösung  von 
Natrium  in  Alkohol  fügt;  durch  Erhitzen  im  Wasserstoffstrom  auf  120**  wird  der  Krystall- 
alkohol ausgetrieben.    Beim  Erwärmen  von  Glycerin  mit  der  entsprechenden  Menge 
Xatriumam^igam  (Natrium  selbst  wirkt  in  der  Kälte  kaum,  in  der  Hitze  zu  heftig) 
erhält  man  das  Natriumglycerat  als  gummiartige  Masse;  durch  trockene  Destillation 
liefert  es  unter  anderen  Produkten  erhebliche  Mengen  von  Propylenglykol ,  das  man 
aach  direct  durch  Destillation  von  Glycerin  mit  Natriumhydroxyd  erhält  (Darstellungs- 
methode, vgl.  S.  668).    Auf  einer  weiteren  Veränderung  des  Propylenglykols  beruht  es 
wohl,  dass  beim  Schmelzen  von  Glycerin  mit  Kalihydrat'  Milchsäure  CHg-CHCOH)* 
CO^H,  Essigsäure  und  Ameisensäure  gebildet  wird.    Erhitzt  man  das  Mononatrium- 
glycerat  mit  der  äquivalenten  Menge  Natriumäthylat  längere  Zeit  in  alkoholischer 
Lösung,  verjagt  dann  den  Alkohol  und  trocknet  bei  180^  im  Wasserstofi&trom,  so 
erhält  man  zunächst  eine  Verbindung  von  Mononatriumglycerat  mit  Natriumäthylat 
^\H,08Na.CaH60Na;  erst  durch  andauerndes  Erhitzen  auf  180 — 190**  wird  dieselbe 


»  KiLUNi,  Ber.  16,  2415  (1883). 

*  Glaseb  u.  Mobawski,  Monatsh.  10,  578  (1889). 

'  Berthelot,  Ann.  eh.  [3.]  50,  346  (1857).  —  B£chaup,  Compt.  rend.  69, 
669  (1869).  —  Frrz,  Ber.  9,  1348  (1876);  10,  276  (1877);  11,  42,  1892  (1878); 
12,481(1879);  13,  1311  (1880);  15,  867  (1882).  —  K.  E.  Schui^e,  Ber.  16,  64  (1882). 
-  Freund,  Monatsh.  2,  636  (1881).  —  Morin,  Compt  rend.  106,  816  (1887).  — 
Vgl.  auch  Hoppe-SETLEB,  Ztschr.  f.  physiol.  Chemie.  3,  353  (1879). 

*  Puls,  J.  pr.  [2]  16,  83  (1877). 

*  Letts,  Ber.  6,  159  (1872).  —  Belohoubek,  Ber.  12,  1872  (1879).  —  Löbisch  u. 
l^os,  Monatsh.  2,  783  (1881).  —  Fernbach,  Bull.  34,  146  (1880).  —  de  Forcrand, 
Compt.  rend.  103,  596  (1886).  —  Raisonnier,  Bull.  [8]  7,  554  (1892). 

^  DcMAs  u.  Stas,  Ann.  35,  158  (1840).  —  Herter,  Ber.  11,  1167  (1878). 


584  Aether  des  Glycerins, 


unter  Austreibung  von  Alkohol  in  Dinatriumglycerat^  C,H5(0H)(0Na),  über- 
goftlhrt,  welch  letzteres  indess  bei  dieser  Temperatur  schon  beträchtliche  Zeisetms^ 
erleidet 

Aether '•  Setzt  man  das  Mono-  und  Dichlorhydrin  (vgl.  S.  616  ff.)  mit  Natrium- 
alkoholaten  um,  so  erhält  man  die  Mono-  und  Dialkjläther  des  Glycerins: 

CaHß^OH -t- NaOCjHß  =   CaH^^OH        -t- NaCl, 
M)H  ^OH 

yCl  /OCA 

C,H,(-C1    +  2NaO.C,H5=  C^n^^O-C^U^  +  NaCl; 

behandelt  man  den  Diäthyläther  mit  Natrium  und  Jodäthyl,  so  entsteht  der  Tri- 
äthyläther: 

CaHs^C^Hfi  +  J.C,H5  =   C.He^OCÄ  +  NaJ. 
X)Na  X).C,H5 

Monoäthylin  CjHßCO •  CjHöXOH)^  (Siedepunkt  225— 230 •)  lost  sich  in  Wisse; 
Diäthylin  CjHßlO •  C,H5)a(0H)  (Siedepunkt  191^  spec.  Gewicht  0-92)  ist  wenig 
losUch,  Triäthylin  C8Hß(0 •  CjH6)8  (Siedepunkt  185^  spec.  Gew.  0-895  bei  IM' 
nicht  löslich  in  Wasser;  alle  drei  Aether  stellen  farblose  Flüssigkeiten  dar. 

Bei  der  Destillation  von  Glycerin  mit  Chlorcalcium  oder  mit  etwas  SalmUL 
femer  als  Nebenprodukt  bei  der  Darstellung  von  AUylalkohol  aus  Glycerin  und 
Oxalsäure  (vgl.  S.  479)  erhält  man  eine  flüssige,  mit  Wasser  mischbare,  bei  171— 1T2* 
siedende  Verbindung  (spec.  Gewicht  bei  0^:  1*145),  welche  die  Znsammensetznsg 
CgHioO,  des  eigentlichen  Glycerinäthers': 

CH,-0— CH, 

i 

CHj-O-CH, 

besitzt;  doch  ist  es  fraglich,  ob  derselben  nicht  vielmehr  die  Constitution  eines  Aetbers 
des  Acetylcarbinob  (vgl.  Kap.  34): 

CHg .  CO  •  CH,-0-CHs .  CO  •  CH3 
zukommt. 

Ueber  ätherartige  Derivate  des  Glycerins  vgl.  ferner  unter  Glyridverbindnngen 

und  Polyglycerinen  S.  590—591. 

Ester  des  Crlycerins.  Als  dreiatomiger  Alkohol  vermag  das  Glycerin 

drei  Reihen  von  Estern  zu  bilden,  je  nachdem  ein,  zwei  oder  drei  Hydroxvl- 

wasserstoffatome    durch   die    Radicale    anorganischer   bezw.    organischer 

Säuren  ersetzt  werden: 

/OSOj-OH  /O.CO.CH3  /O.NO, 

CaH,^OH  CgH^^O .  CO .  CH3  CsH,^  •  NO, . 

\0H  \0H  M).NO, 


H  — 0-CH 


*  LöBiscH  u.  L008,  Monatsh.  2,  842  (1881).  —  de  Fobcrakd,  Compt  rendlO^« 
665  (1888);  107,  269  (1888). 

•  Alsbero,  Jb.  1864,  495.  —  Reboul,  Ann.  Suppl.  1,  237  (1861).  —  BEBramoT. 
Ann.  92,  303  (1854).  —  Reboul  u.  Locren^o,  Ann.  119,  237  (1861). 

■  Bebthelot  u.  Luca,  Ann.  92,  312  (1854).  —  Linvehann  u.  Zotta,  Ann.  Suppl- 
8,  254  (1871).  —  Zotta,  Ann.  174,  87  (1874).  —  v.  Geoebpeldt,  Ber.  4,  919  (18^!. 
—  T0LLEN8,  Ztschr.  Chem.  1871,  529.  —  Tollens  u.  Loe,  Ber.  14,  1946  (1881).  - 
Silva,  Compt.  rend.  93,  418  (1881). 


Nitroglycerin, 

Unter  den  Estern  des  Glycerina,  welche  sich  von 
:chen  Säuren  ableiten,  ist  besonders  hervorznheben  d 
klpetersänreeater:  das  d-lycerlntiinttrat  CgHg(0-NO,)g,  gew 
roelfeerln'  genannt.  Man  gewinnt*  dasselbe,  indem  man  G 
iinem  Oemisch  von  concentrirter  Salpetersäure  und  concentrirb 
läure  zusammenbringt;  giesst  man  das  Heactionsgemisch  in  \ 
Iberlässt  es  der  Kühe,  so  scheidet  sich  das  Nitroglycerin  all 
ib,  welche  durch  Waschen  mit  Wasser  und  Sodalösuug  von 
jefreit  vrird.  Das  reine  Nitroglycerin  ist  eine  Ölige,  geruchlo 
Flüssigkeit  von  anfangs  sUsslichem,  später  brennendem  ' 
«eiche  bei  15"  das  specifische  Gewicht'  1-601  zeigt,  in  Wi 
iD  absolutem  Alkohol  leicht  löslich,  mit  Äether,  Chloroform 
mischbar  ist.  Bei  +8"  erstarrt  das  Nitroglycerin.  Es  be 
iiche,  wenn  auch  nicht  gerade  beunruhigende  Vergiftungssympi 
Ditmpf  veranlasst  heftige  Kopfschmerzen  und  Uebelkeiten.  Sei: 
stechendste  Eigenschaft  ist  die  Überaus  heftige  £x] 
welche  alle  Salpeters äureester  mehrwerthiger  Hyt 
bindungen  auszeichnet  (vgl.  Nitrocellulose);  selbst  klei 
können  bei  der  Detonation  furchtbare  Wirkungen  hervorbring 
Wärme*  freilich  ist  das  Nitroglycerin  nicht  besonders 
Explosion  zu  bringen;  in  dünner  Schicht  flach  ausgegoss« 
glvcerin  kann  mau  sogar  entzUnden  und  ohne  Explosion 
lassen;  ein  Tropfen,  auf  eine  glühende  Metallplatte  gegossen, 
^pbäroidalea  Zustand  an  und  verdampft  oder  verbrennt  ohni 
ist  dagegen  die  Platte  nicht  rothglühend,  aber  doch  so  heisi 
Nitroglycerin  sofort  ins  Kochen  kommt,  so  zersetzt  sich  6 
unter  Detonation*.  Durch  Stoss  oder  Schlag  detonirt  das  N 
mit  grösster  Heftigkeit  und  ist  daher  eines  der  wichtigst 
mittel  geworden.  Seine  technische  Bedeutung  wird  weitet 
600—601)  besprochen. 

Reines  Nitroglycerin  ist  haltbar,  während  ein  ungenügend 
Präparat  sich  beim  Aufbewahren  zersetzt'. 


'  SoBBEBo,  Ann.  64,  398  (1848).  —  Wiiuamson,  Ann.  92,  305  (1: 

'  Vgl.  Champion,  Compt  rend.  73,  42  (1811).  —  BouTMy  u.  pAt 
renrl.  83,  786  (1876).  —  PESKiii,  Joura.  Soc-  56,  6B5  (1889), 

'  DE  Vbt,  Jb.  185B,  626.  —  Pebkih,  Joum.  Soc.  56,  685  (1889). 

<  ScHucHAKi>T,  Jb.  ISee,  525. 

'  Xaeh  CniitpioN  (Compt.  rand.  73,  46  (1871))  bo!I  sieh  Nitroglye 
unter  Entwickelung  rother  DHinpfe  verflüchtigen,  dagegen  bei  257°  eeh 
Diren.  N'och  eigenen  Versnchen  bSogt  es  indessen  von  noch  unennittelten 
-  nicht  von  bcBtimmten  Temperaturen  —  ab,  ob  Nitroglycerin  sich  ol 
vcrflüchtipt  oder  detonirt. 

*  E,  Kopp,  Compt.  rend.  83,  190  11866).  —  Gorup-Besanez,  Ann.  16 

'  Vgl.  WiHBEN  DE  LA  RüE  u.  MOi.LEB,  Ann.  108,  122  (1859). 
Compt  reud.  73,  45  (1871).  —  H*r,  Ber.  ISo,  269  (1885).  —  Nobel, 
Jouro  179,  403  (1866). 


586  OlycerirvpJwsphorsäure,     Fettsäureester 


Die  Natur  des  Nitroglycerins  als  Salpetersäureester  bedingt  es,  dassbei 
der  Einwirkung  von  Alkalien  leicht  die  Nitrogruppen  abgespalten  werden; 
doch  yerläuft  die  „Verseifung"  keineswegs  glatt  nach  der  Gleichung: 

CgHsCO-NO,),  +  3K0H  ==  CsH5(OH)3  +  SKNO,; 

in  Folge  secundärer  Processe  wird  vielmehr  einerseits  das  Glycerin  in 
Oxydationsprodukte  verwandelt,  während  andererseits  ein  Theil  des  Alkali- 
nitrats zu  Nitrit  reducirt  wird^. 

Ueber  Ester  des  Glycerins,  welche  sich  von  anderen  anorganischen  Sftaren  ab- 
leiten —  Derivate  der  Schwefelsäure',  salpetrigen  Sfture*,  arsenigen  Säure*  —  vgl.  die 
Originalliteratur.  Ihrer  Beziehungen  wegen  zu  dem  physiologisch  wichtigen  Lecithin 
(vgl.  S.  589—590)  sei  noch  die  Glycerinphosphorsäure''  C,Hö(OH),-0-PO(OH)j 
hervorgehoben,  welche  man  aus  Glycerin  durch  Einwirkung  von  Phosphorpentoxjd 
oder  Metaphosphorsäure  erhält;  sie  findet  sich  —  wohl  durch  Spaltung  von  Lecithinen 
entstanden  —  in  vielen  Organen  und  Flüssigkeiten  des  Organismus,  so  im  Blnt,  in 
den  Muskeln,  im  Harn.  Ihr  Calcium  salz  C3H5(OH)g  •  0  •  POgCa  ist  in  kaltem  Wasser 
leichter  löslich  als  in  warmem  und  scheidet  sich  daher  beim  Erwärmen  der  Lösung 
in  schneeweissen  perlmutterglänzenden  Blättchen  ab. 

Die  Ester  des  Glycerins  mit  den  einbasischen  organischen 
Säuren  können  durch  Erhitzen  des  Glycerins  mit  den  Säurehydraten 
erhalten  werden^;  je  nach  den  angewendeten  Mengenverhältnissen  und 
der  Eeactionstemperatur  erhält  man  vorwiegend  Mono-,  Di-  oder  Tri- 
glyceride (vgl.  S.  584).  Durch  Erwärmen  mit  Alkalien  oder  Bleioxyd 
werden  sie  wieder  zerlegt;  auch  Erhitzen  mit  Wasser  unter  Druck  be- 
wirkt die  Verseifung. 

Ameisensäureester  des  Grlycerins  (Formine)  entstehen,  wie  schon  S. 316 
u.  479  besprochen  wurde,  beim  Erhitzen  von  Grlycerin  mit  Oxalsäure  und  sind  wichtig 
als  Zwischenprodukte  der  Darstellungsmethoden  für  Ameisensäure  und  Allylalkohol. 
Das  Monoformin'  CHaCOHlgCO •  COH)  siedet  im  Vacuum  bei  165 <>,  das  Diformin' 
CsHgCOHXO •  C0H)2  siedet  unter  20—30  mm  bei  168— 166«  und  besitzt  bei  15*  das 
spec.  Gew.  1'304;  beide  sind  flüssig.  —  Auch  die  Essig  säur eester  des  Gly- 
cerins« (Acetine)  sind  flüssig;  Triacetin  CgHsCO •  CO •  CH8)3  siedet  bei  258— 259^ 
besitzt  das  spec.  Gew.  1*155,  ist  in  Wasser  schwer  löslich  und  scheint  in  geringer 
Menge  in  einigen  natürlichen  Fetten  und  Oelen  vorzukommen. 


»  Hat,  Ber.  18c,  268,  376  (1885).  —  Vgl.  Maquenne,  Ann.  eh.  [6]  24,  522  (1891). 
«  Pbloüze,  Ann.  19,  210  (1836);  20,  48  (1836).  —  Claesson,  J.  pr.  [2]  20,  4  (18791 

*  Masson,  Ber.  16,  1697  (1883). 

*  Schiff,  Bull.  8,  99  (1867).  —  Jackson,  Chem.  News.  49,  258  (1884).  —  Berrt, 
Chcm.  News  50,  45  (1884). 

*  Peloüze,  Compt.  rend.  21,  720  (1845).  —  Thudichüm  u.  Kinqzett,  Jb.  1876,  557. 
—  SoTNiTSCHEwsKY,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  4,  214  (1880). 

»  Vgl.  Bebthelot,  Ann.  eh.  [3]  41,  216  (1854). 

'  ToLLENS  u.  Hennikoeb,  Bull.  11,  395  (1869). 

®  RoMBüBGH,  Compt  rend.  93,  847  (1881).  —  Lobtn,  Compt.  rend.  100,  282  (1885X 

®  Bebthelot,  Ann.  eh.  [3]  41,  277  (1854).  —  Hübneb  u.  Mülleb,  Ztschr.  Chem. 
1870,  343.  —  Laüfeb,  Jb.  1876,  343.  —  Wubtz,  Ann.  102,  340  (1857).  —  Schweizes, 
Ann.  80,  289  (1851).  —  ScHMroT,  Ann.  200,  99  (1880).  —  Thümhel  n.  Kwaskik, 
Arch.  f.  Pharm.  229,  187  (1891).  —  Böttinqeb,  Ann.  263,  359  (1891).  —  Allen  o. 
Hompbey,  Ber.  24c,  867  (1891).    —  Seelio,  Ber.  24,  8466  (1891). 


des  Olycerins. 


587 


Die  Triglyceride  der  mittleren  und  höheren  Fettsäuren 
und  Oelsäuren  sind  schon  mehrfach  (vgl.  S.  579)  in  ihrer  Wichtigkeit 
als  Componenten  der  natürlichen  Fette  und  Oele  hervorgehoben.  Die 
Fette  sind  fast  stets  Gemische  mehrerer  Triglyceride;  zuweilen  aber 
überwiegt  ein  Triglycerid  derart,  dass  es  ohne  grosse  Mühe  durch 
pausende  Methoden  —  Abpressen,  Umkrystallisiren  aus  Aether  —  in 
reinem  Zustand  isolirt  werden  kann;  andererseits  lassen  sich  die  reinen 
Triglyceride  synthetisch  aus  Glycerin  und  den  betreflFenden  Säuren  durch 
Erhitzen  gewinnen.  In  der  Tabelle  Nr.  32  sind  mehrere  dieser  Ver- 
bindungen zusammengestellt.  Die  Triglyceride  der  höheren  Fettsäuren 
sind  farblose,  geruchlose,  krystallisirbare  Substanzen,  in  Wasser  unlös- 
lich, in  kaltem  Alkohol  wenig,  in  Aether  leicht  löslich. 

Tabelle  Nr.  32. 


Name 


Formel 


Schmelzpunkt 


Tributyrin  *•' 
Trilaurin*'*    . 


Trimyristin  e-^o    . 

Tripalmitin  >-"-i» 

rristeariu  »•"•»* 
Triole'in*      .     .     . 
Trielaidin  "•*«  .     . 


Triarachin  *^ 

Trienicin  ^^  . 
Tribrassidin  *® 


CaH^COCO-CsH^), 

C8H,(O.CO.ChH,8)8 

C3H,(O.CO.Ci8H„)s 

CsH5(O.CO.Ci,H8i)8 

CsHsCO.CO.Cj.HsA 
C8H6(O.CO.C,,H33), 

CsH^CO.CO.Ci.HasJs 

^S^b{0  '  CO  •  Ci9H89)8 

C8H,(O.CO.C,iH4,)8 
C8H,(0.C0.C,iH4,)8 


butterartige  Masse 

+  45<> 

+  550 

+  61<>* 

+  720* 

flüssig 

+  38° 

+  72° 

+  31^ 

+  470 

*  Tristearin  schmilzt  beim  Erhitzen  zunächst  bei  55**,  erstarrt  bei  weiterem  Er- 
hitzen wieder  und  schmilzt  dann  bei  72°.  Tripalmitin  verhält  sich  ähnlich.  Auch 
bei  einigen  anderen  Triglyceriden  sind  derartige  Verhältnisse  beobachtet. 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  32:  »  Berthelot,  Ann.  eh.  [3]  41,  216  (1854).  -- 
'  Lebedew,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  6,  149  (1882).  —  *  Marsson,  Ann.  41,  330  (1842). 
—  *  Sthamer,  Ann.  53,  390  (1845).  —  *  Playfair,  Ann.  37,  155  (1841).  —  ®  Comab, 
Jb.  1859,  366.  —  ^  Uricoechea,  Ann.  91,  369  (1854).  —  ^  Masino,  Ann.  202,  172 
(1880).  —  »  C.  Liebermann,  Ber.  18,  1982  (1885).  —  *®  Reimer  u.  Will,  ebenda,  2011.  — 
"  Stenhouse,  Ann.  36,  54  (1840).  —  *^  Maskelthe,  Jb.  1855,  519.  —  **  Chittenden 
u.  Smith,  Ber.  I80,  62  (1885).  —  **  Düpfy,  Jb.  1852,  507,  511.  —  "  IIeintz,  Ann. 
92.  300  (1854).  —  »«  H.  Meyer,  Ann.  3ö,  177  (1840).  —  "  Reimer  u.  Will,  Ber.  20, 
2HS5  {ISST).  —  "  Reimer  u.  Will,  Ber.  19,  3321  (1886).  —  *®  Thümmel  u.  Kwasnik, 
Arch.  f.  Pharm.  229,  193  (1891). 


588  Natürliche  Fette 

Natürliche  Fette'.  Die  B^kenDtnisa  der  chemischea  Natur  der 
natOrlichen  Fette  verdanken  vir  Cuevbecl';  am  Beginn  unseres  Jabt- 
kunderts  klärte  er  durch  jahrelang  fortgesetzte,  denkwürdige  Unter- 
suchungen den  Verseifungsprocess  der  Fette  auf  und  enthüllte  dadurch 
ihre  Constitution;  war  auch  das  Olycerin  schon  1779  von  Scheele  ent- 
deckt, so  wurde  es  in  seiner  Wichtigkeit  als  Stammsubstanz  der  Fette  doch 
erst  von  Cbeybedl  gewürdigt;  und  auch  die  Fettsäuren,  die  in  Gestalt 
ihrer  Älkahsalze  —  der  Seifen  —  schon  Stellnng  im  täglichen  Leben 
erworben  hatten,  erhielten  erat  durch  Chbvkeul  ihre  chemische  Cha- 
rakteristik. Hatte  man  früher  die  Seifen  als  Alkaliverbindungen  der 
Fette  seibat  betrachtet,  so  lernte  man  jetzt,  dass  die  Verseifung  in  einer 
Spaltung  des  ursprünglichen  Fettkörpers  bestehe,  durch  welche  einerseits 
stets  ein  und  derselbe  Alkohol  —  das  Glycerin  — ,  andererseits  die 
Älkahsalze  der  verschiedenen  Fettsäuren  je  nach  der  Natur  des  Fetts 
gebildet  werden, 

Fette  linden  sich  in  grosser  Verbreitung  sowohl  im  PHanzen-,  wie 
Thierkörper;  unter  den  Pflanzentheilen  sind  namentlich  die  Samen, 
Früchte,  zuweilen  auch  die  Wurzeln  reich  an  Fett.  Die  Fette  bilden 
mit  den  Eohlenhydraten  und  den  Eiweissstolfen  die  drei  Hauptgnippen 
der  Nahrungsstofife.  üeber  ihre  Bildung  und  Verwerthung  im  Organismus 
Tgl.  das  Kapitel  über  physiologische  Chemie  am  Schluss  von  Band  IL 

Diejenigen  Glycerinester ,  welchen  man  besonders  häufig  in  den 
natttrhchen  Fetten  und  Oelen  begegnet,  sind  das  Trilaurin,  Tripalmitin, 
Tristearin  und  Triolein  —  gewöhnlich  schlechthin  Laurin,  Palmitin, 
Stearin,  Olein  genannt.  Da  das  Laurin,  Palmitin  und  Stearin  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  fest,  das  Olein  dagegen  flüssig  ist  (vgl.  die 
Tabelle  Nr.  32  auf  voriger  Seite),  so  hängt  die  Consistenz  eines  Fettes 
davon  ab,  welche  dieser  Glyceride  in  vorwiegender  Menge  vorhanden 
sind;  die  an  Palmitin  und  Stearin  reichen  Fette  sind  fest  (Talgarten), 
die  an  Olein  reichen  sind  Ölig  (fette  Oele). 

Alle  Fette  sind  specifisch  leichter  als  Wasser;  sie  sind  nicht  un- 
zersetzt  flüchtig,  werden  vielmehr  bei  stärkerem  Erhitzen  zersetzt,  wobei 
unter  anderen  Produkten  das  stechend  riechende  Airoleln  (vgl.  S.  522) 
entsteht.  In  reinem  Zustand  farblos,  geruchlos  und  von  neutraler  Reaction, 
erleiden  sie  bei  längerem  Aufbewahren  unter  Luftzutritt  eine  Veränderung; 
sie  beginnen  sich  gelblich  zu  färben,  nehmen  unangenehmen  Geruch  und 
Geschmack  an  und  erhalten  saure  Reaction  —  die  Fette  werden  „ranzig*'- 
Dieses  Ranzigwerden  beruht  auf  einer  theilweisen  Spaltung  der  Glyceride: 
die  dadurch  neben  Glycerin   in  Freiheit  gesetzten  Säuren  werden  durch 


'  AusfUlirlichere  Besprechung  vgl.  in  E.  Schmhit's  ausf.  Lebrb.  d.  pharmacoul. 

Chemie  II,  549  ff.  (Braunacbweig,  1889—1890),  —  Stohmann-Kebl,  Encyklop.  Handb. 
d.  teclin.  Chcni.  III,  5LG  ff.  I  Braun  schweig,  18901.  —  ScHiEDLEE-LoHiiAXN,  Technologie 
der  Fett«  II.  Oelf  (Leipzig,  1892|. 

'  Vgl.  A.  W.  V.  Hofmanb's  Nekrolog  auf  CuEviiEnL,  Ber.  22,  UM  (1889). 


und  fttte  Oele.  589 


den  Lufteanerstoff  theilweise  zu  flachtigen  Stoffen  von  Tuangenebmem 
(ji  er  lieh  oxydirt. 

Unter  den  thierischen  Fetteo  sei  erwähnt  Rinde 
^'n  aus  Palmitin  und  Stearin,  zu  '/i  ^us  OleTn  bestehend 
47— 48*^,  und  Schweinefett  (etwa  40''/a  Palmitin  und 
Olein,  Schmelzpankt  35  —  38"},  unter  den  festen  Vi 
Cucosfett  (hauptsäcbUch  Trilaurin,  Trioiyristin ,  Tripali 
^uesentlicbster  Bestandtheil:  Tripalmitin),  Muskatbuttei 
Mjristin)  und  Lorbeerfett  (grösstentheils  Trilaurin). 

Unter  den  fetten  Oelen  unterscheidet  man  nichttr 
trocknende  Oele.  Erstere  verdicken  sich  an  der  Luft 
sam;  sie  enthalten  Olein  als  HauptbeHtandtheil ,  bo  das  < 
75''/o  Olein)  und  Mandelöl  (fast  ausschliesslich  Olein); 
mit  geringen  Mengen  salpetriger  Säure  werden  sie  allmähli 
Uebergangs  von  Olein  in  Elaldin  (vgl.  S.  513)  fest  {Ela 
Das  Rüböl  —  ebenfalls  ein  nichttrocknendes  Oel  —  h 
tlieils  aus  Erucasäure-Glycerid. 

Die  trocknenden  Oele  dagegen  verwandeln  sich  an 
einen  Oxydationsprocess  rasch  in  feste  ämissartige  Mas^ 
tigste  unter  ihnen  ist  das  filr  die  Malerei  und  zur  Darst 
uissen  viel  verwendete  Leinöl.  Sie  enthalten  als  Hai 
die  Glyceride  wasserstofiarmerer  Säuren  (trocknende  Oe 
säure.  Linolensäure,  Isolinolensäure;  vgl.  S.  520 — 521).  I 
wird  erheblich  durch  vorheriges  Erhitzen  für  sich,  noi 
Krwärmen  mit  Bleiglätte,  Mennige,  Braunstein,  Zusatz 
Manganoxjdul  beschleunigt  —  ein  Umstand,  von  den 
Kmissfabrikation*  Nutzen  zieht. 

Gewisse  phosphorhaltige  Verbindungen,  welche  sich 
sehen  und  pflanzHchen  Geweben  finden  —  man  hat  sie  ihr 
im  Eigelb  wegen  Lecithine'  (von  Xixt&o^,  Eidotter)  gen. 
ihrer  Constitution  nach  den  Fetten  sehr  nahe  und  sind  i 
Stelle  zu  besprechen,  Ihr  MolecUl  enthält  einerseits  den 
Ammoniumhase,  des  Gholins  (vgl.  Eap.  24); 

,CH,-CH,OH 

\0H 

'  Neuere  Mittbeilungen  fiber  diceen  Procees  vgl.  Kie^sliho, 
Cliem.  1891,  395,  —  Livachb,  Compt.  reniä.  113,  136  (1891). 

'  NiÜieres  vgl.  F.  Fischer,  Handb.  d.  cbem.  Technologie,  S.  10 

-  SToHMAHK-KEEt,  Eocyklop.  Huidb.  d.  techn.  Chem.  III,  70S  (Bh 

•  GoBLET,  Jb.  1847/48,  857;  1850,  557;  1851,  5S9,  598.  - 
las,  359  (18621;  148,  77  (1868).  —  Hopps-Sbvlwi,  Ztschr.  f.  phyi 
11877);  3,  374  (1879).   -   Cahn,  ebenda,  5,  215  (1881).  —  Diakomo' 

-  HirsDESHAOEH,  J.  pr.  [2]  28,  219  (1883).  —  Gilson.  ZtBchr  f.  p 
Mä  11888).  —  E.  Schulze  u.  Steiqeb,  ebenda  13,  385  (1889).  —  Ma 
437  (1890).  —  E.  SCHÜI.ZE  n.  Likibrnik,  Ber.  34,  71  (1891).  Ztschr, 
IB,  405  (1881).  —  Maiwell,  Ber.  34o,  129.  976  (1891), 


590  Lecithine,  Protagon, 


andererseits  einen  Glycerinester,  welcher  sich  von  der  S.  586  erwähnten 
Glycerinphosphorsäure  C3Hß(OH)3-0-PO(OH)3  dadurch  ableitet,  dass  in 
die  beiden  noch  nicht  esterificirten  Hydroxylgruppen  des  Glycerins  die 
Beste  der  Palmitinsäure,  Stearinsäure  oder  Oelsäure  eintreten,  z.  B.: 

/OCO-C^H,« 
CaHg^O  -  CO .  C^Has  (Stearin-Lecithin). 
\O.PO(OH), 

Es  ergiebt  sich  dies  aus  dem  Verlauf  der  Spaltung,  welche  die  sehr 
zersetzlichen  Lecithine  erleiden;  unter  der  Einwirkung  verdünnter  Säuren 
oder  Alkalien  wird  einerseits  Cholin  abgespalten,  andererseits  zunächst 
Distearylglycerinphosphorsäure  (bezw.  die  entsprechende  Palmitinsäure- 
oder  Oelsäureverbindung),  die  nun  ihrerseits  durch  weitergehende  Spal- 
tung in  Fettsäuren  und  Glycerinphosphorsäure  (bezw.  Glycerin  und 
Phosphorsäure)  zerfällt.  Da  der  Zerfall  des  Lecithins  in  Base  und 
Säure  nur  allmählich  erfolgt,  da  femer  das  Chohnsalz  der  unten  an- 
geführten synthetisch  gewonnenen  Distearylglycerinphosphorsäure  sich 
vom  Lecithin  unterscheidet,  so  fasst  man  die  Lecithine  gegenwärtig  nicht 
als  salzartige,  sondern  als  esterartige  Verbindungen  auf,  wie  es  durch 
die  Formel: 


/O.CO.C„H85  0H> 

CgH^e-O .  CO .  C„H35  >N(CH,), 

^0 .  PO(OH) .  0 .  CH, .  CH/ 
ausgedrückt  wird. 

Das  Stearin-Lecithin  wird  gewöhnlich  aus  Eidotter  gewonnen.  Die 
Lecithine  sind  wachsartige,  undeutlich  krystallinische,  sehr  hygroskopische 
Substanzen,  welche  in  Wasser  schleimig  aufquellen,  in  Alkohol,  Aether 
und  Chloroform  leicht  löslich  sind. 

Distearylglycerinphosphorsäure*  CgHjCO •  CO •  Cj7Ha5),(0 •  P0,Hj)  ist  syn- 
thetisch durch  Erhitzen  von  Distearin  mit  PhosphorsSureanhydrid  gewonnen,  stellt 
eine  weisse,  leichte,  fettähnliche  Masse  dar,  wird  bei  55^  butterartig  und  ist  bei  62-5* 
geschmolzen. 

Protagron'  wurde  von  Liebreich  eine  aus  Gehirn  darstellbare,  krystallisirbare, 
phosphorhaltige,  nach  neueren  Angaben  auch  schwefelhaltige  Substanz  von  sehr 
complicirter  Zusammensetzung  genannt,  welche  leicht  unter  Bildung  von  Glycerin- 
phosphorsäure, Fettsäuren  und  Cholin  zersetzt  wird. 


Glyeidverbindungren.  Wie  vom  Glykol  das  Aethylenozyd,  so  leitet  sich  auch 
vom  Glycerin  ein  inneres  Anhydrid  —  entstanden  durch  Wasseranstritt  aus  zwei 
Hydroxylgruppen  eines  und  desselben  Molecüls  —  ab:  das  Glycid*  CHj-CH-CHjfOHl 

(auch  Epihydrinalkohol   genannt).     Analog   wie  Aethylenozyd  aus  Glykolchlor- 


^  HunDBSHAGEN,  J.  pr.  [2]  28,  232  (1888). 

'  Liebreich,  Ann.  134,  29  (1864).  —  Gamoee  u.  Blankenhobn,  Her.  12,  1229  (1879). 
—  Bavmstabk,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  9,  168  (1885).  —  Kossel,  Archiv  f.  Anat  u. 
Physiol.  1891,  860  (Physiol.  Abtheilg.). 

■  V.  Geoerfeldt,  Jb.  1875,  270.  —  Breslaueb,  J.  pr.  [2]  20,  190  (1879).  — 
Hanriot,  Ann.  eh.  [5]  17,  112  (1879).  —  Biqot,  Ann.  eh.  [6]  22,  482  (1891). 


Qlyddverhindungen.     Polyglycerine.  591 


f  drill,  kajin  man  das  Glycid  aus  dem  Monochiorhjdrin  des  Glycerins  durch  Salzsfiure- 
atziebung  gewimien: 

CHs(0H).CH(0H).CH8Cl-HCl  =  CHj(OH).CH  •  CH,; 

ie  Heaction  kami  durch  Einwirkung  von  Bariumozyd  oder  besser  von  Natriummetall 
uf  eine  fttherische  Chlorhydrinlösung  ausgeführt  werden.  Andererseits  kann  man 
as  Epichlorbjdrin  CH,CH- 011,01  (vgl.  S.  617),  dessen  Molecül  die  Aethylenoxyd- 

»indung  schon  enthält ,  zum  Ausgangspunkt  nehmen;  man  erh&lt  daraus  durch  £in- 
prirkung  von  Kaliumacetat  das  Glvcidacetat  OH,«  OH-OH,-0*00*OH,  (bewegliche 

e'lüssigkeit,  Siedepunkt:  164— 168^  spec.  Gew.  bei  20**:  1-129),  welches  —  in  ätheri- 
scher Liosang  durch  Aetznatron  verseift  —  das  Glycid  liefert    Letzteres  stellt  eine 
sehr  bewegliche,  farblose,  schwach  riechende  Flüssigkeit  dar,  siedet  bei  160 — 161^, 
zersetzt  sich  aber  leicht  bei  der  Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck,  besitzt  bei  0^ 
das  spec.  Gew.  1-165,   ist   mit  Wasser,   Alkohol  und  Aether   in  jedem  Yerhältniss 
miscbbar,    verbindet  sich  mit  Wasser  sehr  rasch  zu  Gljcerin,    mit  Ohlorwasserstoff 
unter   Temperaturerhöhung  zu  Monochlorhjdrin   und  reducirt  aus  ammoniakalischer 
Silberlösung    schon    bei    gewöhnlicher    Temperatur    Silber.     —     Alkyläther    des 
Glycids'  erhält  man  aus  dem  Epichlorhydrin,  indem  man  dasselbe  zunächst  durch 
Erhitzen  mit  Alkoholen  in  Alkyläther  des  Monochlorhydrins  überfahrt  und  letzteren 
dann  durch  Behandlung  mit  Alkalien  Ohlorwasserstoff  entzieht: 

0H,.0H-0Ha01  + OfiHn-OH  =  0H,(0  -  OjHu)  -  OH(OH)  -  0H,01, 

\o/ 

0H,(O .  C5H1,)  -  OHfOH) .  OHjOl-HOl  =  0H,(0  -  OßH,,)  •  OH  •  OH,. 

\o/ 

Aethylgljcid   OHg  -  OH-OHs-O-OgHs    ist   eine  farblose,    bewegliche   Flüssigkeit, 

riecht  angenehm,   schmeckt  stechend,  siedet  bei  128—129^,   besitzt  bei  12^  das  spec. 
(tcw.  0-94,  löst  sich  leicht  in  Wasser  und  verbindet  sich  lebhaft  mit  Salzsäure. 

Durch  Wasseraustritt  zwischen  den  Hydroxylgruppen  mehrerer  Glycerin- 
molecüle  entstehen  —  den  Polyäthylenalkoholen  (vgl.  S.  567)  entsprechend  —  Poly- 
glycerine^. Man  gewinnt  sie  durch  Erhitzen  von  Glycerin  mit  den  Ohiorhydrinen,  z.  B.: 

C8H5(OH)8  +  OsH5(OH),01  =  HOl  +  03H5(OH),-0-.08H5(OH),. 

Höhere  dreiwerthige  Alkohole^ 

Höhere  Glycerine  sind  bisher  nur  auf  umständliche  Weise  zu  er- 
halten; zu  ihrer  Gewinnung  ist  man  von  den  ungesättigten  höheren 
Alkoholen  der  Reihe  C^H^^O  (vgl.  S.  483)  ausgegangen,  welche  in  ihrem 
Molecül  eine  Hydroxylgruppe  und  eine  Aethylenbindung  enthalten ;  indem 

»  Reboul,  Ann.  eh.  [8]  60,  52  (1860).  —  Henry,  Ber.  5,  450  (1872). 

'  LouBEK^,  Ann.  eh.  [3]  67,  299  (1863).  —  Reboül  u.  Loürek^o,  Ann.  119, 
235  (1861).  —  BBB8LAIJEB,  J.  pr.  [2]  20,  192,  193  (1879). 

*  Lieben  u.  Zeisel,  Jb.  1881,  597.  Monatsh.  4,  41  (1883).  —  Mabkownikoff  u. 
Kailukopf,  Ber.  14,  1711  (1881).  —  Kablukoff,  Ber.  21c,  53  (1889).  —  Oklofp, 
Aim.  233,  351  (1886).  —  Prunieb,  Compt  rend.  09,  193  (1884).  —  S.  Befoematzkt, 
J.  pr.  [2]  31,  318  (1885);  40,  396  ^1889).  —  G.  Wagnee,  Ber.  21,  3349  (1888).  — 
DuBnmwicz,  Ber.  22o,  802  (1889).  —  Kondasoff,  Ber.  24c,  668  (1891). 


j 


592 


Höhere  dretwerihige  Alkohole. 


man  an  die  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatome  Hydroxylgruppen  an- 
lagert, gelangt  man  —  wie  vom  Ailylalkohol  zum  Glycerin  (S.  481)  — 
nun  zu  höheren  dreiatomigen  Alkoholen.  Man  erreicht  dieses  Ziel  ent- 
weder durch  Addition  von  Brom  und  Anstansdi  der  addirten  Brom- 
atome gegen  Hydroxyl: 


CH, 


CH, 


CH, 


CH(OH) 
OH{OHJ 
CH,{OH) 


CCH,),C(OH) 


CH(OH) 
CH,(OH> 


^       CHBr 
CH  CBBi 

CH,(0H)  CH,(0H) 

oder  durch  Addition  von  unterchloriger  Säure  und  Behandlung  des  ent- 
standenen Chlorhydrins  mit  Alkali: 
(CH,),C(OH)  (CH,),C(0H)  (CH,),C(Om 

CH,  CH,  CH, 

] *-  I  bezw.  i 

CH  CHfOH)  CHCl 

CH,  0H,C1  CH,(OH) 

oder  endlich  durch  directe  Oxydation  mit  Kalinmpermangat  r 
C,H,-CH(OH)  C,H,CH{OH> 

CH         +  H,0  +  0    =  CH(OH) . 

CH,  CH,tOH) 

Pentenylglyceriii  C,HsCH(OH)-CH(OH).CH,(OHI  (aua  Aethylvinylcarbmol) 
schmeckt  süss,  eiedet  nater  63  mm  Druck  bei  192°,  besitzt  bei  31°  das  spec  Q«w. 
1-085,  mischt  sich  mit  Wasser  nod  Alkohol  ia  jedem  VerhHltuiss  uod  ist  auch  in 
Aether  nicht  besonders  schwer  läslich.  —  Octenylglycerin  (C,Hs),C(OH)-CH,- 
CH(0H)-CH,(Ü1I|  (ans  AllyMiathylcarbiDol)  ist  eine  farblose,  dickliche  Flfissigkeit 
von  sehr  bittcrem  Geschmack,  siedet  unter  55 — 60  mm  Druck  bei  204  —  207*  und  ist 
in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  löslich. 

Die  industrielle  Bedeutung  des  Grlycerins  und  seiner  Ab- 
kömmlinge (Technologie  der  Fette  und  Oele)\ 
Die  festen  thierischen  Fette  {Talgarten)  werden  meist  aas  den  Ge- 
weben, in  denen  sie  enthalten  sind,  nach  passender  Zerkleinerung  der- 
selben durch  einfaches  Ausschmelzen  (Auslassen)  gewonnen.  Aus  Pflanzen- 
samen gewinnt  man  die  Fette  oder  Oele  durch  Auspressen  mittelst 
hydraulischer  Pressen,  oft  unter  Zuhülfenahme  von  Wärme;  den  Press- 
rückständen entzieht  man  —  wo  sie  nicht  etwa,  wie  die  „Oelkuchen'' 
der  RUbölpressen ,  als  Viehfutter  rationelle  Verwendung  finden  köoneu 

—  den    stets    noch    beträchtlichen    Fettgehalt    durch    E<xtractiou    mit 

'  Der  folgende  Abschnitt  ist  von  Herrn  Dr.  B.  jAtvt  (Berlin)  frenndlichct  revi- 
dirt  worden.  —  Näheres  in  Osr'a  Lehrb.  d.  techn.  Chemie,  S.  298  ff.  (BerKn,  1890). 

—  F.  FiscHEBS  Handb.  d.  ehem.  Technologie,  ^.  1077  ff.  (Leipiig,  1889).  —    Sroa- 
ma!in-Kerl,  Encyklop.  Haudb.  d.  t«chn.  Chem.  HI,  537  ff.  (Brannschweig,  18IM). 


Fettanalyse.  593 


di^wefelkohlenstoff  oder  Petroleumbenzin:   ein  Verfahren,   welches  man 

ei    fettarmen  Rohmaterialien  auch  von  vornherein  anwendet.     Wo  eine 

Lreini^ung  der  Fette  und  Oele  geboten  erscheint,  geschieht  dieselbe  durch 

Behandlung  mit  wenig  concentrirter  Schwefelsäure,  welche  das  Fett  selbst 

renig    angreift,  die  Verunreinigungen  aber  zerstört. 

Für  die  technische  Verwerthung  der  Fette  ist  ihre  analytische  Unter- 
ncliniig^  von  Wichtigkeit.  Die  natürlichen  Fette  sind  stets  ein  mehr  oder  minder 
omplicirtes  Gemisch  von  so  vielen  Verbindungen,  für  deren  völlig  quantitative  Trennung 
vir  keine  Methode  besitzen,  dass  sich  nicht  bestimmte  Angaben  Über  den  Gehalt  an 
edem  einzelnen  Bestandtheil  erzielen  lassen.  Es  handelt  sich  bei  der  Fettanalyse  viel- 
nehr  hauptsächlich  darum,  ein  ungefähres  Urtheil  über  die  Bindungsart  und  über 
iie  Natur  der  in  den  Fetten  enthaltenen  Säuren  zu  gewinnen.  Hierzu  dienen  die 
analytischen  Methoden  j  die  hier  kurz  skizzirt  werden  mögen.  Da  die  Zusammen- 
setzang  der  Fette  einigermassen  constant  ist ,  so  können  diese  Methoden ,  nachdem 
man  einmal  ihr  Ergebniss  für  die  einzelnen  reinen  Fettsorten  kennen  gelernt  hat, 
auch  mit  Yortheil  zur  Prüfung  auf  Verfälschungen  dienen. 

Wenn  man  eine  abgewogene  Fettprobe  in  Aetheralkohol  lost  und  in  der  Kälte 
mit  einer  titrirten  Alkalilösung  titrirt,  so  erfährt  man^  wie  viel  Alkali  von  den  vor- 
handenen   freien   Fettsäuren   gebunden   wird.     Man  bezeichnet  die  Milligramme 
Kaliumhjdrozjd,  welche  zur  Neutralisation  von  1  g  Fett  nöthig  sind,  als  ,,Säur  ezahl^^ 
^Wenn  man  aber  eine  abgewogene  Fettprobe  in  alkoholischer  Lösung  mit  einer 
abgemessenen  Menge  titrirter  Alkalilauge,  die  mehr  als  ausreichend  zur  völligen  Ver- 
seifung  ist,  einige  Zeit  bis  nahe  zum  Sieden  erhitzt,  dadurch  die  Verseifung  erzielt 
\md  nun   erst  den  Ueberschuss  des  Alkalis  zurücktitrirt,  so  erfährt  man  die  Alkali- 
men^,  welche  zur  Bindung  der  gesammten  Fettsäuren  —  sowohl  der  in  freiem 
Zustand,  wie  der  in  Form  von  Gljceriden  vorhandenen  —  nöthig  ist:  Verseifungs- 
zahl  oder  Köttstorfer'sche  Zahl. 

Zieht  man  nun  von  der  Verseifungszahl  die  Säurezahl  ab,  so  resultirt  die  Alkali- 
menge, welche  zur  Zerlegung  der  in  1  g  Fett  vorhandenen  Fettsäureester  erforder- 
lich ist:  die  Esterzähl.  Bei  neutralen  Fetten  fallen  natürlich  Verseifungszahl  lAid 
Esierzahl  zusammen,  da  die  Säurezahl  gleich  Null  ist. 

Die  Säuren  nun,   welche   bei  den  erwähnten  Bestimmungen  durch  das  Alkali 

neutralisirt  werden,  können  entweder  flüchtige,  in  Wasser  lösliche,  niedere  Fettsäuren 

oder  nichtflüchtige,  unlösliche,  höhere  Fettsäuren  oder  endlich  ebenfalls  nichtflüchtige 

and  unlösliche,   höhere  ungesättigte   Säuren    (Oelsäure,  Erucasäure,  Linolsäure  etc.) 

sein.    Um  über  die  Natur  der  gerade  in  dem  zu  untersuchenden  Fette  vorhandenen 

Säuren  Anhaltspunkte  zu  gewinnen,  fuhrt  man  eine  Reihe  weiterer  Bestimmungen  aus. 

Man  verseift  eine  abgewogene  Menge  mit  alkoholischem  Alkali',  verjagt  darauf 

den  Alkohol,  löst  die  rückständige  Seife  in  Wasser  und  scheidet  aus  der  Seifenlösung 

dve  Fettsäuren  durch  Salzsäure  ab.    Die  Fettsäuren  werden  mit  kochendem  Wasser 

gewaschen,  getrocknet  und  gewogen.    Man  erfährt  so  die  Menge  der  aus  100  g  Fett 

erhältlichen,  in   Wasser    unlöslichen   Fettsäuren:    Hehner'sche  Zahl.  —  Die 

Natur  der  unlöslichen  Fettsäuren  kann  man  nun  dadurch  näher  charakterisiren,  dass 

man  eine  abgewogene  Menge  mit  Alkali  titrirt  und  dadurch  ihr  mittleres  Mole 

cnlargewicht  erfahrt    Sie  können  ferner  auf  die  Gegenwart  von  Oxysäuren  —  Rici- 

na«öl  z.  B.  enthält  eine  Oxyölsäure  (vgl.  Kap.  29)  —  geprüft  werden;  zu  diesem  Zweck 


^  Näheres  vgl.  Benedikt  in  Böokmann's  chem^-techn.  Untersuchungsmethoden  II, 
^46  ff.  (Berlin,  1888).  —  Vortmann,  Chem.  Analyse  organ.  Stoffe,  S.  197  ff.  (Leipzig 
u.  Wien,  1891).  —  Hohn,  chem.-techn.  Analyse  organ.  Stoffe,  S.  179  ff.  (Wien,  1890). 
'  Vgl.  KossBL  u.  Krüger,  Ztschr.  f  physiol.  Chem.  15,  328  (1891). 
V.  MxTBB  o.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  38 


1 


594     TabelL  lieber sicJii  über  Eigenschaften  u.  Zusatnmensetxg.  der  wicJitigeren  Fette. 


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Technische  Beä»uiung  des  FeUverseifungsproixssts. 

acht  man  sie  einige  Zeit  mit  EasigsKureanhydrid,  wodurch  die  alkoiioUechi 
roppea  der  etwa  vorhandenen  Oiyafturen  in  Oiacetyl  (O-CO-CH,) 
'erden;  nachdem  man  das  Gemisch  der  acetylirten  Stturen  durch  he 
om  Qberscfaüsaigeu  EeaigeSureanhjdrid  befreit  hat ,  beatimmt  man  ao  i 
■roben,  wie  obeo,  die  Säurezahl  und  die  Vereeifnngsiahl;  die  Differenz  < 
«hlen  ist  die  Acetjlzahl;  sie  giebt  ein  Maas  fBr  die  durch  Acel 
enoinmene  EnigeSnre';  waren  keine  OijsSnren  zng^en,  so  ist  Sfiurezi 
etfiuigazahl  gleich,  die  Äcetjlzahl  demnach  Null. 

Man  verseift,  wie  im  vorigen  Falle,  säuert  die  Seifenl^ung  mit  E 
n ,  destillirt  nun  die  fliicbtigen  Situren  ab  und  bestimmt  sie  im  D( 
ritration.  Man  bezeichnet  die  Anzahl  Cubikcentimeter  '/lo'^OTmalnatr 
UT  Neutralisation  der  aus  ögFett  erhaltenen  flüchtigen  Fettsäufen 
lIs  Reich KBi-MEissL'scbe  Zahl. 

Von  grosser  Wichtigkeit  iat  die  Bestimmung  der  ungesättigt« 
nan  gewinut  einen  Anhaltspunkt  zur  Beurtheilung  ihrer  Menge  unter  B 
Umstände»,  dass  sie  sowohl  in  freiem  Zustand,  wie  als  Gljceride  in  Folg 
wart  Ton  Doppelbindungen  Unter  geeigneten  Bedingungen  Halogen  ad 
gesättigte  Verbindungen  überzugehen.  Man  löst  eine  abgewogene  Fettpro 
form,  fOgt  eine  tltrirte  mit  Quecksilberchlorid  versetzte  alkoholische  J 
\iM,\  etva  zwei  Stnnden  stehen,  versetzt  dann  mit  verdflnnter  wässrige 
lösuDg  und  titrirt  den  Jodüberscbuss  zurück.  Die  von  100  Th.  Fett  verl 
menge  beiut  die  Jodzahl*  (HOeL'sche  Zahl). 

Weitere  Anhaltspunkte  fUr  die  Beurtheilung  der  Fette  erh&lt  mi 
Stimmung  des  speciSschen  Gewichts,  Schmelzpunkts  und  Erslarrungspunl 
»'Ibst  und  der  ans  ihnen  abgeschiedenen  Fettsäuren,  sowie  durch  £n 
l>öelichkeit  in  Eisessig. 

Die  in  der  Tabelle  Nr.  33  auf  S.  594  zusammengestellten  Zahlen 
Charakteristik  der  wichtigeren  Fette  nnd  ähnlicher  Stoffe  dienen. 

Der  achon  so  häufig  erwähnte  Verfieifungsprocess  der 
S.  579)  ist  hier  nun  nach  Beiner  praktischen  Bedeutung  n 
&  gehört  zu  den  wichtigsten  Reactionen,  deren  sich  die 
Industrie  bedient;  bei  seiner  Ausführung  im  Grossen  verfolg 
sohiedene  Ziele.  Es  handelt  sich  entweder  darum,  ein  Gen 
Fettsäuren  in  freiem  Znstand  zu  erhalten,  welches  als  Eerze 
Verwendung  finden  soll,  oder  es  handelt  sich  um  die  Erzi 
Gemisches  der  Älkalisalze  von  Fettsäuren  und  Oelsäuren, 
Seife  verbraucht  werden  soll;  in  beiden  Fällen  kann  man 
die  Äbscheidung  des  Glycerins  im  Äuge  haben.  Je  nach  t 
welchen  man  erstrebt,  kann  man  verschiedene  Methoden  der 
anwenden. 

Für  die  Stearlnkerzenfobrlkation,  welche  de  Millt  1 
liea  Anregungen  von  Chbvebol  und  Gat-Ldssac  fassend  — 

'  Vgl.  dagegen  Lkwkowitscu,  Chem.  Ind.  14,  235  (1891). 
*  Neuere  Mittheilungeu  zur  Beurtheilung  der  HOsL'scben  Jodaddi 
C.  LmEaUHN  u.  Sachse,  Ber.  24,  4117  (1891).  —  £.  Dibtebicu's  Helfenbe 
1891,  12.  —  Bemedikt,  Cöthener  Chem.  Ztg.  la,  651  (1893).  —  FabrioN; 
U72.  —  Holde,  ebenda,  1176. 

'  Sie  sind  grösstentheils  den  Tabellen  Nr.  IX-XIV  in  Voh™. 
iigMi.  Stoffe  (Leipzig  u.  Wien,  1891)  entnommen. 


596  Stearinkerzenfabrikation, 


rief,  verwendet  man  als  Rohmaterial  hauptsächlich  Rindstalg,  Hammel- 
talg oder  Palmfett  und  führt  die  Verseifung  entweder  durch  Einwirkung 
von  Kalk  oder  von  Schwefelsäure  oder  von  überhitztem  Dampf  aus.  In 
Frankreich  wendet  man  fast  ausschliesslich  das  Kalkverfahren,  in  Belgien 
uud  Holland  das  Schwefelsäureverfahren  an. 

Bei  der  Verseifung  mit  Kalk  bringt  man  jetzt  meist  nicht  mehr  die 
Quantität  Kalk  in  Reaction,  welche  zur  Bindung  der  gesammten  Säuremenge 
erforderlich  ist,  begnügt  sich  vielmehr  mit  ca.  ein  Viertel  bis  ein  Drittel 
derselben;  häufig  arbeitet  man  mit  noch  bedeutend  geringeren  Kalkmengen. 
Um  auch  mit  dieser  an  sich  unzureichenden  Kalkmenge  eine  vollständige 
Verseifung  zu  erzielen,  erhitzt  man  die  Mischung  von  Fett,  Kalk  und 
Wasser  in  kupfernen  Druckkesseln  mittelst  gespannten  Dampfes  auf 
etwa  170®;  die  durch  den  Kalk  eingeleitete  Verseifiing  wird  durch  das 
Wasser  bei  dieser  hohen  Temperatur  zu  Ende  gefuhrt.  Man  versetzt 
das  Reaction sgemisch  heiss  mit  der  dem  Kalk  entsprechenden  Menge 
Schwefelsäure  und  schlägt  dadurch  den  Kalk  als  Gyps  nieder,  während 
sich  die  Fettsäuren  oben  als  geschmolzene  Schicht  ansammeln;  man 
schöpft  sie  ab  und  schmüzt  sie  nochmals  mit  schwefelsäurehaltigem 
Wasser  um.  Darauf  überlässt  man  das  Säuregemisch  der  Krystallisation 
in  flachen  Formen  und  trennt  durch  Abpressen  (erst  in  der  Kälte,  dann 
in  gelinder  Wärme)  die  flüssige  Oelsäure  von  den  festen  Fettsäuren, 
welch  letztere  dann  —  fiir  sich  oder  mit  Paraffin  gemischt  —  zu  Kerzen 
gegossen  werden. 

Die  Verseifung  mit  concentrirter  Schwefelsäure  —  man 
wendet  durchschnittlich  9®/^  des  zu  verseifenden  Materials  an  —  wird 
in  verbleiten  Kesseln  ausgeführt,  welche  mit  Rührwerk  versehen  sind  und 
durch  Einleiten  von  Dampf  zwischen  doppelte  Böden  erwärmt  werden; 
man  steigert  die  Temperatur  in  der  Regel  nicht  über  120^  Nach  der 
Behandlung  mit  Schwefelsäure  erwärmt  man  noch  längere  Zeit  mit 
Wasser,  wodurch  die  entstandenen  esterartigen  Schwefelsäureverbindungen 
zersetzt  werden.  Die  so  erhaltenen  Fettsäuren  sind  stets  dunkel  gefärbt 
und  müssen  destillirt  werden;  es  geschieht  dies  mit  überhitztem  Dampf 
Bei  diesem  Verfahren  spielen  sich  ausser  dem  eigentlichen,  durch  die 

Gleichung : 

/(OH), 
CgHsCOCO.R)«  +  HjSO^  +  2HjO  =  3R.C0,H  +  C^H^/ 

^OSOjOH 

ausdrückbaren  Verseifungsprocess  noch  andere  Vorgänge^  ab;  aus  der 
Oelsäure  entsteht  durch  die  Einwirkimg  der  concentrirten  Schwefelsäure 
und  nachheriges  Kochen  mit  Wasser  Oxystearinsäure,  welche  dann  bei  der 
Destillation  theil weise  in  die  feste  IsoÖlsäure  übergeht  (vgl.  S.  512 — 514); 
es  ist  daher  die  Ausbeute  an  festen  Säuren  in  diesem  Falle  grösser  als 
bei  dem  Kalkverfahren. 

Endlich  kann  man  die  Verseifung  der  Fette  allein  durch  Behand- 


»  Vgl.  Geitel,  J.  pr.  [2]  37,  53  (1888). 


Seifengewinnv/ng  (Kernseifen).  597 


ing  mit  hochgespanntem  Dampf  durchführen  —  ein  Verfahren,  das 
I  einigea  Fabriten  noch  angewendet  werden  soll,  jedenfalls 
is  gebräuchlich  bezeichnet  werden  kann,  während  das  oben 
''erfahren,  bei  welchem  die  Vereeifnng  theils  durch  Kalk,  tl 
lespannten  Dampf  geschieht,  sehr  ausgebreitete  Anwendung  : 
Die  bei  der  Stearinkerzeniabrikation  in  grosser  Menge 
lüssige  Oelsäure  wird  als  Material  zur  Seifendarstellung  — 
Sinfettnngsmittel  in  gewissen  Zweigen  der  Textilindustrie  —  ' 
Im  Gegensatz  zu  der  Kerzenfabrikation,  welche  stets  in 
E^tablissements  ausgeführt  wird,  geschieht  die  6ewlnnung  i 
zuweilen  —  in  Deutschland  häufig  —  in  kleinerem  Massst) 
auch  die  Bereitung  der  Seife  in  den  Haushaltungen,  die  vor  n: 
Zeit  noch  allgemein  üblich  war,  fast  ganz  aufgehört  hat,  si 
auch  jetzt  noch  die  Seifenherstellung  zum  Theil  Aufgabe 
gewerbes;  andererseits  wird  sie  aber  auch  —  namentlich  ir 
Amerika  und  Südfrankreich  —  von  ausserordentlich  grossen 
ments    betrieben. 

Handelt  es  sich  um  die  Darstellung  harter  Seifen,  a 
Verseifang  durch  Natronlauge  bewirkt.  Der  Seifensieder  he 
noch  heute  oft  seine  Lauge  selbst  durch  Kochen  von  Sodal 
Kalk,  oder  er  benutzt  das  käufliche  Aetznatron.  Als  Eohstoffe 
man  hauptsächlich  Talgarten,  Palmfett  und  Palmkemöl,  Cocosfel 
und  die  von  der  Kerzenfabrikation  abfallende  Oelsäure  (vgl.  o 
Harz  wird  mit  verwendet,  die  darin  enthaltene  Äbiötinsäure 
Alkalien  seifen  ähnliche  Salze. 

Man  führt  die  Verseifung  in  offenen,  meist  aus  Eisenblech 
Kesseln  aus,  in  welche  zunächst  das  Fett  mit  einem  kleinen 
erforderlichen  Lauge  gegeben,  dann  während  des  Siedens  nach 
der  Rest  der  Lauge  nachgefüllt  wird.  Nach  erfolgter  Verse 
zu  dem  „Seifenleim",  welcher  noch  im  Sieden  erhalten  wird, 
zugefügt,  um  die  Seife  „auszusalzen".  Da  die  Seife  in  gesätti 
Salzlösung  unlöslich  ist,  so  wird  dadurch  eine  Trennung  i 
ölycerin,  Salze  und  überschüssiges  Alkali  enthaltende  „Unterl 
die  sich  darüber  als  halbgeschmolzene  Masse  abscheidende  Se 
Nach  dem  Ablassen  der  Unterlauge  wird  die  Seife  nochmals  i 
cheier  Natronlauge  (zur  Verseifung  von  Fettresten)  unter  2 
Salz  zum  Sieden  erhitzt;  die  vorher  schaumige  Seife  vorwa 
dadurch  in  eine  gleichmässig  geschmolzene  blasenfreie  Masi 
uun  noch  flüssig  in  die  Seifenform  gebracht  wird,  um  darin  l 
erstarren.  So  gewinnt  man  die  Kernseifen,  welche  wirklich  zu: 
Theil  aus  fettsauren  Alkalisalzen  bestehen  und  nur  etwa  10 — 15 
enthalten. 

Vielfach  wird  aber  gegenwärtig  der  bei  der  Verseifuiig 
Seifenleim  nur  so  unvollkommen  ausgesalzen,  dass  eine  Tre 
Jer  Unterlauge  gar  nicht  erfolgt,   vielmehr  der  ganze  Kesse 


598  Leimseifen,  Sofimierseifen.     Pflaster. 


sammenbleibt  und  nach  dem  Erstarren  als  Seife  verkauft  wird.  Man 
bezeichnet  solche  minderwerthigen  Produkte,  die  ausser  der  eigentUchen 
Seife  Glycerin,  Salze  und  noch  etwa  40 — 70 ^o  Wasser  enthalten,  als 
Leimseifen  oder  gefüllte  Seifen;  sie  können  natürlich  zu  viel  niedri- 
gerem Preise  in  den  Handel  gebracht  werden  als  die  Kernseifen.  Die 
Herstellung  gefüllter  Seifen,  welche  ebenso  hart  wie  die  besten  Kernseifen 
sind,  ist  durch  die  Einführung  des  Cocosnussöls  und  Palmfetts  möglich 
geworden.  Diese  Fette  haben  die  Eigenschaft,  für  sich  und  auch  im 
Gemisch  mit  anderen  Fetten  durch  concentrirte  Natronlauge  schon  weit 
unter  100®  verseift  zu  werden  und  einen  Seifenleim  zu  liefern,  der  auch 
bei  hohem  Wassergehalt  rasch  zu  einer  äusserlich  harten  und  vorzügUch 
schäumenden  Masse  erstarrt.  Auch  fremde  Stoffe  —  Wasserglas  z.  B.  — 
werden  häufig  als  Füllmaterialien  zugesetzt. 

Schmierseifen  (weiche  Seifen)  werden  durch  Verseifung  billiger 
Oele  (Hanföl,  BaumwoUsamenöl,  Leinöl,  Fisch thran)  mit  Kalilauge  her- 
gestellt. Sie  können  nicht  ausgesalzen  werden,  weil  hierdurch  aus  der 
weichen  Kaliseife  harte  Natronseife  entstehen  würde,  und  enthalten  daher, 
wie  die  gefüllten  Natronseifen,  Glycerin,  Alkali,  Salze  und  viel  Wasser. 
Auch  hier  findet  häufig  künstliche  Erhöhung  der  Ausbeute  durch  Füll- 
materialien statt. 

Neuerdings  beginnt  man  in  der  Seifenfabrikation  den  Spaltungs- 
process  der  Fette  von  der  Seifenbildung  zu  trennen,  indem  man  zunächst 
aus  den  Fetten  die  Fettsäuren,  wie  bei  der  Kerzenfabrikation  (S.  596 — 597), 
abscheidet  und  darauf  die  Fettsäuren  mit  dem  Alkali  vereinigt^. 

Wie  durch  Alkalien,  kann  man  die  Fette  auch  durch  Erhitzen  mit  fein  vcr- 
theiltem,  mit  Wasser  verriebenem  Bieioxyd  verseifen.  Statt  der  Alkalisalze  eiii&lt 
man  dann  natürlich  die  Bleisalze  der  Fettsäuren  und  Oelsfturen  —  amorphe,  undurch- 
sichtige Substanzen,  die  bei  gewöhnlicher  Temperatur  knetbar  sind  und  sich  durch 
Kneten  mit  Wasser  vom  Gijcerin  beft'eien  lassen.  Man  bezeichnet  solche  Produkte 
als  Pflaster;  die  pharmaceutisch  verwendeten  Pflaster  werden  in  der  Regel  nicht 
mit  der  zur  Verseifung  nöthigen  Menge  Bleioxyd,  sondern  mit  einem  Ueberschnss 
dargestellt  und  enthalten  daher  nicht  die  neutralen  Bieisalze  der  Stearinsäure,  Pal- 
mitinsäure etc.,  sondern  basische  Salze. 

Nachdem  im  Vorstehenden  die  technische  Ausführung  des  Verseifungs- 
processes  und  die  Abscheidung  der  Fettsäuren  zum  Zweck  der  Kerzen- 
und  Seifenfabrikation  geschildert  ist,  bleibt  nur  noch  die  Gewinnung  des 
anderen  Spaltungsprodukts  —  des  Crlycerins  —  zu  besprechen. 

Ein  vortreffliches  Material  zur  Glycerindarstellung  bieten  die  wässrigen 
Laugen,  welche  bei  der  Verseifung  mit  Kalk  oder  überhitztem  Dampf 
als  Nebenprodukte  abfallen  und  im  Wesentlichen  eine  verdünnte,  durch 
fixe  Bestandtheile  nicht  zu  sehr  verunreinigte  Glycerinlösung  darstellen. 
—  Auch  die  Laugen,  welche  bei  dem  Schwefelsäureverfahren  erhalten 
werden,  können  auf  Glycerin  verarbeitet  werden,  nachdem  die  Schwefel- 


*  Vgl.  Benedikts  Bericht,  Cöthener  Chem.  Ztg.  16,  650  (1892). 


TecJinische  Gewinnung  des  Qlycerins.  599 


säore  als  Oyps  daraas  entfernt  ist;  sie  sind  indess  in  Folge  der  Gegen- 
wart von  Zei-setzungsprodukten,  die  unter  der  Einwirkung  der  Schwefel- 
säure entstanden  sind,  schwerer  zu  verarbeiten  und  liefern  minderwerthige 
Fabrikate, —  Die  technische  Abscheidung  des  Glycerins  aus  den  Unter- 
laugen der  Kemseifenfebrikation  hat  wegen  des  grossen  Gehalts  der 
letztereu  an  Salzen  erhebliche  Schwierigkeiten  verursacht,  die  aber  zur 
Zeit  als  überwunden  gelten  können;  gegenwärtig  stammt  etwa  ein  Drittel 
der  Glycerinproduktion  aus  dieser  Quelle. 

Im  Folgenden  sei  die  Glyceringewinnung  aus   den  Laugf 

Kalk  bezw.  Wasserdampf  arbeitenden  Stearinfabriken  kurz  gee 

Die  „Qlycerinwässer"  werden  in  der  Regel   in   den  Stesii 

selbst  nur  auf  28*  B.  concentrirt,  dann  in  besonderen  Glyce 

verarbeitet.     Man  reinigt  sie  durch  Filtration  über  Knochen 

dampft  sie  im  Vacuum  ein.    Das  so  gewonnene  Produkt  wird 

als  „raffinirtes  Gljcerin"  bezeichnet,  ist  aber  noch  ziemlich  i 

namentlich  für  medicinische  Zwecke,   auch   für   die  Dynanütf 

nicht  geeignet.     Reines   (,,destillirtes")  Glycerin    gewinnt  e 

Destillation    mit   Dampf,   der   auf  ca.   400°    überhitzt    ist   n 

DestiUirblase  eine  Temperatur  von  180 — 200"  hervorbringt;  di 

von  Wasserdampf  und  Glycerindampf  durchstreicht  ein  Systen 

densat^ren,  die  derart  gekühlt  bezw.  warm  gehalten  werden,  d 

deo  ersten  Vorlagen   fast   wasserfreies  Glycerin,   in   den   folg 

dünntere  Glycerinlösung.   schliesslich  fast  reines  Wasser  nied 

Zur  Herstellung  von  chemisch  reinem  Glycerin  müssen  die  g 

Destillate   wieder   in   verdünntem   Zustand    mit   ganz    reiner 

Kohle  behandelt  werden,  die   zum  Theil   aus  Knochenkohle 

traction   mit  Säuren,   zum   Theil  aus  den  Rückständen  der  ] 

Salzfabrikation  durch  zweckentsprechende  Reinigung  gewonnen 

erfolgt  wieder  Concentration  im  Vacuum.    Die  früher  zuweilen 

Reinigung  durch  Krystallisation  bat  sich  als  unpraktisch  erwi 

Auf  die  für  die  Praxis  so  werthvollen  Eigenschaften  det 

i<   schon    S.  581    hingewiesen.     Man  verwendet  es    in  mann 

Weise.     Kleinere  Mengen   dienen  z.  ß.  als  Süssmittel  in   dei 

PuDsch-  und  Limonadenfabrikation,  auch  als  Zusatz  zu  Weir 

(Srheelisiren).    Häufig  wird  Glycerin  zur  Verhinderung  des  Ei 

zugesetzt,   so  bei  Dnickfarben ,  Senf,  Modellirthon ;   hierher  g 

seine  Verwendung  als  Schlichte-  und  Appreturmittel  in  der  Text 

die  nicht  unerhebliche  Mengen  verbraucht,  und  für  die  Fabri 

PtTgamentpapier.    Aus  Glycerin  und  Leim  wird  Buchdruckerw 

hergestellt-    In  gewissen  Fällen  braucht  man  Glycerin  als  Sei 

für  feinere  Maschinenbestandtheile.     Zum  Geschmeidigmachen 

benutzt  man  es  fllr  sich  und  als  Zusatz   zu  Seifen;   für  den 

metische  und  fiir  medicinische  Zwecke  wird  ein  recht  grosser 

Glycerinproduktion  verbraucht.    Gasuhren  werden  zuweilen  mi 

löinng  gefüllt,  um  einerseits  das  Gefrieren  im  Winter,  ander 


600  Jhfnamü. 

rasche  Yerdansten  im  Sommer  zu  hindern.  —  Die  G^sammtproduktion' 
an  Rohglycerin   beträgt  gegenwärtig  rund  bO — 40  000  Tonnen. 

Die  grössten  Glycerinmengen  aber  dienen  zur  Darstellnng  des  Nitro- 
glycerins, welches  den  wesentlichen  Bestandtheil  der  wichtigsten  modernen 
Sprengstoffe  bildet*  (Darstellung  vgl.  S.  585).  Um  die  praktische  Ver- 
werthung  desselben  als  Sprengmittel  hat  sich  der  schwedische  Ingeniear 
A.  Nobel  die  grössten  Verdienste  erworben.  Das  Nitroglycerin  fllr  sich 
konnte  keine  erhebliche  praktische  Bedeutung  erlangen,  da  seine  ÖflBsige 
Beschaffenheit  viel  Unbequemlichkeiten  beim  Transport  und  in  der  Hand- 
habung und  auch  Gefahr  mit  sich  brachte.  Nobel'  hatte  den  glück- 
lichen Gedanken,  das  Nitroglycerin  von  einem  pulverförmigen  festen 
Körper  aufsaugen  zu  lassen  und  diese  feste,  leicht  transportirbäre 
Mischung  als  Sprengmaterial  zu  benutzen.  Man  bezeichoet  solche  Präpa- 
rate als  Dynamit«;  das  meistgebrauchte  unter  ihnen  ist  das  Kieselguhr- 
dynamit,  welches  aus  75"/,, Nitroglycerin  und  SS^/q  caicinirter  Infusorien- 
erde besteht  und  eine  fettig  anzufühlende  plastische  Masse  vom  spec. 
Gew.  1-5 — 1-6  darstellt.  Dynamit  ist  bei  richtiger  Behandlung  ziemlich 
ungefährlich,  brennt  selbst  in  grösseren  Mengen  meist  ruhig  ab,  ist  auch 
gegen  Druck  und  Stoss  nicht  sehr  empändlicb  und  kann  daher  gnt 
transportirt  werden.  Dagegen  wird  er  durchaus  sicher  und  vollständig 
durch  geringe  Mengen  gewisser  (aber  nicht  aller)  detonirender  Körper, 
wie  Knallquecksilber,  zur  Explosion  gebracht;  diesen  Umstand  benutzt 
man  bei  seiner  Anwendung;  in  die  Dynamitpatrone  wird  eine  mit  Knall- 
quecksilber gefüllte  Zündkapsel  eingesenkt,  welche  nun  durch  eiue  Zünd- 
schnur oder  durch  elektrische  Zündung  zur  Explosion  gebracht  wird 
und  dadurch  die  Explosion  der  Dynamitpatrone  veranlasst. 

Dynamit  ist  an  Brisanz  dem  Schwarzpulver  bedeutend  überlegen  und 
hat  sich  daher  rasch  als  Sprengmittel  namentlich  für  Geateinssprengungen 
eingebürgert.  Allein  es  entfaltet  doch  nicht  die  ganze  Kraft  des  Nitro- 
glycerins, da  es  eben  25  "/g  Kiese!erde  enthält  —  einen  unwirksamen 
Stoff,  der  für  die  Explosionswirkung  nur  als  Ballast  in  Betracht  kommt. 
Es  hat  ferner  den  grossen  Nachtheil,  unter  starkem  Druck  und  nament- 
lich rasch  anter  Wasser  das  Nitroglycerin  aussickern  zn  lassen.  Diese 
Uebelstände  werden  vermieden  bei  Nobel's  neueren  Sprengmitteln,  welche 
als  Träger  des  Nitroglycerins  eine  an  sich  explodirbare  und  das  Nitn>- 
glycerin  viel  fesler  bindende  Substanz  enthalten.  Diese  Substanz  ist 
CollodiumwoUe  (Nitrocellulose,  vgl.  Kap.  36):  geringe  Mengen  davon,  in 
Nitroglycerin  gelöst,  genügen,  um  gallertartige  oder  gar  gummiäholiche 
Mischungen  zu  geben.    Eine  Mischung  aus  93  "/^  Nitroglycerin  und  T"/^ 


*  Vgl.  Schenkel,  Ztechr.  f.  angew.  Cbem.  1891,  &0'. 

'  Vgl.  die  Broschüre  der  Dynamit-Actien-GeaellBchaft  vorm.  Nobrl  u.  Cu. 
Hamburg  (Hamburg,  18g'2>.  —  Ueber  die  technische  Daretel lang,  besooders  die  dabei 
erforderlichen  Schutzmassregetn  vgl.  Scheidino,  Ztschr.  f.  angew.  Chem.  1S90,  609. 

'  Vgl.  DiDgl.  polytechn.  Journal  190,  124  (1868). 


Sprenggelatifie.     Gelatinedynamit.  601 


^'ollodiumwolle  —  die  Sprenggelatine  —  ist  gummiartig  und  elastisch 
md  liefert  bei  der  Explosion  nur  gasformige  Stoffe.  Durch  Zusatz  von 
lur  3 — 4^/^,  Collodium wolle  zum  Nitroglycerin  erhält  man  eine  dick- 
lüssige  Gallerte,  welche  nun  viel  weniger  Zumischpulver  als  das  reine 
Nitroglycerin  braucht,  um  eine  plastische,  feste  dynamitähnliche  Masse 
:u  liefern;  durch  Zusatz  von  salpeterhaltigen,  fast  vollständig  vergasenden 
Sumischpulvern  zu  dieser  Gallerte  bereitet  man  den  Oelatinedynamlt, 
ier  viel  stärker  als  der  Guhrdynamit  ist  und  nur  einen  geringen  Rtick- 
itand  bei  der  Explosion  hinterlässt.  Die  gelatinirten  Sprengmittel  geben 
sveder  unter  hohem  Druck  noch  unter  Wasser  Nitroglycerin  ab;  sie  sind 
iuch  gegen  mechanische  Erschütterungen  wie  gegen  Wärme  unempfind- 
licher, als  das  Kieselguhrdynamit,  und  verdrängen  letzteres  mehr  und  mehr. 
Die  Bedeutung  der  Nitroglycerinpräparate  lag  bis  vor  kurzer  Zeit 
vorzugsweise  auf  dem  Gebiet  friedlicher  Arbeit;  der  Bergmann  und 
Ingenieur  nutzten  in  erster  Reihe  ihre  mächtigen  Wirkungen  aus.  Für 
die  staunenswerthen  Arbeiten,  durch  welche  unsere  Zeit  den  natürlichen 
üindemissen  zum  Trotz  dem  Weltverkehr  immer  neue  Wege  bahnt,  sind 
diese  gewaltigen  Sprengstoffe  die  unentbehrlichsten  Hülfsmittel.  Erst 
neuerdings  beginnt  das  Nitroglycerin  als  Gelatinirungsmittel  für  Schiess- 
baumwolle in  den  „rauchlosen**  Pulvermischungen  auch  für  die  Kriegs- 
technik  von  Bedeutung  zu  werden  (vgl.  unter  Schiessbaum  wolle  in  Kap.  36); 
das  bisher  in  Deutschland  eingeführte  rauchlose  Pulver  ist  indessen  von 
Nitroglycerin  frei. 


Zweiundzwanzigstes  Kapitel. 

Höherwerthige  Alkohole. 

(Erythrit    Arabit,  Xylit,  Rhamnit.  —  Mannite,  Sorbite,  Dulcit.  —  Perseit. 

Octite  und  Nonite.) 


Entsprechend    der   nur   durch   wenige  Ausnahmen   durchbrochenen 
Regel,  dass  mehrere  Hydroxylgruppen  an  einem  Kohlenstoflfatom  nicht 
haften  können  (vgl.  S.  558  u.  578),  muss  ein  beständiger  höherwerthiger 
Alkohol  in  seinem  Molecül  mindestens  ebensoviele  Kohlenstoflfatome  wie 
Hydroxylgruppen  aufweisen.     Der  einfachste  vierwerthige  gesättigte  Al- 
kohol besitzt  demnach  die  Formel  0^113(011)4,  der  einfachste  fünfwerthige 
die  Formel  CgH7(OH)5  etc.  Diese  einfachsten  höherwerthigen  Alkoholen,  in 
deren  Molectll  also  jedes  einzelne  Kohlenstoffatom  der  Kette  eine  Hydroxyl- 
gruppe trägt,  -r-  und  zwar  diejenigen  von  normaler  Structur  —   sind 
wichtige  Verbindungen,  weil  sie  theils  selbst  in  der  Natur  vorkommen, 
theila  zu  den  in  der  Natui-  so  verbreiteten  Zuckerarten  in  nächster  Be- 
ziehung stehen.     Man    charakterisirt   sie    durch   die   Endung   „it";    die 
TOhtigsten  seien  gleich  hier  genannt: 


602  AUgemeines  über 


Erythrit: 

C4H,o04 :  CH,(OH)  •  CH(OH) •  CH(OH)  -  CH,(OH) , 

Arabit  (Xylit): 

CßHijOs :  CHs(OH)  •  ÖH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH,(OH) , 

Mannite  (Dulcit,  Sorbite): 

CeHi408 :  CHaCOH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH,(OH) , 

Perseit: 

CyHieO; :  CHj(OH)  •  CH(OH) •  CH(OH) •  CH(OH) •  ÖH(OH) •  CH(OH).CH,(OH). 

Nach  der  ,,Genfer  Nomenclatur"  (vgl.  Anhang  am  Schluss  von  Band  I)  cb- 
rakterisirt  man  die  Alkohole  allgemein  durch  die  Endung  y,ol",  die  an  den  Nam^E 
ihres  Stammkohlenwasserstofis  angehängt  wird,  und  schaltet  zwischen  den  Namea  df? 
Kohlenwasserstoffs  und  die  Endung  das  die  Anzahl  der  Hydroxylgruppen  angebeodt 
Zahlwort  ein.  Also:  Erythrit  =  Butantetrol,  Arabit  =  Pentanpen  toi,  Mannit  = 
Hexanhezol  etc. 

Der  erste  unter  jenen  normalen  höherwerthigen  Alkoholen  —  der 
Erythrit  —  enthält  schon  zwei  asymmetrische  Eohlenstoffatome  (durch 
^  bezeichnet),  der  Arabit  ebenfalls  zwei,  die  folgenden  Alkohole  der  6.  und 
7.  Reihe  enthalten  vier.  Es  lässt  sich  demnach  die  Existenz  von  stere<>- 
isomeren  Verbindungen  —  optisch  activen  und  inactiven  —  voraus- 
sehen; derartige  Isomeriefälle  sind  bei  den  flinf-  und  sechswerthigen 
Alkoholen  in  grösserer  Zahl  beobachtet;  bemerkt  sei  gleich  hier,  das> 
bei  mehreren  höherwerthigen  Alkoholen  das  optische  Drehungsvermögen 
erst  hervortritt,  wenn  man  ihre  wässrige  Lösung  mit  Zusätzen  (nameDt- 
lieh   borsauren  Salzen)  versetzt. 

Von  den  in  Bede  stehenden  Alkoholen  unterscheiden  sich  die  zugehöri- 
gen Zuckerarten  durch  den  Mindergehalt  von  zwei  Wasserstoffatomen;  sie 
stehen  zu  ihnen  in  derselben  constitutionellen  Beziehung,  wie  die  beiden 
Bestandtheile  der  Glycerose  (vgl.  S.  582)  zum  Glycerin,  d.  h.  sie  sind  die 
entsprechenden  Aldehydalkohole  mit  einer  Aldehydgruppe  („Aldosen-i 
oder  Ketonalkohole  mit  einer  dem  endständigen  Kohlenstoffatom  be- 
nachbarten Carbonylgruppe  („Ketosen").  Die  höherwerthigen  Alkohule 
entstehen  daher  aus  Zuckerarten  durch  Reduction  mittelst  Natrium- 
amalgam und  können  andererseits  durch  vorsichtige  Oxydation  in  Zucker- 
arten übergeführt  werden;  jedem  einzelnen  höherwerthigen  Alkohol  eoi- 
sprechen  gewisse  Aldosen  und  Ketosen,  z.  B.: 

CHO  CHjjCOH)  CH,(0H) 

CH(OH)  CH(OII)  CO 

)H(OH)  (t)H(OH)  CH(OH) 

CH(OH)  CH(OH)  CIHOH) 


i, 


CH(OH)  C 


H(OH)  CH(On)  CHtOH) 


CHjOH)  CR 


CHsCOH)  CH,(OH)  CH,(OH) 

Mannosc       ■< Mannit >-  Fructose 

(eine  Aldose)  (eine  Retose). 


höherwerlhigt  Alkohole. 


In  ihren  äusseren  Eigenschaften  erinnern  die  höherwer 
>hole  an  die  Zuckerarten;  sie  sind  ferbloae,  geruchlose,  gut  l 
Are  Verbindungen  von  süssem  Geschmack,  in  Wasser  lei( 
gl.    S.    562 — 563),  meist  nicht  unzersetzt  flüchtig. 

In  ihrem  chemischen  Charakter  dagegen  weichen  sie  von  d 
rten  erheblich  ab;  sie  besitzen  nicht  das  Beductionsveri 
iuckerarten  gegen  FEHLiBo'sche  Lösung,  auch  nicht  die  Fähig] 
lefe  in  Oährung  versetzt  zu  werden.  Vielmehr  schliessen 
iirem  chemischen  Verhalten  durchaus  an  das  Glycerin  an.  'S 
werden  sie  durch  Erwärmen  mit  Jodwasserstoff  zu  einem  i 
Uidalkyl  reducirt  (vgl.  S.  146);  es  entsteht  so  aus  Erjtht 
Siityljodid,  aus  Uaanit  und  den  isomeren  Alkoholen  sccund 
."lexyljodid.  Diese  ßeaction  ist  wichtig  für  die  Erkenntnis 
sammensetzung  und  der  Structur  der  höheren  Alkohole;  die  de 
CjH^^O^,  CjHjjOj  etc.  entsprechenden  Procentzahlen  für  Kohl 
Wasserstoff  weisen  so  geringfügige  Unterschiede  auf,  dass  die  '. 
iiu&lyse  nicht  zwischen  jenen  Formeln  entscheiden  kann;  die 
mit  Jodwasserstoff  führt  nun  zu  einer  Verbindung,  deren 
gi^wicht  sich  aus  dem  Jodgehalt  und  dem  Siedepunkt  sofort  et 
deren  Structur  leicht  festgestellt  werden  kann.  —  Erhitzen  mit  co 
Sidzsäure  führt,  wie  beim  Glycerin,  zu  theiiweisem  Ersatz  der 
gruppen  durch  Chlor;  man  erhält  Chlorhydrine,  wie  C^Hg(OH)gi 
Salpetersäure  liefern  die  höherwerthigen  Alkohole  Salpeter 
»idlche  gleich  dem  Nitroglycerin  durch  heftige  Explosivität  i 
iiet  sind. 

Zur  Aufeuchung  der  hS her werth igen  Alkohole  io  natürlichen  Produl 
l:ea«Iionsgeinischen  erweisen  sich  hftufig  die  acetalartigen  Verbinduuge: 
welche  sie  mit  Aldehjden  —  namentlich  Benzaldehjd  CgH,-CHO  —  eing 
Verbindangen,  z.  B.  daa  Tribenzyiideiiacetal  des  Mannits  C,Hs(0,:CH- 
in  Waascr  uolfislicb,  krjstallisirbar,  durch  ihre  Schmelzpunkte  charel 
ki'iiiDen  darch  ErwSnnen  mit  verdünnten  SSuren  wieder  in  den  Aldeh 
mthrwerthigen  Alkohol  gespalten  werden.  Sie  bilden  sich  sehr  leicht  » 
«Rbnlicher  Temperatur,  wenn  man  den  Alkohol  in  tiegenwart  von  stark 
«der  Schwefelsäure  mit  dem  Aldehyd  digerirt 

Vierwerthige  Alkohole. 
Erythrlt*  C^Hj^O,  =  C,Hg(OH),  {Erythroglucin,  Phyci 

von  Stenhocse  entdeckt.  Der  Erythritester  einer  aromatischen 
Orsellinsäure  CaHgO^,  vgl.Bd.II}  —  das  Erythrin  C^Hg(0H:)3(( 
—  findet  sich  in  vielen  Flechten,   so  in  den  Roccellaarten ,   ■ 

'  Meuweb,  Ann.  eh.  [fi|  32,  412  (leai).  —  Bkbtband,  Bull.  [3]  5,  5 
K.  Vwaas,  Ber.  23.  3685  (1890);  24,  53fi  (1891).   Ann.  270,  82,  99  (11 

'  Stemhocse,  Ann.  68,  78  (1848);  70,  226  (1849).  —  Laut,  Ana 
"S(1852);  61,  232  (1857).  —  Hesse,  Ann.  U7,  327  (1860).  -  de  I 
'^l'-  A  %  385  (1864),  -  A.  W.  HoPMiN«,  Ber.  7,  512  Anm.  (1874).  —  C. 
^^' 11,873  Anm.  (1884).  —  Frrz,  Ber.  U,  1891(1818);  13,  475(1879).- 


604  Eryihrü  und  andere 


Darstellung  des  Orseillefarbstoflfs  benutzt  werden.  Diese  Flechten  dienen 
zur  Gewinnung  des  Erythrits,  welcher  durch  Verseifung  aus  dem  Eirythrm 
abgespalten  wird: 

C,H,(OH),(O.C8H,08),  +  2H,0  =  C^HeCOH)^  +  2C8H,Oa.OH. 

Auch  frei  ist  der  Erythrit  in  einer  Alge  (Protococcus  vulgaris)  auf- 
gefunden worden. 

Eine  Synthese  des  Erythrits  ist  noch  nicht  ausgeführt;  sie  ist  insofern  angebahnt, 
als  man  durch  Bromirung  des  primären  normalen  Butylbromids^,  wie  auch  auf  anderem 
Wege  (S.  465),  zu  den  beiden  vermuthlich  stereoisomeren  Tetrabromiden  CH,Br- 
CHBr.CHBr.CHjBr  des  Divinyls  (vgl.  S.  464—465)  gelangt  ist,  welche  auch  aus  Erythrit 
erhalten  werden  können;  es  ist  indessen  bisher  nicht  gelungen  das  Brom  in  diesen 
Verbindungen  gegen  Hydroxyl  auszutauschen. 

Der  Erythrit  krystallisirt  in  tetragonalen  Prismen,  schmilzt  bei  126  ^ 
siedet  unter  gewöhnlichem  Druck  bei  329—331®,  unter  200  mm  bei 
294 — 296®,  ist  in  Wasser  leicht,  in  Alkohol  wenig,  in  Aether  nicht 
löslich.  Er  ist  optisch  inactiv  und  repräsentirt  vermuthlich  denjenigen 
der  vier  möglichen  Stereoisomeriefalle,  bei  dem  die  beiden  gleichartig 
asymmetrischen  Kohlenstoflfatome  in  ihrer  Wirkung  auf  die  Schwingimgs- 
ebene  des  polarisirten  Lichtstrahls  sich  gegenseitig  compensiren  (Theo- 
retisches über  die  Verbindungen  mit  zwei  asymmetrischen  C- Atomen 
vgl.  bei  den  Bernsteinsäure-Homologen,  Kap.  25).  Man  kann  dies  daraus 
schliessen,  dass  Erythrit  bei  der  Oxydation  mit  Salpetersäure  die  ent- 
sprechend configurirte  Antiweinsäure  C0aH-CH(0H)CH(0H)-C03H  (vgl. 
Kap.  30)  liefert.  Unter  anderen  Oxydationsbedingungen  erhält  man  die 
einbasische  Erythritsäure  CH3(0H)CH(0H)CH(0H)-C0j,H  oder  die  Erv- 
throse  (vgl.  Kap.  35);  letztere  ist  vermuthlich  ein  der  Glycerose  ana- 
loges Gemisch  der  beiden  Verbindungen  CH2(OH)CH(OH).CH(OH)CH0 
und  CH,(0H).CH(0H)C0CH3(0H). 

Aethylenoxydartige  Derivate  des  Erythrits.  Das  erste  Anhydrid 
C4H^O(OH)2,  Erythran  genannt  und  vermuthlich  nach  der  Formel: 

CH(OH)— CH(OH) 

I  I 

CH,  CHs 


0- 

constituirt,  kann  aus  dem  Erythrit  durch  Erhitzen  mit  verdünnter  Schwefels&are 
gewonnen  werden,  ist  flüssig  und  siedet  bei  154  —  155**  unter  18  mm  Druck.  — 
Das  vollständige  Anhydrid  C4H^02,  Erythritdioxyd,  vermuthlich  der  Formel 
CH,.CH-CH  •  CHj  entsprechend,  entsteht  aus  dem  Ery  thritdichlorhydrin  C^HeCl^fOH  U 


Ber.  14,  1202  (1881);  17,  1091,  1412  (1884);  20,  3234  (1887).  —  Lampaktee,  Ann. 
134,  243  (1865).  —  Sell,  Compt.  rend.  61,  741  (1865).  —  Claesson,  J.  pr,  [2]  20,  7 
(1879).  —  E.  Fischer  u.  Tapel,  Ber.  20,  1090  (1887).  —  Hennikgeb,  Ann.  eh.  16- 
7,  209  (1886).  —  Grimaux  u.  Cloez,  Compt.  rend.  110,  462  (1890).  —  Paal  u.  Tireu 
Ber.  18,  688  (1885).  —  de  Forcrand,  Compt.  rend.  112,  484,  1006  (1891).  Ann.  eh. 
[6|  26,  201  (1892). 

*  Kronstein,  J.  pr.  [2]  46,  165  (1892), 


vierwerthige  Alkohole.  605 

irch  EinwxrkuDg  von  Aetzkali,  ist  eine  farbloee,  bewegliche  Pltlssigkeit  von  an- 
^□ehmetn  Gemch  uod  brennendem  Geschmack,  siedet  bei  138°  und  besitzt  bei  18* 
LS  spec  äcw.  1-113.  Es  verhält  sich  durchaus  analog  dem  Aethylenoijd  (vgl. 
ä64l;  BO  verbindet  es  sieb  mit  Wasser  langsam  bei  gewöhnlicher  Temperatur, 
hncll  bei  lOO"  zu  Erjtbrit,  mit  Chlorwasserstoff  sebr  leicht  zu  Erythritdichloihjdrin, 
:nlr&iigt  aua  Magnesiumsalzen  die  Magnesia. 

£in    Pentaerjthrlt'    C,Hi,0.   entsteht   bei   der  Einwirkung  von  Kalk  auf  ein 
emisch   von  Formaldehjd  und  Aeetaldehyd  in  wassriger  Lösung: 

3CH,0  +  CjH.O  +  H,  =  C.H„0,; 
lct  zu  seiner  Bildung  nothwendige  Wasserstoff  wird  vermutblich  dadurc 
latss  andererseits  durch  Oijdationsproccsse  SSuren  gebildet  werden.  Ei 
n  frroaaen  Prismen,  schmilzt  bei  250 — 255°  und  löst  sich  bei  15°  in  « 
kVasser.  Als  vicrwerthiger  Alliohüi  erweist  er  aich  dadurch,  dasa  er,  mii 
uihydrid  und  Natriumacetat  behandelt,  eine  Telraacetyl  verbin  düng  liefe 
bei  der  Oxydation  keine  EsaigsSure,  beim  Erwärmen  mit  Jod  und  Natri 
Jodoform  entstehen  und  enthält  daher  wahrscheinlich  keine  Methyigru 
enei^eche  Behandlung  mit  Jodwasserstoff  liefert  er  kein  Amyljodid,  i 
hydrine  wie  C,H,(OH),J„  CsHafOHlJ,  und  CjHgJ,;  mau  kann  daraus 
Wa^itscheialicbkeit  folgern,  dass  sein  Molecül  keine  secnndSre  und  k 
Alkoboigmppe  enthält,  und  gelangt  so  eu  der  muthmassiichen  Constituti< 
CH,(OH)>      /CHj;OH) 


CH,(OH)/      MJH^OH) 
Zwei  isomere  Hexylerfthrlt«*  CaHiofOH)^  (wahrscheinlicb  Stereoi» 
durch  Oxydation  des  I>iallyls(vgl.S.  *65)  gewonnen;  auch  Oetylerythrlt«' 
dud   bekannt. 

Fünfwerthige  Alkohole. 

Fönfwerthige  Alkohole  sind  durcli  Eeduction  von  Zuckera 
tosen,  vgl.  Kap.  S5)  mittelst  Natriumamalgam  erhalten  wordei 
CH^-OH  CHO 

^  ^^t'V,     (OH-OH),    7  ^"^T""  ^OH)« 
bezw.  Xyht     ^  i  "      bezw.  Xyloae    ^  i  ■" 

CHgOH  CHjOH 

CH.-OH  CHO 

Rhamnit    {bB.OR\  aua  Rhamnose  (CHOH), 

GH,  CHj 


'  ToLLENS  a.  WioAMD,  Autt.  206,  316  (1891). 
'  G.  WioHEB,  Ber.  21,  3343  (1888).  —  BauA,  Ber.  17,  12  (1884).  - 
ßer.  18,  1350  (1885).  —  S.  Repoeiutbkt,  Ber.  a2o,  801  (1889).  —  Bi 

1»!  aa,  M7  (1891). 

•  VgL  Grinsr,  Ann.  eh.  [6]  26,  328  (1892). 

*  Pmtbvtbk,  Ber.  20,  3239  (1887);  21«,  tlO  (1SS8). 


606  Fünf'  und  sechswerthige  Alkohole. 


Arabit*'*  C^Hifi^  schmilzt  bei  102^  und  dreht  in  wSssriger  Losung  auf  Zui^atz 
von  Borax  nach  links. 

Xjlit***  C5H1SO5  ist  bisher  nicht  krystaliisirt  erhalten,  ist  optisch  inactiv  \m\ 
liefert  durch  Reduction  mit  Jodwasserstoff  normales  secundäres  Amjljodid. 

Rhamnit^  C«Hi405  schmilzt  bei  121^  und  ist  in  wfissriger  Losung  (schon  olm« 
Boraxzusatz)  ziemlich  stark  rechtsdrehend  (|«]d*°  in  8  •  6-procentiger  Lösung  =  +  10«T'i. 

Ueber  die  Configuration  dieser  Alkohole  vgl.  Kap.  35. 

Synthetisch'  wurde  ein  fünfwerthiger  Alkohol: 

/CH,.CH(OH).CH,(OH) 
C.HieO»  =  CH(OH)< 

\CH, .  CH(OH  j .  CH,(OH) 

durch  Oxydation  von  Diallylcarbinol 


,CH,.CH:CH, 
CHCOHX"  (vgl.  S.  485) 

XJHjCHiCH, 

mit  Kaliumpermanganat  als  zähe,  in  Aether  unlösliche  Masse  gewonnen. 

Sechswerthige  Alkohole. 

Unter   den   höherwerthigen  Alkoholen  sind  die  sechswerthigen  Al- 
kohole der  Formel  G^B.^^^  =  CeHglOH)^: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  ÖH(OH)  •  £h(OH)  -  CH(OH)  •  CH,(OH) 

von  besonderem  Interesse  wegen  ihrer  Beziehungen  zu  der  wichtigsten 
Gruppe  der  Zuckerarten,  zu  den  „Hexosen"  CgH^jO^,  welche  theils  die 
Aldosestructur: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  -  CHO , 

theils  die  Ketosestructur: 

CH,(OH) .  CII(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO  •  CH,(OH) 

besitzen.  Da  die  oben  gegebene  Formel  der  sechswerthigen  Alkohole 
CgHj^Og  vier  asymmetrische  KohlenstoflFatome  aufweist,  so  ist  eine  grosse 
Zahl  von  stereoisoraeren  Modificationen  möglich  (8  optisch  active,  4  iii- 
active  zerlegbare,  2  inactive  unzerlegbare  Modificationen,  vgl.  die  tabella- 
rische  Zusammenstellung  der  Configurationsmöglichkeiten  in  Kap.  35). 
Man  kennt  bisher  sechs  Alkohole,  denen  allen  die  gleiche  Structurformel 
der  normalen  Hexaoxyhexans  zugeschi'ieben  werden  muss.  Im  Folgenden 
seien  sie  nach  ihren  Bildungsweisen,  Eigenschaften  und  Umwandlungen 
besprochen,  die  Frage  nach  der  in  den  einzelnen  Verbindungen  anzu- 
nehmenden räumlichen  Configuration  sei  indess  erst  später  im  Zusammen- 
hang mit  dem  gleichen  Problem  für  die  einzelnen  Zuckerarten  behandelt 
(vgl.  Kap.  35). 


*  KiLiANi,  Ber.  20,  1238  (1887). 

'  E.  Fischer  a.  Stauel,  Ber.  24,  538«  1839  Anm.  (1891). 

*  Bertiiand  Bull.  [3]  5,  555,  740  (1891). 

*  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  23,  3103  (1890). 

*  DuBiNiEWicz,  Ber.  22  o,  801  (1889).  —  Vgl.  M.  Saytzepp,  Ann.  185,  1.H8  (1876-. 
— -  S.  Keforuatsky,  J.  pr.  [2]  41,  54  (1890;. 


Oewöhnlicher  Mannit.  607 


Unter  der  Bezeichnung  „gewöhnlicher  Mannit^^  (cf-Mannit,  vgl.  S.  609) 
öge  zunächst  die  am  längsten  bekannte  Verbindung  C^H^^Oq  besprochen 
erden,  ^welche  im  Pflanzenreiche  ausserordentlich  verbreitet '  ist.   Peoust 
ltdeckte   sie  1806  in  der  ^^Manna'^;  es  ist  dies  der  durch  Einschnitte  ge- 
onnene     und   eingetrocknete   Saft   aus   dem   Stamm   der  Manna-Esche 
^raxinus   Omus),  welche  im  nördlichen  Theile  Siciliens  cultivirt  wird; 
lese    Manna  (die   Manna    der   Bibel'    ist    davon   verschieden)   enthält 
0 — 60®/jj  Mannit  und  bildet  die  bequemste  Quelle  zur  Darstellung  des- 
slben;    man  gewinnt'  ihn  daraus  einfach  durch  Ausziehen  mit  heissem 
Vasser  oder  heissem  verdünnten  Weingeist  und  Erystallisation.     Auch 
US   einem   sehr  häufig  vorkommenden  Schwämme  —  Agaricus  integer 
Speitäubling)  —  lassen  sich  grössere  Mengen  Mannit  leicht  gewinnen^; 
m  getrockneten  Zustand  enthält  derselbe  19 — 20  ^o*    Mannit  findet  sich 
ferner   in    der  Sellerie ,   in  den  Blättern  von  Syringa  vulgaris,   in  den 
Kirschlorbeerfrüchten,  in  den  Oliven,  in  vielen  Pilzen,  Seegräsern  etc. 
Auch   im  Roggenbrod^  finden  sich  nicht  unbeträchtliche  Mannitmengen. 
Die  dem  gewöhnlichen  Mannit  entsprechende  Aldose  ist  die  Mannose, 
die  zugehörige  Ketose  ist  der  Fruchtzucker  oder  Fructose;  man  erhält 
daher   aus  dem  Mannit  durch  vorsichtige  Oxydation®  mit  Salpetersäure 
ein    Gemisch   dieser    beiden   Zuckerarten   („Mannitose'').     Andererseits 
wird  Mannit  sehr  reichlich  durch  Keduction  von  Mannose  und  Fructose 
mit  Natriumamalgam  in  neutraler  bezw.  schwach  saurer  Lösung  gebildet^; 
aus  Fructose  entsteht  daneben  in  annähernd  gleicher  Quantität  Sorbit 
(s.  unten);  bei  der  sehr  langsam  verlaufenden  Reduction  in  alkalischer 
Lösung  erhält  man  auch  aus  Glucose  ®  Mannit,  aber  nur  in  sehr  kleiner 
Menge  und  vermuthlich  erst  aus  Zersetzungsprodukten  der  Glucose  ge- 
bildet.   Aus  Zuckerarten  entsteht  Mannit  ferner  durch  Gährungsprocesse^, 


»  Vgl.  Paten,  Ann.  12,  60  (1884).  —  W.  Mbyee  u.  Eeichb,  Ann.  47,  284  (1843).  — 
^intBousE,  Ann.  61,  349  (1844).  —  Knop  u.  Schnbdermavn,  Ann.  49,  243  (1844).  — 
ScHLosBBEBOEB  u.  DöppiNQ,  Ann.  62,  117  (1844).  —  Smith,  Jb.  1850,  535.  —  Roüssin, 
Jb.  1861,  550.  —  Ludwig,  Jb.  1867,  503.  —  Luca,  Compt.  rend.  63,  383  (1861); 

55,  506  (1862).    —  Muntz,  Ann.  eh.  [5]  8,  56  (1876).  —  Boubquklot,  Compt.  rend. 

108,  568  (1889);    111,.  534  (1890).    —    Vincümt  u.  Delachakal,   Compt.  rend.  114, 

486  (1892).  —  KwASNiK,  Cöthener  Chem.  Ztg.  16,   109  (1892).  —  Meukier,  Ann.  eh. 

[61  22,  431  (1891). 

*  Vgl.  Beilbtein,  Handb.  d.  organ.  Chem.  I,  284  (Hamburg  u.  Lieipzig,  1892). 
»  Vgl.  RuspiNi,  Ann.  66,  203  (1846). 

^  Thöbner,  Ber.  11,  535  (1878);  12,  1635  (1879). 

*  Jaff6,  Ztsehr.  f.  physiol.  Chem.  7,  303  (1883). 

*  Gorüp-Besanez,  Ann.  118,  257  (1860).    —    Dafbbt,  Ber.  17,  228  (1884).    — 
£•  FiscHBB,  Ber.  20,  831  (1887).  —  E.  Fiscbeb  u.  Hibschbebqeb,  Ber.  21,  1805  (1888). 

'  £.  FiäCBBB  u.  Hibscbbeboeb,  Ber.  21,  1808  (1888).    —    £.  Fischer,  Ber.  23, 
^ftB4  (1S90). 

*  Krüsemank,    Ber.   9,  1465  (1876).   —    Scheibleb,   Ber.    16,  3010   (1883).    — 
^  Fischer,  Ber.  23,  2133  Anm.  (1890). 

*  Liebio,  Jb.  1847/48,  466.  —  Pabteüb,  Jb.  1867,  511;  1861,  728.  —  ^fbeckeb, 
^.  02,  80  (1854).  —  Dbaqemdofbf,  Jb.  1879,  854. 


i 


608  Oewöknlicker  Mannit. 


so  bei  der  Milchsäuregährung  und  namentlich  in  grosser  Menge  bei  der 
schleimigen  Gährung  des  Rohrzuckers. 

Mannit  1  krystallisirt  aus  Wasser  in  dicken  rhombischen  Prismen^  aus 
Alkohol  in  seidenglänzenden  Nadeln,  schmilzt*  bei  165 — 166®,  bedarf  etwa 
6  Th.  Wasser  von  gewöhnlicher  Temperatur  zur  Lösung,  ist  in  kaltem 
Alkohol  sehr  wenig,  in  Aether  fast  gar  nicht  löslich  und  kann  nur  in 
kleinen  Mengen  unzersetzt  verflüchtigt  werden.  Seine  wässrige  Lösung 
lenkt  die  Schwingungsebene  des  polarisirten  Lichts  nur  so  schwach  nach 
links  ab  ([«]d  =  —  0-25^,  dass  sie  ursprünglich  für  inactiv  gehalten 
wurde;  durch  freies  Aetznatron  wird  die  Linksdrehung  beträchtlich  ver- 
mehrt; dagegen  ist  Mannitlösung  bei  Gegenwart  von  Borax  oder  einigen 
anderen  Salzen  stark  rechtsdrehend  ^. 

Die  Structur  des  Mannits  ergiebt  sich  daraus,  dass  er  durch  Jod- 
wasserstoflFsäure  in  ein  normales*  secundäres  Hexyljodid  übergeführt 
wird  (vgl.  S.  189,  184  [Tab.],  167),  welches  übrigens  nach  einer  neueren 
Untersuchung^  wahrscheinlich  nicht  die  ihm  bisher  zugeschriebene  Con- 
stitution CHg-CHgCHgCHj-CHJCHj  (2- Jod- hexan)  besitzt,  sondern  als 
Aethylpropylcarbinjodid  d^-CHg.CHjCHJ.CHj-CHj  (3  -  Jod -hexan)  auf- 
zufassen ist. 

Abkömmlinge  des  Mannits.  Mannithexanitrat^  OeHgfO'NO,^  (Nitro- 
mannit)  krystallisirt  in  weissen  Nadeln,  schmilzt  bei  112 — 113^,  zersetzt  sich  bei 
vorsichtigem  stärkeren  Erhitzen  ohne  Explosion,  verpufit  aber  stark  bei  plötz- 
lichem Erhitzen  und  explodirt  durch  Schlag  sehr  heftig.  —  Mannithexaacetat' 
CeHaCO-COCHg)«  bildet  schöne  rhombische  Krystalle,  schmilzt  bei  119».  —  Das 
Triaethylidenacetal  des  Mannits«  CflH«rO,:CHCH8)s  (vgl.  S.  603)  bildet  feine 
weisse  Nadeln,  schmilzt  bei  174^,  sublimirt  leicht,  siedet  unzersetzt  bei  285^,  ist  in 
kaltem  Wasser  nicht,  in  heissem  ziemlich  löslich. 

Anhydride.  Aus  dem  Mannit  erhält  man  durch  Erhitzen  auf  200 ^  durch 
längeres  Kochen  mit  concentrirter  Salzsäure  und  unter  anderen  Bedingungen  eine 
dickflüssige  Substanz,  welche  durch  längeres  Rochen  ihrer  wässerigen  Lösung  in 
Gegenwart  von  Alkalien  oder  Bleioxyd  wieder  theilweise  in  Mannit  übergeführt  wird, 
^tflnnitan*  genannt  ist,  ungefähr  die  Zusammensetzung  des  ersten  Mannitanhydridä 

'  Vgl.  Berthelot,  Ann.  eh.  [3]  47,  301  (1856). 

•  Landolt,  Ztsjchr.  f.  physik.  Chem.  4,  365  (1889). 

•  Vgl.  Biot,  Compt.  rend.  14,  49  (1842).  —  Bouohabdat,  Compt  rend.  80,  120 
(1875).  —  ViQNON,  Ann.  eh.  [5]  2,  433  (1874).  —  Muntz  u.  Aubin,  Ann.  eh.  [5]  10, 
553  (1877).  —  Klein,  Compt.  rend.  86,  826  (1878).  —  E.  Fischer,  Ber.  23,  385  (1890). 

*  Le  Bel  u.  Wassermann,  Compt.  rend.  100,  1589  (1885). 

*  Combes  u.  Le  Bel,  Bull.  [3]  7,  551  (1892). 

*  DoHONTE  u.  Menard,  Compt.  rend.  24,  391  (1847).  —  Sobrbro,  Compt  rend. 
25,  121  (1847).  —  Strecker,  Ann.  73,  59  (1850).  —  A.  u.  W.  Knop,  Ann.  74,  350 
(1850).  J.  pr.  66,  337  (1852).  —  Dessaignes,  Ann.  81,  251  (1852).  —  Mills,  Jb.  1864, 
584.  —  Tichanowioz,  Ztschr.  Chem.  1864,  482.  —  Bouchardat,  Ann.  eh.  [51  6,  125 
(1875).  —  SoKOiX)PF,  Ber.  12,  688,  698  (1879). 

^  Schötenberger,  Ann.  160,  94  (1871).  —  Bouchardat,  Ann.  eh.  [5]  6,  107 
(1875).  —  Pranchimont,  Ber.  12,  2059  (1879).        «  Meünier,  Ann.  eh.  [6]  22,  415  (1891). 

•  Bbrthelot,  Ann.  eh.  [3]  47,  306  (1856).  —  Bouchardat,  Ann.  eh.  [5J  6,  100 
(1875).  —  ViONON,  Ann.  eh.  [5]  2,  458  (1874).  —  Alechin,  Ber.  17  o,  282  (1884). 


l'Mannü  tmd  i-Mannit.  609 


!«Hi,05  besitst,  aber  wohl  ki^um  einheitlich  ist.  —  Eine  ebenfalls  syrapartige  Sub- 
tanz  von  der  Zoflammensetzimg  des  zweiten  Mannitanhydrids  C^HioO«  —  Mannid^ 
enannt  —  entsteht  beim  Erhitzen  von  Mannit  mit  Buttersäüre  auf  200 — 250^.  Besser 
haraktexiBirt  ist  der  Isomannid'  CeHigO«,  welcher  bei  der  Destillation  des  Mannits 
m  Vacnam  entsteht,  auch  durch  längeres  Kochen  desselben  mit  käuflicher  Salzsäure 
Thalten  wird,  grosse  monokline  Krystalle  bildet,  bei  87®  schmilzt,  unter  30  mm  bei 
76  *,  unter  gewöhnlichem  Druck  nicht  ganz  unzersetzt  bei  274®  siedet,  in  Wasser 
tnd  Weingeist  sehr  löslich,  in  Aether  nicht  löslich  ist  und  nach  rechts  dreht.  Eine 
somere  Verbindung  —  ^-Mannid®  —  entsteht  durch  Eeduction  von  Mannitdichlor- 
lydrin.  krystallisirt  aus  Wasser  in  grossen  glänzenden  Prismen,  schmilzt  bei  119®  und 
dedet  unter  16  mm  Druck  fast  unzersetzt  zwischen  205  und  210®. 

Nach  Emtl  Fischeb^  werden  die  stereoisomeren,  zur  Zuckergruppe 
gehörigen   oder  dazu  in  näherer  Beziehung  stehenden  Verbindungen  — 
anabhängig   von   ihrem   eigenen   Drehungsvermögen  —   mit   den  Buch- 
staben d  (dextro)  und  /  (laevo)  bezeichnet,  je   nachdem   sie   mit   einer 
rechtsdrehenden   oder   einer  linksdrehenden  Aldose   in  genetischer  Be- 
ziehung stehen;   die  inactiven  Verbindungen,  welche  durch  Vereinigung 
zweier  optischen  Antipoden  entstehen,  erhalten  die  Bezeichnung  i.     Da 
der  bisher    besprochene   gewöhnliche   Mannit   mit   der   rechtsdrehenden 
Mannose  correspondirt  (vgl.  S.  607),  so  ist  er  als  d-Mannit  zu  bezeichnen. 
E.  Fischer  ist  es  nun  im  Laufe  seiner  klassischen  Untersuchungen  über 
die  Zuckergruppe   gelungen,   auch   die   optisch   entgegengesetzte  Modi- 
fication  —  den   {-Mannit  —  und   die   durch    die  Vereinigung    beider 
entstehende  inactive  Modification  —  den  i-Mannit  —  zu  gewinnen. 

Der  /-Mannit^  entsteht  durch  Beduction  der  Z-Mannose  (vgl. Kap. 35) 
mit  Natriumamalgam^  ist  dem  gewöhnlichen  Mannit  sehr  ähnlich,  kry- 
staUiairt  aus  Wasser  in  feinen  Nadeln,  schmilzt  bei  163 — 164^,  zeigt 
in  wässriger  Lösung  eine  kaum  wahrnehmbare  Drehung,  erlangt  aber 
durch  Borax-Zusatz  eine  beträchtliche  Linksdrehung,  deren  Stärke  der 
unter  gleichen  Bedingungen  beobachteten  Rechtsdrehung  des  gewöhn- 
lichen Mannits  entspricht. 

Der  t-Mannit^  entsteht  durch  Beduction  von  2- Mannose,  wird 
durch  Oxydation  mit  verdünnter  Salpetersäure  theilweise  wieder  in 
i-Mannose  übergeführt,  krystallisirt  aus  Wasser  in  kleinen  Prismen, 
schmilzt  bei  168^  und  bleibt  auch  bei  Borax-Zusatz  inactiv.  Besonders 
wichtig  ist  seine  Bildung  durch  Reduction  der  synthetisch  gewinnbaren 
Zuckerart  a-Akrose  (z-Fructose  vgl.  Kap.  35);  er  wird  daher  auch  als 
a-A.krit'  bezeichnet. 


*  Berthslot,  Ann.  eh.  [3]  47,  312  (1856).  —  C.  Liebermann,  Ber.  17,  874  (1884). 
'  Fauöonniek,  Compt  rend.  96,  991  (1882).    Bull.  41,  119  (1883).  —    Alechin, 

Ber.  17  0,  282  (1884). 

'  SiwoLOBOw,  Ber.  17  o,  282  (1884).    Ann.  233,  372  (1886). 

*  Ber.  28,  371  (1890). 

*  Ber.  23,  375,  385  (1890).  ^  Ber.  23,  383,  390  (1890). 
'  E.  Fischer  u.  Tafel,  Ber.  22,  100  (1889). 

^^  MsTSB  u.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  39 


610  Sorhite,  Duldt 


Sorbite  ^  In  den  drei  Manniten  liegen  Verbindungen  vor,  die  nur 
in  ihrem  Verhalten  gegen  das  polarisirte  Licht  wesentlich  dififeriren,  in 
allen  übrigen  Eigenschaften  aber  theils  völlige  üebereinstimmung,  theils 
die  grösste  Aehnlichkeit  zeigen;  im  Änschluss  daran  sind  nun  zwei  Al- 
kohole CßHj^Oß  zu  erwähnen,  die  unter  einander  in  ganz  analoger  Be- 
ziehung stehen,  von  den  Manniten  aber  wesentlich  verschieden  sind,  ob- 
gleich die  Isomerie  ebenfalls  nur  auf  verschiedenartige  Configuration  in 
Bezug  auf  die  einzelnen  asymmetrischen  Eohlenstoffatome  zurückzufahren 
ist.  Der  eine  dieser  Alkohole  ist  zuerst  im  Vogelbeersaft  aufgefunden 
und  daher  Sorbit  genannt;  er  ist  in  vielen  Früchten  —  so  im  Safl  der 
Pflaumen,  Kirschen,  Aepfel,  Birnen,  Mispeln,  Pfirsiche  etc.  —  enthalten, 
krystallisirt  aus  Wasser  in  feinen  farblosen  Nadeln,  welche  Krystall- 
wasser  enthalten,  verliert  das  Krystallwasser  etwas  über  100*^,  schmilzt 
wasserfrei  bei  110 — 111^  und  ist  für  sich  linksdrehend  ([^Jd  =  —  1*73% 
bei  Gegenwart  von  Borax  rechtsdrehend.  Durch  Beduction  mit  Jod- 
wasserstoff liefert  er  secundäres  normales  Hexyljodid.  Mit  dem  natürlichen 
Sorbit  ist  der  sechswerthige  Alkohol  identisch,  der  durch  Beduction  des 
Traubenzuckers  entsteht;  da  der  rechtsdrehende  Traubenzucker  also  die 
entsprechende  Aldose  darstellt,  so  ist  dieser  Sorbit  als  cf-Sorbit  zu 
bezeichnen;  als  Ketose  entspricht  ihm  die  cf-Fructose  durch  deren  Be- 
duction er  ebenfalls  —  und  zwar  neben  Mannit  (vgl.  S.  607)  —  erhalten 
wird.  —  Der  ihm  optisch  entgegengesetzte  /-Sorbit  ist  durch  Beduction 
von  /-Gulose  (vgl.  Kap.  35)  gewonnen  und  nur  durch  das  optische  Ver- 
halten vom  ^-Sorbit  zu  unterscheiden. 

Dulcit*  (Melampyrin,  Evonymit)  endlich  ist  ein  isolirt  dastehen- 
der sechsatomiger  Alkohol  CgHi^O^,  welcher  bei  der  Beduction  mit  Jod- 
wasserstoffsäure ebenfalls  normales  secundäres  Hexyljodid  liefert  und  daher 
gleichfalls  als  normales  Hexaoxyhexan  aufzufassen  ist.  Die  Manna  Ton 
Madagascar  besteht  fast  ausschliesslich  aus  Dulcit,  den  man  daraus 
direct  durch  Ausziehen  mit  hieissem  Wasser  erhält;  er  findet  sich  femer 
im  Kraut  von  Melampyrum  nemorosum,  im  Gambialsaft  von  Evonymus 

*  BoussiNOAULT,  Ann.  eh.  [4]  26,  376  (1872).  —  Hitzemank  u.  Toixens,  Ber.  22, 
1048  (1889).  —  Vincent  u.  Delacbanal,  Compt.  rend.  108,  147,  354  (1889);  109, 
676  (1889);  lU,  51  (1890);  114,  486  (1892).  —  Meunier,  Compt.  rend.  108,  148  (1889); 
111,  49  (1890).  Ann.  eh.  [6]  22,  423  (1891).  —  E.  Fische»,  Ber.  23,  3685  (1890).  - 
£.  Fischer  u.  Stahel,  Ber.  24,  535,  2144  (1891).  —  A.  Freund,  J.  pr.  [2]  43,  545 
(1891).  —  Gernez,  Compt.  rend.  113,  1031  (1891). 

«  Hünepeld,  J.  pr.  7,  233  (1836);  9,  47  (1836).  —  Laurent,  Ann.  76,  858  (1850j; 
80,  345  (1851).  —  Jacquelain,  Ann.  80,  345  (1851).  —  Eichleb,  Jb.  1866,  665. 
—  BicHAMP,  Compt.  rend.  61,  255  (1860).  —  Rubel,  J.  pr.  86,  872  (1862).  —  Giunau 
Ann.  123,  372  (1862).  —  Wanklyn  u.  Fälenmbyer,  Ztschr.  Cham.  1862,  641.  —  Gablrt, 
Ann.  117,  143  (1861).  —  Bouchardat,  Ann.  eh.  [4]  27,  68,  145  (1872).  —  Hecht, 
Ann.  166,  146  (1873).  —  Champion,  Compt.  rend.  78,  1150  (1874).  —  Claesson,  J.  pr. 
[2]  20,  15  (1879).  —  MuNTz  u.  Maroano,  Ann.  eh.  [6]  3,  283  (1884).  —  E.  Fisch» 
u.  Tapel,  Ber.  20,  3390  (1887).  —  E.  Fischer  u.  Hertz,  Ber.  26,  1261  (1892).  - 
Crosslet,  ebenda,  2564. 


BhamnoheoDÜ,     Pera&it  611 


uropaens  und  einigen  anderen  Pflanzen  und  entsteht  durch  Reduction 
ler  beiden  optisch  entgegengesetzten  Galactosen.  Dulcit  krystallisirt  in 
Qonoklinen  Säulen,  sclunilzt  bei  188-5^,  bedarf  bei  gewöhnlicher  Tempe- 
■atur  etwa  30  Th.  Wasser  zur  Lösung,  ist  in  Weingeist  sehr  wenig,  in  Aether 
;ar  nicht  löslich.  Der  Dulcit  ist  optisch  inactiv  und  zwar  als  eine  durch 
intramoleculare  Conpemsation  inactive,  also  nicht  spaltbare  Modification 
jbufzufassen  (vgl.  Eap.  35). 

Bhamnoliexit^  CfHieO«  ist  ein  sechsatomiger  Alkohol  der  7.  Beihe,  CH,* 
[CH-OH)^-CH,-OH,  welcher  darch  Reduction  der  Rhamnohezose  C7Hi40e  (vgl.  Kap.  35) 
gewonnen  ist,  ans  heissem  Alkohol  in  kleinen  farblosen  Prismen  krystallisirt,  bei  173® 
schmilzt  und  nach  rechts  dreht  ([ajn*®  in  9-procentiger,  wftssriger  Lösung  =  +14^. 

Sieben-  bis  neunwerthige  Alkohole. 

Von  den  den  sechswerthigen  Alkoholen  entsprechenden  Zuckerarten 
^Hexosen)  ausgehend  kann  man,  wie  Emil  Fischer  gezeigt  hat,  synthetisch 
höherwerthige  Alkohole  aufbauen.  Man  erhält  zunächst  durch  Addition 
Yon  Cyanwasserstoff  an  die  Hexosen  ein  Nitril  (bezw.  zwei  stereoisomere 
Nitrile);  die  Nitrile  liefern  durch  Verseifung  Hexaoxycarbonsäuren;  aus 
letzteren  entstehen  durch  Reduction  mit  Natriumamalgam  Zucker  mit 
7  Sauerstoffatomen  (Heptosen)  und  durch  weitere  Beduction  die  ent- 
sprechenden siebenwerthigen  Alkohole,  z.  B.: 

Cn 

CHO  CH-OH  CO,H 

I  I  I 

(CH.0H)4      >-      (CH.OH)^  >-      (CH.OH)b  > 

I  i  I 

CHj.OH  CHjOH  CH,OH 

Mannose  Mannose-Cyanhydrin        Mannosecarbonsäure 

CHO  CHjOH 

I  I 

(CH-OH),        -        y.         (CHOH), 

CH,.OH  CHjOH 

Mannoheptose  Mannoheptit. 

Auf  diesem  Wege  ist  aus  der  c^-Mannose  ein  Alkohol  C^H^gO^  erhalten, 
der  demnach  als  cf-Mannoheptit^  bezeichnet  werden  kann;  er  hat  sich 
als  identisch  erwiesen  mit  dem  schon  vorher  in  der  Natur  aufgefundenen 
Persclt,  welcher  von  Muntz  u.  Mabcako^  und  von  Maqüenne*  eingehend 
untersucht  ist.  Der  Perselt  ist  reichlich  in  den  Früchten  und  Blättern 
von  Laurus  persea  —  einem  in  den  Tropen  sehr  verbreiteten  Baume  — 
enthalten;  er  krystallisirt  aus  Wasser  in  mikroskopischen  Nädelchen, 
schmilzt  bei  188®,  erfordert  bei  gewöhnlicher  Temperatur  etwa  16  Th. 

*  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  28,  3106,  3827  (1890). 

*  £.  Fischer  n.  Passmore,  Ber.  23,  935,  2231  (1890). 
'  Ann;  eh.  [6]  3,  279  (1884). 

*  Ann.  eh.  [6]  19,  1  (1890).     Compt.  rend.  114,  1066  (1892). 

39* 


612  MannocHt.     Oluco-hepHt,  -octit,  -nonii. 


Wasser  zur  Lösung,  ist  in  warmem  Wasser  sehr  leicht,  in  absolutem 
Alkohol  sehr  wenig  löslich;  die  wässrige  Lösung,  für  sich  inactiv,  wird 
durch  Zusatz  von  Borax  stark  rechtsdrehend.  Bei  der  Einwirkung  von 
Jodwasserstoff  liefert  der  Persett  einen  Kohlenwasserstoff  CyHjj  und  ein 
Heptyljodid  CyHjgJ. 

Indem  man  för  dieselbe  Reactionsfblge,  die  yon  der  Mannose  tarn  Perseit  föfait, 
die  Mannoheptose  (s.  S.  61 1)  zum  Ausgangspunkt  nimmt,  gelangt  man  znm  «f-MsBaoettt^ 
CsHieOs  =  CH,OH.(CH.OH)e-CH,.OH  —  mikroskopische  Täfelchen,  die  bei  258» 
schmelzen  und  selbst  in  heissem  Wasser  ziemlich  schwer  löslich  sind. 

In  analoger  Weise  sind  von  der  (f-Grlucose  als  Ausgangspunkt  die  folgenden 
Alkohole  gewonnen  worden*:  a-GIucoheptit  CrHi^O,  (Schmelzpunkt:  127—128^ 
optisch  inactiv  durch  intramoleculare  Compensation),  a-GIueooetit  CgHigOg  (Schmelz- 
punkt 141  ^,  schwach  rechtsdrehend)  und  a-GIueononit  CsHgoOe  (Schmelzpunkt  IH% 
Alle  drei  Verbindungen  sind  in  heissem  Wasser  leicht  löslich. 


Dreiundzwanzigstes  Kapitel. 

Verbindungen,  welche  zugleich  Halogenatome  und  Hydroxyl- 
gruppen enthalten,  und  ihre  Derivate. 

(Halogenderivate  der  Aether  und  Ester.  —  Halogenhydrine.  —  TrichlorSthylalkobol 
und  ähnliche  Verbindungen.  —  Halogenderivate  von  Schwefelverbindungen). 


Halogenderivate  der  Aether  und  Ester. 

Bei  der  Besprechung  der  mehratomigen  AJkohole  ist  mehrfach  hervor- 
gehoben worden,  dass  mehrere  Hydroxylgruppen  sich  in  der  Regel  an 
ein  und  demselben  Kohlenstoffatom  nicht  neben  einander  halten  könuen 
(S.  558,  578).     Dasselbe   gilt   für  die  Combination  von   Halogenatomen 

\    /OH 
mit  Hydroxylgruppen;  Verbindungen,  deren  Molecül  die  Gruppe  yCs. 

enthält,  sind  nicht  bekannt.     Wo  sie  sich   bilden   könnten,  erhält  man 
stattdessen  meist  durch  Abspaltung  von  Halogen  Wasserstoff: 

\c<f       -  HCl  =  \C0 

Aldehyde  oder  Ketone. 

Ein  bei  68^  siedendes  Einwirkungsprodukt  von  Salzsäure  auf  Formaldehyd  wird 
freilich  von  Lösekann'  als  Chlormethylalkohol  CHsC71(0H)  angesprochen;  eine 
Bestätigung  dieser  Auffassung  ist  noch  abzuwarten. 

^  E.  Fischer  u.  Passmore,  Her.  28,  2235  (1890). 
«  E.  Fischer,  Ann.  270,  80,  98,  107  (1892). 

•  Cöthener  Chem.-Ztg.  1890,  1408.  D.  R.-Pat.  57621,  vgl.  Ber.  25  o,  92  (1892). 
—  Vgl.  auch  V.  Hemmelmatr,  Monatsh.  12,  89  (1891). 


HalogenderwcUe  der  Aether  und  Ester,  613 


Ist  aber  das  Wasserstoffatom  der  Hydroxylgruppe  durch  Kadicale 
ertreten«  so  können  Halogenatome  mit  dem  Sauerstoffatom,  das  nun 
ther-  bezw.  esterartig  gebunden  ist,  am  gleichen  Eohlenstoffatom  haften. 
Derivate  der  für  sich  unbeständigen  halogenisirten  Alkohole  sind  also 
txistenz-fähig: 

/Cl  CHa.CH<  yC\ 

CH,/  yO  CHs.CH<( 

^OCHa  CH,.CH<(  ^OCO-CHs 

Es  gehören  hierher  die  ihren  Bildungsweisen  nach  S.  394 — 395  be- 
sprochenen Verbindungen,  welche  aus  Aldehyden  durch  Einwirkung  von 
Chlorwasserstoff,  Halogenalkylen  und  Säurechloriden  entstehen  (vgl. 
auch  S.  404), 

Bei  der  Einwirkung  chlorirender  Mittel  auf  Alkohole  richtet  das 
Chlor  seine  Wirkung  zunächst  auf  das  hydroxylirte  Eohlenstoffatom; 
in  Folge  der  Unbeständigkeit  der  sich  vielleicht  zuerst  bildenden  Sub- 
stitutionsproduke wie  CH3-CHC1(0H)  erhält  man  daher  aus  primären 
Alkoholen  nicht  Substitutionsprodukte  der  Alkohole,  sondern  der  Alde- 
hyde (vgl.  Chloral,  Kap.  33).  Auf  Aether  dagegen  wirkt  Chlor  direkt 
substituirend  ein. 

Halosrenderivate  des  J)imetliylXtliers*  Es  entstehen  direct  durch  Chlori- 
rang^:  Monochlormethylftther  CHjClOCHg  (Siedepunkt  59-5<^),  Dichlor- 
methyläther  CjH4ClaO  (Siedepunkt  105^  spec.  Gew.  bei  20^:  l-Slö),  Tetrachlor- 
methyl&ther  CjPIjCl^O  (Siedepunkt  gegen  130^  spec.  Gew.  bei  20^:  1.606)  und  Per- 
chlormethyläther  CjCleO  (spec.  Gew.  1-594);  letztere  Verbindung  siedet  unter 
Zerfall  (vielleicht  in  CCl^  und  COCü  schon  bei  etwa  100  ^ 

Durch  Einwirkung  der  Halogenwasserstoffisäuren  auf  Formaldehyd  bezw.  Oxy- 
methylen*  sind  die  symmetrischen  Dihalogenderivate  erhalten  worden:  (CH2Cl)tO 
(Siedepunkt  102—108°),  (CH,Br)gO  (Siedepunkt  148.5— 151. 5«)  und  (CHjJ),0  (Siede- 
punkt 219^;  es  sind  ölige,  an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeiten  von  scharfem  Geruch, 
in  Wasser  unlöslich;    von  heissem  Wasser  werden  sie  rasch  im  Sinne  der  Gleichung 

(CH,Br),0  +  H,0   =    2  CH>0  +  2  HBr 
zersetzt. 

In  analoger  Weise  kann  Monochlormethyläther  sehr  leicht  durch  Einwirkung 
von  Chlorwasserstoff  auf  ein  Gemisch  von  Formaldehyd  und  Methylalkohol*  er- 
halten werden: 

CH.O  +  CHs(OH)  +  HCl  =  CH^ClOCHs  +  H,0 . 

Ueher  Halo^enderivate  des  BiSthylttthers^  vgl.  S.  197—198. 

Auch  Säureester  lassen  sich  derart  chloriren,  dass  das  Chlor  neben 


*  Rbohaxxlt,  Ann.  34,  29  (1840).  —  Friepel,  Compt.  rend.  84,  247  (1877).  — 
BuTiEBow,  Ztschr.  Chem.  1865,  618.  —  Klebeb,  Ann.  246,  97  (1888). 

'  TiscHTscHENKO,   Bcr.    20o,    701    (1887).   —   Lösekanw,  Cöthener  Chem.  Ztg. 
^S90,  1408. 

*  Hbtry,  Compt.  rend.  113,  370  (1891). 

*  S.  auch  GoDEFROY,  Compt.  rend.  102,  869  (1880). 


614  Büdungsweisen  und  Verhalten 


das  alkoholische  Sauerstoffatom  tritt  ^;  so  entsteht  z.  B.  aus  Essigsäure- 
methylesterderEsgigsäurechlormethylester  CHj-CO-O-CHgCl  (Siede- 
punkt 115^  spec.  Gew.  bei  14»:M95). 

Halogenderivate  der  Alkohole,  welche  an  je  ein  Kohlenstoff- 
atom  nicht  mehr  als  ein  Chloratom  gebunden  enthalten,  oder 

Halogenhydrine. 

Bildungswelsen.  Diejenigen  Halogenderivate  der  Alkohole,  welche 
aus  mehrwerthigen  Alkoholen  durch  theilweisen  Ersatz  der  Hydroxyl- 
gruppen mittelst  Chlor,  Brom,  Jod  hervorgehen,  bezeichnet  man  als  Ha- 
logenhydrine (vgl.  S.  563,  582);  sie  enthalten  an  den  einzelnen  Kohlen- 
stoffatomen nie  mehr  als  je  eine  Hydroxylgruppe  .oder  je  ein  Halogenatom: 

CHjCl .  CHj(OH)  CHj(OH)  •  CHCl  •  CH,C1 

Aethylenglykolchlorhydrin  Glycerindichlorhydrin 

od.  Chloräthylalkohol  od.  Dichlorpropylalkohol . 

Sie  entstehen  aus  den  mehrwerthigen  Alkoholen  durch  Behandlung 
mit  Chlorwasserstoffsäure  ^  oder  Brom  wasserstoffsäure  ^  (nicht  mit  Jod- 
wasserstoff, vgl.  S.  582,  603) : 

CHj(OH).CH,(OH)  +  HBr  =  CHj(OH).CH,Br  +  H,0  . 

Zur  Bildung  von  Halogenhydrinen  stehen  femer  die  folgenden  Äd- 
ditionsreactionen  ungesättigter  Verbindungen  zur  Verfugung: 

Addition  von  unterchloriger  Säure*  an  ungesättigte  Kohlenwasser- 
stoffe oder  Alkohole 

CH, :  CH,  +  ClOH  =  CH,C1.CH,(0H)' 
CH, :  CH .  CH,(OH)  +  Cl .  OH  =  CH,(OH)  •  CHCl  -  CH,(OH) , 

Addition  von  Halogenen  an  ungesättigte  Alkohole* 

CH, :  CH.CH,(OH)  +  J>  =  CHjJCHJCHjCOH) . 

Endlich  erhält  man  Halogenhydrine  durch  Einwirkung  von  Halogen- 
wasserstoffsäuren auf  Alkylenoxyde  (vgl.  S.  564,  570): 

CHjv  CHjCl 

I       >0  +  HCl  =    I 
CH/  CHj.OH 

Jodhydrine  werden  häufig  aus  Chlorhydrinen  durch  Umsetzung  mit 
Jodkalium  gewonnen®: 


*  Vgl.  Malaguti,  Ann.  32,  38,  47  (1839);  37,  66  (1841).  —  Cahoübs,  Ann.  64, 
312  (1848).  —  Henry,  Ber.  6,  739  (1873). 

»  WuRTZ,  Ann.  110,  125  (1859).  —  Boüchardat,  Ann.  eh.  [5]  6,  114  (1875). 
Compt  rend.  100,  458  (1885).  —  Berthelot,  Ann.  eh.  [3]  41,  296  (1854).  —  de  Lutoe, 
Ann.  eh.  [4]  2,  406  (1864).  —  Henninoer,  Ann.  eh.  [6]  7,  228  (1886).* 

*  Henry,  Ann.  eh.  [4]  27,  250  (1872).  -  Veley,  Chem.  News  47,  39  (1883).  - 
Champion,  Compt.  rend.  78,  114  (1871). 

*  Cariüs,  Ann.  126,  195  (1863).  —  Bütlerow  u.  Lohmann,  Ann.  144,  40  (1867). 
—  Hanriot,  Ann.  eh.  [5]  17,  76  (1879).        ^  Tollenb,  Ann.  166,  164  (1870). 

^  Bütlerow  u.  Ossokin,  Ann.  144,  43  (1867).  :—  Claus  u.  Nabmmacher,  Ann- 
WS,  21  (1873). 


der  Haiogeyüiydrine.  615 


CHj(OH).CHjCl  +  KJ  =  CH,{OH).CH,J  +KC1 . 

Yerhalten.  Die  Halogenhydrine  werden  als  Hydroxylverbindungen 
durch  die  Fähigkeit  charakterisirt,  mit  Acetylchlorid  unter  Esterbildung 
zu   reagiren: 

CH,C1.CH,(0H)  +  Cl-COCHj  =  CHjClCHsCOCOCH,)  +  HCl. 

Derartige    Essigsäureester   bilden   sich  auch  direct  bei  der  Einwirkung 
von  Acetylchlorid  auf  mehratomige  Alkohole^: 

fOH  fCl 

CsH^^OH  +  2Cl.CO.CH3    =    CbHs^CI  +  H,0  +  OH-COCHa  , 

lOH  (OCOCHa 

Die  Halogenatome  sind  in  den  H^ogenhydrinen  ebenso  gebunden, 
wie  in  den  Halogenalkylen,  und  demnach  leicht  beweglich.  Man  benutzt 
daher  vielfach  namentlich  die  Halogenhydrine  des  Aethylenglykols,  um 
die  Oxäthylgruppe  CH3(0H).CHa~  in  mannigfache  Verbindungsformen 
überzufuhren,  z.  B.: 

CHj(OH).CH,CI  +  KSH  =  CH,{OH)  •  CH,  •  SH  +  KCl 
CHa{OH).CH,Cl  +  Na^SOs  =  CH,(OH).CH,.SOsNa  +  NaCl 
CH,(0H).CH,C1  +  NH(C,H5),  =  CH,(0H).CH,.N(CjH5)o.HCl 
CH,(OH).CHjCl  +  NCCHj),  =  CH,(OH).CH,v 

>N(CH8)s 
CK 

CO.CH.  COCHj 

CHs(OH).CH4Cl  +  I  =  I  +NaCl 

CNaH .  CO, .  CjHs      CH,(OH)  •  CH,  •  CH  •  COj  •  CjH» 

etc. 
Bei  der  Einwirkung  von  Alkalien  treten  Halogenatome  und  Hydroxyl- 
gruppen gleichzeitig  in  Reaction;  indem  Hydroxyl Wasserstoff  als  Halogen- 
wasserstoff  abgespalten  wird,  entstehen  Alkylenoxyde  (vgl.  S.  564): 

CHjCl  CHjv 

I  +K.OH    =    1       >0  +  KCl  +  HaO 

CHjOH  CH/ 

CH^Cl  CHjv 

I  +  KOH  =  I       >0  +  KCl  +  H,0 . 

CH,C1  -  CHOH  CHjCI  -  CH  / 

Die  Geschwindigkeit  dieser  Reaction  ist  in  einigen  Fällen  von  Evans  '  mit  Bezug 
auf  die  räumliche  Configuration  der  Molecüle  untersucht  worden.  Als  besonders 
interessant  sei  hervorgehoben,  dass  durch  Einführung  von  Methylgruppen  die  Oxyd- 
bildung  ausserordentlich  begünstigt  wird;  CH9'CH(0H).CHjCl  wird  viel  leichter  in 
das  entsprechende  Oxyd  übergeführt,  als  CH8(0H).CH2C1;  (CHj),C(Cl)-CH,(OH)  noch 
vielleichter  als  CH8.CH(0H).CH,C1.  Ein  ähnlicher  Einfluss  der  Alkylgruppen  hat 
ßich  für  die  Anhydridbildung  von  Dicarbonsäuren  herausgestellt  (vgl.  Kap.  25  u.  26). 

Durch  nascirenden  Wasserstoff  (Natriumamalgam)  können  die  Ha- 
logenatome eliminirt  werden;  dadurch  wird  eine  üeberfiihrung  höher- 
^erihiger  Alkohole  in  solche  von  geringerer  Werthigkeit  möglich^: 


*  L0UREN90,  Ann.  eh.  [3]  67,  259  (1868). 

*  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  7,  837  (1891). 

""  L0UREN90,  Ann.  120,  91  (1861).  —  Buff,  Ann.  Suppl.  5,  249  (1867). 


616 

Monoluüogenhydrine  des  Glykols  und 

Glycerins. 

CH,(OH) 

1 

CHgCl 

CH, 

CH,(OH) 

CH,(OH) 

CH^OH) 

CH,(OH) 

1 

CH,(OH) 

CH,(OH) 

CH(OH) 

>-       CH(OH)               > 

CH(OH) 

CH,(OH)  CHjCl  CH, 

Halogenhydrlne  des Aethylenglykols.    Giykoichiorhjdrini  CH|Ci- 

CH,(OH)  (AethylenchlorhjdriD,  Chloräthylalkohol)  ist  eine  farblose,  in  Wasser  losliche 
Flüssigkeit,  siedet  bei  128^  und  besitzt  bei  0^  dsjs  spec.  Gew.  1-223;  durch  O^dation 
mit  Chromsäuregemisch  liefert  es  Chlorcssigsäure  (vgl.  S.  547).  Aethjlenacetochlor- 
hydrin»  CH,C1  •  CH,{0 •  CO •  CH,)  (Aethylenchloracetin)  ist  eine  in  Wasser  unlfisliche 
Flfissigkeit,  siedet  bei  143—1450  und  besitzt  bei  0^  das  spec.  Gew.  1-178.  —  Glykol- 
bromhydrin»  CHgBr-CHsCOH)  siedet  bei  147^  und  besitzt  bei  8^*  das  spec.  Gew.  1-66. 
—  Glykoljodhydrin^  CH,J-CH,(OH)  wird  aus  dem  Chlorhydrin  durch  Erwärmen 
mit  Jodkalium  oder  Jodnatrium  gewonnen,  stellt  ein  in  Wasser  ziemlich  lösliches 
Oel  dar,  siedet  unter  ^5  mm  Druck  unzersetzt  bei  85*^,  unter  gewöhnlichem  Druck 
nicht  ohne  Zersetzung  und  besitzt  das  spec.  Gew.  2-165  bei  19^ 

Halogenhydrlne  des  Crlycerlns. 

Für  Monohalogenhydrine  bestehen  zwei  Isomerief^Ue: 

CH2(0H).CH(0H).CH,X    und     CH2(0H).CHX.CH,(0H); 

Verbindungen  der  ersten  Art  sind  Substitutionsprodukte  des  Propylenglykols;  sie 
werden  gewöhnlich  als  a-Halogenhydrine  bezeichnet,  während  man  die  der  zweiten 
Formel  entsprechenden  Derivate  des  Trimethylenglykols  |9-HaIogenhydrine  nemit 

a-Monochlorhydrin*  CH,(OH) •  CH(OH) •  CH,C1  (Chlorpropylenglykol) ent- 
steht aU  Hauptprodukt,  wenn  Glycerin  in  gelinder  Wärme  mit  Chlorwasserstoff 
gesättigt,  dann  längere  Zeit  auf  100  ^  erhitzt  wird.  Es  ist  ein  mit  Wasser  mischbares 
Oel,  siedet  unter  18  mm  Druck  bei  139^  und  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  1-338; 
die  Constitution  folgt  aus  seiner  Beducirbarkeit  zu  Propylenglykol.  —  a-Mono- 
bromhydrin«  CH^COH) •  CH(OH) - CH,Br  siedet  unter  17  mm  Druck  bei  138»;  spec 
Gew.  bei  4<>:  1-717. 


»  WuBTZ,  Ann.  HO,  125  (1859).  —  Caeius,  Ann.  124,  257  Anm.  (1862);  126, 
195  (1863).  —  BuTLEBOW  u.  Lobmann,  Ann.  144,  40  (1867).  —  Kkiwaxin,  Ztschr. 
Chem.  1871,  265.  —  Ladenbübo,  Ber.  16,  1407  (1883).  —  Chanraloff,  Ann.  226, 
326  (1884).  —  BoucHABDAT,  Compt.  rend.  100,  453  (1885).  —  Ström,  Ann.  267, 
191  Anm.  (1891). 

'  Simpson,  Ann.  112,  148  (1859);  113,  116  (1860).  —  Louben^,  Ann.  eh.  [S- 
67,  260  (1863).  Ann.  114,  126  (1860).  —  Sghützenberoer  u.  Lippmann,  Ann.  138,  325 
(1865).  —  Ladenbxjbg  u.  Demole,  Ber.  6,  1024  (1873).  —  Henby,   Ber.  7,  70  (1874). 

"  L0UBEN90,  Ann.  eh.  [3]  67,  284  (1863).  —  Henby,  Ann.  [4]  27,  250  (1872).  - 
Demole,  Ber.  9,  48  (1876). 

*  Butleeow  u.  Ossokin,  Ann.  144,  42  (1867).  —  Demüth  u.  V.  Meyer,  Ann. 
266,  28  (1889).  —  Henby,  Ber.  24o,  75  (1891). 

^  Bebthelot,  Ann.  eh.  [3]  41,  296  (1854)  —  Bsboül,  Ann.  Suppl.  1  233  (1861) 
—  L0ÜBEN90,  Ann.  120,  91  (1861).  —  Buff,  Ann.  Suppl.  5,  249  (1867).  —  Hakbiot, 
Ann.  eh.  [5]  17,  67  (1879).  —  Bioot,  Ann.  eh.  [6]  22,  481  (1891). 

®  Berthelot  u.  de  Luca,  Ann.  101,  67  (1857).  -—  Vrlby,  Chem.  News  47,  89 
(1883).  —  Fink,  Monatsh.  8,  562  (1887). 


Epihalogenhydrine,  617 


|?-Monochlorhydrin»  CHj(OH) •  CHCl •  CH»(OH)  (Chlortrimethylenglykol) 
oildet  sich  in  kleiner  Menge  als  Nebenprodukt  beim  Erhitzen  von  mit  Clilorwasser- 
rtoff  gesSttigtem  Glycerin  auf  100^;  es  entstellt  femer  durch  Addition  von  unter- 
chloriger  Säure  an  Allylalkohol,  siedet  unter  18  mm  Druck  bei  146®  und  besitzt  bei  0® 
das  spec.  Gew.  1*828. 

Die  inneren  Anhydride  der  a-Halogenhydrine: 

CH,  ~  CH  -  CH,X 

werden  Epfhalogenhydrine  genannt. 

Epicblorhydrin'  CH^-CH-CHjCl    (Chlorpropylenoxyd)   ist   eines    der  Ein- 

\)^ 
wiikungsprodukte  von  Phosphorpentachlorid  auf  Glycerin;  es  entsteht  aus  den  beiden 
isomeren  Dicl^orhydrinen  durch  Behandlung  mit  Alkali: 

CH,C1 .  CHCl .  CHa .  0H\  .Ov 

=  CHjClOT  -  CHj 


-  HCl 

CH,C1CH(0H).CH,C^ 

and  kann  daher  aus  dem  rohen  gewöhnlichen  Dichlorhydrin  (s.  S.  619)  dargestellt 
werden.  Es  ist  ein  farbloses,  nach  Aether  und  Chloroform  riechendes  Oel,  siedet  bei 
118— 119^  besitzt  bei  20®  das  spec.  Gew.  1180  und  ist  in  Wasser  unlöslich.  Es 
gleicht  dem  Aethylenoxyd  (vgl.  S.  564)  durch  seine  Neigung  zu  Additionsreactionen; 
durch  Erhitzen  mit  Wasser  liefert  es  a-Monochlorhydrin;  Chlorwasserstoff  fixirt  es  in 
energischer  Reaction  unter  Bildung  von  a-Dichlorhydrin  (vgl.  S.  618);  mit  Säure- 
Chloriden  vereinigt  es  sich  zu  Dichlorhydrinestem: 

CaHgCl:  0  +  CICO.CH3  =  CjHsCljO.COCH,  , 

mit  Alkyljodiden  zu  Chlorjodhydrinfither: 

C,H5C1:0  +  CHjJ  =  CsHjClJ.OCHs  . 

Epibromhydrin'*  CsHjBrO  siedet  bei  138—1400  (spec.  Gew.  bei  U^'a-eiö); 
Epijodhydrin*  CsHjJO  siedet  bei  etwa  170«  (spec.  Gew.  bei  13^:2.03). 

Das  dem  gewöhnlichen  Epichlorhydrin  isomere  ^-Epichlorhydrin'^ 
CH,«CHC1'CH2  (Chlortrimethylenoxyd)  ist  neuerdings   erhalten,   indem   Allyl- 

■       / 

alkohol  mit  Chlorjod  vereinigt,  das  Additionsprodukt  mit  Aetznatron  behandelt  wurde: 

■ 

»  Hknky,  Ber.  5,  449  (1872).  —  Hanriot,  Ann.  eh.  [5]  17,  73,  76  (1879).  Bull. 
32,  552  (1879). 

*  Berthelot,  Ann.  eh.  [8]  41,  299  (1854).  —  Reboül,  Ann.  Suppl.  1,  221,  239 
(1861),  -  LouREN^o,  Ann.  eh.  [3]  67,  369  (1863).  —  Bupp,  Ann.  Suppl.  5,  251  (1867). 

-  DAÄMSTiiyrBB,  Ann.  148,  119  (1868).  —  Truchot,  Ann.  138,  297  (1866).  —  Tol- 
i-Esa  XL  MttKDEB,  Ztschr.  Chem.  1871,  252.  —  Claus  u.  Stein,  Ber.  10,  556  (1877). 
^  Pbevobt,  J.  pr.  [2]  12,   160  (1875).  —  Höbner  u.  Müller,  Ann.  159,   184  (1871). 

-  Laupeb,  Jb.  1876,  343.  —  Thorpe,  Joum.  Soc.  37,  206  (1880).  —  Silva,  Compt. 
rend.  98,  420  (1881).  —  R.  Schiff,  Ann.  220,  99  (1883).  —  Fauconnieb,  Bull.  60, 
213  (1888).  Compt.  rend.  107,  629  (1888).  —  Paal,  Ber.  21,  2971  (1888).  —  Bigot, 
Ann.  eh.  [6]  22,  434  (1891).  —  Bröhl,  Ber.  24,  660  (1891).  —  ToRNOfi,  ebenda,  2676. 

*Bbrthelot  u.  de  Luca,  Ann.  101,  71  (1857).  —    Reboul,  Ann.  Suppl.  1,  227 
m\).  -  LwNEMANN,  Ann.  126,  310  (1863). 
*  Keboitl,  Ann.  Suppl.  1,  227  (1861). 
"^  Bigot,  Ann.  eh.  [6]  22,  460  (1891). 


618  Dikcdogenhydrine 


0x1  g  Oii|J  Grifv 

GH        +  CU  =  CHCl  =  CHCl  >0  +  HJ . 

I  11/ 

CHjOH  CHjOH     CH/ 

Das  /^Epichlorhydrin  entsteht  in  dieser  Beaction  neben  Allylalkohol,  gewöhnlichem 
Epichlorhydrin  und  Epijodhydrinen;  es  siedet  bei  132 — 134®,  unterscheidet  sich  tod 
dem  gewöhnlichen  Epichlorhydrin  wesentlich  dadurch,  dass  es  beim  Erhitzen  mit  an- 
gesäuertem Wasser  nicht  verändert  wird,  und  liefert,  mit  nascirendem  Wasseistoff 
behandelt,  AUylalkohol. 

Bihalogenhydrine  des  Glyeerins  können  in  zwei  Modificationen  auftreten: 

CH.Cl .  CH(OH) .  CHjCl  CH,C1  •  CHCl  -  CH,(OH) 

Symmetr.  Dichlorhydrin  Unsymmetr.  Dichlorhydrin 

Dichlorisopropylalkohol  Dichlorpropylalkohol. 

Trotz  zahlreicher  Untersuchungen  liegen  die  Isomerieverhältnisse  der  Dihalogen- 
hydrine  noch  nicht  ganz  klar. 

Man  bezeichnet  als  a-Dichlorhydrin^  eine  ölartige  Flüssigkeit,  welche  den 
Hauptbestandtheil  des  gewöhnlichen,  durch  Einwirkung  von  Salzsäure  auf  Glyoerm 
erhältlichen  Dichlorhydrins  (s.  S.  619)  bildet,  in  reinem  Zustand  durch  Addition  von 
Chlorwasserstoff  an  Epichlorhydrin  gewonnen  wird,  bei  174 — 175®  siedet,  bei  19®  du 
spec.  Gew.  1-367  besitzt  und  bei  19®  in  9  Th.  Wasser  löslich  ist  Durch  Oxydation 
mit  concentrirter  Salpetersäure  liefert  es  Chloressigsäure  neben  Chlordinitromethan. 
Da  es  verschieden  ist  von  dem  durch  Addition  von  Chlor  an  AUylalkohol  entstehen- 
den ^-Dichlorhydrin  (s.  S.  619),  dem  sicher  die  unsymmetrische  Formel  zukommt,  so 
liegt  es  nahe,  dieses  a-Dichlorhydrin  als  die  symmetrisch  constituirte  Verbindung: 

CH,Cl.CH(OH).CHjCl 

zu  betrachten.  Bei  dieser  Auffassung  ist  indess  die  Thatsache,  dass  durch  Ein- 
wirkung von  Natrium  auf  die  ätherische  IjÖsung  des  a-Dichlorhydrins  AUylalkohol, 
auf  diejenige  seines  Essigsäureesters  AUylacetat  entsteht,  befremdUch,  immerhin  aher 
nicht  unerklärUch;  es  könnte  bei  der  Beaction  zwischen  Natrium  und  Dichlorhydrin 
der  AUylalkohol  aus  intermediär  gebildetem  Epichlorhydrin  entstehen : 

/\ 

CH,C1.CH(0H).CH,C1  -f  Na  =  CH,.CHCH,C1  -f  NaQ  +  H, 
.,  -  V..X  CHjCl  -f  Na  =  CT, .  C :  CH,     +  NaCl  +  H , 

CIL  +  H,  =  CH,(OH).CH :  CH,  . 

Diese  Erklärung  kann  freilich  auf  die  Bildung  des  AUylacetats  aus  dem  Essigester  des 
Dichlorhydrins  nicht  angewendet  werden ;  allein  es  ist  fraglich,  ob  nicht  schon  bei  der 
Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  «-Dichlorhydrin  eine  Umlagerung  unter  vorüber- 
gehender Bildung  von  Epichlorhydrin  stattfindet: 

CIIjCl.CH(OH).CH,Cl-HCl  =  CH,  •  CH  •  CH,C1, 
^  OCO-CHj 

CHg^HCHjCl  +  ClCO-CHg  =  CHj-CHClCHjCl . 

*  Bebthelot,  Ann.  eh.  [3]  41,  297  (1854).  —  Reboul,  Ann.  Suppl.  1,  225  (18611. 
—  Markownikopp,  Ann.  208,  349  (1873).  —  Kelly,  Ber.  11,  2222  (1878).  —  Tobsoe, 
Ber.  21,  1285  (1888);  24,  2670  (1891).  —  Aschan,  Ber.  23,  1831  (1890).  -  Bioor, 
Ann.  eh.  [6]  22,  478  (1891). 


CHj^bH. 
CH, .  C : 


des  Olycerifis.  619 


pf-Dichlorhydrin*  (AUjlalkoholchlorid)  wird  die  Verbiudang  genannt,  welche 
durch  Addition  von  Chlor  an  Allylalkohol  entsteht  und  demnach  zweifellos  die 
Constitution  des  «-/^-Dichlorpropylalkohols  CH,C1.CHC1CH,(0H)  besitzt  Sie  entsteht 
auch  aus  Allylchlorid  durch  Anlagerung  von  unterchloriger  Säure,  siedet  bei  183°, 
besitzt  bei  11 '5°  das  spec.  Gew.  1*868  und  liefert  durch  Oxydation  mit  Salpeter- 
säure a-j^-Dichlorpropionsäure. 

Gewöhnliches  Dichlorhydrin'  wird  ein  Produkt  genannt,  welches  direct 
durch  Einwirkung  von  Chlorwasserstoff  auf  Glycerin  erhalten  wird.  Meist  operirt 
man  derart,  dass  ein  Gemenge  von  Glycerin  und  Eisessig  zu  etwa  gleichen  Theilen 
mit  Chlorwasserstoffgas,  zunächst  in  der  Kälte,  dann  in  der  Wärme  behandelt  wird. 
Aus  dem  so  gewonnenen  Produkt  lässt  sich  nach  dem  Waschen  mit  Sodalösung  durch 
fractionirte  Destillation  «-Dichlorhydrin  abscheiden;  es  enthält  femer  Acetochlor- 
hydrin.  Das  gewöhnliche  Dichlorhydrin  dient  zur  Darstellung  des  Epichlorhydrins 
(Vgl.  S.  617),  welch  letzteres  zur  Gewinnung  des  reinen  ce-Dichlorhydrins  benutzt 
wird  (vgl.  S.  618). 

Für  die  Dibromhydrine  liegen  die  Verhältnisse  ganz  analog,  wie  für  die 
Dichlorhydrine.  a-Dibromhydrin*  (wahrscheinlich  CH,Br'CH(0H)-CH2Br)  wird 
aus  Glycerin  durch  Einwirkung  von  Bromphosphor  erhalten,  siedet  unter  38  mm  Druck 
bei  124®,  besitzt  bei  18®  das  spec.  Gew.  2-11,  giebt  bei  der  Oxydation  mit  Salpeter- 
säure Bromessigsäure  und  Bromdinitromethan,  bei  der  Behandlung  mit  Natrium  in 
ätherischer  Lösung  Allylalkohol.  —  /9-Dibromhydrin*  CH,Br.CHBr.CHj(OH)  — 
aus  Allylalkohol  und  Brom  —  siedet  bei  219®,  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  2  «168 
und  giebt  durch  Oxydation  a-j?-Dibrompropionsäure. 

a-Dijodhydrin'  (aus  nt-Dichlorhydrin  und  Jodkalium)  ist  ein  dickflüssiges  Gel 
vom  spec.  Gew.  2-4,  das  nicht  unzersetzt  destillirbar  ist  und  bei  -r  16®  bis  ~  20® 
krystallinisch  erstarrt.  —  /?-Dijodhydrin®  CH,J.CHJCHj(OH)  —  aus  Allylalkohol 
und  Jod  —  stellt  farblose  Nadeln  dar,  schmilzt  bei  45®  unter  Zersetzung,  'ist  in 
Alkohol  und  Aether  leicht,  in  Wasser  nicht  löslich. 

Ueber  HalOgenhydrlne  des  Eiytrits  ^  und  MannitS  ^  vgl.  die  Original- 
literatur. 


*  ToLLENS,  Ann.  156,  164  (1870).  —  Münder  u.  Tollens,  Ztschr.  Chem.  1871, 
252.  —  HtTBMER  u.  MttLLER,  Ann.  169,  179  (1871).  —  V.  Geqeefeldt,  Ann.  164,  247 
11870).  Ber.  6,  720  (1873).  —  Heney,  Ber.  3,  352  (1870);  7,  413  (1874).  —  Wbrigo 
u.  Meukoff,  Ber.  10,  1500  (1877).  —  TobnoS,  Ber.  24,  2670  (1891). 

*    Reboul,  Ann.  Suppl.  1,  222  (1861).  —  Carius,  Ann.  122,  78  (1862).  —  Hübneb 
u.  MCller,  Ztschr.  Chem.  1870,  344.  Ann.  169,  170  (1871).  —  Watt,  Ber.  6,  257  (1872). 

-  Claus,  Kölver  u.  Nahmmacheb,  Ann.  168,  43  (1873).  —  Markownikoff,  Ann.  208, 
358  (1873).  —  FoucoNNiEB  u.  Sanson,  Bull.  48,  236  (1887).  —  Faüconnier,  Bull.  60, 
212  (1888). 

'  Bethelot  u.  de  Luca,  Ann.  101,  72  (1857).  —  Henry,  Ann.  164,  369  Anm.  (1870). 

-  ZoTTA,  Ann.  174,  96  (1874).  —  Aschan,  Ber.  21,  2890  (1888);  23,  1826,  1831  (1890). 

*  Markownikoff,  Ztschr.  Chem.  1864,  68.    —    Tollens,  Ann.  166,  166  (1870). 

-  MtlNDKR  u.  Tollens,  Ann.  167,  224  (1873).  —  Weoer,  Ann.  221,  83  (1883).  —  Fink, 
Moaatsh.  8,  561  (1887). 

^  Claus  u.  Nahmmacheb,  Ann.  168,  21  (1873). 

*  Hübner  u.  Lellmann,  Ber.  14,  207  (1881). 

'  LuFNES,  Ann.  eh.  [4]  2,  385  (1864).  —  Champion,  Compt  rend.  73,  114,  (1871). 

-  Pkztbytek,  Ber.  17,  1091  (1884).  —  Henninoer,   Ann.  eh.  [6]  7,  209  (1886). 

*  Bouchardat,  Ann-  eh.  [5]  6,  113  (1875).  —  Fauconnier,  Bull.  41,  121,  123  (1884). 

-  Vgl.  auch  Griner,  Ann.  eh.  [6]  26,  378  (1892). 


620     Dichlor-  u.  TriMor-äthylalkohoL    Trichlor-fropyl-,  -btUyl-  tk  an^UoKkdkd. 


Halogensubstitutionsprodukte    der    Alkohole,     welche    an  ein 
Eohlenstoffatom  mehrere  Halogenatome  gebunden  enthalten. 

Halogenderivate  der  Alkohole,  in  deren  Molecül  ein  Kohlenstoffiitom 
mit  mehreren  Halogenatomen  beladen  ist,  sind  aus  den  entsprechenden 
halogenirten  Aldehyden  durch  Einwirkung  yon  Zinkalkylen  gewonnen  ^ 
Der  Verlauf  der  Keaction  hängt  von  der  Natur  des  angewendeten  Zink- 
radicals  ab;  bei  Anwendung  Yon  Zinkmethyl  findet —  ganz  analog  ine 
bei  der  Einwirkung  auf  halogenfreie  Aldehyde  (vgl.  S.  145)  —  die  Syn- 
these eines  secundären  Alkohols  statt: 

yCH, 
CCla-CHO  +  ZnCCHs),  =  CC1,.CH< 

N).Zn.CHa  , 

CC1,.Ch/      '  +  H,0  =  CCl8.CH<       '+  ZnO  V  CH4  . 

Zinkäthyl  dagegen  und  seine  Homologen  vereinigen  sich  mit  dem  halo- 
genirten Aldehyd  unter  Abspaltung  von  Alkylenen  zu  Zinkverbindnngen 
des  entsprechenden  primären  Alkohols,  aus  denen  letzterer  bei  der  Zer- 
setzung mit  Wasser  in  Freiheit  gesetzt  wird;  sie  wirken  mithin  alsBe- 
ductionsmittel: 

CClj.CHO -f  ZnCCA),  =  CCls-CHiOZnCÄ +  C,H4, 
CCla-CHsOZnCsHs  ■♦-  H,0  =  CCls.CHo.OH  +  ZnO  +  aHe  . 

BiehlorSthylalkoliol  CHCU-CHtCOH)  (aus  Dichloracetaldehyd  und  Zink 
äthyl)  ist  eine  farblose,  dicke  Flüssigkeit,  siedet  unzeisetzt  bei  146^,  besitzt  bei  15'' 
das  spec.  Gew.  1-145  und  ist  in  Wasser  wenig  löslich.  —  Trielilorllthylalkeb«! 
CClgCHgCOH)  (aus  Chloral  [Trichloracetaldehyd]  und  Zinkäthyl)  krystaUisirt  in 
rhombischen  Tafeln,  schmilzt  bei  17*8^,  siedet  bei  151^,  riecht  angenehm  ätherisch 
und  ist  in  Wasser  wenig  löslich. 

Triehlorisopropylalkohol  CC1,-CH(0H)-CH,  (aus  Chloral  und  Zinkmethrli 
krystaUisirt  in  kleinen  farblosen  Nadeln,  schmilzt  bei  49-2^,  sublimirt  schon  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur,  siedet  zwischen  150  u.  160^  und  riecht  campherfihnlicb. 

Aus  Butylchloral  CgH^Clj-CHO  (vgl.  Kap.  33)  ist  durch  Einwirkung  von  Zink- 
fithyl  ein  primärer  Triehlorbutylalkohol  CsH^Clg •  CH2(0H)  (Schmelzpunkt  62«),  von 
Zinkmethyl  ein  secundärer  Trichloramylalkohol  CgH^Clg •  CH(OH) •  CH,  (Schmelz- 
punkt 50  «5**)  gewonnen. 

Trichloräthylalkohol  und  Triehlorbutylalkohol  —  die  Reductionsprodokte  des 
Chorals  und  Butylchlorals  —  entstehen  auch  bei  Einnahme  letzterer  VerbindougeD 
im  Körper;  man  findet  sie  im  Urin  in  Form  gepaarter  Säuren  („UrochloralBäare 
CgHuCIjOy"))  welche  durch  Kochen  mit  verdünnten  Mineralsäuren  in  Glykuronsäare 
CjHjqO,  und  die  halogenirten  Alkohole  zerfallen*: 

CeHnCljOy  +  HsO  =  CeHioO,  +  CsHaCljO  . 

1  Gazzaboili-Tübklaokh,  Ann.  210,  63  (1881);  213,  869  (1882);  223,  149(1884.. 
—  Gazzarolu-Türnlackh  u.  Popper,  Ann.  223,  166  (1884).  —  de  Lagre,  Comptrend. 
104,  1184  (1887).     Bull.  48,  708,  784  (1887). 

>  V.  Merino,  Ber.  15,  1019  (1882).    Ztschr.  f.  physiol.  Chemie,  6,  487  (1882X 


Halogetiderivate  von  Sulfiden  etc.  621 


Halogenderivate   der  Mercaptane   und    anderer   Schwefel- 
verbindungen ^ 

Das  Ferchlorraethylinereaptaii  OCl,-SCiiind  die  OhlerderlTate  der  Methjrl- 

sttlfosSüre    sind   bereits  im   Zosammenhaog  mit  ihren   Stammkörpem  besprochen; 
vgl.  S.  215,  223—224. 

Erwähnenswerth  wegen  ihrer  physiologischen  Wirkung  sind  femer  die  Chlor- 
üerivate  des  Aethylsulflds*.  Symmetrisches  /^-Dichloräthylsalfid  (CH,C1* 
CHj)gS  (ThiodiglykolchloridX  welches  aas  Thioglykol  (vgl.  S.  577)  durch  Einwirkung 
von  Pho8phortrichlorid  entsteht,  ein  mit  Wasser  nicht  mischbares,  in  der  Kälte  er- 
starrendes Gel  darstellt  und  bei  217^  siedet,  ist  ein  äusserst  giftiger  Körper  und  be- 
merkenswerth  als  starker,  nicht  organisirter  Entzündungserreger;  selbst  seine 
verdünnten  Losungen  bringen  auf  der  Haut  andauernd  eiternde  Entzündungen  hervor; 
winzige  Mengen  seines  Dampfes  bewirken  bei  Kaninchen  starke  Entzündungs- 
erscheinuDgen  und  schliesslich  den  Tod  durch  Pneumonie.  MonochlorSthylsulfid 
C4H5  •  S  •  CHg  •  CHjCl  —  ein  bei  157°  siedendes  Oel,  durch  die  Reactionen: 

CASK  +  Cl.CHj.CH,{OH)  =  C,H5.S.CH,.CH,(0H)  +  KCl, 
3C,H5.S.CH,.CHj(0H) -h  PCI,  =  SCÄ-SCH^CHjCl  +  P(OH)a 

darstellbar  —  übt  ähnliche,  aber  schwächere  Wirkungen  aus,  während  das  Aethyl- 
sulfid  selbst  ganz  indifiPerent  ist  Die  physiologische  Wirkung  ist  demnach  allein  vom 
Chlorgehalt  abhängig. 

Halogenderivate  des  Aethyldisulfids'   entstehen  durch  Einwirkung  von 
Aethylen  auf  Chlorschwefel  {vgl.  S.  445): 

2CHj:CH8  +  SjClj  =  (ClCHg  •  CH,)8S,  . 


Vierundzwanzigstes  Kapitel. 

Hehrwerthige  Nitro-  und  Amido-Verbindungeii.      Verbindun- 
gen,  welche  neben  Nitro-  bezw.  Amidogruppen  Halogenatome 

oder  Hydroxylgruppen  enthalten. 

Mehrwerthige  Nitroverbindungen. 

Binitroderivate  der  Grenzkolilenwasserstoffe.  Von  Dinitroverbindungen, 
deren  Nitrogruppen  an  zwei  verschiedenen  Rohlenstoffatomen  haften^, 
ist  bisher  nur  das  aus  Trimethylenjodid  durch  Einwirkung  von  Silbemitrit  erhältliche 
cüü'-DinitropropanCH3(NOj).CHsCH,(NOj)(l-3-Dinitropropan*)  bekannt.   Es  ist  ein 


^  Vgl.  SpaiNQ  und  Winssinoer,  Ber.  15,  445  (1882);  16,  826  (1883);  17,  537 
im4).  —  Spriwo  u.  Lecbenibb,  Bull.  48,  623  (1887). 

'  V.  Mbyeh,  Ber.  19,  8260  (1886);  20,  1729  (1887).  —  Demüth  u.  V.  Meyer^ 
Ann.  240,  810  (1887). 

'  GuTHKiE,  Ann.  119,  90  (1861);  121,  108  (1862).  —  Spring  u.  Lecbexier,  Bull« 
«,  629  (1887). 

*  Keppler  u.  V.  Meyer,  Ber.  25,  1709,  2638  (1892). 

*  Vom  Genfer  Nomenclatur-Congress  (1892)  ist  die  Bezeichnung  der  Sub- 
^^entenstellang  durch  Ziffern  anstatt  der  bisher  gebräuchlicheren  Bezeichnung  durch 
grieehische  Buchstaben  (vgl.  S.  535)  angenommen  worden.  Näheres  vgl.  in  dem 
Anhang  am  Schluss  von  Band  I. 


622  Dinitroderivtxte  der 


leicht  Terharzeudes,  höchst  unbeständiges,  weder  bei  Luftdruck  noch  im  Vacuum 
destillirbares  Oel. 

Im  Gegensatz  dazu  sind  die  in  grösserer  Zahl  bekannten  Dinitroyerbindungen, 
deren  beide  Nitrogruppen  am  gleichen  Kohlenstoffatom  haften,  beständige, 
unzersetzt  destillirbare  Körper.    Man  gelangt  zu  ihnen  durch  folgende  Reactionen. 

Primäre  Dinitro Verbindungen  der  allgemeinen  Formel  CnH2n+i'CH(N0Jj  er- 
hält man  durch  Einwirkung  von  Salpetersäure'  auf  Ketone  (vgl.  S.  410),  z.  B.  Di- 
nitropropan  CaHg  •  CH(N02)2  aus  Butyron  (C,H0*CH,),CO;  wendet  man  gemischte 
Ketone  an,  so  entsteht  die  Dinitroverbindung  des  complexeren  Badicals,  z.  B.  Di- 
nitropropan  aus  Methylpropylketon  CHg  •  CO  •  CH,  •  C1H5 ;  aus  alkylsubstituirten  Acete^ig- 
estem  OHs-OO-CH-COs-CsHs  erhält  man  daher  durch  Behandlung  mit  Salpetersäure 

I 

CnH2n+l 

Dinitroverbindungen  CnH2n+iCH(NO,)8 ,  z.  B.  Dinitroäthan  CHgCH(NO,),  aus 
Methylacetessigester  CHg-C0.CH(CH,).C0,.C,H6;  ebenso  entstehen  Dinitrokohleji- 
'  Wasserstoffe  durch  Behandlung  der  secundären  Alkohole  mit  Salpetersäure,  z.  B.  Di- 
nitrobutan  CsH^ •  CH(NOj),  aus  secundärem  Hexylalkohol  CHgCH(OH).CH,.C,H:. 
Von  grösserer  Wichtigkeit  für  die  Beurtheilung  der  Constitution  dieser  Ver- 
bindungen ist  die  glatte  Bildung  ihrer  Kalisalze  aus  den  Monobromderivaten  der 
primären  Mononitroparaf&ne  (vgl.  S.  256)  durch  Einwirkung  von  Kaliumnitrit  bei 
Gegenwart  von  Kali*: 

CHg.CHBKNOj)  4-  KNO,  +  KOH  =  CH,.CK(NO,),  4-  KBr  -f  H,0 . 

/NO, 
Secundäre  Dinitroverbindungen,  wie  {C^^^(X.  ,  bilden  sich  durch  Oxv- 

^NO, 


dation  der  Pseudonitrole'  (vgl.  S.  258—269): 


(CH,),C/ 


NO  ,N0, 

^      (CH,),C/ 


NO,  "     \nO,  * 

Die  Oxydation  erfolgt  unter  dem  Einfluss  von  Chromsäure,  tritt  aber  auch  schon  beim 
Erwärmen  der  Pseudonitrole  für  sich  ein,  indem  ein  Theil  unter  Abgabe  von  Stick- 
ozyden  zersetzt  wird,  welch  letztere  auf  den  unzersetzten  Theil  oxydirend  wirken. 
Die  Bildung  von  secundärem  Dinitropropan  ist  femer  bei  der  Behandlung  von  läo- 
propylessigsäure  (CHa),CH  •  CH,  •  CO,H  und  Isobuttersäure  (CH8)8CH  •  CO,H  mit  Salpeter 
säure  beobachtet^. 

Wie  auf  Grund  der  im  Vorstehenden  angenommenen  Constitutionsfbrmeln  er- 
wartet- werden  muss,.  unterscheiden  sich  primäre  und  secundäre  Dinitro verbindongeu 
in  ihrem  chemischen  Charakter  sehr  wesentlich.  Die  primären  Verbindungen  siud, 
da  sie  in  der  Wirkungssphäre  der  Nitrogruppen  noch  ein  an  Kohlenstoff  gebundenes 
Wasserstoffätom  aufweisen,  Säuren,  welche  wohlcharakterisirte.  gut  krystallisirbare 
Salze  wie  CH3-CK(N0,)a  bilden  und  sich  daher  in  wässrigen  Alkalien  lösen.  Die 
secundären  Verbindungen  dagegen  sind  indifferent. 

Sehr  auffallend  ist  das  Verhalten  der  Dinitroverbindungen,  deren  Nitrogruppen 
an  einem  und  demselben  Kohlenstoffätom  haften,  bei  der  Reduction;  man  erhält 
nicht,  wie  man  erwarten  könnte,  die  entsprechenden  Diamido Verbindungen.    Vielmehr 

>  CuAUCEL,  Compt.  rend.  86,  1405  (1878);  94,  399  (1882);  96,  1466  (.1883);  99, 
1053  (1884);  100,  601  (1885).  —  Kubtz,  Ann.  161,  208  (1872). 

*  TER  Meer,  Ann.  181,  1  (1876).  >-  Züblin,  Ber.  10,  2085,  2087  (1877). 

*  V.  Meyer  u.  Locher,  Ann.  180,  147  (1875).  —  V.  Meyer,  Lecco  u.  Fobstw, 
Ber.  9,  702  (1876). 

*  Bredt,  Ber.  16,  2822  (1882). 


Qrenzkoklenwasserstoffe.    Nitroform  etc.  623 


nrd  bei  der  Reduction  mit  Zinn  und  Salzsäure  der  Stickstoff  vollstfindig  abgespalten, 
md  es  entsteht  aus  den  seeundären  Verbindungen  einerseits  Hydroxylamin,  anderer- 
eita  das  entsprechende  Keton,  z.  B.  Aceton  aus  (CH,),C(N09)9;  aus  den  pri- 
nSren  Verbindungen  entsteht  einerseits  HydroxjUmin  und  Ammoniak,  andererseits  die 
altsprechende  Fettsäure,  z.  B.  Essigsäure  aus  Dinitroäthan  (vielleicht  bildet  sich  in 
liesem  Fall  zunächst  ein  Aldehyd,  welcher  im  Entstehungszustand  durch  Hjdrozji- 
unin  m  Essigsäure  ozjdirt  wird). 

Dies  Verhalten  kann  die  Auffassung  der  fraglichen  Verbindungen  als  wahrer 
Dinitroverbindungen  zweifelhaft  erscheinen  lassen;  die  seeundären  sogenannten  Di- 
nitro Verbindungen  ^  konnten  vielleicht  die  Gruppe 

\         V 
>C  =  N  -  0-NO, 

(vgl.  S.  259  über  die  Constitution  der  Pseudonitrole)   enthalten,   die   primären  Ver- 
bindungen   Salpetersäureester    der   Hydroxamsäuren   (vgl.   S.  379)   mit   der   Gruppe 

/OH 

X  sein. 

-C=N-O.N08 

6}, -Dinitroäthan  CH,*CH(N02)fl  (1.1 -Dinitroäthan)  ist  ein  farbloses,  in 
Wasser  schwer  lösliches  Oel  von  schwach  alkoholischem  Geruch,  siedet  bei  185 — 186^ 
und  besitzt  bei  28* 5®  das  spec.  Gew.  1-350.  Das  Kaliumsalz  bildet  reingelbe  Rry- 
stalle,  löst  sich  in  19-4  Tb.  Wasser  von  12^  und  explodirt  schon  bei  leisem  Schlag 
sehr  heftig. 

Primäres   Dinitropropan   C^H^ •  CH(NOs)s   (6)|-Dinitropropan,    1. 1-Dinitro- 
propan)   iat   flüssig,   siedet  bei  189^  und  besitzt  bei  22*5°  das  spec.  Gew.  1*258.  — 
Secundäres   Dinitropropan  (CH9),C(N0s)9  (nr,- Dinitropropan,  2 •  2-Dinitropropan) 
bildet  weisse,  campherähnliche  Krystalle,  schmilzt  bei  53  ^  siedet  bei  185-5®,  ist  mit 
Wasserdämpfen  sehr  leicht  flüchtig,  verdampft  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
rasch  und  löst  sich  in  Wasser  nur  sehr  wenig.  —  oiai'- Dinitropropan  CH,(NO,)- 
CH)'CH,(N09)(1 .3- Dinitropropan)  ist,  wie  schon  S.  621— 622  hervorgehoben  wurde,  sehr 
onbeständig  und  nicht  destillirbar;  es  kann  in  Form  seines  Natriumsalzes  C,H5(N0,)tNa 
—  ein  weisses,   beim  Erhitzen  heftig  explodirendes  Pulver  —  und   der  durch   Ein- 
wirkung von  aromatischen   Diazoverbindungen  entstehenden    krjstallisirbaren    Azo- 
derivate  isolirt  werden,  liefert  bei  der  Behandlung  mit  Brom  in  alkalischer  Lösung 
ein  Tetrabromderivat  CBr,NOs*CH,«CBr,NOs,  bei  der  Reduction  mit  Natriumamalgam 
m  essigsaurer  Lösung  neben  viel  Ammoniak  auch  Trimethylendiamin. 

Primäres  Dinitrobutan:  C,HfiCH,CH(NO,),  (1.1-Dinitrobutan)  siedet 
unter  theilweiser  Zersetzung  gegen  197®;  spec  Gew.  bei  15®:  1-205;  sein  Kaliumsalz 
ist  nicht  explosiv.  —  Secundäres  Dinitrobutan  CjHs •  C(NO,), •  GH,  (2.2-Dinitro- 
batan)  ist  ebenfieJls  flüssig  und  siedet  unter  geringer  Zersetzung  bei  199®. 


Trinitromethan '  CH(NO,)s  (Kitroform)  entsteht  als  Ammoniumsalz  (gelbe,  in 
V^aaser  lösliche  Krystalle)  bei  der  Einwirkung  von  Wasser  oder  Alkohol  auf  Tri- 
nitroacetonitril: 

(NO,),C.CN  -f  2H,0  -  (N0,),C.C0.0.NH4 

=  (N0,)8C.NH4  +  C0, ; 

*  Vgl.  R.  Scholl,  Ber.  23,  3494  (1890). 

'  ScHiscHKow,    Ann.    101,    216    (1856);    103,    364  (1857);    119,   247   (1861).   — 
V-  Meybr,  Ber.  7,  1744  (1874).  —  V.  Meyer  u.  Locher,  Ann.  180,  172  (1875). 


624  HcUogennitroverbmdungen. 


bei  seiner  Darstellung  muss  man  mit  grosster  Vorsicht  verfahren;  wenn  die  Ze^ 
Setzung  des  Trinitroacetonitrils  durch  Kochen  mit  Wasser  in  der  Begel  anch  rtihig 
verläuft,  so  wurde  doch  einmal  bei  Verarbeitimg  von  nicht  mehr  als  7  g  unter  an- 
scheinend den  gewöhnlichen  Bedingungen  im  Züricher  Laboratorium  eine  fiooBent 
heftige  Explosion  beobachtet  Dfut  freie  Nitroform  ist  farblos,  erstarrt  unterhalb  +  15', 
riecht  sehr  unangenehm,  schmeckt  bitter,  ist  im  Wasser  ziemlich  leicht  mit  dunkel- 
c^elber  Farbe  löslich  und  ezplodirt  bei  raschem  Erhitzen  heftig.  Mit  Brom  im  Somieii- 
licht  behandelt,  liefert  es  Bromtrinitromethan  CBr(N09),. 

TrinitroSthan  ^  C,H8(NO,)8  —  eine  bei  55— 56<^  schmelzende,  ausserordentUch 
leicht  flüchtige  Substanz  —  ist  aus  Methylmalonsäure  CH, -011(00,11),  durch  Be- 
handlung mit  Salpetersäure  erhalten  worden. 

Tetranitromethan'  0(N0,)4  entsteht  aus  Nitroform  durch  Nitrirung  mit  Sal- 
peterschwefelsäure und  stellt  eine  farblose,  leicht  bewegliche,  in  Wasser  unlösliche 
Flüssigkeit  dar,  die  bei  +18®  krystallinisch  erstarrt  Merkwürdigerweise  ist  es  be- 
ständiger als  Nitroform,  es  siedet  unzersetzt  bei  126®. 

Halogennitro  verbin  düngen. 

Halogennitroderivate  des  Methans  entstehen  häufig  aus  complexeren 
Kohlenstoffverbindungen  durch  Spaltung,  wenn  Halogenverbindungen  mit 
starker  Salpetersäure  oder  Nitroverbindungen  mit  halogenirenden  Agentien  behandelt 
werden.  So  bildet  sich  Dichlordinitromethan'  001,(N0,)j|  —  ein  zu  TfaiÄncn 
reizendes,  mit  Wasserdämpfen  flüchtiges  Oel,  das  bei  15®  das  spec.  Gew.  1-685  zeigt, 
—  bei  der  Destillation  von  Naphtalintetracfalorid  mit  concentrirter  Salpetenäore. 
Bromdinitromethan^  0HBr(N02)a  ist  aus  Dibromcampher  und  a-Dibromhydrin 
CH,Br.CH(0H).0H,Br  (vgl.  S.  619),  Dibromdinitromethan*  CBr,(N0,),  aus  Tri- 
bromanilin  und  anderen  aromatischen  Bromverbindungen,  femer  aus  Aethylenbromid 
durch  Behandlung  mit  Salpetersäure  erhalten  worden ;  beide  Verbindungen  sind  stechend 
riechende,  nicht  unzersetzt  destillirbare  Oele  und  geben  mit  alkoholischem  Kali  das 
gleiche  Kaliumsalz  0ElBr(N02),,  welches  grosse  hellgelbe  Krystalle  bildet,  in  warmem 
Wasser  leicht  löslich  ist  und  beim  Erhitzen  explodirt  —  Die  Trihalogenderivate 
des  Nitro meth ans  bilden  sich  zuweilen  bei  dem  Zerfall  aromatischer  Nitro- 
verbindungen unter  der  Einwirkung  von  chlorirenden  bezw.  bromirenden  Agentien 
und  werden  gewöhnlich  aus  Pikrinsäure  (Trinitrophenol)  durch  Behandlung  mit  Chlor- 
kalk bezw.  Bromkalk  gewonnen.  Trichlornitromethan  oder  Ohlorpikrin* 
COlg'NO,  —  eine  bewegliche  Flüssigkeit,  welche  bei  112®  siedet  und  bei  0®  das 
spec.  Gew.  1  •  692  besitzt,  —  riecht  äusserst  stechend  und  übt  heftig  reizende  Wirkungen 
auf  Augen  und  Schleimhäute  aus;  seiner  Bildung  durch  Nitriren  von  Ohloroform  ist 
schon  gedacht  (S.  540),   ebenso  seines   Uebergangs  in  Methylamin  (S.  242)  durch  Re- 

*  Franchimont,  Rec.  trav.  chim.  5,  .281  (1886). 

*  SoHiscHKOw,  Ann.  119,  248  (1861). 

'  Marignac,  Ann.  38,  16  (1841).  —  Losanttsch,  Ber.  17,  849  (1884).  —  Baschiq, 
Ber.  18,  8327  (1885). 

*•  Kachler  u.  SprrzEB,  Monatsh.  4,  558  (1883).  —  Aschan,  Ber.  23,  1828(1890). 

*  Losanttsch,  Ber.  15,  472  (1872);  16,  51,  2730  (1883);  17,  848  (1884).  —  Vgl. 
femer  Villiers,  Bull.  37,  451  (1882);  41,  282  (1884);  43,  322  (1885).  Compt  rend. 
07,  258  (1883). 

*  Stenhouse,  Ann.  68,  241  (1848).  —  Geisse,  Ann.  100,  282  (1859).  —  Kbkulä, 
Ann.  101,  212  (1856);  106,  144  Anm.  (1858).  —  A.  W.  Hopmann,  Ann.  139,  111 
(1866).  —  Mills,  Ann.  160,  117  (1871).  —  Cossa,  Jb.  1872,  298.  —  Thorpe,  Joum. 
Soc.  37,  198  (1880).  —  de  Fororand,  Ann.  eh.  [5]  28,  23  (1883).  —  Bj^schio,  Ber.  18, 
8326  (1885).  —  Lew  u.  Jedligka,  Ann.  240,  86  (1888). 


NitroäthylcdkohoL  625 


iuction  mit  Eisen  und  Essigsfinre.  Brompikrin^  CBr3(N0t)  ist  eine  dem  Chlor- 
tikrin  ähnliche  Flüssigkeit,  erstarrt  in  der  Kälte  za  prismatischen  Krystallen,  die 
lei  +10*^  schmelzen,  siedet  unter  118  mm  Druck  bei  127^  und  besitzt  bei  12*5^  das 
pec.  Gew.  2-811. 

In  ganz  anderer  Weise  ist  Jodnitromethan'  CH^JCNOs)  erhalten  worden; 
is  entsteht  aus  ^Methjlenjodid  durch  Einwirkung  von  Silbemitrit,  auch  wenn  letzteres 
m  Ueberschuss  angewendet  wird,  stellt  ein  Oel  von  stechendem  Geruch  dar,  das 
>ald  Jod  abscheidet,  bildet  ein  Natriumsalz  CHJ(N02)Na  —  ein  weisses,  beim  Er- 
litzen  explodirendes  Pulver  —  und  krystaUisirbare  aromatische  Azoderivate. 

Es  ist  hier  femer  an  die  durch  Einwirkung  von  Chlor  und  Brom  auf 
die  Alkalisalze  der  Nitroparaffine  entstehenden  Verbindungen'  zu  er- 
innern, deren  Bildung  und  Verhalten  gegen  Alkalien  schon  S.  256  besprochen  ist. 

Bromnitroäthan  CHa-CHBrNOj  ist  eine  bei  146—147°,  Dibromnitro- 
äthan  GH,  •  CBrj(NOj)  eine  bei  162— 164 <*  siedende,  stechend  riechende  Flüssigkeit 

Bromdinitro Verbindungen^  entstehen  aus  den  Alkalisalzen  der  primären 
Dinitroverbindungen  durch  Einwirkung  von  Brom  ;Bromdinitroisobutan  (CH,),CH  • 
CBt  (NOg)«  bildet  eine  farblose,  glasglänzende  Masse  von  stechendem  Geruch  und 
schmilzt  bei  38  ^ 

Nitrohydroxylverbindungen.  - 

Der  NitroXthylalkohoP  CH,(N02)  CH^COH)  ist  bisher  das  einzige  Beispiel  für  das 
gleichzeitige  Vorkommen  von  Nitrogruppen  und   alkoholischen  Hydroxylgruppen  in 
aliphatischen  Verbindungen.     Er  ist  durch  Einwirkung  von  Glykoljodhydrin  CHaJ- 
CH^lOH)  (S.  616)  auf  Silbemitrit  erhalten  und  ist  hauptsächlich  durch  sein  in  Alkohol 
nicht,  in  Wasser  leicht  losliches,  beim  Erwärmen  lebhaft  verpuffendes,  weisses  Natriumsalz 
CHNa(NOj)»CHj(OH)  und  durch  die  krystallisirbaren  Azo Verbindungen,  wie  C^Hj-N: 
N-CH(N02)*CH2(0H),  charakterisirt ,  welche  durch  die  Einwirkung  von  aromatischen 
Diazoverbindungen  auf  die  Lösung  des  Natriumsalzes  entstehen.    Im  Uebrigen  ist  er  zu 
glatten  Beactionen  wenig  befähigt;    weder  gelang  die  Ueberführung  in  Amidoäthyl- 
alkohol  durch  Beduction,  noch  konnten  Ester  in  reinem  Zustand  gewonnen  werden. 
AuB  der  wässrigen  Losung  des  Natriumsalzes  durch  Schwefelsäure  abgeschieden  und 
darauf  mit  Aether  ausgeschüttelt,  erhält  man  den  Nitroäthylalkohol  als  schwach  gelb- 
liches, in  Wasser  lösliches  Oel  vom  spec.  Gew.  1-169  bei  19-4°,  welches  sich  beim 
Erhitzen  —  auch  im  Vacuum  —  zersetzt. 

Mehrwerthige  Amine. 

Entstehungsweisen.  Zur  Gewinnung  der  den  Glykolen  ent- 
sprechenden Diamine  sind  die  folgenden  Eeactionen  benutzt  worden, 
die  sämmtlich  Modificationen  der  schon  bei  den  einwerthigen  Aminen 
besprochenen  Methoden  dai-stellen: 


1  ii. 


Stenhoüse,  Ann.  91,  307  (1854).  —  Bolas  u.  Groves,  Ann.  156,  253  (1870).  — 
V.  Mbyeb  u.  Tsgheskiak,  Ann.  180,  122  (1876).  — '  Lew  u.  Jedlicka,  Ann.  240, 
85  (1888). 

'  V.  Meter,  Ber.  24,  4244  (1891).  —  Russanow,  Her.  25,  2635  (1892). 

•  Vgl.  V.  Meyee,  Ann.  171,  49  (1873).  Ber.  7,  1313  (1874).  —  Tscherniak, 
B«- 8,  009  (1875).  —  V.  Meyer  u.  Tscherniak,  Ann.  180,  112,  123  (1876).  —  Züblin, 
^.  10,  2085  (1877).  —  Bewad,  Ber.  24,  974  (1891). 

*  ZüBUN,  Ber.  10,  2086,  2088  (1877). 

'  Dkmuth  u.  V.  Meyer,  Ann.  256,  28  (1889). 
^-  Kbykr  u.  Jaoobson,  org.  Chem.   I.  40 


626  Mehrwerthige  Amine  (Bntstehwig^weisen 


1)  Einwirkung  von  Dibalogenderivaten,  deren  Halogen- 
atome  an  verschiedenem  Eohlenstoffatomen  haften,  auf  Ammo- 
niak ^  (vgl.  S.  229  ff.),  z.  B.: 

CH,Br.CH,.CH,Br  +  2NH3  =  CH^NH,).CH,.CH,(NH,).2HBr . 

» 

Neben  den  primären  Diaminen  bilden  sich  auch  hier  secundäre  und  ter- 
tiäre Verbindungen*;  sie  besitzen  zum  Theil  ringförmige  Atomgnippirung, 
wie  das  aus  Aethylenbromid  entstehende  Diäthjlendiamin: 

CHji       CH2 
CHg       CHji 

dessen  nähere  Besprechung  daher  erst  unter  den  heterocyclischen  Ver- 
bindungen (Band  ET)  folgen  wird;  zum  Theil  sind  diese  Nebenprodukte  den 
Polyäthylenalkoholen  (S.  567)  analog  constituirt,  so  die  in  der  gleichen 
Eeaction  auftretenden  Basen: 

/CH,-CH,~NH,  CH,-  NH  •  CH, .  CH,  •  NH, 

NH<;  f 

\CHj— CH,-NHj  CH4-NH .  CH, .  CH,  -  NH, 

Difithylentriamin  Triäthylentetramin 

Die  Reaction  verläuft  in  Bezug  auf  die  Bildung  des  primären  Diamins 
günstiger,  wenn  man  einen  erheblichen  Ueberschuss  an  Ammoniak  an- 
wendet'. 

2)  Eeduction  der  Nitrile  zweibasischer  Säuren  mit  Natrium 
in  alkoholischer  Lösung*  (vgl.  S.  234): 

CH,-CN  CH,— CH^NH^ 

I  4-8H  =   I 

CH,-CN  CH,-CH,.NH, 

3)  Reduction  der  Oxime^  bezw.  Hydrazone^  von  Diketonen 
oder  Dialdehyden  (vgl.  S.  234—235): 

CH,.CH:NOH  CH,.CH,.NH, 

I  +8H=    I  -H2H,0; 

CHjCHiNOH  CH,.CH,.NH, 


*  Vgl.  Galbwskt,  Her.  23,  1066  (1890). 

»  Vgl.  A.  W.  HoFMAKN,  Jb.  1861,  5U,  519.  Ber.  3,  762  (1870);  23,  8299,  3711 
(1890).  —  Strache,  Ber.  21,  2359,  2864  (1888). 

^  Kbaüt,  Rhoüssopülos  u.  f.  Meyeb,  Ann.  212,  251  (1882).  ~  £.  Fisgheb  n. 
H.  Koch,  Ber.  17,  1799  (1884).  —  Lellmank  u.  Wübthneb,  Ann.  228,  226  (1885). 

*  Ladenbubo,  Ber.  18,  2957  (1885);  19,  780  (1886).  —  Phookan  u.  Kkafft,  Ber. 
25,  2258  (1892). 

*  CiAMiciAN  u.  Zanetti,  Bcr.  22,  1970,  3178  (1889);  83,  1790  (1890).  —  Anokj. 
Ber.  23,  1857  (1890). 

»  Tafel,  Ber.  22,  1858  (1889).  —  Tafel  u.  Neüoebauer,  Ber.  23,  1545  (18901 


und  Charakteristik),  627 


I  I 

CH.C :  NNH-CeH»  CH,CH.NH, 

I  4-8H=    I  +2NH2.CeH5. 

CH,.C:NNH.CeHg  CHj-CHNH, 

I  I 

CHj  CHj 

Bei  der  Eeduction  der  Nitrile  und  Hjdrazone  erhält  man  neben  den 
primären  Diaminen  durch  Ammoniakabspaltung  die  entsprechenden 
,,Imine"  (s.  S.  628),  z.  B.  aus  Trimethylencyanid  das  Piperidin: 

<CH) — CHj\ 
>NH, 
CH,-CH/ 

aus  dem  Hydrazon  des  Acetonylacetons  CHj-CO-CHj.CHj-CO-CHj  (vgl. 
oben  die  Gleichung)  ein  Dimethylpyrrolidin  : 

/CHg 
I  >NH. 

Den  Acetalen  entsprechende  Stickstoffverbindungen  bilden  sich  durch 
Einwirkung  von  secundftren  Aminen  auf  Oxymethylen  ^  (8.  400): 

CH,0  4-  2NTI(C,H5),  =  H,0  4-  CH^iNCC^H»),!, , 

durch  Einwirkung  von  8änreamiden  auf  Formaldehyd  oder  von  Quecksilberverbindungen 
der  Sflureamide  auf  Trithioformaldehyd>  (8.  423): 

(CHjS),  4- SHgCNH.COCHs),  =  SCHjCNHCOCHj),  4- 3Hg8  . 

Von  physiologischem  Interesse  ist  das  Auftreten  einiger  primären 
Diamine  (Tetramethylen-  und  Pentamethylendiamin)  bei  der  Fäulniss 
von  Fleisch  und  in  den  Dejectionen  gewisser  Kranken'. 

Charakteristik.  Die  primären  Diamine  sind  farblose,  flüssige  oder 
leicht  schmelzbare  Verbindungen  von  starkem,  theils  an  Ammoniak  theils 
an  Piperidin  erinnernden  Geruch,  rauchen  an  feuchter  Luft  schwach, 
ziehen  rasch  Kohlensäure  an  und  lösen  sich  in  Wasser  leicht.  Sie 
sind  starke,  zweisäurige  Basen  und  neutralisiren  die  stärksten  Säuren. 
Zum  Wasser  besitzen  sie  grosse  Affinität;  einige  bilden  constant  siedende 
Hydrate  (vgl.  Aethylendiamin,  S.  629),  aus  denen  die  wasserfreie  Base 
erst  durch  wiederholte  Destillation  über  metallischem  Natrium  oder  durch 
mehrstündiges  Erhitzen  mit  frisch  geschmolzenem  Aetznatron  abgeschieden 
wird*,  —  eine  Erscheinung,  welche  durchaus  dem  Verhalten  des  viel 
später  aufgefundenen,  einfachsten,  anorganischen  Diamids  NH^-NH^  ent- 
spricht 


^  KoLOTow,  Ber.  I80,  613  (1885).  —   Ehrsnberq,  J.  pr.  [2]  86,   118  (1887).  — 

'  PDLVfiRXACHKR,  Ber.  25,  804  (1892). 

'  Brieoeb-Ladknbüro.  Ber.  19,  2585  (1886);    20,  2216  (1887).  —    v.  Udbanbkt 

D.  Bauhahk,  Ber.   21,  2746,  2988   (1888).  —   Roos,   Ztschr.   f.   physiol.   Obern.   16, 

192  (1892). 

*  Vgl.  auch  A.  W.  Hopmann,  Ber.  6,  309  (1878). 

40* 


1 


628  Imine. 

Von  ihrem  chemischen  Verhalten  ist  als  wichtig  hervorzuheben  die 
Zersetzung,  welche  ihre  Chlorhydrate  beim  Erhitzen  erleidend  Unter 
Abspaltung  von  Salmiak  bilden  sich  die  in  ihrer  Constitution  den  Alkylen- 
Oxyden  vergleichbaren  yylmine^S  z.  B. : 

CHj— CHj .  NHj .  HCl  CHj — CHj\ 

I  =  NH^ClH-  I  >NH.HC1. 

CHj-CH, .  NHg .  HCl  CH,— CH/ 

Diese  Reaction  erfolgt  sehr  glatt  beim  Pentamethylendiamin,  das  einen 
sechsgliedrigen  Ring: 

/CHg — CHjv 
CHa<  >NH  (Piperidin) 

^CHj-CH/ 

liefert,  etwas  schwieriger  beim  Tetramethylendiamin,  dessen  Umwandlungs- 
produkt (Pyrrolidin,  s.  oben  die  Gleichung)  einen  fünfgliedrigen  Bing 
enthält;  die  Entstehung  des  viergliedrigen  Trimethylenimins 

CH,<         >NH 
\CH/ 

aus  Trimethylendiamin  ist  von  der  Bildung  complexerer  Verbindungen 
(Pikoline)    begleitet;    unter    den    Zersetzungsprodukten    des    salzsaureu 

Aethylendiamins*    endlich    findet    man    das    Aethylenimin      |        }NH 

CH,/ 

überhaupt  nicht  mehr  —  ofltenbar,  weil  der  dreigliedrige  Ring  eine  un- 
beständige Atomgruppirung  darstellt  (vgl.  S.  565,  570),  wohl  aber  das 
einen  sechsgliedrigen  Ring  aufweisende  Diäthylendiamin: 

/CHj  •  CHjv 
NH<  >NH . 

NCH^.CH,/ 

Ob  das  dem  Aethylenoxyd  entsprechende  Aethylenimin  existenzfähig  ist, 
ist  noch  eine  offene  Frage;  es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  die  aus 
Bromäthylamin  durch  Bromwasserstoflfabspaltung  entstehende,  S.  478  als 
Vinylamin  besprochene  Base  als  Aethylenimin  anzusprechen  ist;  ihi-e 
Entstehungsweise,  besonders  aber  ihr  Verhalten  würde  sich  dieser  Auf- 
fassung sehr  gut  anpassen. 

Sehr  bemerkenswerth  ist,  dass  das  durch  Reduction  von  Sebacin- 
säurenitril  erhältliche  Dekamethylendiamin  NH3-(CHj)ioNH2  beim  Er- 
hitzen seines  salzsauren  Salzes  eine  secundäre  Base  C^^N^^N  hefert, 
welche  höchstwahrscheinlich  die  Constitution  des  Dekametiiylenimins: 


^  Ladekbüso,  Ber.  18,  3100  (1885);  20,  442  (1887).  —  Ladenbubg  u.  Sebbcr, 
Ber,  23,  2727  (1890).  —  Tafel  u.  Neuoebauer,  Ber.  23,  1546  (1890).  —  Phookax 
u.  K&APFT,  Ber.  25,  2254  (1892). 

'  Ladenburq  u.  Abel,  Ber.  21,  758  (1888).  —  Majebt  u.  ScHMnyr,  Ber.  28,  8721 
(1890).  —  A.  W.  Hopmann,  ebenda,  3725.  —  Ladenburo,  ebenda,  8740. 


Aetliylendiamin,  Trintethylenäiamtn,  IHmethylenimin. 

CH,-CH,.CH,.CH,-CH,. 

I  >NH 

CHj  ■  CH,  ■  CH,  -  CH,  ■  CH/ 

besitzt,  mithin  einen  elfgliedrigen  ßing  in  ihrem  Moleeül  enth 
För  die  Abscheidung  und  den  NacbweiB  der  DiAmine  —  »dmentli 
logisch -chemischen  UnteiauchuDgen  —  ist  das  folgende  Verhalten  wie] 
man  die  wKserigc  LöBung  mit  Natronlauge  und  Benzojichlorid  C(Hg-C( 
die  Diamioe  selbst  aus  Susserat  verdünnten  Losungen  in  Form  ihrer  i 
löslicbeo,  aus  Weingeist  gut  kiyatalliairbaren  Dibenzo^lverbindangen,  ^ 
CO-C,H,)„  niedergeschlagen'. 

Einzelne  Olleder. 

Aetbrlenilamlii'  NH,-CH,-CH,-NH,  riecht  schwach  ammoniaka 
ätzend,  schmilzt  bei  -f-  B-5°,  siedet  bei  116'5°,  bedtzt  bei  15°  das  spe 
uod  i»t  in  Wasser  leicht  löslich,  mit  Benzol  und  Aether  nicht  mischbar. 
C,H,(NH,),.H,0  schmilzt  bei  4-  10*  siedet  bei  HS"  und  besitzt  bei 
Gew.  0-970;  der  DanpfdichtebeBtimmuDg  zufolge  siedet  es  unter  I 
Aetfaflendianiin  und  Wasser.  Mit  EesigsSureanhydrid  liefert  das  Aeth; 
Diacetjlverbindung  C,H4(NH'C0'CH,),  CSchmelzpunkt  172°),  welch 
Erhitzen  über  ihren  Schmelzpunkt  tbeilweise  in  das  essigsaure  Salz  dt 

CH, N. 

ÄClhylendiamins    |  >C-CH,  —  einer  bei  88°  schmelzenden, 

ch,-nh/ 

siedenden,  in  Wasser  und  Alkohol  leicht,  in  Aether  nicht  ISsUeheo  Bas 
Trimethrlendiamin'  NH,-(CH,),- NH,  siedet  bei  136°,  bildi 
Wnsser  unter  starker  Erwärmung  ein  Sliges  Gemisch,  ist  auch  mit  AI 
und  Beozol  mischbar,  greift  wasserirei  Gummi  und  Kork  rasch  an 
Irimethylendiamin*  CjHjCNH ■  CO ■  CH,),   (Schmelzpunkt  79°)   kann 

/CH, 1 

siureabspaltung   in    Aetheuyltrimethylendiamiu'  CHX 

\CH,-SI 
/CH,. 
äbereefäbrt  werden. —  Triinethjleiiliiiiii'CH,<  >NH  siedet  bei  6( 

\ch/ 

piperidinShnlich,    mischt   sich    mit  Wasser  und  Alkohol,    ist  sehr  hygr 
bildet  an  feochter  Luft  Nebel 


'  V.  ÜübAnskv  u.  Baomakn.  Ber.  21.  2745  (1888). 

'  CtOBZ,  Jb.  1863,  468.  —  Natassou,  Ann.  92,  48  (1854).  —  A. 
Jb.  1868,  384;  1861,  514,  517,  51S.  Ber.  4,  666  (1871);  6,  210  (18 
(1888);  28,  3723  (1S90).  —   Keadt,  EHODBeopi;i.ofl  n.  F.  Mefeb,  Ann.  31 

-  Lellmamn  u.  WttBTHBER,  Ann.  228,  226  (1885).  —  Gabriel,  Ber.  2C 

-  Fkamchikost  u.   Klobbie,    Eec.   trav.   chim.   7,    343  (1888).    —    See 
2912  (18»0). 

'  E.  PiscnBB  u.  H.  Koch,  Ber.  17,  1799  (1884).  Ann.  233,  222  (1 

1*1'^  u.  WüBTHKEB,    Ann.  22B,  226  (1885).    —    Fbanchwont   u.  Kiobb 

tliim.  7,  3*7  (1888).  —  Kbppieb  h.  V.  Meteb,  Ber.  26,  2638  (1892). 

'  SiRACHE,  Ber,  21,  2365  (tB88).        "  A.  W.  Hofmanm,  ebenda,  2 

*  Laoembubo  u.  Sieber,  Ber.  23,  2728  (1890).  ~  Vgl.  anch  Gabbi 

Efr.  21,  2677  (1888). 


630  Tetrafneihylefidiamin  etc 


Tetramethylendlarain^  oder  Patresein  NH,'(CH,)4-NH,  entsteht  —  ebenso 
wie  Pentamethjlendiamin  —  bei  FäulniBeproceasen,  schmilzt  bei  +  27—28®  mid 
siedet  bei  158  ^ 

Pentamethylendlamin'  oder  Cadayerin  NH9-(CH9)5*NH,  siedet  bei  178-179^ 
besitzt  bei  0^  das  spec.  Gew.  0*917,  riecht  nach  Piperidin  und  Sperma,  raucht  an 
der  Luft,  ist  in  Wasser  und  Alkohol  leicht,  in  Aether  schwerer  löslich  und  bildet 
kein  Hydrat 

Die  dem  Tetra-  und  Pentamethylendiamin  entsprechenden  Imine   werden  unter 
den  heterocyclischen  Verbindungen  behandelt  (vgl.  in  Bd.  II  Pyrrolidin  und  Piperidin). 

I>ekamethylendlamin>NH,-(CH,)iöNH,  (vgl.  S.  628—629)  schmilzt  bei  61  ö'. 
siedet  unter  12  mm  Druck  bei  140^.  —  Dekamethylenimin  CioH,iN  bildet  eine  schwach 
ammoniakalisch  riechende  Flüssigkeit,  siedet  unter  16  mm  Druck  bei  104—105®  und 
liefert,  mit  salpetriger  Sfiure  behandelt,  eine  Nitrosoverbindung. 

Halogenderivate  der  Amine. 

In  diesem  Abschnitte  sind  nur  solche  Halogenderivate  der  Amine  zu  besprechen, 
welche  zugleich  mehrwerthige  Substitutionsprodukte  der  Kohlenwasserstoffs  sind,  wie 
CH^BrCHaCNH,),  CH«Br.CHBr.CH,(NHj)  etc,  während  die  am  StickstoflF halogenir- 
ten  Aminderivate,  wie  C^Hj-NCl^,  schon  früher  (S.  240—241,  242,  243,  244)  Er- 
wähnung gefunden  haben. 

Im  Äreien  Zustand  sind  derartige  halogenirte  Amine  in  der  Begel  wenig  be- 
ständig und  verwandeln  sich  leicht  in  halogenwasserstoffsaure  Salze  von  halogen- 
freien  Basen,  z.  B.: 

/  CH,-CH,      \ 

CH.BrCHjNH,  =  CH^ : CH(NH,) . HBr      oder    \  /         ? 

\  NH.HBr     / 

CH|  •  CH2CI  CHg  •  CHjv. 

1  =    I  >NH.HC1. 

CK, .  CH, .  NU,        CH, .  CH/ 

Den  Ausgangspunkt  zur  Gewinnung  von  Monohalogenderivateu  des  Aethvl' 

amins  CH^X •  CH,(NH,)  bildet  das  Bromäthylphtalimid  CH,Br.CHj-N<^      ^C.H,, 

welches  nach  der  GABRiEL'schen  Keaction  (vgl.  S.  233—284)  durch  Einwirkung  ?on 
Aethylenbromid  auf  Phtalimidkalium  erhalten  wird.  Spaltet  man  dasselbe  durch  Er- 
hitzen mit  Brom  wasserstoffsäure,  so  resultirt  das  Bromhydrat  des  BromSthylamlns* 
CHsBr-CH2(NHs);  die  freie  Base  ist  ihrer  geringen  Beständigkeit  wegen  nicht  in 
reinem  Zustand  isolirt  worden;  sie  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich,  besitzt  stark 
alkalische  Eeaction  und  ekelhaften  Amingeruch  und  zieht  an  der  Luft  Kohlensäure 
an.    Bromäthylamin  ist  sehr  reactionsfähig;   das  Bromatom  wird  leicht  ausgetauscht 


'  Bocklisch,  Ber.  18,  1925  (1885).  —  Ladenburq,  Ber.  19,  780  (1886).  —  Brieoek 

V.  ÜDEÄN8KY  -  Baühann,  Bcr.  21,    2748,    2938   (1888).  — -    Ciamiciak  u.  Zanbtti,  Ber. 

22,  .1970  (1889).  —  Dekeers,  Rec.  trav.  chim.  0,  94  (1890).  —  Roos,  Ztschr.  f.  physiol. 

Chem.  16,  198  (1892). 

>  Ladenburg,  Ber.  16,  1151  (1883);  18,  2957,  3100  (1885);  19,  780,  2585  (1886); 

20,  2216  (1887).  —  Brieoer,  Ber.  16,  1188,  1405  (1883).  —  Bocklisch,  Ber.  18,  1924 

(1885).  —  v.  UdrAnsky  u.  Baumann,  Ber.  21,  2747  (1888).  —  Franchimont  u.  Klobbie, 

Rec.  trav.  chim.  7,  350  (1888).  —  Roos,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  16,  196  (1892). 

«  Phookan  u.  Krapft,  Ber.  26,  2252  (1892). 

*  Gabriel,  Ber.  21,  566,  1049,  1054,  2665  (1888);  22,  1139,  2220  (1889). 


Halogenderivate  der  Amüie,  631 


n    vielen   Beactionen  tritt  gleichzeitig  der  Amidrest  in  Reaction  und  veranlasst  da- 
iorch  die  Bildong  ringförmig  geschlossener  Molecüle,  z.  B.: 

CH,Br  CHj Ov 

I  +  (AgO),CO  =    I  >C0  +  2AgBr  +  H^O 

CHjNHj.HBr  CH,— NH^ 

I  +KS.C:N  =    I  >C:NH.HBr  +  KBr; 

CH^NHj.HBr  CHa-NH/ 

auch    bei   der  unter  der  Einwirkung   von  Silberozyd  erfolgenden  Bromwasserstoff- 
abspaltung  ist  vielleicht  nicht  Bildung  von  Vinylamin  (vgl.  S.  478): 

CHjBrCHjNH,  -  HBr  =  CHj-.CHNHj,, 

sondern  unter  Kingschliessung  Bildung  von  Aethylenimin  (S.  628): 

CHjBr.CHjNH,  -  HBr  =  CH,.CH, 

anzonehmen.   —   ChlorSthylamin  ^-^   CH,C1CH,-NH|  und   JodXthylamin  >  CU,J- 

CH^-NH,  entstehen  beim  Eindampfen  vonVinjlamin  (Aethylenimin)  mit  überschüssiger 

Chlor-  bew.  Jodwasserstoffsäure. 

Diesen  Halogenäthylaminen  entsprechende  quatemXre  Ammoniumsalxe*  erhält 

man  durch  Addition  von  Aethylenbromid  an  tertiäre  Amine: 

V  /CH,.C!H,Br 
(CHa),N  +  Br  -  CH,  -  CH,  •  Br  =  (CH3)8N<^  ; 

\Br 

vn  diesen  Additionsprodukten  können  die  beiden  Bromatome  durch  ihre  verschiedene 
Beweglichkeit  unterschieden  werden  (vgl.  auch  S.  685);  mit  Silbersalzen  reagirt  in 
der  Kälte  nur  das  an  Stickstoff  gebundene  Bromatom: 


(C1UN<^ 


CIij  •  Gli|Br  yCHj  •  Cxi^Br 

+  AgNO,  =  (CH,)sN<  +  AgBr  , 

Br  ^ONO, 


während  durch  Silberoxyd  in  der  Wärme  auch  das  zweite  Bromatom  als  Bromwasser- 
etoff  abgespalten  wird  (vgl.  Neurin,  S.  478 — 479): 

<CH)  •  CH j  •  Br  >CH  :  CHj 

4-  2Ag.0H  =  (CH3)s\<  +  2  AgBr  +  H,0  . 

Br  •  >0H 

Halogenderivate  des  Propylarains*  Aus  Phtalimidkalium  erhält  man  durch 
die  GABBiBL'sche  Reaction  (vgl.  S.  630)  unter  Anwendung  von  Trimethylenbromid 
^-Brompropylamin^  OHjBr-CHfCHs-NH,;  das  isomere  a-Brompropylamin'  CH,* 
CHBr*CH,*NH,  entsteht  durch  Addition  von  Bromwasserstoff,  Dibrompropylamin* 
CHfBr'CHBr>CH,-NH,  durch  Addition  von  Brom  an  Allylamin. 


*  GrABRiBL,  Ber.  21,  573,  1053,  1055  (1888).        >  Seitz,  Ben  24,  2627  (1891). 

«  A.  W.  HoFMANW,  Jb.  1859,  376.  —  Baeyer,  Ann.  140,  309  (1866);  142,  323 
(1867).  —  Lermontofp,  Ber.  7,  1253  (1874).  —  Ladbnbueg,  Ber.  16,  1147  (1882).  — 
HnTDESHAOEN,  J.  pr.  [2]  28,  245  (1883).  —  Bode,  Chem.  Centralblatt  1889,  I,  713. 
Ann.  267,  268  (1892).  —  Gabriel,  Ber.  22,  1140  (1889). 

*  Gabriel  u.  Weikeb  Ber.  21,  2671  (1888).  —  Gabriel  u.  Lauer,  Ber.  23, 
^0  (1890). 

*  Gabriel  u.  Weiker,  Ber.  21,  2674  (1888).  —  Ph.  Hirsch,  Ber.  23,  964  (1890). 
-  Elpeld,  Ber.  24,  3220  (1891). 

*  Henry,  Ber.  8,  399  (1875).  —  Paal,  Ber.  21,  3190  (1888),  —  Paal  u.  Her- 
HAN-x,  Ber.  22,  3076  (1889).  —  Partheil,  ebenda,  3317. 


632  Halogenderivate  von  Aminen, 


/-Chlorbutylamin'  CHsClCH^.CHs.CHjCNHj)  ist  auf  einem  Wege  erialiK, 
dessen  Ausgangspunkt  das  ^'-Chiorbutyronitril  bildet;  durch  Einvirknng  deaeel^ii 
auf  Phenolnatrium: 

CeHöONa  +  ClCHsCH.CHs.CN  =  NaCl  4-  C«H,.OCH,.CHi.CH,CN 

wurde  PhenozybutTronitril  hergestellt,  welches  durch  Natrium  in  alkoholischer  Lo^nuj 
zu  Phenoxybutylamin  C^H^  •  0  •  CH,  •  CH^  •  CH,  •  CHj  •  NHj  reducirt  wurde ;  letzteres  vir; 
durch  Erhitzen  mit  starker  Salzsäure  gespalten: 

CeH6.0.CH,.CH,.CH,.CHaNH2  +  HCl  =  CeHs-OH  +  C1.CH,.CH,.CH,.CH,M1,. 

Das  /-Chlorbutylamin  liefert  ein  farbloses,  hygroskopisches  Chlorhydrat  und  ver- 
wandelt sich  in  freiem  Zustand  in  Pyrroiidinchlorhydrat: 

CH^  •  CHjCl  CHj  •  CHov 

=    I  ■^NH.^Cl. 

CHj  •  CHg  •  NHj        CHj  •  CHj'''^ 

d  -  Chloramylamin «  CH,C1  •  CH,  •  CH,  •  CH,  -  CH,(NH,)  ist  auf  analogem  Wege  an? 
dem  Nitrii  der  Phenoxy valeriansäure  CeHg  •  0 •  CH,  •  CH,  •  CH,  •  CH,  •  CN  erhalten;  letoerv 
Säure  wurde  durch  Einwirkung  von  Trimethylenchlorbromid  auf  Phenolnatriom: 

CeH^.OXa  +  Br.CH,.CH,.CH,Cl  =  NaBr  +  CeH5.0CH,.CH,.CH,Cl 

und  Combination  des  so  entstandenen  Chlorpropylphenyläthers  mit  Natrinmmai'L- 
Säureester : 

CflH,.0.CH,.Cn,.CH,.CH(C0,.C,H6),  —    >-  CJ^^OCn,'Ca^'CB^CE,'C0M 

hergestellt.  Das  freie  5-Chloramylamin  verwandelt  sich  beim  Erhitzen  der  wfcsri.-n 
Lösung  im  Wasserbade  in  salzsaures  Piperidin: 

/CHjCHgCl  /CH,.CH,. 

CH,<:  =  CH,<  >NH.HC1. 

^CHj .  CH, .  NH,  ^CH, .  CH/ 

In  ganz  analoger  W^eise  sind  y-Brombutylamin  und  ^-Bromamylamin 
gewonnen*. 

Unter  den  Halogrenderivaten  ungres&ttigrter  Amine  sei  eine  Base  genanot. 
welche  aus  einem  Diazokörper,  der  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  an/m:r 
alkoholischer  Salzsäure  behandelte  Gelatine  entsteht,  durch  Zersetzung  mit  Jod  und 
darauffolgende  Behandlung  mit  Ammoniak  erhalten  ist.  Sie  besitzt  die  Zusammen- 
setzung eines  Dijodvinylamins*  CJ, :  CH(XH,),  krystallisirt  in  schwach  gelb»"!!, 
kleinen  Prismen,  zersetzt  sich  oberhalb  110^  und  ist  in  kaltem  Wasser  schwer,  in 
kochendem  leichter  löslich.  Unter  der  Voraussetzung,  dass  die  aus  Gelatine  ent- 
stehende Diazoverbindung  Diazooxyakrylsäureester  darstellt,  erklärt  sich  ihre  Bildung 
durch  die  Gleichungen: 

CX, :  C(OH) .  CO, .  C,Hß  +  J,  =  C  J,  :  0(011)  -  CO,  •  CA  +  X, , 
CJs :  C(0H).C0,.C,H3  +  NH3  =  CJ, :  CH(NH,)  +  CO,  +  C^H^lOH) . 

Aus  dem  Dibrompropylamin  erhält  man  durch  Bromwasserstoffentziehnng  mitt»  Uf 
alkoholischen  Kalis  Bromallylamin*  C8H4Br.XH2.  Halogenderivate  des  Di- 
ally  lamins*  bilden  sich  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Trihalogenhydrine,z.B.: 

2C3H5CI8  +  4NHs  =  (C8H4C1),XH.HC1  +  3NH4CI . 

1  Gabriel,  Ber.  24,  3231  (1891).         *  Gabriel,  Ber.  26,  415  (1892). 

»  Blank,  Ber.  25,  3044,  3047  (1892).         *  Büchner  u.  Cürtius,  Ber.  10,  850  ili^>^'^' 

*  Paal,  Ber.  21,  3190  (1888).  —  Paal  u.  Hermann,  Ber.  22,  3076  (1889).  - 
Partheil,  ebenda,  3317. 

«  Simpson,  Ann.  eh.  13]  66,  129  (1859).  —  Reboul,  Ann.  SuppL  1,  232(1^611- 
—  Enqler,  Ann.  142,  77  (1866).  —  Vgl.  auch  Pfeffer  u.  Pittio,  Ann.  136,  363  (1B6^^ 


Amidohydroxylverhindungen.  633 


Amidohydroxyl  Verbindungen. 

Terbindungen,  welche  einen  Amidrest  und  eine  Hydroxylgruppe  an 
das  gleiche  Kohlenstoffatom  gebunden  erhalten,  sind  die  durch  Addition 
von  Ammoniak  an  manche  Aldehyde  entstehenden  Aldehydammoniake; 
an  diese  schon  S.  393  besprochenen  Verbindungen  sei  hier  nur  erinnert. 
In  diesem  Abschnitt  sollen  Verbindungen  behandelt  werden,  deren  stick- 
stoffhaltiger Rest  und  deren  alkoholische  Hydroxylgruppe  an  verschiedene 
Kohlenstoffatome  gekettet  ist,  wie  NHjCHgCHj-OH  u.  a.  Im  Gegensatz 
zu  den  Aldehydammoniaken,  welche  mit  verdünnten  Säuren  unter  Ammoniak- 
abspaltung die  Aldehyde  regeneriren,  sind  diese  Oxyamine  oder  Amido- 
alkohole  beständige,  starke  Basen;  andererseits  zeigen  sie  die  Reactionen 
der  Alkohole;  so  können  sie  in  Ester  übergeführt  werden,  wie  (C3Hg)jN' 
CHa-CHj-OCO-CaH^. 

Für  die  tertiären  sauerstoffhaltigen  Basen,  wie  (C,He),N  •  CH,  -  CH,  •  OH,  hat 
Ladenbubq^  die  Bezeichnung  „Alkine",  für  die  ihnen  entsprechenden  Sftureester 
,,  A 1  k  e  1  n  e  "  vorgeschlagen. 

Bildungsweisen«  Für  die  Gewinnung  der  Oxybasen  bietet  sich 
als  selbstverständlicher  Weg  die  Einwirkung  der  Halogenhydrine 
auf  Ammoniak  bezw.  auf  Amine^  dar,  wobei  wieder  primäre,  secun- 
däre,  tertiäre  und  quatemäre  Ammoniakderivate  sich  bilden  können,  z.B.: 

CH,(0H).CH2C1  +  NH3  =  CH,(0H).CH,.NH,.HC1 
2CH,(OH).CHjCl  +  2NHj  =  {CH,(OH).CHst,NH.HCl  +  NH4CI 

CH.(0H).CH2C1 +  NH(C8H5),  =  CH,(0H).CH,.N(C,H5),.HC1 

CH,(0H).CH2.  V 
CH,(0H).CH,C1  +  N(CHs)8  =  >N(CH3)a. 

CK 

Auch  durch  Behandlung  von  Alkylenoxyden  mit  Ammoniak' 

erhält  man  primäre  Oxybasen  neben  secundären  und  tertiären: 

/\ 

CH,-CH,  +  NHg  =  CHs(OH).CH,.NH, 

3CH3-CH,  4- NHj  =  {CH,(OH).CH,|aN. 

Für  die  Darstellung  primärer  Oxybasen  kann  mit  Vortheil  die 
GABRiEL'sche  Phtalimidreaction*  benutzt  werden;  erhitzt  man  z.  B. 
Bromäthylphtalimid  CH2Br.CH2.N(C202)CgH4  (vgl.  S  630)  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  auf  200 — 220  ^^  so  erfolgt  zugleich  Spaltung  des  Imids 
und  Auswechselung  des  Bromatoms  gegen  Hydroxyl,  und  man  erhält 
Oxyäthylamin  OH2(OH)-CH3-NH2  neben  Phtalsäure. 

*  Ber.  14,  1876,  2126  Anm.  (1881). 

*  WüBTz,  Ann.  121,  228  (1862);  Suppl.  7,  88  (1870).  —  Morley,  Ber.  13, 
222,  1805  (1880).  —  Ladenburo,  Ber.  14,  1876,  2406  (1881).  —  Berend,  Ber.  17,  511 
(1884).  -  Radziszewski  u.  Schramm,  ebenda,  838.  —  Knorr,  Ber.  22,  2088  (1889). 

*  WüBTZ,  Ann.  114,  51  (1860);  121,  227  (1862). 

*  Gabriel,  Ber.  21,  567  (1888).  —  Gabriel  u.  Weiner,  ebenda,  2672.  —  Goedecke- 
«EYEK,  ebenda,  2690. 


634  Oxyäthylamin  tmd 


Zu  erwähnen  ist  endlich  die  Bildung  von  Oxybasen  durch  Wasser- 
anlagerung an  ungesättigte  Amine  ^vermittelst  concenü'irter  Schwefel- 
säure, z.  B.: 

Einzelne  OUeder.  Das  Oxyftthylamin  CHjjCOH)  CH,  NH, 
(Amidoäthylalkohol)  —  selbst  nur  in  Form  von  Salzen  untersucht'  — 
ist  von  Interesse  als  Stammsubstanz  natürlich  vorkommender  oder  zu 
Naturprodukten  in  naher  Beziehung  stehender  Verbindungen,  welche 
sich  durch  Einführung  von  Methylresten  in  seine  Amidgruppe  ableiten. 
So  entsteht  das  Oxyäthyldimethylamin»  CH2(OH)-CHjN(CH3),  (Siede- 
punkt 128 — 130^  bei  der  Spaltung  von  Derivaten  des  AlkaloTds  Morphin. 
Durch  Anlagerung  eines  dritten  Methylrests  resultirt  eine  quatemäre 
Ammoniumverbindung,  welchß  in  der  Natur  überaus  verbreitet  und  daher 
physiologisch  sehr  wichtig  ist. 

Cholin  wird  heute  gewöhnlich   diese  früher '  zuweilen  als  Sinkalin, 

Neurin,  Bilineurin,  von  Einigen*  auch  heute  noch  als  Neurin  bezeichnete 

Base  CgHjgNOj   genannt,    welche    eingehender    zuerst    von    Stbecesr^ 

untersucht,    ihrer    Natur    nach    als    Oxyäthyltrimethylammonium- 

hydroxyd: 

/CHs.CH,(OH) 
(CH3)3N<( 

von  Baeter®  und  Würtz^  erkannt  wurde.  Sie  bildet  einen  Bestandtheil 
des  Molecüls  der  Lecithine  (vgl.  S.  589 — 590)  und  wird  daher  aus  lecithin- 
haltigen  Theilen  des  thierischen  Organismus  in  Folge  von  Spaltungs- 
processen  erhalten,  so  aus  Galle ^'^y  aus  Gehirnsubstanz®'®,  aus  Eidotter^*^; 
auch  präformirt  findet  sie  sich  in  frischen  menschlichen  Cadavern^^  und 
in  der  Heringslake  ^^.  Im  Pflanzenreiche  ist  Cholin  sehr  verbreitet; 
durch  Spaltung  entsteht  es  aus  dem  AlkaloYd  des  weissen  Senfsamens" 
(Sinapin);  frei  kommt  es  im  Fliegenschwamm ^*,  im  Hopfen^*  (daher  auch 
in  Bierwürze  und  Bier^*^,  ferner  in  sehr  vielen  fetthaltigen  Samen  vor, 


*  Liebermann  u.  Paal,  Ber.  16,  .531  (1883). 

«  WuRTZ,  Ann.  121,  228  (1862).  —  Gabriel,  Ber.  21,  569,  2666,  2668  (1888). 
>  Ladenbuhg,  Ber.  14,  2408  (1881).  —  Knorr,  Ber.  22,  1114  (1889). 

*  Vgl.  Bunge,  Lehrbuch  d.  physiol.  u.  pathol.  Chem.  S.  79  (2.  Aufl.,  Leipzig,  1889). 

*  Ann.  123,  358  (1862).        «  Ann.  140,  306  (1866);  142,  322  (1867). 

^  Ann.  Suppl.  6,  116,  197  (1868).         »  Dtbkowsky,  J.  pr.  100,  153  (1867). 

»  Liebreich,  Ann.  134,  29  (1864).     Ber.  2,  12  (1869). 
"  DiAKONOW,  Jb.  1867,  776.        "  Brieger,  Ber.  17,  274  (1884). 
"  Bocklisch,  Ber.  18,  1922  (1885). 

*®  V.  Babo  u.  Hirhchbrunn,  Ann.  84,  22  (1852).  —  Claus  u.  Kees^,  J.  pr.  102, 
24  (1867). 

"  ScHMiEDBBERG  u.  Harnack,  Jb.  1876,  804. 

^*  Griess  u.  Harrow,  Ber.  18,   717  (1885). 

^^  Kieldahl,  Cöthener  Chem.  Ztg.     Repert.  1891,  237. 


Cholin.  635 

>o  im  Baumwollsamen  1,  Bockshornsamen ^,  Wickensamen'  und  in  den 
Arecantissen*.  Die  Constitution  des  Cholins  ergiebt  sich  aus  seinen 
synthetischen  Bildungs weisen;  es  entsteht  durch  Vereinigung  von  Aethylen- 
öxyd  mit  Trimethylamin  in  concentrirter  wässriger  Lösung,  sein  Chlor- 
hydrat durch  Vereinigung  von  Glykolchlorhydrin  mit  Trimethylamin 
(WuRTz);  für  die  Darstellung  bequem  ist  seine  Bildung  aus  dem  Ad- 
ditionsprodukt von  Aethylenbromid  und  Trimethylenamin  durch  successive 
Auswechselung  der  Bromatome  mittelst  Silbemitrat*  (vgl.  S.  631): 

/CH, .  CH, .  Br  .CHj  ■  CH,Br 

(CH3)8N<  +  AgNOs  =  AgBr  +  (CH,),N<( 

^Br  \0.N0, 

(in  d.  Kälte), 
/N .  CH, .  OH, .  Br  XH,  •  CH,(OH) 

tCIf3)3<  +  AgNOs  +  H,0  =  AgBr  +  HNO,  4-  (CHslsN^ 

^O.NO,  ^O.NO, 

(in  d.  Wanne). 

—  Das  Cholin  selbst  ist  als  syrupdicke  oder  sehr  zerfliessliche,  krystalli- 
nische  Masse  von  alkalischer  Reaction  erhalten;  von  seinen  Salzen  wird 
zur  Charakterisirung  gewöhnlich  das  Platindoppelchlorid*'* 
(C.Hj^N0Cl)j.PtCl4  benutzt,  das  aus  wässriger  Lösung  in  tafelförmigen, 
monoklinen,  wasserfreien  Krystallen  anschiesst.  Cholin  steht  in  naher 
Beziehung  zu  dem  S.  478 — 479  besprochenen  Neurin,  welch  letzteres 
bei  der  Fäulniss  vermuthlich  aus  dem  Cholin  durch  die  Lebensthatigkeit 
gewisser  Mikroorganismen  gebildet  wird®;  Neurin  und  Cholin  können 
auch  durch  künstliche  Processe  wechselseitig  in  einander  verwandelt 
werden;  beide  Basen  liefern  nämlich  durch  Einwirkung  von  Jodwasser- 
A.K&    die    gleiche    Verbindung    —    das     Trimethylamin- Aethylenjodid 

<GH|  •  GH^  J 
J 
welches  einerseits  durch  Einwirkung  von  Silbernitrat  in  Cholin,  anderer- 
seits, durch  Einwirkung  von  Silber oxyd  in  Neurin  übergeführt  werden 
kann.    Cholin  hat  femer  zum  Muscarin  (Kap.  37)  und  Betain  (Kap.  31) 
nahe  Beziehungen. 

Einige  cholinähnliche  Verbindungen  —  so  das  Homo  cholin' 

/CH, .  CHj .  CH, .  OH  /CHg  •  CH(OH)  •  CH,C1 

iCHaljNV  ,   Sepin    (CH,)3N< 

\0H  ^OH 

XH,.N(CH8)sOH 
und  Aposepin®  CH(OH)<;  —  sind  synthetisch  dargestellt 

\CH,.X(CH8)8.0H 

'  Böhm,  J.  pr.  [2]  30,  37  (1884).         «  Jahns,  Ber.  18,  2518  (1885). 

*  E.  ScHüLTZE,  Ber.  22,  1827  (1889).     Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,   205  (1892). 

*  Jahns,  Ber.  23,  2978  (1890).     Arch.  f.  Pharm.  229,  675  (1891). 

•^E.  Schmidt  u.  Bode,    Arch.  f.  Pharm.    229,  469   (1891).     Ann.    267,    268, 
BOO  (1891). 

*  Vgl.  E.  Schmidt  u.  Weiss,  Ai-ch.  f.  Pharm.  229,  481  (1891). 

'  Weiss, -Paetheil,  Ber.  22,  3321  (1889).     Ann.  268,  176  (1891). 
^  XiEMiLowicz,  Monatsh.  7,  249  (1886). 


636  Amidoäthylmercaptan,     Taurin, 


.CH(OH).CH,(OH) 
Ein    Oxycholin    oder    laomuscarin^    (CHj),N<f  ist  aus 

Neurin  durch  Addition  von  unt erchloriger   Säure   und   Behandlung  des   Additionä' 
Produkts  mit  Silberozyd  erhalten. 

Von  femereu  Oxyaminen  sei  erwähnt  das  Diamidohydrin'  CH2(NHJ'CH(0H)' 
CH)(NH,) ,  welches  aus  a-Dichlorhydrin  mittelst  der  Phtalimidreaction  gewinnbar  ist 

Amidomercaptane  und  Amidosulfosäuren. 

Wenn  man  das  in  den  letzten  Abschnitten  mehrfach  erwähnte  Brom- 
äthylphtalimid  Br-CHa-CH3.N(C302)CeH^  (vgl.  S.  630,  683)  mit  Kalium- 
sulfhydrat behandelt,  so  erhält  man  Mercaptophtalimid  SH-CHj-CHj- 
N(^2^2)^e^4  >  wßlch  letztere  Verbindung  bei  der  Spaltung  durch  Er- 
hitzen mit  Salzsäure  neben  Phtalsäure  salz  saures  Amidoftthyliner- 
captan^  SH-CHg-CHj-NB^j.HCl  —  ein  farbloses,  hygroskopisches,  in 
Alkohol  und  Wasser  lösliches,  bei  70 — 72^  schmelzendes  Salz  —  liefert; 
auch  das  entsprechende  Sulfid,  Disulfid,  Sulfoxyd  und  Sulfon  sind  dargestellt. 

Amldoftthylsulfos&ure  CH3(NH3)-CHa.S03H  ist  eine  physiologisch 
wichtige  Substanz;  sie  stellt  das  von  Tiedemann  u.  Gmelin  entdeckte 
Taurin*  (vgl.  S.  478)  dar,  welches  in  Verbindung  mit  Cholsäure  als 
Taurocholsäure  einen  Hauptbestandtheil  der  Galle  bildet,  daher  zuerst 
Gallenasparagin  genannt  wurde.  Die  Constitution  des  Taurins  klärte 
KoLBE  auf,  indem  er  es  aus  Isäthionsäure  (vgl.  S.  577)  synthetisch  dar- 
stellte: Isäthionsäure  CHj(OH)-CH2-S03H  wurde  durch  Phosphorpenta- 
chlorid  in  das  Chlorid  CHgCl-CH^-SOaCl  der  Chloräthylsulfsäure  über- 
geführt, letztere  Säure  CHgCl-CHa-SOa-OH  liefert  nun  beim  Erhitzen 
mit  Ammoniak  das  Taurin.  Taurin  krystallisirt  in  grossen  durchsichtigen 
Säulen  und  löst  sich  in  15-5  Th.  Wasser  von  12^;  es  reagirt  neutral 
und  ist  daher  wohl  als  „inneres  Ammoniumsalz"  aufzufassen,  in  dessen 
Molecül  der  basische  und  saure  Rest  sich  gegenseitig  neutralisiren: 

CHa— NHgV 

I  >0; 

CH,-SO/ 

so  erklärt  es  sich  auch,  dass  trotz  der  Gegenwart  der  Amidgruppe  das 
Taurin  nicht  die  Fähigkeit  besitzt,  mit  Säuren  zu  Salzen  zusammen- 
zutreten.    Dagegen  vermag  es  als  schwache  Säure  zu  fungiren  und  mit 


»  E.  Schmidt,  Bode,  Ann.  267,  253,  291  (1891). 

'  Claus,  Ann.  168,  37  (1873).  —  Goedbokemeyeb,  Ber.  21,  2690  (1888). 
>  Gabriel,  Ber.  22,  1137  (1889);  24,  1110,  3098  (1891).  --  Coblentz,  Ber.  24, 
2132  (1891). 

*  Tiedemann  u.  Gmelin,  Pogg.  9,  327  (1827).  —  Demab9Ay,  Ann.  27,  286  (18381. 

—  Pelouze  n.  DuMAfl,  ebenda,  292.  —  Redtenbachbb,  Ann.  67,  170  (1846);  66,  37 
(1848).  —  Strecker,  Ann.  Ol,  97  (1854).  —  Kolbe,  Ann.  122,  33  (1862).  —  Ekgel, 
Ber.  8,  830  (1875)  —  Salkowskt,  Ber.  7,  117  (1874).    —    tiANG,  Ber.' 9,  853  (18T6). 

—  Brieoeu,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  7,  35  (1882).  —  Gabriel,  Ber.  21,  2667  (188S). 


Gesättigte  Dicarbonsäuren.  637 


Metalloxyden  Sake  zu  bilden.     Durch  salpetrige  Säure  wird  Taurin  in 
[«^äthionsäure  übergeführt. 

Andere  dem  Taurin  ähnliche  Verbindungen  sind  synthetich  gewonnen  ^ 


Fünfundzwanzigstes  Kapitel. 

Die  gesättigten  Dicarbonsäuren. 

Allgemeine  Zusammensetzung  Cj^^j^__2^^^ 

Allgemeines. 

Die  Klasse  der  gesättigten  Dicarbonsäuren  —  Säuren,  deren  Molecül 
eine  oflene  Kohlenstoflfkette  mit  lauter  einfachen  Bindungen  und  zwei 
Carboxylgruppen  enthält,  —  umfasst  so  viele  und  andersartige  Glieder, 
dass  sich  eine  Eintheilung  in  mehrere  Gruppen  empfiehlt.  Einer  solchen 
Eintheilung  dient  zweckmässig  als  Grundlage  dasselbe  Princip,  welches 
schon  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  mehrfach  für  die  Systematik  der 
zweiwerthigen  Verbindungen  benutzt  wurde:  die  Rücksichtnahme  auf  die 
gegenseitige  Stellung  der  beiden  den  chemischen  Charakter  bestimmen- 
den Gruppen,  d.  h.  in  diesem  Falle  der  beiden  Carboxylgi'uppen,  da  von 
diesem  Umstand  das  Verhalten  der  Säuren  wesentlich  abhängig  ist. 

Wenn  man  von  der  Oxalsäure  COgH-COgH,  welche  beide  Carboxyl- 
gruppen direct  ohne  Zwischenglieder  mit  einander  verbunden  enthält, 
ausgeht  und  sich  nun  diese  beiden  Gruppen  zunächst  durch  ein  zwei- 
werthiges  Glied  CH^ ,  dann  successive  durch  immer  mehr  solche  Glieder 
getrennt  denkt,  so  erhält  man  die  folgende  Reihe:  • 

C3H2O4   =  COgH-COgH:  Oxalsäure 

CjH^O^  =  C02H-CH2-C02H:Malonsäure  (Methandicarbonsäure) 

C^HgO^   =  COgH  •  (0112)2  •  COjH  :Bernsteinsäure    (»w'-  Aethandicarbon- 

säure) 
CjHgO^  =  C02H-(CH3)3-C02H:Glutarsäure  (cöco'-Propandicarbonsäure) 
CgHjpO^  =  C02H-(CH2)4-C02H: Adipinsäure  (cocö'-Butandicarbonsäure) 
C^HjgO^  =  C02H-{CH3)ß-C02H:Pimelin8äur  e  (ft)ft)'-Pentandicarbonsäure) 
CgHj^O^  =  C02H-(CH2)ß -00211 :  Korksäure   («w'-Hexandicarbonsäure) 
CgHißO^  =  C02H-(CH2)7-C02H:  Azelainsäure  (««'-Heptandicarbonsäure) 
^10^1804=  C02H-(CH2)8 -00211 :  Sebacinsäure  («ry-Octandicarbonsäure) 

etc. 

Alle  Säuren  dieser  Reihe  enthalten  eine  üormale  Kohlenstoff  kette;  man 
tann  sie  daher  als  normale  Dicarbonsäuren  zusammenfassen;  ab- 
gesehen von   der   Oxalsäure,   lassen    sie    sich    alle    als  »co'-Dicarboxyl- 


*  Vgl.  DiTTBicH,  J.  pr.  [2]  18,  63  (1878).  —  James,  J.  pr.  [2]  31,  413  (1885);  34, 
3*8  (1886).  —  Gabriel,  Ber.  22,  2988,  2989  (1889).    —    Gabriel  u.  Lauer,  Ber.  28, 

^  {\m). 


638  Gesättigte  Dicarbonsäuren  (Mntheüung,  Elektrosynthese, 


Substitutionsprodukte  der  Grenzkohlenwasserstoflfe  betrachten.  Je  nach 
der  Stellung  der  beiden  Carboxylgruppen  kann  man  sie  als  u-,  ß-,  y-  etc. 
-Dicarbonsäuren  unterscheiden  (vgl.  S.  535,  569);  Oxalsäure  ist  die 
einzige  denkbare  or-Dicarbonsäure,  Halonsäure  eine  /9-Säure,  Bernstein- 
saure  eine  ^'-Säure  etc.  Im  Sinne  der  neueren  Nomenclaturrorschlage 
(vgl.  Anhang  am  Schlüsse  von  Band  I),  nach  welchen  die  Stellung  der 
Kohlenstoffatome  durch  Ziffern  statt  durch  griechische  Buchstaben  an- 
gegeben werden  soll,  wird  es  fortan  indess  wohl  gebräuchlicher  sein, 
die  Oxalsäure  als  1-2-Dicarbonsäure,  Malonsäure  als  1-3-Säure,  Bern- 
steinsäure  als  1*4-Säure  etc.  zu  bezeichnen. 

Man  kann  die  einzelnen  Glieder  dieser  Reihe  durch  eine  interessante 
Synthese  auf  elektrolytischem  Wege^  mit  einander  verknüpfen,  deren 
Verlauf  ganz  der  ParafQnsynthese  bei  der  Elektrolyse  der  Fettsäuren 
(vgl.  S.  126 — 127,  313)  entspricht.  Elektrolysirt  man  nämlich  das 
Alkalisalz  einer  Estersäure,  die  sich  von  einer  Dicarbonsäure  mit  nC- Atomen 
ableitet,  so  erhält  man  den  Ester  der  Dicarbonsäure  mit  2(n—l)C- Atomen: 
so  gelangt  man  von  der  Malonsäure  zur  Bemsteinsäure: 

CjHß.O.CO.CHjCO.K        CjHj.O.COCH, 

I       +2C0,  +  K, 
CjHs .  0 .  CO .  CH, .  CO.K        CjHs  •  0  •  CO  •  CH,  ^^— ' 

Anion  Kation; 

von  der  Bernsteinsäure  zur  Adipinsäure,  von  der  Glutarsäure  zur  Kork- 
säure etc. 

Von  jeder  einzelnen  normalen  Dicarbonsäure  —  mit  Ausnahme  der 
Oxalsäure  —  kann  man  sich  nun  eine  ganze  Reihe  von  homologen 
Säuren  abgeleitet  denken,  indem  die  Wasserstoffatome  der  Mittelglieder 
—  CHg —  durch  Alkylreste  vertreten  werden: 

/CO,H  .CO,H  CH,v       /CO,H 

CHs<  CH3.CH/  >C<  etc., 

^COjH  \CO,H  Cä'^     X)0,H 

Malonsäure  Methylmalons.  Methylfithylmalons. 

CH,-CO,H  CjHg-CH-COjH  .     (CHg),C— CO^ 

I  I  I  et€. 

CH,^CO,H  CH,-CO,H  CHa-CH-CO,H 

Bemsteinsäure  Aethylbemsteins.  Trimethylbemsteins. 

So  zerfällt  bei  dieser  Betrachtungsweise  die  Klasse  der  gesättigten  Di- 
carbonsäuren in  eine  Anzahl  einzelner  homologer  Reihen,  deren  jede 
von  einer  der  oben  zusammengestellten  normalen  Säuren  ausgeht 
und  durch  eine  bestimmte  gegenseitige  Stellung  der  Carboxylgruppen 
charakterisirt  ist. 

Von  den  gesättigten  Dicarbonsäuren  ist  die  Oxalsäure  und  Beni- 
steinsäure  in  der  Natur  ziemlich  verbreitet;  Malonsäure,  Glutarsäure 
und  Adipinsäure  sind  nur  höchst  selten  in  Naturprodukten  aufgefunden. 


*  Crfm-Bbown  u.  Walker,  Ann.  261,  107  (1890). 


(üigemeine  Eigenschaßen,  Schmelxpunkisregelmässigkeiten).  639 


Die  höheren  Glieder  (von  der  Glutarsäure  bis  zur  Sebacinsäure) 
werden  häufig  bei  der  Oxydation  hochmölecularer  aliphatischer  Ver- 
bindungen —  so  namentlich  der  Fette  und  Fettsäuren  —  mit  Salpeter- 
säure erhalten^.  Die  synthetischen  Bildungsweisen  bestehen  in  Modi- 
ficationen  schon  besprochener  Beactionen,  die  bei  den  einzelnen  Gruppen 
näher  erläutert  werden  mögen;  aus  den  synthetischen  Bildungsweisen 
ergiebt  sich  meist  in  bestimmter  Weise  die  Constitution  der  einzelnen 
Säuren. 

Alle-  gesättigten  Dicarbonsäuren  sind  feste,  gut  krystallisirbare,  in 
Wasser  —  abgesehen  von  den  höheren  Gliedern  —  meist  leicht  lösliche 
Substanzen  von  stark  saurer  Beaötion.  —  Mit  Wasserdämpfen  sind  sie 
nicht  flüchtig;  fiir  sich  können  die  Säuren,  deren  Garboxyle  durch  mehr 
als  drei  Kohlensto£fatome  von  einander  getrennt  sind,  unverändert  destillirt 
werden;  die  Säuren  dagegen,  deren  Garboxyle  einander  näher  stehen, 
erleiden  beim  Erhitzen  ganz  oder  theilweise  Zersetzung  —  theils  unter 
Abspaltung  von  Kohlensäure  und  Bildung  einbasischer  Säuren,  theils 
unter  Abspaltung  von  Wasser  und  Bildung  innerer  Anhydride  (vgl. 
S.  642,  645,  651,  655,  659,  665). 

In  der  Reihe  der  normalen  Dicarbonsäuren  findet  man  für  die  Schmelzpunkte* 
eine  eigenthümliche  Regelmässigkeit,  welche  an  die  Beobachtangen  in  der  Fettsfture- 
reihe  erinnert  (vgL  S.  310);  die  Glieder  mit  einer  paaren  Zahl  von  Kohlenstoffiitomen 
schmelzen  stets  höher  als  die  mit  einer  unpaaren  Anzahl;  sehr  merkwürdig  und  ab- 
weichend von  den  Verhältnissen  in  der  Fettsäurereihe  ist  es,  dass  in  der  Reihe  der 
paaren  Glieder  der  Schmelzpunkt  mit  wachsendem  Kohlenstofigehalt  sinkt,  umgekehrt 
in  der  unpaaren  Reihe  steigt,  so  dass  sich  die  Schmelzpunkte  in  beiden  Reihen  immer 
mehr  einander  nähern: 


Bemsteinsäure :  1 81 — 1 82  <^ 
Adipinsäure :  149— 149 .  5* 
Korksäure:  141^ 
Sebacinsäure:  133° 


Glutar8äure:97.5<» 
Pimelinsäure:  103  <^ 
Azelainsäure  :  107— 108  <> 


Dekamethylendicarbons :  124*5—125° 

Brassylsäure :  112° 
Dodekamethylendicarbonsäure :  123° 


Hexadekamethylendicarbonsäure :  118° 


^  Vgl.  Laurent,  Ann.  eh.  [2]  66,  154  (1837).  —  Bboksis,  Ann.  36,  86  (1840). 
—  Arppe,  Ztschr.  Chem.  1865,  295.  —  Gantteb  u.  Hell,  Ber.  13,  1165  (1886);  14, 
560,  1545  (1881);  17,  2212  (1884).  —  Noebdlinqeb,  Ber.  19,  1893  (1886).  —  Cakbtte, 
Compt  rend.  102,  692  (1886). 

•  Vgl.  Baeyeb,  Ber.  10,  1286  (1877).  —  Henry,  Compt.  rend.  100,  60,  943 
(1885).  —  XoBBDLiNOEB,  Ber.  23,  2359  (1890). 


640  BedetUung  der  DissoeiationsconsiarUen  K. 


Von  Interesse  ist  auch  ein  Vergleich  der  Werthe  der  Dissociationsconstante 
K  für  die  einzelnen  Glieder  in  dieser  Reihe*: 

Oxalsäure : ca.  10  Pimelinsäure: 0  00848 

Malonsäure :  0  •  1 68  Korksfture :  0  •  00298 

Bemsteinsäure  :  0  •  00665  Azelainsäure :  0  •  00296 

Glutarsäure :  0*00475  Sebacinsäure :  0-00271. 
Adipinsäure :  0- 00871 

£s   &llt  hier  namentlich  der  grosse  Abfall .  von  der  Oxalsäure  zur  Malonsäure  and 
von  der  Malonsäure  wieder  zur  Bernsteinsäure  auf. 

Die  Bedeutung  der  Dissociationsconstanten  K,  die  in  der  letzten  Zeit  zur 
Charakterisirung  von  Säuren  auf  Grund  von  Ostwald'b'  Untersuchungen  erhebliche 
Wichtigkeit  erlangt  haben  und  im  Folgenden  häufig  bei  den  betreffenden  Säuren  an- 
geführt werden  sollen  (vgl.  auch  S.  810 — 811),  möge  hier  kurz  erläutert  werden,  wenn 
auch  eine  eingehende  Ableitung  hier  nicht  am  Platze  ist.  Sie  geben  —  im  Sinne 
der  elektrolytischen  Dissociationstheorie  —  ein  Mass  für  die  Leichtigkeit,  mit  welcher 
in  wässriger  Lösung  die  Spaltung  der  Säuremolecüle  in  ihre  Ionen  erfolgt,  und  sind 
aus  Beobachtungen  über  das  elektrische  Leitvern^ögen  von  wässrigen  Lösungen  ver- 
schiedener Concentrationen  abgeleitet.  Es  ergiebt  sich  durch  Berechnung  dieser  Be- 
obachtungen zunächst  eine  Constante  k,  deren  doppelter  Werth  (2  k)  die  Concen- 
tration  in  Grammoleculargewichten  auf  1  Liter  Lösung  darstellt,  bei  welcher  der 
Elektrolyt  gerade  zur  Hälfte  dissociirt  ist  Da  diese  Constante  k  unbequem  kleine 
Werthe  besitzt,  so  giebt  man  unter  der  Bezeichnung  K  lieber  ihren  hundertfachen 
Werth  (100  k)  an.  Wenn  also  oben  für  Malonsäure  K  =  0-168  angegeben  ist,  so 
bedeutet  dies,  dass  eine  wässrige  Malonsäurelösung,  in  welcher  von  100  MalonsSore- 

0'163'2 
molecülen  50  dissociirt  sein  sollen,  auf  1  Liter     ---— —    88  g  Malonsäure   (88:Mole- 

cularge wicht  der  Malonsäure)  enthalten  muss. 

Wenn  eine  Säure  A  nun  z.  B.  eine  zehnmal  grössere  Dissociationsconstante  als 
eine  Säure  B  besitzt,  so  heisst  das  mithin:  die  Säure  B  bedarf  einer  zehnmal 
grösseren  Verdünnung  als  die  Säure  A,  um  bis  zu  demselben  Umfang  in  Ionen 
dissociirt  zu  werden.  Im  Sinne  der  elektrolytischen  Dissociationstheorie  hängt  nun 
auch  die  Fähigkeit  zur  Hervorbringung  von  chemischen  Umsetzungen  —  die  BeactioDS- 
fähigkeit  —  von  der  Anzahl  der  freien  Ionen,  die  eben  als  die  Träger  der  Eeac- 
tionsf^igkeit  betrachtet  werden,  ab;  eine  Säure  wird  demnach  in  wässriger  Losung  um 
so  wirksamer  sein,  je  leichter  sie  durch  Wasser  in  ihre  Ionen  gespalten  wird,  je  geringer 
die  zur  Hervorrufung  eines  bestimmten  Dissociationsgrades  nothwendige  Verdünnung, 
d.  h.  je  grösser  ihre  Dissociationsconstante  ist.  In  der  That  hat  es  sich  gezeigt^  dass 
die  aus  gewissen  chemischen  Vorgängen  —  wie  die  Verseifung  des  Methylaoetats 
(S.858),  die  Inversion  des  Bohrzuckers  (Kap.  86)  —  abgeleiteten  „Affinitätscoefficienten^' 
zu  einander  in  fast  genau  demselben  Verhältniss  stehen,  wie  die  aus  dem  elektrischen 
Leitvermögen  ermittelten  Dissociationsconstanten^,  man  darf  daher  letztere  auch  als 


*  Vgl.  Bbthmann,  Ztschr.  f.  physik,  Chem.  6,  401  (1890).  —  Walden,  ebenda, 
8,  448  (1891).  —  Ceum-Bbown  u.  Walkeä,  Ann.  261,  107  (1890). 

•  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  3,  170,  241,  869  (1889). 

'  Die  aus  dem  Theilungsverhältniss  einer  Base  gegenüber  zwei  Säuren  ab- 
geleiteten Coefficienten,  welche  die  „Avidität"  der  Säuren  angeben,  sind  indess  nicht 
direct  mit  den  Dissociationsconstanten  vergleichbar.  Vgl.  hierfiber  AitBHENnrs,  Ztschr. 
f.  physik.  Chem.  6,  11  (1890)^  10,  671  Ref.  Nr.  42  (1892). 


Derivate  der  xweibasisc^ien  Säuren.  641 


lass  für  die  Fähigkeit,  chemische  Beactionen  auszuüben,  als  „AMnitätsconstanten" 
•etrachten  und  mit  einigem  Rechte  z.  B.  die  Säure  A  zehnmal  stärker  als  die  Säure 
\  nennen.  Dag^en  darf  man  nicht  glauben,  dass  A  nun  unter  allen  Umständen 
ehnmal  stllrker  wirken  wird  als  B;  denn  einerseits  gelten  jene  Constanten  lediglich 
iir  wSssrige  Lösungen  und  dürfen  nicht  auf  andere  Lösungsmittel,  deren  dissociirende 
vraft  von  derjenigen  des  Wassers  abweicht,  übertragen  werden-,  andereraeits  muss 
nan  anch  für  wäsarige  Lösungen  beachten,  dass  der  Dissociationsgrad  bei  den  einzelnen 
^fiaren  in  verschiedener  Weise  durch  die  Concentration  verändert  wird,  und  dass 
Uher  z.  B.  für  gleiche  oder  äquimolecnlare  Concentrationen  das  Verhältniss  der 
Dissociations grade  in  der  Begel  ein  anderes  sein  wird  als  das  Verhältniss  der 
Dissociations  c  0  n  8 1  a  n  t  e  n. 

Von  den  zweibasischen  Säuren  leiten  sich  Derivate  in  gleicher 
Weise  ab  wie  von  den  einbasischen  (vgl.  S.  344  ff.);  sie  bilden  Chloride, 
Ester,  Amide,  Amidine  etc.: 


.COCl                        /CO,.  CA  .CONH., 

CHj<  CHX  CH,< 

\COCl                      '^COjCA  ^CONHs 

Malonjlchlorid  Malonsäureester  Malonamid 

Die  Gegenwart  zweier  Carboxylgruppen  im  Molecül  bedingt  aber  auch 
die  Möglichkeit  gemischter  Derivate.  Die  eine  Carboxylgruppe  kann 
ejiterificirt,  amidirt  werden,  während  die  zweite  unverändert  bleibt;  so 
entstehen  Estersäuren  und  Aminsäuren: 

COOCsHft  CO-NHj 

!  I 

COOK  CO. OH 

Oxalestersäure  Oxaminsäure 

Oder  jede    der   beiden    Carboxylgruppen   wird   in    verschiedener    Weise 
modificirt,  z.  B.: 

COO.CjHs 


CONH, 
Oxaminsäoreester 


Von  besonderem  Interesse  ist  der  Fall,  dass  durch  ßeaction  der 
beiden  Carboxylgruppen  auf  einander  ein  Derivat  mit  ringförmiger  Atom- 
gruppirung  entsteht.  So  sind  manche  Dicarbonsäuren  zur  Bildung 
..innerer  Anhydride"  durch  Wasserabspaltung  befähigt,  z.  B.: 


CHjCOOH  CH^-CO 

I  -  H,0  =  I 

CH^CO-OH  CHj— CO 


(Anhydridbildung  durch  Zusammentritt  zweier  Molecüle,  wie  bei  den  Fett- 
5^ättren,  ist  bei  den  Dicarbonsäuren  nicht  beobachtet).  Analoge  Ver- 
bindungen, in  denen  eine  Imidgruppe  NH<^     statt    des    Sauerstoffatoms 

den  Ringschluss  bewirkt,  leiten  sich  von  den  Amiden  und  Amidinen 
ab;  sie  werden  als  „Imide"  und  „Imidine*'  bezeichnet: 

^  Metkr  a.  Jaoobson  ,  org.  ChenL   I.  ^^ 


642  Bildung  von  inneren  Anhydriden 


CH,-COv  CH,~C/ 

I  >NH  I  >NH. 

Succinimid  Succinimidiu 

Die  Anhydridbildung  geht  bei  vielen  Dicarbonsäuren  schon  vollständig  dnrch 
Erhitzen  vor  sich;  in  anderen  Fällen  kann  sie  zweckmässig  durch  Behandlang  mit 
Acefylchlorid  bewirkt  werden  ^  —  Dnrch  Kochen  mit  Wasser  können  die  Anhydride 
in  der  Begel  in  die  Säurehydrate  zurückverwandelt  werden;  rasch  —  und  zuweilen 
unter  beträchtlicher  Wärmeentwickelung  —  vollzieht  sich  die  Hydratation  beim 
Digeriren  mit  rauchender  Salzsäure*. 

Die  inneren  Anhydride  und  die  Imide  stehen  zu  den  Dicarbonsäuren 
und  ihren  Amiden  in  derselben  Beziehung,  wie  die  Alkylenoxyde  zu 
den  Glykolen  (vgl.  S.  563 — 565,  570),  die  Imine  zu  den  Diamineu 
(vgl.  S.  628).  Bei  der  Besprechung  jener  Körperklassen  ist  hervor- 
getreten, dass  die  Abspaltung  von  Wasser  bezw.  Ammoniak  innerhalb 
eines  Molecüls  dann  besonders  leicht  eintritt,  wenn  dadurch  die  Bildung 
eines  flinf-  oder  sechsgliedrigen  Bings  herbeigeführt  wird.  Bei  den  Di- 
carbonsäuren finden  wir  nun  eine  schlagende  Beki-äftigung  dieser  Gesetz- 
mässigkeit. Oxalsäure,  Malonsäure  und  ihre  Homologen,  deren  Anhydride 
ein  drei-  bezw.  viergliedriges  Ringsystem  enthalten  würden,  sind  zur 
Anhydridbildung  überhaupt  nicht  fähig.  Dagegen  tritt  die  Anhydrid- 
bildung leicht  bei  der  Bemsteinsäure  und  der  Glutarsäure  sowie  den 
sämmtlichen  alkylirten  Homologen  dieser  Säuren  ein,  da  sie  hier  wieder 
die  Bildung  der  Complexe: 

C 

f/  ^r  C         C 

0 

zur  Folge  hat.  Die  Adipinsäure  dagegen,  die  ein  Anhydrid  mit  sieben- 
gliedrigem  Ringe  liefern  würde,  zeigt  die  Erscheinung  der  Anhydrid- 
bildung nicht  mehr,  ebenso  wenig  die  PimeUnsäure  etc.;  die  Neigung 
zur  Ringschliessung  verschwindet  demnach,  wenn  weniger  als  zwei  und 
mehr  als  drei  Kohlenstofi'atome  die  Carboxylgi'uppen  trennen. 

In  den  verschiedensten  Körperklassen  also  —  bei  den  Glykolen,  Di- 
aminen, Dicarbonsäuren,  vgl.  ferner  die  Oxysäuren  (£ap.  29),  Amidosäuren 
(Kap.  31)  —  trefi'en  wir  zahlreiche  Belege  für  die  allgemeine  Gültigkeit 
der  Erscheinung,  dass  gerade  Ketten  von  4  oder  5  Kohlenstoffatomeii 
besonders  leicht  durch  ein  Sauerstoffatom  oder  ein  Stickstoffatom  zu 
einem   ringförmigen  Complex   geschlossen    werden.       Wir   finden    sofort 


*  Vgl.  Anschütz,    Ann.  226,   1  (1884).    —    Vgl.  auch    Markownikow,    Bor.  13. 
1844  (1880). 

2  VoLHARD,  Ann.  267,  51  (1892). 


und  Imiden  aiis  Dioarbonsäuren, 


648 


eine  Erklärung  dieser  höchst  interessanten  Thatsache  bei  Berück- 
sichtigung der  räumlichen  Verhältnisse  des  Kohlenstoffatoms^  (vgl.  S.  88). 
Wenn  man  an  den  untenstehenden  Zeichnungen  oder  besser  am  Modell 
die  Systeme  von  2,  8,  4  und  5  Kohlenstoffatomen  ohne  Ablenkung  der 
Valenzen  in  denjenigen  Configurationen,  die  dem  Ringschluss  am  günstig- 
sten sind,  betrachtet,  so  erhellt,  dass  die  Bindestellen  der  endständigen 
Eohlenstoffatome  beim  Zwei-  und  Dreikohlenstoffsystem  ziemlich  entfernt 
von  einander  sind,  während  sie  beim  Vierkohlenstoffsystem  zwischen  sich 
nur  noch  etwa  soviel  Raum,  wie  von  einem  Kohlenstoffatom  beansprucht 


wird,  lassen  und  beim  Fünfkohlenstoffsystem  fast  zusammenfallen.  Denken 
wir  uns  nun  die  beiden  endständigen  Kohlenstoffatome  durch  ein  mehr- 
werthiges  Atom  von  dem  Kohlenstoffatom  ähnhchen  Dimensionen  ver- 
bunden, so  wird  dies  beim  Zwei-  und  Dreisystem  nur  unter  starker 
Ablenkung  der  Valenzen  möglich  sein,  beim  Viersystem  aber  gar  keine, 
beim  Fünfsystem  nur  eine  geringe  Ablenkung  erfordern.  Aus  der  Ueber- 
einstimmung   dieser  Ueberlegung   mit   der    oben    besprochenen    Gesetz- 


*  Vgl.  WisLicEMus,  Abhdlgn.  d.  kgl.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss.,  24,  67  (1887). 
-  V.  Meysr,  Ber.  23,  614  (1890). 

41* 


644  Ooccdscmre. 


mässigkeit  kann  man  auch  mit  Wahrscheinlichkeit  folgern,  dass  die  Di- 
mensionen des  Sauerstoflfatoms  und  Stickstoflfatoms  nicht  von  anderer 
Ordnung  wie  diejenigen  des  Kohlenstoffatoms  sind. 

I.  Oxalsäure  (Kleesäure):  G^B^O^  =  COaH-COjH . 

Die  Oxalsäure  gehört  zu  den  am  frühesten  bekannt  gewordeneu 
organischen  Säuren;  schon  am  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  war  das 
Vorkommen  ihres  sauren  Kaliumsalzes  im  Sauerklee  (Oxalis)  beobachtet; 
näher  charakterisirt  wurde  die  Säure  1773  von  Savaby,  1776  von  Schekle 
und  Beegman,  1779  von  Wiegleb. 

Oxalsäure  ist  in  Form  ihrer  Salze  —  namentlich  als  saures  Kalium- 
salz und  Calciumsalz  —  im  Pflanzenreiche  sehr  verbreitet;  so  findet  sie 
sich  im  Sauerklee,  Sauerampfer,  Rhabarber,  in  fast  allen  Pilzen  etc. 
Calciumoxalat  ist  ein  überall  vorhandener  Bestandtheil  der  Zellwände 
und  findet  sich  auch  häufig  im  Inneren  der  Zellen  krystallisirt  ab- 
gelagert ^. 

Eine  Reihe  von  theoretisch  interessanten  Bildungsweisen  fuhrt  von 
einfach  constituirten  Substanzen  zur  Oxalsäure.  Man  erhält  ihre  Alkali- 
salze beim  Ueberleiten  von  Kohlensäure  über  Natrium  und  Kalium^  bei 
etwa  360*^  durch  directe  Vereinigung: 

2C0j  +  Na,  =  NaOCO-COONa. 

Erhitzt  man  die  Älkaliformiate  unter  möglichstem  Abschlüsse  der  Luft 
stürmisch  über  400**,  so  entstehen  unter  Wasserstoffentwickelung  die 
Oxalsäuren  Salze  in  sehr  reichlicher  Menge  ^  (vgl.  S.  318): 

2H.C0.0Na  =  2H  +  CO,Na.CO,Na. 

Auch  durch  Oxydation  mit  Salpetersäure  entsteht  aus  Ameisensäure 
unter  gewissen  Bedingungen  Oxalsäure*.  —  Das  Cyan  N:C-C:N  kann 
als  Nitril  der  Oxalsäure  aufgefasst  werden  und  liefert  dementsprechend 
unter  der  Einwirkung  verseifender  Mittel  Oxalsäure  bezw.  Oxamid^.  — 
Aus  Perchloräthan  Gfil^  (8.  556)  entsteht  Oxalsäure  durch  längeres 
Erhitzen  mit  Kali®. 

Die  Oxalsäure  ist  die  höchste  Oxydationsstufe  des  Complexes  zweier 
Kohlenstoffatome;  man  beobachtet  daher  sehr  häufig  ihre  Bildung,  wenn 
complicirtere  organische  Verbindungen  durch  kräftige  Oxydations Wirkungen 
in  kleinere  Bruchstücke  zerfallen,  z.  B.  bei  der  Oxydation  der  Zucker- 
arten mit  Salpetersäure^. 


^  Ueber  Bildung  der  Oxalsäure  in  der  Pflanze  vgl.  Habtig,  Liehrb.  d.  Anat  u. 
Physiol.  der  Pflanzen  (Berlin  1891),  S.  51—52.   —  Wehmer,  Ann.  269,  383   (1892). 

"  KoLBE  u.  Drechsel,  Ann.  146,  140  (1868). 

»  Merz  u.  Wetth,  Ber.  15,  1507  (1882V  *  Ball6,  Ber.  17,  9  (1884). 

*  Vgl.  Liebio,  Ann.  113,  246  (1860).  —  Sohmitt  u.  Glutz,  Ber.  1,  66  (1868).  - 
VoLHARD,  Ann.  158,  118  (1871).  —  Radziszewski,  Ber.  18,  355  (1885). 

«  Geüther,  Ann.  111,  174  (1859).        '  Vgl.  Thompson,  Jb.  1847/48,  498. 


Oxaiaäare, 

Auch  unter  der  Einwirkung  schmelzender  Alkalien  biL 
säure  ans  vielen  organischen  Verbindungen  durch  Spaltuü 
lieber  Menge  aus  Cellulose,  Stärke,  Kleie'.  Hierauf  ber 
übliche  technische  Darstellungsmethode*  der  Oxalsäure; 
^tiirke  Kalilauge  so  viel  Sägespähne  ein,  dass  ein  dicker 
der  nun  auf  eisernen  Platten  ausgebreitet  und  allmäblii 
Temperatur  erhitzt  wird;  die  Schmelze  wird  dann  mit 
gelaugt,  aus  der  Lösung  durch  Kochen  mit  Kalkmilch  ux 
niedergeschlagen,  und  aus  letzterem  durch  Zersetzung  mit 
die  freie  Oxalsatu'e  gewonnen.  Man  kann  bei  dem  Schm 
Aetzkali  nicht  vollständig  durch  Äetznatron  ersetzen;  es  ist 
worden,  ein  Gemisch  der  beiden  Alkalien  zu  verwenden; 
man    allgemein  lediglich  mit  Aetzkali  zu  arbeiten. 

Aus  Wasser  krystallisirt.  stellt  die  Oxalsäure  farbh 
Pnsmen  dar  und  enthält  2  Mol.  Krystallwasser,  die  bei  1( 
ülier  Schwefelsäure  entweichen.  Die  krystallisirte  Oxalel 
hei  101 -5".  Die  wasserfreie  Säure*  kann  bei  vorsieht! 
tlieilweise  unzersetzt  sublimirt  werden;  bei  stärkerem  Er 
sif  in  Kohlensäure  und  Ameisensäure  bezw.  Kohlensäun 
und  Wasser'  (vgl.  S.  316);  im  Capillarröhrchen  schmilzt' 
Sie  zieht  begierig  Wasser  .an  und  kann  daher  als  wassi 
Mittel  benutzt  werden^  {vgl.  S.  31"  die  Darstellung  wasserfi 
säure).  lüO  Th.  Wasser  lösen'  bei  20"  8-8  Th.  Oxalsäur 
freie  Säure  berechnet),  100  Th.  absol.  Alkohol  bei  15"  2c 
Tli.  Aether  1-27  Th.  In  grösseren  Gaben  wirkt  Oxalsäui 
Durch  Erhitzen  mit  concentrirter  Schwefelsäure  zerfi 
in  Kohlensäure,  Kohlenoxyd  und  Wasser.  Die  vollständ 
m  Kohlensäure  wird  durch  kochende  Salpetersäure  nur 
Wwirkt,  dagegen  erfolgt  sie  momentan  bei  Behandlung  m 
nianganat  in  schwefelsaurer  Lösung  —  ein  Umstand,  der  1 
der  Maassanaijse  benutzt  wird. 

In  der  analytischen  Chemie  wird  Oxalsäurelösung  als 
ilir  Ammonsalz  als  ßeagens  benutzt.  Technisch  wendet  n 
und  einige  Salze  derselben  als  Beizen  in  der  Druckerei  und 
von  ihren  Salzen  sind  praktisch  am  wichtigsten  das  saure  K 
neutrale  Kaliumsalz  (zur  Herstellung  des  ,.Eisenoxalatentw 
S.  64H]  gebraucht)  und  das  Antimonoxydkaliumoxalat. 


'  V^l.  PoeaoK,  Compt.  rend.  47,  207,  648  11856). 

'  Vgl,  Tboks.  J.  pr.  12]  8,  182  (1814). 

'  Rambbuoer  u.  Altbaubse,  Ber.  21,  1901  Aom.  1^1888). 

'  Vg].  V:lliek8,  Bull.  33,  415  (1880).         *  Lorin,  Ber.  9,  638  ■ 

'  Vgl.  AkscbOtz,  Ber.  17,  1078  (1884). 

'  BoPMOiK,  Bull.  29,  243  (ISIS).  —  Miczvn8ki,  Monatali.  7,  25. 


646  Oxalsäure  Salze  (Oxalate), 


Von  den  Salzen  der  Oxalsäure^  (Oxalaten)  sind  nur  die  der 
Alkalien  in  Wasser  erheblich  löslich.  Charakteristisch  ist  bekanntlich 
das  in  Wasser  und  Essigsäure  unlösliche,  in  Salzsäure  lösliche  Galcinm- 
salz  GaCjO^,  dessen  Fällung  als  Reagens  auf  Kalk  einerseits,  auf  Oxal- 
säure andererseits  benutzt  wird. 

Neutrales  Kaliumoxalat  C,K,04  +  H,0  löst  sich  in  3  Th.  Wasser  von  16«. 
Das  aus  vielen  Pilanzensftften  gewinnbare  saure  Kaliumoxalat  C^HKO«  bedarf 
26  Tb.  Wasser  von  S^  zur  Lösung.  Das  im  Handel  befindliche  Klee  salz,  welches 
früher  aus  Pflanzensäften  dargestellt  wurde,  heute  durch  partielle  Neutralisation  ?on 
Oxalsäure  mit  Kaliumcarbonat  erhalten  wird,  besteht  gegenwärtig  meist  aus  über- 
saurem  Kaliumoxalat'  C^HKO« . CtH^O«  +  211,0;  man  verwendet  es  bekanntlich 
zur  Entfernung  von  Tinten-  und  Eostflecken,  seine  Wirksamkeit  beruht  auf  der 
Bildung  löslicher  Kaliumeisenoxalate. 

Die  Natriumoxalate  sind  schwerer  löslich;  saures  Natriumoxalat 
C'^HNaO^  +  HgO  bedarf  67- 5  Th.  Wasser  von  10 ^  zur  Lösung. 

Silber  Oxalat  C^AgsO«  ist  in  kaltem  Wasser  nur  sehr  wenig,  in  heissem  Wasser 
etwas  mehr  löslich;  erhitzt  man  es  vorsichtig,  so  beginnt  es  bei  100^  sich  zu  zer- 
setzen und  hinterlässt  bei  150^  reines  metallisches  Silber;  bei  plötzlichem  Erhitzen 
detonirt  es  (vgl.  S.  483). 

Kaliumantimon  Oxalat  wird  in  der  Färberei  als  Antimonbeize  verwendetV 

Kalium ferrooxalat^  KtFeCCfO«),  -f  H,0  besitzt  ein  ausserordentlich  kräftiges 
Keductionsvermögen;  so  reducirt  es  Platinchlorid  und  Silbemitrat  vollständig  zu 
Metall;  hierauf  beruht  die  Wirksamkeit  des  für  photographische  Zwecke  sehr  viel 
gebrauchten  „Eisenoxalatentwickelers*S  der  durch  Vermischen  der  Lösungen  von 
Eisenvitriol  und  neutralem  Kaliumoxalat  bereitet  wird. 

Zahlreiche  Doppelsalze,  wie  z.  B.  KeFojCCjOJe  +  öHgO,  KeCr,(C,04)6+  6IL0. 
K3Cr2(C204)4  +  10H,0,  leiten  sich  vom  Ferrioxalat  und  vom  Chromioxalat  ab; 
sie  sind  als  Salze  complexer  Säuren^  —  Eisenoxalsäure,  Chromoxalsäure  —  anfinifasBen. 

Derlyate  der  Oxalsäure.  In  der  Tabelle  Nr.  34  auf  S.  647  sind 
mehrere  Derivate  der  Oxalsäure  zusammengestellt. 

Das  Chlorid  der  Oxalsäure  Gl -CO  «CO -Gl  kann  nicht  in  gewöhnlicher  Weise 
aus  dem  Säurehydrat  bereitet  werden;  Phosphorpen tachlorid  zersetzt  die  Oxalsäure 
unter  Entziehung  von  Wasser  in  Kohlensäure  und  Kohlenoxyd  ^,  indem  es  selbst  in 
Phosphoroxychlorid  übergeht  (bekanntlich  eine  Darstellungsmethode  des  Phosphor- 
oxychorids).  In  unreinem  Zustand  ist  neuerdings  Oxalylchlorid  durch  Einwirkung  von 
Phosphorpentachlorid  (2  Mol.)  auf  Oxalsäurediäthylester  (1  Mol.)  gewonnen  worden*. 

Ein  'Anhydrid  der  Oxalsäure  ist  nicht  bekannt. 


*  Vgl.  besonders:  Soüchay  u.  Lenssen,  Ann.  99,  81  (1856);  100,  308  (1856); 
102,  35,  41;  103,  308  (1857);  105,  245  (1858).  —  Alluard,  Ann.  185,  292  (1865).  - 
—  StIdeler,  Ann.  151,  13  Anm.  (1869).  —  Svensskn,  Ber.  3,  314  (1870).  —  Colliw, 
ebenda,  315.  —  Nichols,  Ghem.  News  22,  14,  244,  (1870).  —  Franz,  J.  pr.  [2]  5,  302 
(1872).  —  Clarke,  Ber.  14,  2232  (1881).  —  Salzer,  Ann-  223,  13  (1884).  —  Werker. 
Journ.  Soc.  51,  383  (1887);  53,  404,  602  (1888).  —  Seuhert  u.  Rauter,  Ber.  25, 
2821  (1892). 

^  Vgl.  BiscHOPF,  Ber.  16,  1347  (1883). 

»  Vgl.  Jb.  1886,  2183,  2184;  1888,  1747. 

*  Vgl.  Eder  u.  Valekta,  Jb.  1880,  324.  —  Eder,  Ber.  13,  500  (1880). 

^  Vgl.  auch  P^cHARD,  Oompt.  rend.  108,  1052  (1889)  über  Oxalmolybd&nsäure. 
Gerhardt,  Ann.  87,  67  (1853).        ^  Fauconnier,  Compt  rend.  114,  122  (1892j. 


Derivate  der  Oxalsäure, 


647 


Unter  den  neutralen  Estern  ist  das  leicht  krystallisirbare  Dimethyloxalat 
CiO^ffiH^)^  hervorzuheben,  das  mit  Vortheil  zur  Gewinnung  von  reinem  Methylalkohol 
ivgL  S.  154)  benutzt  wird.  Im  Gegensatz  dazu  ist  das  Diäthyloxalat  C204(C,H5), 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig  (vgl.  S.  150,  167). 

Tabelle  Nr.  34. 


Name 


II 


Formel 


Spec. 
Gewicht 


Hmethyloxalat»-»  ....    I  CHj.O.CO.CO.O.CHg 
Hithylojuüat  «-^^'-hmut   '  q^jj^  .  0  -  CO  •  CO  •  0  •  CjHj 


c,Hb.o.co.co.oh 

CsH^OCOCOCl 


lethyloxalsÄure**"?"'***^ . 
„    -Chlorid  »•-"•" 
Hehlorglykolsänrefithyl- 

e?ter" 'CjHj.OCCljCO.O.CjHs 

'etrafithylhalborthooxalat"  i  (CjH^  •  0)^0  •  CO  •  0  •  C^Hg 
ymmetr.  Dimethylox-         ! 

amid «-i»- «•»«   ! CHg •  NH •  CO •  CO •  NH •  CH, 

Diäthylox-  | 

amid«»~"w  . 

^xaminsäure  •*""'*••*•    .  . 

„         -äthylester  (Ox- 

amäthan)  i»-»-»*— >»•**•*» . 

Kmethyloxaminsfture- 

äthylester****' 

)i&thyioxaminaftureäthyl- 

ester"*^»« 

>xal-imidoÄthyläther"  .  . 
hal-ainidoxim*<^-^""    .  . 


CjHg.NH.COCONHCjHs 
NHj.CO.COOH 

NHjCO-CO.OCA 

(CH8),N.CO.CO.O.C,H5 

(C,H5)5,N.CO.CO.O.C,H5 
(C,H60)(NH:)C.C(:NHX0.CjH5) 
(NH, .  XOH  N :  )C .  C( :  N .  OHX  •  NH2) 


+  54« 
flüssig 


+  217*» 

179<> 
210<» 

114—115'^ 


ca.  +25<^ 
196  <> 


163« 

185« 

11 7«  (15mm) 

135—136« 

84«  (10mm) 
98  «(12  mm) 


242—245« 

253—254« 
ca.  170« 


1-148(54«) 
1. 086  (15«) 

1.217(20*0 
1-222(20«) 

1-232(20«) 
1-002(20«) 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  34:  *  Eblenmeteb,  Jb.  1874,  572.  —  *  Mala- 
üi-n,  Ann.  82,  49  (1839);  37,  66  (1841).  J.  pr.  37,  430  (1848).  —  "  Cahoubs,  Ann. 
64,  313  (1848).  —  *  Pübdie,  Ber.  20,  1555  (1887).  —  *  Wegeb,  Ann.  221,  86  (1883).  — 
«  WuRTZ,  Ann.  eh.  [3]  30,  464,  490  (1850).  —  ^  Löwio,  J.  pr.  83,  129  (1861).  — 
^  Cahoubs  u.  Dehabcat,  Compt.  rend.  83,  688  (1876).  —  «  Düvillier  u.  Buisine,  Ann. 
eh.  [5]  23,  296  (1881).  —  ^«  Schatzky,  Ber.  18  o,  221  (1885).  -  "  Brühl,  Ann.  208, 
27  (1880).  —  "  Pebkdi,  Joum.  Soc.  45,  508  (1884).  —  "  Eohis,  Ber.  4,  580  (1871). 

-  '*  Debüs,  Ann.  166,  109  (1872).  —  "  Mitscheblich,  Pogg.  33,  332  (1834).  — 
"  Ahschütz,  Ber.  16,  2412  (1883).  Ann.  264,  1  (1889).  —  "  Henry,  Ber.  4,  599 
(1871).  —  "  E.  Fischer,  Ann.  215,  296  (1882).  —  *«  Franchimont,  Reo.  trav,  chim. 
2,  96  (1883);  4,  196  (1885).  —  ««  Mylius,  Ber.  17,  291  (1884).  —  »*  Henry,  Compt  rend. 
100,  946  (1885).  —  "  A.  W.  Hopmann,  Ber.  3,  779  (1870).  —  "  Wallach,  Ann. 
184,  7,  33,  50.  70  (1877).  —  **  Schipp,  Ber.  17,  1034  (1884).  —  "  Balard,  Ann.  42, 
196  (1842).  —  "  ToussAiNT,  Ann.  120,  237  (1861).  —  «^  Coppet,  Ann.  137,  105  (1866). 

—  »  Engel,  Compt  rend.  79,  808  (1874).  —  *«  Enqström,  J.  pr.  68,  433  (1855).  — 
^  Bacaloolio,  J.  pr.  81,  379  (1860).  —  ^^  Ost  u.  Mente,  Ber.  19,  3229  (1S86).  — 
"  V.  Pecbmann  u.  Wehsarg,  Ber.  21,  2990  (1888).  —  "  Oelkers,  Ber.  22,  1566,  2385 
(1889).  —  »*  Dumas  u.  P6liqot,  Ann.  15,  46  (1835).  —  **  Weddiqe,  J.  pr.  [2]  10, 
196  (1874).  —  w  A.  W.  Hofmann,  Jb.  1861,  495;  1862,  329.  —  »^  Ladenburo,  Ber. 
14,  2130  (1881).  —  ««  Wallach,  Ann.  214,  268  (1882).  —  »«  Pinner  u.  Klein,  Ber.  11, 


648  Derivate  der  Oxalsäure, 


1481  (1878).  —  *<^  E.  FiscHEB,  Ber.  22,  1931  (1889).  —  **  Tikmann,  Ber.  22, 1936, 
2942  (1889);  24,  801  (1891).  —  "  Ephraim,  Ber.  22,  2306  (1889).  —  *»  Zinkeisen,  ebenda, 
2946.  —  "  Dumas,  Ann.  eh.  \2]  54,  241  (1838).  —  ^^  Liebio,  Ann.  9,  131  (1834).  - 
**  Mathieu-Plessy,  Compt.  rend.  109,  653  (1889).  —  *'  Lewy,  J.  pr.  37.  482  (184(1. 
—  "  Ostwald,  J.  pr.  [2]  32,  371  (1885).  —  *»  Lossen  u.  Köhler,  Ann.  262,  2o2 
(1890).  —  *<^  Peratoner  u.  Strazzeri,  Ber.  24c,  574  (1891).  —  ®^  Claisen  u.  Zedel, 
Ber.  24,  127  (1891).  —  "  Vorlander,  ebenda,  810. 

Die  EstersSuren  (Alkyloxalsäuren),  wie  CjHs-OCO.COOH,  erhält  man 
neben  den  neutralen  Estern  duich  Einwirkung  von  entwässerter  Oxalsäure  auf  Al- 
kohole; aus  den  neutralen  Eltern  erhält  man  durch  Erwärmen  mit  concentiiiter 
Kaliumacetatlösung  leicht  die  Kaliumsalze  der  Estersäuren.  Die  Estersäuren  sind 
wasserhelle  Flüssigkeiten,  welche  in  Berührung  mit  Wasser  in  Oxalsäure  und  Alkohol 
zerfallen,  unter  vermindertem  Druck  unzersetzt  destillireu,  dagegen  durch  Destillation 
bei  gewöhnlichem  Druck  unter  Bildung  von  Ameisensäureestern  und  neutralen  Oxal- 
säureestem  zersetzt  werden. 

Bei  der  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  (1  Mol.)  auf  die  neutralen  Oxal- 
säureester (1  Mol.)  wird  ein  Sauerstoffatom  durch  zwei  Chloratome  ersetzt,  und  e? 
entstehen  die  unter  vermindertem  Druck  destillirbaren  Dichlorglykolsäureester. 
wie  CgHg-O-CClg-CO'OCjHj.  Letztere  liefern  bei  der  Destillation  unter  gewölin- 
lichem  Druck  durch  Abspaltung  von  Chloralkyl  die  Chloride  der  Alkyloxal- 
säuren, wie  Cl-CO-CO'OCjHj,  andererseits  durch  Einwirkung  von  Natrium- 
alkoholaten  Halborthooxalester,  wie  (CjHs-OljCCO.O-CjHg. 

Das  Nitrll  der  OxslsKnre  CN-CN  ist  das  später  zu  besprechende  Cyan  (Kap.  401. 

Oicamid^  NHg-CO-CO-NHj  entsteht  aus  dem  Cyan  durch  Wasseranlagerong, 
umgekehrt  aus  dem  Ammoniumoxalat  durch  Wasserabspaltung  (beim  Erhitzen).  Es 
stellt  ein  weisses,  lockeres,  krystallinisches  Pulver  dar,  das  in  Wasser,  Weingeist  und 
Aether  fast  ganz  unlöslich  ist;  bei  7-3°  bedarf  es  2700  Th.  Wasser  zur  Losung. 
Beim  Erhitzen  über  180'  sublimirt  es  zum  Theil  unzersetzt,  ohne  vorher  zu  schmelzen: 
zum  Theil  zerfällt  es  in  Cyan  und  Wasser. 

Die  alkylirten  Oxamide  sind  viel  löslicher,  so  löst  sich  symmetr.  Dimethyl- 
oxamid  bei  9°  in  41  Th.  Wasser. 

Oxamiusänre  (vgl.  d.  Tabelle  auf  S.  647)  XH^- CO- CO- OH  wird  durch  Erhitzten 
von  saurem  Ammoniumoxalat  erhalten ;  sie  stellt  ein  weisses  lockeres  Pulver  dar,  das 
in  71  Th.  Wasser  von  14°  löslich,  in  absolutem  Alkohol  und  Aether  fast  unlöslich  ist. 
Ihr  Ammoniumsalz  —  in  kaltem  Wasser  wenig  löslich,  prismaüscheKrystalle  —  ent- 
steht durch  Kochen  von  Oxamid  mit  wässrigem  Ammoniak.  —  Ihr  Aethylester 
(Oxamäthan)  NH^ •  CO •  CO •  0 •  CjHs  wird  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Am- 
moniak auf  Oxalsäureester  erhalten. 

Alkyl-Derivate  des  Oxamids  und  Oxaminsäureesters  (vgl.  Tabelle) 
entstehen  durch  Einwirkung  von  primären  und  secundären  Aminen  auf  Oxalsäureee>ter 
und  können  zur  Trennung  der  Amine  verwendet  werden  (vgl.  S.  281). 

Auf  die  symmetrisch  dialkylirten  Oxamide  wirkt  Phosphorpentachlorid^  zunficliat 
wohl  unter  Bildung  von  Amidchloriden  ein,  z.  B.: 


1  Dumas,  Ann.  eh.  [2]  44,  129  (1830);  54,  244  (1833).  —  Likbio,  Ann,  9,  VI. 
129  (1834);  118,  246  (1860).  —  Playpair,  Jb.  1849,  293.  —  Dessaignbs,  Ann.  82, 
233  (1852).  ~  Geüther,  Ann.  109,  72  (1859).  —  Toüsi>aint,  Ann.  120,  238  (ISHl). 
—  Attfield,  Ann.  128,  128  (1863).  —  Scheitz,  Marsh  u.  Geuthbr,  Ztschr.  Chem. 
1868,  302.  —  Radziszewski,  Ber.  18,  355  (1885).  —  Henry,  Compt.  rend.  100,  948 
(1885).  —  Matthieu-Plessy,  Compt.  rend.  109,  653  (1889). 

*  Wallach,  Ann.  184,  33  (1877);  214,  257  (1882). 


Derivate  da-  Oxalsäure. 

CO-NH-CH,  CCU-NH-CH, 

I  -—*-         I 

CONHCH,  CCljNHCH, 

lit!  aber  sehr  leicht  drei  MolecOle  BalzBSnre  verlieren  und  in  cl 
-  .,ChloroxaUne"  —  übei^ehen;  so  entsteht  aaa  Dimethyloiamid 
jiethylin  C4HJCIN,.  Die  Ghloroxaline  liefern  bei  der  Redaction  11 
jiiter   Austausch   des   Halogenatoma    gegen  Wasseratoff  Olyoxaline  1 

Ihloroxalmethylin  z.  B.  Methjlglyoialin  (\HjX,  =  ,  >CH. 

CH-N< 

CO. 
Eine  Subalanz  von  der  Zusamnieusetzung  dea  Oxalimids'    |      y 

Erhitzen  von  O:iamins&ore  mit  Phosphorpenlaehlorid  oder  Pbosp] 
halten.  Bie  kryatalliairt  in  schön  ausgebildeten,  stark  glänzenden,  fa 
ift  in  kaltem  Wasser  sehr  wenig  löslich,  in  heissem  mehr,  leichter 
moniakwasaer,  reagirt  neutral,  wird  durch  Kochen  mit  Wasser  ra» 
vciQ  Oxamid  und  Oxalsäure  zereetzt  und  UefeiC  mit  eoucentrirtem  wfisi 
tfiamid.  Das  Mo lecularge wicht  dieser  Verbindung  ist  noch  nicht 
daher  nicht  ausgeschlossen,  dass  in  ihr  ein  Polymeres  des  Oialimidt 
Das  TUokmld  der  Oxalsäure  CSNH^CSNH,  entsteht  du 
von  Cyan  mit  SchwefelwaBBerstoff  und  ist  Rubeanw assers tof: 
bildet  kleine  gelbrothe,  glänzende  Krystalle,  ist  in  Wasser  kaum,  in 
in  verdünnten  Alkalien  leicht  löslich;  das  Natriumsab  ist  anfangs 
sich  aber  beim  Liegen  an  der  Luft  raacb. 

Durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  überschüssige 
naveanwasscratoff  CNCSNH,  -  halb  NJtril,  halb  Thioamic 
die  Substanz  krjBtallisirt  aus  Chloroform  in  gelben,  6achen  Nadeln. 


II.    Malonsäurc  and  ihre  Homologen. 

Die  Malonsänre  CjH^O^  =  COjH-CHjCO.H  (Metl 
säure)  ist  zuerst  von  Debsaiqnes*  1858  bei  der  Oxjdatii 
säure  mit  chromsaurem  Kalium  beobachtet  worden  und  hi 
Namen  erhalten.  Natürlich  gebildet  findet  sie  sich  im  R 
iliter  Darstellung  (Näheres  vgl.  S.  650}  geht  man  stets  ' 
■äure  aus*,  als  deren  Carboxylsubstitutionsprodutt  die  J 
trachtet  werden  kann;  man  verwandelt  Essigsäure  in  i 
ilerivat,  setzt  letzteres  mit  Cyankalium  um  und  veneift 
t'yauessigsäiire,  welche  man  übrigens  nicht  zu  isoliren  bri 


'  Ost  u.  Mentb,  Ber.  19,  322B  (1866). 

'  WOuLBB  u.  LtEBiQ,  Pogg.  24,  167  (1832).  —  Voelckel,  Ann 
-  WoLmEB,  J.  pr.  [2]  29,  129  (1S84).  —  Wallach,  Ber.  13,  529  (1 
'iii  IIS9I).  —  EpBKiJx,  Ber.  22,  2305  (1889).  —   Foemanek,  ebenda, 

'  VoBLCKEL,  Ann.  3B,  919  (1841).  —  AnbcbI'tz,  Ann.  264,  262 

'  Ann.  107,  251.         '  v.  Lippkann,  Her.  14,   1183  11881). 

'  KoLBE.  Ann.  181,  348  (1964).   —  H.  MOLlkb,  ebenda,  360. 


650  Malonsäure  und 


CH3  CHjCl  CHj.CN  CHjGO.H 


CO,H  CO,H  COaH  COjH 

Essigsäure  Chloressigs.  Cyanessigs.  Malonsäure 

diese  Reactionen  stellen  nur  einen  speciellen  Fall  der  allgemeinen  Me- 
thode dar,  WasserstoflFatome  durch  Carboxylgruppen  zu  ersetzen.  — 
Theoretisch  interessant,  aber  praktisch  bedeutungslos  ist  auch  der  folgende 
Weg^  von  der  Essigsäure  zur  Malonsäure,  welcher  die  Einfuhrung  der 
zweiten  Carboxylgruppe  durch  Einwirkung  von  Kohlensäure  selbst  gestattet; 
Essigsäure  giebt,  mit  Anilin  NHg  •  C^Hg  erhitzt,  Acetanilid  CH3  •  CO  •  NH- C^Hg 
(Phenylacetamid),  das  leicht  in  die  Natriumverbindung  CHgCO-NNa-CgH. 
übergeführt  werden  kann;  das  Natriumacetanilid  absorbirt  nun  in  der 
Kälte  Kohlensäure  unter  Bildung  von  acetylphenylcarbaminsaurem  Natrium: 

/CO-CHg  /CO-CHs 

^Na  \CO,Na 

und  letzteres  Salz  lagert  sich  beim  Erhitzen  auf  130 — 140^  derart  um, 
dass  die  Carboxylgruppe  in  den  Acetylrest  eintritt; 


.CO  •  CHg  /CO  •  CH,  •  CO.Na 

CeH,.N<;  >-         CeH,N<; 

\CO,Xa  \H 

es  entsteht  malonanilsaures  Natrium,    das  durch  Verseifung  Anilin  und 
Malonsäure  liefert. 

Darstellung'  von  Malonsäure  bezw.  Malonsäurediäthylester.  Eine 
Lösung  von  100  g  Monochloressigsäure  in  200  com  Wasser  wird  mit  76  g  Kaliom- 
carbonat  neutralisirt,  dann  mit  75  g  Cyankalium  von  98  ^/q  versetzt  und  bis  zum  Ein- 
treten der  ziemlich  lebhaften  Reaction  erwärmt.  Handelt  es  sich  nun  um  die  Dar- 
stellung der  freien  Säure,  so  versetzt  man  mit  dem  doppelten  Volum  concentrirter 
Salzsäure,  sättigt  das  Gemisch  mit  gasförmiger  Salzsäure,  giesst  vom  Chlorkaliam 
und  Chlorammonium  ab,  dampft  im  Wasserbade  ein  und  entzieht  dem  Rückstand 
die  Malonsäure  durch  Aether.  Will  man  dagegen  den  Ester  gewinnen,  so  dampft 
man  das  Reactionsgemisch,  welches  Chlorkalium  und  cjanessigsaures  Kalium  enthält  auf 
dem  Sandbade  unter  Umrüliren  ein,  bis  ein  in  die  Salzmasse  tauchendes  Thermometer 
ca.  185°  zeigt,  pulvert  nach  dem  Erkalten,  übergiesst  mit  Alkohol  (Vs  des  Grewichts 
der  Salzmasse),  sättigt  unter  Erwärmen  im  Wasserbade  mit  Chlorwasserstoff,  giesst 
dann  nach  dem  Erkalten  in  Eiswasser  und  schüttelt  den  Malonsäureester  mit  Aether 
aus;  aus  der  ätherischen  Lösung  gewinnt  man,  nachdem  sie  gewaschen  und  g^ 
trocknet  ist,  durch  Verjagen  des  Aethers  den  Malonsäureester,  welcher  durch  Reeti- 
fication  gereinigt  wird. 

Malonsäure  krvstallisirt  in  triklinen^  Tafeln  und  schmilzt  bei  133  bis 
134^;  erhitzt  man  sie  im  Vacuum  auf  eine  den  Schmelzpunkt  nicht  völlig 


^  Seipfert,  Ber.  18,  1358  (1885). 

»  FiNKELSTEiN,  Ann.  133,  339  (1865).  —  Franchimont,  Ber.  7,  217  (1874V  - 
Grimaux  u.  Tscherniak,  Bull.  31,  ."338  (1879).  —  v.  Miller,  J.  pr.  [2]  19,  326  (1879). 
—  Conrad,  Ann.  204,  121  (1880).  —  Bourqoin,  Bull.  33,  572  (1880).  —  Claisex 
u.  Venable,  Ann.  218,  1^1  Anm.  (1883). 

*  Heintzel,  Ann.  139,  131  (1866).  —  Haushofer,  Jb.  1880,  781. 


Malonsäweeat^.  661 

rreicliende  Tempei-atar,  so  subliniirt  sie  zum  Theil  unTerändert '.  100  Th. 
iVasser  lösen  bei  16*  138  Th.  Säure";  auch  in  Alkohol  ist  sip  !«><>.>>( 
üslich. 

Gegen  Temperaturen,  die  nur  wenig  ihren  SchmelzpunI 
-teigen,  ist  Malonaäure  nicht  beständig;  auf  etwa  140—150* 
{ersetzt  sie  sich  unter  Aufschäumen  und  wird  glatt  in  Kohlensi 
E^säigsävtre   gespalten: 

CO,HCH,-CO,H  =  CO,  +  H.CH,CO,H  . 
Eine  analoge  Spaltung  erleiden  alle  Homologen  der  Malonsi 
steht  demnach  offenbar  im  Znsammenhang  mit  der  Stellung  de 
Carboxylgruppen  zu  einander.  Zwei  Carboxylgruppen  köi 
einem  und  demselben  Eohlenstoffatom  bei  höheren  T* 
tureii   nicht  haften. 

Von  concentrirter  SalpeteraÄure  wird  Maiansfiure  schon  in  der  Kulte 
Wickelung  von  2  Mol.  Kohlensäure  zersetzt*. 

Die  Malonsänre  erlangt  besonderes  Interesse  und  grosse 
keit  durch  das  eigenthümliche  Verhalten  ihrer  Ester.  In  dense 
uämlich  die  beiden  in  der  mittelständigen  Methylengruppe  bei 
W assers to ffatome ,  durch  die  Stellung  zwischen  den  beiden  ( 
gnippeu.  ähnlich  wie  dies  schon  bei  den  Nitroverbindungen  (S. 
Poljsulfonen  (S.  420,  573)  hervorgehoben  wurde,  selbst  ,,ac 
Diese  Wasserstoffatome  können  demzufolge  durch  Natrinmatc 
treten  werden  —  Natrium  entwickelt  aus  Malonsäureester  bei 
badwärnae  energisch  Wasserstoff.  Da  die  Natriumverbindungen 
Olganischen  Halogenverbindungen  in  sehr  glatter  Weise  doppi 
>etiiHngen  eingehen,  wie  z.  B.: 

(C,H,0-CO),CHNa  + JCH,  =  NaJ  +  (C,H50.C0),CH-CH, 
iC,H,-0.00),CHNa  +  C|.CH,-CO,-C,Hs  =  NaCl +  (C,HjO-CO),CH.CHj. 

Ml  bietet  der  Malonsäurediäthylester  einen  vortrefflichen  Äusga 
lur  Synthesen  organischer  Säuren.  Seit  Conkad*  zuerst  im  J 
ati  die  Untersuchungen  über  die  in  ganz  analogen  Verhältni 
gründeten  Aceteasigestersynthesen  (vgl.  Kap.  39)  von  dieser  ^ 
liarkeit  des  Malonsäureesters  umfassenden  Gebrauch  machte 
ilieser  Ester  zu  den  meistbenutzten  Hülfsmitteln  bei  organisi 
beiteu,  TJeber  die  Ausführung  der  Malonsäureesterreactionen  i 
^.  655.  —  Auch  durch  Einwirkung  eines  Gemisches  von  Z 
ilixialkylen  *  auf  Malonsäureester  lassen  sich  solche  Synthesen  1 

'  Krafpt  u.  Noebdunoeb,  Ber.  22,  816  (188B|. 

'  BotTHooiN,  Bull.  33,  423  (1880).  —  Miczvnski,  Monatsh.  7,  258  (188 
'  FaiNCHiMONT,  Rec.  trav.  cliim.  3,  422  (18Sil. 
'  Vgl.  Ann.  204,  127  (18B0|. 

'  Daimler,  Ber.  20,  203  (18871.     Ami.  249,  173  (1888).  —   Fükth,  M 
Kj,  Ber.  21i:,  57  (18S8). 


652  CJonstitution  des  Nairiummalonsäureesters, 


Die  hier  benutzte  Auffassung  von  der  Constitution  der  Natrium- 
Verbindungen  des  Malonsäureesters  und  ähnlicher  Natriumverbindungen, 
die  sich  auf  die  Annahme  stützt,  dass  unter  gewissen  umstanden  aL 
Kohlenstoff  gebundene  Wasserstoffiatome  durch  Natriumatome  vertretbar 
werden,  besitzt  den  Vorzug,  die  Umsetzungen  dieser  NatriumverbindungeL 
in  sehr  einfacher  Weise  zu  erklären.  Sie  ist  viele  Jahre  hindurch  fa^ 
widerspruchslos  der  Interpretation  der  betreffenden  Erscheinungen  ^ü 
Grunde  gelegt  worden. 

In  neuester  Zeit  wird  sie  von  einigen  Autoren  bekämpfte.  Für  die 
Natriumverbindungen  des  Malonsäureesters  wird  von  ihnen  nicht  die 
gleiche  Structur  angenommen,  wie  für  den  Ester  selbst;  vielmehr  s«»!! 
die  Bildung  derselben  auf  der  Addition  von  Natriumäthjlat  und  darauf 
folgender  Abspaltung  von  Alkohol  im  Sinne  folgender  GleichuDgLi 
beruhen : 

A„  \ONa  I  ^ONa 

^^^  +  CÄONa  =  CHj  =    CH  +  C^Hj-OH 


CO.OCjHg  cooaHB        COOC.H, 


COOCHs  CvOCjHö       C< 

I  "  !  ^ONa  i:^ONa 

CH,  +  2C,H5.0Na  =  CHj  =0  +  2C,H6-OH. 

I  i  /ONa  II  /ONa 

CO-O-CÄ  cC-O.CjHb       0< 

\O.C,H,  ^O.CjHs 

Die  Umsetzungen  mit  Halogenalkylen  werden  dann  derart  erklärt,  da^^ 
zunächst  Addition  von  Halogenalkyl,  darauf  Abspaltung  von  Halogen- 
metall angenommen  wird: 

.OCA  /O.C,H,  /O.C.Hs 

c<  C:^ONa  c<C 

CH  +  CsHjJ  =    CHCjHs       =  ÖHC^Hß       +  NaJ  . 

COO.C.Hg  COOCjHj       COOCjHj 

Aehnliche  Annahmen,  deren  gemeinsames  Merkmal  darin  besteht,  dass 
man  die  Metallatome  als  nicht  an  Kohlenstoff,  sondern  an  Sauerstoff 
(oder  event.  Stickstoff)  gebunden  betrachtet,  werden  zur  Erklärung  der 
Metallverbindungen  der  Nitroäthane,  des  Acetessigesters  (Kap.  39),  des 
Cyanwasserstoffs  (Kap.  40)  etc.  vorgebracht. 

Dem  gegenüber  muss  betont  werden,  dass  in  Folge  der  Existenz  der 
Metallverbindungen  der  Acetylenkohlenwasserstoffe  (S.  456,  459 — 46U), 
deren  Molecüle  neben  Kohlenstoffatomen  nur  die  einwertliigen  Wasser- 
stoff-   und  Metallatome    aufweisen   und   daher   die  Metallatome    nur   an 

*  Michael,    J.  pr.  [2]  37,  496  (1888);    46,   194  (1892).  —    Nef,  Ann.  266,  «7. 

113  (1891);  270,  330  (.1892). 


Sähe  utid  Derivate  der  Modotisäure.  653 


Kohlenstoff  gebunden  enthalten  können,  die  Möglichkeit  der  Vertret- 
barkeit von  an  Kohlenstoff  gebundenen  Wasserstoffatomen  durch  Metall- 
;itome  unzweifelhaft  feststeht. 

Es  muss  aber  andererseits  zugestanden  werden,  dass  die  übliche  Er- 
klärung (S.  651),  nach  welcher  in  dem  Malousäui-eester  und  ähnlichen  Verbin- 
dungen die  an  Kohlenstoff'  gebundenen  Wasserstoffatome  sauren  Charakter 
durch  die  Nachbarschaft  elektronegativer  Gruppen  erlangen  sollen,  keine 
Hechenschaffc  darüber  giebt,  warum  z.  B.  Methylenchlorid  CHgCIg  nicht 
m  dem  Malonsäureester  analoges  Verhalten  zeigt. 

Von  den  Salzen^  der  Malonsäure  sind  nur  die  Alkalisalze  leicht  löslich.  Das 
Calciumsalz  CaC3H204  —  in  kaltem  Wasser  fajst  unlöslich  —  krystallisirt  über  35® 
in  Schuppen  mit  2  Mol.  HjO  und  wird  durch  20— 30-stündiges  Erhitzen  im  Wasser- 
stoflfetrom  auf  135*^  wasserfrei.  Das  Bariumsalz  BaCgHjO^  +  2HjO  bildet  glänzende 
Prismen,  ist  in  kaltem  Wasser  fast  unlöslich,  in  heissem  Wasser  sehr  wenig  löslich 
und  verliert  1  Mol.  H^O  bei  100°. 

BeriTate  der  Malonsäure.  Malonylehlorld '  CH.2(C0C1),  wird  durch  Ein- 
Wirkung  von  Thionylchlorid  SOCl,  auf  Malonsäure  erhalten,  stellt  eine  farblose 
Flüssigkeit  dar  und  siedet  unter  27  mm  Druck  bei  58  ^  Ein  Anhydrid  der  Malon- 
sSure  ist  nicht  bekannt. 

MalonsSuredittthylester^  CHofCOj-CjHß),  ist  eine  farblose,  in  Wasser  unlös- 
liche Flüssigkeit,  siedet  bei  198°  und  besitzt  bei  15°  das  spcc.  Gew.  1-061.  Die 
Mononatriumverbindung  CHNaCCO^Hg^  erhält  man  in  weissen  glänzenden  Kry- 
Btallnadeln,  wenn  man  zu  dem  Ester  die  äquivalente  Menge  Natriumäthylat  in 
10-procentiger  alkoholischer  Lösung  zugiebt  und  einige  Zeit  in  der  Kälte  stehen 
ISsst.  Versetzt  man  Malonsäureester  mit  der  concentrirten  alkoholischen  Lösung  von 
2Aeq.  Natriumäthylat,  so  erhält  man  die  Dinatrium  Verbindung  CNaj(C08 •  CaHj)^ 
als  breiig  gallertartige,  rasch  veränderliche  Masse.  Mit  Jod  in  ätherischer  Lösung 
behandelt,  liefert  die  Mononatriumverbindung  nach  der  Gleichung: 

(C0,-C,H6),.CHNa  +  2  J  =  2NaJ  +  (COjC2Hß)8CH.CH(CO,.C,H5), 

Aethant«tracarbonsäureester,  die  Dinatriumverbindung  den  Aethylentetracarbonsäure- 
ester  (COg  •  C2H5)gC :  CfCOj  •  C5H5)j .  Erhitzt  man  die  Mononatriumverbindung  mit 
Malonsäureester  auf  120— 150 ^  so  findet  die  Synthese  eines  Benzolderivats  statt- 

CAO.COCHNa  CNaH.CO.OCjHj,  C,Il5.0.C0.CNa      CNa.COO.CjH« 

CjHj.O.CO  CO.O.C2H,  =3CÄ.0H+  CO        CO 

/  ^^^ 

HCNa  CNa 

I  I 

CO-O-CiHs  COO-CsHs 

Natrium- Phloroglucin- 
tricarbonsäureester. 


*  FiNKELSTEiN,  Ann.  133,  338  (1865).  —  Haushoper,  Jb.  1881,  699.  —  Miczynski, 
Monatsh.  7,  259  (1886).  —  Massol,  Compt  rend.  108,  813  (1889). 

*  BtHAL  u.  AuoEE,  Bull.  50,  631  (1888).  —  Auoer,  Ann.  eh.  [6]  22,  345  (1891). 
'  PwiELSTBiN,   Ann.  183,    349  (1865>  —  Conrad,    Ann.  204,   121,   127  (1880). 

-  Hjelt,  Ber.  13,  1949  (1880).  —  Perkin,  Journ.  Soc.  45,  508  (1884).  —  Bischofp 
"^  Bach,  Ber.  17,  2781  (1884).  —  Baeyer,  Ber.  18,  3457  (1885).  —  Lang,  Ber.  19, 
2937  (1886).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  35,  449  (1887);  37,  478  Anm.  (1888).  —  Franchimont 
^Klobbie,  Reo.  trav.  chim.  8,  283  (1889).  —  Nef,  Ann.  266,  113  (1891). 


654  Malonitnl,  Gyanessigsäurey  Malonumid, 


Die  gleiche  Reaction  tritt  bei  der  Einwirkung  von  Zinkalkylcn  auf  den  Malonsäare- 
ester  ein.  —  Natrium malonsfiureester  wird  durch  Wasser  sofort  zersetzt;  Malons&uiv- 
ester  löst  sich  daher  —  im  Gregensatz  zu  Acetessigester  (vgl.  Kap.  39)  —  in  wfijörigeu 
Alkalien  nicht  auf. 

MalonitriP  CHj(CN)j  (Methylencyanid)  —  aus  Cyanacetamid  CN-CHj-CO- 
NHj  (s.  unten)  durch  Einwirkung  von  Phosphorpentoxyd  gewinnbar  —  ist  eine  weisst-, 
geruchlose,  krystallinische  Masse,  schmilzt  bei  29—30'',  siedet  bei  218— 219  ^  lö^t  eich 
leicht  in  Alkohol  und  Aether,  weniger  in  Wasser  und  giebt  mit  ammoniakaliscber 
Silbernitratlösung  einen  weissen,  beim  Erhitzen  schwach  verpuffenden  Niederschlag 
CAg,(CN),. 

CyanessigsSnre'  CN-CHs-COaH  —  das  Zwischenprodukt  bei  der  Darstellung  der 
Malonsäure  (s.  S.  649 — 650)  —  ist  ein  Halbnitril  der  Malonsäure.  Die  freie  Sfture 
bildet  gut  ausgebildete  Riystalle,  schmilzt  bei  68^  und  zerfallt  durch  Erhitzen  aul' 
etwa  1 65 ®  in  Kohlensäure  und  Acetonitril.  Der  Aethylester  CN •  CHj •  CO, •  CjHg  (Siwle- 
punkt  207  ^)  liefert  eine  Natriumverbindung,  welche  analog  dem  NatriummalonsSureester 
mit  Halogenalkylen  und  Sfturechloriden  reagirt,  und  kann  durch  Einwirkung  von  Ammo- 
niak in  Cyanacetamid  CN-CHj-CO-NH,  (Schmelzpunkt  118**)  übergeführt  werden. 

Malonamid'  CHgCCONH,),  bildet  silberglänzende  Nadeln,  schmilzt  bei  1»^^ 
bis  170®,  löst  sich  in  12  Th.  Wasser  von  8®  und  ist  in  absolutem  Alkohol  uod 
Aether  unlöslich. 

Die  Homologen  der  Malonsftnre  können,  wie  die  Malonsäure 
selbst  aus  Essigsäure,  so  aus  den  höheren  Fettsäuren  gewonnen  werdeu; 
bei  der  Halogenirung  der  Fettsäuren  unter  bestimmten  Bedingungen  — 
am  bequemsten  lässt  sich  die  Bromirung  ausführen  —  tritt  das  Ealogeu- 
atom  stets  an  das  der  Carboxylgruppe  benachbarte  Kohlenstoffatom  (Tgl. 
Kap.  28);  wenn  man  demnach  das  durch  directe  Bromirung  erhaltene 
Bromdßrivat  einer  Fettsäure  mit  Cyankalium  umsetzt  und  die  cyanirte 
Säure  verseift,  so  erhält  man  eine  homologe  Malonsäure*,  z.  B.: 

C3H7  C3H7  OjHy  ^8^7 

III  1 

CHg  CHj  Clig  Crij 


i 


I  ^       I 


Hs  CHBr  CH-CN  CH— CO,H 

III  i 

COJI  CO4H  COoH  CO^H 


^  Henbt,  Compt  rend.  102,  1394  (1886). 

*  KoLBE,  Ann.  131,  848  (1864).  —  H.  Müller,  ebenda,  350.  —  Fikkelsteik,  Ann. 
133,  339  (1865).  —  Meves,  Ann.  143,  201  (1867).  —  Wheeler,  Ztschr.  Chem.  1867. 
69.  —  Moore,  Ber.  4,  520  (1871).  —  van*t  Hopp,  Ber.  7,  1382,  1571  (1874).  Jb 
1875,  528.  —  Mulder,  Bull.  29,  533  (1878).  —  Henry,  Compt.  rend.  102,  770,  13»:- 
(1686);  104,  1618  (1887).  —  Haller,  Compt.  rend.  104,  1626  (1887);  106,  1088,  llTl 
(1888).  —  Cramer,  Ber.  24,  1207  (1891).  —  Modeen,  ebenda,  3437.  -  Muller,  Compt 
rend.  U2,  1372  (1891). 

'  OsTERLAND,  Ber.  7,  1287  (1874).  —  van't  Hopp,  Jb.  1875,  528.  —  M.  Fekusp. 
Ber.  17,  133  (1884).  —  Bischopf  u.  Bach,  ebenda,  2795.  —  Franchimont,  Rec.  trav. 
chim.  4,  199  (1885).  —  Henry,  Compt.  rend.  100,  944  (1885). 

*  Vgl.  Byk,  J.  pr.  f2J  1,  19  (1870).  —  Wislicenus  u.  ürech,  Ann.  166,  ^^ 
(1872).  —  Markownikow,  Ann.  182,  329,  336  (1876).  —  Hell  u.  Lumpp,  Ber.  17.  221T 
(1884).  —  Hell  u.  Schule,  Ber.  18,  624  (1885).  —  Franchi«iOnt  n.  Klobbie,  Rec  trav. 
chim.  8,  285  (1888). 


Hofnologe  der  Slalonsäure. 

Viel  häufiger  abergeht  man  behufs  Gewinnung  der  Homolo 
MaloQSäure  selbst  aus  und  benutzt  dieS.  651 — 652  besprochene 
tahigkeit  der  Natriumderivate  ihres  Aethylesters.  Für  der 
thesen  •  ist  es  nicht  nothwendig,  diese  Natriumderivate  zu  iso 
versetzt  den  Malonsäureester  mit  einer  lOprocentigen  alkoholisc 
von  1  bezw.  2  Äequiv.  Natriumäthylat ,  je  nachdem  mau  i 
dialkylsub8tituLri:e  Malonsäureester  darstellen  will,  giebt  die 
Menge  des  Halogenalkyts  zu  und  erwärmt  auf  dem  Wass 
Rückflussk übler  bis  zum  Aufhören  der  alkahschen  Reaction; 
der  Alkohol  verjagt,  der  Rückstand  mit  Wasser  versetzt,  d* 
Malonsäureester  mit  Aether  aufgenommen  und  durch  Dest 
reinigt.  Will  man  zwei  verschiedene  Alkylradicale  einfUhrei 
man  zunächst  einen  einfach  alkylirten  Malonsäureester  dar 
w-irft  ihn  wieder  der  Behandluog  mit  1  Aeq,  NatriumSthjlat 
Halt^enalkyl.  z.  B.: 

CO,  ■  C,Hs  CO,  -  C,Hj  CO,  ■  CjHs  CO, .  C,H, 

;  I  I  1 

CH,  —>■  CHNa       - — >■  CHCH, >-  CNa-CH, ► 

I  1  !  I 

CO,-C,H,  CO,-C,H,  CO,.C,Hj  CO,-C,H, 

Aus  den  Estern  gewinnt  man  die  freien  Säuren  durch  Tei 
Alkalien  und  reinigt  sie  zweckmässig  durch  Vermittelung  il 
löslicbea  Catciumsalze. 

Die  Homologen  der  Malonsäure  sind  fest,  krystallinisch  ui 
nähme  der  sehr  hochmolecularen  Glieder  in  Wasser  leicht  '. 
zerfallen  zwischen  160  und  180"  —  zuweilen  schon  be 
niedrigeren  Temperaturen  —  in  Kohlensäure  und  die  entsprec 
säure  (Tgl.  S.  651),  z.  B.: 

C,H,CH(CO,H)ä  =  CO,  +  C,H;CHj-CO,H. 
Die  monoalkylirten  Malonsäuren  werden  von   conceutrirter  Si 
schon   bei    gewöhnlicher  Temperatur  unter  Abgabe  von  2  M 
säure   zersetzt,    während  die  dialkylirten  Malonsäuren  mit  3i 
nicht  Kohlensäure  entwickeln*. 

Die  folgende  Tabelle  Nr.  35  enthält  eine  Zusammenstellun 
logen  Malonsäuren,  die  hauptsächlich  als  Zwischenglieder  b 
these  von  Fettsäuren  Interesse  gefimden  haben.  Die  Met 
säure  CH, ■  CH(CO,H)j  wird  wegen  ihrer  laomerie  mit  der 
säure  gewöhnlich  Isobernsteinsäure  genannt. 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  86  auf  S.  656:  '  Krafft,  Ber.  17,  1 
'  Mtczihbki,  Monateh.  7,  269  (1SS6).  —  '  H.  MtfLLBB,  Ann.  131,  3 
'  Ricmra,  Ztachr.  Chem.  1868,  452.  —  *  Byk,  J.  pr.  [21 1,  19  (1870).  — '  K 
Ber.  10,  409   (1877).    —    '  Züblik,  Ber.   12,    1112   (1879).    —    '  Conrad 

'  CoKBAD.  Ana.  3d4,   130  (1880). 

'  Frakchimüht,  Rcc.  trav.  chim.  4,  393  (188Ö);  5.  281  (188(il. 


656 


Tabellarische  lieber  sieht  über  die  Malonsäwehoniologen, 


Tabelle  Nr.  35. 


Name  der  Säure 


Formel  der  Säure 


des  Di&diylesters 


Schmeb- 

ponb 

der  Siopi 


Methylmalonsäure  *-»•".  .  .  .    CHj  •  CH(CO,II), 

Aethylmalonsäure«-"-»-"-»*-»-^    CoH^  •  CH(CO,H)s 
Dimethylmalonsäure  ••»<>•"•"•"    (CH8),qC0,H), 

Propylmalonsäure  »•»«•»<>•"•»*•••    ;  C^U,  •  CH^  •  CH(CO,H>i 
laopropylmalonaäure »•••"•»*  .  .  ;  (CHa),CH.CH(C02ir), 


199^      '1-021(15®)'  120-15(1 


210'' 
196  <> 


1-O12(15<0|     111''' 
1.002(15<>)|  185-1*^' 


Methyläthylmalonsäure^    . 


222«!  0.993(15®) 
214®  0-993(15*) 


(CH3XC,H5)C(CO,H), 

CjH,  -  CHa  •  CHs .  CH(CO,H), 
>CH.CH(C08H), 


1219 
213 
1207— 208  ®|0-994(15®) 


Batylmalonsäure'^    .... 

Sec.-Butylmalonsäure "  .  . 

Isobutylmalonsäure »*•"••*  .  .  .    (CH,)8CH.CH8.CH(COgH), 
Diäthylmalonsäure«»®"-!«"-»«  ;: (C,H5),C(C0,H), 
Methylpropylmalonsäurew  .  .  1  (CH3)(C2H5CH5)C(C0,Hj, 

Methylisopropylmalonsäure*®*'  (       'NCH  )(CHa)C(C0,H;4 

I'  XCHj/       / 

Pentylmalonsäure" (C,H5-CHj.CH2.CH8)CH(C02H), 

laoamylmalonsäure»®"  ....   i(CH,),CH-CH,-CH,.CH((X),H), 


233— 234  «10.988(15®) 


%' 
118" 
101-5 


0-983(17®)'      IGT 


-i 


225 


230®      ,0-992(15®)       125 


220—223®.         — 


IO6-IÖ:' 


221®       0-990(15®)!      124' 


Sea  Hexylmalousäure'®.  .  .  . 


CH3 


\ 
/ 


CH.CH(CO,H), 


Dipropylmalonsäure" (CH,  -  GH,  -  CH,),C(CO,H), 

Cetylmalonsäure  »»1" CHj.(CH,)i6-CH(C0aH), 

DioctylmaloDsäure  ^ 


240—242®!         — 

251® 
248—250® 


Dicetylmalousäure  ^^ 


CHj-(CHj)7 

CH3-(CH2X6 

CH3.(CH,X 


^CO,H), 


Nqco.Hj, 


338—340® 


0-896(18®)! 


s2' 
93* 


84-S«^ 
15? 


:.v 


^  86-: 


Ann.  204,  143,  162  (1880).  —  •  Perkin,  Joum.  Soc.  46,  510  (1884).  —  »®  Francht- 
MONT,  Rec.  trav.  chim.  4,  203,  393  (1885)5  6»  281  (1886).  —  "  FRANCHMoirr  u.  Klobbib. 
ebenda,  8,  285  (1889).  —  "  Wislicentjs  u.  übeoh,  Ann.  165,  93  (1872).  —  "  Tupoliw, 
Ann.  171,  243  (1873).  —  **  Markownikow,  Ann.  182,  329,  336  (1876).  —  "  Cokbad, 
Ann.  204,  134,  138  (1880).  —  »®  Daimler,  Ber.  20,  203  (1887).  Ann.  249,  173  (1888). 
—  "  B18CHOFF  u.  Haubdorfer,  Ann.  239,  119  (1887).  —  "  Freund  u.  Goldsmith,  Ber 
21,  1245  (1888).  —  "  Thorne,  Joum.  Soc.  39,  543  (1881).  Ber.  14,  1644  (1881>  - 
•®  Täte,  Dissertation  (Würzburg  1879),  vgl.  Ber.  18,  852  (1885).  —  •*  Fürth,  Monatsh. 
9,  308  (1888).    —    "  Hell  u.  Lümpp,    Ber.  17,  2219  (1884).  —    "  v.  Eombubgh,  Bef. 


Berasteinsäure. 

trav.  chim.  6,  IM  (1887).  —  **  Hjblt,  Jb.  18S8,  STB.  —  *>  GIdthixit,  Aon. « 
236  (1881).  —  **  Sedxowbxi,  Ber.  31o,  57  (1888).  —  *'  v.  SoMBinaB,  Bec  tni 
K,  234  (1686).  —  *•  Hell  u.  ScdOle,  Ber.  18,  624  (1885).  —  *•  Pau  n.  Hol 
Ber.  23,  1498  (1890).  —  **  Lumdael,  Ber.  U,  789  (1888).  —  "  Gdthzkit,  Ann 
357  (1880).  —  "  PiHHEB.  Ber.  16,  581  (1882).  -  ••  Hku,  n.  Sadoiöiy,  Ber.  2i 
(1891).  —  •*  Hkney,  Ber.  24o,  73  (1891).  —  "  Anosa,  Ann.  eh.  [6]  32,  350 
—  **  Stusbht,  Monsteh.  12,  591  (1891).  —  "  Lasbab-Cohh,  Ann.  261,  849 
Ueber  die  DisBOciationgconatanten  K  der  MalonB&orehoniologen  vgl. 
M.\s»,  Ztacbr.  f.  physik.  Chem.  6,  402  (1890),  —  WiLDM,  ebenda,  8,  448  (18 
^'*iÄEB,  Joum.  Soc.  61,  711-718  (1892). 

III.   Benutelnsäare  nnd  Ihre  Homologen. 

BernsteinsSnre  C^H^O^  =  COjHCK^-CH,CO,H  (ww'-Aeth 
carboDBänre)  ist  schon  im  16.  Jahrhundert  bekannt  gewesen;  als 
«urde  sie  von  Lbhebt  (1675)  erkannt  Ihren  Namen  hat  die 
Ton  ihrem  Vorkommen  im  Bernstein;  aber  aach  sonst  ist  sie  i 
i^atar  Terbreitet;  sie  findet  sich  in  fossilen  Hölzern,  in  Braunko 
in  vielen  Pflanzen*  —  namentlich  in  unreifen  Früchten'  in  Form 
Glykosids,  der  Glykobbrnsteinaäure. 

Yen  ihren  künstlichen  Bildiingsweisen  seien  zunächst  diej« 
erwähnt,  welche  von  besonderer  Wichtigkeit  för  die  Beurtheilung 
Constitution  sind.  Aus  Äethylenbromid  erhält  man  BemBteinsänre 
Vermittelang   des    Aethylencjanids*: 

CH,Br  CH,-CN  CH,-CO,H 

I  *■      I  *-      i 

CH^r  CH,CK  CH,— CO,H 

—  also  durch  eine  Synthese,  welche  dnrchaus  dem  Aufbau  de 
basischen  Fettsäuren  aus  Halogenalkylen  (vgl.  S.  291 — 292)  ents 
(anomale  Bildung  aus  Aethylidenchlorid  vgl.  S.  658).  —  Lässt  ma 
iJatriummalonsäureeater  Chloressigester  CHjClCOjCjHj  einwirke 
irhUt  man  den  E^ter  einer  dreibasischen  Säure,  welche  beim  Er 
unter  Kohlen  Säureabspaltung  Bemsteinsäure  liefert^: 
CO,.C,H,  CO,.C,Hs  CO,H 

CHNa       >-  CH-CH,-CO,-C,Hs >-  CH-CH.-CO.H  --t-  CH.-CH,. 

1  i  I  I 

CO,  .C,H»  CO,  ■  C,H,  CO,H  COjH 


'  Vgl.  Reich,  Jb.  1847/48,  499. 

'  Vgl.  KöHNKK,  Berz.  Jb.  26,  443  (1848).  —  Walz,  Jb.  1860,  2e3.  — 
sraifiEDr,  Monatsh.  3,  136  (1882).  —  HiLass  a.  Gnosa,  Jb.  1886,  1816.  —  ] 
B«WHicv,  J.  pr.  [2]  36,  274  (1687).  —  v.  LiFnumc,  Ber.  24,  3302  (1891). 

'  BsuMNER  11.  Bru>i>enhuiiq,  Ber.  B,  982  (1876).  —  Bbukmeb  u.  Chuabd  E 
W  (1886). 

'  SnmoR,  Ann.  118,  875  (1661). 

'  BncHOFF,  Ber.  13,  2161  (1860).  —  Vgl.  auch  Wibucends  a.  NoBLnuu 
14ö,  22*  (1868). 

^-  Krm  n.  JicaBUH,  org.  Cham.    I.  42 


658  Bemsteinsäure. 


—  Aus  Bromessigsäure  bildet  sich  beim  Erhitzen  mit  Silberstaub  Bem- 
steinsäure in  geringer  Menge  ^r 

2CH,Br.C0,H  +  Ag,  =  2  AgBr  +  COaH  •  CH,  ■  CH,  •  CO,H . 

Infolge  einer  Umlagerung  bildet  sich  Bernsteinsfiure  auch  aus  Aethylidenchlorid 
CHj'CHClj  durch  Erhitzen  mit  Cjankalium  und  darauffolgende  Verseif ung*.  —  Die 
Elektrosynthese  der  Bemsteinsäure  aus  Malonsäure  vgl.  S.  638. 

Wichtige  Bildungsweisen  der  Bemsteinsäure  gründen  sich  ferner 
auf  ihre  Beziehungen  zu  zwei  anderen  Pflanzensäuren,  die  als  Hydrox)!- 
Substitutionsprodukte  der  Bemsteinsäure  aufzufassen  sind,  —  Aepfel- 
säure  und  Weinsäure: 

CHj.COjH  CH(OH).COjH  CH(OH).CO,H 

II  I  • 

CHjCO.H  CHj.COaH  CH(OH).CO^H 

Bemsteinsäure  Aepfelsäure  Weinsäure 

Diesen  Beziehungen  entsprechend  erhält  man  Bernsteinsäure  aus 
Aepfelsäure  und  Weinsäure  durch  Reduction  mit  Jodwasserstoffe.  Die 
beiden  Säuren  liefern  ferner  Bernsteinsäure  —  unter  gewissen  Bedingungen 
in  reichlicher  Menge  —  bei  der  Zersetzung,  die  sie  bezw.  ihre  Salze  bei 
der  Gährung  durch  Bacterien  erleiden*.  Auch  durch  SpaltpUzgähnmg 
anderer  Substanzen*,  ferner  durch  Fleischfäulniss*  entsteht  Bemstein- 
säure. Zu  erinnern  ist  hier  auch  an  die  regelmässige  Bildung  von 
Bernsteinsäure  bei  der  alkoholischen  Gährung  von  Zucker^  (vgl.  S.  173). 

Sehr  häufig  erhält  man  Bernsteinsäure  bei  der  Oxydation  von  hoch- 
molecularen  Fettkörpem  —  wie  Stearinsäure,  Walrath  —  mit  Sal- 
petersäure ®. 

Zur  Darstellung  der  Bernsteinsäure*  benutzt  man  zweckmässig 
ihre  reichlichö  Bildung  durch  Gährung  einer  Lösung  von  weinsaurem 
Ammon.  Bernsteinsäure  für  medicinische  Zwecke  muss  durch  Destil- 
lation von  Bernstein  bereitet  werden,  da  ihre  ai'zneiliche  Wirkung  gerade 
von  einer  Beimengung  des  bei  der  Bernsteindestillation  gleichfalls  über- 
gehenden Bernsteinöls  herrührt,  während  chemisch  reine  Bemsteinsäure 
nicht  die  gewünschte  Wirkung  zeigt. 

Bernsteinsäure   krystallisirt   in   Säulen   oder   Tafeln,    schmilzt^*'  bei 

1  Steiner,  Ber.  7,  184  (1874). 

'  Erlenmeyer  u.  Mühlhäüser,  Ztschr.  Chem.  1867,  593.  —  Simpson,  Compt.  rend. 
65,  851  (1867). 

"  Schmitt,  Ann.  114,  106  (1860).  —  Dessaiones,  Ann.  115,  120  (1860). 

*  Dessaignes,  Ann.  70,  102  (1849).  Jb.  1850,  375.  —  Liebig,  Ann.  70.  104, 
363  (1839).  —  Kohl,  Jb.  1855,  466.  —  König,  Ber.  14,  211  (1881). 

»  Fitz,  Ber.  10,  281  (1877);  16,  845  (1882). 

•  E.  u.  H.  Salkowski,  Ber.  12,  650  (1879).  —  Ekunina,  J.  pr.  [2]  21,  482  (I8SÜ.1. 
^  Schmidt,  Jb.  1847/48,  466  Anm.  —  Pasteür,  Ann.  105,  264  (1858).  —  Claüm» 

u.  Mobin,  Compt  rend.  104,  1109  (1887). 

8  Vgl.  Bromeis,  Ann.  35,  90  (1840);  37,  292  (1841).  —  Sthambr,  Ann.  48.  346 
(1842).  —  Radcliff,  ebenda,  349.  —  Rolands,  ebenda,  356.  —  Arppe,  Ann.  96,  242 
(1855).     Jb.  1864,  877. 

»  König,  Ber.  15,  172  (1882).         *«  Reissert,  Ber.  23,  2244  (1890). 


Bemstnnsaure  Sali€.     Succinylcklorid. 


ilsS";  unter  vermindertem  Druck  lässt  sie  sich  unterhalb  des  f 
>unkts  unverändert  subümiren',  während  sie  bei  stärkerem  ; 
A'asser  abspaltet;  gegen  235''  geiüth  die  Säure  ins  Sieden',  in 
^öSBtentheils  in  ihrAnhydrid(S.  660)  überseht.  100  Th.  Wasser  lö 
>0»:6-9  Th.,  bei  50":24-4  Th.  Bernateinsäure,  100  Th.  Alk< 
la^T-Sl   Th.,  100  Th.  Aether:l-26  Th. 

An  dem  chemischen  Verhalten  der  Bernsteinsäure  ist  vor  A 
Bestreben  znr  Bildung  des  inneren  Anhydrids: 

CH,.CO-OH  CH,^CO> 

I  -  H,0  =    I  >0 

CHj-CO-OH  CH,-CO/ 

interessant;  das  Anhydrid  entsteht,  wie  eben  erwähnt,  schon  di 
hitzen  der  Säure  filr  sich. 

BerDsteinsanrc  Sslze*'*  (Succinat e).  Das  neutrale  Kai 
r,K,HtO,  +  3H,0  bildet  zerflieasliche,  rhombiache  Erystalle  und  wird 
wasserfrei.  —  Das  Calcinmaalz  C^GaXL^O^  +  3HjO  ist  in  Wasser  achw 
und  zeigt  ein  LöBÜchkeitaraaximum  bei  24°  (1-29  Th.  in  100  Th.  Wasser); 
verliert  ee  sein  Eiyetallwasaer;  dnrcb  trockene  Destillation'  giebt  es  ein 
TOD  EeiooeD,  Phenolen  nnd  Kohlenwasserstoffen.  —  Die  F&Unng  des  h: 
FerrisalEes  wird  in  der  analytischen  Chemie  zur  Trenniuig  des  Eisenoxjde 
Xfsngan,  Nicket  und  Kobalt  benutzt 

Derivate    der   Bemstelnslllire.     Das  in  den  Derivaten  d( 
sich  wiederfindende  zweiwerthige  Radical: 
CII,-  co- 

1 

CH,-CO- 
wird  „Succinyl"  genannt. 

SaccInylchlorid^COCtCHjCHg-COCl  wird  aus  dem  Bemsb 
aohydrid  durch  Einwirkung  von Fhosphorpentachlorid  gewonnen;  e: 
ao  der  Luft  rauchende  Flüssigkeit  von  durchdringendem  Geruch,  be 
apec.  Gew.  1-39,  erstarrt  in  der  Kälte  —  in  reinem  Zustand  i 
schou  bei  Zimmertemperatur  —  krystallinisch  nnd  siedet  bei  19 
einigen  Beobachtungen  über  das  Verhalten  des  gewöhnlichen  S 
Chlorids   kann   man  den  Schluss  ziehen,    dass  es  der  Hauptmer 

CH,.001,, 
aus  einem  isomeren  Chlorid    |  )0    besteht    (vgl.    Fhtalj 

CH,    CO/ 
Bd.  II). 

'  Krafit  u.  Nobrdukoeb,  Ber.  22,  816  (1889). 

'  b'Aecbt,  Ann.  eh.  [2]  68,  284  (1835). 

'  Cimoa,  Ann.  142,  U6  (1867).  ~  Boubooin,  Ann.  eh.  |5]  1,  569  (18 
88,  2*3  (1878).  —  Miczinsbt,  Monatsh.  7,  362  (1B86). 

'  DBppiko,  Ann.  47,  253  (1843).  ~  Fboliho,  Ann.  4B,  154  (1844).  - 
Ber.  la,  S025  (1883).  '  Pünaro,  Ber.  14,  2240  (1881). 

•GHBHiBDT  u.  CmozzA,  Ann.  87,  293  (1853).  —  Mölleb,  J.  pr.  [2 
'1880).  -  Kaudee,  J.  pr.  [2]  28,  191  (1883);  31,  2  (1885).  —  Auoeb,  Bull 
WB).    Ann.  eh.  [6]  22,  310  (18911.  —  Eherv,  Ber.  23,  3184  (1889). 

42' 


660  Anhydrid,  Tkioatiiiydrid,  Ester,  Niiril  der  Benisieuisäure. 


CHj.COv 
BernsteinsSareanhydrid  ^    |  yO  wird    zweckmässig   durch 

CHjCO/ 
Digestion  von  100  Th.  Berns teinsäure  mit  65  Th.  Phosphoroxychlorid  unter 
Bückfluss  bei  100 — 120®  und  darauffolgende  Destillation  gewonnen  — 
mehrmalige  Destillation  der  Säure  ftir  sich  liefert  nur  bei  Anwendung 
kleiner  Mengen  und  sehr  rascher  Destillation  reines  Anhydrid.  £$ 
krystallisirt  im  rhombischen  System,  schmilzt  bei  116*5®  und  siedet  bei 
261®.  In  Wasser  löst  es  sich  unter  Bildung  von  Bemsteinsäurehydrat^ 
doch  ist  es  nicht  gerade  wasserbegierig,  vielmehr  an  der  Luft  haltbar; 
in  Aether  löst  es  sich  nur  wenig  auf;  Chloroform  eignet  sich  besonders 
als  Erystallisationsmittel  fllr  das  Anhydrid.  Wird  es  längere  Zeit  in 
gelindem  Sieden  erhalten,  so  geht  es  theilweise  unter  Abspaltung  von 
Kohlensäure  in  das  Dilacton  der  Acetondiessigsäure  (vgl.  Kap.  39)  über: 

CO 0  CO 0     0 — CO 

2    I  I      -  CO,   =    I  \/  I       . 

CH,  •  CHj  •  CO  CHj  •  CH,  •  C  •  CH,  •  CH, 

CHj'  CS>v 
ThiobemsteinsKureanliydrid '   |  >0  kann  durch  Einwirkung  von  Sehwefel- 

CH.CO/ 
phosphor  auf  Bemsteinsäure  erhalten  werden,  bildet  farblose  Kiystalle,  schmilzt  bei 
31®,  siedet  bei  225®   und  wird  durch  Erwärmen  mit  Wasser  in  Schwefelwasserstoff 
und  Bemsteinsäure  zersetzt. 

BemBteinsSuredimethylester^'"  C4H404(CH8)j  schmilzt  bei  +19",  siedet  bfi 
195®  und  besitzt  bei  15®  das  spec.  Gew.  1-126.  —  Der  DiSthylester«*«  C^H404(C,H5U 
ist  flüssig,  siedet  bei  216-5®  und  zeigt  bei  15®  das  spec.  Gew.  1-046. 

BemsteinsKurenitriF  oder  Aethjlencyanid  CNCH,-CHs-CN  —  durch  Ein- 
wirkung von  Cyankalium  auf  Aethylenbromid  in  alkoholischer  Lösung  und  darauf- 
folgende Yacuum- Destillation  leicht  gewinnbar  —  bildet  eine  farblose,  bald  krystalli- 
nische,  bald  amorphe  Masse,  schmilzt  bei  51 — 52®,  siedet  unter  gewöhnlichem  Druck 
bei  265—267®,  unter  10  mm  Druck  bei  147®  und  ist  in  Wasser  imd  Alkohol  leicbt 
löslich,  in  Aether  sehr  wenig  löslich. 


»  d'Arcet,  Ann.  eh.  [2]  68,  288  (1835).  —  Kraut,  Ann.  137,  254  (1866).  - 
Möller,  J.  pr.  [2]  22,  193  (1880).  —  Bodewig,  Ber.  14,  2788  (1881).  —  Burckeb, 
Ann.  eh.  [5]  26,  435  Anm.  (1882).  —  Anschütz,  Ann.  226,  6,  8,  12,  16  (1884V  - 
VoLHARD,  Ann.  242,  148  (1887);  263,  206  (1889).  —  Krafft  u.  Noerdlixoer.  Ber. 
21,  816  (1889). 

«  Vgl.  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  8,  454  (1891), 

'  Weselskt,  Ber.  2,  521  (1869).  —  Auqer,  Ann.  eh.  [6]  22,  329  (1891). 

*  Fehlino,  Ann.  49,  186,  195  (1844).  —  Perkin,  Joum.  Soc.  46,  515  (1884).  - 
Weger«  Ann.  221,  88  (1883).        >  Emert,  Ber.  22,  3185  (1889). 

®  d'Arcet,  Ann.  eh.  [2]  68,  291  (1835).  —  Kopp,  Ann.  96.  327  (1855).  —  Eom 
Ber.  6,  1178  (1873).  —  Crum-Browk  u.  Walker,  Ann.  261,  115  (1890). 

^  Simpson,  Ann.  118,  374  (1861);  121,  154  (1861).  —  Moore,  Ber.  4,  520  (18711 
—  Nevolk  u.  Tscherxiak,  Bull.  30,  101  (1878).  —  Pinner,  Ber.  16,  360  (1883).  — 
Henry,  Compt.  rend.  100,  744  (1885).  —  Fauconnier,  Bull,  60,  214  (1888).  —  Skm- 
BRITZKY,  Ber.  22,  2958  (1889).  —  Garny,  Ber.  24,  3426  (1891).  —  Biltz,  Ber.  26. 
2542  (1892). 


Sttcdnamid,  Siiccina^nifisäure,  Sttcdnimid,  661 


8iieeinamid^  NHsCO-CH,-CH,-CO-NHs  — aus  Bernsteinsäurester  und  wässri- 
gern  Ammoniak  oder  aus  Succinimid  und  alkoholischem  Ammoniak  —  kiystallisirt 
aus  Wasser  in  kleinen  Nadeln,  schmilzt  bei  242 — 243°,  lost  sich  in  160  Th.  Wasser 
von  9°,  in  9  Th.  Wasser  von  100  ^  ist  in  absolutem  Alkohol  und  Aether  fast  un- 
löslich und  zerftllt  bei  höherer  Temperatur  in  Ammoniak  und  Succinimid. 

CH,.C(NH,U 
Ein  isomeres  unsymmetrisches  Succinamid'    1  ^0  entsteht  bei 

der  Einwirkung  von  Succinylchlorid  auf  wässriges  Ammoniak. 

Sneeinftinliisllare  '  OH  •  CO  •  GH,  •  GH,  •  CO  •  NH,  krystalllsirt  aus  Aceton  in  schönen 
weissen  Nadeln,  schmilzt  bei  156— 157  ^  ist  in  Wasser  ziemlich  leicht,  in  absolutem 
Alkohol  schwer  löslich,  wird  durch  Erhitzen  für  sich  bei  200°  glatt  in  Wasser  und 
Succinimid  zersetzt,  durch  mehrstündiges  Kochen  mit  Wasser  vollständig  in  saures 
bemsteinsaures  Ammoniak  übergef&hrt  Ihr  Bariumsalz  (in  Wasser  sehr  leicht  löslich) 
wird  durch  gelindes  Erwärmen  von  Succinimid  mit  Barythydrat  in  wässriger  Lösung 
erhalten,  daraus  die  freie  Säure  durch  Zersetzung  mit  Schwefelsäure  abgeschieden. 

Succininiid^  C^H^NO,  wird  durch  Destillation  von  bemsteinsanrem 

Ammoniak  gewonnen;   man  könnte  nach  dieser  Bildungsweise  zwischen 

den  beiden  Formeln: 

CHjCN  CH,-COv 

I  und  I  >NH 

CHjCOOH  CH,-CO^ 

Cyanpropionsäure  Succinimid 

schwanken;  da  erstens  die  Nitrilbildung  in  der  Regel  nicht  so  leicht 
erfolgt,  da  femer  die  Aminsalze  der  Bemsteinsäure  sich  dem  Ammonium- 
salz analog  verhalten,  z.  B.  das  Aethylaminsalz  ein  Aethylsuccinimid  liefert, 
was  mit  der  ersten  Formel  nicht  vereinbar  ist,  so  kann  die  Imidformel 


als  wohlbegründet  angesehen  werden;  die  Formel  CHj-C^^      ist  wegen 


CH3-CÖ 

cl;- 


derUeberföhrbarkeit  des  Succinimids  in  Pyrrolidin    |  ^NH  durch 

CH,-CH,/ 
Beduction  mit  Natrium  in  alkoholischer  Lösung  zu  verwerfen. 

*  Fehlino,  Ann.  49,  196  (1844).  —  Mehsohutkin,  Ann.  162,  181  (1872).  — 
Hekbt,  Compt.  rend.  100,  948  (1885).  —  FiUNCHniONT,  Rec  trav.  chim.  4,  201  (1885). 

*  AuoBR,  Ann.  eh.  [6]  22,  326  (1891). 

'  Teuchebt,  Ann.  134,  186  (1865).  —  Menschütkin,  Ann.  162,  175,  179  (1872). 

—  Laxdsberg,  Ann.  216,  200  (1882).  —  L.  Wolff,  Ann.  260,  114  (1890).  —  Sebda 
u.  WiEDEMANN,  Ber.  23,  3284  (1890). 

^  Fehling,  Ann.  40,  198  (1844).  —  Dessaignes,  Ann.  82,  284  (1852).  —  Eblen- 
mbyeb,  Ztschr.  Chem.  1860,  174.  —  Bunge,  Ann.  Suppl.  7,  118  (1870).  —  Menschütkin, 
Ann.  162,  166,  168  (1872);  182,  90  (1876).  —  Bell,  Ber.  13,  877  (1880).  —  Bbbnth- 
8EN,  ebenda,  1047.  —  Landsbebg,  Ann.  216,  200  (1882).  —  Ciamigian  u.  Silbee,  Ber. 
17,  556  (1884).    -  Rübzow,  Ber.  18  c,  609  (1885).  —  G.  Bender,  Ber.  19,  2278  (1886). 

—  Ladenbubo,  Ber.  20,  2215  (1887).  —  Bbedt  u.  Boeddinghaus,  Ann.  261,  816  (1889). 

—  HoooENWEBFF  u.  VAN  DoBp,  ßcc.  trav.  chim.  10,  4  (1891).  —  Comstock  u.  Wheeler, 
Ber.  25o,  282  (1892).  —  Seliwanoff,  Ber.  25,  8618  (1892). 


662  Sucdnimid, 


Das  Succinimid  krystallisirt  aus  Wasser  mit  1  Mol.  Krystallwasser; 
wasserfreies  Succinimid  schmilzt  bei  125 — 126^;  es  siedet  bei  287 — 288^, 
löst  sich  leicht  in  Wasser,  ziemlich  leicht  in  Alkohol. 

Succinimid  besitzt  in  höherem  Grade,  als  die  Amide  (vgl.  S.  370', 
die  Fähigkeit  zur  Bildung  von  Metallverbindungen,  wie  Succinimid- 
kalium   C^H^OjNK,    Silbersuccinimid   C^H^OjNAg  etc.    Die  Metall- 

OMe 


Verbindungen  scheinen  zum  Theil  der  Formel:  ^"^2*^\  (vgl.  S. 374), 

CHgCO/^ 

zum  Theil  der  Formel:    |  \N-Me  zu  entsprechen  (vgl.  Phtalimid» 

CHg.CO/ 
Bd.  11);  wenigstens  ist  als  Reactionsprodukt  von  Jodäthyl  auf  Natrium- 

succinimid  ziemlich  sicher  ein  Aethylsuccinimid  nachgewiesen,  welchem  die 

CHgCO. 
Formel      |  NN-C-Hg  beizulegen  ist,  da  sich  aus  demselben  Aethyl- 

CHgCO/ 
amin  abspalten  lässt;  andererseits  entstehen  durch  Einwirkung  von  Alkyl- 
halogenen  auf  Silbersuccinimid  alkylirte  Succinimide,  welche  sich  schon 
an  feuchter  Luft  in  Succinimid  und  Alkohole  umsetzen  und  daher   ?er- 

muthlich   die   Formel  ^^a'^\  besitzen.  Durch  Einwii-kung  von  Jod 

CH3  •  CO/ 
auf  Silbersuccinimid  erhält  man  Jodsuccinimid  C^H^OgNJ  —  fiarb- 
lose  harte  Krystalle,  die  sich  schon  bei  100^  zu  zersetzen  beginnen, 
in  Wasser  leicht,  in  Alkohol  schwer  löslich  sind.  —  Ueber  eine  eigen- 
thümliche  Bildung  von  Methylsuccinimid  C4H^02:N-CH3  aus  Lävulin- 
säure  vgl.  Kap.  39. 

CH,-CC 

I  ^\H 

Salzsanres  Succinaraidin*  x'ij*'2H^'l    wird    schon    beim    Um- 

I  /i>Wj 

CH,-CC 
krystallisiren  aus  Wasser  in  Salmiak  und  salzsaures  Succinimidin 

I  \NH.HCI  —  lange,  farblose,  in  Wasser  sehr  leicht,  in  Alkohol  sehr  wenig 

lösliche  Blätter  —  zersetzt. 


*  Pinner,  Ber.  16,  362,  1657  (1883);  23,  2931  (.1890).  —  Lossen  u.  Gbabowskt, 
Ann.  265,  168  (1891). 


Homologe  der  Bemsteinsäure.  663 


Homologe  der  Bemsteinsäure.  Da  in  dem  Molecül  der  Bernstein- 
säure COaHCHj-CHg-COjH  vier  Wasserstoffatome  an  Kohlenstoff  ge- 
bunden sind,  so  hat  man  unter  den  Homologen  einfach,  zweifach,  dreifach 
und  vierfach  alkylirte  Bemsteinsäuren  zu  unterscheiden.  Während  für  die 
mono-,  tri-  und  tetraalkylirten  Säuren  die  Structurtheorie  nur  je  eine 
Formel  möglich  erscheinen  lässt,  z.  B.:  » 

CH, .  CH-CO,H  (CH,),C-CO,H  (CH8),C-C0,H 

I  i  .  I  , 

CHg— CO,H  (CHs)CH-CO,H    '  (CHs),C-CO,H 

können  dialkylirte  Bemsteinsäuren  in  zwei  structurisomeren  Formen 
auftreten,  die  man  als  symmetrisch  und  unsymmetrisch  constituirte  Säuren 
unterscheidet: 

CH, .  CH .  CO,H  (CH,), .  C  •  CO,H 


[,.CH.' 


CH, .  CH .  CO,H  CH, .  CO,H 

Symmetr.  Unsymmetr. 

Dimethylbemsteinsänre. 

Für  die  Gewinnung  der  Bemsteinsäurehomologen  stehen  die  folgen- 
den Methoden  von  allgemeinerer  Anwendbarkeit  zu  Gebot,  die  sämmtlich 
Modificationen  der  S.  657 — 658  angeführten  Bildungsweisen  der  Bemstein- 
säure selbst  darstellen. 

1.  Umsetzung  von  Alkylenbromiden  mit  Cyankalium  und 
Verseifung  der  Dicyanide^,  z.  B.: 

CH3.CH  CHjCHBr  CH,.CH.CN  CHs.CHCO,H 

-    ^  I  -—>-  I  — )-  I 

CH,  CH,Br  CH,.CN  CH,.CO,H 

2.  Acetessigester-  oder  Malonsäureestersynthese  unter  An- 
wendung von  «-halogensubstituirten  Fettsäureestern*,  z.  B.: 

/CO,.C,H,  /C0,.C,H5 

CH, .  CXa<  +  CH, .  CHBr  •  CO,  •  C^U,  =  NaBr  +  CH,  •  C^  CH(CH,)  •  CO,  •  CjH- , 

^COjCjHj  \CO,.C,Hß 

/CO,H 
CHs-CC  CH(CH,).CO,H  -  CO^  =  CH3.CH.CH(CH8).CO,H.  . 
^CO,H  I 

CO,H 

Eine   Modification   dieser  Methode'   besteht  in  der  Einwirkung  von  a-halogen- 
substituirten  Fetts&ureestern  auf  die  oe-eyansubstituirten  Fettsäureester,  die  zwischen 


^  Vgl.  Markowkikow  u.  LebedeW;  Ann.  182,  327  (1876).  —  Hell  u.  Eothbero, 
Ber.  22,  1737  (1889).  —  Krafpt  u.  Gbosjean,  Ber.  23,  2354  (1890). 

»  Vgl.  z.  B.  Conrad,  Ann.  188,  226  (1877).  —  Kressneb,  Ann.  192,  135  (1878). 
~  Hardtmüth,  ebenda,  142,  —  Hugqenbebo,  ebenda,  146.  —  Waltz,  Ann.  214,  58 
(1882).  —  Roseb,  Ann.  220,  273  (1883).  —  Bischofp  u.  Bach,  Ann.  234,  54  (1886). 
—  PoLKO,  Ann.  242,  113  (1886).  —  Barnstein,  ebenda,  126.  —  Schleicher,  Ann. 
287,  121  (1892). 

*  Zelinsky,  Ber.  21,  3160  (1888).  —  Zelinsky  u.  Bitschichin,  ebenda,  3398.  — 
WiNSKY  u.  Besbedea,  Ber.  24,  466  (1891). 


664  Homologe  der  Bernsteinsäuren  (ßüdungsweisenj 


der  Cyangruppe  nnd  der  Carboxylgmppe  ein  durch  Metalle  vertretbares  Wassentoff 
atom  enthalten  (Vgl.  CyanessigeBter  S.  654),  z.  B. : 

CH..C/  Br-CH-CH,  „^g.  .  CH,.c/ CH-CH. 

|\Na      +        CO    CM    ~  i  I 

CO,.C,H,  '^".•^«"5  CO,C,H, 


CO j  •  C1H5 , 


CH,.C/      '— CHCH,  CH,.CH  CH-CH, 

io.H        io.H       ~^^'=  CO.H      CO.H 


In  Folge  dieser  Beactionen  erhält  man  alkylirte  Oyanbemsteinsftureester,  die  bei 
der  .Verseifiing  durch  Erhitzen  mit  Salzsäure  alkjlirte  Bemsteinsäure  liefern,  aadi 
durch  unmittelbare  Einwirlqing  von  Cyankalium  auf  die  a-Halogenderivate  der  Fett- 
säureester  neben  den  normalen  Reactionsprodukten  —  den  CyanfettsäureestenL 

3.  Einwirkung  von  fein  vertheiltem  Silber  auf  die  a-Halogen- 
derivate der  Fettsäuren  bezw.  ihrer  Ester^  z.  B.: 

{CH,),C-C0,-C,H5 
2  (CHACBr .  CO,  •  CjHg  +  2  Ag  =  |  +2  AgBr . 

(CH3),C-C0,.C,H, 

Die  beiden  letztgenannten  Beactionen  erleiden  häufig  Complicationen,  welche 
die  Beurtheilung  der  Constitution  der  entstehenden  Säuren  sehr  erschweren  and 
darauf  beruhen,  dass  der  angewendete  halogenhaltige  Ester  theilweise  nicht  als 
solcher  in  Reaction  tritt,  sondern  erst  nachdem  er  durch  Abspaltung  von  Halogea- 
wasserstoff  verändert  ist  Bei  der  Einwirkung  von  Silber  auf  a-BromisobuttersSare* 
ester  entsteht  z.  B.  nicht  nur  der  nach  obiger  Gleichung  zu  erwartende  Tetramethyl- 
bemsteinsäureester;  vielmehr  bildet  sich  daneben  —  indem  ein  Theil  des  a-Bromiso- 
buttersäureester  Bromwasserstoff  verliert,  der  dadurch  entstandene  Methakrylsäureester 
wieder  mit  Bromwasserstoff  zu  ^-Bromisobuttersäureester  zusammentritt,  und  Silber 
nun  auf  ein  Gemisch  der  beiden  isomeren  gebromten  Ester  einwirkt: 

CHjv  CH,.  CH,Brv 

>CBr .  CO, .  CjHfi   =  >C  •  CO,  •  C,H,  +  HBr  =  >CH  •  CO,  •  Cfi, , 

CR/  CR/  CH,^ 

CH,v 
CjHb  .  CO,^CBr + CHjBr  •  CH  •  CO,  •  C,H5  +  2  Ag 

=  2 AgBr  +  C^Hs-CCjC-CHi-  CH-CCjC^H^  , 

—  der  Ester  der  isomeren  Trimethylglutarsäure.  Bei  der  Einwirkung  von  a-Brom- 
isobuttersäureester  auf  Natriummethylmalonsäureester  in  alkoholischer  Lösung  erhftlt 
man  nicht  den  durch  Verseifiing  Trimethjlbemsteinsäure  liefernden  Ester: 

r\         r\  /CO,  •  C,Hg 

CHs-C^N?'    '^*  +  BrC(CH,),      =  NaBr  +  CH,.(5-—         C(CH,>, 

\CO,.C,Hs  I  •!  ! 

'  ^    *  C0,.C,H5  CO,C,H,   CO,.C,Hs, 

*  Vgl.  WisLiCENUs,  Ber.  2,  720  (1869).  —  Hell  u.  Wittbkind,  Ber.  7,  319(1874). 

—  Hell  u.  W.  Mayer,  Ber.  22,  48  (1889).  —  Hell  u,  Rothbero,  ebenda,  60. 


A  tihydridinldung) . 

"iideni  als  Hauptpiodnkt  einen  Ester,  der  bei  der  VerseUung  Di^ethylgl 
ii  fert  und  durch  Addition  von  Methakrylsfiureester  an  Natriommethjlnialong 
•üistanden  ist; 

,CO,-C,H^ 
CH,-C^a'     '    '  +  CH,^C-CH,      =  CH,-a  -CH.-CNa-CH, 
\C0,-C,H.  1  1  I 

'     '   ^  CO,C,H»  CO,-C,H,    CO,C,H, 

.tiefe  früher  nicht  berückeichtigteD,  eist  in  neuester  Zeit  au%edeoktea  Verl 
>ediDgen  anch  heute  noch  einige  Unsicherheit  in  der  Beurtheilnng  der  Co: 
i't'U  manchen  nach  den  Reactioneii  2.  und  3.  gewonuenen  SSnren, 

Das  erste  Glied  in  der  Reihe  der  homologen  BerDSteiasäi 
iie  Methyibernsteinaäare  COjH-CH{CHB)-Ca,-C0,H  —  ents 
ier  trockenen  Destillation  der  Weinsäure*  und  wird  daher  gen 
BrenzweliuSnre  genannt  (zuweilen  bezeichnet  man  auch  Uberhi 
isomeren  Dicarbonaäuren  C^HgO,  als  Brenzweinsäuren).  Von  den 
Sänren  ist  keine  speciell  bemerkenswerÜi,  dagegen  ist  die  ganze 
als  solche  in  theoretischer  Beziehung  sehr  interessant  und  d 
letzter  Zeit  sehr  viel  bearbeitet  worden. 

Zunächst  ist  hervorzuheben,  dass  alle  Säuren  gleich  der  Be 
säure  beim  Erhitzen  innere  Anhydride  liefern,  wie  dies  bei  der 
seitigen  Stellung  der  beiden  Carboxylgruppen  zu  erwarten  i 
S.  642 — 643).  Aber  die  Leichtigkeit,  mit  der  die  Anhydridbildi 
tiitt.  ist  sehr  verschieden;  es  hat  sich  die  eigenthUmliche  Ersc 
ergeben,  dass  durch  den  Eintritt  von  Alkylgruppen  in  das  Moli 
Auhydridhildtmg  wesentlich  erleichtert  wird".  Während  Bemsb 
selbst  durch  mehrfache  Destillation  noch  nicht  vollständig  in 
hydrid  ühergeflihrt  wird,  gen&gt  z.  B.  bei  der  Tetramethylberasti 
einmalige  Destillation,  und  schon  beim  Destilliren  einer  wäi 
Lösung,  welche  gleichzeitig  freie  Mineralsäure  enthält,  gehen  1 
Wasserdampf  reichliche  Mengen  des  Anhydride  als  solches  übi 
liehe  Beobachtungen  in  anderen  Gruppen  vgl.  S.  615,  ferner  1 
unter  Homologen  der  Maleinsäure). 

Dann  hat  es   sich  gezeigt,   dass  man  bei  der  Synthese  d 
metrisch  disubstituirten  Bemsteinsäuren : 
R.CH-COiH 
R-CH-COjH 

'  AuwBBS  u.  V.  Meieb,  Her.  22,  800Ö  (1839);  23,  295  (IS90).  —  A 
Jace^oh,  Ber.  23,  1599  (I8»0).  —  Bischopf,  Ber.  23,  3179  (1889);  23,  33S 
24.  1041  (1891).  —  AirwEBS  n.  Korbner,  ebenda,  1923. 

'  FoDBCSOT  u.  VAUftUBLiN,  Ann.  eh.  (IT  36,  16  (1799);  64,  42  (1807).  — 
i-'ompt.  read.  70,  lOOO  (1870). 

'  AirwEBS  u.  V.  Mbieb,  Ber,  23,  101  (1890). 

*  Vgl.  Otto  u.  RötsiHO,  Ber.  20,  2736  (1887).  —  Bisohoff,  Ber.  20,  29( 

-  BuKMOFF  u.  Hjelt,  Ber.  21,  2089  (1888).  —  Zkunhey,  Ber.  21,  3167  ( 
Zeus^ky  n.  Kbapivin,  Ber.  22,  846  (1889).  —  Bibchoff  q.  Voit,  Ber.  23,  68 

-  BiKHOFF  n.  MiwTZ,  Ber.  23,  858  11890,1. 


666  Stereoisomerie  hei  homologen  Bemsteinsäurefi. 


stets  zwei  isomere  Säuren  erhält*,  die  wechselseitig  in  einander  über- 
geführt werden  können,  sich  chemisch  durchaus  gleichartig  verhalten  und 
daher  als  räumlich  isomere  Verbindungen  aufgefasst  werden.  Sie 
unterscheiden  sich  von  einander  namentlich  durch  Löslichkeit  und  Schmelz- 
punkt; man  bezeichnet  nach  Bischoff  die  hochschmelzende,  schwer  lösliche 
Säure  als  Para-Modification,  die  niedrig  schmelzende  leichtlösliche  als 
Anti-Modification  (bei  ungleichen  Radicalen  Meso-Modification).  Die 
Verhältnisse  sind  am  eingehendsten  für  die  beiden  symmetrischen  Di- 
methylbemsteinsäuren  untersucht,  die  auch  in  zwei  isomeren  Anhydriden 
existiren.  Man  gewinnt  die  Anhydride  am  besten  aus  den  entsprechenden 
Säuren  durch  Behandlung  mit  Acetylchlorid;  so  dargestellt  liefert  jedes 
Anhydrid  durch  Einwirkung  von  Wasser  wieder  die  Säure  zurück,  aus 
der  es  entstanden  ist.  Dagegen  erhält  man  durch  längeres  Erhitzen 
der  Parasäure  ein  nicht  ganz  einheitliches  Anhydrid,  welches  durch 
Hydratation  der  Hauptmenge  nach  die  Antisäure  liefert;  auf  diesem 
Wege  also  kann  die  Parasäure  in  die  Antisäure  verwandelt  werden, 
während  umgekehrt  die  Antisäure  durch  längeres  Erhitzen  mit  Salzsäure 
im  Rohr  auf  180 — 190^  in  Parasäure  übergeführt  wird. 

Eine  durchaus  befriedigende  Erklärung  dieser  Isomerien,  die  wohl 
zweifellos  —  namentlich  in  Anbetracht  des  leichten  Uebergangs  der 
Isomeren  in  einander  —  auf  räumliche  Verhältnisse  zurückzuführen  sind. 
ist  bisher  noch  nicht  gefunden.  Die  Theorie  von  van't  Hoff  und  le  Bel 
lässt  allerdings  für  Verbindungen  mit  zwei  direct  an  einander 
haftenden,  gleichartig  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen  — 
und  solche  liegen  ja  in  den  symmetrisch  dialkylirten  Bernsteinsäuren 
vor  —  derartige  Isomerieerscheinungen  erwarten. 

Da  nun  die  Consequenzen  der  Theorie  in  dem  eben  präcisirten  Fall 
für  die  Erklärung  einer  erheblichen  Zahl  von  Isomerieerscheinungen  in 
den  verschiedensten  Verbindungsgruppen  von  grosser  Wichtigkeit  sind, 
mögen  sie  an  dieser  Stelle,  wo  wir  zuerst  einem  derartigen  Beispiel  be- 
gegnen, zunächst  allgemein  entwickelt  werden^. 


*  Für  das  Verständniss  der  stereochemischen  £ntwickeluDgen^  die  Verbindungen 
mit  mehreren  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen  betreffen,  ist  die  Benutzung  vou 
Modellen  unerlässlich.  Es  mag  daher  hier  mit  einigen  Worten  auf  die  im  Handel 
befindlichen  Arten  von  Atom  modeilen  hingewiesen  werden. 

Seit  längerer  Zeit  bedient  man  sich  in  den  Vorlesungen  der  KEKUii'schen 
Modelle:  die  Kohlenstoffatonie  sind  durch  Holzkugeln  dargestellt,  in  welche  an  vier 
die  Ecken  eines  regulären  Tetraäders  bildenden  Punkten  Metallstäbe  (als  VerlfiDgeruuL' 
des  Radius)  fest  eingelassen  sind;  diese  Stäbe  bedeuten  die  Valenzen;  indem  mau 
mehrere  Modelle  durch  Vermittelung  dieser  Stäbe  mit  einander  verknüpft  und  an 
die  nicht  zur  Kohlenstoff  bind  ung  verbrauchten  Valenzen  die  Modelle  andersartiger 
Atome  bezw.  Kadicale  anfügt  kann  man  die  Configuration  complicirterer  Molecüle 
gut  veranschaulichen.  Auf  Verlassung  von  v.  Baeyeb  werden  besonders  construirte 
Verbindungsstückchen  —  Schrauben  mit  Gelenken  —  beigegeben,  mit  deren  HühV 
auch  Molecüle  mit  mehrfachen  Bindungen  oder  mit  ringfSrmiger  Anordnung  ohne 
Schwierigkeit  dargestellt   werden   können.     Diese  Modelle  genügen  für  Vorlesungs- 


Graphische  Darstellung  vo7i  Baumformelfi.     Aiommodelle.  667 


Zuvörderst  möge  hier  eine  einfache  graphische  Darstellungsweise  der 
Laumformeln  erkläxt  werden,  die  sich  in  der  Folge  mehrfach  von  Nutzen 
rweisen  wird.  Man  construire  sich  am  Modell  das  Molecül  des  Aethans 
■Hg-CHg,  drehe  die  beiden  Kohlenstoffatome  um  die  sie  verbindende 
^xe  so  weit,  dass  immer  je  ein  an  das  obere  C-Atom  gebundenes 
I-Atona  vertical  über  einem  am  unteren  C-Atom  haftenden  H-Atom 
teht,  halte  dies  Modell  so  vor  sich  hin,  dass  je  ein  Wasserstoffatom- 
)aar  links^  eines  rechts  und  eines  hinter  dem  vertical  gehaltenen  Kohlen- 
»toffatompaar  steht,  und  biege  endlich  die  beiden  hinten  befindlichen 
iVasserstoffatome  derart  nach  vom,  dass  das  obere  vertical  über,  das 
lütere  vertical  unter  dem  Kohlenstoffatompaar  sich  befindet.  Durch 
Projection  des  so  gerichteten  Modells  auf  das  Papier  erhält  man  die  Figur: 

H 


H 


H 


H 


H 


H 
in  deren  beiden  Kreuzungspunkten  die  beiden  Kohlenstoffatome  zu  er- 
gänzen sind.  Von  diesem  Schema  kann  man  sich  leicht  die  verschiedenen 
Configurationsmöglichkeiten  bei  Substitutionsprodukten  des  Aethans  ab- 
leiten und  graphisch  darstellen.  Um  sie  rückwärts  auf  das  Modell  zu 
übertragen,  braucht  man  sich  nur  daran  zu  erinnern,  dass  die  in  der 
Figur  oben  und  unten  geschriebenen  Substituenten  im  Modell  sich  hinter 
dem  Kohlenstoffatompaar  befinden,  wenn  die  links  geschriebenen  links 
und  die  rechts  geschriebenen  rechts  davon  stehen. 

Wenn  es  sich  nun  um  die  Ableitimg  der  Configurationsmöglichkeiten 
für  den  Fall  zweier  gleichartig  asymmetrischer  und  direct  mit  einander 
verbundener  Kohlenstoffatome,  d.  h.  also  für  eine  Verbindung  von  der 
allgemeinen  Formel: 

zwecke   allen   Anforderungen,   sind   aber   für    den   Gebrauch   des  Einzelnen  unnütz 
gross  und  vor  Allem  viel  zu  kostspielig. 

Billige  Kohlenstoffinodelle  sind  von  P.  Fbisdlaenber  aus  Gummischläuchen 
construirt  worden  (vgl.  ßer.  23,  572  [1890]);  sie  sind  für  die  Veranschaulichung  ein- 
facher Verbindungen  sehr  bequem;  in  complicirteren  Fällen,  wo  Einzelmodelle  in 
grosserer  Zahl  an  einander  gefügt  werden  müssen,  sind  indess  die  so  entstehenden 
Oehilde  nicht  stabil  genug. 

Auf  Veranlassung  von  P.  Jacobson  (vgl.  Cöthener  Chem.-Ztg.  16,  1808  [1892]) 
werden  neuerdings  Modelle  nach  dem  Princip  der  KsKüLig'schen  Modelle,  aber  in 
einfacher  Ausfiihrungsform  angefertigt.  Die  Atome  werden  als  Kugeln  dargestellt, 
<iie  Valenzen  durch  cylindrische,  zum  Mittelpunkt  gerichtete  Bohrungen  markirt.  Durch 
Bleistfibchen,  die  in  diese  Bohrungen  hineinpassen,  wird  die  Verbindung  hergestellt. 
Infolge  der  Biegsamkeit  dieser  Stäbchen  gelingt  auch  die  Darstellung  der  mehrfachen 
Bindimgen  und  die  Zusammenfügung  von  Ringsystemen  ohne  Schwierigkeit.  Die 
Firma  C.  Desaga  in  Heidelberg  liefert  Kasten,  welche  eine  genügende  Zahl  von 
Modellen  und  Stäbchen  enthalten,  zu  dem  Preise  von  5  Mk. 


d 


668 


Isomeriemögliöhkeiten  bei  Verbindungen  mit  zwei 


C(abc) 

I 
C(abc), 

handelt,    so   kaun   mau   die  Zahl   der  möglichen  Isomerien  auch  schon 
ohne  Zuhülfenahme  des  Modells  durch  folgende  Ueberlegung   ermitteln. 
Es  können  die  Gruppen  a,  b  und  c  derart  an  die   beiden  Kohlen- 
stoffatome angelagert  sein,  dass 

1.  ihr  Einfluss  auf  die  Schwingungsebene  des  Lichts  sich  summirt. 
d.  h.  in  beiden  Systemen  entweder  Linksdrehung  oder  Rechtsdrehung 
bewirkt;  so  wird  eine  linksdrehende  und  eine  rechtsdrehende  Modification 
(A  und  B)  und  durch  Vereinigung  von  A  und  B  eine  inactive,  in 
die  beiden  activen  Isomeren  spaltbare  Modification  (C)  möglich; 

2.  ihr  Eilifluss  auf  die  Schwingungsebene  des  Lichtes  sich  in  beiden 
Systemen  aufhebt;  so  kommt  viertens  eine  durch  innere  Compensa- 
tion  inactive  und  daher  nicht  spaltbare  Modification  (D)  zu 
Stande. 

Diesen  vier  möglichen  Modificationen  entsprechen  die  folgenden 
Raumformeln: 

b  b 


A: 


a- 


— c 


I 
a 


B: 


c — 


-a 


c b 


I 
a 


C: 


a 


b— 


a 


c- 


-a 


— b 


a 


D: 


a- 


a- 


Dass  die  Formeln  A  und  B  zwei  optisch  activen  und  entgegen- 
gesetzten Verbindungen  entsprechen,  erkennt  man  leicht  am  Modell; 
wenn  man  z.  B.  die  beiden  Eohlenstoffsysteme  aus  A  von  einander  trennt 
und  in  jedem  die  nun  freie  Valenz  nach  unten  stellt,  so  übersieht  man 
sofort,  dass  das  eine  System  das  Ebenbild  des  anderen  ist  und  daher  in 
gleichem  Sinne  wirken  muss;  dasselbe  gilt  ftir  die  beiden  Systeme  von 
B;  vergleicht  man  aber  ein  System  aus  A  mit  einem  solchen  aus  B,  so 
erscheint  das  eine  als  Spiegelbild  des  anderen.    Ebenso  erkennt  man  bei 


gleichartig  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen,  669 


Betrachtang  der  Gesammtmodelle  von  A  und  B,  dass  sie  sich  mit 
einander  nicht  zur  Deckung  bringen  lassen,  aber  sich  wie  Gegenstand 
und  Spiegelbild  verhalten.  Wenn  man  dagegen  zu  dem  Modell  der 
Formel  D  das  Spiegelbild  construirt,  so  sieht  man,  dass  man  letzteres 
nur  auf  den  Kopf  zu  stellen  braucht,  um  zur  ursprünglichen  Configu- 
ration  zurückzukommen;  diese  Configuration  ist  mithin  mit  ihrem  Spiegel- 
bild identisch,  und  die  entsprechende  Verbindung  muss  daher  inactiv 
sein.  £s  erklärt  sich  dies  auch  leicht,  wenn  man  wieder  die  beiden 
Kohlenstoffsysteme  von  einander  trennt  und  sie  beide  mit  der  freien 
Valenz  nach  unten  stellt;  man  übersieht,  dass  das  eine  System  das  Spiegel- 
bild des  zweiten  ist,  mit  dem  zweiten  nicht  zur  Deckung  gebracht 
werden  kann  und  daher  die  optische  Wirkung  desselben  autheben  muss. 
Nach  dieser  allgemeinen  Erörterung,  der  hier  noch  zugefligt  werden 
möge,  dass  von  der  Dioxybemsteinsäure  (Weinsäure  vgl.  Kap.  30): 

CH(OHXCO,H) 


CH(OH)(COsH) 

tbatsächlich   vier   isomere   Modificationen   bekannt   und   in   ihrem   Ver- 
halten durchaus  entsprechend  den  eben  entwickelten  Anschauungen  ge- 
funden worden  sind,  wollen  wir  nun  wieder  zu  dem  Problem  der  isomeren 
Dialkylbemsteinsäuren  zurückkehren.    Wenn  wir  die  durch  obige  üeber- 
legungen  gewonnenen  Eesultate  zur  Erklärung  dieses  Isomeriefalles  an^ 
wenden    wollen,    so   wäre,    da  beide  Säuren  inactiv  sind,    der  einen  die 
Raumformel  C,  der  anderen  die  Raumformel  D  zu  ertheilen;    und  zwar 
wäre  —  um  die  Analogie  mit  den  Weinsäure-Isomeren  zu  vervollständi- 
gen — ,  die  hochschmelzende  Säure   nach  C,   die   niedrig   schmelzende, 
leichter  lösliche  Säure  nach  D  constituirt  anzunehmen.     Unter  Bezug- 
nahme  auf  diese   Auffassung   hat   eben   Bisohofp  die  Säuren  mit  den 
S.  666  erwähnten  Bezeichnungen    „Para"   und   „Anti**   (bezw.  „Meso") 
—  entsprechend  den  Bezeichnungen  Paraweinsäure  und  Antiweinsäure  — 
belegt. 

Wenn  sonach  die  Existenz  der  symmetrischen  Dialkylbemsteinsäuren 
und  ihrer  Anhydride  in  je  zwei  isomeren,  inactiven  Modificationen  zwar 
durch  die  Consequenzen  der  Theorien  von  van'tHopf-lb  Bel  erklärt  wird, 
so  hat  sich  doch  bis  jetzt  kein  experimenteller  Anhaltspunkt  daflir  finden 
lassen,  dass  eine  solche  Erklärung  in  diesem  Falle  wirklich  zutrifft.  Im 
Falle  der  Weinsäuren  giebt  sie  uns  ein  vollständig  klares  Bild  der  That- 
sachen  (vgl.  dort),  da  es  gelungen  ist,  die  eine  inactive  Modification  in 
Aie  beiden  activen  zu  spalten,  während  dieser  Versuch  bei  der  zweiten 
inactiven  Modification  erfolglos  bleibt.  Allein  alle  Versuche,  eine  der 
symmetrischen  Dialkylbemsteinsäuren  in  zwei  active  Modificationen  zu 
zerlegen,  sind  gescheitert^;  und  die  der  Theorie  nach  mögliche  und 
Bogar  wahrscheinliche  Analogie  mit  den  Weinsäuren  ist  daher  einstweilen 

*  BiBGHOFF  u.  Walden,  Bcr.  22,  1822  (1889).  —  BiscHOFF,  Bcr.  24.  1068  (1891). 


670         Erklärung  der  Stereoisotnerie  bei  homologen  Bemsteinsäuren. 


noch  nicht  durch  Beobachtungen  als  wirklich  bestehend  erwiesen;  freilich 
muss  man  berücksichtigen,  dass  der  negative  Ausfall  jener  Spaltungs- 
versuche nicht  etwa  die  Unmöglichkeit  der  Spaltung  darthut,  sondeiii 
auch  recht  wohl  dadurch  bedingt  sein  kann,  dass  der  Anwendung  von 
Methoden,  die  in  anderen  Fällen  zum  Ziel  gefuhrt  haben,  sich  hier  in 
der  Natur  der  fraglichen  Säuren  begründete  Hindernisse  entgegenstellen 
(Spaltungsversuche  durch  Pilzculturen  fuhren  hier  nicht  zum  Ziel,  da 
den  Dialkylbernsteinsäuren  die  Ernährungstüchtigkeit  abgeht). 

Man  könate  ferner  für  die  Erklärung  dieser  Isomerief&lle  die  Mdglichkeit  in 
Betracht  ziehen,  dass  die  freie  Drehbarkeit  der  Kohlenstoffatome  um  die  sie  ver- 
bindende Axe  (vgl.  S.  84 — 85)  auch  bei  einfacher  KohlenstofiTbindang  unter  gewissen 
Umständen  aufgehoben  wird  ^,  und  daher  ein  System,  wie 

CH» 


H 


CO,H 


COjH 


H 


nicht  nur  in  der  den  stärksten  Anziehungen  entsprechenden  Oonfiguration,  sondern 
in  mehreren  Configurationen  beständig  sein  kann.  Als  Grund  fdr  die  Aufhebung 
der  freien  Drehbarkeit  zieht  Bischoff  die  Baumerfullung  der  Radicale  herbei,  welche 
den  bei  kleineren  Dimensionen  ungehindert  stattfindenden  Uebergang  einer  Configu- 
ration  in  eine  andere  durch  den  Anprall  an  einander  hindern  können,  wenn  sie 
grossere  Dimensionen  besitzen  („dynamische  Isomerie'O*  Mit  dieser  Vorstellung 
ist  indess  die  Existenz  isomerer  Anhydride  wohl  schwer  vereinbar;  auch  ist  nicht 
einzusehen,  warum  die  Isomerie  lediglich  bei  symmetrisch  dialkylirtcn  Bernsteinsäureu 
und  nicht  z.  B.  auch  bei  der  Tri-  und  Tetramethylbernsteinsäure  beobachtet  wird. 

Die  Tabelle  Nr.  36  giebt  eine  Zusammenstellung  der  Bemsteinsäure- 
homologen;  über  die  Bedeutung  des  Werthes  K  in  Columne  IV  vgl. 
S.  640 — 641 ;  es  erhellt  aus  den  K-Werthen,  dass  alle  Homologen  stärkere 
Säuren  sind  als  die  Bernsteinsäure  selbst  (K  =  0-0067,  vgl.  S.  640). 
Dies  Ergebniss  steht  in  eigenthümlichem  Gegensatz  zu  den  Verhältnissen 
in  der  Malonsäuregruppe;  alle  Monalkylderivate  der  Malonsäure  sind 
schwächer  als  die  Malonsäure. 

Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  36  auf  S.  671:  *  Gedther  u.  RiemanNi  Ztschr. 
Chem.  1869,  318.  —  *  Moldenhauer,  Ann.  131,  340  (1864).  —  *  Kekul£,  Ann.  Suppl. 
1,  842  (1861);  2,  95  (1862).  —  *  Simpson,  Ann.  121,  161  (1862).  —  *  Akth,  Ck)mpt. 
rend.  107,  109  (1888).  —  ®  Hlabiwetz  u.  Barth,  Ann.  138,  73  (1866).  —  ^  Kbessseb, 
Ann.  192,  135  (1878).  —  «  Conrad,  Ann.  188,  227  (1877).  —  »  Bourqoin,  Ann.  eh. 
[5]  12,  419  (1877).  —  "  Claus,  Ann.  191,  39  (1878);  265,  247  (1891).  —  "  Sekkamp, 
Ann.  133,  253  (1865).  —  "  Arppe,  Ann.  06,  79  (1848);  87,  228  (1853).  —  »»  Mala- 
GüTi,  Ann.  25,  274  (1838).  —  "  Böttinoer,  Ber.  11,  1352  (1878).  —  "  Markowxikow, 
u.  Lbbedew,  Ann.  182,  327  (1876).  —  *«  Hjelt,  Ber.  16,  2621,  2624  (1883).  —  "  Bischofp, 
Ber.  24,  1064  (1891).  —  "  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  8,  454  (1891).  - 
"  Thorne,  Joum.  Sog.  39,  338  (1881).  —  ^^  Hügqenbero,  Ann.  192,  146  (1876).  — 
"  PoLKo,  Ann.  242,  113  (1887).  —  "  Bischoff,  Ber.  24,  2015  (1891).  —  »>  Bethmakn, 

1  Bischoff,  Ber.  23,  623  (1890);  24,  1085  (1891).  —  Baeyer,  Ann.  258,  180  (1890). 


TabellariscJie  Zusammenstellung  der  homologen  Bernsteinsuuren.        671 


Tabelle  Nr.  36. 


Name 


Zusammen- 
setznng 


Schmelz- 
punkt 


DiBBO- 

""^cin"'"!  Schm.-       Siede- 
stante k|   punkt  I     punkt 


der  Säure 


des  Anhydride 


Methvlbemsteinsäure*-*«-^»««-«« li  C^HgO^ 


Aethvlbemsteinsäure  "—**••*     

m 

Svinmetr.  Dimethylbernsteins.*®*'— '^  Para- 

„  Anti- 

UDSVmmetr.  „  18.23.80.85.S8-40 


Propylbemsteinsäure*'"**»-'^-«^ 

Isopropylbernsteinsaure»«"-*^-^-*^-»®    .... 
Symmetr.  Methyläthylbernsteins.*''»"  **  Para- 
.,                            „                          Meso- 
Trimethylbemsteinsäure  "•**"*' 


CeHjoO 
CeHioO 

C^HigO 
C7H1JO 

I     CyHijO 
C;Hi,0 


aH,.o 


Balylbemsteinsäure^* y^s^'^u 

Ifiobutylbernsteinsäure"'^ CJluO 

Svmmetr. Diäthylbernsteins."* ".""*»  Para-  '1  CgHi^O 
„                             „                           Anti-      C8H14O 

Unsymmetr.  „        ** ;|  CgHj^O 

Dimethyläthylbernsteinsäure  ^8-*«-" Ij  CgHi^O 

Tetramethylbemsteinsäure  "•**-«<> CgHi^O 


Dimethylpropylbernsteinsäure  "' 


Ö7 


C^H.eO 


Düsopropylbemsteinsäure*' CjoHigO 

Tetradecylbemsteinsäure" CjgHj^O 


112<> 

99  <> 
1970 

120<> 
139<> 

91 0 
1140 

84  <> 
139-50 

81  <> 
104° 


0.0086  31— 32 0 


247 


0-0085  flüss.      244—2450 

0-0191  380 

0-0123|  870 

0 • 0080  29  0 


|234— 


2350 
2300 


0-0089 

0-0075 

0-0207 

0-02011 

0-0807 


üüss. 
flüss. 


I 


245—2500 
2430 


0-0343     flüss. 
flüss. 


0-0088 I      — 

189— 1900  0-0245,  flüss. 

1290 
I        860 

1390        0-0556  flüss. 

190—1920  0-0314  1470 

I 

'  j 

140—1410  0-0551 

167— 1680]      — 

1210       '      _  89 


245—2500 
2710 

230-50 


Ztachr.  f.  physik.  Chem.  6,  403  (1890).  —  **  Wislicenus,  Ber.  2,  720  (1869).  — 
*'  Hardtmuth,  Ann.  192,  142  (1878).  —  "  Weidel,  Ann.  173,  109  (1874).  —  "  WEroEL 
u.  Br«,  Monatsh.  3,  612  (1882).  —  "  E.  v.  Meyer,  J.  pr.  [2]  26,  358  (1882j.  — 
•*  Otto  u.  Beckurts,  Ber.  18,  838  (1885).  —  'o  Leückart,  Ber.  18,  2344  (1885).  — 
»'  B18CHOFP  u.  Räch,  Ann.  234,  54  (1886).  —  "  Otto  u.  Rössino,  Ber.  20,  2736  (1887). 

—  "  Zelinskt,  Ber.  21,  3167  (1888).  —  •*  Zelinsky  u.  Krapivin,  Ber.  22,  646  (1889). 
•*  Hell  u.  Rothbero,  ebenda,  63,  1737.  —  *•  Bischopf  u.  Voit,  Ber.  23,  639,  644 
(1890J.  —  •'  AuwERS,  Ber.  24,  1782  (1891).  —  »«  Pinner,  Ber.  15,  582  (1882).  — 
••  Lbvt  u.  Englaewder,  Ber.  18,  3209  (1885).  —  *o  Barnstein,  Ann.  242,  126  (1887). 

—  **  Waltz,  Ann.  214,  58  (1882).  —  *•  Hlastwetz  u.  Grabowski,  Ann.  146,  209 
(1868J.  —  *»  Kachler,  Ann.  169,  168  (1873).  —  **  Roser,  Ann.  220,  271  (1883).  — 
^*  BiscHOFF  u.  Mintz,  Ber.  23,  647  (1890).  —  **  Zelinsky  u.  Besredka,  Ber.  24,  459 
(1891).  —  *''  Bischoff,  ebenda,  1041.  —  *®  Aüwers  u.  Koebner,  ebenda,  1923.  — 
*»  Frmo  n.  A.  Schmidt,  Ann.  266,  105  (1890).  —  *o  Walden,  Ber.  24,  2036  (1891).  — 
"  Hjelt,  Ber.  20,  3078  (1887).  —  "  Otto,  Ann.  239,  279  (1887).  —  "  Bischoff  u. 
Hjblt,  Ber.  21,  2089,  2097  (1888).  —  "  Bisohoff,  ebenda,  2102.  —  "  Hell,  Ber.  22, 
67  (1889).  —  *»  BiscHOFP  u.  Mintz,  Ber.  23,  3410  (1890).  —  "  Bischopf,  Ber.  24, 
1050  (1891).  —  "  Hell  u.  Wittekind,  Ber.  7,  319  (1874),  —  »*  Aüwers  11.  V.  Meyer, 


672  Olutarsäure. 


Ber.  22,  2018  (1889);  23,  101,  298  (1890).  —  ^  Auwebs  u.  Gardneb,  Ber.  23.  UH 
(1890).  —  "  Hell  u.  W.  Mayer,  Ber.  22,  50  (1889).  —  ••  Keafft  u.  Gbosjbav,  Ber 
23,  2854  (1890).  —  •»  Perkin,  Journ.  Soc.  46*  516  (1884);  63,  564  (1888).  —  •*  Ljä^d 
u.  Köhler,  Ann.  262,  207  (1890).  -^  ^  Wdsbar,  ebenda,  219,  232.  —  ^  Lora»,  Aeb. 
266,  264  (1891).  —  •»  Fittio,  Ber.  24,  87  (1891).  —  «  Wetoel,  Monatah.  11,  52' 
(1890).  —  ••  Schleicher,  Ann.  267,  114  (1892). 

lY.   OlutarsSure  und  ihre  Homologen. 

CHutarsäureiC5H30^=C0jHCHjCH2CH2C0jH(normaleBreD2. 

Weinsäure,  vgl.  S.  665)  findet  sich  im  WoUschweiss  und  im  Rübensafi: 
ein  Derivat  der  Glutarsäure  —  die  Glutaminsäure  (vgl.  Kap.  31)  —  ist  im 
Pflanzenreiche  sehr  verbreitet  und  wird  durch  Spaltung  von  Eiweis^- 
körpem  erhalten;  durch  Umwandlung  derselben  ist  die  Glataxsäore  zu- 
erst gewonnen  worden.  Eine  Reihe  von  synthetischen  DarstellungsweiseL 
beweist  ihre  Constitution;  Glutarsäure  entsteht  aus  Trimethylenbromii 
durch  Vermittelung  des  Trimethylencyanids ,  aus  Natriumacetessigester 
(bezw.  Natriummalonsäureester)  durch  Einwirkung  von  /9-Jodpropio»- 
säureester  (bezw.  /S-Brompropionsäureester)  und  Säurespaltung  des  ent- 
standenen Acetglutarsäureesters  (bezw.  Verseifung  des  CarboxyglutÄr- 
säureester): 

CO,.C,Hß  COjCjH,  CO,H 

I  I 

CH.CHjCHj.COj.C3H5 >-     CHjCHjCHjCOjH, 


CHNa 

1 

CO 

1 

>- 

CH. 

CO 

1 

CH, 

CH, 

Acetglutarsäureebter 

aus  Malonsäurester  durch  Condensation  mit  Formaldehyd  (bezw.  Ein- 
wirkung von  Methylenjodid  oder  Methylenchlorid  auf  Natriummalonsäure- 
ester) unter  Benutzung  des  Dicarboxylglutarsäureesters  (Kap.  27)  al- 
Zwischenstufe: 


yCOj .  CjHj 

CH,< 

m:;o,-c,h, 


/CO, .  CjHg 
CH< 

1      \COj.CjH, 

CH,-CO,H 

CH, 

>-      CH, 

1      /COj  •  CjHj 
CH< 

\CO,.C,H, 

! 

CH,-CO,H ; 

*  DiTTMAR,  J.  pr.  [2]  6,  338  (1872).  —  Markowmikow  u.  Lerxoktow,  Aun.  162, 
341  (1876).  —  Markowkieow,  Ber.  10,  1108  (1877).  —  Reboül,  Ann.  eh.  [5]  14,  5(»1 
(1878).  —  WisLicENUB  u.  LiMPACH,  Ann.  102,  128  (1878).  —  Coitrad  u.  Guthzbtt.  Ann. 
222,  256  (1888).  ~  Perkik  Qun.),  Ber.  19,  1054  (1886).  —  Nobrdlinoer,  ebenda.  1898. 

—  Carette,  Compt  rend.  101,  1500  (1885);  102,  692  (1886).  —  Büisike,  Comptrend 
107,  789  (1888).  —  Guthzeit  u.  Dressel,  Ber.  21,  2234  (1888).  Ann.  256,  176(1889-. 

—  Krapft  u.  Noerdlinoer,  Ber.  22,  816  (1889).  —  Crum-Brown  n.  Walker,  Ann.  261 
119  (1890).  —  Emery,  Ber.  24,  288  (1891).  —  v.  Lippmanh,  Ber.  24,  8301  (18911.  - 
Perkin  jun.  u.  Prentice,  Joum.  Soc.  69,  991  (1891).  —  Stobmann  11.  Kleber.  J.  p^ 
[2]  46,  475  (1892). 


Derivate  der  Glutarsäure.  673 


letztere  Bildungsweise  dürfte  sich  am  besten  zur  Darstellung  eignen. 
iTlutai-säure  ist  in  Wasser  sehr  leicht,  löslich  und  krystallisirt  daraus  in 
2;lasglänzenden  Prismen;  sie  schmilzt  bei  97-5^;  wird  sie  schnell  und 
^tark  erhitzt,  so  kann  sie  bei  etwa  290^  anscheinend  unverändert  über- 
ile^tillirt  werden;  bei  langsamerer  Destillation  aber  erhält  man  ein  Ge- 
menge der  Säure  mit  ihrem  Anhydride.  Von  den  Salzen  der  Glutar- 
säure  ist  besonders  das  Zinksalz  CßHgO^Zn  charakteristisch;  es  ist  in 
kaltem  Wasser  schwer  löslich  (1  Th.  in  102  Th.  bei  18*^);  da  es  in 
heissem  Wasser  noch  weniger  löslich  ist  —  eine  Erscheinung,  die  bei 
den  Salzen  der  höheren  Dicarbonsäuren  übrigens  sehr  häufig  beobachtet 
wird,  —  so  scheidet  ^die  kalt  gesättigte  Lösung  beim  Erwärmen  einen 
Niederschlag  aus,  der  unter  dem  Mikroskop  betrachtet  rechteckige  Täfel- 
ehen mit  einspringenden  Winkeln  darstellt. 

DeriTate  der  Glutarsäure.    Glutarsäurediäthylester^  QHQ04(CaH5),  siedet 

bei  236-5—2370;  spec.  Gew.  bei  20» :  1  -024.  —  Das  Anhydrid**«  CH,<;  \0 

\CH,-CCK 
schmilzt  bei  56—57**  nnd  siedet  unter  theil weiser  Zersetzung  bei  286— 288**.  —  Das 
Nitril»-*  CN-(CH,)5.CN  (Trimethylencyanid)  siedet  unter  10  min  Druck  bei  142^ 
unter   gewöhnlichem  Druck    nicht  ganz  unzersetzt  bei  276**  und  besitzt  bei  11®  das 

/CHjCOv 
<pec.  Gew.  0-996.   —  Das  Imid*  CH,^  ^NH  bildet  glänzende,  bei  154- 5** 

schmelzende  Täfelchen;  sehr  interessant  ist  seine  Bildung  durch  Oxydation    des  Pi- 
peridina  mit  Wasserstoffsuperoxyd: 

<Crl2  •  Cxjjv  yCH  j  •  COv 

>NH  >-      CHj<  >NH  . 

CHjCH/  ^CHjCO/ 

Piperidin  Glutarimid 

Homologre  der  GlutarsSSure  sind  hauptsächlich  nach  folgenden  Beactionen  ge- 
wonnen worden: 

1.  Condensation  von  Aldehyden  mit  Malonsäure  oder  Malonsäureester^  (vgl. 
S.  491)  führt  zu  ^monalkylirten  Glutarsäuren. 

2.  Einwirkung  von  ^-Jodpropionsäureester  auf  Alkylacetessigester'  führt  zu 
«monalkylirten  Glutarsäuren  (vgl.  die  Synthese  der  Glutarsäure,  S.  672). 

3.  Einwirkung  von  Methylenjodid  auf  die  Natrium vefbindungen  von  «-Cjan- 
fettsäureestem  ®  (bezw.  Alkylmalonsäureestem®)  führt  zu  symmetrisch  dialkylirten 
Glutarsäuren : 


1  Rbboul,    Ann.  eh.  [5J  14,    504  (1878).  —   Perkin  (jun.),  Ber.  19,   1055  (1886). 
Perkin,  Joum.  Soc.  63,  567  (1888). 
'  Markownikow,  Ber.  10,  1103  (1877). 
'  Krafft  u.  Noerdlinoer,  Ber.  22,  817  (1889). 

*  Hbkby,  Compt.  rend.  100,  742  (1885).    —    Biedermann,  Ber.  22,  2967  (18H9\ 
PiMKER  u.  DiETz,  Bcr.  23,  2942  (1890).  —  Gabny,  Ber.  24,  3431  (1891). 

^  Bbrnhemeb,  Ber.  16,  1683  (1883).  —  Wolffenstein,  Ber.  25,  2778  (1892). 

*  KoMNENOs,  Ann.  218,  145  (1883). 

'.  WisLicENUS  u.  LiMPACH,  Ann.  192,  133  (1878). 

*  Zelinsky,  Ber.  22,  2823  (1889).  »  Bihchoff,  Ber.  23,  1464  (1890). 
V.  Mkykr  u.  Jacobson,  org.  Chem.    I.  43 


674  Homologe  der  Oluiarsäure. 


CHj  CHg  CH, 

I  I  i 

2CN— CNa  +  CH,J,   =   2NaJ  +  CN-C — CH,— C— CN     , 

I  !  I  ■ 

CO,C,H,  C0,C,H5     CO,C,H, 

CH3  CH,  CH,  CH, 

II  i  I 

CN-C — CH, — C— CN      +6H,0  =  CH-CH,-CH     +  2C,HaO +  2NH,  +  2C0,. 

II  II 

CO.CjHs    CO,.C,H,  CO,H  CO,H 

Zu   analogen  Produkten  gelangt   man  durch  Alkylirung  des  S.  672   genannten  Di- 

carbozylglutarsäureesters  ^  : 

/CO.CHs  /CO,.C,H, 

,CNa<^  .C(C,H,X^  CH(C,H5)-C0,H 

\CNa<:  ^CCCjHeK  M)H(C,H5>-C0,H. 

\co,.CÄ  N:jo,.c,H5 

4.  Addition  der  Natriumverbindung  des  Malonsäureesters  oder  eLnes  subetitmrteD 
Malonsäureesters  an  den  Ester  einer  J<^ß-  ungesättigten  SSure',  z.  B.: 

CH, — CH  /CO,  •  C,H5  /CO,  •  CjHj 

I     -fCH<  =  CH,-CH-CH< 

CHbCOj-CH       I      \CO,.C,H,  I  \CO,.C,H,, 

Na  C,H5.C0,-CHNa 

<C0,  •  CjHj 
CH,-CH-CH,-CO,H 
C0,.C,Hj  +  3H,0  =  3C,H«04-C0,-h  ' 

C,Hb  .  C0,-CH,  CO,H-CH, 

Zu  erinnern  ist  endlich  noch  an  die  Bildung  von  Glutars&urehomologen  daiek 
Reactionen,  die  zu  Bernsteinsäurehomologen  fuhren  sollten^  in  Folge  der  S.  664-^65 
erörterten  Verhältnisse. 

Auch  in  dieser  Gruppe  treten  zu  den  durch  verschiedene  Stmctur  bedingten 
IsomeriefäUen  Beispiele  von  räumlicher  Isomerie^  die  den  stereoisom^en  symme- 
trischen Dialkjlbemsteinsäuren  entsprechen.  Die  Dimethjlglutarsäure  CO,H*CH(Cfl|)' 
CH8'CH(CH,)'C02H  ezistirt  in  einer  leicht  löslichen,  niedrig  schmelzenden  und  in 
einer  schwer  löslichen,  höher  schmelzenden  Modification.  Die  UmwandlungBrerhllt- 
nisse  liegen  hier  indess  gerade  umgekehrt  wie  in  der  Bemsteinsänrereihe;  die  schwer 
lösliche  Säure  geht  durch  Erhitzen  mit  Salzsäure  bis  200^  in  die  leicht  IQsUch" 
Säure  über;  aus  beiden  Säuren  erhält  man  ein  und  dasselbe  Anhydrid,  welches  daicb 
Hydratation  die  schwer  lösliche  Säure  liefert  und  demnach  einen  üebergang  der 
leichtlöslichen  Modification  in  die  schwerlösliche  vermittelt 

Aus  dem  elektrischen  Leitvermögen  ergiebt  sich,  dass  alle  bisher  unterencbten 
Homologen  der  Glutarsäure  an  Stärke  die  Grlutarsäure  etwas  übertreffen  und  sich  ein- 
ander sehr  nahe  stehen^.  Eine  Ausnahme  bildet  die  Trimethylglutarsänre,  deren 
Dissociationsconstante  kleiner  als  diejenige  der  Glutarsäure  gefunden  wurde;  vielleicbt 
wird  die  Constitution  dieser  Säure  (Entstehung  vgl.  S.  664)  noch  nicht  richtig  gedeatet 


^  GuTHZEiT  u.  Dressel,  Ann.  250,  171  (1889). 

*  AüWEKS  u.  KoEBNER,  Bcr.  24,  1923  (1891).—  Auwers,  Koebker  u.  v.  toE>- 
BÜRG,  ebenda,  2887. 

»  Zelinsky,  Ber.  22,  2823  (1889).  —  Zelinsky  u.  Besredka,  Ber.  24,  459(1891'- 
—  Auwers  u.  Koebner,  ebenda,  1923. 

*  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  8,  488  (1891). 


Adipinsäure  und  Dimethyladipinsäuren,  675 


Die  Tabelle  Nr.  37  auf  S.  676  giebt  eine  Uebersicht  über  die  homologen 
rlntarsäuren. 

r.   Die   SSaren,  deren  Carboxyle  durch  mehr  als  drei  Eohleu- 

stoffatome  ron  einander  getrennt  sind. 

Auf  die  häufige  Bildung  dieser  Säuren  bei  der  Oxydation  hoch- 
Qolecnlarer  Fettkörper  ist  schon  hingewiesen  worden  (S.  639);  diese 
Cntstehungsweise  hat  zu  ihrer  Entdeckung  geführt. 

Adipinsäure^  C^^io^^  =  C02H(CH2)4COjH  ist  das  erste  Glied  in 
1er  Reihe  der  normalen  Dicarbonsäuren,  das  ohne  jede  Veränderung 
lestillirt  werden  kann.  Weder  erleidet  sie  durch  Erhitzen  Kohlensäure- 
ibspaltung,  wie  die  Oxalsäure  und  Malonsäure,  noch  Wasserabspaltung, 
wie  die  Bernsteinsäure  und  Glutarsäure;  auch  in  anderen  Eeactionen 
[z.  B.  Elrhitzen  des  Silbersalzes  mit  Acetylchlorid)  erweist  sie  sich  als 
unfähig  zur  Bildung  eines  inneren  Anhydrids  (vgl.  S.  642 — 643),  das  einen 
siebengliedrigen  Ring  enthalten  würde.  Dagegen  erfolgt  bei  der  Destil- 
lation ihres  Calcium-  oder  Bariumsalzes  die  Bildung  eines  cyclisch  con- 
stituirten  Eetons,  dessen  Molecül  einen  funfgliedrigen  Bing  enthält  — 
des  Ketopentamethylens  (vgl.  Bd.  II): 

CH,— CHj-COO.  CHj-CH,. 

I  >Ca  =    I  >C0  +  CaCOs . 

CH,~CH,-CO .  0/  CH,— CH/ 

Adipinsäure  findet  sich  im  Riibensaft;  ihre  Constitution  ergiebt  sich 
durch  die  Bildung  bei  der  Einwirkung  von  Silber  auf  /^-Jodpropionsäure 
GHjJCHg-COgH  und  bei  der  Elektrolyse  des  ätherbemsteinsauren 
Kaliums  CaHg-OCO-CHjCH^-COjjK  (vgl.  S.  638);  zur  Darstellung  wird 
die  Oxydation  von  Tetrahydro-a-Naphtylamin  empfohlen.  Sie  krystalli- 
sirt  aus  Wasser  in  matten  Blättchen,  die  aus  feinen  Krystallnadeln  be- 
stehen, schmilzt  bei  148 — 149^  siedet  unter  100mm  Druck  bei  265°; 
sie  bildet  sehr  leicht  übersättigte  Lösungen;  bei  15^  lösen  100  Th, 
Wasser  1-44  Th.  Adipinsäure,  100  Th.  Aether  0-605  Th.  Von  ihren 
Salzen  sind  die  meisten  in  der  Wärme  weniger  löslich  als  in  der  Kälte. 

Sjmmetriselie  DimethyladlpinsSure » CO,H  •  CH(CH,)  •  CH,  •  CH,  •  CHCCH,)  ■  COjH 
ist  durch  Combination  von  Aethjlenbromid  mit  Gyanpropionsäureester  (vgl.  dio 
Bildungsweise  3  der  homologen  Griutarsfiuren,  S.  673—674)  gewonnen.  Analog  den 
Dialkylbernsteinsäuren  (S.  665—666)  und  Dialkylglutarsäuren  (S.  674)  existirt  sie  in  zwei 


*  Laurekt,  Ann.  eh.  [2]  66,  166  (1837).  —  Bromeis,  Ann.  35,  105  (1840).  — 
Malagcti,  Ann.  eh.  [3]  16,  84  Anm.  (1846).  —  Arppe,  Ztschr.  Chem.  1866,  300.  — 
SYisLicBNUs,  Ann.  140,  221  (1868).  —  Ladenburg,  Ann.  217,  142  (1882).  —  Hell  u. 
Dibterle,  Ber.  17,  2221  (1884).  —  Baeyer,  Ber.  18,  680  (1885).  —  Carette,  Compt. 
rend.  101,  1498  (1885).  —  Ba»berger  u.  Althausse,  Ber.  21,  1897  (1888).  —  Wislicenus 
u.  HrascHEL,  Tageblatt  d.  62.  Naturforscherversammlung,  S.  227  (Heidelberg,  1889). 

-  Krapft  u.  Noerdlinger,  Ber.  22,  817  (1889).  —  Reformatzky,  Ber.  23,  103  (1890). 

-  Crüm-Brow^'  u.  Walker,    Ann.  261,   117,   121  (1890).   —    v.  Lippmann,    Ber.  24, 
3302  (1891).  —  Walker,  Journ.  Soc.  61,  712  (1892). 

*  Zelinsky,  Ber.  24,  3997  (1891). 

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676 


Tabeüarisehe  üebersicht  über  die  homologen  Olutarsäuren. 


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PimdUisäure,  Kwksäure,  Siiberon.  677 


stereoiaomeren  Modificationen,  deren  eine  rhombisch  krystallisirt,  bei  74—76^  schmilzt 
und  in  etwa  16  Th.  Wasser  von  15°  löslich  ist,  während  die  andere  Säure  monoklin 
kiystallislrt,  bei  140—141°  schmibst  und  bei '^2  °  etwa  180  Th.  Wasser  zur  Lösung  er- 
fordert; die  niedrig  schmelzende  Säure  geht  beim  Erhitzen  mit  verdünnter  Salzsäure 
auf  200°  in  die  hochschmelzende  Säure  über;  beide  Säuren  sieden  bei  der  gleichen 
Temperatur  (320—322°)  und  besitzen  die  gleiche  Dissociationsconstante  (K  =  0'0042). 

Pimelinsäure  1  CyS^fi,  =  GO^^'[GB^\CO^B.  wird  bei  der  Oxydation 
von  Ricinusöl  mit  Salpetersäure  erhalten;  ihre  normale  Structur  folgt 
aus  der  Sjuthese  durch  Einwirkung  von  Trimethylenbromid  auf  Natrium- 
malonsäureester : 

(C,H50.CO)8CHNa    >    (CjM^O- CO ),CH.CH,.CH,.CH,.C  11(00. OOjHj), 

>    CO,H .  CHa .  GH, .  CH,  •  CH,  •  GH,  •  CO,H  . 

Sie  kystallisirt  aus  Wasser  in  breiten,  zu  Büscheln  vereinigten,  tafel- 
förmigen Krystallen,  schmilzt  bei  105-5 — 106^,  siedet  unter  100mm 
Druck  bei  272«  und  löst  sich  in  24  Th.  Wasser  von  20 ^  Sie  spaltet 
auch  bei  wiederholter  Destillation  kein  Wasser  ab  und  bleibt  beim  Er- 
hitzen mit  Acetylchlorid  oder  Essigsäureanhydrid  unverändert,  zeigt 
mithin  nicht  die  Fähigkeit  zur  Anhydridbildung. 

Ueber  symmetrische  DialkylpimelinsUureii  GOjHCHRGHj.CHjGHjGHR- 
CO,H  vgl.  die  Originalliteratur*. 

Eorksftare»  C^^^fi^  =  i^O^YL'[GR^\GO^n  wird  durch  Oxydation 
von  Ricinusöl  dargestellt;  sie  krystallisirt  in  langen  Nadeln,  schmilzt  bei 
140*',  siedet  unter  100mm  Druck  bei  279^,  unter  gewöhnlichem  Druck 
gegen  300*^  ohne  Veränderung;  100  Th.  Wasser  lösen  bei  lö-ö^  0-142Th. 
Säure.  Ihre  normale  Structur  folgt  aus  der  Bildung  durch  Elektrolyse 
von  ätherglutarsaurem  Kali  (vgl.  S.  638), 

Von  grossem  Interesse  ist  eine  durch  Destillation  von  korksanrem  Galcium  ge- 
wonnene Substanz  —  das  Suberon^  G7H12O,  welchem  man  unter  der  Voraussetzung, 

'  Baeteb,  Ber.  10,  1358  (1877).  —  Schorlemmer  u.  Dale,  Ann.  100,  148  (1879). 

—  Gantteb  u.  Hell,  Ber.  17,  2212  (1884).  —  Haitinger  u.  Lieben,  Monatsh.  5,  358 
11884).  —  Perkin  jun.,  Ber.  18,  3249  (1885).  Joum.  Soc.  51,  240  (1887).  —  Marck- 
waldt,  Ber.  21,  1400  (1888).—  Krafpt  u.  Noerdlinoeb,  Ber.  22,  817  (1889).—  Walden, 
Ztechr.  f.  phjsik.  Ghem.  8,  490  (1891).  —  Perkin  jun.  u.  Prentice,  Joum.  Soc.  60, 
825  (1891).  —  Volhard.  Ann.  267,  80  (1892).  —  Walker,  Journ.  Soc.  01,  700  (1892). 

*  Perkin  jfn.  u.  Prentice,  Journ.  Soc.  50,  818  (1891).  —  Zelinsky,  Ber.  24, 
4004  (1891).  —  Walker,  Jour.  Soc.  61,  701  (1892). 

*  BoussiNGAULT,  Ann.  10,  307  (1836).  —   Laurent,  Ann.  eh.  [2]  66,  157  (1837). 

—  Bromeis,  Ann.  35,  89,  96  (1840).  —  Tilley,  Ann.  30,  166  (1841).  —  Sass,  Ann. 
61,  226  (1844).  —  Wirz,  Ann.  104,  271  (1857).  —  Dale,  Ann.  132,  244  (1864).  — 
Abppe,  Ztschr.  Ghem.  1866,  298.  —  Dale  u.  Schorlemmer,  Ann.  100,  145  (1879).  — 
Gaxtter  u.  Hell,  Ber.  13,  1165  (1880).  —  Gahours  u.  Demar^ay,  Gompt.  rend.  04, 
610  (1882).  —  Perkin,  Journ.  Soc.  45,  517  (1884).  —  Hem.  u.  Rempel,  Ber.  18,  812 
11885).  —  Krafft  u.  Noerdlinoer,  Ber.  22,  817  (1889).  —  Grum- Brown  u.  Walker, 
Ann.  361,  119,  113  (1890).  —  Walker,  Joum.  Soc.  61,  713  (1892). 

*  BoirssiNGAüLT,  Ann.  10,  308  (1836).  —  Tilley,  Ann.  30,  166  (1841).  —  Dalk 
u.  Schorlemmer,  Ber.  7,  806  (1874).  Ann.  100,  147  (1879).  —  Ladenburo,  Ber.  14, 
2405  (1881).  —  Spiegel,  Ann.  211,  117  (1881).  —  Näoeli,  Ber.  16,  497  (1883).  — 
Markownikow,  Gompt.  rend.  110,  466  (1890);  116,  462  (1892). 


678  Azelainsäure,  Sebadnsäure  eic. 


dass  die  Reactioii  analog  der  gewöhnlichen  Ketonbildung  verlfiaft,  die  Fono«. 
eines  Ketoheptamethjlens: 

CM« CHa CHjy 

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Cxi  j — C  H  j — CH  j 

beilegen  müsste,  während  nach  anderen  Erfahrungen  zur  Bildung  eines  riDgionLi^ 
geschlossenen  Systems  von  7  Kohlenstoffatomen  wenig  Neigung  besteht  (Näbs^ 
vgl.  Bd.  II). 

Azelainsäure  ^  CgH^gO^  =  CO^H  -  {CH.^\  •  COgH  wird  ebenfaUs  am  beste'. 
durch  Oxydation  von  Ricinusöl  gewonnen;  ihre  Trennung  von  der  Kork- 
säure gründet  sich  zweckmässig  auf  die  yerschiedene  Löslichkeit  in 
Aether,  welcher  die  Azelainsäure  leichter  als  die  Korksäure  aufiiijnmr, 
und  auf  die  Krystallisation  des  Maguesiumsalzes  (100  Th.  Wasser  lösei 
bei  20^  13-45  Th.  korksaures  Magnesium,  aber  bei  18**  nur  3-62  TL 
azelalnsaures  Magnesium).  Azelainsäure  krystallisirt  aus  Wasser  in  grusvei: 
dünnen,  perlmutterglänzenden  Blättern,  schmilzt  bei  106^  und  m\e. 
unter  100  mm  Druck  bei  286-5^  100  Th.  Wasser  lösen  bei  12<>  0-108  TL 
der  Säure,  100  Th.  Aether  bei  15  ^  2-68  Th.  —  Für  die  norajal- 
Structur  der  Azelainsäure  kann  einstweilen  lediglich  ihre  Bildung  bti 
der  Oxydation  von  Fetten  und  der  Umstand  angeführt  werden,  dass  sie.. 
ihr  Schmelzpunkt  und  Siedepunkt  gut  in  die  Reihe  der  normalen  Dicarbon- 
säuren  einfügt  (vgl.  S.  639) ;  synthetisch  ist  die  Säure  noch  nicht  ft- 
wonnen  worden. 

Sebacinsäure»  Ci^HigO^  =  C03H(CH2)8-CO,H  wird  am  besten  üml 
trockene  Destillation  der  durch  Verseifen  von  Eicinusöl  mit  Jiatronlaug 
erhaltenen  Natronseife  gewonnen.  Ihre  normale  Structur  ist  durch  dir 
'Elektrosynthese  aus  Adipinsäure  (vgl.  S.  638)  erwiesen.  Sie  bildet  glänzeuüe 
Krystallblätter,  schmilzt  bei  127— 128^  siedet  unter  100mm  Druck  be: 
294- 5«  und  löst  sich  bei  17^  in  1000  Th.,  bei  100«  in  50  Th.  Wasser. 

Die  normale  DicarbonsÄure  der  12.  Reihe  —  DekamethylcndiCÄrVon- 
sMure  COgH  •  (CHjJjo  •  COjH  —  liegt  wahrscheinlich  in  der  Säure  vor,  welche  ac« 
ündecylensäure  (vgl.  S.  509—510)  auf  folgendem  Wege  erhalten  uird': 

CH,  CHjBr  CHi-CN' 

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CO^II .  (CHj)8  •  CH  CO^H .  (CH,)«  •  CH,  CO,H  •  (CH.)»  •  CB^ 


^  Laurent,  Ann.  eh.  [2]  66,  172  (1837).—  Arppe,  Ann.  124,  86  (1862).    Zt^br. 
Chem.  1865,  296.  —  Grote,  Ann.  130,  207,  209  (1864).  —  Dale,  Ann.  132,  247  (I864i 

—  Dale  u.  Schorlemmer,  Ann.  199,  149  (1879).  —  Gantter  u.  Hell,  Ber.  14,  36ö, 
1545  (1881).  —  Krafpt  u.  Noerdlinoer,  Ber.  22,  818  (1889). 

^  Bedtenbacher,  Ann.  85,  188  (1840).  —  Carlet,  Compt.  rend.  37,  128  (löJo- 

—  Calvi,  Ann.  91,  110  (1854).  —  Petersen,  Ann.  103,  184  (1857).  —  Abppb,  Zt* 
Chem.  1866,  296.  —  Neison  u.  Bayne,  Jb.  1874,  625.  —  Neison,  Jb.  1876, 5^^^ 
Joum.  Soc.  27,  301  (1874).  —  Witt,  Ber.  7,  219  (1874).  —  Dale  u.  Schoriemub- 
Ann.  199,  149  (1879).  —  Cahoürs  u.  Demarcay,  Compt.  rend.  94,  610  (1S821  - 
Perkin,  Joum.  Soc.  45,  518  (1884).  —  Carette,  Compt.  rend.  101,  1498  (1885).  -  KfiAm 
u.  Noerdlinger,  Ber.  22,  818  (1889).  —  Crum-Brown  u.  Walker,  Ann.  281,  12U  l'^^ 
(1890).  —  Phookan  u.  Krappt,  Ber.  26,  2252  (1892).  —  Walker,  Joum.  Soc.  61, 713(1892i. 

'  Noerdlinger,  Ber.  23,  2356  (1890). 


Ungesättigte  Ld-Dicarbonsäuren  (Methylenmalonsäure  eic)  67^ 


CH,.CO,H 

>-  I 

C0,H.(CH»)8.CH, 

es  ist   ireilich   noch   nicht   bewiesen,   dass  fhr  die  erste  Phase  dieser  Reactionsfolge 
nicht  etwa  eine  Addition  des  Brom  Wasserstoffe  im  Sinne  der  Gleichung: 

CH,  CHs 


II       +  HBr  = 
CO,H .  (CH8)ö  •  CH  CO^H  •  (CU^)^  -  CHBr 

anznnehmen  ist  Die  Säure  schmilzt  bei  124 •5—125*5 ^  siedet  unter  10mm  Druck 
bei  245^  löst  sich  in  22225  Th.  Wasser  von  2S\  bei  100°  in  891  Th. 

BrassylsXure  ^  Ci,Hm04  (Schmelzpunkt  112**)  ist  durch  Oxydation  von  Behenol- 
sfture  (vgl.  S.  519)  mit  Salpetersäure  erhalten  und  besitzt  daher  höchstwahrscheinlich 
auch  normale  Structur  (vgl.  S.  639). 

Die  normalen  Dicarbon säuren  der  14.  und  18.  Reihe'  (vgl.  S.  689)  sind 
durch  Elektrosynthese  (vgl.  S.  638)  aus  Korksäure  bezw.  Sebacinsäure  gewonnen;  sie 
sind  in  Wasser  fast  unlöslich. 


Sechsundzwanzigstes  Kapitel. 

Die  ungesättigten  Dicaxbonsäuren. 

I.   Dicarbonsfturen  mit  einer  Doppelbindung. 

(Allgemeine  Zusammensetzung:  CaB.^^_^0^). 

A.   /S-Dicarbonsäuren  (1.3-Dicarbonsäuren). 

Die  ungesättigten  ^-Dicarbonsäuren  —  Säuren  mit  einer  Doppelbindung  also, 
welche  die  Carboxjlgruppen  in  der  Malonsäurestellung  enthalten  — ,  kann  man  ihrer 
Structur  nach  in  zwei  Abtheilungen  sondern: 

1.  Säuren,  an  deren  Doppelbindung  das  zwischen  den  beiden  Carbozylgruppen 
befindliche  Kohlenstofiatom  betheiligt  ist: 

CHjiG^  (Methylenmalonsäure)  und  ihre  Homologen   R-CH:C<f 

X;0,H  XJO.H 

2.  Säuren,  deren  Doppelbindung  sich  innerhalb  eines  in  das  Malonsäuremolecül 

.CO,H 
eingeführten   einwerthigen   Radicals   befindet,   z.B.    CH, :  CH  •  CH^  •  CH<f 

\CO,H 
Nur  wenige  ungesättigte  i^Dicarbonsäuren  sind  bekannt.  Die  Säuren  der  ersten 
Abtheilung  scheinen  sehr  veränderlich  zu  sein  und  sind  bisher  überhaupt  noch  nicht 
in  freiem  Zustand  gewonnen  worden.  —  Den  Diäthylester  der  Methylennuilon- 
slnre'  erhält  man  bei  der  Einwirkung  von  Methylenjodid  (1  Aeq.)  auf  Malonsäure- 
ester  (1  Aeq.)  und  Natrinmäthylat  (2  Aeq.)  in  alkoholischer  Losung  —  aber  nicht  als 
solchen,  sondern  zu  einem  dimolecularen  Produkt  CjeHg^Og  polymerisirt,  welches  eine 
weisse,  harte,  amorphe,  paraffinartige,  geruchlose  Masse  vom  Schmelzpunkt  155—156^ 
darstellt;  destillirt  man  dieses  Produkt,  so  gehen  zu  Anfang  der  Destillation  Dämpfe 
von  ätzendem  Geruch  über,  die  sich  zu  einer  leicht  beweglichen  Flüssigkeit  condensiren; 

*  Haüskhecht,    Ann.  143,    48  (1867).    —   v.  Grossmann,  üeber  d.  Oxydations- 
produkte  der  Behenolsäure,  p.  16  (Inaug.-Diss.   Leipzig,  1890). 

*  Cbum-Bbown  u.  Walker,  Ann.  261,  123,  125  (1890). 

*  Zelinsky,  Ber.  22,  3294  (1889). 


I 


680  Fumarsäure  und  Maleinmure 

- —  —  —  .  ^^ 
letztere  stellt  wohl  den  moiiomolecularen  Ester  dar  und  bleibt,  unJ;pr'''Wa83€r 
aufbewahrt,  einige  Zeit  unpolymerisirt,  verwandelt  sich  aber  in  trockenem  Zustand 
unter  P>wärmung  wieder  rasch  in  das  bimere  Produkt.  —  Eine  homologe  Säure  — 
Aethylidenmalonsäure '  CH3  -  CH :  C(CO,H},  —  wird  in  Form  ihres  Esters  (Siede- 
punkt unter  21mm  Druck:  118— 120^  spec.  Gew.  bei  15°:  1.0435)  durch  Conden- 
sation  von  Acetaldehyd  mit  Malonsäureester  (vgl.  S.  491)  erhalten;  durch  Vereeiftiiig 
des  Esters  konnte  die  freie  Säure  nicht  gewonnen  werden,  da  sie  weitere  Ver- 
änderungen erleidet. 

Als  Repräsentant  der  Säuren  der  zweiten  Abtheilung  sei  die  durch  Einwirkung 
von  Allylbromid  auf  Natriummalonsäureester  leicht  erhältliche  AllylmaloDsSnre' 
CH2:CH.CH,.CH(C0,H),  erwähnt.  Sie  bildet  grosse  Prismen,  schmilzt  bei  103»; 
K  =  0154;  Siedepunkt  des  Esters:  219— 221^  spec.  Gew.:  1017  bei  16°. 

B.    T'-Dicarbonsäuren  (1.4-Dicarbonsäuren). 

Von  der  Formel  der  einfachsten  gesättigten  ^'-Dicarbonsäure  —  der 
Bemsteinsäure  COgH-CHg-CHg-COjH  —  gelangt  man  durch  Entziehung 
zweier  WasserstofFatome  zur  Formel  der  einfachsten  ungesättigten  ;'-Di- 
carbonsäure : 

COgH  •  CH  :  CH  •  CO^H    :    o)  (»'- Aethy lendicarbonsäure, 

welche  auf  Grund  der  stereochemischen  Theorie  die  beiden  Configurationen 

COjH-C-H  H-C-COsH 

:;  und  |: 

H-Ö-COsII  H-C-CO,H 

cis-trans-  cis- 

annehmen  kann  (vgl.  S.  86).  Wir  kennen  in  der  That  zwei  Säuren  — 
FumarsSure  und  HaleYnsäare  — ,  denen  beiden  mit  grösster  Wahr- 
scheinlichkeit die  gleiche  Structurformel  der  woZ-Aethylendicarbonsäui-e 
beigelegt  werden  muss;  seit  ihrer  Auffindung  hat  die  Erklärung  ihrer 
Isomerie  die  Chemiker  unausgesetzt  beschäftigt^.  Zur  Zeit  werden  von 
den  meisten  Forschern  jene  beiden  räumlich  verschiedenen  Formeln  als 
befriedigender  Ausdruck  fiir  die  Isomerie  der  Fumar-  und  Maleinsäure 
angesehen;  allein  auch  heute  noch  wird  das  Problem  vielfach  umstritten, 
und  gegenüber  diesen  neueren  Anschauungen  wird  noch  von  einigen  Seiten 
mit  grosser  Zähigkeit  der  Versuch  fortgesetzt,  die  Isomerie  lediglich  auf 
Grund  der  älteren  Structurtheorie  zu  erklären.  Mit  der  Chemie  dieser 
beiden  Säuren  betreten  wir  ein  Feld,  auf  welchem  mit  Vorliebe  der 
Kampf  für  und  wider  die  neue  Lehre  ausgefochten  wird. 

Fumarsäure  ist  häufig  in  Pflanzen  gefunden  worden*,  namentlich 
in  vielen  Pilzen;    sie   hat  ihren  Namen  von  ihrem  Vorkommen  im  Saft 


*  KoMNENos,  Ann.  218,  156,  162  (1883). 

«  Conrad  u.  Bischofi-,  Ann.  204,  168f  (1880).  —  Hjelt,  Ann.  216,  52(1883).- 
Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  8,  450  (1891),  —  Henry,  Ber.  24o,  78  (1891.).  - 
FiTTiQ,  Ber.  26,  43  (1,893). 

'  Historische  Zusammenstellung  der  Erklärungsversuche  vgl.  bei  AnschOtz,  Ann. 
239,  161  (1887).  —  Vgl.  auch  V.  Meyer,  Ber.  23,  586  (1890). 

*  Vgl.  Winckler,  Ann.  4,  230  (1832).  —  Probst,  Ann.  31,  248  (1839).  -  Wickk, 
Ann.  87,  225  (1853).  —  Bolley,  Ann.  86,  44  (1853).  —  Dessaiones,  Ann.  89,  120(18541. 


(Varko7nmen,  Darstellung  und  Bildung s weisen),  681 


von  Fumaria  officinalis.  Maleinsäure  ist,  natürlich  gebildet,  noch  nicht 
beobachtet  worden.  Zur  Darstellung  der  beiden  Säuren  dient  in  der 
Regel  ihre  Bildung  durch  Erhitzen  von  Aepfelsäure^: 

CO,H.CH(OH).CH,.COjH  -  H^O  =  COgHCH:  CHCOsH  ; 

beide  Säuren  bilden  sich  hierbei  neben  einander  in  Mengenverhältnissen, 
die  von  den  Bedingungen  abhängig  sind:  bei  niederen  Temperaturen 
erhält  man  hauptsächlich  Fumarsäure,  bei  höheren  Temperaturen  da- 
neben reichlich  Maleinsäure;  destillirt  man  das  Produkt,  so  erhält  man 
im  Destillat  wesentlich  Maleinsäure,  da  Fumarsäure  durch  Destillation 
in  das  Anhydrid  der  Maleinsäure  übergeht  (vgl.  S.  682). 

Zur  Darstellung  der  Fumarsäure  erhitzt  man  daher  Aepfelsäure  etwa 
40  St-  auf  140—150°,  behandelt  die  vollständig  erstarrte  Masse  mit  heissem  Wasser 
uud  filtrirt  die  nach  dem  Erkalten  abgeschiedene  Fumarsäure  ab;  auch  die  Zer- 
setzung der  Brombemsteinsäure: 

CO.HCHBrCHjCO.H  -  HBr  =  CO^HCII :  CHCO.H 

durch  Erhitzen  für  sich  oder  Kochen  mit  Wasser  kann  vortheilhaft  zur  Darstellung 
der  Fumarsäure  dienen'.  Zur  Darstellung  der  Maleinsäure  behandelt  man 
zweckmässig   Aepfelsäure   zunächst   mit  überschüssigem   Acetylchlorid ,    wobei    sich 

CHjCO.OCH— COv 
unter    Salzsäureentwickelung    Acetyläpfelsäureanhydrid  |  ^0 

CH,-CO/ 
bildet;    destillirt  man  darauf  das  so  gewonnene  Produkt,  so  spaltet  sich  das  Acetyl- 
äpfelsäureanhydrid in  Essigsäure  und  Maleinsäureanhydrid. 

Zu  erwähnen  sind  femer  die  folgenden  synthetischen  Bildungsweisen :  Acetylen- 
dijodid  (vgl.  S.  552 — 553)  CHJ :  CH J  giebt,  mit  Cyankalium  in  alkoholischer  Lösung 
gekocht,  dann  mit  Aetznatron  verseift,  Fumarsäure^;    Aethenyltricarbonsäurecster  ~ 
das  Einwirkungsprodukt  von  Chloressigester  auf  Natriummalonsäureester  (8.  699)  — 
chlorirt,  dann  durch  Kochen  mit  Salzsäure  verseift,  liefert  Fumarsäure*: 

^^^^OjCA  ^^^^COjCHs  CH-C0,H 

CH,-CO,.CA  CH^-COaCA  ^"    ^^«"' 

durch  Kochen  von  malonsaurcm  Silber  mit  Dichloressigsäure  oder  Dibrom essigsaure 
in  wässriger  Lösung  erhält  man  Fumarsäure^: 

COjH.CHCl^,  +  CH,(COOAg),  =  COsHCH:  CHCO^H  +  2AgCl  +  CO,, 

durch  Erhitzen  von  Dichloressigester  mit  molecularom  Silber^  Male'insäureester.  Auf- 
fällig ist  die  Angabe,  dass  aus  a-Bromakrylsäure  Cllg :  CBr-  COgH  durch  Einwirkung 

*  Lassaigne,  Ann.  eh.  [2]  11,  93  (1819).  —  Pelouze,  Ann.  11,  263  (1834).  — 
Dessa^gnes,  Compt  rend.  42,  494,  524  (1856).  —  Perkin  u.  Duppa,  Ann.  112,  26 
0859).  —  Kbkul6,  Ann.  130,  21  (1864).  —  Henry,  Ann.  66,  177  (1870).  —  Jüno- 
FLEiscH,  Bull.  30,  147  (1878).  —  Anschötz,  Ber.  12,  2281  (1879);  14,  2791  (1881).  — 
Perkin,  Ber.  14,  2547  (1881).  —  Baeyer,  Ber.  18,  676  (1885).  —  Wislicenus,  Ann. 
246,  91  (1888).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  46,  231  (1892). 

»  FiTTiG  u.  Dorn,  Ann.  188,  90  (1877).  —  Volhard,  Ann.  242,  158  (1887); 
268,  256  (1892).  ~  Emeby,  Ber.  23,  3757  (1890). 

^  Reiser,  Ber.  23  o,  346  (1890).        *  Bischoff,  Ann.  214,  44  (1882). 
^  Komnsnos,  Ann.  218,  169  (1883).  —  Tanatar,  Ann.  273,  50  (1892). 

•  Tanatar,  Ber.  12,  1563  (1879). 


682  Fumarsäwre  und  Maleinsäure 


von  Cyankaliam  und  darauffolgende  Verseifung  Maleinsäure  entsteht*;  die  bei  nor- 
malem Verlauf  dieser  Reaction  sich  ergebende  Formel  CH,  :  CCCOsH),  für  die  Malein- 
säure ist  durch  ihr  Verhalten  völlig  ausgeschlossen  (vgl.  unten). 

Fumarsäure  scheidet  sich  bei  raschem  Erkalten  concentrirter 
Lösungen  in  feinen  Nadeln,  aus  weniger  concentrirten  Lösungen  in 
derben  zackigen Spiessen  ab;  sie  kann  bei 200^,  ohne  vorher  zu  schmelzen, 
im  Wesentlichen  unzersetzt  verflüchtigt  werden;  bei  höherer  Temperatur 
spaltet  sie  sich  unter  theilweiser  Verkohlung  in  Wasser  und  das  Anhydrid 
der  Maleinsäure^;  glatter  verläuft  die  Umwandlung  in  Malelnsäure- 
anhydrid  bei  der  Destillation  mit  Phosphorpentoxyd';  sie  ist  in  Wasser 
sehr  schwer  löslich,  bedarf  bei  16®  fast  150  Th.  Wasser  zur  Lösung; 
ihre  Lösung  wird  von  Barytwasser  nicht  gefällt,  dagegen  selbst  noch  in 
grosser  Verdünnung  von  Silbemitrat*.  Ihr  Dimethylester *  C^Hj04{CH3)j 
bildet  weisse  Krystalle,  schmilzt  bei  102®  und  siedet  bei  192®. 

Maleinsäure  krystallisirt  in  rhombischen  Prismen,  schmilzt  bei 
130®  und  beginnt  bei  etwa  160®  zu  sieden,  indem  sie  sich  in  Wasser 
und  Malelnsäureanhydrid  spaltet;  sie  ist  in  Wasser  sehr  leicht  lös- 
lich (schon  in  weniger  als  2  Th.  bei  gewöhnlicher  Temperatur);  ihre 
Lösung  wird  von  Barytwasser  gefällt®.  Im  Gegensatz  zur  Fumarsäure, 
welche  von  Mycelpilzen  leicht  assimilirt  wird,  erweist  sich  Maleinsäure 
denselben  Pilzen  gegenüber  als  nicht  ernährungstüchtig  ^.  —  Ihre  Ester* 
werden  durch  Einwirkung  von  Jodalkylen  auf  das  Silbersalz  erhalten, 
wobei  indess  jede  Spur  von  freiem  Jod  vermieden  werden  muss,  da  Jod 
die  ümlagerung  der  Malelnsäureester  in  B^imarsäureester  veranlasst. 
Der  Methylester®  C4H,0^(CH3)2  ist  flüssig  und  siedet  bei  205®.  - 
Malelnsäureanhydrid^®  C^HgOg  krystallisirt  aus  Chloroform  in  dünnen 
Prismen,  schmilzt  bei  53®  und  siedet  bei  202®. 

BetreflFs  des  Verhaltens  der  beiden  Säuren  seien  zunächst  einige 
Additionsreactionen  hervorgehoben,  die  ihre  Structurgleichheit  erweisen. 
Beide  Säuren  werden  durch  Natriumamalgam  zu  gewöhnlicher  Bemstein- 
säure  reducirt^\  treten  mit  Bromwasserstoflf  zu  Brombernsteinsäure  zu- 
sammen ^*  und  liefern  beim  Erhitzen  mit  Wasser  im  geschlossenen  Eohr 


*  Tanatar,  Ber.  13,  159  (1880).        «  Vgl.  Wklicenüs,  Ann.  246,  93  (1888), 
3  VoLHARD,  Ann.  268,  255  (1892).  —  Tanatab,  Ann.  273,  81  (1892). 

^  Ueber  Salze  der  Fumarsäure  vgl.  Rieckher,  Ann.  49,  81  (1844). 

*  Anschütz,  Ber.  12,  2282  (1879). 

*  üeber  Salze  der  Maleinsäure  vgl.  Büchner,  Ann.  49,  57  (1844). 

^  Büchner,  Ber.  25,  1161  (1892).        «  AnschAtz,  Ber.  12,  2282  (1879). 

»  Knops,^  Ann,  249,  192  (1888). 

»0  PEI.OUZE,  Ann.  11,  270  (1834).  —  KEKULfi,  Ann.  Suppl.  2,  87  (1862).  —  HCineb 
u.  Schreiber,  Ztschr.  Chem.1871,  713.  —  Fimo  u.  Dorn,  Ann.  188,  87  (1877).  — 
Anschütz,  Ber.  12,  2281  (1879);  14,  2791  (1888).  —  Reicher,  Rec.  trav.  chim.  2,  508 
(1883).  —  VoLHARD,  Ann.  268,  255  (1892). 

"  Kekulä,  Ann.  Suppl.  1,  133,  134  (1861);  Ann.  131,  85  (1864). 

"  FiTTiG  u.  Dorn,  Ann.  188,  88  (1877). 


(Eigenschaften,   Verhalten,  Structur),  683 


Aepfelsäure^  (und  zwar  inactive  Aepfelsäure);  aus  dieser  glatten  Ueber- 
fuhrbarkeit  in  Bernsteinsäure  bezw.  Derivate  derselben  geht  hervor,  dass 

keine    der   beiden  Säuren  die  Structurformel:  CH2  =  C<f  besitzen 

kann,  dass  vielmehr  beide  ihre  vier  Eohlenstoffatome  in  normaler  Kette 
angeordnet  enthalten.  Bemerkt  sei,  dass  solche  Additionsreactionen  bei 
der  Maleinsäure  meist  leichter  verlaufen,  als  bei  der  Fumarsäure,  und 
stets  von  einem  theilweisen  Uebergang  der  Maleinsäure  in  Fumarsäure 
begleitet  sind  (vgl.  S.  685).  Die  bisher  erwähnten  Eeactionen  würden  sich 
auch  mit  einer  früher  zuweilen  vertheidigten  Anschauung^  vertragen, 
nach  der  die  Isomerie  der  beiden  Säuren  durch  die  Formeln: 

CH-COjH         j     \c-COaH 

ij  und     /  I 

CH-CO,H  .      CHs-CO^H 

erklärt  wurde,  für  die  eine  Säure  lalso  eine  Doppelbindung,  für  die 
andere  aber  zwei  an  demselben  Kohlenstoffatom  befindliche  freie  Va- 
lenzen („LückenformeP')  angenommen  wurden.  Diese  an  sich  schon 
wenig  plausible  Annahme  wird  indess  dadurch  widerlegt,  dass  beide  Säuren 
durch  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat^  Säuren  von  der  Structur: 

CO,H .  CH(OH) .  CH(OH)  •  COgH 

liefern;  freilich  sind  die  Oxydationsprodukte  nicht  identisch:  Fumarsäure 
geht  in  Traubensäure,  Maleinsäure  in  inactive  Weinsäure  über;  aber 
sowohl  Traubensäure  wie  inactive  Weinsäure  enthalten,  wie  bei  der  Be- 
sprechung der  Weinsäuren  gezeigt  werden  wird,  die  beiden  Hydroxyl- 
gruppen an  zwei  verschiedenen  Kohlenstoffatomen;  sie  sind  räumlich 
isomere  Verbindungen. 

Auch  mit  Brom  treten  beide  Säuren  zu  structuridentischen,  aber  räumlich  isomeren 
i^äuren  COsHCHBrCHBrCOjH  (vgl.  S.  735—786)  zusammen;  Fumarsäure  liefert 
Dibrombemsteinsäure,  Maleinsäure  liefert  Isobromdibemsteinsäure,  geht  dabei  aber 
theilweiae  in  Fumarsäure  über^. 

Da  endlich  eine  Polymerie  zwischen  den  beiden  Säuren  durch  die 
bei  ihren  Derivaten  ausgeführte  Dampfdichtebestimmung  ^,  auch  schon 
durch  die  geringe  Differenz  in  den  Siedepunkten  ihrer  Ester  ausgeschlossen 


*  LoYDL,  Ann.  192,  80  (1878).  —  Jüngfleisch,  Bull.  30,  147  (1878).  —  Bbbmeb, 
Rec.  trav.  chim.  4,  180  (1885).  —  Skraup,  Monatsh.  12,  111  (1891).  —  Delisle,  Ann. 
269,  76  (1891).  —  Vgl.  auch  Purdib,  Journ.  Soc.  39,  344  (1881).  —  Pürdie  u. 
Marshall,  Journ.  Soc.  69,  468  (1891). 

»  Vgl.  FrrriG,  Ann.  188,  95  (1877). 

»  Kekttlä  u.  AäschOtz,  Ber.  13,  2150  (1880);  14,  713  (1881). 

*  Kmül6,  Ann.  Suppl.  1,  181,  134  (1861);  Suppl.  2,  92  (1862).  —  Petri,  Ann. 
196,  57  (1878).  —  Wiblicenus,  Ann.  246,  61  (1888).  —  Fittig,  Ann.  259,  30  (1890). 
—  Shieldb,  Journ.  Soc.  59,  739,  742  (1891).  —  Delisle,  Ann.  269,  93  (1891). 

*  Vgl.  HüBMER  u.  Schreiber,  Ztschr.  Chem.  1871,  713.  —  Ossipofp,  Ber.  21o, 
779  (1888). 


684  Fmiiarsäure  und  Maleinsäure 


wird,  so  bleibt,  wenn  man  überhaupt  beide  Verbindungen  als  Dicarbon- 
säuren  auffassen  will  (vgl.  S.  687),  lediglich  die  Structurformel: 

CO.H.CHiCHCOsH 

übrig,  die,  wie  schon  S.  680  erwähnt,  zwei  räumlich  verschiedene  Con- 
figurationen  annehmen  kann  und  daher  eine  Erklärung  der  Isomerie  auf 
Grund  der  stereochemischen  Theorie  ermöglicht. 

Wie  die  zwei  räumlich  verschiedenen  Configurationen  auf  die  beiden 
Säuren  zu  vertheilen  sind,  ergiebt  sich  sofort,  wenn  man  die  merk- 
würdigste Seite  in  ihrem  chemischen  Verhalten  —  die  wechselseitige 
Ueberführung  in  einander  —  in  Betracht  zieht.  Aus  den  unten 
mitgetheilten  Beobachtungen  geht  deutlich  hervor,  dass  nur  die  Malein- 
säure zur  Bildung  eines  inneren  Anhydrids  befähigt  ist,  dass 
dagegen  die  Fumarsäure  die  in  der  Hydratform  beständigere 
Säure  ist.  Da  nun  die  cis-Form  (vgl.  S.  680)  die  beiden  Carbox}!- 
gruppen  offenbar  in  der  zur  Anhydrisirung  günstigsten  Stellung  enthält, 
da  andererseits  die  cis-trans-Form  —  infolge  der  grösseren  Nähe  der 
einander  anziehenden  Gruppen  von  entgegengesetztem  Charakter  (Wasser- 
stoff und  Carboxyl)  —  offenbar  unter  den  beiden  Säurehydraten  die 
,, begünstigte  Configuration^*  (vgl.  S.  84)  darstellt,  so  ist  in  folgender 
Weise  zu  formuliren: 

CO,H-C-H  H-C— CO,H 


H-C— CO,H  H-C-COjH 

Fumarsäure  Maleinsäure 

Um  die  Schreibweise  solcher  „Raumformeln"  noch  mehr  zu  vereinfachen 
und  um  sie  von  Structurformeln,  die  nichts  über  die  räumliche  Atoni- 
gruppirung  sagen  sollen,  in  auffälliger  Weise  verschieden  erscheinen  zu 
lassen,  möge  fortan  in  solchen  Fällen  das  System  von  zwei  doppelt  ge- 
bundenen Kohlenstoffatomen  in  Raumformeln  durch  das  Zeichen: 


ausgedrückt  werden.     Wir  haben  dann   die  beiden  Configurationsbilder: 
CO,H ,       — H  H  CO3H 

H  1        -  COjH  H CO4H* 

Fumarsäure  Maleinsäure 

Dass  Fumarsäure  beim  Erhitzen  für  sich  oder  mit  wasserentziehenden 
Mitteln  in  Wasser  und  Malelnsäureanhydrid  gespalten  wird,  ist  schon  erwähnt 
(S.  682).  Aber  auch  wenn  man  die  Anhydridbildung  durch  Reactionen  be- 
wirkt, die  nicht  höhere  Temperatur  als  100®  erfordern  — Einwirkung  von 
Fumarsäurechlorid  auf  fumarsaures  Silber,  Digestion  von  Fumarsäm*e  mit 
Acetyl Chlorid  in  Gegenwart  von  Essigsäure  — ,  so  erhält  man  nicht  ein  be- 
sonderes Anhydrid  der  Fumarsäure,  sondern  ebenfalls  Malelnsäureanhydrid^ 

^  Vgl.  W.  H.  Peiikin,  Ber.  14,  2545  (1881);  15,  1072  (1882),  —  AnschCtx  u. 
Bennert,  Ber.  15,  640  (1882).     Ann.  254,  155  (1889). 


(Raumfurfnehu    Uehergünge  in  einander),  G85 


Durch  Vermittelung  des  Anhydrids  kann  also  Fumarsäure  in  Maleln- 
äure  übergeführt  werden. 

Sehr  mannigfaltiger  Art  sind  die  Processe,  durch  welche  umgekehrt 
Maleinsäure  in  Fumarsäure  verwandelt  wird.  Erhitzt  man  MaleTn- 
säure  nur  einige  Grade  über  ihren  Schmelzpunkt,  so  geht  sie  nach  und 
nach  in  Fumarsäure  über,  die  sich  bei  dieser  Temperatur  in  Ejrystallen 
abscheidet**'.  Concentrirte  Salzsäure^  bewirkt  reichliche  Umlagerung  schon 
bei  10®,  rauchende  Bromwasserstoflfsäure^'*  schon  bei  0^,  starke  Jodwasser- 
stoffsäure bei  einmaligem  Aufkochen*.  Malelnsäureester  gehen  beim  Er- 
wärmen mit  Jod  zum  grössten  Theil  in  Fumarsäureester  über*;  Maleln- 
säureanhydrid  liefert  beim  Destilliren  mit  Phosphorpentachlorid  Fumar- 
säurechlorid*.  Durch  Addition  von  Ammoniak  liefert  das  Anhydrid  Maleln- 
aminsäure  COgH-CHrCH-CONHj,  welche  zwar  durch  wässrige  Alkalien  zu 
Maleinsäure,  durch  alkoholisches  Kali  aber  zu  Fumarsäure  verseift  wird '. 
Beim  Erhitzen  mit  Wasser  unter  Druck  auf  etwa  130®  tritt  Umwandlung 
von  Maleinsäure  in  Fumarsäure  ein®*®-^®;  Gegenwart  von  manchen  Säuren 
begünstigt  die  Umwandlung  (z.  B.  Salpetersäure),  andere  Säuren  (z.  B. 
Schwefelsäure)  wirken  wiederum  verzögernd^®. 

Die  ümwandlungsprocesse  der  Maleinsäure  in  Fumarsäure  hat  kürz- 
lich Skbaup*®  in  umfassender  Weise  untersucht  und  quantitativ  verfolgt; 
er  stellte  für  viele  Fälle  fest,  dass  die  Maleinsäure  neben  der  Um- 
lagerung noch  eine  anderweitige  Veränderung  erleidet,  wie  dies  für  einzelne 
Fälle  schon  vorher  bekannt  war.  Wenn  z.  B.  die  Umlagerung  durch 
Chlor-  oder  Bromwasserstoflf  bewirkt  wird,  so  geht  ein  Theil  der  Malein- 
säure in  Chlor-  bezw.  Brombernsteinsäure  über;  bei  der  Umlagerung 
durch  Jodwasserstoff  wird  unter  Jodabscheidung  Bernsteinsäure  gebildet; 
während  ein  Theil  der  Maleinsäure  durch  Erhitzen  mit  Wasser  Fumar- 
säure liefert,  geht  ein  anderer  Theil  in  Aepfelsäure  über,  eine  voll- 
ständige Ueberführung  in  Fumarsäure  ist  nicht  möglich.  In  diesen  Pro- 
cessen, welche  neben  der  Umlagerung  sich  abspielen,  erblickt  nun  Skeaup 
geradezu  die  Ursache  der  Umlagerung;  er  nimmt  an,  dass  sie  durch 
katalytische  Wirkung  einen  Theil  der  Maleinsäure  zum  Uebergang  in 
Fumarsäure  veranlassen.  Der  Eintritt  gewisser  chemischer  Processe  in 
(lern  Medium,  das  die  Maleinsäure  enthält,  soll  diejenigen  Malelnsäure- 
molectile,  welche  zwar  selbst  an  jenen  Processen  nicht  theilnehmen,  doch 


*  Pelouze,  Ann.  11,  266  (1834).  —  Skbaup,  Monatsh.  12,  117  (1891). 

»  Anöchütz,  Ann.  254,  175  (1889).  •  Fittig  u.  Dokn,   Ann.  188,   91  (1877). 

*  Kekul^,  Ann.  Suppl.  1,  134  (1861). 

*  Anhchütz,    Ber.  12,    2282    (1879).     Ann.  239,    181    Anm.  (1887).  —  Skraup, 
Monatsh.  12,  144  (1891). 

«  Pebkin,  Ber.  14,  2548  (1881).         '  Anschütz,  Ann.  259,  138  (1890). 

*  Semenoff,  Bull.  46,  816  (1886). 

*  Tanatar,  Ber.  23c,  433  (1890).    Ann.  273,  32  (1892). 
"  Smaup,  Monatßh.  12,  107  (1891). 


1 


68^  Verwandlung  der  Maleinsäure  in  Fumarsäure, 


noch  beeiiitiussen  und  zwar  derart  beeinHussen,   dass   sie  die  labile  eis- 
Configuration   mit  der  stabilen  cis-trans-Configuration  vertauschen. 

Zu  Gunsten  dieser  Anschauung  sprechen  namentlich  einige  weitere  Be- 
obachtungen Skraup's.  Schwefelwasserstoff  lässt  bei  mittlerer  Temperatur 
eine  Malelnsäurelösung  fast  unverändert;  wenn  aber  gewisse  Schwermetall- 
salze der  Maleinsäure,  z.B.  das  Kupfersalz,  durch  Schwefelwasserstoff  zerlegt 
werden,  so  wird  eine  beträchtliche  Menge  Fumarsäure  gebildet.  Man  könnte 
denken,  dass  schon  bei  der  Salzbildung  eine  theilweise  Umwandlung  ein- 
tritt; allein  malelnsaures  Silber  liefert  bei  der  Zersetzung  mit  Salzsäure 
lediglich  Maleinsäure  zurück,  bei  der  Zersetzung  mit  Schwefelwasserstoff 
dagegen  neben  Maleinsäure  eine  nicht  unbedeutende  Menge  Fumarsäure. 
Es  scheint  demnach,  dass  gerade  der  bei  der  Schwefelwasserstoffzersetzung 
eintretende  chemische  Process  in  gewissen  Fällen  die  ümlagerung  herbei- 
führen hilft.  —  Wie  Schwefelwasserstoff,  so  wirkt  auch  Schwefeldioxyd 
für  sich  auf  Maleinsäure  wenig  ein;  auch  wenn  man  Wasser  mit  Schwefel- 
wasserstoff und  Schwefeldioxyd  sättigt  und  diese  Lösung,  nachdem 
sich  die  Reaction  zwischen  den  beiden  Gasen  abgespielt  hat, 
auf  Maleinsäure  wirken  lässt,  wird  nur  wenig  Fumarsäure  gebildet.  Wenn 
man  dagegen  eine  Malelnsäurelösung  mit  den  beiden  Gasen  sättigt  und 
dann  erwärmt,  so  dass  sich  die  Reaction  zwischen  Schwefel- 
wasserstoff und  Schwefeldioxyd  in  Gegenwart  von  Maleinsäure 
vollzieht,  so  wird  reichlich  Fumarsäure  gebildet. 

Hiemach  scheint  es  wirklich,  als  ob  gewisse  chemische  Processe,  die  sich  in 
einem  Maleinsäure  enthaltenden  Medium  abspielen,  —  gleichsam  durch  eine  Resonanz- 
Wirkung  —  in  den  Malei'nsäuremolecülen  Schwingungen  erzeugen  oder  vielmehr 
bereits  stattfindende  Schwingungen  derart  verstärken,  dass  ein  Umschlag  ans  der 
labilen  in  die  stabile  Configuration  vor  sich  geht.  Skraup^  denkt  sich  daher  die  freie 
Rotation  zweier  Kohlenstofiatome  bei  der  Doppelbindung  nicht  ganz  aushoben 
(vgl.  S.  85),  nimmt  vielmehr  an,  dass  stets  Schwingungen  um  die  Verbindungsaxe 
der  beiden  Kohlenstoffatome  stattfinden;  diese  Schwingungen  werden  in  der  ß^l 
geringe  Elongation  haben,  so  dass  das  System  auch  in  der  unbegünstigten  malelnoiden 
Configuration  fixirt  bleibt;  durch  nebenher  laufende  chemische  Processe  aber  können 
die  Schwingungen  mächtig  verstärkt  werden,  und  wenn  sie  einmal  einen  Auffichlag 
von  mehr  als  90^  erreichen,  so  wird  das  System  nicht  mehr  in  die  Ruhelage  der 
unbegünstigten  maleYnoiden  Configuration  zurückkehren,  sondern  um  die  Ruhelage 
der  begünstigten  fumaroiden  Configuration  schwingen,  d.  h.  es  wird  Umwandlung 
der  Maleinsäure  in  Fumarsäure  erfolgen*. 

Diese  Erklärung  hat  den  Mangel,  dass  ihre  Ausdehnung  auf  analoge  Um- 
wandlungsprocesse,  wie  sie  bei  den  stereoisomeren  Derivaten  gesättigter  Ringe  (vgl 
die  Thioaldehyde,  S.  421  ff.)  beobachtet  sind,  nicht  gut  angängig  ist.  Die  ITmwandlung 
des  a-Trithioacetaldehyds  in  den  ^Trithioacetaldehyd  z.  B.  ist  offenbar  im  Sinne  der 
stereochemischen  Anschauungen  ein  Vorgang,  welcher  dem  Uebergang  von  Malein- 
säure  in   Fumarsäure    durchaus   entspricht:    in    beiden    Fällen   wird  die  labile  CU- 


»     Monatsb.  12,  146  (1891). 

*  Einen  ähnlichen  Erklärungsversuch  vgl.  bei  Werner,  Beiträge  zur  Theorie 
der  Affinität  und  Valenz  (Zürich,  1891),  S.  14.  —  Vgl.  auch  zur  Theorie  solcher  üm- 
lagerungen  Delisle,  Ann.  269,  97  (1891). 


s:?üy7i 


Erklär uihg  von  Ansdvüix,  für  die  honierie-  d-Futnar-  u.  Maleinsäure,       687 


Joufiguratioii  verlaasen,  die  stabile  cis-trans-Configuration  aufgesucht.  Man  wird 
laher  auch  eine  Erklärung  suchen  müssen,  welche  alle  derartigen  Processe  auf  gleich- 
irtige  Ursachen  zurückfuhrt;  nimmt  man  den  SKRAüp'schen  Gedanken  an,  dass  die 
LTni&nderung  der  Configuration  durch  Verstärkung  von  schon  vorher  im  Molecül 
stattfindenden  Schwingungen  veranlasst  wird,  so  wird  man  lieber  diese  Schwingungen 
ien  ein'werthigen  Radicalen  zuschreiben,  welche  durch  Vertauschung  ihrer  Plätze  den 
CTebergang  der  einen  Gonfiguralion  in  die  andere  bewirken  können: 

H 

X  [/\  \ 

CO,H 


H- 
H 


-  i. 


OO.H 


CH3  ^Hj 


Man  suchte  früher^  die  Umwandlung  von  cis-Modificationen  der  ungesättigten 
Verbindangen  in  cis-trans-Modificationen  durch  die  intermediäre  Bildung  gesättigter 
Verbindungen  zu  erklären,  welche  durch  Additions-Reactionen  entstehen,  dann  infolge 
der  freien  Drehbarkeit  bei  einfacher  Bindung  ihre  Configuration  ändern  und  nun 
durcb  Wiederabspaltung  der  vorher  aufgenommenen  Elemente  die  ursprüngliche  Ver- 
bindung in  einer  anderen  Configuration  erzeugen  sollten.  Gegen  diese  Erklärung  sind 
50  schwerwiegende  Bedenken'  geltend  gemacht  worden,  dass  sie  heute  wohl  kaum 
noch  aufrecht  zu  erhalten  ist. 

Zur  Prüfung  der  stereochemischen  Erklärung  für  die  Isomerie  der 
Fumarsäure  und  Maleinsäure  wird  sich  femer  bei  der  Besprechung 
ihrer  Halogenadditions-  und  Substitutionsprodukte  (vgl.  S.  734  flf.)  und 
der  Weinsäuren  (vgl.  Kap.  30)  Gelegenheit  bieten.  Von  anderen  Er- 
klärungsversuchen wird  zur  Zeit  nur  noch  der  folgende  in  der  Literatur 
vertheidigt. 

Anschütz'    drückt    die    Isomerie    der    beiden    Säuren    durch    die 

Stracturformeln : 

Am 
CH— COOH  CH— Cc~OH 


CH-CO-OH  l!  \0 

CH— Co/ 
Fumarsäure  Maleinsäure 

aus,  fasst  demnach  nur  die  Fumarsäure  als  wahre  Dicarbonsäure ,  die 
Maleinsäure  aber  als  ein  ^-Dioxylacton  auf.  Mit  Hülfe  dieser  Formeln 
gelingt  es  ihm,  das  Verhalten  der  beiden  Isomeren  auch  auf  dem  Boden 
der  älteren  Structurtheorie  in  ziemlich  plausibler  Weise  zu  interpretiren ; 
schwer  verständlich  bleibt  freilich  namentlich  der  Uebergang  von  Maleln- 
säureestem  in  Fumarsäureester  durch  Jod;  femer  ist  nicht  einzusehen, 
warum    nicht   auch   für   die   entsprechende  gesättigte  Dicarbonsäure  — 


*  W1SLICKNU8,  Abhdlgn.  d.  königl.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  24,  30  ff.  (1887).  — 
Vgl.  auch  C.  LiEBERMAMN,  Ber.  23,  2513  Anm.  (1890). 

»  MiCBAEL,  J.  pr.  [2]  38,  21  (1888).  —  Ansohütz,  Ann.  254,  168  (1889).  — 
Frrno,  Ann.  259,  30  (1890).  —  Skbaup,  Monatsh.  12,  107  (1891). 

«  Ann-  239,  170  (1887);  254,  168  (1889).  —  Vgl.  Roser,  Ber.  15,  2348  (1882). 


688        Häufiges  Auftreten  von  „fufnarauien*^  und  malet no'iden^*  Isomeren, 


die  Bernsteinsäure  —  ein  isomeres  Dioxylacton   existirt,   das  zu  ihr   in 
derselben  Beziehung  steht,  wie  die  Maleinsäure  zur  Fumarsäure  ^ 

Allein  selbst  wenn  man  für  den  vorliegenden  Isomeriefall  und  ähn- 
liche Fälle  in  der  Gruppe  der  Dicarbonsäuren  eine  solche  Erklärung 
zulässt,  so  ist  damit  nicht  viel  gewonnen;  denn  diese  Erklärung  ist 
eben  nur  für  eine  beschränkte  Zahl  jener  täglich  häufiger  be- 
obachteten Isomerie-Erscheinungen  anwendbar,  welche  die 
stereochemische  Theorie  in  ihrer  Gesammtheit  durch  den 
Unterschied  zwischen  eis-  und  eis -trans-Configuration  zu 
deuten  vermag.  Die  gleichen  Beziehungen,  ivie  zwischen  Fumar-  und 
Maleinsäure,  finden  wir  auch  bei  ungesättigten  Monocarbonsäuren  — 
Crotonsäure  und  Isocrotonsäure  (vgl.  S.  496 — 504),  Zimmtsäure  und  AUo- 
zimmtsäure  — ,  bei  den  Trithioaldehyden  (vgl.  S.  421 — 423),  bei  Halogen- 
derivaten ungesättigter  Kohlenwasserstoffe  (vgl.  Tolandichloride,  Bd.  II), 
kurz  in  den  verschiedensten  Körperklassen  wieder;  überall  haben 
wir  die  Existenz  zweier  isomerer  Modificationen  —  einer  schwerer  lös- 
lichen, höherschmelzenden  und  einer  leichter  löslichen,  niedriger  schmelzen- 
den — ,  von  denen  sich  die  eine  in  der  Regel  als  stabiler  erweist,  da 
sie  aus  der  anderen  durch  den  Einfluss  der  Wärme  oder  durch  Dm- 
lagerung  bewirkende  chemische  Agentien  entsteht*.  Die  Existenz  zweier 
Isomeren  und  die  grössere  Beständigkeit  der  einen  Modification  wird  in 
allen  Fällen  von  der  stereochemischen  Theorie  auf  die  gleiche  Ursache 
zurückgeführt.  Ein  grosses  Gebiet  von  Erscheinungen,  deren  Analogie 
dem  unbefangenen  Beobachter  sofort  auffällt,  die  aber  dem  Theoretiker, 
der  die  Erörterung  der  räumlichen  Atomlagerung  perhorrescirt,  ohne 
Zusammenhang  und  grösstentheils  ohne  Erklärung  bleiben,  wird  zusammen- 
gefasst;  und  jede  einzelne  Erscheinung  kann  als  noth wendige  Consequenz 
einer  und  derselben  einfachen  und  leicht  fasslichen  Vorstellung  über 
den  räumlichen  Bau  der  Molecüle  dargestelh:  werden.  Das  Verdienst, 
die  Anwendbarkeit  der  Ideen  van't  Hofp's  zum  Verständniss  dieser  heute 
schon  in  grosser  Zahl  bekannten  und  stets  sich  mehrenden  Thatsachen 
nachdrücklich  betont  zu  haben,  gebührt  WisÄjenüs  und  Baeyer.  Unter 
allen  sonst  vorgebrachten  Erklärungsversuchen  lehrt  kein  einziger  auf 
gleich  einfache  und  gleich  umfassende  Weise  die  beobachteten  That- 
sachen verstehen. 

Die    höheren    ungesättigten    ^^-Dicarbonsäuren    können    theila     wahrt* 
Homologe  der  Fumarsäure  bezw.  Maleinsäure  sein,  wie: 


^  Einen  Einwand  gegen  die  Dioxylactonformel  der  Citraconsäure,  welche  jeden- 
falls der  Maleinsäure  analog  aufzufassen  ist  (S.  690),  vgl.  femer  bei  Dbuble,  Ann. 
269,  96  (1891). 

*  Unt«r  Berücksichtigung  dieser  Analogie  bezeichnet  man  häufig,  da  Famar- 
und Maleinsäure  den  längst  gekannten  Isomeriefall  dieser  Art  darstellen,  von  zwei  in 
ähnlichen  Beziehungen  zu  einander  stehenden  Isomeren  die  schwerer  lösliche  stabilere 
Modification  als  „fumaroid",  die  leichter  lösliche  labilere  Modification  als  „maleTnoid^*. 


Itaconsäurey   Oitracon^äure  und  Mesaconsäure,  689 

CHj-C-CO.H  CHs-C-CO.H 

''  i' 

CO,H-b-H  CHg-C-COjH ' 

Methylfumarsäure  Dimethylmaleinsfiure 

ihre  Doppelbindung  also  zwischen  den  beiden  die  Carboxylgruppen  trennenden  Kohlen- 
stofiatomen  enthalten  (Grruppe  A).  Oder  ihre  Doppelbindung  kann  sich  ausserhalb 
der  von  den  beiden  Carboxylgruppen  begrenzten  Kette  befinden,  so  zwar  dass  ent- 
weder eines  der  zwischenliegenden  Kohlenstoffatome  noch  direct  an  der  Doppel- 
bindung betheiligt  ist  (Gruppe  B),  wie  in  der  Säure: 

CH,--C-CO,H 


CH, 


COjH 
Methylenbemsteinsänre 

oder   dajss   die   Doppelbindung  in  einer  Seitenkette  entfernt  von  diesem  Kohlenstoff- 
atom  sich  befindet  (Gruppe  C),  wie  in  der  Säure: 

CH,:CH.CHg.CH.C02H 


CH,.COaH 
Allylbernsteinsäure 

IHe   Sfturen  der  Gruppen  A  und  B  stehen  zu  einander   durch   gegenseitige  Ueber- 
führbarkeit   in  sehr  nahen  Beziehungen,   die  bei  Besprechung  der  /-Dicarbonsäuren 
von  der  Zusammensetzung  CsH^O«  gleich  hervortreten  werden. 
Solcher  Säuren  kann  es  drei  Isomere  geben: 

CH^-^C-COjH  CH,-C-CO,H  CH,--C--CO,H 

I  11  II 

CH,-CO,H  CO,H-C-H  H~C-CO,H, 

Methylenbemsteinsäure  Methylfumarsäure  Methylmalel'nsäure 

(Itaconsäure)  (Mesaconsäure)  (Citraconsäure) 

and  wir  kennen  in  der  That  drei  Säuren  von  dieser  Zusammensetzung  —  Itaconsäure, 
Citraeonsftnre  und  Mesaeoiuliure  — ,  in  denen  allen  das  Kohlenstofl&kelett: 

^  C-C-C 


i. 


C 


anzunehmen  ist,    da  sie   alle   ^urch  Wasserstoffisufuhr   in   Brenzweinsäure    (Methyl- 
bemsteinsäure,  vgl.  S.  665): 

CHa-CH-COjH 

I 
CH,~CO,H 

abei^efuhrt  werden  können. 

Den  Ausgangspunkt  zur  Gewinnung  dieser  Säuren  bietet  die  Citronensäure ; 
vvenn  man  Citronensäure  für  sich  möglich  rasch  erhitzt,  so  erhält  man  ein  Destillat,  das 
die  A.nhydride  der  Itaconsäure  und  Citraconsäure  enthält;  da  das  Itaconsäureanhydrid 
bei  der  Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck  in  Citraconsäureanhydrid  verwandelt 
"f^ird^  so  kann  man  durch  Fractionirung  jenes  Destillats  unter  Atmosphärendruck 
leicht  reines  Citraconsäureanhydrid  in  erbeblichen  Mengen  darstellen;  die  Beaction^ 
erklärt  sich' durch  folgende  Gleichungen: 


»  Vgl.  Anschütz,  Ber.  13,  1541  (1880). 
jiBYBR  u.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  44 


690  ItaconsäurCj  Oitraoonsäurey  Mesaconsäure 

CH,-CO^ 

CH,-CO,H  ^ CO/^ 

1  CHa-CO,H  y^   II 

C<  -  H,0  =  C— COjH       =  H,0  +  COa  +<  ^    * 

I  Xnn.M  X        CH, 


\     ' 


I                                CH— CO,H                                       \.    ■ 
CH,-CO,H              Aconitsfiure                                           ^  -<^^\j 
Citronensfture  Att qq/ 

Ita-  bezw.  Citracon- 
säureanhjdrid 

Das  Citraconsäureanhydrid  bezw.  die  daraus  durch  Hydratation  in  der  Kälte  erhältliche 

Citraconfläure  kann  nun  zur  Darstellung  der  beiden  mit  der  Citraoonsfture  isomeren 

Säuren  dienen;  erhitzt  man  es  mit  Wasser  längere  Zeit  auf  150^,  so  erhält  man  Itacon- 

säure;  engt  man  aber  die  mit  Salzsäure  oder  Salpetersäure  versetzte  Lösung  der  Gitracon- 

säure  ein,  so  erhält  man  Mesaconsäure;  viel  glatter  wird  Citraeonsäure  in  Mesaconsfiare 

umgewandelt;   wenn  man  sie  in  wenig  reinen  Aethers  löst^    diese  Lösung  mit  soviel 

Chloroform  versetzt,  dass  noch  keine  Abscheidung  erfolgt,  und  nun  nach  Zusatz  von 

wenig  Brom  dem  Lichte  aussetzt. 

Wie    die  drei  Formeln  auf  die  drei  Säuron  zu  vertheilen  sind,  eigiebt  sich  aas 

der  Constitution  ihrer  Additionsprodukte.    Es  lääst  sich  zeigen  (vgl.  S.  738—739),  dass 

die  durch  Addition  von  Bromwasserstoff  an  Itaconsänre  entstehende  Hrombrenzwein- 

säure  die  Structur: 

CH,Br-CH-C(),H 


CH,~-CO,H 

besitzt,  dass  dagegen  das  Verhalten  der  Bromadditionsprodukte  der  CitracoDsäore 
und  Mesaconsäure  sich  gut  erklärt,  wenn  man  beiden  die  Structnrformel : 

CH3— CBr-CO,H 

I 
CHBr-CO,H 

zuertheilt.  Demnach  ist  die  Itaconsäure  als  Methylenbernsteinsäure  au&afassen. 
während  Citraeonsäure  und  Mesaconsäure  zu  einandei^im  Verhältniss  von  Maleinsäure 
und  Fumarsäure  stehen,  was  auch  durch  ihr  Verhalten  in  jeder  Beziehung  bestätigt 
wird;  da  Mesaconsäure  schwer  löslich  ist,  kein  eigenes  Anhydrid  zu  bilden  vermag, 
vielmehr  in  das  Anhydrid  der  Citraeonsäure  tibei^eht,  da  umgekehrt  Citraeonsäure 
sehr  leicht  löslich  ist  und  durch  Behandlung  mit  Säuren  (vgl.  oben)  sich  in  Mesacon- 
säure verwandelt,  so  ist  die  Mesaconsäure  als  Methylfumarsäure,  die  Citraeonsäure 
als  Methylmalei'nsäure  anzusprechen.  Die  Uebergänge  der  Citra-  und  Mesaconsäure 
in  einander  beruhen  danach  auf  der  Aenderung  der  räumlichen  Grruppimng,  die 
Uebergänge  der  Ita-  und  Citraeonsäure  in  einander  auf  Verschiebung  der  Doppel- 
bindung. 

Für  die  Gewinnung  homologer,  einfach  alkylirter  Säuren   vom  Typus: 

RCH  -C-CO2H  R.CHa-C-COjH 

I  oder  I 

CHj-COaH  CHCOjH 

Aikylitaconsäure  Alkylfumarsäure, 

Alkylmaleinsäure 

btehen  die  folgenden  Methoden  zu  Gebot: 

CHg.COCH-COjCjHj 

1.  Wenn  man  die  Monoalkylderivate  des  Acetessigesters  | 

R 


und  ihre  Hotnolotjen.  691 

durch  Einwirkung  von  Brom  in  Dibromderivate  überführt  und  letztere  mit  alkoholischem 
Kali  zersetzt  ^,  so  erhfilt  man  durch  eine  merkwürdige  Reaction,  deren  einzelne  Phasen 
noch  nicht  klargelegt  sind,  Homologe  der  Fumarsäure  (Demar^ay's  Oxytetrinsäure, 
Oiypentinsänre  etc.),  z.  B.  aus  dem  Dibromderivat 

CHg .  CH— COs .  CaHs  CHa  •  C— COjH 

des  Methylacetessigesters:  1  die  Mesaconsäure :  |]  , 

CO-CHs  CH-CO,H 

C,H, .  CH-CO, .  CjHö  CjHa  •  C-CO,H 

(lesAethylacetessigesters:  |  dieAethylfumarsäure:  {| 

CO-CH,  CH-CO,If 

etc. 

2.  Aus  den  Estern  der  Alkjlparaconsäuren,  deren  Entstehung  aus  Aldehyden, 
bernsteinsaurem  Natrium  und  Essigsäureanhydrid  S.  490  geschildert  ist,  erhält  man 
durch  Einwirkung  von  Natrium  oder  Natriumäthylat  und  Verseifen  des  Reactions- 
prodaktes  Homologe  der  Itaconsäure',  z.  B.  aus 

(CH,  )2CH  •  CH,  •  CH .  CH-COj  •  C^U^ 

I  (CH,),CH .  CH, .  CH  :  C-CO^H 

CHa— CO  I 

CH,-CO,H; 

Ö Isobutylitaconsäure 

Isobutylparaconsäure 

in  geringer  Menge  bilden  sich  die  ungesättigten  Dicarbonsäuren  auch  bei  der  Destilla- 
tion der  Alkylparaconsäuren. 

3.  Von  den  durch  Combination  der  a-Halogenfettsäureester  mit  Malonsäure- 
esiter  bezw.  Aikylmalonsfiureestem  erhältlichen  Tricarbonsäureestem  kann  man  auf 
Terschiedenen  Wegen  zu  Homologen  der  Fumarsäure  bezw.  Maleinsäure  gelangen^, 
z.  B.  wenn  man  sie  zunächst  chlorirt: 

xCOj  •  CjHs  /COj  •  C2H5 

C2H5'C<^  CjH5'C<^ 

:\C0,.C,H5  ^  I  \COs.CÄ        , 

CH.-COaCA  CHCI-COjCHs 

dum  den  chlorirten  Ester  mit  Salzsäure  verseift  (vgl.  die  Bildung  der  Fumarsäure  S.  681): 

PH      /CO,.  CA  C,H3.C-C0,H 

*^''^\rn    rvf         +  3H,0  =  |  +  3 C,HeO  +  CO,  +  HCl . 

CHCl-COgC^Hs  cn-üu.H 

Diese  Monoalkylderivate  der  Fumarsäure,  Maleinsäure  und  Itaconsäure^ 
zeigen  zu  einander  im  Allgemeinen  analoge  Beziehungen,  wie  sie  zwischen  Fum ar- 
und Maleinsäure,  Ita-,  Citra-  und  Mesaconsäure  bestehen.  Hervorgehoben  sei,  dass 
die  Homologen  der  Maleinsäure  im  Gegensatz  zu  den  Homologen  der  Fumarsäure 
und  Itaconsäure  mit  Wasserdämpfen  leicht  flüchtig  sind,  indem  sie  sich  in  Wasser 
und  Anhydrid  spalten,    dass   femer  die  Malel'nsäurehomologen,  in  Chloroformlösung 


*  Demab^at,  Ann.  eh.  [5]  20,  448  (1880).  —  Beilstein,  Handb.  d.  org.  Chemie 
(Hamburg  u.  Leipzig,  1886),  I,  561.  —  Gorbow,  Ber.  21o,  180  (1888).  —  Cloez, 
Compt.  rcnd.  110,  583  (1890).  BuU.  [8]  3,  602  (1890).  —  Walden,  Ber.  24,  2033 
(1891).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  44,  130  Anm.  (1891).  —  Ssemjonow,  Ber.  25c,  161  (1892). 

*  R08ER,  Ber.  15,  294  (1882).  —  Fittig  u.  Fbost,  Ann.  226,  363  (1884).  —  Fittio. 
ß«.  20,  3179  (1887).     Ann.  255,  14  (1889);  256,  50  (1889). 

'  Bischöfe,  Ber.  23,  8420  (1890);  24,  2008  (1891) 

*  Vgl.  FriTiG,  Ber.  26,  43  (1893). 

44* 


692 


Tabellarische  Uebersicht  über  die 


CO 
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ungesättigten  lA-Dicarhonaäuren. 


693 


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694 


Dialkylderivate  der  Maleinmure. 


mit  wenig  Brom  versetzt  und  dann  dem  Liebte  ausgesetzt,  in  Fumarsfturehonaologe 
übergehen,  und  dass  die  Maleinsäure-  und  Fumarsäurebomologen  durch  Kochen  mit 
Natronlauge  in  Itaconsfiurehomologe  verwandelt  werden. 

Sehr  eigenthümliche  Verhältnisse  sind  flir  die  an  den  beiden,  zwischen  den 
Carbozjlgruppen  befindlichen  Kohlenstoffatomen  alkylirten  Säuren: 

R.C-CO,H 

R.C— COjH 

festgestellt.  Diese  Säuren  nämlich  konnten  bisher  nicht  als  Hydrate,  wohl  aber  als 
Anhydride,  wie 

CHjC— CO, 

CH.C-CO^ 

—  demnach  selbstverständlicli  in  der  maleinoiden  Configuration  —  erhalten  werden. 
Durch  Vereinigung  der  Anhydride  mit  Bajsen  erhält  man  ihre  Salze;  wenn  man  aber 
letztere  durch  Mineralsäuren  wieder  zersetzt,  so  tritt  sogleich  bei  der  Abscheidong  der 
Säure  wieder  die  Anhydrisirung  ein.  Der  in  der  Bemsteinsäuregruppe  schon  beobachtete 
Einfluss  der  Alkylgruppen  auf  die  Leichtigkeit  der  Anhydridbildnng  (vgl.  S.  665) 
zeigt  sich  hier  in  erhöhtem  Grade.  Die  Versuche,  zweifach  alkylirte  Fumaisäoren 
herzustellen,  haben  nicht  zu  dem  gewünschten  Resultat  gefuhrt'. 

Solcher  zweifach  alkylirter  Maleinsäuren  hat  man  die  folgenden  kennen 
gelernt: 

Dimethylmaleinsäore  oder  Pjrocinehonsäure  ist  zuerst  als  Abbauprodakt 
des  Cinchonins  erhalten,  entsteht  ferner  bei  der  Oxydation  des  Terpentinöls«  ans 
a,-Dichlorpropionsäure  CHg  •  CClg  •  COgH  durch  Einwirkung  von  molecularem  Silber, 
aus  den  beiden  Dimethylbernsteinsäuren  (vgl.  S.  666)  durch  Behandlung  mit  Brom, 
aus  Dimethyläpfelsäure  durch  Erhitzen,  durch  Condensation  von  BrenztraubenaSnre 
mit  bemsteinsaurem  Natrium: 


CH5.COCO3H 

+ 
CHj'CH^'COjH   = 


CH^CCO 


\ 


0  4-  2  H,0  +  CO3 


CHjCCO 
CO,H 

nnd  liefert  durch  Reduction  die  beiden  Dimethylbernsteinsäuren.  Merkwürdigerweisi? 
lässt  sich  Pyrocinchonsäureanhydrid  nicht  mit  Brom  vereinigen,  während  Chlor  leicht 
unter  Bildung  von  Dimethyldichlorbernsteinsäureanhydrid  aufgenommen  wird. 

DiäthylmaleYnsäare  oder  Xeronsäure  entsteht  als  Anhydrid  durch  Zersetzung 
des  Citraconsäureanhydrids  bei  längerem  Sieden,  ist  daher  unter  den  Destillationä- 
produkten  der  Citronensäure  enthalten  und  ist  ferner  aus  a^-Dibrombutters&nro 
CHj-CHa-CBrg-COjH  durch  Einwirkung  von  molecularem  Silber,  sowie  aus  Diäthyl- 
bernsteinsäure  durch  Behandlung  mit  Brom  gewonnen. 

MethyläthylmaleYnsSnre  wird  aus  Methyläthylbemsteinsäure  durch  Behan«!- 
lung  mit  Brom,  aus  Methyläthyläpfelsäure  durch  Erhitzen,  ferner  durch  Condensation 
von  Brenztraubensäure  mit  Brenzweinsäure  gebildet. 

Säurrn  der  Gruppe  C  ;(vgl.  S.  689)  —  Allylbemsteinsiare  und  je  zwei 
stereoisomere  Allylmethyl-,  Alljlftthylbernsteinsüuren  —  sind  nach  den  S.  668—664 
besprochenen  Methoden  zur  Darstellung  von  alkylirten  Bemsteinsäuren  gewonnen 
worden. 

Die  Tabelle  Nr.  88  auf  S.  692— 693  giebt  eine  Uebersicht  über  die  ungesättigten  ;'-Di- 


*  Vgl.  BiscHOPF,  Ber.  24,  2020  (1891). 


ölutaconmure,  695 


carbonsäoren  CqH2q_^04.  Betrefis  der  in  der  letzten  Columne  angeführten  Dissociations- 
constanten  seien  noch  einige  Bemerkungen  zugefügt.  Die  Säuren  der  maleinoYdenConfigu- 
ration  sind  stets  viel  stärker  als  die  isomeren  Säuren  der  fumaroi'den  Configuration  —  eine 
Erscheinung,  welche  mit  der  stereochemischen  AufßEussung  dieser  Säuren  gut  harmonirt. 
Was  die  dialkylirten,  nur  in  der  Anhydridform  erhaltenen  Maleinsäuren  —  Pyro- 
cinchonsäure  und  Aethylmethylmale'insäure  —  betrifft,  so  muss  man  aus  dem  Um- 
stand, dass  die  Lösung  der  Anhydride  in  Wasser  elektrisch  leitet,  folgern,  dass  die 
Losung  nicht  das  unveränderte  Anhydrid,  welches  kein  Elektrolyt  sein  würde,  ent- 
halt, sondern  ein  Säurehydrat.  Die  gefundene  Constante  ist  aber  im  Vergleich  zu 
den  Constanten  anderer  Malei'nsäuren  zu  klein,  um  den  Uebergang  der  gesammten 
Anhydridmenge  in  das  normale  Hydrat: 

RC— COjH 

ii 

RC— CO.H 

wahrscheinlich  zu  machen.  Vielleicht  enthält  die  Lösung  —  ähnlich  wie  dies  für  die 
Lösung  der  ebenfalls  nur  in  der  Anhydridform  erhältlichen  Chromsäure  angenommen 
wird  —  eine  durch  Zusammentritt  mehrerer  Molecüle  gebildete  Anhydrosäure*, 
wie  etwa 

R.C— COOH  OH. CO— CR  RCCOOH  OHCO-CB 

I  !■      ^^^''     Ji  i    • 

K-C    -CO — 0— CO-CR  RC-COOCOCRrCRCOOCO-CR 

C.    Dicarbonsäuren  mit  entfernteren  Carboxylgruppen. 

Die   der  Glutarsäure    entsprechende,    um    zwei  Wasserstoffatome  ärmere  Säure 
Kutt  einer  Doppelbindung: 

COsHCH:CH.CH,.CO,H  =  O^^O^, 

welche  mit  Ita-,  Citra-  u.  Mesaconsäure  und  der  Aethylidenmalonsäure  isomer  u<t, 
wird  Olntaeonsänre '  ((uoj'-Propendicar bonsäure)  genannt.  Man  gewinnt  sie, 
vom  Malonsäureester  ausgehend;  lässt  man  auf  die  Dinatriumverbindung  desselben 
in  alkoholischer  Lösung  Chloroform  einwirken,  so  erhält  man  die  Natriumverbindung 
des   Dicarbozylglutaconsäureesters: 

COjCjHa  COjCjHs         CO.CjHs 

I  i 

2CNa,  -f-CHCl,   =  3NaCl -f- NaC  CH=C 

I  ; 

COj  •  C2H5  COj  •  CjHg         CO^  ■  C2H5 , 

welch'  letzterer  bei  der  Verseifung: 

CO.CHs  COjCJIg 

CH,-CH-=CH 
GH  CH      C  +4H,0-    I  I  4-2CO, +  4C.H,0 

i  CO,H  CO,H 

CO,.C,H5  CO.CjH, 

Olutaconsäure    liefert.     Glutaconsäure   ist   eine   weisse,   prismatisch   krystallisirende 

»  Vgl.  BiscHOFP,  Ber.  24,  2019  (1891).  —  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem. 
8,    -*98  (1891). 

»  Conrad  u.  Guthzeft,  Ann.  222,  249  (1883).  —  Kiliani,  Ber.  18,  2517  (1885). 

OuTHZEiT  u.  Dresskl,  Bcr.  22,  1421  (1889).   —    Buchneb,  Ber.  23,  706  (1890).  — 

Rcäkmakk  u.  Mobbel,  Journ.  Soc  59,  744  (1891).  —  Walden,  Zt«chr.  f.  physik. 
Chem.  8.  501  (18Sri).  —  v.  Pechmann,  Ann.  264,  302  (1891). 


696  Hfjdr07nuconsäur€n,  Mticansäure. 


Masse,  schmilzt  bei  132—184^,  ist  in  Alkohol,  Aether  und  Wasser  leicht  löslich, 
liefert  durch  Behandlung  mit  Acetylchlorid  ein  bei  86—87°  schmelzendes  Anhydrid, 
durch  Reduction  mit  Natriumamalgam  Glutarsäure  und  reducirt  PermanganadSsong 
sofort.    K  =  00183. 

Homolog'e  der  Glntaeonsttiire '  erhält  man,  indem  man  die  Natriumverbindung 
des  Dicarboxylglutaconsäureesters  (vgl.  S.  695)  mit  Halogenalkylen  umsetzt: 


NaC        -CH-    C  +  CHaJ  «  NaJ  +  CHjC CH  -C 

II-  ,  ! 

und  die  so  entstehenden  alkjlirten  Dicarbozylglutaconsäureester  verseift. 

Die  der  Adipinsäure  C^HioO«  entsprechenden  ungesättigten  Säuren  CeHgO«  werden 
Hydromneonsftnren  ^  genannt;  je  nach  der  Stellung  der  doppelten  Bindung  kann 
man  zwei  Isomere  unterscheiden: 

CO,H .  CHj .  CH :  CH .  CH,  •  CO.H     ^^^      CO,H  •  CH :  CH  •  CH,  •  CH,  -  CO,H . 
J^/y-Hydromuconsäure  J«.^-Hydromucon8äure 

Die  J^'^-Säure  (labile  Hydromuconsäure)  entsteht  durch  vorsichtige  Beduction 
mit  Natriumamalgam  (oder  Zinn  und  Salzsäure)  aus  den  folgenden  Säuren: 

Diacety lendicarbonsäure     CO,H  •  C  •:  C  •  C  •  C  •  CO^H , 
Muconsäure  COjH  •  CH  :  CH  •  CH :  CH  •  CO,H  , 

a  u.  |9-Dichlormuconsäure   CO^H  •  CH :  CCl  •  CCl :  CH  ■  COjH 

(bezw.  COjH .  CCl :  CH  •  GH :  CCl  •  CO,H?) , 

die  sämmtlich  eigentlich  die  J^'ß-Sänre  liefern  sollten";  sie  bildet  zolllange,  weiss« 
Prismen,  schmilzt  bei  195°  und  löst  sich  in  170  Th.  Wasser  von  15°;  ihre  Constitution 
ergiebt  sich  daraus,  dass  sie  bei  der  Oxydation  lediglich  Malonsäure  liefert.  —  Kocht 
man  diese  Säure  aber  längere  Zeit  mit  Natronlauge,  so  erleidet  sie  eine  Umlagerang, 
die  durch  eine  Wanderung  der  Doppelbindung  bedingt  wird:  es  büdet  sich  die  Jo/^-SSore 
(stabile  Hydromuconsäure),  welche  in  warzigen  Aggregaten  von  Krystallblättcfaen 
sich  abscheidet,  bei  168—169°  schmilzt,  in  111  Th.  kalten  Wassers  sich  löst  und  bei 
der  Oxydation  Bemsteinsäure  liefert,  wodurch  sich  ihre  Constitution  ergiebt  üebcr 
derartige  Umlagerungsphänomene  vgl.  S.  494—495,  508,  518. 

II.   Diearbonsfturen  mit  zwei  Doppelbindungen. 

(Allgemeine  Zusammensetzung  C„H2n_^0j. 

MueonsSnre  *  (w  w'-Butadiendicarbonsäure) :   C^HeO*  =  CO,H  ■  CH :  CH  •  CH :  CH 
CO2H .     Dichlorderivate  dieser  Säure,   deren  Name  an  ihre  genetischen  Beziehungen 


*  Conrad  u.  Guthzeit,  Ann.  222,  259  (1883).  —  Guthzeit  u.  Dressel,  Ber.  23, 
,3182  (1890).  —  Vgl.  auch  Hantzsch,  Ann.  222,  31  (1883). 

*  BoDE,  Ann.  132,  98  (1864).  —  Limpricht,  Ann.  165,  262  (1873).  —  Baeybb, 
Ber.  18,  680  (1885).  —  Baeter  u.  Rüpe,  Ann.  266,  1  (1889).  — -  Rühemann  u.  Blackmas, 
Joum.  Soc.  57,  371,  937  (1890). 

^  Eine  Erklärung  dieses  sonderbaren  Reactionsverlaufs  (vgl.  auch  Sorhinsäure 
S.  518)  mit  Hülfe  besonderer  Vorstellunßfen  über  das  Wesen  der  Affinität  vgl  in 
Werner's  „Beiträgen  zur  Theorie  d.  Affinität  u.  Valenz",  S.  30  (Zürich,  1891). 

*  Baeter  u.  Rufe,  Ann.  256,  22  (1889).  —  Ruhemakn  u.  Blackman,  Joum.  Soc, 
57,  S73  (1890).  —  Ruhemann  u.  Elliot,  ebenda,  931.  —  Rtthemann  u.  Duftojt,  Joarn. 
Soc.  59,  750  (1891). 


Diallylmalonsäure,  Acetylmdicarhonsäure,  Ghäinsäure.  697 


zur  Schleimsfiure  erinnern  soll,  erhält  man  aus  der  Schleirasäure  C02H'CH(0H)- 
CH(OH).CH(OH).CH(OH).COjH  durch  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid ; 
die  Dichlonnuconsfiuren  liefern  durch  Reduction  die  J^'y-Hydromuconsäure  (vgl. 
S.  696),  letztere  vereinigt  sich  mit  Brom  zu  /9-y-Dibromadipinsäure  COsH-CHj- 
CHBr .  CHBr .  CH, .  CO,H  ,  und  die  |9-/-Dibromadipinsäure  geht  nun  durch  Be- 
handlung mit  Alkalien  in  die  Muconsäure  selbst  über.  Muconsäure  krystallisirt  in 
sehr  kleinen,  moosartig  verzweigten  Nadeln,  die  sich  gegen  250^  bräunen,  aber  bei 
260^  noch  nicht  geschmolzen  sind;  sie  braucht  5000  Th.  kalten  Wassers  zur  Lösung, 
\st  in  heissem  Wasser  nur  wenig  löslicher,  entfärbt  Permanganatlösung  sofort,  liefert 
bei  gemässigter  Reduction  J^'Z-Hydromuconsäure  (vgl.  S.  696)  und  vereinigt  sich  mit 
Brom  zu  Tetrabromadipinsäure. 

DlallylmalonsBnre '  C^HijO^  =  (CHjrCHCHjjACOsH),  —  durch  Einführung 
von  zwei  AUylradicalen  in  Malonsäureester  leicht  erhältlich  —  bildet  prismatische 
Krystalle,  schmilzt  bei  133®  und  ist  in  Wasser  leicht  löslich.     K  =  0«76. 


III.  DlcarbonsSuren  mit  dreifachen  Bindungen. 

Aeetylendiearbonsänre'  ^411,04  =  COjHC-CCOjH  wird  aus  Dibrombemstein- 
säore  oder  Isodibrombemsteinsäure  (S.  736)  durch  Abspaltung  von  2  Mol.  HBr  unter  der 
Einwirkung  von  Alkalien  erhalten.  Sie  krystallisirt  mit  2  Mol.  Wasser,  welche  sie  über 
Schwefelsäure  verliert,  ist  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  sehr  leicht  löslich ;  die  wasser- 
^ie  Säure  krystallisirt  aus  Aether  in  glänzenden,  viereckigen  Tafeln  und  schmilzt  unter 
Zersetzung  bei  178 — 179^  Wie  sich  aus  dem  elektrischen  Leitvermögen  ergiebt,  steht 
die  Acetylendicarbonsäure  an  Stärke  den  stärksten  anorganischen  Säuren  nahe.  Ihr 
saures  Kaliumsalz  C4HO4K  ist  in  Wasser  schwer  löslich  und  geht  beim  Erwärmen 
mit  Wasser  unter  Kohlensäureabspaltung  in  propiolsaures  Kalium  über  (vgl.  S.  516). 
Ihr  Silbersalz  spaltet  sich  mit  grösster  Leichtigkeit  glatt  in  Kohlensäure  und  Acetylen- 
Silber.  Acetylendicarbonsäure  wird  durch  Wasserstoffzufuhr  leicht  in  Bemsteinsäure  ver- 
wandelt und  tritt  mit  Halogenwasserstoffsäuren  zu  Halogenfumarsäuren,  wie  COgH- 
CCl:CH-COjH,  zusammen;  über  Addition  von  Halogenen  vgl.  S.  737.  Acetylen- 
dicarbonsäureester  (C02-C2Hä)-C  •  C-(C02-C8Hg)  ist  ein  unter  20mm  Druck  bei 
120—1210  siedendes  Oel. 

axü'-AllylendicarboBsaare  oder  Glntinsänre^:  C5H4O4  =  CO^HC -CCHj. 
COjH .    Zu  dieser  Säure  gelangt  man  von  der  Citronensäure  auf  folgendem  Wege: 

CH,.CO,H  CHsCOJI 

1   /OH 

C<^  —  H •  CO2H  =  CO  :  Acetondicarbonsäure  , 

'  ^COjH  i 

CHjCOjH  CH.CO^H 


*  Conrad  n.  Bischoff,  Ann.  204,  171  (1880).  —  Fittig  u.  Hjelt,  Ann.  216, 
61  (1882).  —  Matweeff,  Ber.  21c,  181  (1888).  J.  pr.  [2]  39,  451  (1889).  — 
Waiden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  8,  451  (1891). 

»  Bandrowsky,  Ber.  10,  838  (1877);  12,  2212  (1879);  13,  2840  (1880J;  15,  2694 
»1882).  —  Baeyer,  Ber.  18,  677,  2269  (1885).  —  Aronstein  u.  Holleman,  Ber.  22, 
1183  (1889).  —  WiSLiCENUS,  Ann.  246,  68  (1888).  —  Büchner,  Ber.  22,  2929  (1889). 
—  LovfeN,  ebenda,  3055.  —  Ostwald,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  3,  381  (1889).  —  Bruce, 
Ber.  24,  4118  (1891).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  46,  210  (1892).  —  Michael  u.  Maisch 
ebenda,  233.  —  Lossen,  Ann.  272,   127,  139  (1892). 

•  Burton  u.  v.  Pechhann,  Ber.  20,  148  (1887). 


698  Diacetylendicarbonsmit'e,  Tetraacetylendicarhonsäure. 


CH,.CO,H  CHCOaH 

I 
CO  +  PCI5  =   POCI3  +  HCl  +  CCl  :  ^Chlorglataconaiurc. 


CH,  ■  COgH  CH, .  CO,H 

CHCO^H  CCOjH 

I 

h 
CCl  -HCl  =  C  :  Glutiusäure. 

I  I 

CHaCOjH  CHsCOoH 

Sie  bildet  feine  Nadeln,  schmilzt  bei  145—146^  unter  Kohlensfiureentwickelmig  um 
ist  in  Wasser  leicht  löslich;  auch  beim  Rochen  ihrer  wässrigen  Losung  findet  Kohl^a- 
säureentwickelung  statt. 

BiaeelylendiearboBsäure  *  (Butadiindicarbonsäure)  CeH^O«  =  COtHCi< 
C  :  C'COjH  wird  aus  der  Kupferverbindung  des  propiolsauren  Natriums  (S.  516— 51 T 
durch  Oxydation  mit  Kaliumferricyanid  erhalten.  Sie  krystallisirt  mit  1  MoL  Wassr. 
ist  in  Wasser  ziemlich  leicht,  in  Alkohol  und  Aether  sehr  leicht,  in  Ligrom  nni 
Benzol  sehr  schwer  löslich,  färbt  sich  bei  100^  braun  und  explodirt  bei  weitere 
Erhitzen  sehr  heftig  unter  Abscheidung  einer  sehr  voluminösen  Kohle.  Am  Li«  kt 
förbt  sie  sich  sofort  dunkel  rosaroth  und  ist  nach  einiger  Zeit  in  eine  purpürroth^ 
Masse  verwandelt;  alle  Operationen  mit  dieser  Substanz  müssen  daher  unter  An- 
schluss  des  directen  Tageslichts  vorgenommen  werden.  Durch  gemässigte  Reduction 
mit  Natriumamalgam  liefert  sie  Hydromuconsäure  (vgl.  S.  696),  durch  stärkere  K^- 
duction  Adipinsäure  unter  theil weiser  Spaltung  in  Propionsäure. 

Behandelt  man  die  Diacetylendicarbonsäure  mit  ammoniakalischer  Kapffr- 
chlor ürlösung,  so  erhält  man  durch  Abspaltung  beider  Carbosylgrnppen  schon  l>i 
30°  die  Kupferverbindung  des  Diacetylens  (vgl.  S.  467);  erwärmt  man  ein  sanrc> 
Salz  der  Säure  in  wässriger  Lösung,  so  wird  unter  Abspaltung  einer  Carboxyl- 
gruppe  die  äusserst  lichtempfindliche  und  daher  nicht  analjsenrein  erhaltene  Pi- 
acetylenmonocarbonsäure  COjH-C  •:  C-C  •  CH  gebildet;  oxydirt  man  nun  die  Kupf«*r- 
verbindung  der  letzteren  Säure  mit  Kaliumferricyanid ,  so  entsteht  die  durch  ihi-:; 
Constitution  höchst  merkwürdige  TetraaeetylendiearbonsXure: 

COsHC  :  CC  :  CC  :  CC  :  CCOgH ; 

in  kleinen  Mengen  kann  sie  aus  Aether  in  schönen  Nadeln  krystallisirt  erhalten 
werden,  welche  ausserordentlich  explosiv  sind  Tvgl.  S.  433)  und  im  Licht  nach  waiigen 
Minuten  schwarz  werden. 


Siebenundzwanzigstes  Kapitel. 

Tricarbonsäuren,  Tetracarbonsäuren  etc. 
L   Gesättigte  Trlcarbons&uren. 

Vom  Methan  kann  sich  nur  eine  Triwirbonsäure  ableiten,  welche  drei  Carboxjl- 
gruppen  an  dasselbe  Kohlenstofiatom  gekettet  enthält,  —  die  Methan  tri  emrbonsliLre' 
(Methenyltricarbonsäure)    CH(C02H)3 ,     Da   die   leichte   Kohlensäureabspaltong 


^  Baeyer,  Ber.  18,  678,  2269  (1885). 

*  Conrad  u.  Guthzeit,  Ann.  214,  31  (1882).  —  Haller,  Compt.  rend.  106, 1«9 
(188T).  —  Michael,  Jb.  1888,  1786.  —  Franchimont  u.  Klobbie,  Rec.  trav.  chim.  9, 
220  (1890).  —  Nep,  Ann.  266,  115  (1891). 


Melkarttricarbonsäwe,  AtHumtriaarbonsäure. 

bei  der  .\[aloiisJliire  nad  ibreo  Homologeo  (S.  651,  655)  zeigt,  dass  schou  zwei  C 
tappen  an  einem  and  demBelben  Kohlenstoflatom  bei  wenig  erhöhter  Tempera 
haften  können,  so  erscheint  ea  kaum  auffallend,  wenn  die  Methantricarboni 
freie  SSnre  sowohl  wie  auch  in  Form  von  Salzen  überhaupt  nicht  erhalten  w( 
vielmehr  bei  jedem  Yersnch  zu  ihrer  Äbacheidung  unter  Kuhlen»äureab 
Malonsäare  gebildet  wird.  Dagegen  ist  ihr  Triäthylester  CH(CO,-C,H,),  I: 
und  kann  leicht  durch  Umset^iung  von  NatriummalonBfiureeater  mit  Chtorkohl 
eeter  gewonnen  werden;  er  ist  eine  farblose,  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit, 
in  Alkalien  und  auch  schon  in  Alkalicarbonaten  unter  Bildung  von  Salzen 
dem  Natriummalonsfinreester  analog  sind,  eiedet  bei  2Ci3<',  besitzt  bei  19°  das  üp 
1  ■  10,  erstarrt  in  der  KSIte  zn  langen  Priemen  und  schmilzt  dann  erst  wiedei 
Tom  Aetban  kann  schon  eine  Sfture  abgeleitet  werden,  welche  n 
Carboiyte  an  demselben  Kohlenstoff  entbSlt  und  demzufolge  auch  —  gli 
Malonsäorc  —  in  freiem  Zustand  isoUrt  werden  kann:  die  ci, u'-AethantrlearlHi 
il'O,H),CH-CH,-C0,H  (Aetbenyltricarbonsftnre);  sie  stellt  eine  weisse  1 
niscbe  Hasse  dar,  ist  in  Alkohol,  Aetber  und  Wasser  leicht,  in  Benzol  wenij 
und  schmilzt  bei  159°,  indem  sie  sich  in  Kohlenafiure  und  Bemsteinsäiire 
K=0.32.  Ihr  Triathy!eatet(CO,-C,Hj),CH.CH,.CU,.C,Hs  wird  durch  Ui 
zwischen  Natrinmmalonsäureeeter  und  Cbloressigester  erhalten: 
iCO,-C,H,l,CHNa  +  CICH.CO.C.Hs  =  NaCI  +  (C0,.C,H.),C1I-CH,-Cü, 
siedet  bei  278°  und  besitzt  bei  20°  das  spec.  Gew.  1-095. 

Ester  von  Tricarbonsäuren,  welche  die  gleiche  Stellung  der  drei  C 
grappen  aufweisen,  demnach  als  Homologe  der  u,  u'-Aethintii carbonsinn 
zeichnen  sind,  können  nun  in  grosser  Zahl  durch  mannigfaltige  Variirun| 
Kildungsweise  des  Aethantricarbonsänrcestei«  dargestellt  werden.  Statt  des  Mal 
esters  kann  man  seine  Monalkylderivale  R-L'i((CO,-C,H,),,  statt  des  Chlore« 
die  a- Halogenderivate  anderer  Fettsäureester,  wie  a-Brompropionsüureesti 
OfIBr-CO,'C,Hs  etc.  verwenden.  Auch  kann  man  vom  Aethantricarbonsj 
selbat  ausgehen  und  ihm,  ähnlich  wie  dem  MalonsSureester,  Alkylreste  incoi 

/CO,.C.H.  /CO,.C,Hj 

(CO,-C,Hj-ClI,-C(Na       '      +  CH,.J  =  (CO,-C,H,)-CII..c(  CH,  h 

\CO,-C,Hj     •  '        -OOjCiHj 

Von  diesem  weiten  Spielranm  ist  ausgiebiger  Gebrauch  gemacht  worden*;  c 
groase  Zahl  derartiger  Tricarbonsäureester  ist  gewonnen  worden*,  weil  diese 
erhSl (liehen  Ester  durch  Verseifung  und  Abspaltang  einer  üarboxylgrupj 
in  Homologe  der  BemsteinsSurc  (vgl.  S.  663)  Qbergcftthrt  werden  können  ui 


'  BiscHOFF,  Ann.  214,  3a,  71  (Ibn2).  Ber.  21,  2112  (IbSs).  -  Zbi 
BnecHicaiK,  Ber.  21,  3399  (188ö|.  —  Wau.eb,  u.  IUrthk,  Compt.  rend.  IC 
(1888).  —  Babtre,  Compt.  rend.  108,  297  (1«B9);  lU,  343  (1890).  —  Bis 
V.  KuBLBBBa,  Ber.  23,  634  (1890).  —  Waldeh,  Ztschr.  f.  phjsik.  Cfaem.  10,  57 

»  Vgl.  BisCBonr,  Ann.  214,  53  (1882).  —  Wjltz,  ebenda,  58.  —  Bosj 
220,  27*  (1883).  —  Hjkit,  Ber.  16,  2622  11883).  —  Leuckart,  Ber.  18,  234i 
~  PoLEO,  Ann.  242,  113  (1887).  —  Barvstein,  ebenda,  126.  —  Bischoff  u 
Ber.  21,  2089  (1888).  —  Bischof»  u.  v.  Kuhlsbho,  Ber.  33,  634  (1890).  — 
u.  Vorr,  ebenda,  639.  —  Bischoff  u.  Mintz,  ebenda,  647,  3410.  —  Bischoff, 
339.").  —  Bischoff  u.  Jaunshiceer,  ebenda,  3399.  —  Aüwbbs  u.  Jackson,  eben{ 
—  Bischoff,  Ber.  24,  2012  (1891).  —  Schldcheh,  Ann.  287,  121  (1891).  —  ^ 
Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  572  (1892). 

»  Vgl.  die  Zusammenstellung  von  Bisthoff  u.  Waldbn,  Ber.  23,  660  ( 


700  Oyanbemsteitisäure. 


bei  den  Untereuchungen  über  diese  interessante  Säuregruppe  für  die  DaisteUmi^  der 
einzelnen  Säuren  wichtige  Zwischenglieder  bildeten.  Ueber  den  zuweilen  b^  solehezi 
Processen  eintretenden  anormalen  Reactionsverlauf,  der  die  Ejitstehnog  von  Alkvl- 
derivaten  des  6>sa>'-Propantricarbonsäureester: 

COgCjHg    CO,. CA 

herbeiführt  und  nach  Verseifung  desselben  zu  alkjlirten  GlutarsSoren  f&fart,  vgrL 
S.  664—665. 

CNCHCHjCO^H 
Ester,  welche  sich  von  der  Nitrilsäure  |  (Cyanbcrn- 

CO4H 

steinsäure)  ableiten  und  für  den  gleichen  Zweck  verwendet  werden  können,  bilden 
sich  ganz  allgemein  aus  a-halogenirten  Fettsäureestem  bei  der  Einwirkung  von 
Cyankalium  durch  Condensation  *,  —  z.  B.: 

CjHj .  CHBr  C  Ä  •  CH  •  CN 

I  +KCN  =  I  +KBr, 

COj  •  C2H5  COj  •  CjHj 

CA-CHCN  CjHs.CKCN 

1  +  KCN   =  I  +  HON , 

COj  •  CjHj  CO,  •  CjHj 

GTT    r^^-xr  DT '  Lfki '  \j^n^  1^  xj    r^/_ inrpr  ^^  xx 


CO,. CA  CO^CA  COj.CA   CO,.C,Hb 

ferner  durch  Alkylirung  des  durch  Combination  von  Cyanessigester  (vgl.  S.  654  : 
mit  Chloressigester  erhältlichen  Cyanbemsteinsäureesters': 

CNCHNa  CICH,  CNCH CH, 

I  ■    +        I  =  !  I 

,  COj'CaHs  C02»C2H5  COj'CjHj  COj-CjHj  j 

CN .  CNa CHa  CN  -  CrCHj) CR, 

I  I  +  CHjJ   =  i  "  I     "  +  XaJ . 

CO2C2H5  COa-CA  CO^-CA   CO,. CA 

Vom  Propan  kann  eine  Tricarbonsäure  deriviren,  welche  jede  Car- 
boxylgnippe  an  ein  anderes  Kohlenstoffatom  gebunden  enthält  und 
daher  nicht  so  leicht  Kohlensäure  abspaltet.  Diese  a9c;a>'-Propaii tri- 
carbonsäure: 

CHj —  CH CHj 

111=   CeHeOe 
CO2H  CO2H    CO,H 

entspricht  in  ihrer  Constitution  dem  Glycerin;  da  sie  durch  Zutritt  von 
drei  Carboxylgruppen  an  das  Allylradical  CHgrCH-CHg  —  entstehend 
gedacht  werden  kann,  so  wird  sie  gewöhnlich  als  TricarballjrlsSare 
bezeichnet.  Sie  ist  besonders  wichtig  wegen  ihrer  Beziehungen  zur 
Citronensäure,  welch'  letztere  ein  Hydroxylderivat  dar  Tricarballylsäure 

*  Zelinsky  u.  Bitschichin,  Ber.  22,  3398  (1888). 

*  Haller  u.  Barthe,  Compt  rend.  106,  1413  (1888).  —   Bartue,  Compt.   rend. 
108,  297  (1889);  112,  1013  (1891). 


TricarbaHylsäure. 

darstellt;  CitroneDSäure  geht  durch  Wasserabspaltung  in  eine  ur 
Tricai'bon säure  —  Aconitsäure  (vgl.  S.  703)  —  über,  welche  t 
duction  mit  Natriumamalgam  Tricarballylsäure  liefert ' : 

CH,-CO,H  CH-CO,H  CH,-0O,H 

K^— )►    C-CO,H        *-    CH-CO,H. 
0,H                      I  I 

ÖH,  ■  CO,H  CH,— CO,H  CH,-CO,H 

Zahlreiche  synthetische  Bildungsweisen  *  stellen  die  Constiti 
Tricarballylsäure  ausser  Frage;  so  kann  sie  aus  dem  Tribi 
durch  Vermittelung  des  Tricyanhydrins  CH,(CN)  -  CH(CN)  - 
gewonnen  werden,  aus  Diallylessigsäure  durch  Oxydation  mit 
säure  (vgl.  S.  518—519);  aus  Malonaäureester  erhält  man  du 
malige  Einführung  des  Restes  —  CH,-GO,H  mittelst  Cbloress 

CH,-CO,-C 
I 
CNft,(CO,.C,H,),  +  2C1CH,-G0,-C,H,  =  2NaCl  +  C(CO,-C,H, 

CH,-CO,-C, 
oder  durch  Combination  mit  Cblorbemsteinsäureester: 

CH(CO,-C,H 
=   N8Cl  +  CH-C0,.C,t 


CHNa(CO,-C,H.l,  +  ClCH-CO,-C,Hs  1 

"  11  +  CH-C 


CH-C0,-C,H6  I 

CH,C0,C,1 

oder    durch   Addition   von  Natriummalonsäureester  an   Fumart 
bezw.  M&lelnsäureester: 

CH(CO,-C,H,), 

.Ah 

CHNaCO,-C,Hj 
Propaotetracarbon Säureester   (vgl.    8.  705),    welche   bei    der   ^ 
durch  Eohleosäureabspaltung  Tricarballylsäure  liefern. 

Tricarballylsäure  wird  zuweilen  als  Calcium  salz  in  dei 
schlagen  gefunden,  welche  sich  in  den  Zuckerfabriken  währenc 
dampfens  des  Rübensaftes  bilden;  in  frischem  Rübensaft  k' 
nicht  aufgefunden  werden'.     Sie  bildet  prismatische  Krystalle, 


>  Debsaiqnkb,  Ann.  Suppt.  2,  18S  (1862).  —  WicaBLUAns,   Ann.  182, 

—  HiostwBTz  u.  MiLiH,  Ztechr.  Chem.  1864,  754.  —  Ehest,  Ber.  22,  2S 

'  SiMMON,  Ann.  136,   272  (1865).    —    Claus,    Ann.   170,    131    (1873 
11878).  —  Clads  u.  LiscHKB,  Ber.  14,  1089  (1881).  —  Mieule,  Ann.  190, 

—  Wolf?,  Ann.  201,  53  (1880).    —    Bjschoff,  Ann.  214,   63,   66  (1882). 
Ber.  23,  3756  (1890).  _—   Auwbrs,  Koebngb  u.  v.  MEYENauna,  Ber.  24,  i 

—  MitBAEL  u.  ScHDLTBEM,  J.  pr.  [2]  46,  56  (1891).  —  MüLLBB.  Compt. 
1205  (1882). 

■  T.  LippMAMM,  Ber.  U,  707  (1878);  12,  1649  (1879). 


702  Homologe  der  TricarbaÜylsäure, 


bei  158^  und  sublimirt  dabei  unter  theil weiser  Zersetzung;  100 ccm 
Wasser  von  18^  lösen  49*55 g,  100 ccm  Aether  0-9 g^;  Dissociations- 
constante*  K  =  0-022.  Destillirt  man  die  Tricarballylsäure  unter  stark 
vermindertem  Druck,  oder  behandelt  man  sie  mit  Acetylchlorid,  so  erhält 
man  durch  Abspaltung  von  1  Mol.  H3O  die  Anhydridsäure^  CgH^O.: 

CHjCOv  CHj.COs 

CHCCK 


CHCCK         oder     CO.HCH 

I  I 

CHjCOOH  düHj-CO' 

welche  aus  einem  Gemisch  von  Chloroform  und  Eisessig  in  feinen  Nädel- 
chen  vom  Schmelzpunkt  132®  krystallisirt. 

Homolog  der  Tricarballylsäare^  können  durch  Condensation  von  Fnmar- 
Bäuveester  mit  den  Natriumverbindungen  der  Alkylmalonsäureester  und  daranfPolgende 
Verseifung  der  zunächst  gebildeten  Tetracarbonsäureester  gewonnen  werden,  z.  B.: 

(C.Hs .  CO,),C .  CH,  CO,H .  *CH  •  CH^ 

C^Hj.CO.CH      CHj.CXCOj.CjHs)^                           |  | 

1+1                      =     CgHjCOjCH        >  CO,H.*CH       . 

CjHj.COj.CH              Na                                             |  | 

C.Hs .  CO» .  CHNa  CO^H-  CH, 

Die  nach  dieser  Reaction  entstehende  Methyltricarballylsäure  —  tfaß-BrntäMtn* 
carbonsSare  —  enthält  zwei  asymmetrische  Kohlenstoffatome  Qn  der  Formel  mit  *  be- 
zeichnet); sie  tritt  in  zwei  stereoisomeren  Modificationen  vomSchmebspunkt  184*  und 
134*  auf;  beim  Erhitzen  mit  verdünnter  Salzsäure  auf  190*  bleibt  die  hochBchmelzende 
Säure  unverändert,  die  niedrigschmelzende  Säure  wird  dagegen  hierdurch  in  die  hoch- 
schmelzende Säure  verwandelt  —  Eine  structurisomere  Methyltricarballylsäure 
—  mao^'-IsobatantriearbonsSare  (Schmelzpunkt  164*)  —  entsteht  durch  CondenaatioD 
von  Citraconsänreester  mit  Natriummalonsäureester: 


CH(CO, .  C,Hß),  CH« .  CO,H 

C/H8  •  C  •  CO2  •  C2H5 

;HNa.C0,.C,H6  CH,.CO,H 


>-     CHaCCO.CsHs  >-    CHs.6.C0,H 

CH.C0,.C,H5  1 

C] 


während   durch   Einwirkung   von   Itaconsäureester    auf  Natriummalonsäureester  die 
(üffcj'-ButaBtriearboBsSnre  (Schmelzpunkt  116—120*)  erhalten  werden  kann: 

CH(CO, .  C,H,),  CH, .  CO,H 

CHa                                      I  I 

l|                                         Cila  CH, 

ÖCOi.CjHs        >-      I  >■      I 

I                                          CNaCOjCjHs  CHCOjH 

CHjCOjCgHs                    I  I 

CH, .  CO,  •  CjHs  CH, .  CO,H 

*  GuiNOCHET,  Compt.  rend.  110,  47  (1890). 

«  Walker,  Joum.  Soc.  61,  707  (1892).  —  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10, 

563  (1892). 

»  Embby,  Ber.  24,  596  (1891). 

^  AuwERs,  ebenda,  307.  —  Aitwess,  Koebner  u.  v.  Metbnbubg,  ebenda,  2890.  — 
Müller,    Compt.  rend.  114,    12Ö7  (1892).    —    Waldek,    Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10, 

564  (1892).  —  Weidel  u.  Hoff,  Monatsh.  13,  590  (1892). 


Aconitsäure .  703 


6>^a)'-PeiitaiitrieBrboB8aare'    CH,(CO,H).CH,.CH(C08H).CH2.CO,H    ist  aus 
MaloDBftnreester  durch  Combination  mit  ^-Brompropionsäureester: 

CH(CO,.aH,)j 
CHNa(CO,.C4H5),  +  Br.CHa.CH.,.COa.CsH5  =  NaBr  +   ! 

CHj  •  CHg  •  COj  •  CjH, 


» 

^5 


CNa(CO,.C,H,),  I 

I  +  Br .  CH, .  CH, .  CO2 .  CjHs  =  NaBr  +  C(CO,  •  C,H,), 

CH)  •  C1I2  *  CO2  •  CjHg  1 

CH|  •  CHj  •  CO2  •  C2H5 

und  Verseifung  des  so  entstandenen  Tetracarbonsäureesters  erhalten;  sie  schmilzt 
bei  106— 107  ^ 

II.   Unges&ttigte  Tricarbons&uren. 

Aeonits&ure  G^R^O^  =  C03H.CH2-C(C02H):CHC03H  —  eine  nach 
ihrem  Vorkommen  in  Aconitumarten  genannte  Säure,  die  im  Pflanzen- 
reiche sehr  verbreitet  ist*;  so  begleitet  sie  den  Zucker  im  Saft  des 
Zuckerrohrs,  im  Rüben-  und  Sorghumsaft.  Sie  ist  ferner  wichtig  durch 
ihre  Beziehungen  zur  Citronensäure,  aus  welcher  sie  durch  Wasser- 
abspaltung —  beim  Erhitzen  für  sich  oder  mit  starken  Säuren  —  entsteht: 

CH2-CO2H  CH-COaH 

i    .OH  ! 

C<  -  H2O   =   C-CO2H       ; 

I  \CO2H  ; 

ÖHa-COsH  CHj-COjH 

diese  Bildung^  wird  zur  Darstellung  der  Aconitsäure  benutzt.  Syn- 
thetisch* ist  Aconitsäure  aus  dem  Oxalessigester  CjHg-COj-CO-CHg- 
t'Oj-CjHg  gewonnen;  lässt  man  letzteren  mit  concentrirter  Kalium- 
acetatlösung  längere  Zeit  stehen,  so  condensirt  er  sich  im  Sinne  der 
ftleichung: 

COjCjHs  COjCsH,       CO2C2H,  CO2C2H5 

CH,      CH2  cn      CH 

+   I  =  \  ^\  +C2H,.0H 

CO        CO  C         CO 


COjCiHs  CO2.C2H5  CO2H  CO2C2H, 


»  Emeby,  Ber.  24,  284  (1891). 

*  Braconwot,  Ann.  eh.  [2]   39,   10  (1828).    —    Regnault,  Ann.  19,   145  (1836). 

—  Bacp,  Ann.  77,  293  (1851).  —  Wicke,  Ann.  90,  98  (1864).  —  Zanon,  Ann.  58, 
31  (1846)l  —  Hlasiwetz,  Jb.  1857,  831.  —  LranERos,  Ann.  182,  365  (1876).  —  Bahr, 
Ber.  10,  351  (1877).  —  v.  Lippmann,  Ber.  12, 1650  (1879).  —  Pabsons,  Ber.  15,  1763  (1882). 

•  Crasso,  Ann.  34,  57  (1840).  —    Dessaiones,  Compt  rend.  42,  494  (1856).  — 
Mebcadante,  J.  pr.  [2]  3,  356  (1871).  —  Geutheb  u.  Hergt,  J.  pr.  [2]  8,  372  (1873). 

—  Pawollbk,  Ann.  178,  153  (1875).  —  Hunaeus,  Ber.  9,  1751  (1876).  —  Anschütz 
u.  Klinqbmann,  Ber.  18,  1953  (1885).  —  Hentschel,  J.  pr.  [2]  35,  205  (1887). 

♦  Claisen  u.  Hori,  Ber.  24,  120  (1891).  —  Vgl.  auch  Lovän,  Ber.  22,  3053  (1889). 


704  ÄGonüsäure. 


zu    dem  Triäthylester   der   Aconitoxalsäure,    welche   durch  Alkalien  in 
Aconitsäure  und  Oxalsäure  gespalten  werden  kann: 

CO.HCH  CO.H.CH 

COjHC  +H,0  =  CO,H.C      +CO,H.CO,H. 

I  1 

COsHCHCOCOgH  CO.HCHj 

Aconitsäure  bildet  glänzende  weisse  vierseitige  Krystallplatten,  schmilzt 
bei  191*^  unter  Zersetzung,  ist  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  leicht,  in 
rauchender  Salzsäui'e  schwer  löslich;  100  Th.  Wasser  von  13®  lösen  18-62 
Th.^;  Dissociationsconstante*  K =0-158.  Ueber  die  Zersetzung,  welche  sie 
beim  Erhitzen  für  sich  erleidet,  vgl.  S.  690 ;  auch  beim  Erhitzen  mit  Wasser 
auf  180®  spaltet  sie  Kohlensäure  ab  und  geht  in  Itaconsäure  über^  Durch 
nascirenden  Wasserstoff  wird  sie  in  Tricarballylsäure  übergeführt,  und 
hieraus  ergiebt  sich  ihre  Constitution^**.  —  Das  neutrale  Calcium- 
salz*^  (CgH30g)2Ca3  +  SHjO  scheidet  sich  beim  Kochen  seiner  Lösung 
in  schiefen  Prismen  ab,  die  bei  210®  zwei  Mol.  Wasser  verlieren,  das 
dritte  noch  nicht  bei  310®;  sie  sind  sehr  wenig  in  Wasser  löslich,  gehen 
aber  in  Berührung  damit  allmählich  unter  üebergang  in  ein  amorphes 
leichtlösliches  Salz  in  Lösung.  —  Die  Ester^  der  Aconitsäure  werden 
glatt  erhalten,  wenn  man  die  Acetylcitronensäureester  —  durch  ge- 
lindes Erwärmen  der  Citronensäureester  mit  Acetylchlorid  darstellbar 
—  auf  250—280®  erhitzt,  z.  B.: 

OCOCH,  I 

-  OH-CO-CHg  =  CCOjCjHs      ; 

CHj  •  CO2  •  C2H5  CH  •  COj  •  C1H5 

der  Triäthylester  C^H30ß(C2Hg)3  siedet  unter  14mm  Druck  bei  171". 

Ueber  die  isomere  Isaconitsäure^  CObH.CH:CH.CH(CO,H),  vgl.  die 
Originalliteratur. 

III.   Tetracarbonsäuren. 

Den  Ausgangspunkt  zur  Gewinnung  der  Tetracarbonsäuren,  wie 
auch  der  Säuren  mit  noch  mehr  als  vier  Carboxylgruppen,  bildet  der 
Malonsäureester. 


*  Dessaignes,  Ann.  Suppl.  2,  189  (1863). 

*  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  570  (1892).  —  Walker,  Joum.  Soc. 
61,  707  (1892). 

'  Pebal,  Ann.  98,  94  (1856).  *  Wichelhaus,  Ann.  132,  62  (1864). 

*  6171NOCHET,  Compt.  rend.  94,  455  (1882). 

®  Mercadante,  J.  pr.  |2]  3,  357  (1871).  —  Anschütz  u.  KLiNOEMAirXf  Ber.  18, 
1954  (1885).  —  Ruhemann,  Ber.  20,  3368  (1887).  —  A.  Schneider,  Ber.  21,  669  (1888). 
—  Klimenko  u.  Buchstab,  Ber.  23  c,  325  (1890).  —  Hotter,  Ber.  22,  1078  (1889). 

'  Conrad  u.  Guthzeit,  Ann.  222,  255  (1883).  —  Guthäeit  u.  Dressbl,  Ber. 
22.  1425  (1889). 


Tetracarhonsätiren.  705 


Es  sind  zunäclist  einige  Beactionen  anzuführen^  welche  vom  Malon- 
säureester  zu  Tetracarbonsäureestern  führen,  deren  Molectil 
nur  einmal  die  Malonsäurestellung  zweier  Carboxylgruppen 
aufweist.  Da  die  diesen  Estern  entsprechenden  freien  Tetracarbon- 
säuren durch  Kohlensäureabspaltung  in  Tricarbonsäuren  übergehen,  sind 
solche  Reactionen  —  zweimalige  Combiuation  des  Malonsäureesters  mit 
Halogenderivaten  der  Fettsäureester,  einmalige  Combination  mit  dem 
Halogeoderivat  eines  Dicarbonsäureesters  oder  endlich  Addition  von 
NatriuBimalonsäureestem  an  die  Ester  ungesättigter  Dicarbonsäuren  — 
schon  bei  der  Behandlung  der  Tricarballylsäure  und  ihrer  Homologen 
erwähnt  und  durch  Gleichungen  dargestellt  worden  (vgl.  S.  701 — 703). 

Durch  solche  Reactionen  ist  z.  B.  erhalten  ci}».2((i'-PropBiit«tra6arboiisäur6e8ter^ 
asoallylentetracarbonsäureester)  (CjHj  •  C0,)CH4  •  C(CO,  •  C^Yi^\  •  CHj(CO,. 
CjHj)  (aus  Malonsäureester  und  Chloressigester):  ein  bei  295 '^  siedendes  Oel  vom 
bpec.  Gew.  1-102  (15^,  aus  dem  durch  Verseifung  auch  die  freie  Säure  —  bei  151^ 
unter  Spaltung  in  Kohlensäure  und  Tricarballylsäure  schmelzend  —  gewonnen  ist.  — 
w,  a  ai'-Propaiit«traear1>ousäureest€r « (C.Hj  •  CO,),CH  •  CHiCOg  •  C^Hj )  •  CHjCCOj  •  CaH^) 
(ans  Malonsäureester  und  Chlorbernsteinsäureester  bezw.  Fumarsäureester)  siedet  unter 
18  mm  Druck  bei  203—204«;  spec.  Gew.  bei  20°:  1-118.  — 

Andere  Reactionen  fuhren  vom  Malonsäureester  zu  Tetra- 
carbonsäureestern, deren  Molecül  zweimal  je  zwei  Carboxyl- 
gruppen in  der  Malonsäurestellung  enthält;  die  ihnen  entsprechen- 
den freien  Säuren  liefern  demnach  bei  der  Kohlensäureabspaltung  Di- 
carbonsäuren. 

Man  kann  zwei  Malonsäurereste  direct  —  ohne  Zwischenglieder  — 
an  einander  ketten,  wenn  man  die  Natriumderivate  des  Malonsäureesters 
oder  seiner  Homologen  mit  den  Chlorderivaten  reagiren  lässt,  oder  indem 
man  Jod  auf  Natriummalonsäureester  einwirken  lässt: 

(C,H5.C0,),CHNa  +  Cl.CH(CO,CjIU  =  NaCl  +  {C^l{,'CO,)^CH'CU(COiC^U,)., 

2(C,H5.CO,),CHNa  +  J^  =  2  NaJ  +  (G  A  •  CO,),CH  -  CH(COj  •  C^Hg), 

Aethantetracarbonsäureester. 

(CjH.CO^CNaCl  +  CNaCl(CO,  •  CjHj),  =  2NaCl  +  (CH^  •  CO^C :  0(00,  •  C^H^), 

2(C,H5.CO,),CNa,  +  2J,  =  4NaJ  +  (C,H6.C0,)jC:C(C0j.CsH8), 

Aetbylentetracarbonsäureester. 

üijCu^-AethautetraearbonsUureester^  (Acetylentetracarbonsäureester) 
(CjH5.C0j)gCH.CH(C0j|.C,H5),  kiystallisirt  in  langen  Nadeln,  schmilzt  bei  76 «^  und 
siedet  unter  tbeilweiser  Zersetzung  bei  305*^;  durch  Verseifung  mit  verdünnter  Natron- 

*  Bischoff,  Ann.  214,  61  (1882).  —  Haller  u.  Barthe,  Compt.  rend.  106,  1414 
(188»).  —  BiscHOPF  u.  V.  KüHLBBRG,  Bcr.  23,  664  (1890).  —  Barthe,  Compt.  rend. 
lU,  344  (1890). 

*  ExERY,  Ber.  23,  3759  (1890).  —  Auwers,  Koebner  u.  v.  Meyenburg,  Ber.  24, 
2889  (1891).  —  Michael  u.  Schulthess,  J.  pr.  [2J  46,  56  (1891). 

*  Conrad  u.  Bischoff,  Ann.  214,  68  (1882).  —  Guthzeit,  ebenda,  72.  —  Conrad 
u.  GüTHZBiT,  Ber.  16,  2632  (1883).  —  Baeyer  u.  Perkin,  Ber.  17,  449  (1884).  —  Bischoff 
o-Rach,  ebenda,  2781.  —  Bischofp  u.  Hausdörfer,  Ann.  239,  129  (1887).  —  Buchner, 
^«.  26,  1158  (1892). 

V.  Ukysr  u.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  45 


706  Tetracarhonmuren. 

lauge  kann  daraus  die  freie  Aethantetracarbonsfture  gewonnen  werden,  wekh«^ 
kleine  Nadeln  bildet,  bei  167—169*^  unter  Gasentwickelung  schmilzt  und  bei  an- 
dauerndem Erhitzen  auf  180*^  in  Bemsteinsäure  übergeht.  Verseift  man  den  EBt^-r 
durch  Erhitzen  mit  Salzsäure,  so  erhält  man  c^gCt^'-Aethantricarbonsäure  (TgL  S.  69:^.: 
verseift  man  ihn  mit  alkoholischer  Kalilauge  in  der  Kälte,  so  erhält  man  den  Aethao- 

CjHg  •  COj>v  /COj  •  CjHg 

tetracarbonsäurediäthjlester  >CH-CH<^  +VjH,0,  welcher 

CO,H/  ^CO,H 

bei  132—133^   schmilzt   und   dabei  in  Kohlensäure  und  BemsteinsSureester  zertalit: 

der  Tetraäthjlester  liefert  mit  Natriumäthylat  eine  Dinatriumyerbindung  (C^H  • 

C02)aCNa'CNa(CO,'CjH5),.  —  üeber   Homologe  des  Aethantetracarbonfifittree3ter> 

vgl.  die  Original-Literatur*. 

AethylentetracarbonsSareester'  (Dicarbintetracarbonsänreester)  (C^U  • 

008)^0  :  CCCOa'Cj Hg),    bildet   grosse  Tafeln,  schmilzt  bei  58®  und  siedet  unter  thrü- 

weiser  Zersetzung  bei  325—328°;   verseift  man  ihn  mit  Kalilauge  und  säuert  darauf 

mit  £6&i,::Fäure  an,  so  erhält  man  ein  saures   Kaliumsalz   der  Aethjlentetra- 

carbonsäure  Cj(COgH)i(C08K)8 ;  durch  Salzsäure  wird  der  Ester  schwer  vereeiftunJ 

liefert  dann  Fumarsäure. 

Man  kann  ferner  zwei  Malonsäurereste  durch  Zwischenglieder  mit 
einander  vereinigen,  indem  man  entweder  Malonsäureester  mit  Aldehvdeii 
condensirt  (vgl.  S.  491),  z.  B.: 

CHa-CHO  +  2CH,(C08.C8H6)j   =   CHjCH :  (XCOjCJij),  -}-  CHjCCOjCiHs),  +  lU» 

.CH(CO,.C8H,)8 
=   CH8.CH<  +H,0, 

^CHCCOjCjHg), 

oder  indem  man  die  Natriumderivate  des  Malonsäureesters  bezw.  seiner 
Homologen  mit  mehrwerthigen  Halogenverbindungen  inReaction  bringt,  z.  B. 

.CHCCOjCA), 


CHjJj  +  2CHNa(CO,C8Hj),  =  2NaJ  +  CH, 


^CHCCOjCsHs), 

c(co,.aH,), 


CHCla  +  2CNa8rCO,-C,H3).    =    3NaCl  +  Ch/ 

X:JXa(C0j.CjH5)| 

/CH,Br  /CH^— CH(CO,  ■  CMjt 

CHZ  +2CHNa(C08.C8H5),    =    2NaBr  +  CH,< 

^CHjBr  X^H,  -  CH(CO,  -  C^H^), 

(ügCüg'-PropantetracarbonslSureester'  (DicarboxylglutarsäureesterjlCH/ 
C08)8CH.CH8.CH(CO,.C2H8)8  —  am  besten  aus  Methylen-jodid  oder  -chlorid  uml 
Natriummalonsäureester  erhältlich  —  ist  ein  farbloses  Oel,  das  unter  100  mm  Druck 
bei  240—241°  siedet  und  bei  20°  das  spec.  Gew.  1'116  zeigt    Durch  Verseifung  mit 


1  BiscHOFF  u.  Räch,  Ber.  17,  2785  (1884);  18,  1202  (1885).  —  Bischofp,  Ber.21, 
2085  (1888j. 

*  Conrad  u.  Güthzeit,  Ann.  214,  76  (1882).  Ber.  16,  2631  (1883).  —  Bischuff 
u.  Räch,  Ber.  17,  2781  (1884).  —  Bischoff  u.  Hausdörper,  Ann.  239,  180  (1887).  - 
Demuth  u.  V.  Meyer,  Ber.  21,  270  (1888J.  —  Conrad  u.  Brückner,  Ber.  24,  2998(16^11. 

«  Perkin,  Ber.  19,  1054  (1886).  —  Conrad  u.  Güthzeit,  Ann.  222,  258  (18i>3t 

—  Kleber,  Ann.  246,  107  (1888).  —  Güthzeit  u.  Dressel,   Ber.  21,  2233  (1888).  - 
Güthzeit,  Ann.  256,  171  (1889).  —  Perkin  u.  Prentice,  Journ.  Soc  59,  991  (1891). 

—  Stohmann  u.  Kleber,  J.  pr.  [2]  45,  476  (1891). 


Tetracarbofisäuren,  707 


heisser  concentrirter  Kalilauge  erhält  man  daraus  die  freie  Tetracarbonsäure, 
welche  bei  168 — 170^  unter  Kohlensäureentwickelung  schmilzt  und  schliesslich  in 
Glutarsäure  übergeht  Mit  Natriumäthylat  liefert  der  Ester  eine  Dinatrium- 
verbindung  (CjH5«COj)iCNa'CH2'CNa(COj-C8H5)8 ,  aus  welcher  durch  Umsetzung 
mit  Halogenalkylen  Homologe^  des  Dicarbozylglutarsäureesters  gewonnen  werden 
können. 

(^gCj^'-PropentetraearbonsSureester^**  (Dicarboxylglutaconsäureester) 
(C,H5.CO,),C:CH.CH(CO,.CsH5)8  wird  in  Form  seiner  Natriumverbindung  (C.Hs • 
€04)^0  rCH-CNaCCOj-CjHg),  —  hellgelbe,  glänzende  Prismen,  die  in  Wasser  und 
Weingeist  in  der  Kälte  wenig,  beim  Erhitzen  leicht  löslich  sind,  —  durch  Einwirkung 
von  Chloroform  auf  Dinatriummalonsäureester  (Gleichung  s.  S.  706)  erhalten.  Aus 
der  Natriumverbindung  erhält  man  durch  Umsetzung*  mit  Halogenalkylen  bei  höherer 
Temperatur  Homologe  des  Dicarboxylglutaconsäureesters,  durch  Zersetzung  mit  ver- 
dünnten Säuren  diesen  Ester  selbst.  Letzterer  ist  ein  Oel,  besitzt  bei  15^  das  spec. 
Gew.  1-131,  liefert  bei  der  Verseifung  Isaconitsäure  (S.  704)  und  Glutaconsäure 
iS.  695),  giebt  in  alkoholischer  Lösung  mit  Eisenchlorid  eine  kornblumenblaue 
Färbung  und  zersetzt  sich  beim  Sieden  im  Vacuum  in  Alkohol  und  Aethoxy-pyron- 
dicarbonsäureester : 


/COOCgHs  /CO.OCjH 

/CH<  /C^C.OCjHg 

y       \C0.0C,H5  /         \ 

CH/  =  C,H5.0H  +  CH<  \^ 

\    /CO.OCä  X  /^ 

.      ^COOCsHe  ^CO.OCjH 


8**5 


Die   Homologen   des   Dicarboxylglutaconsäureesters   können  im  Vacuum    ohne    Zer- 
setzung destillirt  werden. 

c*>,rV-lBobataBtetraearbousäureester^  CH,-CH{CH(CO,*C3H5),!3  —  aus  Acet- 
aldehyd  und  Malonsäureester  in  Gregenwart  von  Essigsäureanhydrid  —  siedet  unter 
20mm  Druck  bei  209— 212^,  &),&i/-ButautetraeBrbonsäareest«r^  (CjHg •  COa)jCH • 
CHj  •  CH,  •  CH(COj  •  CjHj),  —  aus  Aethylenbromid  und  Natriummalonsäureester  —  unter 
100  mm  Druck  bei  248— 252  ^  a),a),'-Peiitaiitetraearbousäureester^  (CjH8C02)2CH. 
CH,«CH,-CH2'CH(C02'C2H9)2  —  aus  Trimethylenbromid  und  Natriummalonsäure- 
ester —  unter  80  mm  Druck  bei  230— 235  ^ 

Die  denkbar  einfachste  Tetracarbonsäure,  deren  Molecül  gar  keine 
Malonsäurestellung  der  Carboxyle  aufweist,  also  alle  vier  Carboxyl- 
gruppen  an  verschiedene  Kohlenstoffatome  gebunden  enthält,  ist  die 
(oußm-  Butantetracarbonsäure  ^  CHg  (CO3H)  •  CHCCOjjH)  •  CHCCOgH)  • 
CH,-(COaH).  Diese  Säure  (Schmelzpunkt  244 0,  K  =  0-040)  ist  einerseits 
durch  Verseifung  des  «cfg/Jgw'-Butanhexacarbonsäureesters  (vgl.  S.  708), 


*  Vgl.  auch  GüTHZEiT  u-  Deessel,  Ber.  23,  3179  (1890). 

*  CoNBAD  u.  GuTHZEiT,  Auu.  222,  249  (1883).  —  GuTHZEiT  u.  Dbessel,  Ber. 
22,  1413  (1889).  —  Ruheuann  u.  Morrell,  Journ.  Soc.  59,  745  (1891). 

*  KoMNENOS,  Ann.  218,  158  (1883). 

*  Perün,  Ber.  18,  3248  (1885);  19,  2039  (1886).  Journ.  Soc.  51,  241  (1887). 
—  Peekik  u.  Prentice,  Journ.  Soc.  59,  818  (1891).  —  Vgl.  auch  Freer  u.  Perkin, 
Ber.  21,  738  (1888). 

*  BiscHOVF,  Auwers,  vgl.  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  578  (1892).  — 
AuwBBs,  Ber.  26,  864  (1898). 

45* 


708  Pentacarbonsäuren  etc. 


andererseits  durch  Condensation  von  Aconitsäureester  mit  Natriummalon- 
säureester  und  Verseifung  des  Condensationsprodukts: 

CH(CO,  •  CjHs),  CH, .  CO,H 

I 

CH.C0,.C,H5  OH.COj.C4H5  (iJHCOjH 

Jl )^        I  ^         1 

CCOjCA  CNaCOj.CA  CHCO.H 

CH, .  COg .  CSt  CH, .  CO, .  CjHs  CH,  -  COsH 

erhalten  worden;  sie  ist  leicht  löslich  in  Wasser  und  Alkohol,  fast  un- 
löslich in  Benzol.  Durch  Digestion  mit  Acetylchlorid  geht  sie  in  eiji 
zweifaches  inneres  Anhydrid  CgHgOg  über,  welches  bei  172 — 173^  schmilzt. 

lY.  Pentaearbons&uren  etc. 

(ü^a^b)'-  PropaupeiitaearbonsSiureester  ^  (C2H5  -  CO,)sCH .  C(CO,  •  0^11^1  -  CH^ 
(COg'CsHg)  ist  aoB  der  Natrium  Verbindung  des  AethantricarbonfiSnreester  (S.  699 
durch  Combination  mit  Chlormalonsäureester,  a)a2J?o'-Batanpeiitaearbonsiiijree6t«r* 
(C2H5 .  C02)CHg .  C(CO, .  CgHg), .  CH(CO,  •  C^Hß)  •  CH,(COj  •  C^H^)  mit  Chlorbemsteinsäure 
ester  gewonnen  worden;  beide  Ester  sind  dickflüssige  Oele,  die  im  Vacuom  destillir- 
bar  sind. 

(jcr^/^sCü'-Butanhexacarbonsäureester'  (CjHg  -  COj)CH,  •  0(CO,  •  CjH;),  •  OCO,- 
CgHa)^  •  CH2(C0, .  CjHg)  —  sechsseitige,  bei  56.5<>  schmelzende  Tafeln  —  entsteht 
durch  Einwirkung  von  Jod  auf  die  Natriumverbindung  des  Aethantricarbonsänreesters. 

Durch  Einwirkung  von  Tetrachlorkohlenstoff  auf  NatriummaJonsäureestir  bi 
eine  Substanz  erhalten  worden,  welche  als  Pentanoctocarbonsäureester*: 

C.CHCCOj.C.H,),!, 

angesprochen  wird. 

Indem  man  für  die  auf  den  letzten  Seiten  vielfach  erwähnten  Beactionen  - 
Combination  der  Natriumderivate  mit  den  Chlorderivaten  der  Ester  von  mehrbasischeji 
Säuren  —  den  Propanpen tacarbonsäureester  zum  Ausgangspunkt  nimmt,  kommt  maa 
zu  immer  complicirteren  Produkten^,  die  bisher  nur  unvollkommen  charakterigirt 
sind',  sie  wurden  als  dickflüssige,  auch  im  Vacuum  nicht  destillirbare  Gele  erh&iteD; 
man  glaubt,  bis  zum  Octan-tetradeka-carbonsäureester: 

(C2H5 .  CO.,)CH, .  CiCO, .  C,U,\ .  ClCO.CjHj), .  C(CO,  •  C^B,\  •  C{CO,  •  C^HJ,  •  0(00,  • 

C,U,), .  C(CO, .  C,U,\ .  CHa(CO, .  C,H  J 
gelangt  zu  sein. 


*  BiscHOFP  u.  Emmekt,  Ber.  16,  1108  (1882).  —  Bischoff,  Ber.  21,  2118  (l^SH 

*  Emery,  Ber.  23,  3760  (1890). 

8  Bischoff  u.  Emmert,  Ber.  16,  1046  (1883).  —  Bischoff  u.  Räch,  Ber.  17, 27fe6 
(1884).  —  Bischoff,  Ber.  21,  2112  (1888). 

*  Chabriä,  Bull.  [3]  7,  20  (1892). 

*  Bischoff  u.  Emmert,  Ber.  21,  2115  (1888). 


HcUogenirung  von  Carbatisäuren.  709 

Achtundzwanzigstes  Kapitel. 

Halogenderivate  der  Carbonsäuren. 

Allgemeines   über   Bildung   und  Verhalten   halogenirter 

Carbonsäuren. 

Clilor-  und  Bromderivate  der  Carbonsäuren  können  direct  durch 
Substitution  aus  den  Säurehydraten  oder  Derivaten  derselben  gewonnen 
werden. 

.  Bei  den  Säurehydraten  selbst  freilich  erfolgt  die  Substitution  in  der 
Kegel  —  namentlich  am  Anfang  der  Reaction  —  nicht  leicht  und  er- 
fordert, um  einigermassen  vollständig  zu  werden,  höhere  Temperatur, 
längere  Einwirkungsdauer,  Unterstützung  durch  Belichtung  oder  durch 
Gegenwart  von  Halogenüberträgem.  In  der  Reihe  der  Fettsäuren  er- 
weisen sich  die  einzelnen  Säuren  der  Substitution  um  so  leichter  zugäng- 
lich, je  höher  ihr  Moleculargewicht  ist.  Beim  Erhitzen  molecularer 
Mengen  von  Brom  und  Säurehydrat  in  zugeschmolzenen  Röhren  auf 
100^  wurde  z.  B.  gefunden,  dass  die  Substitution  bei  der  Essigsäure 
erst  nach  40  St.,  bei  der  Propionsäure  schon  nach  10  St.,  bei  ^der 
Buttersäure  in  weniger  als  7  St.  bis  zum  Betrage  von  15  7o  ^^^' 
geschritten  war^ 

Viel  leichter  als  die  Hydrate,  lassen  sich  die  Anhydride  oder 
Bromide  (vgl.  S.  349)  bezw.  Chloride  halogeniren  ^,  Essigsäurehydrat 
z.  B.  muss  mit  Brom  tagelang  im  Wasserbade  erhitzt  werden,  wenn  man 
eine  reichliche  Bromirung  erzielen  will,  Essigsäureanhydrid  und  Acetyl- 
bromid  dagegen  werden  von  Brom  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
angegriffen  und  sind  bei  100^  schon  nach  kurzer  Zeit  vollständig  sub- 
stituirt.  Von  diesem  Umstand  zieht  man  besonders  für  die  Darstellung 
bromirter  Säuren  Nutzend 

Man  verwendet  zur  Bromirung  die  Säurebromide  in  dem  rohen  Zustande,  wie 
sie  beim  Zusammenbringen  des  Säurehydrats  mit  Brom  und  rothem  Phosphor  resultiren, 
und  verfährt  daher  folgendermassen  (HELL-VomARD-ZRLiNSKY'sche  Bromirungs- 
metbode):  zu  dem  in  einem  Rückfiussapparat  befindlichen  Gemisch  von  Säure- 
hydrat  und  amorphem  Phosphor  lässt  man  anfangs  langsam,  später  rascher  Brom 
zutropfen,  erwärmt  darauf  allmählich  auf  etwa  80^  und  erhält  bei  dieser  Tempe- 
ratur einige  Zeit.  Das  Brom  vereinigt  sich  zunächst  mit  dem  Phosphor  zu  Phosphor- 
pentabromid,  welches  aus  dem  Säurehydrat  das  Säurebromid  erzeugt,  und  substituirt 
dann  das  entstandene  Bromid.  Zur  Berechnung  der  in  Reaction  zu  bringenden 
Mengen  kann  für  die  Monobromirung  von  einbasischen  Säuren  die  Gleichung: 


*  Vgl.  Hell  u.  übech,  Ber.  13,  531  (1880). 

»  Hell,  Ber.  14,  891  (1881).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  36,  92  (1887).  —  Vgl.  auch 
Jazukowftsch,  Ztschr.  Chem.  1868,  235. 

»  Hell,  Ber.  14,  891  (1881);  21,  1726  (1888).  —  Volhard,  Ann.  242,  141  (1887). 
Ber.  21,  1904  (1888).  —  Zelinskt,  Ber.  20,  2026  (1887).  —  Auwers  u.  Bebnhardi, 
Ber.  24,  2216  (1891). 


I 


710  Halogenirung  von  Carbonsäuren. 


SCaHsn+i-COsH  +  P  +  llBr  =   3CnH,„Br.C0Br  +  HPOg  +  5HBr, 

für  die  Dibromirung  zweibasischer  Säuren  die  Gleichung: 

3Ci,Hjn(C0jH)s  +  2P  +  22Br  =  3  Ci,H2a_8Bri,(COBr),  +  2HP0,  +  lOHBr 

dienen,  doch  giebt  man  schliesslich  —  um  während  der  Operation  nnvermeidliche 
Bromverluste  zu  decken  —  noch  weitere  Mengen  Brom  hinzu,  bis  die  Bromwasser* 
Stoffentwickelung  völlig  aufgehört  hat,  und  das  Kühlrohr  auch  nach  halbstündiger 
Digestion  noch  von  rothen  Bromdämpfen  erfüllt  bleibt;  auch  wendet  man  zweck- 
mässig einen  kleinen  Ueberschuss  von  Phosphor  an.  Das  Reactionsgemisch  zersetzt 
man,  nachdem  man  das  noch  vorhandene  Brom  abdestillirt  hat,  entweder  behufb 
Gewinnung  der  Säure  durch  Eintragen  in  Wasser  oder  behufs  Gewinnung  des  Aethyl- 
esters  durch  Eintragen  in  absoluten  Alkohol. 

Wie  Phosphor,  so  hat  sich  auch  Schwefel*  als  vortrefflicher  Ueberträger  fiir 
die  Chlorirung  und  Bromirung  von  Fettsäuren  erwiesen;  vermuthlich  beruht  seine 
Wirksamkeit  ebenfalls  auf  einer  Ueberfuhrung  der  Säurehydrate  in  Chloride  bezw. 
Bromide  durch  die  Halogenverbindungen  des  Schwefels. 

üeber  die  Art  und  Weise,  wie  der  Eintritt  der  Bromatome  bei  der 
Bromirung  unter  den  eben  beschriebenen  Bedingungen  der  Hell-Volhabd- 
ZELiNSKY'schen  Methode  erfolgt,  sind  systematische  Untersuchungen* 
bei  Mono-  und  Dicarbonsäuren  ausgeführt,  welche  zu  bemerkenswertheii 
Ergebnissen  geführt  haben.  Für  eine  Anzahl  der  niederen  Glieder  läset 
sich  leicht  der  Nachweis  fuhren  (vgl.  S.  718 — 719),  dass  das  eintretende 
Bromatom  ein  zur  Carboxylgruppe  in  «-Stellung  befindliches  WasserstoflF- 
atom  substituirt,  z.  B. : 

CH3 .  CHBr  ■  CO2H  ,    CHs .  CH, .  CHBr  •  CO,H  ,    (CH3),CBr  •  CO^H  . 

Es  zeigt  sich  ferner,  dass  alle  Mono-  und  Dicarbonsäuren,  sofern  die- 
selben «-ständige  Wasserstoffatome  besitzen,  der  Bromirung  leicht  zu- 
gänglich sind,  dass  aber  im  Gegensatz  dazu  solche  Säuren,  in  welchen 
keine  «-Wasserstoffatome  vorhanden  sind,  bei  dem  Versuch  der  Bromirung 
unter  denselben  Bedingungen  keine  Substitutionsprodukte  liefern',  so  die 

Säuren : 

(Ciy^C-CO^H 

I  {CH3),C.C0,H, 

(CH8).,C-C0,H 

Tetramethylbemsteiusäure  Trimethylessigsäure 

Man  schliesst  daraus,  dass  alle  nach  der  HELL-VoLHAiu)-ZELiNSKY*schen 
Methode  gewonnenen  bromirten  Säuren  die  Bromatome  in  der  «-Stellung 
enthalten,  und  man  kann  umgekehrt  bei  Carbonsäuren  von  zweifelhafter 
Structur  die  Feststellung  der  Bromirbarkeit  oder  Nichtbromirbarkeit 
nach  dieser  Methode  als  diagnostisches  Mittel  für  die  Prüfung  auf  Gegen- 
wart «-ständiger  Wasserstoffatome  benutzen. 

Wenn  sich  hiernach  nur  die  «-ständigen  Wasserstoffatome  der  Sub- 


»  AuGEE  u.  Bähal,  Bull.  [3]  2,  145  (1888).  —  Leperoq,  BulL  [3]  7,  859  (1892). 
—  Genvresse,  ebenda,  364. 

*  AuwBRS  u.  Bernhardi,  Ber.  24,  2209  (1891). 

^  Au  WEHS  u.  V.  Meyer,  Ber.  23,  305  (1890),  —  Refobmatsky,  ebenda,  1594. 


Hcdogenirting  von  Garbonsüuren.  711 

stitution  zugänglich  erweisen^,  so  muss  man  sich  ferner  die  Frage  vor- 
legen,  ob  sich  die  Substitution  auf  alle  e^-ständigen  WasserstofFatome 
erstreckt  oder  beschränkt  bleibt.  Es  hat  sich  ergeben,  dass  auch  bei 
Anwendung  eines  grossen  Ueberschusses  von  Brom  und  verhältnissmässig 
langer  Einwirkungsdauer  die  Bromirung  nur  in  ganz  untergeordnetem 
Mass  weiter  fortschreitet,  nachdem  neben  jeder  Carboxylgruppe  ein 
«^- Wasserstoffatom  ersetzt  ist.  Sofern  also  neben  jeder  Carboxylgruppe 
sich  a- Wasserstoffatome  befinden,  nehmen  Monocarbonsäuren  in  der 
Regel  ein,  Dicarbonsäuren  zwei  Bromatome  auf;  bei  einzelnen  Di- 
carbonsäuren,  die  nach  dieser  Regel  leicht  Dibromderivate  liefern  sollten, 
—  z.  B.  Bemsteinsäure  und  ihren  Homologen  —  ist  indessen  beobachtet, 
dass  die  Einführung  des  zweiten  Bromatoms  nur  schwierig  gelingt,  bezw. 
dass  unter  den  Bedingungen  der  Reaction  schon  Bromwasserstoffabspaltung 
unter  Bildung  einer  monobromirten  ungesättigten  Säure  erfolgt. 

Bei  energischeren  Halogenirungsbedingungen  kann  sich  die  Sub- 
stitution auch  auf  mehrere  in  der  Nachbarschaft  einer  Carboxylgruppe 
befindliche  Wasserstoffatome  erstrecken;  so  giebt  Essigsäure  durch 
Chloriren  im  Sonnenlicht  Di-  und  Trichloressigsäure,  durch  Bromiren  in 
Gegenwart  von  Schwefel  bei  etwa  150*^  Dibromessigsäure,  Propionsäure 
bei  längerem  Erhitzen  mit  überschüssigem  Brom  auf  220*^  cc^-Dibrom- 
Propionsäure  CHg-CBrgCOgH. 

Eigenthümlich  verhalten  sich  die  höheren  Fettsäuren  (z.  B.  Stearinsäure)  beim 
Erhitzen  mit  der  äquimolecularen  Menge  Brom  in  geschlossenen  Rühren  auf  180—140^; 
während  alles  Brom  verbraucht  wird,  bleibt  etwa  die  Hälfte  der  Fettsäure  unverändert, 
der  Rest  wii*d  in  das  Monobromderivat  einer  um  zwei  WasserstoflFatome  ärmeren 
Säure  (z.  B.  Oelsäure)  verwandelt*. 

Jodatome  fuhrt  man  in  der  Regel  nicht  direct  durch  Substitution  ein; 
die  Chlorderivate  —  z.  B.  Chloressigester  —  können  durch  Digestion  mit 
Jodkalium  leicht  in  die  entsprechenden  Jodderivate  übergeführt  werden. 

Während  nach  Obigem  die  Substitution  der  gesättigten  Carbon- 
säuren zu  «-Halogenderivaten  führt,  bietet  die  Addition  der  Halogen- 
wasserstoflFsäuren  an  ungesättigte  Säuren  die  Möglichkeit,  Halogenatome 
an  die  der  Carboxylgruppe  femer  stehenden  Kohlenstoffatome  anzulagern 
(vgl.  S.  495—496,  498,  499,  504,  505,  508).  Es  werden  nämlich  in  der 
Regel  die  Halogenwasseratoffsäuren  von  J*»'^ -Säuren  unter  Bildung  von 
/^-Halogenderivaten : 

CHj.CHCOjH +  HC1  =  CHjClCHjCOjH 
CHg .  CH  :  CH .  COjH  +  H J  =  CH3  •  CHJ  •  CH,  •  CO,H , 

von  J^'/-  und  J^'^-Säuren  unter  Bildung  von  ^'-Halogenderivaten  fixirt: 

CHjCHiCHCH.COsH +  HBr  =  CHjCHBrCHjCHaCOgH 
CH, :  CH .  CH, .  CH, .  COjH  +  HBr  =  CH3  •  CHBr  •  CH,  •  CH,  •  CO,H  . 

(Üebcr  die  Bedeutung  des  Zeichen  J  vgl.  S.  491). 

*  Ueber  c|ie   Analogie   dieser    Erscheinung    mit  dem    Verhalten   der    Halogen- 
alkyle  bei  der  Halogenirung  vgl.  V.  Meyeb,  Ber.  25,  3310  (1892). 
'  Krafft  u.  Beddies,  Ber.  25,  481  (1892). 


I 


712  Verhalten  der  Halogenderivate 


Wichtig  ist  auch  die  Bildung  der  /9-Jodpropionsäure  aus  Glycerin- 
säure  durch  Einwirkung  von  Jodphosphor: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CO,H        >        CH,  J  •  CH,  •  CO,H 

Glycerinsäure  f?-Jodpropion8fture; 

sie  entspricht  der  Bildung  von  Jodalkylen  aus  mehrwerthigen  Alkoholen 
(vgl.  S.   182). 

Durch  Addition  der  Halogene  an  ungesättigte  Säuren  gewinnt  man 
Polyhalogenderivate  der  Carbonsäuren,  z.  B.: 

CHsCHiCHCOjH -hBr,  =  CHgCHBr.CHBr.COsH 
CO,H.CBr:CH.CO,H-hBr,  =  CHsCBrj.CHBp.COaH 
COjHCH.CHCHiCHCOjH +  2Br;  =^  COsHCHBrCHBr.CHBr.CHBrCOjH. 

Das  Verhalten  der  halogenirten  Carbonsäuren  wird  zunächst  durch 
die  Gegenwart  der  Carboxylgruppe  bestimmt.  Sie  zeigen  die  Iteactionen 
der  Carbonsäuren  —  Salzbildung,  Bildung  von  Estern,  Chloriden  etc.  — . 
aber  die  saure  Natur  der  Carboxylgruppe  wird,  wie  vorauszusehen,  durch 
das  Vorhandensein  anderer  elektronegativer  Bestandtheile  in  demselben 
Molecül  noch  erheblich  gesteigert.  Dies  ergiebt  sich  deutHch  bei  einem 
Vergleich  der  durch  Bestimmung  des  elektrischen  Leitvermögens  er- 
mittelten Dissüciationsconstante  K  (s.  S.  640 — 641)  für  die  Essigsäure 
und  deren  Halogenderivate': 

Essigsäure  :  K  =  0  •  00 1 80. 

Monochloressigsäure  :  K  =  0- 155. 
Monobromessigsäure  :  K  =  0- 138. 
Monojodessigsäure     :K  =  0-075. 
Dichloressigsäure       :  K  =  5  •  1 4. 
Trichloressigsäure     :K  =  121. 

Diejenigen  halogenirten  Säuren,  deren  Halogenatome  ähnlich  wie  in 
den  Halogenalkylen  an  gesättigte  Kohlenstoflfatome  gebunden  sind,  zeigen 
in  Bezug  auf  die  Austauschbarkeit  des  Halogens  grosse  Reactionsfähigkeit 
(vgl.  S.  183,  185);  sie  sind,  wie  die  Halogenalkyle ,  zu  zahlreichen 
doppelten  Umsetzungen  befähigt,  z.  B.:  / 

CHjCl.COjC.Hft  +  NaOCjHj  =  CH,(0C,H5).C0,.C,H5  +  NaCl 
CHjClCOjH  -f  NHg  =  CH,(NHj).CO,H  +  HCl 
CHaClCOjK  +  KCN  =  CH,(;CN)CO,K  +  KCl 

und  stellen  daher  —  namentlich  in  Form  ihrer  Ester  angewendet  — 
äusserst  wichtige  Hülfsmittel  der  organischen  Synthese  dar.  Es  sei 
daran  erinnert,  dass  bei  einer  grossen  Zahl  der  in  den  letzten  Kapiteln  be- 
sprochenen synthetischen  Bildungsweisen  fiir  mehrbasische  Säuren  von 
diesem  Umstand  Gebrauch  gemacht  wurde. 

^  Manche  Reactionen  werden  wesentlich  durch  die  gegenseitige  Stellung 
der  Halogenatome   und    der   Carboxylgruppen   beeinflusst;    es   tritt  dies 


*  Ostwald,   Ztsthr.  f.  pliysik.  Cheni.  8,    176  (Ks89).    —    Walden,   ebenda,  10. 
647  (1892). 


von  Carhonsäuren,  713 


jiamentlich  in  dem  Verhalten  der  halogenirten  Säuren  beim  Kochen  mit 
Wasser  oder  bei  der  Einwirkung  von  wässrigen  oder  alkoholischen  Al- 
kalien —  d.  h.  also  Mitteln,  welche  einen  Austausch  der  Halogenatome 
gegen  Hydroxyl  bezw.  Alkoxyl  bewirken  können,  —  hervor.  Dieser 
Austausch  verläuft  bei  den  a-halogenirten  Säuren  meist  sehr  glatt ^; 
schon  durqh  anhaltendes  Kochen  mit  Wasser  werden  z.  ß.  Chloressig- 
säui'e,  «-Bromisobuttersäure  etc.  in  die  entsprechenden  Oxysäuren  über- 
geführt. Dagegen  wird  diese  Reaction  bei  den  /?-halogenirten  Säuren^ 
von  anderen  Processen  begleitet  oder  auch  ganz  in  den  Hintergrund 
gestellt;  beim  Kochen  mit  Wasser  oder  mit  alkoholischen  Alkalien  gehen 
diese  Säuren  nämlich  zum  grossen  Theil  unter  Halogen  wasserstoflFabspaltung 
in  ungesättigte  Säuren  über  (vgl.  S.  488 — 489);  beim  Erwärmen  mit 
kohlensauren  Alkalien  in  wässriger  Lösung  —  zuweilen  auch  schon  in 
der  Kälte  beim  Neutralisiren  mit  kohlensaurem  Natrium  —  erleiden  sie 
in  beträchtlichem  Umfang  eine  weitergehende  Zersetzung  unter  Abspaltung 
von  Kohlensäure  und  Alkalibromid,  die  bei  den  Monohalogenderivaten 
der  Monocarbonsäuren  einen  ungesättigten  KohlenwasserstofiF: 

CH3.CHBr.CH(CH,).C0,Na  =  CHjCH:  CH.CH,  H-  NaBr  +  CO,, 

bei  den    a-/9-Dihalogenderivaten    der   Monocarbonsäuren    das    Halogen- 
derivat eines  ungesättigten  Kohlenwasserstoffs: 

CHs-CHBrCHBr.COjNa  =  CH,.CH:  CHBr  +  NaBr  +  CO,, 

bei  den  Halogenderivaten  von  Dicarbonsäuren  eine  ungesättigte  Mono- 
carbonsäure : 

CH,  •  CBr .  CO,Na        CH,  •  C .  CO,Na 


p  +  NaBr  +  CO, 

CH, 


CH,.CO,Na 

entstehen  lässt.  Die  ^'-monobromirten  Säuren'  endlich  zerfallen 
beim  Neutralisiren  mit  kohlensauren  Alkalien  oder  beim  Kochen  mit 
Wasser  glatt  in  Lactone  (innere  Anhydride  von  Oxysäuren,  vgl.  S.  760) 
und  Bromalkali  bezw.  Bromwasserstoff,  z.  B.: 

CHsCHBrCHj.CHj.CO.OH  =  HBr  -f  CH,.CH.CH,.CH,.CO 


\o/ 

Die  /J-^'-dibromirten  Säuren  liefern  beim  Kochen  mit  Wasser  oder 
beim  Stehenlassen  in  schwach  alkalischer  Lösung  als  erstes  Zersetzungs- 
produkt ein  gebromtes  Lacton: 

CjHj .  CHBr  •  CHBr  •  CH,  C.Hj  •  CH  •  CHBr  •  CH, 

I  I       +HBr, 

CO  ■  OH  0 CO 


•  Erlenmeykr,  Ber.  14,  1318  (1881).  —  Hell  u.  Waldbaur,  Ber.  10,  449  (1877). 
-  BrecHOFF,  Ber.  24,  1041  (1891).  —  Thomson,  Ann.  200,  75  (1880). 

•  Vgl.  Erlenmeyer,  Ber.  14,  1318  (1881).  —  Fittio,  Ann.  200,  88  (1880);  208, 
114  (1881);  269,  34  (1890).  Ber.  26,  41  (1893).  —  Wislicenus,  Abhandlungen  d. 
kgl.  sächa.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  24,  57  (1887). 

•  Pimo,  Ann.  208,  116  (1881). 


714  CMorderivate 


welches  bei  längerer  Einwirkung  theUweise  in  das  entsprechende  Oxy- 
lacton,  theilweise  in  eine  ^'-Ketonsäure  (Kap.  39)  übergeht^. 

I.  Halogenderiyate  der  Fettsftaren. 

Chlorameisensfture  CICO-OH,  die  nur  in  Gestalt  ihrer  Ester 
existenzfähig  ist,  kann  auch  als  Halbchlorid  des  Kohlensäurehydrats: 

.OH  yQ\ 

C0<:  C0< 

aufgefasst  werden  und  wird  später  unter  den  Kohlensäurederivaten  be- 
sprochen werden  (vgl.  Chlorkohlensäureester  Kap.  41). 

Halogenderivate  der  Essigsäure. 

Monochloressigsäure  ^  CHjCl-CO^H  bildet  farblose  Krystalle,  die 
an  feuchter  Luft  zerfliessen,  ist  in  der  Kälte  fast  geruchlos ,  schmilzt 
bei  63®  und  siedet  bei  185 — 187®.  Die  geschmolzene,  dann  etwas  über 
den  Schmelzpunkt  erwärmte  und  wieder  erstarrte  Säure  scheint  eine 
labile  Modificätion  darzustellen;  sie  schmilzt  schon  bei  52 — 52*5®;  be- 
rührt man  sie  aber  mit  einem  Krystall  gewöhnlicher  Chloressigsäure, 
so  wandelt  sie  sich  wieder  in  die  stabile  Modificätion  um;  die  Krystalle 
werden  dadurch  opak  und  schmelzen  nun  wieder  bei  63®.  Chloressig- 
säure zieht  auf  der  Haut  Blasen;  ihr  Dampf  reizt  stark  zu  Thränen. 

Darstellung  von  Monochloressigsäure':  Chlor  wird  in  die  siedende 
Mischung  von  1  Theil  Schwefel  und  10  Theilen  Eisessig  eingeleitet;  nach  Beendigung 
der  Einwirkung  wird  die  S&ure  aus  dem  Reactionsprodnkt,  das  bei  gut  gelungener 
Operation  daneben  nur  geringe  Mengen  Acelylchlorid  und  Essigsäureanhjdrid  ent- 
hält, durch  Destillation  rein  abgeschieden.  —  Darstellung  von  Chloressigsftare- 
äthylester*  CHjCl •  COg •  C,Hb  (farbloses  Oel,  für  Synthesen  vielfach  verwendet. 
Siedepunkt  145  ^  spec  Gew.  bei  20«  1.158):  Man  erwärmt  200  g  Chlore8sig8äQr& 
120  g  Alkohol  und  25  g  concentrirte  Schwefelsäure  6  St.  auf  dem  Wasserbade,  versetrt 
nach  dem  Erkalten  mit  dem  gleichen  Volum  Wasser  und  rectificirt  den  dadurch  als 
Oelschicht  abgeschiedenen  Ester. 


»  FiTTiQ,  Ann.  268,  55  (1891). 

*  Vgl.  K.  Hoppmann,  Ann.  102,  1  (1857).  —  Gal,  Ann.  122,  374  (18621.  - 
Müller,  Ann.  138,  156  (1865).  —  Büchanan,  Ber.  4,  340,  868  (1871).  —  Sghbobek, 
J.  pr.  [2]  18,  436  (1876).  —  Thomson,  Ann.  200,  75  (1880).  —  Fthisr,  Ann.  206,  81 
(1880).  —  Beckubts  u.  Otto,  Ber.  14,  576  (1881).  —  Tollehs,  Ber.  17,  664  (I8»4i. 
—  Michael,  J.  pr.  [2]  35,  96  (1887).  —  Kbaut  u.  Goldbebo,  Ber.  28,  2577  (1890^ 

»  Vgl.  Hentschel,  Ber.  17,  1286  (1884).  —  Auobr  u.  B^hal,  Bull.  [8]  2,  145  (1889i. 

*  WiLLM,  Ann.  102,  109  ri857).  —  Conrad,  Ann.  188,  218  (1877).  —  Pribrab 
u.  Handl,  Monatsh.  2,  696  (1881).  —  Brühl,  Ann.  203,  21  (1880).  —  Schipp,  Ann. 
220,  108  (1882).  —  Fittig  u.  Erlenbach.  Ber.  21,  2138,  2647  (1888).  Ann.  269. 
14  (1891). 


der  Essigsäure.  715 

Diehloressigsftare  ^  CHCla-COjH  ist  im  Gegensatz  zur  einfach 
chlorirten  Säure  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig;  sie  siedet  bei 
189 — 191**  und  besitzt  bei  15®  das  spec.  Gew.  1«522.  Zur  Darstellung 
wird  am  besten  ihre  sehr  merkwürdige  Bildung*  bei  der  Einwirkung 
von  Cyankalium  (bezw.  Ferrocyankalium)  auf  Chloral  CClg-CHO  benutzt; 
man  kann  sich  vorstellen,  dass  in  dieser  eigenthümlichen  Reaction,  die 
unter  stromweiser  Entwickelung  von  Blausäure  verläuft,  die  eine  Hälfte 
des  Chloralmolecüls  —  die  Aldehydgruppe  —  durch  den  Sauerstoff  eines 
Wassermolecüls  zur  Carboxylgruppe  oxydirt  wird,  während  gleichzeitig 
der  Wasserstoff  aus  der  anderen  Hälfte  ein  Chloratom  eliminirt: 

CCLCOH 
KCN  +     „'  =   HCN  +  KCl  +  CHC1,.C0,H  . 

Trichloressigsäare  ^  CCljCOjH  bildet  rhomboedrische ,  zerfliess- 
Uche  Krystalle,  schmilzt  bei  52°  und  siedet  bei  195®.  Sie  kann  sehr 
bequem  durch  Oxydation  von  Chloral  mit  Salpetersäure  gewonnen  wer- 
den. Sie  zerfallt  sehr  leicht  —  schon  beim  Kochen  der  wässrigen  Lösung 
—  in  Chloroform  und  Kohlensäure  (vgl.  S.  68).  Sie  wirkt  sehr  stark 
ätzend  und  findet  als  Aetzmittel  medicinische  Verwendung.  In  Bezug 
auf  die  hypnotische  Wirkung  des  Chlorals  ist  es  von  pharmakologischem 
Interesse,  dass  die  dem  Chloral  so  nahestehende  Trichloressigsäure  keine 
Spur  von  schlafmachender  Wirkung  entfaltet. 

Die  Entdeckung  der  Trichloressigsäure  durch  Dumas  war  für  die 
Entwickelung  der  chemischen  Theorien  von  grosser  Bedeutung*.  Die 
Erkenntniss,  dass  trotz  der  Substitution  von  WasserstoflF  durch  Chlor 
der  Charakter  der  Stammsubstanz  im  Wesentlichen  nicht  verändert  war, 


'  GsuTHER  u.    FiscHEB,   Jb.  1864,    316.   —    Maumen£,    Ann.  133»    154    (1865). 

—  MOlleb,  ebenda,  159.  —  Claus  u.  Weiss,  Ber.  11,  496,  1043  (1878);  14,  1066 
(1881).  —  Beckürts  u.  Otto,  Ber.  14,  578,  585,  1618  (1881).  —  Bogomolez,  ebenda, 
2066.  —  Brühl,  Ann.  203,  22  (1880).  —  Friedrich,  Ann.  206,  254  (1881).  —  Schipf, 
Ann.  220,  108  (1882). 

«  Wallach,  Ann.  173,  288  (1874).     Ber.  9,  1212  (1876);   10,  1525,  2120  (1877). 

—  PiKNEB  u.  Fuchs,  Ber.  10,  1066  (1877).  —  V.  Meyer,  ebenda,  1740.  —  Claus, 
Ber.  U,  498  (1878). 

»  Dumas,  Ann.  32,  101  (1839).  —  Kolbe,  Ann.  54,  183  (1845).  —  Judson,  Ber. 
8,  782  (1870).  —  Kathke,  Ann.  161,  166  (1872).  —  Clermont,  Compt.  rend.  78,  112, 
501  (1871);  74,  942,  1491  (1872);  76,  774  (1873).  Ber.  9,  191  (1876).  —  Claus, 
Ber.  9,  225  (1876).  Ann.  191,  58  (1878).  —  Klien,  Jb.  1876,  521.  —  Henry, 
Ber.  12,  1844  (1879).  —  BhUhl,  Ann.  203,  22  (1880).  —  Hübner  u.  Friederici,  Ann. 
209,  363  (1881).  —  Schiff,  Ann.  220,  108  (1882).  —  Beckürts  u.  Otto,  Ber.  14, 
588  (1881).  —  BouROOiN,  Compt.  rend.  94,  448  (1882).  —  Silbebstein,  Ber.  17,  2663 
(1884).  —  Seubeet,  Ber.  18,  3339  (1885).  —  Hermann  u.  v.  Gendr^,  Jb.  1886,  1866. 

—  Küster,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  8,  587  (1891). 

•  Näheres  vgl.  in  Ladenburo's  Entwickelungsgescbichte  der  Chemie  (Braun- 
echweig,  1887),  S.  178  AFI  —  E.  v.  Meyer,  Geschichte  der  Chemie  (Leipzig,  1889), 
S.  226  ff. 


716  Brom-  und  Jodderivate  der  Essigsäure. 


führte  Dumas  zum  Kampf  gegen  die  damals  fast  allgemein  angenommenen, 
dualistischen  x^nschauungen  von  Bebzeliüs  und  zur  Aufstellung  der 
älteren  Typentheorie.  Die  neuen  Ansichten,  die  Dumas  im  Anschlus> 
an  seine  Entdeckung  entwickelte,  wirkten  auf  seine  Zeitgenossen  so  be- 
fremdend, dass  sie  von  den  hervorragendsten  deutschen  Chemikern  jener 
Zeit  zunächst  kaum  einer  ernsten  Discussion  gewürdigt,  sondern  in  einer 
ironisch  gehaltenen,  mit  der  Unterschrift  „S.  C.  H.  Windler**  gezeichneten 
Mittheilung  ^  verspottet  wurden. 

MonobromessigrsMare'  CHjBr-COjH  schmilzt  bei  50— 51^  siedet  bei  208®;  ikr 
Aethylester  siedet  bei  159^  —  DibromeHsigrsäare  '  CHBr,-CO,H  schmilzt  bei  45— 50  , 
siedet  unter  geringer  Zersetzung  bei  232—234°.  —  Tribromesslj^Sare*  CBr,-COiH 
bildet  tafelförmige,  glänzende,  luftbeständige  Krystalle,  schmilzt  bei  129 — 130®  un«i 
siedet  unter  Abspaltung  von  Brom  und  Brom  Wasserstoff  bei  245®. 

MonoJodesNigsSure ^  QW^^-COfl  wird  auf  beciueme Weise  gewonnen,  indem  mau 
Chlorcssigsäure  mit  Jodkalium  in  wässriger  Lösung  längere  Zeit  auf  60°  erhitzt®;  uach 
dem  Extrahiren  mit  Aether  erhält  man  braune  Jodessigsäure,  die  auf  Thon  abgepresst 
wird;  sie  krystallisirt  aus  Wasser  in  farblosen^  luftbeständigen  Tafeln,  bleibt  bei 
wochenlangem  Aufbewahren  am  Lichte  weiss,  schmilzt  bei  82®  und  zersetzt  sich  bfi 
stärkerem  Erhitzen.  Der  Aethylester  siedet  bei  178 — 180®  und  besitzt  einen  fiu-öPi^t 
scharfen,  die  Augen  angreifenden  Geruch.  Dijodessifrsaare ^  CHJj'CO,H  bildet 
gelbe,  in  Wasser  kaum  lösliche  Krystalle. 

Monohalogenderivate  der  Essigsäurehomologen. 

Die  Gewinnung  der  c^-Bromderivate  von  Essigsäurehomologen 

durch  directe  Bromirung  der  Säurebromide  ist  S.  709 — 710  besprochen. 
Die  folgende  Tabelle  Nr.  39  giebt  eine  Zusammenstellung  der  so  erhaltenen 
Säuren  bezw.  ihrer  Aethylester.     Zur  Ergänzung  sei  bemerkt,  dass  ilie 


*  WöHLER,  Ltebig's  Anu.  33,  308  (1840).  (Vgl.  A.  W.  Hofmann's  NekroK-- 
auf  Wohles,  Ber.  15,  3258  (1882). 

*  Perkin  u.  Di'PPA,    Ann.  108,   106  (1858).  —  Naumann,  Ann.  129,  257  (1^H.^!. 

—  Gal,  Ann.  120,  54  (1864).  —  Kekvl^,  Ann.  130,  19  (1864).  —  OlDckkeb,  Ann. 
Suppl.  7,  107  (1869).  —  Demole,  Ber.  9,  561  (1876);  11,  316  (1878).  —  Kachiee. 
Monatsh.  2,  558  (1881).  —  Michael,  Ber.  16,  2602  (1883).  —  Auwers  u.  Bebshardk 
Ber.  24,  2218  (1891). 

»  Perkin  u.  Duppa,  Ann.  108,  111  (1858);  110,  115(1859).  Ztschr.  Chem.  1868, 
424.  —  Gal,  Ann.  129,  55  (1864).  •—  Debus,  Ztschr.  Chem.  1866,  188.  —  Schaffer. 
Ber.  4,  368  (1871).    —    Perkin,  Jb.  1877,  695.   —    Benedikt,  Ann.  189,  169  (ISTTl 

—  Demole,  Ber.  11,  318  (1878).  —  Beckurts  u.  Otto,  Ber.  14,  583  (1881).  —  Auweb- 
u.  Bernhardi,  Ber.  24,  2219  (1891)  —  Genvresse.  Bull.  [3]  7,  365  (1892). 

.  *  Gal,  Ann.  129,  56  (1864).  —  Schäpper,  Ber!  4,  370  (1871).  —  Petribff,  Ber. 
8,  731  (1875).  —  Ami'ERfl  u.  Bernhardi,  Ber.  24,  2228  (1891).  —  Küster,  Ztachr.  f. 
physik.  Chem.  8,  587  (1891). 

*  Perkin  u.  Duppa,  Ann.  112,  125  (1859).  —  Kekul^,  Ann.  131,  228  (1864».- 
BuTLEROW,  Ber.  5,  479  (1872).  —  Brix,  Ann.  225,  150  (1884).  —  Heket,  Compt. 
rend.  100,  117  (1885).  —  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  647  (1892). 

*  V.  Meyer,  Unveröffentl.  Beobachtg. 

^  Peukix  u.  Duppa,  Ann.  117,  351  (1860j.  —  Curtiüs,  Ber.  18,  1286  (1885t.  J- 
pr.  [2]  38,  433  (1888). 


TahelL  Zusammenstellung  von  fc-Bramderivaten  def  Essigsäurehomologen.      717 


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718  a-BromderivcUe  der  Essigscmrehomologen, 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  39  auf  S.  717:    ^  Friedel  u.  Machuga,  Ann.  120. 
283,  286  (1861).  —  •  KEMfc|,  Ann.  130,  16  (1864).  —  *  Henry,  Ann.  156,  176  (18701 

—  *  Schreiner,  Ann.  197,  13  (1879).  —  *  Scherks,  Monatsh.  2,  541  (1881).  —  •  Thomson. 
Ann.  200,  75  (1880).  —  '  Bischofp,  Ann.  206,  819  (1880).  —  *  Gottotei»,  Ann. 
216,  31  Anm.  (1882).  —  «  Volhard  u.  Weinio,  Ann.  242,  163  (1887).  —  "  BBCKrRT> 
u.  Otto,  Ber.  18,  222  (1885).  —  "  Zeunsky,  Ber.  20,  2026  (1887).  —  "  Hell  u.  Koth- 
BERQ,  Ber.  22,  60  (1889).  —  "  Aüwers  u.  Bernhardi,  Ber.  24t,  2219  (1891).  — 
»*  Borodin,  Ann.  119,  122  (1860).  —  "  Tupolew,  Ann.  171,  244,  248  (1873j.  - 
"  Naumann,  Ann.  119,  115  (1861).  —  "  Wislicenus  u.  ürech,  Ann.  165,  93  (1872),  — 
"  Schneider,  Ann.  120,  279  Anm.  (1861).  —  "  Cahours,  Ann.  SuppL  2,  77,  83  (1862). 

—  «<>  Markownikow,  Ann.  153,  229,  243  (1869);  182,  329,  336  (1876).  —  "  Enoel- 
HORN,  Ann.  200,  68  (1880).  —  "  Hell  u.  Wittekind,  Ber.  7,  320  (1874).  —  "»Hell 
u.  Waldbaur,  Ber.  10,  448  (1877).  —  »*  Bischoff,  Ber.  24,  1041  (1891).  —  »»  Jusuh, 
Ber.  17,  2504  (1884).  —  ••  Ley  u.  Popow,  Ann.  174,  63  (1874).  —  "  Pfttiq  u.  Clark, 
Ann.  139,  199  (1866).  —  "  Volhard  u.  Schleicher,  Ann.  242,  163  (1887).  —  ••  Hell 
u.  W.  Mayer,  Ber.  22,  48  (1889).  —  ^  Böckinq,  Ann.  204,  23  (1880).  —  «  Hell 
u.  LüMPP,  Ber.  17,  2217  (1884).  —  "  Hell  u.  Schule,  Ber.  18,  625  (1885).  —  "  Hell 
u.  TwERDOMEDOw,  Ber.  22,  1745  (1889).  —  **  Hell  u.  Jordanoff,  Ber.  24,  938,  987 
(1891).  —  "  Oüdemans,  Jb.  1863,  334.  —  »•  Hell  u.  Sadomsky,  Bsr.  24,  2390  (1891). 

—  •'  Kachlsr,  Monatsh.  2,  562  (1881).  —  '®  Zeunsky  u.  Besredea,  Ber.  24,  466 
(1891).  ~    •»  Schleicher,  Ann.  267,  115  (1891).  —  *«  Marie,  Bull.  [3]  7,  111  (1892). 

—  *»  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  650,  655  (1892). 

niederen  und  mittleren  gebromten  Säuren  nicht  nur  in  Form  ihrer  Ester, 

sondern   auch   in    freiem   Zustand   unzersetzt   destillirt   werden  können 

(a-Brompropionsäure  z.  B.  siedet  bei  205^,    a-Bromisovaleriansäure  bei 

230^).     Die   Löslichkeit   in  Wasser   nimmt   mit   dem  Aufsteigen  in  der 

Eeihe  ab;    a-Brombuttersäure  erfordert  schon  etwa  15  Th.  Wasser  zur 

Lösung;    a-Bromstearinsäure  ist  in  Wasser  unlöslich,    wirkt  auch  nicht 

mehr,  wie  die  Bromderivate  der  niederen  Säuren,  reizend  auf  die  Haut. 

*  Wie  bereits  mehrfach  erwähnt,  werden  die  leicht  erhältlichen  Ester  dieser  ge- 
bromten Säuren  sehr  häufig  für  Synthesen  der  verschiedensten  Art  benutzt,  die 
dann  oft  als  Grundlage  für  die  Beurtheilung  der  Constitution  der  Reactionsprodokte 
dienen.  Man  nimmt  bei  solchen  Schlüssen  an,  dass  alle  diese  durch  directe  BromiroDg 
gewonnenen  Säuren  Brom  in  der  a-Steliuug  zu  Carboxyl  enthalten.  Für  die  Be- 
rechtigung dieser  Annahme  konnten  schon  S.  710  gewichtige  Gründe  angefahrt 
werden,  denen  hier  noch  zwei  weitere  Beweise  angereiht  werden  mögen: 

1.  Soweit  bisher  untersucht,  sind  die  Oxysäuren,  welche  aus  den  durch  directe 
Bromirung  erhaltrenen  Säuren  nach  Austausch  des  Bromatoms  gegen  Hydiozyl  ent- 
stehen, identisch  mit  denjenigen  Ozysäuren,  welche  aus  Aldehyden  bezw.  Ketonen 
durch  Anlagerung  von  Blausäure  und  Verseifung  der  Cyanhydrine  gewonnen  werden 
(vgl.  S.  740 — 741)  und  nach  dieser  Bildungsweise  Hydroxyi  und  Carboxyl  zweifellos 
an  dasselbe  Kohlenstofiatom  gebunden  enthalten  S  z.  B.: 

CH8'CH2'C02H >-     CHs'CHBr'COjH     ►  \  ^>,Tr    r«w/niT\  nn  u 

CH,CHO  >-     CH.CH(OH).CN     »  /  CH,CH(OH).CO.H 

(CH8)2CH  •  COjH     >-    (CH3)2CBr-COjH      >-  1   /pw  ^  nrnun  rn  H 

(Ch'i^CO  ^    (ChI)AOH).CN      ^  J  (CH,),qOH).CO,H  . 


*  Vgl.  unter  den  oben  stehenden  Citaten  zur  Tabelle  Nr.  39:  Nr.  1,  6,  10,  20, 
23,  25j  30. 


ß' Jodpropionsäure.  719 


Es  ist  dies  festgestellt  für  die  Bromderivate  der  Propionsäure,  beider  Buttersäuren, 
der  normalen. Yaleriansäure  und  der  Methyläthylessigsäure. 

2.  Soweit  bisher  untersucht,  erweisen  sich  femer  die  Dicarbonsäuren,  welche 
mau  aus  den  in  Frage  stehenden  bromirten  Säuren  erhält,  wenn  man  Brom  gegen 
Cyan  austauscht  und  darauf  verseift,  als  Homologe  der  Malonsäure  (vgl.  S.  651,  655 j, 
da  sie  beim  Erhitzen  sich  leicht  in  Kohlensäure  und  Fettsäuren  spalten*,  z.  B: 

CH,.(CH,)^CH3.C08H       -  >    CH8(CHa)4.CHBr.GO,H    >^ 

XN  ♦    /CO,H 

CH,(CH,)4  •  CH<  >-  CHs  ■  (CH,),  •  CH< >  CHg  •  (CH,)4  •  CH,  •  CO,H . 

\CO,H  \CO,H 

Dies  ist  z.  B.  coatrollirt  f[ir  die  Bromderivate  der  normalen  Buttersäure,  Oenanth- 
säure  and  Palmitinsäure. 

Unter  den  MonohalogenderiyateH  der  Essigsäurehomologeu, 
deren  Halogenatom  ron  der  Carboxylgruppe  entfernter  steht,  ist 

für  synthetische  Zwecke  besonders  wichtig  die  vielfach  verwendete  /9-Jod- 
propionsäure^  (Bildung  vgl.  S.  712),  welche  glasglänzende  Krystall- 
blätter  darstellt,  bei  82^  schmilzt,  in  heissem  Wasser  sehr  leicht,  in 
kaltem  Wasser  wenig  löslich  ist.  Ihre  Constitution  ergiebt  sich  aus 
ihrer  üeberführbarkeit  in  Bemsteinsäure : 

CH,J.CH,.CO,H    >     CN.CHjCHj.COjH >^     CO,H.CH,.CH,.CO,H, 

ferner   aus   dem  Umstand,    dass  die  durch  Kochen  mit  Wasser  aus  ihr 

entstehende   Oxypröpionsäure    identisch    ist   mit    der   aus    dem    Glykol- 

chlorhydrin  (vgl.  S.  616)  erhältlichen  Oxypröpionsäure  (Hydrakrylsäure, 

vgl.  S.  758): 

CHaJCHgCOsH-^^^ 

^"  CHa(OH) .  CHj .  COaH  . 
CH,(0H).CH,C1 >     CH,(OH).CH,.CN     ^ 

Darstellung  von  j?- Jodpropionsäure^:  -Man  lädst  zu  einer  Mischung  von 
50  g  Glycerin  und  50  g  Wasser,  die  sich  in  einem  schmalen  hohen  Gefö^s  befindet, 
durch  eine  zur  feinen  Spitze  ausgezogene  Trichterröhre  50  g  rauchende  Salpetersäure 
flicasen,  sodass  sich  letztere  als  schwerere  Flüssigkeitsschicht  unten  ansammelt  und 
erst  allmählich  im  Laufe  von  Tagen  sich  mit  der  Glycerinlösuug  mischt.  Nun  lässt 
man  3 — 4  Tage  in  der  Kälte  stehen,  verdampft  darauf  auf  dem  Wasserbad  und  erhält 
80  einen  von  überschüssiger  Salpetersäure  freien  Syrup,  der  neben  anderen  Produkten 
reichlich  Glycerinsäure  (vgl.  S.  774 — 775)  enthält.  Diese  rohe  Glycerinsäure  wird  mit 
Walser  zu  einer  Lösung  vom  spec.  Gew.  1*26  aufgenommen;  von  dieser  Lösung  giebt 
man  Mengen  von  je  30  ccm  zu  einzelnen  Portionen  von  Jodphosphor,  die  zuvor  im 
Beactionskolben  aus  je  50 g  Jod  und  6*5 g  gelbem  Phosphor  bereitet  sind.  Die 
Reaction  tritt  entweder  von  selbst  ein  oder  wird  durch  gelindes  Erwärmen  eingeleitet, 
verläuft   dann    anter  stürmischer   Entwickelang    von   Jodwasserstoff,    den    man   ak 


»  Vgl.  unter  den  Citaten  zm-  Tabelle  39  auf  S.  718:  Nr.  15,  17,  20,  31,  32,  34. 

*  Beilstein,  Ann.  120,  226  (1861);  122,  366  (1B62).  —  Moldenhaueb,  Ann.  131. 
328  (1864).  —  KEKüLi,  Ann.  131,  223  (1864).  —  v.  Richter,  Ztschr.  Chem.  1868,  449. 

—  WiatiCBNüs,  Ann.  166,  1  (1872).  —  Thomson,   Ann.  200,  81  (1880).  -    Beckübts 
/   u.  Otto,  Ber.  18,  224  (1885). 

*  ERLEMiCBTsa,  Auu.  191,  284  Anm.  (1877).  —  Rosenthal,  Ann.  233,  16  (1886). 

—  V.  Meybb,  Ber.  19,  3294  (1886);  21,  24  (1888). 


720       /?-  und  y-Halogenderivate  der  Propionsäure^  Butiers,  u.    VcUeriansäine. 


Nebenprodukt  von  Wasser  absorbiren  lassen  kann,  und  wird  nach  Ablauf  der  ersten 
stürmischen  Phase  durch  Srhitzen  auf  dem  Wasserbade  bis  zum  Aufhören  der  Jocl- 
wasserstoftentwickelung  zu  Ende  gefuhrt  Beim  Erkalten  erhält  man  nun  einen 
Krystallanschuss  von  fast  reiner  ^-JodpropionBäure.  —  ^- Jodpro pion säure äthy I- 
ester**  CH, J •  CHj •  COj •  C^Hj  siedet  unter  geringer  Zersetzung  bei  198—202'»  und 
besitzt  bei  15**  das  spcc.  Gew,  1-679. 

f^-Chiorproploiisäure«-'*  CHjClCHj.COjH  (Schmelzpunkt  41-5 •,  Siedepunkt 
203-205<>)  und  /^-Brompropionsäure^'^  CHjBrCHjCOjH  (Schmelzpunkt  62-5*'i 
können  aus  fi^ Jodpropionsäure  durch  Einwirkung  von  Chlor  bezw.  Brom,  aus  Hydrakiyl- 
säure  CH2(OH)-CU2*CO|H  durch  Erhitzen  mit  den  Halogen wasserstoflsäuren,  aus 
Akrylsäure  durch  Addition  von  HalogenwasserstofF  (vgl.  S.  495 — 496),  endlich  au? 
den  entsprechenden  Aldehyden,  die  bei  der  Addition  der  Halogen wasserstoffsäuren  au 
Akrole'in  entstehen  (vgl.  S.  523j,  durch  Oxydation  erhalten  werden. 

^-Halogrenderivate  der  normalen  Bnttersänre^  /?- Jodbuttersäure  CHa- 
CHJ-CHg'COsH  entsteht  sowohl  aus  Crotonsäure  wie  ans  Isocrotonsäure  durch  An- 
lagerung von  Jodwasserstoff  (vgl.  S.  499),  krystallisirt  schön,  schmilzt  niedrig,  liefert 
beim  Kochen  mit  Wasser  p^-Oxybuttersäure  (vgl.  S.  759),  beim  Kochen  mit  über- 
schüssigen Alkalien  feste  Crotonsäure. 

^-Halogrenderivat«  der  normalen  Buttersinre*  T'-Chlorbuttersäure^  CH,C1- 
CHg-CH^.COjH  (Schmelzpunkt  +  10— 10-5^  »pec.  Gew.  l-250(10ö),  in  Wasser  wenig 
löslich)  ist  aus  Trimethylenchlorobromid  erhalten: 

CHsClCHjCHjBr    -      >-     CHsClCHjCHsCN >     CH,C1.CH,.CH,.C0,H 

und  zerföUt  bei  der  Destillation  in  Salzsäure  und  Butyrolacton.  —  y-Brombutter- 
säure«  CHaBr-CHgCH.-COaH  (Schmelzpunkt  32— 33<>)  und  /-Jodbuttersäure' 
CHaJ-CHa-CHj-CO^H  (Schmelzpunkt  40— 41<>)  sind  aus  Butyrolacton  (vgl.  S.  762.  T6^;i 
durch  Addition  von  Brom-  bezw.  Jodwasserstoff  gewonnen: 

CH,.COv  CHa-COOH 

>0  H-  HBr    = 
CH,.CH/  CHjCHjBr 

T^-BromTaleriansäure»  CHaCHBrCHaCHj.COjH  (flüssig)  entsteht  sow.hl 
aus  Allylessigsäure  wie  aus  Aethylidenpropionsäure  durch  Addition  von  Brumwasser- 
ötoff  (vgl.  S.  505)^  hieraus  ergiebt  sich  ihre  Constitution: 

CHoiCHCHaCHs.COaH^^^ 

^   +HBr  =    CHaCHBr.CHj.CHi-COsH. 
CH, .  CH  :  ClI .  CH,  •  COoH    ^^ 


*  WiSLicENus  u.  LiMPAcii,  Ann.  192,  129  (1878).  —  FrrriG  u.  Wolfp,  Ann.  216. 
128  (1883).   —    Lewkowitsch,  J.  pr.  [2]  20,  166  (1879).  —  Otto,  Ber.  21,  97  (18S5>. 

«  Hejjry,  J.  pr.  [2]  31,  126  (1885).  •  Lippmann,  Ann.  129,  81  (1864). 

*  LiNNEMANN,  Ann.  163,  95  (1872).  —  v.  Richter,  Ztschr.  Chem.  1868,  450.  - 
Beckubts  u.  Otto,  Ber.  18,  226,  846  Anm.  (1885).  —  Lederek,  J.  pr.  [2^^  42,  3?4 
(1890).  —  Emery,  Ber.  24,  282  (1891). 

^  Walden,  Ztjäcbr.  f.  physik.  Chem.  10,  650  (1892). 

®  Hemilian,  Ann.  174,  324  (1874).  —  Fittio  u,  Alberti,  Ber.  9,  1194  (18TH . 
—  Pinner,  Ber.  12,  2056  (1879)^  17,  2008  (1884).  —  Michael  u.  J^'keer,  J.  pr.  ^2"  40, 
95  (1889). 

^  Henry,  Compt.  reiid.  101,  1158  (1885). 

«  Henry,  Compt.  reud.  102,  368  (1886). 

®  FiTTiG  u.  Messeksciimidt,  Ann.  208,  94  (1881).  —  Fittio  u.  Frabnkeu  Abu. 
255,  30  (18.89). 


Monoludogenderivate  der  Undecnjhäure  y  Stearinsäure^  Behensäure,  721 


Eine  Reihe  von  homologen  ^-bromirten  Säuren*  ist  durch  Addition  von 
BromwasserstofF  an  die  S.  507 — 508' besprochenen  Homologen  der  Aethylidenpropion- 
säure  erhalten.  Die  Säuren  stellen  Oele  dar  und  gehen  durch  Kochen  mit  Wasser 
leicht  in  Lactone  (vgl.  S.  761)  über. 

Die  durch  Addition  von  Brom  Wasserstoff  und  Jodwasserstoff  an  Undecylensäure 
(S.  509 — 510)  entstehenden  Monohalogrenderivate  der  Undecylsäure  ^  scheinen  die 
Structur  CH8X'CHj-(CHj)8C02H  zu  besitzen,  da  die  aus  der  Bromundecylsäure  ge- 
winnbare Dicarbonsäure  ( Dekamethyl end icarbonsäure ,  vgl.  S.  639,  678)  ihrem  Schmelz- 
punkt nach  in  die  Reihe  der  normalen  Dicarbonsäureu  gehört. 

Monohalogrenderivat«  der'  Stearinsäure °  CigHsjXOg  sind  durch  Anlagerung 
der  Halogenwasserstofi&äuren  an  gewöhnliche  Oolsäure,  £laidinsäure  und  IsoÖlsäure 
(vgl.  S.  511 — 514)  erhalten;  aus  Oolsäure  und  Kla'idinsäure  entstehen  identische,  aus 
Isoölsäure  davon  verschiedene  Produkte. 

Monochlorbehensäure  *  CgaH^aCK),  (Schmelzpunkt  38  ^}  entsteht  aus  Erucasäure 
und  Brassidinsäure  durch  Salzsäureanlagerung. 


Dihalogeuderivate  der  Essigsäiirehomologen. 

Bihalog'enderivate   der  Propionsliare   können  in  drei  isomeren  Formen  vor- 
kommen. 

1.    «,-Derivate  CHs  •  CX,  •  CO^H  .  —  2.    a-/9-Derivate  CHsXCHX.COaH.  -- 

3.  (jf^-Derivate  CHX,  •  CH»  •  CO^H  . 

Das  Bromderivat  der  ersten  Form  ist  durch  directe  ILilogenirung  von  Propionsäure 
(vgl.  S.  711),  das  Chlorderivat  durch  Chlorirung  von  Propionitril  und  Verseifung  des 
eutstehenden  «2 "  l^ichlorpropionitrils  CHgCCla'CN  erhalten.  Die  entsprechenden 
«-^Derivate  gewinnt  man  aus  dem  Allylalkohol  (S.  480)  oder  aus  dem  Akrolei'n 
fS.  523)  durch  Addition  von  Ilalogen  und  Oxydation  der  Additionsprodukte: 


CH,. 

1 

OH 

CH,.OH 

CH 

1' 
.1 

> 

CHBr 

1 

CO.  OH 

CH, 

CHaBr 

1 
(JHBr 

CHO 

1 

CHO 

1 

CHjBr 

CH 

1  ■ 

>-• 

CHBr 

CH, 

CII.,Br 

«-^Dichlorpropionsäure  ist  auch  aus  Glycerinsäure  CH2(OIl)CH(OH)-C02H  durch 
Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  oder  durch  Erhitzen  mit  Salzsäure  erhalten. 
jVDichlorpropionsÄure  ist  aus  j^-Chlorakrylsäure  CHCliCH'CO^H  durch  Anlagerung 
von  Chlorwasserstoff  gewonnen. 


*  Frrriou.  Hjelt,  Ann.  208,  67  (1881).  —  Hjelt,  Ber.  15,  617  (1882).  —  Fittig 
n.  ScHKEEOANS,  Auü.  227,  92  (1885).  —  FittIq  u.  A.,  Ann.  255,  64,  79,  93,  105  (1889). 

»  Brunneb,  Ber.  19,  2226  (1886).  —  Noerdlinqer,  Ber.  23,  2357  (1890). 

*  M.  u.  A.  Saytzew,  Ber.  19c,  20,  541  (1886).     J.  pr.  [2|  37,    276   (1888).     — 
PioTBOWSKi,  Ber.  23,  2532  (1890). 

*  LiEBERMANN  u.  Elpeld,  Bcr.  23,  2533  .Anm.  (1890). 

V.  MxYXB  u,  Jacobson,  org.  Cliem.   I.  46 


722  Dichlorpropionsäuren  und  IXbrompropionsäuren, 


«s-Dichlorpropionsäure*  CPIj-CClj-COjH  ist  eine  bei  185—190®  siedende 
Flüssigkeit,  in  Wasser  leicht,  in  concentrirter  Salzsäure  nicht  löslich ;  beim  Erwärmen 
mit  der  berechneten  Menge  Silberoxyd  (1  Mol.  Ag,0  aaf  1  Mol.  SSare)  wird  sie  glatt 
in  Brenztraubensäure  übergeführt,  beim  Erwärmen  mit  überschüssigem  Silberoxjd 
unter  Abscheidung  von  Chlorsilber,  metallischem  Silber  und  Abspaltung  von  Kohlen- 
säure zu  Essigsäure  oxydirt.  —  «j-Dibrompropionsäure*  CHj-CBr^-COgH  schmilzt 
bei  61°,  siedet  bei  220 — 221°  und  liefert  beim  Erhitzen  ihres  Silbersalzes  in  wässriger 
Lösung  Brenztraubensäure;  K  =  8-3. 

a-^- Dichlor  Propionsäure*  CHjCl  •  CHCl  •  COjH  bildet  kleine  weisse  Nadeln, 
schmilzt  bei  50°  und  siedet  unter  theilweiser  Zersetzung  bei  210°.  —  a-^Dibrom- 
propionsäure^  CH^Br'CHBr-COsH  zeigt  bezüglich  des  Schmelzpunkts  ähnliche 
Verhältnisse  wie  die  Chloressigsäure  (S.  714),  die  durch  die  Existenz  zweier  Modi- 
ficationen  bedingt  werden;  die  stabile  Modification  schmilzt  bei  64°;  ist  sie  über  den 
Schmelzpunkt  erhitzt  und  wieder  erstarrt,  so  beobachtet  man  den  Schmelzpunkt  51  ^ 
n-^'Dibrompropionsäure  siedet  unter  theilweiser  Zersetzung  zwischen  220  und  240^ 
und  ist  in  Wasser  äusserst  leicht  löslich;  K  =  0-67. 

^j-Dichlorpropionsäure*  CHClj •  CH, •  CO,H  bildet  farblose,  leicht  losliche 
Prismen;  der  Aethylester  siedet  bei  171—175°  und  liefert  beim  Erhitzen  mit 
alkoholischer  Kalilauge  ^-Chlorakrylsäure  CHCl :  CH'COjH ,  während  aus  ot-^J-Dichlor- 
propionsäure  durch  die  gleiche  Reaction  «-Chlorakrylsäure  CHjiCCl-COjH  ge 
bildet  wird. 

Unter  den  Dihalogenderivaten  der  Essigsänrehomologen  bieten  vom  Standponkr 
der  stereochemischen  Theorie  erhebliches  Interesse  diejenigen  SSaren,  welche 
durch  Halogenaddition  an  stereoisomere,  einbasisehe,  ungresSttigte  SSaren  ent- 
stehen. Dem  ersten  Fall  dieser  Art  begegnen  wir  bei  der  Addition  der  Halogenie 
an  Crotonsäure  und  Isocrotonsäure: 

CH3 .  CH  :  CH .  CO2H  +  Clj  =  CHg  •  CHCl  •  CHCl  •  CO,H ; 

es  fragt  sich,  ob  die  beiden  Säuren  identische  oder  verschiedene  Additionsproduktf 
liefern  werden.  Derartige  Fragen  bieten  sich  sehr  häufig  dar,  wenn  es  sich  um  den 
Uebergang  stereoisomerer  ungesättigter  Verbindungen  in  gesättigte  Verbindungen  mit 
unsymmetrischen  Rohlenstofiatomen  handelt.  Die  Verhältnisse  liegen  vom  Standpunkt 
der  Theorie  aus  in  allen  solchen  Fällen  ähnlich;  um  sie  zu  illustriren,  seien  für  da^- 
gerade   vorliegende   Beispiel,   das   uns  zum   ersten  Mal  Gelegenheit  zur  Erörterang 


*  Otto,  Ann.  116,  195  (1860);  132,  181  (1864).  Ber.  23,  836  (1890).  —  Bbckükt^ 
u.  Otto,  Ber.  9,  1593,  1877  (1876);  10,  263,  264  (1877);  11,  386  (1878);  18.  227 
(1885).  —  Otto  u.  Voigt,  J.  pr.  [2]  36,  78  (1887).  —  Tkögek,  J.  pr.  [2]  46,  353  (1892i 

*  Friedel  u.  Machüca,  Ann.  Suppl.  2,  72  (1861).  —  Philippi  u.  Tollens,  Ann. 
171,  315,  333  (1874).  —  Beckurts  u.  Otto,  Ber.  18,  235  (1885).  —  Walpen,  Ztschr. 
f.  physik.  Chem.  10,  651  (1892). 

'  WicHEUiAüs,  Ann.  135,  253  (1865).  —  VVebiqo  u.  Okulitsch,  Ann.  167,  49 
(1873).  —  Weriqo  u.  Werner,  Ann  170,  163  (1873).  —  Webioo  u.  Tasatar,  Ann. 
174,  367  (1874).  —  Henry,  Ber.  7,  414  (1874).  —  Werigo  u.  Melikoff,  Ber.  10. 
1500  (1877);   12,  178  (1879). 

*  Münder  u.  Tollens,  Ann.  167,  222*(1873).  —  Caspary  u.  Tollens,  ebenda. 
240.  —  Philippi  u.  Tollens,  Ann.  171,  337  (1874).  —  Linnbmann  u.  Penl,  Ber.  8. 
1098  (1875).  —  Tollens,  ebenda,  1448,  1452.  —  Zotta,  Ann.  192,  102  (1878).  - 
Mauthneru.  Suida,  Monatsh.  2,  115  (1881).  —  Beckurts  u.  Otto,  Ber.  18,  236(18bOi. 

—  Weger,  Ann.  221,  84  (1883).  —  Michael  u.  Schulthes.s,  J.  pr.  |2]  48,  589  (1891  . 

—  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  651  (1892). 

*  Otto  u.  Fromme,  Ann.  239,  257  (1887). 


Halogenaddition  an  stereoisomere  Säuren  der  Oelsäurereihe,  723 


derartiger  Fragen  bietet,  vor  Besprechung  der  Beobachtangen  zunächst  die  Gonse- 
quenzen  der  Theorie  entwickelt. 

o-^- Dichlor-    bezw.   a-^-Dibrombuttersäure    enthalten    zwei    ungleichartig 
asymmetrische  Rohlenstoffatome  (mit  *  bezeichnet): 

CHaCHClCHCl.COjH; 

in  Bezug  auf  jedes  einzelne  dieser  Kohlenstoffatome  kann  die  Anordnung  der  mit 
ihm  verbundenen  Gruppen  entweder  derart  sein,  dass  dadurch  Rechtsdrehung  der 
Schwingungsebene  des  polarisirten  Lichtstrahls  bewirkt  wird,  oder  umgekehrt  derart, 
dass  ebenso  starke  Linksdrehung  hervorgebracht  wird.  Für  den  optischen  Charakter 
des  Gesammtmolecnls  ergeben  sich  daraus  nun  vier  Möglichkeiten;  die  beiden 
asymmetrischen  Kohlenstoffatome  können  rechtsdrehend  oder  umgekehrt  beide  links- 
drehend wirken,  ihren  Einfluss  also  gegenseitig  im  einen  oder  im  andern  Sinne 
verstärken: 

{r.j  CfH.Cl.COjH)  |1.|  C(H.C1.C0,H) 

{r.J  C(H.Cl.CHs)  *    {L|  CCH-Cl-CHa) 

andererseits  können  sich  beide  Systeme  entgegen  wirken,  und  da  sie  ihrer  Ungleich- 
artigkeit  wegen  verschieden  stark  wirken,  so  wird  die  optische  Activität  auch  bei 
solcher  Anordnung  nicht,  wie  bei  Verbindungen  mit  zwei  gleichartig  asymmetrischen 
Kohlenstoffatomen  (vgl.  S.  668—669),  aufgehoben  werden;  vielmehr  wird  der  optische 
Charakter  des  Gesammtmolecüls  durch  die  Differenz  in  der  optischen  Wirkung  der 
beiden  asymmetrischen  Hälften  bedingt  werden;  diese  Differenz  kann  sich  wieder  ent- 
weder in  rechtsdrehendem  oder  in  linksdrehendem  Sinne  geltend  machen: 

{r.j  C(H.C1.C0,H)  {1.!  C(H-C1.C0»H) 

3.  I  4.  ' 

11.}  ÖCH-Cl-CHs)  '   {r.}  C(H.C1.CH,) 

Es  ergiebt  sich  demnach  die  Existenzmöglichkeit  von  vier  optisch  isomeren  Modi- 
ficationen,  die  in  zwei  Paare  zerfallen;  das  eine  Paar  besteht  aus  den  beiden  stark 
drehenden  Summenmodificationen  (Nr.  1  u.  2),  das  zweite  aus  den  beiden  schwächer 
activen  Differenzmodificationen  (Nr.  3  u.  4).  Jedem  Paar  wird  fernerhin  eine  inactive 
Modification  entsprechen,  die  durch  die  Vereinigung  der  beiden  optischen  Antipoden 
zu  Stande  kommt;  und  diese  beiden  inactiven  Modificationen  sind  es,  welche  wir 
zunächst  bei  synthetischen  Processen,  die  ja  niemals  direct  optisch  active  Substanzen 
liefern  (vgl.  S.  82 — 83),  zu  erwarten  haben. 
Wenn  nun  die  feste  Crotonsäure: 


CH,         H 

V 

Y 

COjH       Ü 

zwei  Halogenatome  addirt,  so  ist  es  gleich  wahrscheinlich,  dass  die  Lösung  der 
Doppelbindung  an  der  mit  a  oder  an  der  mit  b  bezeichneten  Stelle  eintritt;  es 
werden  daher  die  beiden  Configurationen- 

46* 


724 


Theorie  der  Halogenaddition  an  stereoisomere 


I. 


CIL 


II. 


CH, 


Cl- 
Cl 


H 


H 


H 


CO,H 


H  — 


-Cl 
-Gl 


CO.H 


die    man   leicht  als  einander  enantiomorph  erkennt,  in  gleichen  Mengen   entstehen. 
Ebenso  werden  sich  aus  Isocrotonsäure : 

CH3  H 

\        / 

Y 

/\ 
/  \ 

<       > 

H  bo,H 


die  beiden  Configurationen: 

III.  CHa 


IV. 


CH, 


Cl— 


Cl 


— H 


H 


COjH 


CO,H 


Cl 


-Cl 


H 


H 


die  unter  einander  wieder  enantiomorph,  aber  von  I  und  TI  durchaus  verschieden 
sind,  in  gleichen  Mengen  bilden.  D.  h.:  Wir  haben  aus  jeder  Säure  durch 
Aufnahme  von  zwei  Halogenatomen  die  Entstehung  einer  anderen  in- 
activen  Dihalogenbuttersäure  zu  erwarten;  jedes  der  beiden  von  ein- 
ander verschiedenen  Additionsprodukte  ist  aufzufassen  als  eine  mole- 
culare  Verbindung  von  zwei  optisch  entgegengesetzten,  im  übrigen 
identischen  Substanzen;  die  activen  Componentön  der  inactiven  Modi- 
ficationen  sind  aber  in  jedem  einzelnen  der  beiden  F&lle  von  einander 
verschieden. 

Durch  den  Uebergang  der  Doppelbindung  in  die  einfache  Bindung  wird  nun 
allerdings  nach  unseren  Anschauungen  die  freie  Drehbarkeit  der  beiden  asymmetrischen 
Systeme  um  die  ihre  Centren  verbindende  Axe  ermöglicht;  allein  man  kann  sich 
leicht  überzeugen,  dass  jede  beliebige  Drehung  dieser  Art  nichts  an  der  Ver- 
schiedenheit der  vier  Configurationen  von  einander  ftndert-.  Eine  solche  Drehung 
wird  indess  im  Sinne  der  Wislicenus  sehen  Theorie  (S.  84 — 85)  nach  der  Addition 
der  Ilalogcnatome  stattfinden;  denn  die  unmittelbar  nach  der  Addition  gebildeten 
Configurationen  (s.  oben)  sind  offenbar  „uubegünstigt",  da  sich  stets  die  einander  ab- 
stossenden  Halogenatome  über  einander  befinden,  und  es  wird  daher  durch  die  richtenden 
Kräfte  innerhalb  jedes  Molecüls  die  Herstellung  der  „begünstigten**  Configaratiou 
bewirkt  werden,  welche  für  die  einzelnen  Modificationen  durch  die  folgenden  Baom- 
formein  wiedergegeben  werden  kann: 


Säuren  der  Oelsäurereihe,  725 

la.  II  IIa.  H 

CH,      1-  Cl  Cl -CH, 


ci- 

H 

60jH 

Cl 

H 

-CH3 

Cl 

-  -   COo] 

II 


-Cl 


H                             H 

CH« 

oder 

CO.H                CO,II 

-  Cl 

CO,H 

Illa.  Cl  IVa.  Cl 

i 

CH3-       -H 

t  i 

CO,H  Cl 

I 

H  II 

Wenn  man  nun,  von  diesen  begünstigten  Configurationen  ausgehend,  den  Process 
räumlich  verfolgt,  der  durch  die  Sti-ucturgleichung: 

Cllg .  CHCl .  CHCl .  CO2H  -  HCl  --=   CH3 .  CH  :  CCl  •  CO^H 

ausgedrückt  wird,  d.  h.  also  die  Bildung  eines  n-Halogensubstitutionsprodukts  der 
Crotonsäuren  durch  Halogen wasserstoffabspaltung  aus  den  Dihalogcnadditionsprodukteny 
—  so  gelangt  man  zu  interessanten  Folgerungen.  Das  Produkt  nämlich,  welches  aus 
den  (,'onfigurationen  la  und  IIa  —  also  aus  den  Additionsprodukten  der  festen  Croton- 
säure  —  entsteht,  muss  die  Configuration : 

CH, - 

I    I 

^^^^^^^^^^^^^^^^  ^^^^^  ^— ^^^  -^ —  _  _.  _  _. . . _ 

identisch 
besitzen,  also  ein  Derivat  der  Isocrotonsäure  sein.    Umgekehrt  muss  dem  aus  den 
Configurationen  Illa  ui«i  IVa  —  den  Additionsprodukten  der  Isocrotonsäure  —  ent- 
stehenden Produkt  die  Configutation  eines  Derivats  der  Crotonsäure: 

H CH3  CH3 -    H 

oder 
Cl  COJI    '  CO.,H Cl 

identisch 
zukommen. 

Die  eben  gezogenen  Folgerungen  sind  übrigens  von  der  Hypothese 
der  begiinstigten  und  unbegünstigten  Configurationen  unabhängig; 
ohne  das  man  die  „richtenden  Kräfte"  innerhalb  des  Molecüls  in  Betracht  zieht,  ge- 
langt man  zu  demselben  Resultat,  wenn  man  einfach  die  ursprünglich  entstehenden 
Configurationen  (I — IV)  durch  Drehung  in  diejenigen  Configurationen  (la  -IVa)  über- 
führt in  welchen  überhaupt  der  Process: 

CH3 .  CHCl .  CHCl .  CO2H  -  HCl   =  CH3 .  CH  :  CCl  •  CO^H 

infolge  der  Superposition  der  austretenden  Atome  möglich  erscheint. 
Wenn  man  ferner  den  durch  die  Structurgleichung : 

CH3.CHCl.CHCl.CO5H  -  2HC1  =   CHaCrCCOjH 

ausgedrückten  Process  —  d.  h.  also  die  Bildung  von  Tetrolsäure  durch  Abspaltung  von 
2  Mol.  Halogen  Wasserstoff  aus  den  Halogenadditionsprodukten  der  Crotonsäuren  —räum- 
lich verfolgt,  so  ergiebt  sich  wieder  ein  bemerkenswerther  Unterschied  zwischen  den  Con- 
figurationen I  und  II  einerseits,  III  und  IV  andererseits.  Die  beiden  letzteren  können 
durch  Drehung  in  die  Configurationen  Illa  und  IVa  übergeführt  werden,  welche  die  bei- 
den Chloratome  und  die  beiden  Wasserstoffatome  derart  über  einander  gestellt  enthalten. 


726  Addition  von  Chlor  und  Brom  an  Orotonsäure  tmd 


dass  dem  Austritt  von  2  Mol.  Chlorwasserstoff  durch  die  räumliche  Anordnung  kein 
Hindemiss  erwächst.  Hingegen  enthält  unter  allen  beliebigen  Configurationen,  welche 
aus  den  Configurationen  I  und  II  durch  Drehung  um  die  Aze  entstehen  können,  kme 
einzige  die  Superposition  der  Atome  Wasserstoff  und  Chlor,  die  mit  einander  austreten 
sollen,  zweimal;  die  Configurationen  I  und  II  also  sind  dem  Austritt  von  2  Mol.  Chlor- 
wasserstoff bei  weitem  nicht  so  günstig*,  wie  die  Configurationen  III  und  IV. 
Diese  Betrachtungen  fuhren  uns  also  zu  den  Folgerungen: 

1.  Crotonsäure  und  Isocrotonsäure  sollten  von  einander  yerschiedene  Additiooä- 
produkte  mit  den  Halogenen  bilden. 

2.  Spaltet  man  aus  den  Additionsprodukten  das  ^- Halogenatom  mit  dem 
o-Wasserstoffätom  als  Halogen  Wasserstoff  ab,  so  müsste  man  von  der  Crotonsäure  zu 
einem  Substitutionsprodukt  der  Isocrotonsäure,  umgekehrt  von  der  Isocrotonsäure  zo 
einem  solchen  der  Crotonsäure  gelangen. 

3.  Die  Additionsprodukte  der  Isocrotonsäure  sollten  leichter  in  TetroLsäure 
überfuhrbar  sein,  als  diejenigen  der  Crotonsäure. 

Diese  Folgerungen  gelten  natürlich  nicht  allein  für  die  Crotonsäure  und  Iso- 
crotonsäure, sondern  es  ergeben  sich  analoge  Schlüsse  für  alle  Säuren,  deren  Isomerie 
auf  die  gleiche  Ui*sache  zurückgeführt  wird  (vgl.  S.  734—736  die  aus  Fumar-  and 
Maleinsäure  entstehenden  Halogenderivate  der  Bemsteinsäure).  Sie  mögen  nun  zu- 
nächst mit  dem  experimentell  gesammelten  Material  verglichen  werden,  das  über  die 
Additionsprodukte  der  beiden  Crotonsäuren  mit  den  Halogenen'  vorließ. 
Voraus  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Beobachtungen  verschiedener  Forscher  aber 
diesen  Gegenstand  häufig  zu  abweichenden  Ergebnissen  geführt  haben.  Es  ist  dies 
theilweise  darin  begründet,  dass  scheinbar  geringfügige  Aenderungen  der  Versnchs- 
bedingungen  den  Verlauf  der  Versuche  wesentlich  beeinflussen.  Auch  compliciren 
sich  die  Verhältnisse  in  diesem  Falle  dadurch,  dass  man  für  die  Einheitlichkeit  der 
nicht  krystallisirbaren  und  äusserst  labilen  Isocrotonsäure  keine  sicheren  Merkmale 
hat.  Bei  den  älteren  Versuchen  ist  zweifellos  ein  Präparat  angewendet,  das  noch 
feste  Crotonsäure  enthielt;  für  die^ neueren  Versuche,  deren  Ergebniss  unten  angeführt 
ist,  wurden  Präparate  benutzt,  die  mit  grösster  Sorgfalt  von  fester  Crotonsäure  befreit 
wurden,  aber,  wie  aus  den  unten  folgenden  Angaben  erhellt,  doch  nisht  ein  mit  der 
Theorie  präcise  übereinstimmendes  Verhalten  zeigen.  Wesentlich  auf  Grund  dieser 
mangelhaften  Uebereinstimmung  mit  den  Folgerungen  der  Theorie  stellt  neuerdings 
J.  Ad.  WiSLicENüs  die  Hypothese  auf,  die  bisher  erhaltene  reinst«  „Isocrotonsäure"  sei 
eine  Molecularverbindung  von  fester  Crotonsäure  mit  der  in  reinem  Zustand  noch 
unbekannten  eis  -  trans  -  ß-  Methylakry Isäure. 

Feste  Crotonsäure  liefert,  in  Schwefelkohlenstofflösung  oder  in  Tetrachlorkohlen- 
stofflösung  mit  Chlor  bei  niederer  Temperatur  behandelt,  der  Hauptmenge  nach  eine 
a-^-Dichlorbuttersäure  (Crotonsäuredichlorür),  die  grosse  farblose  prisma- 
tische Kry stalle  darstellt,  bei  63^  schmilzt,  unter  20  mm  Druck  unzersetzt  bei  124-5^ 


^  Vorausgesetzt  ist  bei  dieser  Entwickeiung,  dass  der  Austritt  von  Halogen- 
wasserstoff st«ts  durch  Entnahme  der  beiden  Atome  je  eines  Halogenwasserstoff-Moleküls 
von  zwei  verschiedenen  Kohlenstoffätomen,  nicht  von  einem  Kohlenstoffatom  erfolgt. 

*  KöBNER,  Ann.  137,  234  (1866).  —  Michael  u.  Norton,  Jb.  1880,  790.  - 
C.  KoLBE,  J.  pr.  [2]  25,  369  (1882).  —  Erlenmeyer  u.  Müller,  Ber.  15,  49  (1882).  - 
Melikofp,  Ann.  234,  201  (1886).  —  Michael  u.  Browne,  J.  pr.  [2]  36,  257;  36,  174 
(1887).  —  WiSLicENUs,  Ber.  20,  1008  (1887).  Ann.  248,  281  (1888).  —  Palmkr,  Ber. 
22c,  495  (1889).  —  Michael  u.  Schulthess,  J.  pr.  [2]  43,  590  (1891);  46,  236  (1892». 
—  Lippmann,  Monatsh.  12,  407  (1891).  —  Melikoff  u.  Petrenko-Erischenko,  Ann.  266, 
372  (1891).  —  H.  Abbott  Michael,  J.  pr.  [2]  46,  272  (1892).  —  J.  An.  Wislicbkts, 
Inaug. -Dissertation,  Leipzig  1892. 


Isocrotonsävre  (a-ß-Dichlor^  bezw,  a-ß-Dibrombuitersäuren).  727 


äiedet  und  durch  Wasser  leicht  verflüssigt  wird;  durch  Einwirkung  von  kaltem 
Alkali  auf  die  durch  Krjstallisation  gereinigte  Säure  erhält  man  ein  Gemisch  von 
ca.  16Vo  a-Chlorcrotonsäure  und  84*/o  a-Chlorisocrotonsäure,  durch  Einwirkung  von 
kaltem  Alkali  auf  das  rohe  Chloradditionsprodukt  der  Crotonsäure  ein  Gemisch  von 
etwa  26*/o  n-ChiorcrotonsÄure  und  74%  a-ChlorisocrotonsÄure.  —  Isocrotonsäure,  in 
Chloroform-  oder  Tetrachlorkohlenstofflösung  mit  Chlor  im  Sonnenlicht  behandelt, 
liefert  ein  Additionsprodukt,  das  zum  grossen  Theil  aus  derselben  a-^Dichlorbutter- 
säure  besteht.  Dagegen  erhält  man  eine  stereoisomere  n-^-Dichlorbuttersäure 
(Isocrotonsäuredichlorür)  durch  Erhitzen  von  a-Chlorcrotonsäure  mit  Salzsäure: 

CH, .  CH :  CCl .  COjH  +  HCl  =  CHj  •  CHCl  •  CHCl  •  CO>H  ; 

sie  krystallisirt  in  Prismen,  schmilzt  bei  78®,  siedet  unter  20  mm  Druck  bei  131-5® 
und  giebt  durch  Zersetzung  mit  Alkalien  fast  ausschliesslich  a-Chlorcrotonsäure. 

Bei  der  Addition  von  Brom  zu  fester  Crotonsäure  in  Tetrachlorkohlenstofflösung 
oder  Schwefelkohlenstofflösung  erhält  man  a-^-Dibrombuttersäure  (Croton- 
säuredibromür)  vom  Schmelzpunkt  89®,  die,  mit  Alkalien  zersetzt,  neben -geringen 
Mengen  von  a-Bromcrotonsäure  mehr  als  90®/^  a-Bromisocrotonsäure  liefert  Bei  der 
Addition  von  Brom  zu  Isocrotonsäure  im  Sonnenlicht  erhält  man  fast  ausschliesslich 
das  gleiche  Additionsprodukt  wie  aus  fester  Crotonsäure  (vgl.  S.  728—729  die  Versuche 
mit  Angelicasäure  und  Tiglinsäure);  fuhrt  man  aber  die  Addition  im  Dunkeln  aus, 
äo  entsteht  ein  Produkt,  aus  welchem  eine  andere  krjstallisirbare,  zerfliessliche  Di- 
brombuttersäure  vom  Schmelzpunkt  57 •  5®  isolirt  werden  kann;  dieses  Isocrotonsäure- 
d ihr 0 mär  (von  J.  An.  Wislicenus  als  Molecularverbindung  von  Crotonsäuredibromür 
und  eigentlichem  Isocrotonsäuredibromür  angesehen)  liefert  nun  bei  der  Zersetzung 
mit  Alkalien  Bromerotonsäure  und  Bromisocrotonsäure  zu  etwa  gleichen  Theilen. 

Es  erhellt  aus  diesen  Beobachtungen,  dass  die  S.  724 — 726  gezogenen  Folgerungen 
nur  theilweise  mit  dem  experimentellen  Befund  übereinstimmen.  Die  Consequenzen  der 
Theorie  werden  bestätigt,  so  weit  die  Anzahl  der  Isomeren  in  Betracht  kommt; 
dagegen  werden  sie  hier,  wie  in  vielen  anderen  Fällen,  zum  Theil  nicht  bestätigt,  wenn 
wir  das  Verhalten  der  Raumisomeren  bei  chemischen  Reactionen  verfolgen. 
Der  auf  Grund  der  Theorie  für  die  eine  Säure  erwartete  Process  tritt  fast  niemals 
ausschliesslich  ein,  sondern  wird  meist  von  dem  für  die  isomere  Säure  erwarteten 
Process  begleitet,  ja  in  einigen  Fällen  von  dem  letzteren  überwuchert.  Nun  mögen 
zwar  im  vorliegenden  Falle  die  abweichenden  Versuchsergebnisse  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  auf  die  Nichteinheitlichkeit  der  „Isocrotonsäure'^  zurückzuführen  sein; 
allein  diese  Erklärung  ist  auf  analoge  Fälle  —  vgl.  Maleinsäure  bezw.  Dichlor- 
hernsteinsäure  S.  736,  Citraconsäure  bezw.  Citradichlorbrenzweinsäure  S.  739  — ,  in 
denen  ebenfalls  die  Versuche  nicht  präcise  mit  jenen  Folgerungen  der  Theorie 
übereinstimmen,  doch  wohl  kaum  anwendbar.  Derartige  Erfahrungen  brauchen 
indess  keineswegs  so  aufgefasst  zu  werden,  als  ob  sie  den  Werth  unserer  An- 
^ehauungen  über  die  räumliche  Gruppirung  der  Atome  herabzusetzen  *  geeignet 
wären.  Man  könnte  im  Gegentheil  die  mangelhafte  Uebereinstimmung  solcher 
Folgerungen,  wie  sie  auf  S.  724—726  gezogen  wurden,  mit  den  Versuclisresultateii 
voraussagen.  Wir  erblicken  ja  gerade  einen  charakteristischen  Unterschied  zwi- 
tK-hen  Raumisomerie  und  Structurisomerie  in  dem  Umstand,  dass  Raumisomere 
durch  allerlei  Einflüsse  —  Wärme,  Gegenwart  gewisser  fremder  Stoffe  etc.  — 
leicht  und  glatt  in  einander  übergehen,  während  bei  Structurisomeren  eine  glatte 
Umwandlung  in  einander  nur  selten  herbeigeführt  werden  kann.  Eine  Veränderung- 
in  der  gegenseitigen  Lage  der  an  einem  und  demselben  Kohlenstoffatom  be- 
findlichen  Atome    oder   Radicale    kann  offenbar  durch  Ursachen  von  bedeutend  ge- 


>  Michael,  J.  pr.  [21  46,  400,  424  (1892). 


728  Additon  von  Brom  an  Ängdieaaäure  u,   Tiglvisäure. 


ringerer  Inteusität  herbeigeführt  werden,  als  eine  Gruppirungsverftndening,  die  dee 
Transports  eines  Substituenten  von  einem  Kohlenstoffatom  zu  einem  anderen  bedarf. 
Dass  gerade  in  dem  Moment  der  chemischen  Reaction  die  Schwingungen  der  einzelnen 
Atome  um  ihre  Gleichgewichtslage  eine  hohe  Amplitude  erreichen,  wodurch  einzelne 
Atome  oder  Gruppen  besonders  leicht  mit  ihren  unmittelbaren  Nachbarn  die  Plätze 
tausclien ',  erscheint  nicht  auffällig,  sondern  durchaus  plausibel  (vgl.  die  Anschauungen 
von  Skraup,  S.  686).  Wenn  man  sich  den  Uebergang  der  Maleinsäure  in  Fumars&ure 
durch  Brom  Wasserstoff,  der  Maleinsäureester  in  Fumarsäureester  durch  Jod  (S.  685),  der 
Citraconsäure  in  Mesaconsäure  durch  Brom  (S.  690)  und  zahlreiche  ähnliche  Fälle  ver- 
gegenwärtigt, so  wird  man  sich  nicht  darüber  wundern,  dass  Isocrotonsäure  bei  dir 
Addition  von  Halogenen  grosse  Mengen  desjenigen  Produkts  liefert,  welches  der 
stereoisomeren  festen  Crotonsäure  entspricht.  Ergiebt  sich  doch  aus  zahlreichen  Bt- 
obachtungen,  wie  leicht  gerade  die  Halogene  und  Halogenwasserstoffsfiuren  den  Ueber- 
gang von  Raumisomeren  in  einander  veranlassen. 

Bei  Erwägungen,  wie  sie  S.  723 — 725  angestellt  wurden,  ist  vorausgesetzt,  dass 
diejenigen  Theile  eines  Moleeüls,  welche  im  Sinne  unserer  Gleichungen  nicht  un- 
mittelbar von  der  Reaction  betroffen  werden,  ihren  Bewegungszustand  während  der 
Reaction  nicht  bis  zum  Aufsuchen  anderer  Gleicligewichtslagen  steigern.  Wenn  in 
gewissem  Fällen  die  Resultate  der  Erwägungen  nicht  mit  den  Resultaten  des  Ver- 
suches übereinstimmen,  so  wird  dadurch  die  Unrichtigkeit  jener  Voraussetzung  für  dieso 
Fälle  bewiesen.  Namentlich  bei  solchen  Reactionen,  durch  welche  Halogenatome  an 
ungesättigte  Verbindungen  adilirt  werden  oder  diesen  Additionsprodukten  durch  Ein- 
wirkung von  Zinkstaub  (vgl.  S.  736,  739)  wieder  entzogen  werden,  femer  bei  Reactionen, 
durch  welche  Halogenatome  gegen  Wasserstoff  (vgl.  S.  732,  737)  oder  Hydroxyl 
(vgl.  S.  812—813)  ausgetauscht  werden,  scheint  diese  Voraussetzung  nicht  zuzutreffen. 
Als  ein  für  die  Entwickelung  der  Stereochemie  bedeutungsvolles  Problem,  das  vielleicht 
durch  ausgedehnte  Expcrimentalforschungen  zu  lösen  ist,  ergiebt  sich  die  Aufsuchung 
von  Reactionen  oder  Reactionsbedlngungen,  unter  denen  sich  jene  Voraussetzung 
möglichst  allgemein  bestätigt;  dass  es  derartige  Reactionsbedlngungen  giebt,  zeigen 
die  Erfolge,  die  bei  der  Anwendung  der  stereochemischen  Theorie  in  der  Zucker- 
gruppe  erzielt  sind  (vgl.  Kap.  35). 

.  Wie  sehr  bei  Verbindungen,  die  sich  leicht  in  Stereoisomere  umlagern,  der 
Verlauf  einer  und  derselben  Reaction  durch  äussere  Bedingungen  beinflusst  wird, 
hat  sich  neuerdings  in  besonders  schlagender  Weise  bei  Untersuchungen  über  die 
Addition  von  Brom  an  Angelicasäure  und  Tiglinsäure'  gezeigt.  Es  wurde 
schon  S.  506  darauf  hingewiesen,  dass  diese  beiden  Säuren  wahrscheinlich  in  dem- 
selben Verhältniss  zu  einander  stehen,  wie  Crotonsäure  und  Isocrotonsäure:  im  Sinne 
der  stereochemischen  Theorie  sollte  dann  jeder  Säure  ein  selbständiges  Dibromid 
entsprechen.  Nun  liefert  Tiglinsäure,  wenn  man  ihre  Schwefelkohlenstofflösung  zu 
überschüssigem  Brom  unter  Kühlung  und  im  Dunkeln  zugicbt,  sehr  glatt  eine  leicht 
krystallisirbare,  bei  87-5 — 87 «6®  schmelzende  Dibromvaleriansäure  CHj-CHBr- 
CBr(CH8 ) •  COgH  (Tiglinsäuredibromür).  Angelicajsäure  liefert  unter  den  gleichen 
Bedingungen  glatt  eine  sehr  schwer  krystallisirbare  Säure,  welche  nach  passender 
Reinigung  zwar  fast  genau  den  gleichen  Schmelzpunkt  (86*5 — 87  •)  zeigt,  aber  be- 
stimmt von  dem  Tiglinsäuredibromür  verschieden  ist  (Angelicasäuredibromüri: 
während  nämlich  Tiglinsäurebromür,  mit  Wasser  Übergossen,  fest  bleibt,  wird  Angelica- 


*  Vgl.  Baeyer,  Ann.  245,  136  (1888).  —  Auwers  u.  Kaüffmann,  Ber.  25. 
3228  (1892). 

*  Jaffa,  Ann.  135,  293  (1865).  —  PAGENSTEruER,  Ann.  196,  122  (1879).  — 
WisLiCENus  u.  PCCKERT,  Ann.  250,  240  (1888).  —  Fittio,  Ann.  259,  12  (1890);  273, 
127  (1892).  —  WisucENüs,  Ann.  272,  1  (1892). 


Addition  der  Halogene  an  Erucasäure  und  Brassidinsäure,  729 

säurebromür  durch  wenig  Wasser  schon  zu  einem  Oel  verflüssigt;  Angelicasäurebromür 
ist  femer  krystallographisch  vom  Tiglinsäurebromür  verachieden  und  in  allen  Lösungs- 
mitteln bedeutend  leichter  löslich;  so  lösen  z.  B.  100  Th.  Schwefelkohlenstoff  bei  3° 
315  Th.  Angelicasäuredibromür,  aber  nur  45  Th.  Tiglinsäuredibron^ür.  Unter  den 
obigen  Additionsbedingungen  also  liefert  in  der  That  jede  Säure  der  Theorie  ent- 
sprechend ein  selbständiges  und  einheitliches  Dibromid.  Wenn  man  aber  die  Ad- 
dition bei  stärkerer  Belichtung,  bei  höherer  Temperatur  oder  derart  ausfuhrt,  dass 
während  der  Addition  nicht  das  Brom,  sondern  die  Säure  im  Ueberschuss  vorhanden 
ist,  so  erhält  man  aus  Tiglinsäure  neben  Tiglinsäuredibromür  zwar  nicht  bedeutende 
aber  doch  nachweisbare  Mengen  Angelicasäuredibromür,  aus  Angelicasäure  dagegen 
so  grosse  Mengen  von  Tiglinsäuredibromür,  dass  das  letztere  abnorme  Reactionsprodukt 
unter  Umständen  das  Hauptprodukt  werden  kann  *.  Fertiges  Angelicasäuredibromür  wird 
übrigens  durch  mehrmonatliche  Belichtung  seiner  Lösung  nicht  in  Tiglinsäuredibromür 
übergeführt;  der  Grund  für  die  anormale  Entstehung  von  Tiglinsäuredibromid  aus 
Angelicasäure  muss  demnach  gerade  während  des  Additionsprocesses  von  Brom  an 
die  Säure  wirksam  sein. 

Wenn  wir  nun  den  im  Sinne  der  stereochemischen  Theorie  theilweise  abnormen 
Verlauf  solcher  Reactionen  auf  eine  im  Moment  der  Reaction  in  Folge  der  Steigerung 
der  intramolecularen  Bewegungen  eintretende  Veränderung  der  räumlichen  Atom- 
gruppirung  zurückführen  (vgl.  S.  728),  so  werden  wir  erwarten,  dass  in  denjenigen 
Fällen,  wo  ein  solcher  Platzwechsel  die  Verschiebung  complexer  und  daher  schwerer 
beweglicher  Gruppen  erfordern  würde,  der  wirkliche  Reactionsverlauf  in  präciserer 
Weise  jenen  Folgerungen  der  Theorie,  die  ohne  Rücksicht  auf  etwa  während  der 
Reaction  eintretende  Gruppirungsänderungen  gezogen  werden,  entsprechen  wird. 

Nun  ist  schon  bei  Besprechung  der  höheren  Glieder  der  Oelsäurereihe  S.  513 — 514 
angedeutet  worden,  daSs  wir  die  Isomerie  zwischen  Oelsäure  und  Elaidinsäure  und 
zwischen  Erucasäure  und  Brassidinsäure  vielleicht  in  ähnlicher  Weise  zu  erklären 
haben,  wie  diejenige  der  beiden  Crotonsäuren.  Für  die  Halogenadditionsprodukte 
der  Erucasäure  und  Brassidinsäure*  sind  nun  neuerdings  die  drei  auf  S.  7^6  zu- 
sammengestellten Forderungen  der  Theorie  als  durchaus  zutreffend  nachgewiesen  worden. 

1.  Erucasäure  giebt  ein  bei  46°  schmelzendes,  Brassidinsäure  ein  bei  65** 
schmelzendes  Dichlorid  (Dichlorbehensäuren);  das  Dibromid  aus  Erucasäure 
schmilzt  bei  42— 43°,  dasjenige  aus  Brassidinsäure  bei  54°  (Dibrombehensäuren). 
Diese  Additionsprodukte  erweisen  sich  auch  dadurch  als  chemische  Individuen,  dass 
bei  der  Behandlung  mit  Natriumamalgam  in  alkoholischer  Lösung  aus  denjenigen 
der  Erucasäure  fast  glatt  Erucasäure,  aus  denjenigen  der  Brassidinsäure  umgekehrt 
Brassidinsäure  zurückgebildet  wird. 

2.  Die  Additionsprodukte  der  Erucasäure  werden  durch  alkoholisches  Kali  bei 
120°  in  monohalogenirte  ungesättigte  Säuren  übergeführt,  welche  bei  der  Ent- 
halogenirung  durch  Natrium  in  alkoholischer  Lösung  Brassidinsäure  liefern,  demnach 
Substitutionsprodukte  der  Brassidinsäure  sind.  Umgekehrt  entstehen  aus  den  Ad- 
ditionsprodukten der  Brassidinsäure  monohalogenirte  Säuren,  die  sich  durch  die  gleiche 
Reaction  als  Derivate  der  Elrucasäure  zu  erkennen  geben. 

3.  Erucasäure-dichlorid  und  -dibromid  geben  bei  150 — 170°  mit  alkoholischem  Kali 
fast  quantitativ  Behenolsäure  (S.  519J,  Brassidinsäure- dichlorid  und  -dibromid  bei  der- 
selben Temperatur  keine  Behenolsäure,  sondern  Monochlor-  bezw.  Monobromerucasäure. 


*  Daher  findet  sich  S.  506  auf  Grund  der  älteren,  seit  dem  Druck  jener  Seite 
durch  WiSLicENcs  berichtigten  Arbeiten  die  Angabe,  dass  Angelicasäure  und  Tiglin- 
säure das  gleiche  Dibromid  liefern. 

*  Otto,  Ann.  135,  226  (1865).  —  Hausknecht,  Ann.  143,   40  (1867).  —   Holt, 
'Ber.  24,  4120  (1891);  26,  961  (1892). 


730  Tetrabromstearinsäure,  Hexabromstearinsäure, 


Unabhängig  von  der  Stellung  der  Doppelbindung  können  Erucasäure  and 
Brassidinsäure,  wenn  man  ihnen  gleiche  Structur  beilegt,  durch  die  Formel: 

C'nHjn  +  i  —  CH  :  CH  —  Cjo—n^SQ— tn^s 

X  Y 

ausgedrückt  werden;  ihre  Raumformeln  sind  dann  unter  Berücksichtigung  des  Um- 
stAuds,  dass  Brassidinsäure  als  stabilere  Säure  der  festen  Crotonsäure  entspricht,  dass 
MoBobrombrassidinsäure  durch  Anlagerung  von  Bromwasserstoff  an  Behenolsäare 
entsteht,  femer  auf  Grund  des  eben  sub  3  angegebenen  Verhaltens  in  folgender 
Weise  zu  schreiben: 

H—  -      -X  X H 

H ' Y  H—    -  ' Y 

Brassidinsäure  Erucasäure. 

Die  unter  1.  und  2.  mitgetheilten  Thatsachen  würden  sich  freilich  auch  durch 
die  Annahme  erklären  lassen,  dass  die  beiden  Säuren  die  Doppelbindung  um  ein 
Glied  gegen  einander  verschoben  enthalten,  z.  B. : 

CHj  -  CH  =  CH COjH  :   Erucasäure, 

CH,  -  CHBr  -  CHBr  ....  CO^H  :   Erucasäuredibroraid, 

CH  =  CH  -  CHBr CO,H :    Brombrassidinsäure ; 


CH  =  CH  -  CH, CO,H :  Brassidinsäure, 

CHBr  -  CHBr  -  CH,  ....  CO,H  :  Brassidinsäuredibromid 
CHBr  -  CH  =  CH CO,H :  Bromerucasäure. 


id,  1 


Aber  diese  Formeln  würden  die  so  prägnante  Ungleichheit  in  der  Widerstands- 
fähigkeit der  beiden  isomeren  Additionsprodukte  gegen  die  Entziehung  von  2  Mol. 
Halogenwasserstoff  unerklärt  lassen. 

Durch  die  vollständige  Uebereinstimmung  zwischen  Theorie  und  Erfahrung  in 
der  Chemie  der  von  der  Erucasäure  und  Brassidinsäure  sich  ableitenden  Halogen- 
derivate wird  die  Auffassung  dieser  Säuren  als  Stereoisomere  mithin  höchst  wahr- 
scheinlich. 

Polyhalogenderivate  der  Essigsäurehomologen. 

Erwähnenswerth  sind  die  bromirten  Stearinsäuren,  welche  aus  den  trocknen- 
den Oelsäuren  (S.  520—521)  durch  Bromaddition  entstehen  und  für  die  Erkenntnis« 
der  Zusammensetzung  dieser  Säuren  Bedeutung  besitzen*.  TetrabromsteariiisSure ' 
Ci8H82Br402  (Linolsäurctetrabromid)  schmilzt  bei  114—1150,  Hexabrom- 
stearinsäure CigHgoBreO,  (Linolensäuretetrabromid)  bei  177°. 

II.  Halogenderlvate  der  einbasischen  ungesättigten  Säuren. 

Diese  Gruppe  bietet  besonders  vom  Standpunkt  der  stereochemischen  Theorie 
aus  wieder  interessante  Probleme. 

Das  Anfangsglied  der  Reihe  —  die  Akrylsäure  —  kann  nach  der  Stmctur- 
theorie  zwei  Reilien  von  Monohalogenderivat^n ^  liefern: 


*  Hazüra,  Monatsh.  8,  147,  156,  260  (1887);   9,  120  (1888);    10.  194  (1889).  - 

'  Vgl.  auch  Arnaud,  Compt.  rend.  114,  80  (1892). 

'  Werigo  u.  Werner,  Ann.  170,  169  (1873).—  Werigo  u.  Melikow,  Ber.  10, 14yt* 
(1877).  —  Wallach,  Ann.  193,  28,  55  (1878);  203,  94  (1880).  —  Philippi  u.  ToiLBXf, 
Ann.  171,  833  (1874).  —  Wagner  u.  Tollens,  ebenda,  340.  —  Pixner  u.  Bischoff, 
Ann.  179,  85  (1875).  —  Bandrowsky,  Ber.  15,  2702  (1882).  —  Otto  u,  BECKrRTS, 
Ber.  18,  239  (1885).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  36,  133  (1887).  -  Stoij:,  Ber.  19,  :^40 
(1886).  —  Ono  u.  Fromme,  Ann.  239,  257  (1887). 


Monohcdogenderivate  der  Äkrylsäure.  731 


CH, :  CX .  CO,H  ,        CHX :  CH  •  CO,H 

«-Derivate  ""  /^-Derivate       ' 

die  stereochemisclie  Theorie  sieht  ferner  für  die  ^-Derivate  zwei  Configurationen  voraus: 

H-C-X  X-C-H 

H-C-CO,H  H-Ö-COjH 

deren  gesonderte  Existenz  aber  bisher  noch  nicht  sicher  nachgewiesen  worde. 

rt-Chlorakrylsäure  CH,  rCClCOjH  (Schmelzpunkt  64~65<^)  und  a-Brom- 
akrvlsäure  CH,  rCBr-COjH  (Schmelzpunkt  69—70^)  entstehen  sowohl  aus  den 
»,-Dihalogen-,  wie  aus  den  a-^-Dihalogenderivaten  der  Propionsäure  (vgl.  S.  721 — 722) 
durch  Abspaltung  von  Halogenwasserstoff  und  liefern  bei  der  Wiederanlagerung  von 
Halogenwasserstoff  a-^-Dihalogenpropionsäuren. 

^•Chlorakrylsäure    CHC1:CH-C0,H    (Schmelzpunkt    84<>)    und    /?-Brom- 

akrylsäure    CHBr:CH-CO,H   (Schmelzpunkt  115— 116<*)   entstehen    aus    Chloralid 

CClj^CHOv 

I  ^CH  •  CCI,  bezw.  aus  Bromalid  durch  Koduction  mit  Zink  und  Salzsäure, 

coo/ 

ferner   aus   Propiolsäure    (S.  516 — 517)   durch   Anlagerung    von    Halogen  Wasserstoff. 
f^Chlorakrjlsäure  giebt  durch  Salzsäureanlagerung  /?2-Dichlorpropionsäure(S.721— 722). 

Jodakrvlsänre  CgHgJO,  entsteht  aus  Propiolsäure  durch  Jodwasserstoff- 
anlagerung;  man  erhält  mit  starker  Jodwasserstoffsäure  eine  bei  65^  schmelzende,  mit 
verdünnter  Jodwasserstofisäure  eine  bei  140°  schmelzende  Säure;  die  beiden  Modi- 
ficationen  scheinen  in  einander  iiberfuhrbar  zu  sein  und  entsprechen  vielleicht  den 
boiden  Configurationeh  der  |9-Jodakrylsäure  (s.  oben). 

MonohalogenderiTate  der  GrotonsSuren.  Für  die  Crotonsäure  wie  für  die 
Isocrotonsäure  ergiebt  sich  auf  Grund  der  S.  499 — 503  begründeten  stereochemischen 
Auffassung  ihrer  Isomerie  die  Existenzmöglichkeit  je  eines  «-  und  eines  ^- Halogen- 
derivats : 

1.    H-C-CH3  2.    CHg-C-H 

C1-C-C0,H  Cl-6-C0,H 

r<-Chlorcrotonsäure  n-Chlorisocrotonsäure 

3.    CI--C-CH3  4.    CHg-C-Cl 

H-C-CO,H  H-C-CO,H 

^Chlorcrotonsäure  f*^-Chlorisocrontonsäure. 

In  der  That  sind  vier  isomere  Chlorderivate  der  Cro tonsäuren  bekannt,  welche 
das  Chloratom  in  der  «-  bezw.  p^-Stellung  enthalten.  Wie  die  /?-Chlordcrivate  aus 
dem  Acetessigester  entstehen,  ist  schon  S.  498—499  auseinander  gesetzt;  ihre  Bildungs- 
weise garantirt  die  ^-Stellung  der  Chloratome;  aus  der  Reduction  zu  Crotonsäure  bezw. 
Isocrotonsäure  ergiebt  sich  für  jede  einzelne  Säure  die  Configuration.  Wie  die  «-Derivate 
aus  den  Chloradditionsprodukten  der  Crotonsäure  bezw.  Isocrotonsäure  sieh  bilden,  ist 
ebenfalb  schon  besprochen  (S.  500  u.  726—727);  da  ihrer  Entstehung  aus  «-/9Dichlor- 
buttersäure  zufolge  ihr  Chloratom  nur  in  der  «-  oder  (^-Stellung  sich  befinden  kann, 
und  da  sie  verschieden  sind  von  den  aus  dem  Acetessigester  erhältlichen  und  daher 
zweifellos  in  der  ;^-Stellung  substituirten  Säuren,  so  fasst  man  sie  als  «-substituirte 
Säuren  auf.  Entsprechend  den  S.  725  angestellten  Erwägungen  betrachtet  man  die 
durch  Zersetzung  des  Crotonsäuredichlorüi-s  als  Hauptprodukt  entstehende  Säure  als 
'«-(lilorisocrotonsäure,  die  aus  Isoorotonsäuredichlorür  fast  ausschliesslich  gebildete 
Säure  alt«  «-Chlorcrotonsäure. 


732  MonoMlogefuIerivate  der  Crotonsäuren, 


Die  Isomerie Verhältnisse  der  rx-Bromerotousäuren  sind  denen  der  entsprechenden 
Chlorderivate  analog. 

Zu  Gunsten  der  Kaumformeln,  welche  auf  Grund  dieser  Schlüsse  den  einzelnen 
Säuren  zu  ertheilen  sind,  können  noch  weitere  Gründe  angeführt  werden.    Es  bildet 
sieh  nämlich  di(f  hiemach  als  i^-Chlorcrotonsäure  aufzufassende  Säure  auch  aus  Tetrol-         I 
säure  durch  ChlorwasserstoflGanlagerung  (vgl.  S.  503),  und  sie  geht  durch  Salzsäure- 
abspaltung wieder  leichter  in  Tetrolsäüre  über,  als  die  isomere  ^-Chlorisocrotonsänre. 

Es  muss  indessen  hervorgehoben  werden,  dass  die  Auffassung  der  hier  und  im 
Folgenden  „ot-Chlorisocrotonsäure"  und  „«-Bromisocrotonsäure"  genannten  Säuren  als 
Abkömmlinge  der  Isocrotonsäurc  bisher  experimentell  nicht  sicher  begründet  ist 
Während  man  auf  Grund  dieser  Auffassung  erwarten  sollte,  von  den  genannten 
Siiuren  durch  Austausch  von  Halogen  gegen  Wasserstoff  zur  Isocrotonsäure  zu  ge- 
langen, erhält  man  bei  der  Eeduetion  mit  Natriumamalgam  in  alkalischer  Losung 
glatt  feste  Crotonsäure;  auch  bei  der  Reduction  in  saurer  Lösung  wird  feste  Croton- 
säure  in  grosser  Menge  gebildet ;  ob  daneben  Isocrotonsäure  entsteht,  kann  noch  nicht 
als  sicher  festgestellt  gelten  (vgl.  übrigens  das  ähnlich  merkwürdige  Verhalten  der 
Brommalei'nsäure,  S.  737). 

Chlorderivate  der  Crotons  äuren^  a-Chlorcrotonsäure  —  aus  Isocroton- 
säuredichlorür  durch  Einwirkung  von  Alkali  (vgl.  S.  727),  ferner  aus  Butylchloral 
CHg-CHCl-CClg-CHO  durch  Einwirkung  von  Ferrocyankalium  und  aus  der  durch 
Oxydation  des  Butylchlorals  entstehenden  Trichlorbuttersäure  durch  Behandlung  mit 
Zinkstaub  und  Wasser  erhältlich  —  bildet  schmale  Nadeln,  schmilzt  bei  99—99-5*, 
siedet  bei  212 <>,  löst  sich  in  47  Th.  Wasser  von  19  ^  ist  mit  Wasserdampf  flüchtig 
und  wird  von  conceutrirter  Kalilauge  erst  bei  etwa  200 '^  verändert,  wobei  tiefgreifende 
Zersetzung  eintritt.  Ihr  Kaliumsalz  C+H^ClOgK  bedarf  bei  16- 5^  etwa  736  Th. 
absoluten  Alkohol  zur  Lösung.  —  «-Chlorisocrotonsäure  —  aus  Crotonsäuredichlorür 
durch  Einwirkung  von  Alkali  (vgl.  S.  726—727)  —  bildet  zarte  Nadeln,  schmilzt  Wi 
66—66-5«,  löst  sich  in  15-3  Th.  Wasser  von  19°,  ist  mit  Wasserdampf  viel  leichter 
flüchtig,  als  die  «-Chlorcrotonsäure,  und  geht  in  letztere  Säure  theilweise  schon  bei 
der  Destillation  mit  Wasserdampf,  glatt  durch  zwölfständiges  Erhitzen  auf  150— ItJO** 
über;  ihr  Kaliumsalz  löst  sich  bei  16-5«  schon  in  etwa  22  Th.  absol.  Alkohol 

I^-Chlorcrotonsäure  —  aus  Acetes-sigester  vgl.  S.  498 — 499,  und  aus  Tetrolsäüre 
durch  Anlagerung  von  Chlorwasserstoff  —  bildet  lange  nadelförmige  Krystalle,  schmilzt 
bei  94«,  siedet  unter  theilweiser  Veränderung  bei  206—211«,  löst  sich  in  35-2  Th. 
Wasser  von  19«  und  ist  mit  Wasserdampf  nur  langsam  flüchtig;  bei  längerem  Er- 
hitzen auf  etwa  130«  wird  sie  grösstentheils  in  >?- Chlorisocrotonsäure  umgewandelt.  — 
^-Chlorisocrotonsäure  —  aus  Acetessigester  vgl. S. 498— 499  und,  wie  eben  erwähnt, 
durch  Umlagerung  aus  /^-Chlorcrotonsäure  —  schmilzt  bei  61«,  siedet  bei  195«,  löst  sich 

^  Feoelich,  Ztschr.  Chem.  1869,  270.  —  Geüther,  Ztschr.  Chem.  1871,  239.  - 
Krämer  u.  Pinner,  Ann.  158,  51  (1871).  —  Sarnow^  Ann.  164,  93  (1872).  —  Wallaih, 
Ann.  173,  301  (1874).  Ber.  10,  1530  (1877).  —  Kahlbaum,  Ber.  12,  2335  (1879j.  - 
Claus  u.  Lischke,  Ber.  14,  1089  (1881).  —  Friedrich,  Ann.  219,  322,  368  (1883).  - 
Melikoff,  Ann.  234,  200,  203  (1886).  —  Wislicenus,  Ber.  20,  1008  (1887).  Ann. 
248,  281,  337  (1888).  —  Michael,  Ber.  20c,  792  (1887).  —  Michael  u.  Bäowke, 
J.  pr.  [2]  36,  174  (1887).  Jb.  1887,  1679.  —  Michael  u.  Pendleton,  J.  pr.  [2J  38,  1 
(1888).  —  Michael,  ebenda,  10  Anm.  1.  —  Koll,  Ann.  249,  324  (1888).  —  Exke, 
Ann.  256,  201  (1889).  —  Ostwald,  Ztschr.  f.  physik.  Cheni.  3,  244  (1889).  —  Aüten- 
rieth,  Ann.  259,  358  (1890).  —  Fittig  u.- Clutterbuck,  Ann.  268,  108  (1891).  — 
Michael  u.  Schülthess,  J.  pr.  [2J  43,  594  (1891);  46,  237,  247,  254,  260,  264  (1892J. 
—  Michael,  J.  pr.  [21  46,  270  (1892).  —  J.  Ad.  Wislicenus,  Inaug.-Dissertation 
(Leipzig  1892). 


Hahgcnderioate  der  Mahnsäiire. 

in  52'4  Tb.  Wasser  von  Itt''  und  ist  mit  Waaserdampf  sehr  leicht  flüchtig 
Sfiurea  werden  duri'h  Erhitzen  mit  starker  Kalilauge  griisatentbeils  tu  Aci 
KohlensJture  fcespnlten.  Lifiast  man  sie  mit  flbersehiisBi$;cr  Natroiilauge  bei 
tempeiatur  sti'lien,  so  gehen  sie  in  Tetrolsäure  über,  und  zwar  die  {3-0h1orcrc 
bedeutend  raaeher  &bi  die  /^-Chlorisoerotonsäure.  Die  Natriumsalze  beidei 
werden  durch  Erhitzen  auf  170—180°  unter  Bildung  von  Allyle.i,  Kohlensi 
Cblomatrium  zersetzt. 

Bromderivate  der  Crotonsftnrcn'.  »-BromcrotonsSure  -  au 
brombuttereSurc  uud  aas  Isocrotonsliuredibromiir  (vgl.  S.  727)  durch  Broi 
Hrißabapaltiing  —  bildet  lan;;e  Nadeln,  schmilzt  bei  I06'I>°  und  spalti-t  i 
diinntcr  Kalilange  in  der  Wiirmc  rasch  uod  vollständig  Bromwasserstolf 
KaliuDisalz  löst  sich  bei  21°  in  493-4  Th.  »9-5proc.  Alkohol;  durch  Heda< 
Natrinuiamalgam  liefert  sie  feste  CrotonsSurc.  —  »-Bromisocrotonsüuri 
Cri>ton!<äuredibromid  —  bildet  lange  Nadeln,  schmilzt  bei  92°,  spaltet  mit  ve 
Kalilauge  langsam  und  unvollstSndig  Bromwa<uersloff  ab  und  geht  durch  15-f 
Erhitzen  auf  130  —  140°  glatt  in  ii-BromcroEousäure  über;  ihr  Kaliumsalz 
bei  21"  schon  in  10-8  Th,  99-5  proc.  .Alkohol.  Ueber  ihr  Verhalten  beider  E 
vgl.  S.  TtS. 

^-Bromcrotonsäurc  —  aus  TctroMure  und  Bromwasserstoff  —  bild 
Nadeln  und  schmilzt  bei  94-5—95°.  —  fi-Bromisocrotonsfiure  ist  noi 
bekannt. 

Ueber  Bromderivate  der  HethakrylsiCure  vgl.  S.  7.=i9. 

Ueber  Entstehung  von  Mono bromderi Taten  bShercr  Glieder  der  0< 
reihe  durch  Bromirnng  von  FetlaHuren  vgl.  S.  711. 

Ueber  Entstehung  uud  Verhallen  von  Mon «ha lobender) Taten  der  Em 
und  BrassIdlnsHurc  vgl.  S.  729. 

III.  UaLog^nderlrate  der  mehrbasischen  SSurea. 

Halog^DderlTate    der  MaloosSure.    Chlurmalonsfiure*  CO.H-CH( 

—  durch  Verseifuog  ihre,-'  Esters  mit  kaltem  alkoholischen  Kali  gowinnbar  ■ 
glänzende  Krystalle,  schmilzt  bei  1.^3",  ist  in  Wasser  leicht  löslich  uud  zei 
\m'  in  Kohlensliure  und  Chloressigsäure;  ihr  Diäthylester  CO,(C,Hs 
CO^HiHs)  wird  leicht  durch  Chlorirung  von  Malonsäiircestor  gewonnen  u 
daher  zuweilen  zu  Synthesen  (vgl,  S,  TO.'JI;  er  siedet  bei  221°,  besitzt  bei 
spec.  Gew.  1-185,  giebt  durch  Erwärmung  mit  wSssrigeu  Alkalien  Tarb 
mit  alkoholischer  Natriumäthylatlösung  Natriumchlormalonsftureestcr  CO 
CNaCI-CO,H',ll,l.  —  Diehlormalonafiureeater'  COjC,Hs)-(;Cl,-CO,lC,l 
duTth  weitere  Chlorirung  des  MonoehlormalonsHureesters  gewonnen  werde 
unter  geringer  Zersetzung  bei  231 — 234°  und  besitzt  bei  17"  daa  spoc.  Gew.  1 

'  Michael  u.  Nobtos,  Jb.  1880,  790.  —  Biscrofp  u.  GirruzEiT.  Bfir, 
(1881).  —  C.  KoLBE,  J.  pr.  |2|  26,  38S,  394  (1882).  —  Ehlenmever  u.  Müm 
15.  49  [18H2I.  —  Michael  u.  Browne,  J.  pr.  121  36,  2r)7  (1MS7I,  Jb.  1887, 
Michael  u.  Pendleton,  J.  pr.  [2]  38,  1  (18SM).  —  WisricKNua  u.  Lanobeih,  Ai 
31B  (1X881  —   WisucENDS,  ebenda,  327,  337,  342,  —  Bisckoff,  Ber.  23,  192 

—  Ftmo,  Ann.  268,  34  (18901.  —  Michael  u.  Si.-hl'i.thess,  J.  pr.  [2J  46, 
(1992),  -  MtcHAEr,.  ebenda,  2(i8. 

'  CoNHAU  u,  Biscnopr,  Ann.  309,  218  (1881).  —  Cünrao,  ebenda,  242,  — 
u.  Gdthzelt,  Ber.  16,  605  (1982).  —  Bischopp,  Ber.  16,  1045  (IÖS3I. 
'  Conrad  u.  BallCKBER,   Ber.  24,  2993  (1892J. 


734  Monohalogenderivate  der  Bemsteinsäure, 


Brommalonsäure**'  COjH-CHBr-COjH  kann  durch  Reduction  von  Dibrommalon- 
Bäure  erhalten  werden  und  bildet  zerfliessliche  Krystalle;  der  Diäthylester  entsteht 
durch  Bromirung  von  Malonsäureester,  siedet  unter  theil weiser  Zersetzung  bei  233 — 235'' 
und  besitzt  bei  15°  das  spec.  Gew.  1'426.  —  Dibrommalonsfiure*'*  — durch  Bromiren 
von  Malonsäure  —  schmilzt  bei  126 — 128°,  ist  in  Wasser  äusserst  löslich  und  giebt 
beim  Kochen  mit  Baryt  Mesoxalsäure;  ihr  Diäthylester  siedet  unter  theil  weiser 
Zersetzung  bei  250—256°. 

Die  Halogenderivate  der  Bemsteinsäure  stehen  in  nahen  Beziehungen  zur 
Fumar-  und  Maleinsäure,  diejenigen  der  Methylbernsteinsäure  oder  Brenzweinsäure 
zur  Ita-,  Citra-,  und  Mesaconsäure;  sie  bieten  daher  wieder  Anlass  zu  stereochemischoii 
Discussionen. 

Monochlorbernsteinsäure**  COsH.CHCl-CHj.COgH  (Schmelzpunkt 
151  «5 — 152°)  entsteht  in  optisch  inactiver  Form  sowohl  aus  Fumarsäure  wie  aus 
Maleinsäure  durch  Anlagerung  von  Chlorwasserstoff;  active  rechtsdrehende  Mono- 
chlorbernsteinsäure  (Schmelzpunkt  174°)  kann  aus  Linksäpfelsäurc  (S.  795)  durch  vor- 
sichtige Behandlung  mit  Phosphorpentachlorid  gewonnen  werden.  M  o  n  o  b  r  o  in  - 
bemsteinsäure*-*  COjH-CHBr-CHj-COjH  (Schmelzpunkt  159°)  entsteht  aus 
Fumarsäure  bezw.  Male'msäure  durch  Anlagerung  von  Brom  Wasserstoff  (vgl.  S.  682 1 
und  kann  femer  leicht  durch  Bromirung  der  Bemsteinsäure  nach  der  ;Hell- 
YoLHABD-ZELn^SKY'schen  Methode  gewonnen  werden  (vgl.  S.  709  —  710).  Brom- 
bernsteinsäure liefert  durch  Kochen  mit  Wasser  Fumarsäure  (Darstellungsweise  der 
letzteren  vgl.  S.  681),  Brombernsteinsäureester  bei  der  Destülation  unter  gewöhnlichmi 
Druck  Fumarsäureester;    Chlorbernsteinsäureester   kann    unverändert   unter  gewölin- 

/CHCl-CO^ 
lichem  Druck  destillirt  werden.    Die  Anhydride  der  beiden  Säuren  1  '  ß 

CHBr— COv       \  ^^«      ^^' 

bezw.    I  ^0  1  spalten  bei  der  Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck  Halog«'"- 

CH, CO/      / 

Wasserstoff  ab  und  liefern  MaleYnsäureanhvdrid. 

Durch  Addition  von  Halogen  an  Maleinsäure  und  Fumarsäure  ist  die  Entstehuui: 

von  structuridentischen  (symmetrischen)  Dihalogenbernsteinsäuren: 

CO,H .  CH  :  CH .  COjH  +  Br,  =  COjH  •  CHBr  •  CHBr  •  CO^H 

zu  erwarten,  die  aber  in.  beiden  Fällen  bei  normalem  Reactionsverlauf  räumlich 
isomer  sein  müssen.  Der  Vorgang  ist  —  vom  Standpunkt  der  Theorie  aus  betrachtet 
—  im  Allgemeinen  analog  der  Halogenaddition  an  die  stereoisomeren  Crotonsioreu 
(vgl.  S.  722  ff),  wird  aber  dadurch  etwas  modificirt,  dass  das  entstehende  Produkt 
nicht  zwei  ungleichartig  asymmetrische,  sondern  zwei  gleichartig  asymmetrisi'he 
Kohlenstoffatome  aufweist.  In  Bezug  auf  die  Stereoisomeriemöglichkeiten  haben  wir 
hier  den  gleichen  Fall  wie  bei  den  symmetrisch  dialkylirten  Bemsteinsäuren  (vjrl. 
S.  668)  und  der  Weinsäure  (vgl.  S.  801);  es  kann  also  das  Additionsprodiikt  in 
folgenden  Formen  auftreten: 

*  Conrad  u.  Beückner,  Ber.  24,  2993  (1891). 

*  Petriefp,  Ber.  11,  415  (1878).  —  E.  Knoevenagel,  Ber.  21,  1355  (18S8). 

»  Petriepf,  Ber.  7,  400  (1874).  —  Freund,  Ber.  17,  782  (1884).  —  Wislicesi.-. 
Ann.  242,  77  (1887).  —  Auwers  u.  Bernhardi,  Ber.  24,  2229  (1891). 

*  Ansch(Jtz  u.  Bennert,  Ann.  264,  155  (1889). 

«  Emery,  Ber.  23,  3757  (1890).  —  Walden,  Bef.  26,  214    (1893). 

°  KEKüLt,  Ann.  117,  125  (1860);  130,  21,  30  (1864).  —  Fittio  u.  Dorn,  Auu. 
188,  87  (1877).  —  Schacherl,  Ber.  14,  637  (1881).  —  Hell,  ebenda,  891.  —  Volhibd, 
Ann.  242,  141  (1887).  —  Auwers  u.  Imhäuser,  Ber.  24,  2234  (1891).  —  Iaxatar, 
Ber.  24c,  970  (1891).     Ann.  273,  36  (1892).  —  Hell  u.  Poliakoff,  Ber.  25,  640(1892). 


Addition  von  Halogenen  an  Fumar-  und  Maleinsäure. 

1.   eine  rechtsdrebende  ond  eine  linkedTehende  Form,  in  derei 

die  Wirkung   der   beiden  asymmetriHchen   Systeme   in   gleichem  Sinne  ( 

demnach  summirt: 

CO,H  CO,H 

I  I 

H-  '    -Br  Bi — ,"H 


H  H 

Durch  Vereinigung  dieser  beiden  Formen  wird  eine  inactive,  spaltb 
fication  entstehen,  und  eine  ähnliche  Ueberlegung,  wie  sie  S.  723^ 
Crotonsfloren  angestellt  wurde,  zeigt,  das?  gerade  diese  Modification  bc 
Halt^enaddition  aus  der  Pumarsfiure  hervorgehen  wird;  noch  der  Drebuni 
Halogen wasserstoffabapsltung  geeigneten  Confignralionen  ihrer  Componenl 
Br  Br 

CO,H-        H  H      1      CO,U 

CO.H         -  Br  Br       — Cü.H 


ergeht   man,    daas   durch  Abspaltung  von  1  Mol.  Halogenwasserstoff  ein 
mslelnsäure: 

CO,H  ii 

CO,H        -  Br 

gebildet  werden  sollte. 

S.  eine  Modification,  in  welcher  die  beiden  asjm metrischen  Sjsten 
gegenwirken,  welche  mithin  durch  intr&moleculare  Compensatio 
demzufolge  nieht  spaltbar  in  active  Modificalionen  sein  wird;  sie  en 
Raum  form  el: 

CO,H 

H      i      Br 


Man  übersieht  leicht,  daaa  diese  Modification  aus  der  MaloYns&ure  bei  normal 
addition  entstehen  wird  und  dass  ihre  znr  Abspaltung  von  1  MolccQI  Hai 
Stoff  geeignete  Configuration: 


CO,H 
e  HalogenfumaTBSure  entstehen  lassen  wird. 


I 


786  DihcUogenderivate  der  Bernsteinsäure. 


In  der  That  sind  zwei  isomere  Dichlorbernsteinsäuren*  —  Dichlorbern- 
steinsäure  aus  Fumarsäure:  Schmelzpunkt  215^,  Isodichlorbcmsteinsäure  aus  Malein- 
säure: Schmelzpunkt  175°  —  erhalten  worden;  .beide  liefern  bei  der  Abspaltung  von 
Chlorwasserstoff  indessen  Chlorfumarsäure. 

Die  Beobachtungen  über  die  Dibrombernsteinsäuren*  (vgl.  S.  683)  ent- 
sprechen besser  den  Forderungen  der  Theorie. 

Aus  Fumarsäure  entsteht  eine  gewöhnlich  schlechtweg  Dibrombernstein- 
säure  genannte  Säure  (Fumarsäuredibromid),  welche  grosse  Krystalle  bildet,  etwa 
50  Th.  kaltes  Wasser  zur  Lösung  erfordert^  durch  längeres  Kochen  mit  Wasser 
Brommaleinsäure  liefert. 

Aus  Maleinsäure  entsteht  die  davon  verschiedene  Isodibrombernsteinsäure 
(Malcinsäuredibromid),  welche  ebenfalls  gut  krystallisirt,  in  Wasser  sehr  viel  leichter 
löslich  ist  als  die  isomere  Säure,  bei  etwa  160^  schmilzt  und  beim  Kochen  mit 
Wasser  Bromfumarsäure  liefert. 

Beide  Säuren  entstehen  auch  durch  directe  Bromirung  der  Bemsteinsäure.  Beide 
können  durch  Behandlung  mit  Basen  glatt  in  Acetylendicarbonsäure  übergeführt  werden. 
Aus  beiden  Säuren  erhält  man  durch  Behandlung  mit  Silberoxyd  Säuren  von  der  Struetur 
COjjH-CHCOHlCIKOHjCOjH  (Näheres  vgl.  S.  812—813  bei  synthetischen  Bildnngs- 
weisen  der  Weinsäuremodificationcn).  Eine  Structurverschiedenheit  der  beiden  Säuren  ist 
daher  zum  mindesten  höchst  unwahrscheinlich.  Abnorm  im  Sinne  der  stereochemischen 
Theorie  (vgl.  S.  728)  ist  der  Befund,  dass  sowohl  aus  Dibrombemsteinsäureester  wie 
aus  Isodibrombernsteinsäureester  durch  Einwirkung  von  Zinkspähnen  bei  niedriger 
Temperatur  Fumarsäureester  gebildet  wird;  im  letzteren  Falle  wäre  bei  normalem 
Reactionsverlauf  die  Entstehung  von  Maleinsäiireester  zu  erwarten. 

Die  Halogensabstittttionsproduke  der  Fumarsäure  und  MaleYnsäare  werden 
zweckmässig  ghdch  im  Anschluss  an  diejenigen  der  Bernsteinsäure  besprochen. 

Monochlorderivate'*.  Durch  Einwirkung  von  Phosphorpen tachlorid  auf 
Traubensäure  erhält  man  das  Chlorid  COCl-ClliCCl-COCl  (Siedepunkt  184.5-187-5'') 
der  Chlorfumarsäure  COjHClI :  CCl-COs»  ,  welch'  letztere  daraus  durch  Zer- 
setzung mit  Wasser  gewonnen  wird,  bei  188—189°  schmilzt  und,  mit  Acetylchlorid  be- 
handelt, das  Chlorraaleinsäureanhydrid  C4HCIO8  (Schmelzpunkt  +34-5^  Siede- 
punkt 196-3°)  liefert.  Aus  diesem  Anhydrid  entsteht  durch  W^asseraufnahme  die 
Chlormalei'nsäure,    welche   beim  Eindampfen   ihrer   stark    salzsauren  Losung  in 


*  MicuAEL  u.  TissoT,  J.  pr.  [2]  46,  392  (1893). 

«  KEKULt,  Ann.  117,  123  (1860);  Ann.  Suppl.  1,  131,  352  (1861);  2,  88  (1862). 
Ber.  6,  624  (1873).  —  Fkanchimont,  Ber.  6,  199  (1873).  —  AnschCtz,  Ber.  10.  1884 
il877).  —  Bandrowsky,  Ber.  10,  838  (1877);  12,  344  (1879).  —  Petri,  Ann.  195,  57 
(1878).   —  PicTET,  Ber.  13,   1669  (1880).  —  Claus  u.  Helpenstein,  Ber.  14,  624  (18811. 

—  Leurfeld,  ebenda,  1816.  —  Mulder  u.  Hamburger,  Rec.  trav.  chim.  1,  154  (1882). 

—  Beilstein  u.  Wiegand,  Ber.  15,  1499  (1882).  —  Baeyer,  Ber.  18,  676  (18^5).  — 
Demuth  u.  V.  Meyer,  Ber.  21,  264  (1888).  —  Gorodetzky  u.  Hell,  ebenda,  1729, 
1801.  —  Ossipow,  Jb.  1888,  1827.  —  Pum,  Monatsh.  0,  446  (1888).  —  Mcldeb  a. 
Welleman,  Rec.  trav.  chim.  7,  334  (1888).  —  Wislicenüs,  Ann.  246,  64  (1888).  — 
AuwERS  u.  Imhäüser,  Ber.  24,  2235  (1891).  —  Michael  u.  Schulthess,  J.  pr.  (2  43, 
591  (1891).  —  Shields,  Joum.  Soc.  59,  739,  742  (1891).  —  Hell  u.  Pouakoff,  Ber. 
25,  640  (1892).  —  Michael  u.  Maisch,  J.  pr.  [21  46,  233  (1892).  —  Lossen,  Ann. 
272,  127  (1892).   —  C.  Liebermann,  Ber.  26,  250  (1893). 

^  Perkin  u.  Düppa,  Ann.  115,  105  (1860).  —  Kauder,  J.  pr.  [2]  31,  28  (1884). 

—  Perkin,  Ann.  129,  373  (1864).  Journ.  Soc.  53,  695  (1888).  —  Henry,  Ann.  156,  178 
(1870).  —  Claus,  Ann.  191,  80  (1877).  —  Michael  u.  TissoT,  J.  pr.  [2]  46,  393, 395(1893). 

♦  Bandrowsky,  Ber.  15,  2694  (1882).  —  Walden,  Ber.  26,  210  (1893). 


Halogendenvate  der  Fumar-  und  Maleinsäwe. 

Chlorfamarstare  übergeht;  über  Entstehung  der  ChlorfumarsSure  &ub  Die 
sinre  vgl.  S.  t36. 

Monobromderivate'.  Die  Entetehnng  der  beiden  etereoiaoi 
C0,H.CBr:CH-CO,H  aus  den  beiden  DibTOmbemsteinoäoren  ist  8.  73 
BromfumaraSure  schmilzt  hei  178"  und  giebt  durch  Erhitzen  Broi 
uihydrid,  BrommaleTnsäure  schmilzt  bei  128°  und  giebt  mit  rauc 
waaBeratoflsäure  Dihromheriisteinaöure  unter  theilweiaer  Umlagerung  ü 
s:iiire,  durch  Kochen  mit  yerdünnter  BromwaaserstoSaäure  ebenfalls  Bro 
auch  beim  Erhitzen  im  zngeschmolzenen  Bohr  geht  BrommaleVnsäure  ü 
säure  über;  Brommaleinsäureanhjdrid  siedet  bei  215'. 

Diese  Honobalogenderivate  zeigen  mithin  zu  einander  ganz  analoge 
wie  FamarsSure  und  Maleinsäure;  es  li^  daher  nahe,  in  der  Weise, 
geschehen  ist,  die  eine  Säure  als  Brom-  bezw.  Chlorfiimaraäure,  die  and 
bezw.  ChlonnaleVnafiure  zu  bezeichnen.  Aber  es.  muss  betont  werden,  di 
Spruch  mit  dieser  Au£Eittaung  beide  Säuren  bei  der  S^duction  mit  Nat 
ziuKchat  FumarsSure,  dann  Bemateins&nre  liefern.  Aach  steht 
iprechendeu  Raumformeln  die  Thateache  nicht  in  Einklang,  dass  Acel 
sCore  durch  Addition  von  Brom  Wasserstoff  unter  solchen  Bedingung! 
fertige  Brommalelnsäure  nicht  in  Bromfumaraäure  umgelagert  wird,  Br 
üeferL 

Dihftlogenderivate'.  DichlormaloTnsäure  C0,HCC1:CC1-C 
punkt  119-120')  und  Dibrommaleinsäure  CO,HCBr:CBr.CO,H  ( 
123°)  sind  ans  Bemsteinsäure  durch  kräftige  Einwirkung  von  Fhosphorpei 
Zersetzung  des  Reactionsprodnkts  (DichlormaleTnsäuretetiachloride)  mit 
beiw.  bei  der  Bromimng  erhalten  worden.  Ala  Derivate  der  Maleinai 
sie  sich  durch  die  leichte  Ueberführbarkeit  iu  Anhydride.  Ihre  Imidc 
der  Einwirkung  von  Chlor  bezw.  Brom  auf  Succinimid  und  werden  au 
den  dem  Sncciuimid  uahestehendeu  Pyrrolderivaten  (vgl.  Bd.  II)  gebild 
nalelDsäuTeanhydrid  schmilzt  b<;i  119  —  120°,  das  Imid  bei  IT! 
naleinsäureanhydrid  schmilzt  bei  IlT  — 116",  das  Imid  bei  225^ 

Dorcb  Vereinigung  von  Acetylendicarbonsäure  mit  Brom'  sollte  si( 
Dach  bei  normalem  Kcactions verlauf  lediglich  Dibrommaleiusäurc  biiilei 
indessen  bei  der  Addition  im  Sonnenlicht  ei»  Gemisch  von  Dibrom 
imd  DibrommalelneSure,  in  welchem  eisteie  Säure  (Schmelzpunkt  22 
wiegt  Der  Acet^lendicarbonsSureester  giebt  ebenfalls  durch  Bromadi 
milch  von  DibromfumarHäureester  und  Dibrommaleinsäureester. 

Ans  Itaconsäure,  Citraconsäure  und  Mesaconsäure  entstehen  durcl 
ton  Halogeuwasserstoff  Honobslogenderivate,  durch  Anlagerung  der 


■  KsKinJ,  Ann.  130,  1  (IttSi);  131,  87  (1S64);  Ann.  Suppl.  1,  368 
I  I3b2(.  —  Petri,  Ann.  196,  61  (1876).  —  AmscbOtz,  Ber.  10,  1884  (1877).  ~ 
B«r.  12,  314  (1S79);  16,  2697  (1882).  —  Schbiies,  Ann.  227,  234  (ISSI 
II.  V.  Meveb,  Ber.  21,  267  (1888).  —  Wisucends,  Ann.  240,  53  (1888). 
fMBuTOK,  J.  pr.  [2]  38,  4  (1888).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  48,  215,  216, 

'  Kbeüi.£,  Ann.  130,  2  (1864).  ~  LiKPBicBT,..Ann.  165,  294  1137! 
J.  pr.  [2j  31,  1  (1884).  —  Hill,  Ber.  13,  736  (1880),  —  CiAiiiciiB  u. 
Ifl,  2384  (1833);  17,  553,  1743  (1884);  33,  33  (1889).  —  Zincke  u.  Fi 
l.'tse  (1890).  —  Hbndbikson,  Ber.  23c,  584  (1890).  —  Anobu  u.  Ciahii 
76,  1347  (1891).  —  Bbdce,  ebenda,   4118.   —   Zincee  u.  Fircns,   Ann.  2l 

'  Bakdbowsky,  Ber.  12,  2213  (1879).  —  Wlslicendm,  Ann.  246, 
Michael,  J.  pr.  [2]  48,  210  (1892). 

V.  HnKB  u.  JacObSOX,  org.  Clwiii.  1.  47 


738  Haiogenderivate  der 


halosrenderiTate  der  Brenzweinsänre  (vgl.  S.  665).    Die  isomeren  Säuren^  werden 

durch  Bezeichnungen  unterschieden,  welche  ihre  Provenienz  angeben. 

Itabrombrenzw einsäure   (Schmelzpunkt  137°)  muss   ihr    Bromatom  in  der 

/-Stellung    zu    einer    Carbozylgruppe    enthalten,    mithin    die    Constitutionsformel 

CH,Br.CH.CO,H 

I  besitzen,  da  sie  beim  Kochen  mit  Wasser  eine  Lactonsäure  —  die 

CHjCO.H 

CH,-CH(CO,H).CH, 
ParaconsÄure     I  I        (vgl.  S.  799)  liefert. 

Citrabrombrenzweinsäure  (Schmelzpunkt  148°)  entsteht  aus  Citracousäun' 

sehr  leicht  (schon  in  der  Kälte),  aus  Mesaconsäure  schwieriger  (erst  beim  Erwärmen) 

durch   Anlagerung   von   Bromwasserstoff.     Sie   zerfällt  beim    Kochen   mit  Soda  iu 

Kohleusäure   und    Methakrjlsäure   (Gleichung  s.  S.  504);    hieraus   eigiebt  sich  ihre 

CHaCBr.CO,H 
Structur  als  der  Formel  |  entsprechend,  da  eine  Säure  von  der  Stnictiir 

Ccii  *  CofH 

CHgCHCOgH 

I  in  dieser  Beaction  Crotonsäure  liefern  müsste. 

CHBrCOtH 

CH,Br.CBr.CO,H 
Itadibrombrenzweinsäure  |  liefert    durch    Kochen    mit 

CHjCOjH 

/CH, .  qCOjH) :  CH  CH :  qCO.H)  •  CH,  \ 

Wasser  Akonsäure  (  1  |  oder      1  I        )  • 

\Ö CO  0 CO  / 

Mesadibrombrenzweinsäure  (Schmelzpunkt  bei  raschem  Erhitzen:  204^jan<i 
Citradibrombrenzweinsäure  (Schmelzpunkt  150°)  stehen  zu  einander  in  ähnlichem 
Verhältniss  wie  Dibrombemsteinsäure  und  Isodibrombemsteinsäure,  Crotoosaure- 
dibromür  und  Isocrotonsäuredibromür.  Ihre  Zersetzungen  sind  leicht  verständlich 
wenn  man  für  beide  Säuren  die  Structurformel: 

CH,.CBr-CO,H 


i 


)HBr-COjH 

annimmt;  Citradibrombrenzweinsäure  muss  nach  der  Theorie  aus  den  beiden  opüsib 
entgegengesetzten  Modificationen: 

Br  Br 


CH,— 
H— 


— CO,H  CO,H 

und 

— CO,H  COjH 


-CHa 
H 


Br  Br 

Mesadibrombrenzweinsäure  aus  den  beiden  ebenfalls  enantiomorphen  Configorationeo: 


»  KBKULi,  Ann.  Suppl.  1,  339  (1861);  2,  96  (1862).  —  Swarts,  Ztschr.  Chem. 
1866,  722.  Jb.  1873,  582.  —  Frrrio  u.  Prehn,  Ann.  188,  42  (1877).  —  Fittio  u. 
Landolt,  ebenda,  71.  —  Petbi,  Ben  14,  1637  (1881).  —  Friedrich,  Ann.  203,  353 
(1880).  —  Fittio  u.  Krüsbmark,  Ann.  206,  1  (1880).  —  Frrrio  u.  Beer,  Ann.  21Ö,  Ti« 
(1882).  —  AüWERS  u.  ImhXüser,  Ber.  24,  2237  (1891).  —  Michael  u.  ScHULTHias,  J. 
pr.  [2]  43,  593  (1891);  45,  60  Anm.  (1892).  —  Michael  u.  Tissot,  J.  pr.  [2]  46,  Sö4, 
390,  396  (1892).  —  Fittig,  Ber.  26,  47  (1Ö93). 


— CH, 
— CO,H 


CH,- 
CO,H- 


Br 


bestehen.  Von  besonderem  IntereaBe  ist  die  Zersetzung,  welche  beide  Si 
ErwSnnen  mit  Soda  erleiden.  Citradibrom  brems  Weinsäure  liefert  Koblensfim 
aidebjd  and  eine  SSnre  C4HfBrO,,  die  aich  als  Brommethaktjlsfiure 
Reducirbarkeit  zu  laobuttersäure  erweist;  MeBadibrombrenzweiDBäuxe  liefert  i 
Prodnkte,  aber  neben  jener  BrommethakrylBäure  in  erheblicher  Ueuge 
zuaammengeeetzte  Sfiure,  die  ebenfalls  durch  Reduction  IsobuttersSnre  '. 
daher  als  Isobrommethakrylafiiire  bezeichnet  wird.  Das  Auftreten  de 
uldehyds  kann  man  sieb  durch  Abapaltuug  von  2  Mol.  BTomnatrinm  u 
Kohlensäure  unter  gldchzeitiger  Aulnahme  von  1  Mol.  Wasser  erkläret 
CH,  ■  OBr  ■  CO,Na  CH,  ■  CH, 

I  +  H,0  =  aNaBr  +  3C0,  +  | 

CHBrCO,Na  CHO 

Die  Bildung  von  zwei  st«reoisomeren  ^BrommethakrylsSuren  wird  von  der 
fordert,  wie  sich  leicht  ergiebt,  weuu  man  die  Configurationen  eonstruirt,  in  i 
Br  und  CO,Na  über  einander,  also  in  der  zur  Abspaltung  geeigneten  Stelhiii 
CH,  CH, 


CO,Na— |— Br  B[— 

H— '— CO,Na  CO.Na 


—  CO.Na 


=  NaBr  +  CO,  + 


CO,Na-- 


CHteadibrombrenzweinsäure 
CO,N»  CO,Na 


Br 


laobrommet] 


Mesadibrombrenz  wei  nsliure 
—  Beim  Kochen  mit  Wasser  liefert  die  Mesadibrombrenz Weinsäure  nebi 
ul'lcbjd,  Bromwaaserstoff  und  Kobicnsiturc  Bromcitracousüureanhydrid;  ci 
dies  der  Bildung  von  BrommoleYnsäure  aus  Fumarsäuredibromid  (])ibr<. 
^Üurc,  vgl.  S.  736).  —  Auch  hier  indess  steht  das  Verhalten  dea  Citradibroi 
säureeatera  bei  der  Entbromung  durch  Zink,  wie  dasjenige  des  Isodibrc 
^iS^^eeaters  (vgl.  S.  T3S),  nicht  im  Einklang  mit  den  Forderungen  der  Tl 
des  enrarteten  GitraconsäurecsterB  erbfilt  man  den  Mesa  on  ä      este 

Die  entsprechenden  Chlorderivate — Citradicblo   b      n   w     n   ä 
pnnkt  119— 120°)andMesadichlorbreniWcin8Su      (S  hm  1  p   nkt  123 
b«ide  bei  der  Abspaltung  von  Halogen  Wasserstoff  dur  h    Ikohol  seh      kal 
vun  Chlorcitraconsäure  und  Chlormesaconsänrc. 


47* 


740  Vorkommen  und  Büdwng  von  Oxyswuren, 


Neunundzwanzigstes  Kapitel. 

Oxysäuren  oder  Alkoholsäuren  I.    Die  Hydroxylderivate 

der  einbasischen  Säuren. 

(Allgemeines  über  Oxysäuren.  —  Die  Monohydroxylderivate  der  Fettsäuren  (Glykol- 
säurereihe).  —  Die  Poljhydroxylderivate  der  Fettsäuren  (Glycerinsäure,  Pentonsanreu, 
Hexonsäuren  etc.).  —  Die  Hydroxylderivate  der  Oelsäuren.) 

Allgemeines  über  Oxysäuren. 

Die  Hydroxylderivate  der  Carbonsäuren  oder  Oxysäuren  —  Ver- 
bindungen also,  deren  Molecül  sowohl  Carboxylgruppen  wie  auch  al- 
koholische Hydroxylgruppen  enthält,  —  vereinigen  in  ihrem  chemischeD 
Verhalten  den  Charakter  der  Carbonsäuren  und  Alkohole.  Sie  können 
mithin  auch  als  „Alkoholsäuren"  bezeichnet  werden. 

Die  Zahl  der  bekannten  Oxysäuren  oder  Alkoholsäuren  ist  ausser- 
ordentlich gross;  es  wird  daher  nothwendig  sein,  sie  in  verschiedene 
einzelne  Klassen  nach  der  Anzahl  der  Hydroxyl-  und  Carboxylgruppeu 
und  nach  der  gegenseitigen  Stellung  dieser  Gruppen  einzuordnen. 

Zu  den  Oxysäuren  gehören  einige  der  wichtigsten  und  verbreitetsten 
Pflanzensäuren,  so  die  Aepfelsäure,  Weinsäure,  Citronensäure.  Es 
gehört  femer  zu  ihnen  eine  grössere  Gruppe  von  Säuren,  welche  zu  den 
Zuckerarten  in  nächster  Beziehung  stehen  und  ausserordentliche  Be- 
deutung für  die  in  der  letzten  Zeiten  mächtig  geförderte  Kenntmss 
dieses  Gebiets  erlangt  haben.  Auch  besitzen  einige  Oxysäuren  mit 
asymmetrischen  Kohlenstoflfatomen  in  theoretischer  Beziehung  besonderes 
Interesse,  da  an  ihnen  die  Theorie  vom  asymmetrischen  KohlenstoflFatom 
die  eingehendste  experimentelle  Prüfung  gefunden  hat  (vgl.  Milchsaure, 
Aepfelsäure,  Weinsäure). 

Für  die  künstliche  Bildung  von  Gliedern  dieser  überaus  wichtigen 
Köi^perklasse  besitzen  wir  Methoden  in  grosser  Zahl.  Fast  alle  jene 
Processe,  welche  zur  Bildung  von  Alkoholen  oder  Carbonsäuren  tühren 
(vgl.  S.  143  ff.,  306  ff.,  487  ff.,  561),  können  durch  geeignete  Modificationeu 
oder  durch  Combination  mit  einander  auch  für  die  Gewinnung  von 
Alkoholsäuren  brauchbar  gemacht  werden.  Hier  mögen  nur  einige 
Reactionen  hervorgehoben  werden,  welche  besonders  häutige  Anwendung 
gefunden  haben: 

1.  die  Auswechselung  der  Halogenatome  in  den  Halogen- 
derivaten  der  Carbonsäuren  gegen  Hydroxylgruppen  (vgl. S.  713). 
z.  B.: 

CH,C1C0,H  +  H,0  =  CH,(OH).CO,H  -h  HCl. 

2.  die  Verseifung  der  aus  den  Aldehyden  und  Ketoneu 
durch  Anlagerung  von  Blausäure  hervorgehenden  Cyanhydriue 
(vgl.  S.  388).  Diese  Eeaction,  welche  erlaubt,  von  Ketonen  und  Alde- 
hyden zu  um  ein  Kohlenstotfatom  reichereu  Oxysäui'en  aufzusteigen,  z.  B. : 


Oyanht/drinreaction. 

-y   CH,.CH(OH).i 

/>H 
(CH,),CO   »-     (CH^C<^         »-   (CIUC(OH).C 

ist  voll  gatiü  besunderer  Wichtigkeit,  da  sie  in  den  meistei 
glatt  verläuft  und  —  auf  Verbindungen  von  bekannter  Co 
iiewendet  —  über  die  Constitution  der  entstehenden  Prc 
Zweifel  lässt.  Auch  auf  die  zur  Zuckergruppe  gehörigen  AI 
und  Ketonalkohole  von  complicirterer  Structur  ist  sie  anw' 
CH^OH)-CH(OH)-CH(OH)-CH(OH)CHO  +  HCN 

=  CH^OH)CH(OH)CH(OH).CHlOH)-CH 

CH^OH)-  CH(OH)  ■  CH(OHI  ■  CH(OH)  ■  CH 
unil  ist  hierdurch  für  die  Untersuchungen  über  die  Coi 
iiHtürlichen  Zuckeratten  von  entscheidender  Bedeutung  g 
^.  784 — 785).  Sie  soll  im  Folgenden  kurzweg  als  „( 
reaction"  bezeichnet  werden. 

Zur  Aasfilhrang  der  Reaction '  benutzt  mBJi  entweder  fertige 
DBEcirende  BlKuafiure.  Geht  man  von  einfachen  Aldehyden  oder  1 
vcrfthrt  man  zweckmässig  in  folgender  Weise;  man  überschic): 
reines  Cyankaliuni  mit  einer  Stiierischen  L5sung  des  zu  verwend 
mler  KetonE  und  liest  nun  unter  gnter  Kühlang  und  stetem  Umräbrec 
Menge  mdglicliat  stark  raiiehender  SalzsSure  langsam  ziitropfen;  nach 
2neast  man  die  Ätherische  Lösung  von  dem  Salzbrei  ab  und  erh&it 
liunsten  derselben  das  Cyanhjdriu  in  einem  ffir  die  Verarbeitung  ^ 
Zustand.  Zur  Verseifung  übergiesst  man  dasselbe  mit  dem  doppelt 
ruure  vom  epcc.  Gew.  1-2;  naeh  kurzem  Stehen  ist  das  entsprecht 
^'i>hildet,  durch  längeres  Stehen  oder  durch  Kouben  mit  verdünnter  S 
<iii'  freien  Säuret). 

Die  Cyauhydrine  l,Oiynitrilc)  brauchen  demnach  für  die  Ai 
Ki;a('tiDn  nicht  ieolirt  zu  werden;  auch  ist  dies  nur  in  wenigen  Fl 
Siweil  bekannt,  sind  die  Cyanhydriiie  der  niederen  Aldehyde'  Flüssi 
l*i  sewÖhnliehem  Druck  unter  theÜweisem  oder  vollständigem  Zer 
iinii  Blausäure  sieden.  Das  Cyanhydrin  des  Acetons',  das  in  reinen 
iwlirt  ist,  geht  leicht  anter  Blaus&ureabepaltung  in  kijstallisirtes  Diac 

,0H       XN 
lCH,l,d-0-d(CH,),  aber. 

Auch  wenn  man  die  Reaction  auf  die  complicirteren  Aldehyda 
in  ili-n  Zuckerarten  vorliegen,   anwendet,    ist  eine  Isolimng  der  Cy 

'  Vgl.  WiBLiCBNca  u.  Ubbch,  Ann.  164,  2S8  (1872).  —  Nähere; 
Syuthetiscfae  DanteUnngsmethoden  I,  152,  166  (Leipzig,  IBSd). 

'  Vgl.  Henkv,  Compt  rend.  110,  759  (1890).  —  Simpson  u.  ( 
Chem.  1887,  6S0.  —  Lipp,  Ann.  205,  24  (1880).  —  Erlbhheteb  u.  S 
106  (1875). 

'  ÜBICB,  Ann.  104,  256  (1872).  —  TaMAxn  u.  L.  FBDWi.ii 
1971  (1881)- 


742  Bildung  von  Oxy säuren  durch  Oxydationsreactian/^n, 


nöthig.  Man  versetzt  meist  eine  wässrige,  ziemlich  concentrirte  Lösung  des  Zuckers 
mit  der  berechneten  Menge  Blausäure  und  lässt  bei  Zimmertemperatur  oder  ganz 
gelinder  Wärme  einige  Tage  stehen;  ein  Zusatz  von  einer  Spur  Ammoniak  hat  sicli 
in  mehreren  Fällen  als  sehr  günstig  fiir  die  Beförderung  der  Reaction  erwiesin. 
Unter  diesen  Bedingungen  geht  das  Cyanhydrin  gleich  in  das  zugehörige  Säureauiid 
über,  das  sich  häufig  krystallinisch  ausscheidet  Man  erwärmt  nun  auf  dem  Wasscr- 
bade,  bis  die  Blausäure  entfernt  ist,  und  verseift  das  Säureamid  darauf,  indem  man 
zur  Lösung  Baiytwasser  zufügt  und  auf  dem  Wasserbade  eindampft,  bis  der  f4enuli 
nach  Ammoniak  verschwunden  ist.  Die  so  erhaltene  Lösung  des  Bariomsalzes  wini 
mit  Schwefelsäure  genau  barytfrei  gemacht,  darauf  nach  Filtration  vom  Barium- 
sulfat auf  dem  Wasserbade  eingedampft,  wobei  man  das  Säurehydrat  bezw.  da> 
Lacton  erhält. 

3.    die  Oxydation  mehrwerthiger  Alkohole  oder  mebrwerthi- 
ger  Aldehydalkohole;  so  erhält  man  z.  B.  aus 

cHjCOH)  CO.  oh 

Glycerin:     CH(OH)     die  Grlycerinsäure:    CH(OH)  , 

I  I 

CH,(OH)  Cn,(OII) 

aus  den  Zuckerarten  von  der  Structur: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CHO 

durch  milde  Oxydation  einbasische  Oxysäuren  (Aldonsäuren) : 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  -  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO^H , 

durch  kräftigere  Oxydation  zweibasische  Oxysäuren: 

COsH .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO^H . 

Manche  Carbonsäuren  lassen  sich  direct  durch  Oxydation  mit  Kaliumpermanganat 
in  alkalischer  Lösung  in  Oxysäuren  überfuhren*  („hydroxyliren**);  es  sind  das  solche, 

welche   ein   tertiär  gebundenes  Wasserstofife-tom  — C/CH  enthalten,  z,  B.: 

-c/ 


^NCHCO^H  )-  No(OH).COjH, 


CHjv  OHjv 

NCHCHj-CO^H   >  >C(OH).CHj.CO,H. 

CU/  CH3/ 

Das  chemische  Verhalten  der  Oxysäuren  wird  durch  die  gleidi- 
zcitige  Anwesenheit  von  alkoholischen  Hydroxylgruppen  und  CarhdX'vl- 
gruppen  bestimmt.  Bei  der  Salzbildung  ti'eten  natürlich  die  Carboxyl- 
gruppen  in  Reaction: 

CEL(OH).CO.ONa ,    CH2(0H).CH(0H).C0.0Na; 

bei  der  Esterbildung  können  sich  je  nach  den  Bedingungen  die  alkoho- 
lischen Hydroxylgruppen  oder  die  Carboxylgruppen  oder  beide  zugleich 
betheiligen: 


*  R.  Meyer,    Ann.  219,  234;    220,   1  (1882).    —    Prmn  u.   Bredt,    Ann.  208, 
59  (1881). 


Derivat«  der  Oxt/sÖuren. 


CH,.0-CH,        CH,0-COCH,      CH,.OH  CH.-O-CH, 

!  ;      I  :     1  i     I 

CO -OH  CO-OH  COO-CH,      CO  OCH, 

AethersKure  Eeteralture  Ester  Aetherester 

Die  neutralen  Elster  mancher  OxjBSnren  —  z.  6.  der  Weinsäure 
durch  Wasaer  sehr  leicht  partiell  verseift;  man  mos«  daher  bei  der  Darstel 
meiden,  sie  mit  Wasser  in  Berührung  zu  bringen.  Man  leitet  zweckroä 
alkoholische  LSsnng  der  Oijsäure  unter  EQhlung  SalzsSuregas  bie  zur  Sät 
läset  34  Stunden  stehen,  saugt  daranf  einen  trockenen  Lnftstroro  hindnrcl 
treibt  durch  Erhitzen  auf  dem  Waeserbade  unter  stark  Termindertem  Di 
den  Alkohol  und  die  Salzs&are.  Der  Rückstand  wird  nochmals  in  de 
Menge  Alkohol  gelöst,  mit  Salzsäuregas  behaudelt  und  in  derselben  We 
von  Alkohol  und  Salzsäure  befreit,  darattf  zur  Gewinnung  des  reinen 
Vitcuum  destillirt  (Esterificimngamethode  von  AhschOtz  u.  Pictbt). 

Die  nähere  Charakterisimng  der  Oxysänren  wird  bei  den 
Gruppen  gegeben  werden;  hier  sei  indeas  noch  das  Verhaltei 
Wasserabspaltung  besprochen,  daa  wesentlich  durch  die  gef 
Stellung  der  alkoholischen  Hydroxylgruppen  und  Carhoxylgrn 
einflusst  wird. 

«-Oxysänren  spalten  in  der  Regel  beim  Erhitzen  —  häi 
■iilion  bei  gewöhnlicher  Temperatur  im  Eiaiccator  über  Schwefe 
Wasser  üb,  indem  sich  Anhydride  durch  Zusammentritt  n 
Molecüle  büden  (vgl.  Glykolid  S.  747,  Lactid  S.  754),  z.  B.: 

CH,.CH(OH)  CH,.'CH— 0-CO 

2  1  =11+  2H,0 . 

COOK  CO-0-CH-CH, 

^-Oxysänren  spalten  in  der  Kegel  beim  Erhitzen  für  siel 
schon  beim  Kochen  mit  Natronlauge*  —  Wasser  ab,  um  in  unge 
Säuren  (und  zwar  der  Hanptmenge  nach  in  J'''^-Sänren)  übe 
(vgl.  S.  488),  z.  B.: 

CH,CH(OH)-CH,-COtB  =  CH,-CH:CH-CO,H  +  H,0. 
;'-Oxysänren  sind  dagegen  schon  bei  gewöhnlicher  od 
erhöhter  Temperatur  zur  Wasser  ab  Spaltung  und  Bildung  von 
Anhydriden  (/-Lactonen)  geneigt,  welche  durch  Anhydrisir 
sehen  der  alkoholischen  Hydroxylgruppe  und  der  Carboxylgrup 
und  desselben  Molecüls  entstehen: 

CH,.CH,-CH,CO    "   CH,.CH,-CH,CO 

OH  OH  \o^ 

diese  Neigung  ist  so  gross,  dass  die  ^'-Oxysäuren  in  der  Regel 
theils  selbst  in  wässriger  Lösung  langsam  schon  bei  gewöhnliche 
ratur,    momentan   bei   Siedehitze   in    Wasser    und    Anhydride 
Die  Produkte  dieser  Wasserabspaltung  —  die  Lactone,  derei 

'  Vgl-  AascBfm  a.  Piditbt,  B«r.  13,  1178  (1880). 
'  Vgl.  Frrria,  B«r,  26,  40  (1893). 


744      Verhalten  der  Oxy säuren  hei  der   WasserahspaUung  und  Reduothn. 


Kenntniss  wir  Fittig  verdanken,  —  werden  später  näher  charakterisirt 
werden  (S.  760  ff.).    Aus  mehrbasischen  Säuren  können  sich  Lactonsäureu : 

/COjH  QQ    TT 

CH,.CH-CH_CH,CO  _  j^q  ^   CH,CH-Ch/ci4 

OH         OH  i ^ 

auch  Dilactoue: 

CO,H  0 CO 

I  I  1 

CH(OH).CH(OH).CH(Oir).CH(OH)- 2H,0  =  CH(0H)CH.CH.CH(OH) 

I           ■                                                                    II 
CO,H  CO 0 

bilden. 

Auch    für    d'-Oxysäuren  (vgl.  S.  765)    hat    sich   ergeben,   dass    sie 

leicht  schon  in  wässriger  Lösung  Wasser  unter  Bildung  von  (^'-Lactonen 

abspalten : 

CHg .  CH(OH) .  CH, .  CHj  •  CH,  •  CO  •  OH  =  CH,  •  CH  •  CH,  •  CH,  •  CH,  •  CO  . 


Diese  Erscheinungen  erinneni  sofort  an  die  durchaus  analogen 
Beobachtungen  über  die  Anhydridbildung  zweibasischer  Säuren  (vgl.  S.  642). 
Sie  illustriren  besonders  deutlich  die  Tendenz,  welche  allgemein  zui- 
Bildung  fünf-  und  sechsgliedriger  Ringsysteme  besteht,  und  werden  durch 
die  S.  643  angestellten,  stereochemischen  Erwägungen  verständlich. 

Betreffs  des  Verhaltens  der  Oxysäuren  sei  ferner  hier  mitgetheilt. 
dass  man  durch  erschöpfende  Behandlung  mit  Jodwasserstoff  ihi*e 
alkoholischen  Hydroxylgruppen  durch  Wasserstoff  ersetzen  und  sie  dem- 
nach auf  hydroxylfreie  Carbonsäuren  zurückfuhren  kann.  Dies  Ver- 
halten ist  iiamentlich  für  die  Constitutionsermittelung  complicirt^rer 
Säuren  sehr  wichtig.  Wenn  man  z.  B.  aus  einer  Hexaoxyheptylsäure 
durch  Reduction  normale  Heptylsäure: 

CHg  •  CH)  •  CHg  •  CH|  •  CHj  •  CH2  •  COjH 

erhält,  so  ist  damit  für  jene  Säure  die  Structur: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH{ÖH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO,H 

so  gut  wie  erwiesen,  da  sie  einerseits  nach  diesem  Befund  eine  normale 
Kohlenstoffkette  enthalten  muss,  da  wir  andererseits  wissen,  dass  mehrere 
Hydroxylgruppen  sich  an  einem  und  demselben  Kohlenstoffatom  nur  in 
Ausnahmefällen  halten  können.  Bei  den  Untersuchungen  über  die  den 
Zuckerarten  nahestehenden  Säuren  hat  man  häufig  durch  diese  Reactiou 
Aufschlüsse  erhalten,  die  für  die  Beurtheilung  der  Constitution  der 
Zuckerarten  selbst  entscheidend  waren  (vgl.  S.  784 — 785). 

Die  Stärke  der  Carbonsäuren  nimmt  im  Allgemeinen  durch  die  Ein- 
führung von  alkoholischen  Hydroxylgruppen  zu,  und  zwar  um  so  mehr, 
je  näher  die  Hydroxylgruppe  der  Carboxylgruppe  steht.  Es  erhellt 
dies  namentlich,  wenn  man  die  der  Propionsäure,  a-  und  /9-Oxypropion- 


Schwefelverbindungen,  ivelehe  den   Oxysäuren  entsprceJien,  t 

ääure  entsprechenden  Werthe  der  DisBOciationsconstante  K  (v 
neben  einander  stellt: 

CH,-CH,-CO,H:0-00134. 
CH,-CH(OH)-CO,H:  0-0138. 
CH,(OH)-CH,-CO,H:0003n. 
Deu  Oiysäureii  entsprechende  Schwefelverbindnngen  (J 
i<Ünren    oder  Sulfhydrylsäuren)  erhält  man  aus  den  halogcnirten  S 
Umsetzung  mit  Katiumsulf  liydrat,  e,  B. : 

CH,CICO,H  +  KSH  =  CH^SH).CO,H  +  KCl. 
Sic  vereinigen  die  Charaktere  der  Carbonsöuren  und  Mercaptanc  in  e 
lier  WasaerstotT  der  Carboiylgruppe  wie  auch  deijenige  der  Sutfhydryl] 
durch  Metallatome  vertreten  werden.  Durch  gelinde  wirkende  Oij" 
werden  eie  in  DisulfidsBuren',  wie  CO,HCH,.S-S-CH,-COiH,  verw 
Durch  Umsebsung  von  halogenirteu  S&uren  mit  Natriumsulfid  oi 
jnercaptiden  gewinnt  man  SulfidaJtnren*,  z.  B.: 

Na,S  +  2C1-0H,  CO,H  =  S(CH,-CO,H),  +  2NaCl 
C,HsSNa  +  01-CH,-C0,-C,H,  =  0,H.-S-CH,-CO,.C,H,  +  N 
welche  durch  Kalininpennanganat  zu  Sulfoncarbons&uren  oiydirt  w 

S(CH,-CO,H), +  20  =  SO,{CH,-CO,HI,. 
In  den  Estern  der  Sulfoncarboneäuren   sind   Khnlich,    wie  im  Malotiaäu 
l'<itvsulfonen  etc.,   die  an  Kohlenstoff  gebundenen  Wasserstuffiitome,   di( 
iii'pitivc  Gruppen  beeinfluast  werden,  gegen  Metallatume  und  Alkylreatc  i 
(vgl.  S.  651—653),  z.  B.: 

,CHNaCO,C^Ht  ,CH(CH3)C0,.C,H, 

80,<  +  2CH^   =  S0,<  +  : 

^CHNa .  CO,  CjH;  ^CH(CH3)  CO,  C,H, 

Durch  Umsetzung  der  HalogcufettsSurcn  mit  sullinsauren  Salzen  (vg 

langt  man  zu  Alkylsulfonearboneäuren: 

C,H,-SO.-Na  +  CHrJ  CH,CO,H  =  C,H,,-SO,-CH,-CH,-CO,H  ^ 
unter  letzteren  sind  diejenigen,  welche  zwischen  der  Sulfongruppe  ui 
pruppe  nur  eine  Methylengruppe  enthalten,  leieht  durch  Erhitzen  in 
und  Sulfone  spaltbar; 

C,Ht-SOi-CH,.CO,H  =  C,H6-S0,CH, +C0,, 
wahrend    diejenigen,    deren    Sulfou-    und    Carboiylgruppe    durch   inchrei 
piippen  getrennt  sind,  eine  analoge  Spaltung  schwer  oder  nicht   erleidi 
analoge  Verhalten  der  Kefousäureii  in  Kap.  39). 

Dnrch  Oiydatiou  der  Mercaptansäuren  kommt  man  zu  Säuri'n,  wel 
die  Sulfogrnppe  SOjH  und  die  Carboxylgruppe  enthalten  (Carboaulfonsi 

CH,{SHl-CO,H +  0,  =  CH^SO,H)-COiH  ; 
^''lchc  RäuTcti  können  auch  durch  Einwirkung  von  Schwefclsäurcanhydric 
^iilfoiisfiure*  auf  die  Fettsäuren: 

CH,.CO,H  +  SO,  =  CH,(SO,H)-CO,H, 

'  Vgl.  CLAE880N,  Ber.  14,  409  (1881). 

*  AsuuEASCB,  Ber.  12,  1390  (1890).  —  I-oveh,  Ber.  17,  2ölH  (1884) 

»  R.  n.  W.  Otto,  Ber.  21,  992  (1889). 

'   Vgl.  Hemilian,  Ann.  170,  1  (1874). 


746  Glykolsäure, 


durch  Einwirkung  von  gewöhnlicher  concentrirter  Schwefelsäure  auf  die  Fettsaure- 
anhydrideS  durch  Umsetzung  von  halogenirten  Säuren  mit  Alkalisulfiten': 

Na,SOa  +  CHjClCOjH  =  CH,(SOsNa).CO,H  +  NaCl 

und  durch  Erhitzen  von  ungesättigten  Säuren  mit  Alkalisulfiten  ^  gewonnen  werden. 

I.  Monohydroxylderivate  der  Fettsäuren. 

Allgemeine  Zusammensetzung  C^Hg^Oj. 

Von  dem  ersten  Glied  der  Fettsäurereihe  —  der  Ameisensäure 
H-COOH  —  könnte  die  Oxysäure 

OH. CO. OH 

abgeleitet  werden:  das  hypothetische  Hydrat  der  Kohlensäure.  Diese 
Verbindung  ist  aber  nicht  eigentlich  als  Alkoholsäure  aufzufassen.  d;i 
ihre  beiden  Hydroxylgruppen  gleichartig  gebunden  sind;  ihre  zahl- 
reichen organischen  Derivate  sollen  daher  an  dieser  Stelle  nicht  be- 
sprochen, vielmehr  im  Zusammenhang  später  (Kap.  41)  geschildert  wer- 
den. Wahre  Alkoholsäuren,  in  deren  Molecül  man  Hydroxylgruppe!) 
mit  alkoholischer  und  mit  saurer  Function  unterscheiden  kann,  können  erst 
von  der  Essigsäure  und  allen  höheren  Homologen  abgeleitet  werden. 

A.    a-Oxysäuren. 

(Jlykolsäure*  C^H^Og  =  CHa(0H).C02H  —  das  Hydroxylderivat  der 
Essigsäure  —  ist  die  denkbar  einfachste  Alkoholsäure.  Ihre  Constitution 
ergiebt  sich  durch  die  auch  zur  Darstellung®  am  besten  brauchbare 
Bildung  aus  Monochloressigsäure®  (durch  Kochen  mit  Wasser  allein  oder 
mit  Wasser  und  Marmorpulter) : 

CH,a.CO,H  -f-  H-OH  =  CH,(OH).CO,H  +  HCl 

und  aus  ihrer  Entstehung  durch  Verseifung  des  Formaldehydcyanhydrins'. 
Interessant  ist  ferner  ihre  Bildung  aus  anderen  theils  weniger  hoch, 
theils  höher  oxydirten  Sauerstoffderivaten  des  Aethans;  durch  Oxydation 
mit  Salpetersäure  entsteht  sie  neben  anderen  Produkten  aus  Aethyl- 
alkohol®   und   GlykoP,   umgekehrt    durch    Reduktion    mit    nascirendem 


*  Fban(;himont,  Rec.  trav.  chiin.  7,  26  (1888). 

*  Strecker,  Ann.  148,  90  (1868). 

^  Beifstein  u.  Wiegand,  Ber.  18,  483  (1885). 

*  YjTste  Charakterisiniug  vgl.  bei  Socoloff  u.  Stke(;ker,   Ann.  80,  3T  (1S5P. 

*  Hölzer,  Her.  16,  2954  (1883). 

«  Hoffmann  u.  KEKUi/fe,  Ann.  105,  286  (1858).  —  Thomson,  Ann.  200,  76  (1880;. 
^  Henry,  Compt.  rend.  110,  760  (1890). 

**  Debus,  Ann.  100,  1  (1856).  —  CloKz,  Ann.  84,  282  (1852).  —  Deechsbl,  Ann. 
127,  750  (1863).  —  Fahlberg,  J.  pr.  [2]  7,  829  (1873). 
ö  WüRTz,  Ann.  103,  366  (1857). 


Anhydride  der  Glyliolsäwe. 


Wasserstoff  aus  Oxalsäure^.  Sehr  häufig  wird  sie  äuB  Zuckerart 
sonders  reichlich  aus  Fruchtzucker)  und  ihneu  naheetehenden  De 
bei  der  Oxydatiou  mit  Silberoxyd  erhalten,  durch  die  gleiche  Reactic 
aus  Glycerin'.  Natürlich  gebildet,  ist  sie  iu  den  unreifen  Weintri 
hl  den  Blättern  des  wilden  Weins*  und  im  Rübensaft^  beobacht 

Reine  (rlykolsäure  bildet  luftbeständige  Krystalle,  welche  bei  7 
schmelzen  und  in  Wasser  sehr  leicht  löslich  sind.  Durch  Salpet 
wird  Glykolaäure  zu  Oxalsäure  oxydirt.  Ihr  Calciumsalz*  (CgHgOg)^! 
stallisirt  in  feinen  Nadeln,  enthält  über  Schwefelsäure  getrocknet 
Krystallwasser,  löst  sich  bei  15«  in  80  Th.,  bei  100*  in  19  Th.  1 

Anhydride  der  OlykolsBnre.  Beim  Erhitzen  erleidet  die  GlykolsSure 
ahapaltung;  ea  cnteteht  znnfichst  (bei  ca.  100°)  ein  Anhydrid'-*  von  der  Zoi 
setsimg  CjHjOs  (=  2G,HiO,  -  H,0),  welches  ein  weisses  krystailiniBchea 
darstellt,  in  Aetber,  Alkohol  and  kaltem  Wasser  nicht  löslich  ist,  bei  li 
:«'hinilzt  und  beim  Kochen  mit  Wasser  zii  GljkolsSure  gelöst  wird.  Bei  sl 
Erhitzen  (anf  ca.  240 — 280°)  entsteht  neben  geringen  Mengen  von  Oiymethylei 
PolyglykoHd»  iC.HjO,^  (=  jC,HjO,  -  xH,0),  welches  zweckmSssigei 
liiugeres  Erhitzen  von  trockenem  cbloressigsanrem  Natrinm  auf  ISO°  dargeet« 
eiti  leichtes,  weisses,  geschmackloHee  Pulver  bildet,  bei  223°  «chmiht,  in 
lacht  löslich  ist,  bei  längerem  Erhitzen  mit  Wasser  aber  Glykolsfiure,  mit 
GlTkolsSurefithylester  bildet.  Dss  eigentliche  Glykolid'''  (Diglfkolid)  C, 
CH,-0-CO 

i(vgl.  Lactid,  S.  154)  erhält  mau,  wenn  man  die  Glykolsäure  ' 

Polvglykolid  oder  bromeHsigMauroH  Natrium  im  Vacuum  destillirt;  es  bildel 
irlSnzende  BIfittcr,  schmilzt  hei  86—87°,  ist  in  kaltem  Alkohol  schwer,  in 
leicht  löslieh  und  geht  beim  Erhitzen  fiir  sieb  in  Polyglykolid  über. 

Als  älberartiges  und  daher  schwer  hydrirbares  Anhydrid  der  GlykoIsSi 

femer  die  DiglykolsÄHro"  C^HgO,  =  0<  aufgefasst  werden,  wi 

\CH,.CO,H 

'  ScHULTZE,  Jb.  1863,  284.  —  Crohhvdis,  Bidl.  27,  3  (1876).  —  Forcha' 
39,  310  (1883).  —  Balbiano  u.  Ai:Essi,  Ber.  15,  3236  (1882). 

*  KiUAHi,  Ann.  306,  168,  191  (1880).     Ber.  16,  2414  (1883). 

'  ER1.ENHEYEB,  Ztschr.  Chem.  1866,  639.  *  Gobup,   Ann.  161,   22 

'  V.  Ldtmamn,  Ber.  34,  8303  (1891). 

'  Vgl.  über  Salze:  Schreibeb,  J.  pr.  12]  13,  436  (1876).  —  Heihtä.  .)' 
M2:  1861,  439.  —  KEKm,£,  Ann.  105.  290  (1858).  —  Naitwakn,  Ann.  129,  2: 
-  Fahldebo,  J.  pr.  [2]  7,  337  (1873).  —  BüTTuiaER,  Ann.  198,  227  (1 
FoHCBAKn,  Gompt.  rend.  98,  1728  (1883).    Ball.  39,  309,  401  (1BB3). 

'  Fahlbebo,  J.  pr.  [2j  7,  329  (1873).  '  Thomson,  Ann.  200,  79  (1 

*  Deshaionbs,  Ann.  89,  342  (1854).  —  Heintz,  Jb.  1859,  362.  —  Keki 
105,  288.  —  Norton  u.  Tscherhiak,  Bull.  30,  102,  109  (1878).  —  Anschötz, 
SSIl  (1892). 

'"  BiscHOFP  u.  WAi.r.BN,  Her.  26,  262  (1893).  —  AnschOtz,  ehenda,  560 
"  WcBTz,  Ann.  eh.  [3]  69,  342  (1863).  —  Heintj,  Jb.  1859,  363;    IS 

Ann.  138,   129  (1863);  130,  257  (1864);  138,  40  (1865);  144,  91,  95  (1867); 

iIRfifl).   ~   Mons.  Ztschr.  Chem.  1886,  497.  —  Schreiber,  J.  pr.  [2]  13,  486  ( 

Aa^lhütz  u.  Bieknacx,  Ann.  273,  64  (1892). 


748  Aether  und  Ester  der  Olykolsäure. 


Glykolsäure  in  demselben  Verhältniss  wie  Aether  zu  Alkohol  steht.  Sie  wird  direct 
als  Hauptprodukt  aus  Chloressigsäure  neben  Glykolsfiure  (vgl.  S.  746)  durch  'Rochen 
mit  Kalkmilch  (oder  Baiyt,  Strontian^  Lithion,  dagegen  nicht  mit  Kali^  Natron, 
Zinkozydy  Thonerde)  gewonnen: 

2CH,Cl.C0oH  +  H,0  =  (XCHj.COäH),  +  2Ha 

und  bildet  sich  femer  durch  Oxydation  des  Diäthylenalkohols  0(CH,'CHj-OH|,  (vpl. 
S.  567).  Sie  ist  eine  starke  zweibaaische  Säure,  krystalHsirt  in  rhombischen  Prismen, 
schmilzt  bei  148®,  ist  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich  und  wird  erst  durch  Er- 
hitzen mit  rauchender  Salzsäure  auf  120 — 140®  gespalten  —  und  zwar  in  Monochlor- 
i'ssigsäure  und  Glykolsäure.  Durch  Erhitzen  mit  Acetylchlorid  oder  durch  Destil- 
lation unter  vermindertem  Druck  liefert  sie   das   Diglykolsäureanhydrid^ 

.CH,-CO. 
C4H4O4   =  CK^  \0  ,  welches  aus  Chloroform  in  langen  Spieesen  kryßtalHsdrt, 

bei  97®  schmilzt,  unter  12  mm  Druck  bei  120®  siedet  und  durch  Wasser  leicht  in 
Diglykolsäure  verwandelt  wird. 

Aether-  nnd  esterartige  Derivate  der  6rly]Lol6änre. 

Glykolsäureäthylester*  CH4(OH)-CO-0*C2H5  —  am  bequemsten  wohl  au- 
l^olyglykolid  durch  Erhitzen  mit  absolutem  Alkohol  auf  200®  erhältlich  —  siedet 
bei  160®  und  besitzt  bei  0®  das  spec.  Gew.  1-108. 

Alkylglykolsäuren'  CH^fO •  R) •  CO^H  werden  aus  Chloressigsänre,  Alkyl- 
glykolsäureester  CHo(0R)-C03R  aus  Chloressigsäureestem  durch  Einwirkung  von 
Natriumalkoholaten  gewonnen.  Aethylglykolsäure '•'•*  CH^I 0 •  C2H5) •  CO^H  ist  eine 
bei  206—207®  siedende,  Aethylglykolsäureester  CHj(Ö •  C.HO •  CO^ •  CA  eino 
bei  152®  siedende  Flüssigkeit  (spec.  Gew.  bei  0®:  1-000). 

Acylglykolsäureester*^  CHafO •  CO •  R) •  CO...R  werde«  durch  Umsetzung  von 
Natriumsalzen  der  Fettsäuren  mit  Chloressigestern  gewonnen,  z.  B.: 

CH3.CO.OKa  +  CH.ClCO.CsHs  =  NaCl -f-CHgCO.O.CHsCOj.CÄ. 

Acetylglykolsäureester  CH3 . CO . 0 •  CR. . CO^ •  C.H^  ist  eine  bei  175-177»  sIp- 
dende  Flüssigkeit  vom  spec.  Gew.  1.099  bei  13®. 

Bezüglich  der  Verseif  barkeit  dieser  Glykolsäurederivate  besteht  nattirlich  eine 
grosse  Verschiedenheit,  je  nachdem  es  gilt,  eine  ätherartige  oder  esterartige  Sauer- 
stoffbindung zu  l<)sen.  Glykolsäureäthylester  und  Acetylglykolsäureester  werden 
leicht  verseift,  Aethylglykolsäure  wird  schwer  gespalten,  Aethylglykolsäureester  wird 
leicht  zur  Hälfte  verseift  etc. 

Ueber  Dichlorglykolsäureester  vgl.  S.  648. 


^  AnsohCtz,  Ann.  259,  187  (1890). 

«  Heintz,  Jb.  1861.  446.     Ann.  123,  326  (1862);   129,  39  (1863).  —  Nortox  u. 
TscHERNiAK,  Bull.  30,  108,  109  (1878).  —  Schkeiner,  Ann.  197,  5  (1879). 

3  Heintz,  Jb.  1869,  360;  1860,  314. 

*  Geuther  u.  Wackenroder,  Ztschr.  Chem.  1867,  708.   —  Henry,  Bcr.  2,  27ß 

(1869);  4,  706  (1871).  —  Geuther  u.  Brockhopp,  J.  pr.  [2]  7,  115  (1873).  —  Föu^mo, 
Rer.  17,  486,  669  (1884).  —  Curtius,  J.  -pr.  [2!  38,  425  (1888). 

^  Hetntz,  Ann.  123,  328  (1862).  —  Gal,  Ann.  142,  870  (1867).  —  Sbwff.  Ann. 
308,  270  (188X),  —  CuETiüs,  Ber.  17,  1674  (1884).     J.  pr.l[2]  38,  .426  (1888). 


Sdacefetderivate  der   Qlykolsäure. 

SfkirefeId«iiTate  der  OljkalsXiire  (Bildung  und  Cbtuakter  vg).  S.  ' 

ThioglykoUaure'  CH,|bH)-CO^  ist  ein  mit  Wasser,  Alkohol  m 
miechbares  Oel,  das  beim  Erhitzen  zersetct  wird.  Sie  leigt  ein  sehr  charakt« 
Verhalten  gegen  ElBenchlorid;  versetzt  man  ihre  verdünnte  wSssrige  Li 
einem  Tropfen  verdünnter  EiseDchloridlösung  und  nacht  darauf  mit  einigei 
Ammoniak  alkalisch,  so  erhält  man  eine  intensiv  roth  gefSrbte  Flüsaigk 
.  eiuigem  Stehen  verhlaast  die  F&rbuug,  kehrt  aber  wieder,  venu  man  die  I 
Luft  schüttelt  -  DithioglykoUäure»  CO,HCH,S-S-CU,-CO,H  bildet 
vom  Schmelzpunkt  100°,  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich,  giebt  mit  Eif 
keine  Farbenreaction  ond  wird  von  Zink  und  Schwefelsäure  leicht  EU  Tl 
s&nre  redncirt  —  Thiodiglykolsäure''  CO,H-CH,-S-CH,-CO^  bil 
lose,  dünne  rhombiBche  Tafeln,  schmilzt  bei  129",  lost  sich  in  2-37  Th.  W 
lä°  und  giebt  mit  Eisenchlorid  keine  Farbenreaction.  —  Ein  den  Sulfinvert 
entsprechendes   Thioderivat   der  Glykokäure   ist   die   Dimethylthetindi 

CO,H-CH,.        ,CH,CO 
eiure*  7^  i    welche    doich   Addition    von   Chloreasii 

CO,H-CH,/    ^0 
Thiüdiglykolsfiure  gewonnen  werden  kann  und  farblose  Kiystalle  vom  Schi 
167-15»°  bildet 

Sulfondiesaigaäure»  CO,H.CH,SO,CH,CO,H  krystaUisirt  in  rho 
l'afeln,  achmiln  bei  182°,  ist  in  Wasser  nnd  Alkohol  sehr  leicht,  in  Aetl 
weuiger  leicht  ISslich  und  liefert  beim  Erhitzen  mit  Baryt wasser  auf  130  — 
beim  Erhitzen  für  sich  gegen  200°  Dimetbylsnlfon.  —  Aethybulfuness. 
C,H,-SO,'CHa-CO,U  bildet  einen  farblosen  Syrup,  der  zwischen  H^O"  ua< 
Kohlens&ure  und  MethylSthylsulfon  zerfUlt;  in  wüssriger  Lüauiig  mit  Brom 
liefert  sie  unter  KohlensJtureentwiokelung  ein  Dibromdcrivat  des  MetbylÜth 
vun  Zink  und  SalzsSure  wird  sie  schnell  unter  Bildung  vou  Aethyli 
reducirt 

SulfoesaigBäure'  CH^SO,H)-CO,H  (vgl.  S.  577  und  746-7*6)  fcrysta 
Wasser  in  zerfliesslichen  wasserbaltigeu  Krystallen,  die  bei  e^va  75°  » 
verliert  hei  etwa  160°  Wasser,  indem  sie  sich  stark  tarbt,  und  entwickelt 
Kohlensäure,  indem  gleichzeitig  Essigsfiurt;  Uberdestillirt;  das  CalciumsalzCi 
KDth&lt,  bei  240°  getrocknet,  noch  1  Mol.  Wasser. 

Von  Interense  ist  es,  die  GlykolsSure,  ihre   Aethcrsäuren   und  Sehwefi 

'  Cawds,  Ann.  124,  40  (1862).  —  Heimtz,  Ann.  136,  241  (ISe.'j).  —  W 
Ami.  148,  145  (186S).  —  Sumbms,  Her.  6,  659  (1873).  —  Clarsson,  Ann. 
U877).  —  BöTTiKOKH,  Ann.  IDB,  215  (1879>  —  Amikeabcb,  Ber.  12,  1385,  13 
-  C.  LiEEEBMANN  u.  Lanoe,  Ann.  207,  124  (lä81).  Ber.  14,  1265  (1881).  —  Gi. 
BuNDzi-NSEi,  Ber.  19,  115  (1886).  ~  Uonoartz,  Ber.  19,    1931  (1886);    21,  4 

•  Claebso«,  Ber.  14,  409  [1878).  —  Ginsbuko  u.  Bonpzvnsiii,  Ber.  19,   I 
'  ScHULTZE,  ZtBclir.  Chem.  1866,  73;   1866,  181.    —    Heiktz,  Ann. 

I16G5).  —  WisucBKüs,  Ann.  146,  153  (1868).  —  Schreiber,  J.  pr.  |2|  13,  4' 
—  AxDOEABca,  Ber.  12,  1390  (1879).  —  Lbvi,  Ber.  24c,  9  (1891).  —  Av 
U1EIUU.U1,  Ann.  273,  68  (1892). 

•  Dälibib,  Ber.  26,  2«0  (1B92).  '  Lovi«,  Ber.  17,  2817  (1884 

•  CuRssoB,  Jh.  1876,  514.  J.  pr.  [2]  16,  223  (1877).  —  R.  u.  W.  C 
21,  SS2  (I8a8> 

'  Mklsbwb,  Ann.  62,  276  (1844).  —  Cariob,  Ann.  124,  52  (1862).  —  ( 
Ann.  148,  109  (ISSB).  —  Sikmkms,  Ber.  6,  659  (1873j.  —  Andreasch,  Ber. 
iieeo).  —  Cam,  Ber.  14,  64  (18ÖI),  —  FsAMcHuioiiT,  Jb.  ISSl,  859.  Reo.  ti 
1,  25  1I888).  —  HANzBuns,  Ber.  21,  155Ü  (1888). 


750  Milchsäuregährung, 


unter  einander  und  mit  der  Essigsäure  in  Bezug  auf  ihre  Stfirke  zu  vergleicheu;  ea 
sind  die  folgenden  Dissociationsconstanten^  K  (vgl.  S.  640)  gefunden: 

Essigsäure:  0*0018. 

Glykols^ure :  0* 0152. 

Methylgljkolsäure :  0  •  0335. 

AethylglykoLsäure :  0-0234. 

Diglykolsäure :  0-11. 

Thioglykolsäure :  0  •  0225. 

Thiodiglykolsäure :  0  048. 

Dithioglykolsäure  :  0  •  065. 

Sehr  auffallend  erscheint,  dass  die  Diglykolsäure  etwa  siebenmal  so  stark  ist  wie 
die  Glykolsäure,  während  Thiodiglykolsäure  nur  etwa  den  doppelten  Werth  der 
Thioglykolsäure  erreicht  und  an  Stärke  hinter  der  Diglykolsäure  zurückbleibt 

«^-Oxyproplonsäure  C3H^03  =  CH3CH(OH)-COj,H  wird  gewöhnlich 
als  Gährungsmilchsäure,  Aethylidenmilchsäure  oder  auch  al^ 
Mllehsänre  schlechtweg  bezeichnet.  Sie  wurde  1780  von  Scheblb  in 
der  sauren  Milch  entdeckt.  Ihr  wichtigster  Bildungsprocess  ist  die  so 
genannte  „Milchsäuregährung***,  welche  Zuckerarten  —  Milchzucker. 
Rohrzucker,  Traubenzucker  —  leicht  bei  einer  Temperatur  von  30—40' 
in  Gegenwart  von  faulenden  Eiweissstoffen  oder  besser  in  Gegenwart  (le> 
rein  gezüchteten  Milchsäureferments  und  geeigneter  NährstoflFe  erleiden 
(vgl.  S.  174).  Das  Ferment,  das  diese  Gährung  bewirkt,  ist  gegen  freie 
Säure  sehr  empfindlich;  das  durch  die  Gährung  erzeugte  Produkt  hemnii 
daher  die  Lebensthätigkeit  der  Gährungserreger.  Von  diesem  Umstand 
zieht  man  in  den  Kunsthefemaischen  (vgl.  S.  174)  der  Spiritusbrennereien 
Nutzen:  man  führt  hier  zunächst  absichtlich  für  kurze  Zeit  eine  Milch- 
säuregährung  herbei,  um  in  der  gebildeten  Milchsäure  ein  Gift  für  dif 
Spaltpilze  zu  erzeugen;  bei  der  darauf  eingeleiteten  alkoholischen  Gährung 
können  sich  dann  die  Hefepilze,  die  gegen  die  geringe  Menge  freier 
Säure  unempfindlich  sind,  ungestört  von  Spaltpilzen  entwickehi,  und 
man  erhält  nun  eine  Hefecultur,  welche  zur  Hervorrufung  einer  mögliebt 
reinen  alkoholischen  Gährung  geeignet  ist  und  demnach  zur  Aussaat  für 
die  Branntweinmaische  benutzt  werden  kann.  WiU  man  aber  die  Milch- 
säuregährung  zur  Darstellung  der  Milchsäure^  benutzen,  sie  also  möglichst 
lange  in  Gang  erhalten,  so  muss  man  natürlich  das  Gähiningsgemiseb 
neutral  erhalten;  es  geschieht  dies,  indem  man  von  vornherein  znr 
Sättigung  der  entstehenden  Säure  eine  genügende  Menge  Calciumcarboiwt 
oder  Zinkcarbonat  zusetzt.  Bei  zu  lange  dauernder  Gährung  epüegen 
die  zunächst  entstandenen  niilchsauren  Salze  wieder-ihrerseits  einer  Um- 
wandlung durch  Gährung;  es  bilden  sich  Fettsäuren  (vgl.  S.  753  und 
„Buttersäur egährung*'  S.  326). 


»  OsTWALD,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  3,  182  flP.  (1889). 
*  Vgl.  A.  Mayer,  Jahrbuch  d.  Chemie  v.  Richakd  Meyer  1891,  368. 
'  Vgl.  Bensch,  Airn.  61,  174  (1847).  —   Lautemann,  Auu.  113,  242  (1859).  - 
Harz,  Jb.  1871,  560. 


Oetvöknliehe  Milchsäure. 

Ana  Zncherarten  (Damentlich  reichlich  aus  Livei'tzacker)  i 
Milchsäure  ferner  durch  Erwärmen  mit  Alkalien '  (Milchsäure 
dabei-  anch  in  der  Melasse);  diese  Bildung  kann  vortheilbaft 
stellang  der  Milchsäure  im  Laboratorium  dienen. 

500  g  Bohrsncber  werden  mit  250  g  Wssaer  und  10  ccm  Schwef 
3  Th.  conc  HjSO*  und  4  Th.  Waaaer  gemiacht)  3  St  hehufii  Invertir 
ertutEt  Zu  der  erhaltenen  Invertzuckeriösang  giebt  man  unter  Abk 
hfinfigem  UmBchwenken  400  ccm  Natronlange  (aus  1  Th.  Aetznatron  und  1 
in  Portionen  von  je  50  ccm.  Man  erwftrmt  darauf  auf  60—70°,  bis  ein 
kochenden  Wasserbade  FEHLiHo'scbe  Lösung  ohne  Abacheidung  Ton  F 
uur  mehr  grün  fSrbt,  kühlt  nun  wieder  ab  und  lässt  die  zur  NeutratiBatio 
verwendeten  Aetcnatrons  erforderliche  Menge  SchwefelB&nre  tou  der  oben : 
VerdOnniiDg  zuflieseen  (SchwefelsSure  und  Natronlauge  mDssen  vorher 
tion  auf  einander  eingestellt  sein).  Durch  Abkühlen,  Sinwerfeu  eines 
kryatalls  und  Schütteln  bewirkt  man  möglichst  rasche  Abscheidung  d 
Sulfats,  Ifisst  12—24  St.  stehen,  gieht  dann  unter  Umschüttelu  Alkohi 
zu,  bis  auf  weiteren  Zusatz  keine  Abacheidnug  mehr  erfolgt  und  aaa 
tilaubersals  ab.  Wenn  man  jetzt  die  Hälfte  der  alkoholischen  Löaung 
bade  mit  Zinkcarhonat  ueutraliairt,  kochend  heiss  filtrirt  und  mit  der  an 
vereinigt,  so  erhält  man  eine  reichliche  Krjetalliaation  von  milchaauren 

Fttr  die  techniacbe  Danteilung'  dürfte  indess  das  Gähningsver 
Anwendung  von  Tranbenzacker  bezw.  StäAe  rationeller  sein.  Milch 
einstweilen  nur  in  der  Phannacie  praktiaehe  Verwendung;  doch  denkt 
im  Itreniiereigewerbe  zur  Hefezüchtung  fertige  MÜchsSure  zu  verwenden 
.Milchsäure  erst  in  den  Hefemaiacheu  eiistehen  zu  lassen  (Tgl.  8.  750). 

Die  Gährungsmilchsäure  ist  unzweifelhaft  als  a-Oxypropio 
zusprechen,  da  sie  durch  Kochen  von  ot-Chlorpropionsäure '  mi 
durch  Oxydation  von  Propylenglykol  (S.  568)*,  aus  Acetaldet 
Anlagerang  von  Blausäure  und  Verseifung  des  Cyauhydrina  erb: 
Sie  findet  sich  im  Opium  ^ 

Als  Säurehydrat  läast  sich  die  Milchsäure  wegen  ihrer  N 
Wasserabspaltung  in  ganz  reinem  Zustand  nicht  gewinnen;  s 
Verdunsten  ihrer  concentrirten  Lösung  über  Schwefelsäure  bi 
liehe?  Temperatur  findet  theilweise  Anhydridbildung  statt.  Ii 
mncentrirtem  Zustand  stellt  sie  einen  Syrup  vom  spec.  Gew.^ 
15"  dar,  der  mit  Wasser  and  Alkohol  mischbar  ist;  als  Syrup 


'  HoppE-S»YUtB,  Ber.  4,  346  (1871).  —  Kuum,  Her.  X5,  13(1.  6 
ItErraife«,  P^rkds  q.  Tollens,  Ann.  366,  222.  228  (1889J.  —  Nbncki  u.  I 
,2|  24,  498  (18B1). 

*  JACttUBiaH,  Bnll.  [3]  6,  294  (1691).  —  Labbieu,  Cüthencr  Chem. 
(1891). 

*  Fbirdkl  d.  Hachuoa,  Ann.  120,  285  (1861).  —  Bni»',  Ann.  140,  I 
TuuMsoK,  Ann.  200,  79  (1880). 

*  Woarrz,  Ann.  106,  206  (18gB);  107,  192  (1856). 
'  WisüCBKOB,  Ann.  128,  U  (1863). 

*  SuTH  Jb.  1863,  Ö38.  —  Bdckanak,  Ber.  3,  132  (1870). 
'  HB)(i>£LEjitw,  Jb.  1860,  7. 


752  ReckismücJisäure  und  Linksmüohsäure, 


Gew.  1-21 — 1-22  (entsprechend  einem  Gehalt  von  etwa  80  ^/^  Säure- 
hydrat) ist  sie  officinell. 

Unter  den  Salzen^  der  gewöhnlichen  Milchsäure  (Lactaten)  ist  be- 
sonders charakteristisch  das  Zinksalz  (CgHgOg)jZn  +  SH^O ,  welches 
sich  in  Krystallkrusten  abscheidet,  die  aus  kleinen  rhombischen  Prismen 
bestehen,  und  bei  100^  sein  Krystallwasser  verliert;  das  wasserfreie  Salz 
löst  sich  in  etwa  50  Th.  Wasser  von  10^,  in  6  Th.  kochendem  Wasser; 
in  Alkohol  ist  es  fast  unlöslich. 

Die  synthetisch  gewonnene  Milchsäure,  die  gewöhnliche  Gährungs- 
milchsäure  und  die  Opiummilchsäure  sind  optisch  inactiv;  da  das  Milch- 
säuremolecül  ein  asymmetrisches  Kohlenstoffatom  enthält,  so  hat  man  die 
Milchsäure  dieser  Herkunft  mithin  als  die  durch  Vereinigung  von  ßecht<- 
und  Linksmilchsäure  entstehende  inactive  Modification  aufzufassen. 

Eine  optisch  actlre  Milchs&nre  ist  zuerst  als  Naturprodukt  auf- 
gefunden und  besonders  von  Wislicenus  ausfuhrlich  untersucht;  sie  ist 
von  Liebig  in  der  Fleischfiilssigkeit  entdeckt,  findet  sich  im  Blut,  wird 
am  besten  aus  Fleischextract  dargestellt  und  entsteht  auch  unter  beson- 
deren Bedingungen  aus  Zuckerarten  neben  gewöhnlicher  Milchsäure  durch 
(rähning,  z.  B.  wenn  letztere  durch  ein  aus  der  todten  Magenschleini- 
haut  des  Schweines  sich  erzeugendes  geformtes  Ferment  bewirkt  wir<i. 
Sie  wird  von  der  gewöhnlichen  Milchsäure  als  Fleischmilchsäure. 
Paramilchsäure  oder  besser  als  Beehtsmilchsäure^  unterschieden,  ist 
derselben  in  den  äusseren  Eigenschaften  ausserordentlich  ähnlich,  zeigt 
bei  Umsetzungen  ganz  dasselbe  Verhalten  und  besitzt  daher  jedenfalls  die 
gleiche  Structur.  Aber  sie  dreht  die  Polarisationsebene  des  Lichtes  nach 
rechts  und  giebt  optisch  active  Salze  und  Ester.  Ln  Vacuum  über 
Scliwefelsäuie  liefert  sie  Anhydride,  welche  im  Gegensatz  zum  Säui*e- 
hydrat  stark  nach  links  drehen;  bei  längerem  Erhitzen  auf  130 — 150" 
aber  geht  sie  in  die  optisch  inactiven  Anhydride  der  gewöhnlichen  Milch- 
säure über.  Die  Salze  der  Rechtsmilchsäure  unterscheiden  sich  von 
den  gewöhnlichen  Lactaten  meist  durch  den  Wassergehalt  und  grössere 
Löslichkeit;  sie  sind  linksdrehend.  Das  Zinksalz  enthält  2  Mol.  Kry- 
stallwasser und  löst  sich  in  etwa  17-5  Th.  Wasser  von  14 — 15^  (aul 
wasserhaltiges  Salz  berechnet). 

Die  zweite  optisch  active  Milchsäuremodification^  die  Linksmileh- 
säure,  ist  zuerst  von  Schabdikgeb^  aus  Rohrzucker  durch  Vergähning 


*  Vgl.  Enqelhardt  u.  Maddrell,  Ann.  63,  88  (1847).  —  Brükiko,  Ann.  104. 
192  (1857).  —  H.  Meyer,  Ber.  19,  2454(1886).  —  Kachler,  Monatsh.  12,  348  (1891). 

«  LiEBia,  Ann.  62,  326  (1847).  —  Enqelhardt,  Ann.  65,  359  (1848).  —  Streckkb. 
Ann.  105,  318  (1858);  123,  354  (1862).  —  Dossios,  Ztschr.  Chem.  1866,  449.  - 
ScHüLTZEN,  Ztschr.  Cham.  1867,  138.  —  Wislicenus,  Ann.  167,  302  (187.3).  —  Maly, 
Her.  7,  1567  (1874).  —  Berunerblaü,  Jb.  1887,  2329.  —  Klimenko,  Ber.  22,  .SlM* 
(1889).  —  Nencki  u.  Sieber,  Monatsh.  10,  532  (1889).  —  Irisawa,  Ztochr.  f.  phyml 
Chem.  17,  340  (1892). 

l  Munatsh.  11,  545  (1890). 


Umseixunffen  der  Milchsäure. 


mittelst  des  Bacillus  acidi  laevolactici  —  eines  Spaltpilzes,  di 
Brunnenwasser  bestimmter  Provenienz  aufgefanden  wurde,  - 
worden.  Sie  dreht  als  Säurehydrat  nach  links,  bildet  aber 
and  Salze,  welche  nach  rechts  drelieu.  Ihr  Zinksalz  zeigt  d 
Krystallwass ergebalt  und  die  gleiche  Löslicbkeit  wie  das  i 
saure  Zink. 

Die  beiden  optisch  activen  Modificationen  können  nun  . 
Spaltung  aus  der  gewöhnlichen  inactiven  Milchsäure  bergestel 
die  Spaltung  ist  Pubdie  und  Waikee  durch  fractionirte  Kr] 
des  Strychninsalzes  gelungen  (Näheres  über  derartige  Method 
Tranbensäure,  S.  809);  das  Strycbninsalz  der  Linksmilchsäure  i 
löshch  als  dasjenige  der  Bechtsmüchsäure. 

Wenn  man  die  Zinksalze  der  beiden  activen  Säuren  : 
Mengen  in  Wasser  löst,  die  Lösungen  mit  einander  mischt  ut 
siren  lässt,  so  schiesst  das  schwerer  lösliche  Zinksalz  der  g( 
Milchsäure  mit  3  Mol.  Rrystallwasser  an. 

Die  Forderungen  der  stereochemischen  Theorie  finden  i 
durch  die  Beziehungen  der  drei  Milchsänremodificationen  zu 
Tollkommenster  Weise  bestätigt. 

Unter  den  Umsetzungen  der  MiichMäure  ist  die  Spaitu 
aldehyd  und  Ameisensäure  zu  erwähnen,   welche  sie  beim  E 
verdünnter  Schwefelsäure  erleidet  (vgl.  S.  404): 
/0-H 
"^  -    CH,.CHO  +  HCOOHi 

eine  analoge  Spaltung  ist  bei  vieleu  a-Oxysäuren  beobachtel 
loales  Verhalten  vgl.  S.  757  bei  Tert.-Butjloxyesaig8äure) ;  sie  i 
massen  die  Umkehrung  der  "Synthese  von  Oxysäuren  mittelst 
hydrine  (S.  740 — 741).  —  Durch  Oxydation  mittelst  Kaliump< 
kann  man  aus  Milchsäure  Brenztraubensäure  CHj-CO-COjH  ge 
Milchsaurer  Kalk  wird  durch  Spaltpilze  in  Gährung^  versetz 
duiig  flüchtiger  Fettsäuren;  man  erhält  dabei  mit  gewissen 
als  Hauptprodukt  Buttersäure  (vgl.  S.  326),  mit  anderen  als 
dukt  Propionsäure  und  normale  Valeri  an  säure. 

Anhydride  der Mllehsliore.Milchaäureanhydrid*CgH,„05f=2C 
(ntsleht  &11B  Milchsäure  beim  Erhitzen  auf  130— 140°,  in  eiuer  trockenei 
»cbon  bei  gewShulicher  Temperatur;  es  bildet  eine  blasagelbe,  leicht  sc! 

'  LEWKOwrrscH,  Ber.  Id,  2720  (1883).  —  Tjnosbier,  Bull.  |3j  6, 
PntiME  n,  Walkeb,  Journ.  Soc.  61,  754  (1892). 

*  Beosteiii  u.  Wieoaud,  Ber.  17,  840  (1S84).  —  Ajubtow  u.  Dei 
20c,  697  (1887). 

'  Paotedb,  Jb.  1862,  477.—  Steeckeb,  Ann.  93,  80  (1854).  —  : 
1898  (1878);  12,  479  (1879);  13,  1309  (1880);  17,  1188  (1884). 

'  Pelodze,  Ann.  63,  114  (1845).  —  Enoelhabdt,  Abu,  70,  242  (1 
ut-EKüB,  Adr.  133,  257  (18Ö5);  164,  181  (1872).  —  von  bhr  Beüuqen, 
1869,  338. 

V.  Mei-eb  u.  Jacobson,  org.  Clieui.    I.  48 


754  Anhydride,  Aether  und  Ester  der  Milchsäure. 


Wasser  kaum  lösliche,  amorphe  Masse  und  wird  durch  längeres  Sieden  mit  Wasser, 
sofort  durch  Einwirkung  von  Basen  wieder  in  Milchsäurehydrat  übergeführt.  Seine 
Constitution  entspricht  wahrscheinlich  der  Formel: 

CHj  •  CH(OH) .  CO-O— CH  •  CO,H 

I 
CH, 

da  es  auch  durch  Umsetzung  von  milchsaurem  Kalium  mit  a-Broippropionsäare  ge- 
wonnen werden  kann  und,  in  ätherischer  Lösung  mit  trockenem  Ammoniak  be- 
handelt, in  Lactamid  und  Ammoniumlactat  zerfKllt: 

CH3.CH(0H).C0~0-CH.C0,H  +  2NH8   = 


CH, 

CHsCH(OH).CO.NH,  +  OHCHCO^CNHj 


CH, 

—  Lactid*  CeH804  (=  2 CaH^O,  —  2 H,0)  wird  am  besten  erhalten,  wenn  man  anhal- 
tend trockene  Luft  durch  auf  150^  erhitzte  Milchsäure  leitet  oder  das  NatriumsaU 
der  «-Brompropionsäure  im  Vacuum  destillirt.  Eis  krystallisirt  in  farblosen  Tafelii. 
schmilzt  bei  125^,  siedet  unzersetzt  bei  255°,  ist  in  kaltem  Wasser  kaum,  in  kaltem 
Alkohol  schwer  löslich  und  wird  durch  Erhitzen  mit  Wasser  in  Milchsäure  zurück- 
ver\i'andelt  Die  Dampfdichte  wie  auch  die  durch  das  Lactid  hervorgerufene  Gefriw- 
punktsemiedrigung  beweist  die  obige  Molecularformel ;  man  hat  ihm  die  Struetnr- 
formel  des  Esteranhydrids: 

CHj.CH— 0-CO 

CO-O-CH-CHs 
beizulegen,   da  es  durch  Einwirkimg  von  trockenem  Ammoniak  leicht  in  Lactamid 
zerfilllt.    Wäre  es  ein  Aetheranhydrid 

CHaCH-O-CHCH, 

i  I 

co~o-co 

so  würde  die  Aetherbindung  yCH— 0 — CH<(^   kaum  so  leicht  gelost  werden.  —  Di- 

laetylsäure*»  OCCHCCHJCOjH)^,  (isomer  mit  Milchsäureanhydrid)  entsteht  als 
Calciumsalz  bei  allmählichem  Erhitzen  von  milchsaurem  Calcium  auf  180^;  die  üreit' 
Säure  krystallisirt  aus  Wasser,  worin  sie  leicht  löslich  ist,  in  grossen  Prismen  vom 
Schmelzpunkt  105—107°. 

Aether-  nnd  est«rartig:e  MilehsMurederlTate.  Milchsäureäthylester*** 
CH3-CH(OH)«CO,'C2Hß  wird  durch  Erhitzen  von  Milchsäure  mit  absolutem  Alkohol 
auf  160*^  gewonnen,  siedet  bei  155",  besitzt  bei  0"  das  spec.  Gew.  1»055  imd  winl 

CHjCH— Ov 

durch  Wasser  sofort  zersetzt.  —  Milchsäureäthylidenester*  |  \CHCHj 

_      CO-0/ 

*  Gav-Lüssac  u.  Pkloüze,  Ann.  7,  43  (1833).  —  Pkloüze,  63,  116  (1845  t.  — 
Enuelhardt,  Ann.  70,  245  (1849).  —  Wisucknüs,  Ann.  167,  318  (1873).  —  Hksrt, 
Ber.  7,  753  (1874).  —  Anschütz,  Ber.  25,  3511  (1892).  —  Bischofp  u.  Waldkn,  l^r. 
26,  203  (1893). 

*  Tanatar  u.  Tschelebijew,  Ber.  23  o,  325  (1890). 

'  Vgl.  auch  WüRTz  u.  Friedel,  Ann.  eh.  [3]  63,  101  (1861).  —  von  de»  Brüoqes. 
Ann.  148,  224  (1868). 

*  WiSLiCENüs,  Ann.  126,  57  (1863).  —  Schreiner,  Ann.  197,  12  (1879). 
"  Leipen,  Monatsh.  9,  45  (1888). 


Chlorderivale  der  Milchsäure. 

—  die  StammsabstaDE  des  Chloralids  (vgl.  S.  866)  —  wird  durch  Erhitze: 
»iure  mit  Aldehyd  auf  ieo°  erhalten,  ist  eine  bei  151— 151-5°  siedende  Rl 
wird  ron  kaltem  Wasser  langsam,  von  heisaem  Wasser  rasch  in  MilchsHure 
ge8pallen.-Äcetyimilch8aure'CH,-CH(0-CO-CH,)-00,H  bildet  feine 
Scbraetzpunkt  166—167°;  ihr  Zinbsalz  (amoiph,  gommiartig,  in  Alkohi 
lieh)  bildet  sich  iu  geringer  Menge  beim  Kochen  der  Lösung  von  milch 
und  essigsaurem  Zink;  man  findet  dasselbe,  da  in  den  Muskeln  nebei 
auch  geringe  Mengen  von  Essigsäure  vorhanden  sind,  und  grössere  Me: 
ginnender  Fäulniss  entstehen,  hei  der  Darstellung  von  ParamilchsSure 
IvgL  S.  752)  in  der  Mutterlauge  des  pei'amilchss.uren  Zinks;  es  wurde  fril 
tich  für  dos  Salz  einer  beaoDderen  Milchsfinremodification  gehalten. 

ChlorderiTite  der  MllohsSnre.  ^-Chlormilchafture'  CH,CI-C] 
(a-Ozy-^Chlorprop ionsäure)  entsteht  aus  Monochloraldehyd  durch  Aul 
Cyanwasserstoff  und  Verseifong,  aus  o-Monoclilorhydrin  und  Epichlorl 
Oxydation  mit  Salpetersäure.  Sie  bildet  glänzende  Prismen,  schmilzt 
liefert,    mit    alkoholischen    Alkalien    behandelt,    Olycidsäure    CH,-CH 

\o/ 

S.  775),  bei  der  Umsetzung  mit  Silberozyd  OlycerinsSure.  —  Trichlorni 
CCla-CH(OH)-CO,H  fn-Oiy-ft-Trichlorpropionsäure)  ist  infolge  ihrer  En 
Chloral  durch  Anlagerung  von  Cyanwasserstoff  und  darauffolgende  Vei 
leicht  zugänglich.  Sie  bildet  hei  115—118"  schmelzende  Prismen;  K  = 
Erwämien  ihres  Natriumsalzes  in  wässriger  Lösung  tritt  Zerfall  in  C 
Kobleusänre  und  Dichloraldehyd  ein;  durch  Alkalien  wird  sie  in  Ameit 
Chloral  {bczw.  Chloroform)  gespalten.  Ihr  Aethylester  C,CL,H,Oa-C,] 
pnnkt  66—67°,  Siedepunkt  233—237°)  besitzt  schwach  saure  Eigenschaft 
in  verdünnten  Alkalien  und  wird  aus  dieser  Lösung  dnrch  Kohlensäure 
getollt,  liefert  beim  Erwärmen  mit  Natronlauge  Turtronsäure  CO,H'CI 
(vgl  S.  791),  bei  der  Beduction  mit  Zink  und  Salzsäure  als  Hauptprod 
akiylsfiareester  (vgl.  S.  731).    Ueber  Chloralid  vgl.  S.  86». 

Die  Homologen  der  Olykolsäure  und  AethylldeiiuiJ 

küniien  iii  zwei  Gruppen  eingetlieilt  werden,  je  nachdem  die  a 
Hydroxylgruppe  ähnlich  wie  in  den  aecundären  oder  ähnlich 
tertiären  Alkoholen  gebunden  ist: 

1  u 

R.CH{OH).00,H  and  NcC0H).C0JI . 

Verbindungen  beider  Gruppen  können  aus  a-bromirten  Säi 
Äuswechselnng  von  Brom  gegen  Hytiroxyl  erhalten  werden.  ' 
ersten  Gruppe  entstehen  aus  Aldehyden,  solche  der  zweiten  ( 

■  SiEOFRie»,  Ber.  33,  2711  (1SS9|.  —  Vgl.  auch  Wibucenti»,  Ann.  IS 

'  GiJMBKV,  Ztschr.  Chem.  X870,  515.  —  v.  Ricbtkr,  J.  pr.  |2]  30,  1 
Mblieow,  Ber.  13,  271  (1880).  —  Fuhk,  Ann.  306,  344  (IgtjO).  —  Beiss 
33«  (1880). 

»  PiNNEB  u.  BiBCHOFF,  Ann.  179,  78  (1875).  —  Pinnbb,  Ber.  17, 
18,  753  (1885).  —  Walucb,  Ann.  103,  8  (1878).  —  CtiiSEii  u.  Antwei 
1940  Anm.  (1880).  —  Abscbütz  u.  Haslam,  Ann.  353,  132  (1889).  —  ] 
267,  331  (1890).  — Ostwald,  Ztschr.  f.  physik.  Cliem.  3,  194  (18H9).  — 
Ber.  34,  3676  (1891). 

'  Vgl.  Frakblamd  u.  Dcppa,  Ann.  143,  1  (1967). 

■48* 


756  Bildung sreaciionen  für  Müchsäurehomologe. 


Ketonen  durch  die  Cyanhydrinreaction  (vgl.  S.  740 — 741).  —  Für  die  Syn- 
these von  Säuren  der  zweiten  Gruppe  ist  ferner  früher  vielfach  eine  von 
Fbankland  entdeckte  Reaction^  benutzt  worden,  die  in  der  Einwirkung 
von  Zinkalkylen  auf  Oxalsäureester  besteht  und  ganz  ähnlich  der  Bildung 
von  Alkoholen  durch  Einwirkung  von  Zinkalkylen  auf  Aldehyde.  Ameisen- 
säureester oder  Säurechloride  (vgl.  S.  145 — 146)  verläuft: 

/OCHj  yOCH, 

-  -f-Zn(CH3),    =    |\o.Zn.CH3» 

COOCHg  COOCH, 


\0z'n.CH.  +  Zn(CH.).      =     Yxg^z'n-CH.  +  Krn 
OOCH,  COOCH,  ^"» 


i 


^\o"zn.CH    +  H,0     =     C^gg»       +ZnO  +  CH,. 


/CH,  /^CH, 

I  \O.Zn.CH3  +  ^2^     -      I  \0H 
COOCH,  COOCH, 

Durch  passende  Modificirung  kann  man  diese  Reaction  auch  so  leiten, 
dass  der  Ersatz  des  Sauerstoflfatoms  durch  zwei  verschiedene  Alkyl- 
reste  gelingt.  Die  nach  dieser  Reaction  gebildeten  Säuren  wurden 
früher  häufig  mit  Namen  belegt,  die  an  ihre  Entstehung  erinnerten, 
z.  B.  Dimethoxalsäure  für  (CH3)2C(0H)C03H,  Methyläthyloxalsäure 
für  (CH3)(CaHß)C(0H)-C0aH.  Rationeller  ist  es,  in  den  Namen  die  Be- 
ziehungen   zur   hydroxylfreien   Säure   mit   ebensoviel   KohlenstoflFatomen 

oder  zur  Essigsäure  zu  betonen,  also  die  Säure  \C(OH)-COjH  ent- 

CH,/  i 

weder  a-Oxyisobuttersäure  oder  Dimethyloxyessigsäure  zu  nennen.  j 

Wie  für  die  Milchsäure  selbst,  so  werden  auch  für  ihre  Homologen  j 
häufig  die  Zinksalze  zur  Reinigung  und  Charakterisirung  benutzt  Die 
niederen  und  mittleren  Glieder  der  Milchsäurereihe  sind  in  Wasser  leicht 
löslich.  Die  Säuren  mit  einer  secundären  Alkoholgruppe  zeigen  analog 
der  Glykolsäure  und  Milchsäure  grosse  Neigung,  sich  beim  Erhitzen  oder 
beim  Verweilen  im  Exsiccator  zu  anhydrisiren;  im  0-egensatz  dazu  ver- 
tragen die  Säuren  mit  tertiär  gebundener  Hydroxylgruppe  im  Allgemeinen 
höhere  Temperaturen,  ohne  Wasserabspaltung  zu  erleiden  (vgl.  unten 
die  beiden  isomeren  a-Oxybuttersäuren). 

«-Oxybttttersäureu  C4H8O3.  Normale  a-Oxybutters&ure'  C,H8-CH(0H)' 
CO^H  (Aethyloxyessigsäure)  schmilzt  bei  42  — 44®,  geht  beim  Destilliren  (bei  etwa  225*) 
theil weise  in  ein  Anhydrid  über  und  liefert  bei  der  Oxydation  mit  Chromaauregemisch 

*  Näheres  vgl.  in  Elbs,  Synthet.  Darstellnngsmethoden  I,  27  (Leipzig  1889). 

*  Naumann,  Ann.  119,  115  (1861).  ~  Friedel  u.  Machitca,  Ann.  120,  279 
(1861).  —  Mabkownikow,  Ann.  163,  242  (1869);  178,  811  (1875).  —  ScHBKiireR,  Ann. 
197,  14  (1879).  —  Thomson,  Ann.  200,  83  (1880).  —  GuTHZiTr,  Ann.  209,  234 
(1881).  —  Güstavson  u.  Demjanow,  Ber.  20c,  698  (1887).  —  Henry,  Ber.  24c,  75 
(1891).  —  HisciioFF  u.  Walden,  Ber.  26,  264  (1893). 


a-OxyhuUeraüuren,  a-Oxyvalerians'iuren  und  a-OTi/ca) 

(-«sigsäurc  oiid  Propionsäure;  ihr  Anhjdrid  C,H,,Ot  wird  leiclit 
lies  Xatriumsalzea  der  a-BrombutterBäure  erliiüten,  schmilzt  bei  + 
liei  257—258".  -  «Oiy isobatterBäure'  |,CH,)iO(OH)-CO,H 
säure,  DimethyloialsÄure ,  AcetonsBure)  sclimilzt  bei  78—79°,  a 
etwa  50°,  siedet  bei  212°  ftwt  unEereetzt,  ist  mit  Wnw^rdämpfeii 
lii^i  der  Oxydation  mit  CbromsSuregemiscb  Aceton  neben  Kohlensfit 

a-OxyralerlaBsBuren  C,Hi,0, .  Normale  n-Oxyvaler 
CH,-CH(OH)-CO,H  (PropyloxyeHsigsfinre)  schmilzt  bei  31«,  gablic 
nnhydrisirt  sich  allmählich  im  Exsiccator  über  Schwefelsäure.  —  n- 
sSu're'  (CH,),CH-CH{OH)-CO,H  awpropylojtyeseigsSure)  schmilz 
ilurch  liüigeres  ErbitEen  auf  200°  ein  swischen  220"  und  240°  siei 
bares,  bei  136°  echmelisendea  Anhydrid.  —  Ae  thy  I  m  e  th  y  lo 
iC,Hj|(CH,lC(OH)-CO,H  schmilzt  bei  66°  und  sablimirt  reit^^hlich 

rr - OxyeaprOBgluren  C,H,,Oj.  Normale  n-OiycaproDB 
CH,CH)OH)CO,H  (BntyloiyesaigBäure)  vom  Schmelzpunkt  60— ( 
capronsaure  erhalten  worden,  —  IsobutylaiyeaaigsSure*  (GH,)j 
CO,H  schmilzt  bei  54°  nnd  anhydrisirt  sich  beim  Erhitzen.  — 
pasigsSure'  (CH,),C.CH(OH)-CO,H  schmilzt  bei  S7-88°;  8i< 
Rebandlang  mit  Schwefelsfinre  eine  eigenthümlicbe  Umlageruni 
AmeisensSoreabapaltung  (vgl.  S.  753)  zu  erwartenden  Trimethylace 
CHO  bildet  sich  vielmehr  das  isomere  Melhvl-isopropylketon  (C¥ 
Diäthyloiyesaigsfture"  (C,Hi),C(OH)-CO,'H  (DiSthoitalsäure)  i 
imd  liefert  beim  Erhitzen  mit  starker  Salzsäure  theils  dnrch  Abapa 
fäure   Propion,   theils   durch    Abspaltung    vou  Wasser  Aethylcrc 

'  Wdbtz,  Ann.  107,  197  (1858).  —  STiEOEiEH,  Anij.  111,  32( 
USD  u.  Duppi,  Ann.  133,  80  (1865);  136,  12  (1865).  —  Markoi 
SHil  (1867);  163,  228  (1669).  —  Wisi.icemds  u.  Urech,  Ann.  164,  2 
u.  Paul,  Ann,  183,  54  (1877).  —  Fittio  u.  Enoet.hob»,  Ann. 
Thomwm,  Ann.  200,  86  (1880),  —  R.  Mevek,  Ann,  21B,  240  (188 
Bcr.  15,  2307  (1882);  20,  2445  (1887).  —  Pinseb,  Ber.  17,  2009 
II.  Kesblee,  Ber.  20o,  778  fl887l.  —  Osm-iLD,  Ztsehr.  f.  phy 
(1889).  —  Meueow,  Ber.  17a,  421  (1884);  Ann.  234,  210  (188 
Pctrenko-Kbischenko,  Bor,  22o,  759  (I8B9).  —  Lew  u.  Cbubch« 
IIH.-'S);  254,  108  (1889). 

'  Mknozzi,  Ber.  17o,  251  (1884).  —  Jusmn,  Ber.  17,  2504  (1 

•  Clake  n.  Frrrio,  Ann,   139,  206  (1866).  —  Schlebusch,  An 

—  Ley  u.  Popow,  Ann.  174,  63  (1874).  —  Makkowkikow,  Ztschr. 

—  ScHinoT  a.  Sachtleben,  Ann.  1B3,  106  (1878).  —  Lipp,  Ann.  S 

'  Fbaskland  u.  Düipa,  Ann.  135,  37  (1866);  136,  8  (IBÖi 
Smith,  Ztschr.  Cham.  1867,  440.  —  Miileh,  Ann.  200,  265,  282 
/um.  204,  14  (1879). 

'  Lby,  Ber.  10,  231  (1677).  —  Elisafopc,  Ber.  14.  1401  1188 
LntiERsiK,  Ber.  34,  678  (1891). 

•  EatENMBTZB  u,  Smel,  Ber.  7,  1109  (1874).  —  Lev,  Ber.  10, 231 
Aon,  200,  239  (1881).  —  E.  Schüize  u.  Lieiebsik,  Ber.  24.  672  (If 

'  GLt'CEHMiB»,  Monatah.  10,  770  (1889);  12,  356  (18911.  — 
13,  647  (1892). 

'  Fa*KiusD  u.  Ddppa,  Ann.  135,  26,  29  (1865);  136,  2  (18 
1866,  490.  —  Fimo  n.  Howe,  Ann,  200,  21  (16791.  —  Chapman  i 
451.  —  GEtrrHXK  u.  WACKBKwmKR,  Ztschr.  Cbem.  1867,  705.  —  I 
(1812).  -  Gdthzeit,  Ann.  306,  235  (18M1|. 


758  a-Oxyönantlisäure  bis  a-Oxystearinsäure, 


optisch  active  Oxycapronsäure*  (Leucinsäure),  deren  Structur  noch  nicht 
sicher  feststeht,  wird  aus  gewohnlichem  Leucin  (vgl.  S.  834)  durch  Einwirkung  von 
salpetriger  Säure  erhalten;  sie  schmilzt  bei  73 ^ 

Normale  Oxy$iianths»ure>  C-Hj^Os  =  CjHsiCHAOHiOHjCO^H  schmilzt 
bei  65°  und  ist  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heissem  Wasser  leicht  loslich.  — 
Normale  «-(JxycaprylsÄure*  CgHigOg  schmilzt  bei  69-5''.—  Normale  «-Oxymyrlstiii- 
sSure^  C14H28O3  schmilzt  bei  51®  und  ist  in  kaltem  wie  in  heissem  Wasser  unlöslich: 
sie  findet  sich  im  ätherischen  Oel  von  Angelica  Archangelica  L.  —  Normale  «-Oxy- 
palmitinsiure^  Oi^UggOs  schmilzt  bei  82—83*^  und  ist  in  Alkohol  leicht  löslich.  — 
Normale  rr-OxystearlnsSure*  CigHjsOj  schmilzt  bei  84— 85^  löst  sich  bei  20''  erst 
in  etwa  170  Th.  Alkohol,  leicht  in  Aether. 

B.   /9-Oxysäuren. 

/S-0xypropion8»ure^  CH2(OH)CH2COjjH  —  die  einfachst«  ^-Oxy- 
säure  —  wird  gewöhnlich,  da  sie  sich  von  der  Akrylsäiire  um  den  Mehr- 
gehalt der  Elemente  des  Wassers  unterscheidet,  Hydrakrylsäure  ge- 
nannt; auch  unterscheidet  man  die  beiden  stellungsisomeren  Oxypropion- 
säuren,  da  die  eine  ein  Aethvlen-,  die  andere  ein  Aethvlideni'adicul  ent- 
hält,  als  Aethyliden- (a)  und  als  Aethylenmilchsäure  (ß): 

/CO,H 
CH-OH  CH,~CO,H 

I  I 

CH,  CHt-OH 

Aethylidenmilchsäure  Aethylenmilchsäure. 

Diesem  Constitutionsunterscliied  entsprechend  treten  in  den  Bildungs- 
weisen der  gewöhnlichen  Milchsäure  Beziehungen  zum  Aldehyd  (vgl. 
S.  751),  in  denjenigen  der  Aethylenmilchsäure  Beziehungen  zum  Aethyle« 
hervor;  Aethylenmilchsäure  kann  aus  Aethylen  durch  Vermittelung  der 
Zwischenstufen : 

CH2  CH.,C1  CH,CN  CH,.CO,H 

>    I  ~      >    \  — ->    I 


CH,  CR/OH)  CH^tOH)  CH,(OH) 

gewonnen  werden,  und  dies  ist  die  Bildungsweise,  aus  welcher  sich  ihre 
Constitution  ergiebt. 


*  Steeokbb,  Ann.  68,  55  (1848).  —  Gössmann,  Ann.  91,  135  (1854).  —  Waauk 
Ann.  118,  295  (1861).  —  Thudichum,  Jb.  1861,  780.  —  Körner  u.  Menozzi,  Jb.  1883. 
1027.  —  E.  Schulze  u.  Lixiernik,  Ber.  24,  673  (1891). 

»  Helms,  Ber.  8,  1169  (1872).  —  Lry,  Ber.  10,  231  (1877). 
'  Erlenmeyer  u.  Sigel,  Ann.  177,  103  (1875). 

*  R.  Müller,  Ber.  14,  2480  (1881).  —  Hell  u.  Twerdomedoff,  Ber.  22,  1746  (18S9i. 

*  Hell  u.  Jordanoff,  Ber.  24,  939  (1891). 

*  Hell  u.  Sadomsky,  Ber.  24,  2391  (1891). 

^  Beilstein,  Ann.  122,  369  (1862).   —    Moldenhauer,  Ann.  131,  328  (1864). 
Sokolow,  Ann.  150,  167  (1869).  —  Hetntz,  Ann.  157,  291,  298(1870).  —  Wislkems 
Ann.  128,  2  (1863);    166,  6  (1872);  167,  346  (1873);    174,  286  (1874).    Ber.  3,  8u!» 
(1870);  8,  1206  (1875).  —  Linnemann,  Ber.  8,  1095  (1875).  —  Erlenmeykb,  Ann.  19L 
261  (1878).  —  Thomson,  Ann.  200,  81  (1880),  —  Klimenko,  Ber.  23o,  825  (1890j. 


ß-Ox.ypTo^misäurc  und  ihre  Homologen. 


Zur  DarHtelliMig  der  ^-Oxypropionsäiire  benutzt  iiiiiii  ihre 
ilureh  UmsetJtung  von  /S-Jodpropionsäure  {vgl.  S.  719)  beim  Ko( 
Wasser  allein  oder  in  Gegenwart  von  Silberoxyd.  Von  Intel 
Cemer  ihre  Bildung  aus  Akrylsäure  (S.  495)  durch  Wasspraufiiah 
Erhilzen  mit  Natronlauge  auf  100". 

Auch  die  yS-Oxy Propionsäure  stellt,  wie  die  gewöhnliche  Mi 
einen  Syrup  dar,  unterscheidet  sich  aber  von  letzterer  aebr  wi 
dadurch,  dass  sie  bei  der  Wasserabspaltung  —  durch  Erhitzen 
oder  mit  starker  Schwefelsäure  —  nicht  in  Anhydride,  sondern 
ungesättigte  Säure  —  die  Akrylsäure  —  übergebt  (vgl.  S.  743). 
Erhitzen  mit  Jodwasserstoff  wird  sie  sehr  leicht  in  /3-Jodprop 
verwandelt. 

.■J-oiypropioDBaures  Zink  (C^HAü^n  +  *H,0  schmilzt  bei  60« 
Kr>-Btall Wasser,  ist  in  Wasser  aueserord entlich  löslich  1100  Th.  wüsserlial 
lösen  sieh  bei  16-5"  in  89  Th.  Wasser),  auch  in  Alkolioi  löslich. 

fS-Oxfbnttersanre'  CH^  CH(OH)CH,-CO,H  wird  durch  R 
von  Acetessigester  erhalten  (vgl,  Darstellung  der  Crotonsäure 
ist  syrupöB  und  liefert  bei  der  Destillation  mit  Wasserdamp 
W asser abspaltung  Cro tonsäure.  Eiue  optisch  active  und  zwa 
drehende  Modification  der  y?-Oxybuttersäure  findet  sich  im  H; 
Blut  von  Diabetikern. 

Aus  den  Monalkylclerivaten  des  Aceiessigestera  »loH  durch  Reduetiou 
.'J-OxrbiittergliireB)  CH,CHtOH)-CHR.CO,H  gewonnen  worden,  welche 
liitzen  in  alkylirte  Crotons&uren  übergehen,  z.  B.: 

CH,-CO-CH-CO,-C,H. >-   CH,CH|OHj-CH-CO,H  >  CH,.CH;' 

I  I 

CH,  CH,  ( 

IHe  aus  den  DialkylaceteBsiecstem  gcwiniibaren  n,-Alkyl-|?-Oxybutt«rHSi 
Crpen,  die  «n  dem  KohtnnslolTHtom  zwisehen  der  Hydrozylgnippe  und  der  ' 
{Truppe  kein  Waseerstofiatoni  mehr  enthalten,  verhalten  sicli  anders;  bei 
Stehen  im  Vaenum  bilden  sie  Anhydride;  durch  trockene  Destillation  zer 
fast  glatt  in  Acetnidphyd  ond  die  eiitsprcclicnde  diatkylirtc  EssigsSurc,  z. 
GH,  ■  CHi,OH)  ■  C  ■  CO,H  =  CH,  ■  CHO  +  CH  •  CO,H 
ö^         C,H,  (^        C,H.  ' 


'  WiBucBHUP,  Ann.  149,  205  (1868).  —  Markownikow,  Ann.  163,  2: 
-  MiNKOwflir,  Her.  17c,  334,  585  (1884J.  -  Küls,  Her.  17c,  534  (1884); 
(I88S).  —  DeichkCller,  SriMAKSKi  n.  Tou.kns,  Ann.  228,  92  (1885).  —  Hui 
llidl.  47,  545  (1B87).  —  Hbmbv,  Ber.  24o,  75  (1831). 

'  BonsBECi,  Ann.  188,  229  (1875).  —  Wai.tischmidt,  ebenda,  240.  — 
knn.  200,  269  (187»).  —  Vgl.  femer  über  älmlli;he  Bildung  von  |9-0zysl 
PropiopropionsAureester  etc.:  Haktzsch  u.  WohlbbL'ik,  Rcr.  20,  1321,  2; 
11887).    Ann.  249,  54  (1888), 

»  Sadb,  Ann.  188,  266  (1877).  ~  Scbnapp,  Ann.  201,  65  (1880),  —  Jo 
226,  288  (1S84). 


760  y-Oxysäuren  und 


^^-Dialkyl-p^-OxypropionsSureii '  RRiC(OH).CH,CO,H  sind  durch  Oxydation 

von  Dialkyl-allyl-c«arbinolen  gewonnen  worden,  z.  B.:  *    • 

'NC(  OHj .  CH, .  CH :  CH,    >  ^\X0YI)  •  CH,  •  CO,H . 

C3H/  CH/ 

C.    /-Oxysäureii  und  ;'-Lactone. 

Es  ist  schon  S.  743 — 744  hervorgehoben  worden,  duss  die  ;'-Oxy- 
säuren  eine  eigenthümliche  Stellung  einnehmen  durch  die  höchst  charakte- 
ristische Eigenschaft,  mit  grösster  Leichtigkeit  in  innere  Anhydride  über- 
zugehen. In  diesen  inneren  Anhydriden  —  den  von  Fittig  und  seinen 
Schülern  ausfiihrlich  untersuchten  ;^-Lactonen,  deren  einfachster  Re- 
präsentant (Butyrolacton)  von  Saytzefp  1873  entdeckt  ist,  —  lernen  wir 
eine  neue  Köi*perklasse  kennen,  der  gewissermassen  eine  Mittelstellung 
zwischen  den  y-AIkylenoxyden  (S.  570)  und  den  inneren  Anhydriden  von 
/-Dicarbonsäuren  (S.  642)  zukommt: 

\c-CH,v  \c-COv  \c-COv 

NC-CH/  \C-CH/  Vj-go^ 

Alkylenoxyde  Lactonc  Säurcanhydride 

Die  ausserordentliche  Leichtigkeit,  mit  welcher  allgemein  die  offene  Kette 

der  /-Oxysäuren: 

C-C-C-COOH 

I 

OH 

durch  Wasserabst>altung  selbst  bei  Gegenwart  von  Wasser  in  den  ring- 
förmigen Complex  der  Lactone: 

C-COs^ 

übergeht,  beweist  besonders  schlagend  die  auf  Grund  stereochemischor 
Erwägungen  (S.  643)  vorauszusehende  Tendenz  zur  Bildung  funfgliedriger 
Kinge.  Wie  bezüglich  der  Anhydridbildung  der  homologen  Bernstein- 
säuren (S.  665)  und  Maleinsäuren  (S.  694),  so  hat  sich  auch  hier  heraus- 
gestellt, dass  die  Homologen  der  y-Oxybuttersäure  leichter,  als  die  Oxy- 
buttersäure  selbst,  Wasser  abspalten^. 

Nach  der  „Genfer  Noraenclatur"  (vgl.  Anhang  am  Schluss  von  Band  I)  sollen 
die  Lactonc  durch  die  Endung  „olid"  bezeichnet  werden,  z.  B.: 

CHa .  CH  •  CH, .  CH, .  CO 

:  Pentanolid  1.  4. 


'  M.  u.  A.  Saytzeff,  Ann.  185,  163  (1877).  —  Miller,  Ann.  200,  274  (1ST9K 
—  Lebedinskv,  J.  pr.  [2]  23,  24  (1881).  —  Schirokow,  ebenda,  197,  201.  —  Semliakkin, 
ebenda,  263.    —    Vgl.  auch  S.  Reformatzky,  Ber.  20,  1210  (1887). 

2  Hjklt,  Ber.  24,  1236  (1891).  —  P.  Henry,  Ztschr.  f.-physik.  Chem.  10,  96  (1892>- 


y-Laclonc. 

Wegen  des  leichten  Uebei^ange  der  y-Oxysänren  and  d« 
IQ  eioander  können  die  Bildungsweisen  für  beide  Giiippon  gei 
lieh  besprochen  werden;  zurGewinnnng  sind  hauptsächlich  die 
Methoden  benutzt  worden: 

1.  Die  Umwandlung  ungesättigter  Säuren,  und  zwar  der 
J'-^  Säuren,  in  die  ihnen  isomeren  Lactone  durch  Erwärmen  mi 
säure  oder  Anlagerung  und  Wiederabspaltung  von  Bromwasse 
Huch  durch  Destillation  (vgl.  S.  494,  509,  713),  z.  B.: 
CH,-(CH,t.-CH:aH-CH,-CO,H  +  HBr  =  C,Hi.(CH,),-CHBr-CH,-CH. 
=  C,H,.(CH,),CH-CH,-CH,-< 


2.  Spaltung  der  durch  Einwirkung  von  Glykolclilorhydiin 
essigester  oder  seine  Monalkylderivate  erhältlichen  Oxäthylace 
mit  Barythydrut,  z.  B.: 

CH,C0-CHSa-C0,-Cyi6  +  CH,ClCH,-0H  =  CH.CO-CHCO.-C,! 

I 

CH,.CH,-0 
CIIj-CO-CH-CO,-C,Hj  CH,CO,H 

I  +  2H,0    -   CH.COOH  +   '  + 

CH,-CH,-OH  CH,.CH,OH 

3.  Die  Eeduction  der  Lävullnsäure  CHj-CO-CHj-CH,- 
ihrer  Homologen  mit  Natrinmamalgam : 

CH,-CO.CHi.CH,CO,Na  +  2H  =  CH,-CH(OH).CH,.CH,.CO, 
Säuert  man  das  vom  Quecksilber  abgegossene  Reactionsge 
Schwefelsäure  an  und  kocht  einige  Minuten  am  RilckäusskUh 
die  zuerst  in  Freiheit  gesetzte  Oxysäure  in  das  Lacton  übergi 
nun  mit  Aether  ausgeschüttelt  und  nach  dem  Trocknen  mit 
Pottasche  durch  Rectificiren  gereinigt  wird. 

Die  freien,  j'-Osysäuren  sind  äusserst  unbeständig  um 
den  meisten  Fällen  nicht  isolirt;  ihre  Bariumsalze  erhält  ms 
Lactone«  durch  Kochen  mit  Barythydrat;  sie  bleiben  beim  "" 
der  wässrigen  Lösung  in  der  Regel  als  amorphe  gummiartige, 
und  Alkohol  sehr  leicht  lösliche  Massen  zurück;  die  Silhersal: 
—  dui'ch  doppelte  Umsetzung  leicht  erhältlich  —  sind  durch 
satiousfähigkeit  ausgezeichnet. 

Die  ;'-Lactone^  der  Zusammensetzung  C„H^^_jO^  sint 
farblose,  flüssige  oder  leicht  schmelzbare  Verbindungen  von  : 
Orenich.  Sie  sind  sowohl  mit  Wasserdämpfen  flüchtig,  als  am 
ohne  Zersetzung  destillirbar.  Die  beiden  ersten  Glieder  (Bi 
und  Valerolacton)  sind  -in  Wasser  in  jedem  Verhältniss  1( 
steigendem  Molecutargewicht  nimmt  die  Löslichkeit  ah.    Die  '. 

'  Zur  Cbantkterietik  Tgl.  besonders:  Fittiu  u.  Bkedt,  Ann.  200,  I 
FirtiQ,  Ann.  208,  111  (1881).  Ann.  256,  68,  U7  (1889).  Ber.  17,  301 
KChlhann  u.  FiTTio,  Ann.  226,  343  (1884>  —  Vgl.  auch  Oatwalu,  Her.  23i 


62 


VerhaUen  dei'  y-Lactotie, 


in  Wasser  zeigt  eigenthümliche  Veränderungen  bei  wechselnder  Tempe- 
ratur; die  bei  niederer  Temperatur  gesättigten  Lösungen  trüben  sich 
bei  gelindem  Erwärmen  durch  theilweise  Abscheidung,  werden  aber 
oberhalb  vSO^  wieder  klar.  Aus  den  wässrigen  Lösungen  werden  die  Lactone 
durch  Kaliumcarbonat  abgeschieden. 

Wie  die  y-Oxysäuren  beim  Kochen  ihrer  wässrigen  Lösung  durch 
Wasserabspaltung  Lactone  liefern,  so  gehen  umgekehrt  die  Lactone  beim 
Kochen  mit  Wasser  theilweise  in  Oxysäuren  über;  zwischen  beiden  Ver- 
bindungen stellt  sich  ein  Gleichgewichtszustand  her^.  Allein  es  wird 
verhältnissmässig  wenig  Lacton  hydratisirt;  beim  Kochen  von  Valero- 
lacton  z.  B.  mit  der  sechsfachen  Menge  Wasser  ist  der  Gleichgewichts- 
zustand schon  erreicht,  wenn  6-6  7o  des  Lactons  umgewandelt  sind. 

Beim  Kochen  der  Lactone  mit  kohlensauren  Salzen  werden  laugsam. 
mit  Barythydrat  rasch  die  entsprechenden  Salze  der  Oxysäuren  gebildet. 

BromwasserstoflF^  wird  von  manchen  Lactonen  leicht,  von  andereu 
kaum  unter  Bildung  von  /-bromirten  Säuren  aufgenommen: 


CHjCHaCH^CO +  HBr  =  CH,Br.CH,CHj.CO,H. 


Mit  wässrigem  Ammoniak  tritt  schon  in   der  Kälte  Vereinigung  zu 
y-Oxvsäureamiden  ein : 

CH,CH.CH,.CH,.CO  +  NH3  =  CH8.ClI(0H).CHj.CH,C0.NH, . 


O 

Durch  Einwirkung  von  Nntrium  oder  Natriumäthylat  liefern  die  Lactone  wHSfior- 
lÖBJiche  Natriumverbindungen,  aus  denen  durch  Salzsäure  Condensationsprodukte, 
aus  zwei  Molecülen  Lacton  gebildet,  abgeschieden  werden,  z.  B.: 

CH3  •  CH  •  CH2  •  CH2  CH3  •  CH  •  CHj  •  CH^ 

II  II 

0 CO  0 c 

+  =  ILO  +  i     . 


CHgCH.CH.CH, 

I  I 

0 CO 


CHgCH-CHjC 

I 


0- 


-CO 


Aus  letzteren  erhält  man  durch  Kochen  mit  Hasen  Salze,  die  sich  von  einer  uui 
ein  Molecül  Wasser  reicheren  einbasischen  Säure  ableiten  5  werden  diese  auch  für 
sich  isolirbaren  Säuren  erhitzt,  so  zerfallen  sie  in  Kohlensäure  und  neutrale  Körper, 
die  „Oxetone**  genannt  werden  (vgl.  S.  875): 

CHgCHCHjCH,        ,  CHj.CHCHj.CH, 

CH,.CH.CH,-CH, 


/ 


O  - 
OH 


C 


CHo  •  CH  •  CH«  •  C 


I 


\ 


oder 


:C 


0-  - 

O—     - 

I 

CHo  •  CH  •  CH«  •  CH 


\ 


CO, + 


I 

0 — 
0 — 

I 


i 


:C  • 


I 


CO,H 


CHjCHCHj-CH, 


^  Eine  chemisch -dynamische   Studie   über   die  wechselseitige  Umwandlung  drr 
Lactone  und  Oxysäuren  hat  P.  Henry  [Ztschr.  f.  pbysik.  Chem.  10, 96  (1892)"!  geliefert. 
2  Vgl.  Henry,  Compt,  rend.  102,  368  (1886).  —  Bbedt,  Ber.  19,  513  (1886). 


Butyrolacton,   Valei'olacton,   Caprolactone,  763 


Da88  diejenigen  Oxysäuren,  welche  so  leicht  Lactone  liefern,  y-Oxy- 
säuren  sind*,  folgt  für  die  nach  den  Bildungsweisen  2.  u.  3.  (S.  761)  ent- 
stehenden Säuren  unmittelbar  aus  der  Entstehung.  Es  ist  ferner  zu  be- 
achten, dass  die  Hydroxylderivate  der  Essigsäure  und  Propionsäure  nicht 
die  Fähigkeit  der  Lactonbildung  zeigen,  dass  letztere  vielmehr  erst  bei 
einem  Oxyderivat  der  Buttersäure  auftritt.  Nur  in  ganz  vereinzelten 
Fällen  ist  bei  Benzolderivaten  (vgl.  Bd.  II  Derivate  der  Phenylmilchsäure) 
die  Bildung  von  wenig  beständigen  /?-Lactonen  beobachtet  worden;  bei 
den  7-hydroxylirten  Säuren  dagegen  ist  der  üebergang  in  beständige 
Lactone  die  Regel,     üeber  das  Verhalten  der  d-Oxysäuren  vgl.  S.  765. 

CHj-COv 
Butyrolaeton*  C^Yifit  =    I  ^O   siedet  bei   204  ^   erstarrt  bei   -42'» 

CH,-CH/ 

nnd    besitzt  bei    16*^  das  spec.  Gew.  1«129;   Bildungsweise    aus   Acetessigester  vgl. 

8.  761;   es   entsteht    auch    aus    Succinylchlorid   (vgl.    S.  659)   dui*ch    Reduction   mit 

N  atrium  amalgam. 

CH,CO\ 
Talerolaet^^n  ^  CjHgOa    =    |  /O         (y-Methylbutyrolacton)    siedet    bei 

CHgCH— CHa 

206—207«,    erstarrt   bei    -31^    besitzt    bei    0«    das   spec.    Gew.    1072;    es    findet 

sich   im  Holzessig;   bei  der  Oxydation  mit  vei'dünnter  Salpetersäure  liefert  es  Bem- 

steinsäure. 

CH,.CO\ 
Caprolaetone  CeHioO^.    Normales  Caprolaeton*   I  yO      (y-Aethyl- 

CHj  •  CH    CjHs 
butyrolacton)  siedet  bei  220**,  erstarrt  nicht  bei  —18",  Icist  sich  in  5 — 6  Vol.  Wasser 

von  0^  —  «-Aethylbutyrolacton*  |  yO    siedet    bei   215**,    bleibt 

CHjCH/ 
bei  —17"  flüssig,  besitzt   bei    16°   das   spec.  Gew.  1-035    und    löst  sich    in    10—11 

CH3.CHC0\ 
Vol.  Wasser  von   0 ^  —  n-y Dimethylbutyrolacton*  |  /O 

Clxg  •  CH    CHg 
siedet  bei  206«,  bleibt  bei  -17°  flüssig  und  löst  sich  in  20—25  Vol.  Wasser.  —  i^-y-Di- 
CHaGOx 
methylbutyrolacton^  |  yO        siedet  bei  209—211®  und  wird  bei 

CHg  •  CH  •  CH     CHs 

*  Vgl.  FiTTia,  Ann.  208,  116  (1881);  216,  26  (1882). 

*  Saytzew,  Ann.  171,  261  (1873).  J.  pr.  [2]  25,  63  (1882).  —  Fkühlin«,  Monatsh. 
3,  700  (1882).  —  FiTTiG  u.  Chanlabow,  Ann.  226,  325  (1884).  —  Fittiq  u.  Ström, 
Ann.  267,  191  (1891).   —  P.  Henry,  Ztschr.  f.  physik.  Cliem.  10,  97  (1892). 

*  FiTTio  u.  Messerschmidt,  Ann.  208,  96  (1881).  —  Fittig  u.  Wolfk,  ebenda, 
104.  —  Neugebaueb,  Ann.  227,  101  (1883).  —  Gbodzki,  Ber.  17,  1369  (1884).  — 
Fittig  u.  Hasch,  Ann.  266,  126,  149  (1889). 

*  Fittig  u.  Hjelt,  Ann.  208,  67  (1881).  —  Hjelt,  Ber.  15,  617  (1882).  — 
KiLiAio  u.  Klremann,  Ber.  17,  1300  (1884).  —  Kiliani,  Ber.  18,  642  (1885).  --  Fittiu 
u.  DuBois,  Ann.  256,  134,  152  (1889). 

*  Fittig  u.  Chanlarow,  Ann.  226,  334  (1884). 

*  Fittig  u.  Gottstein,  Ann.  216,  30(1882).  —  C.  Liebermann  u.  Scheibleh,  Ber. 
16,  1822  (1883).  —  Kiliani,  Ann.  218,  372  (1883).   Ber.  18,  635  (1885). 

'  Fittig  u.  Gottstein,  Ann,  216,  35  (1882), 


761  Höhere  y-LacUme, 


CH, .  C0\ 
—  22*^  nicht  fest  —  y,-Dimethylbutyrolacton*      I  ^^^         (Isocaprolactoni 

CH]  •  C\~CHj 

entsteht  aus  Brenzterebinsäure  durch  Umlagerung  (vgl.  S.  509),  aus  IsobutylessigBftarf 

durch  Oxydation  („Hydroxylirung",    vgl.  S.  742),    schmilzt   bei    +7—8**,  siedet  bei 

206-207°  und  löst  sich  in  2  Vol.  Wasser  von  0^ 

CH,.CO\ 
Heptolaetone  C7H.4O,.    Normales  Heptolacton*    |  /Q 

CH,.CHM5H,.C,H, 

(y-Propylbutyrolacton)  siedet   bei   234-5— 235-5®,    erstarrt  nicht  bei    — 18°  und  ift 
in   Wasser    sehr    schwer    löslich.    —    «-A  e  thy  1 -/-Methy  Ibu  ty  r  olacton' 

CA-CHCOn. 

I  /O        siedet  bei  219- 5^  erstarrt  nicht  bei  -18^  besitzt  bei  16*  da? 

CH,.CH-  CH3 
spec.  Gew.  0-992    und    ist   in  Wasser  ziemlich  schwer  löslich.  —  a,-y-TrimethyI- 

butyrolacton^  |  /O       schmilzt  bei  52°,   siedet   unter  15  mm  Druck 

CU3  •  CH    CH3 

CH,.CO\ 
bei  86°.  —  y-Isopropylbutyrolacton»  |  X)  siedet  bei  224— 225 . 

CH,.CH^CH(CHe), 

erstarrt  nicht  bei  —20°   und   löst   sich   in   etwa  35  Th.  Wasser  von  gewöhnlicher 

Temperatur.   —  Das   Ueptoiacton   aus   Terakrylsäure*  (vgl.  S.  509)  schmilzt 

bei  +11°,  siedet  bei  218°  und  löst  sich  in  12  Vol.  Wasser  von  0°. 

CH,.CO\ 
Oetolactoue  C8H14O,.    y-Isobutyl-butyrolactou^    |  /O 

CH,.CH-CH,.CH(CH,L 

ist   ein   kümmelähnlich   riechendes,  in  kaltem  Wasser  sehr  wenig  lösliches  Gel.  - 

CH,.CO> 
y,-Diäthylbutyrolacton*    i         ^^        entsteht   aus   Succinylchlorid  und  Zink- 

CHj  •  (XCgHs), 
äthyl    und    siedet    bei    228—233°.    —    «-Aethyl- /?-/-dimethyl-butyrolacton 

C,H,.CH.CO\ 

I  /O       siedet  bei  226-227°. 

CH3  •  CH  •  CH    CH3 

CH.CH.COv 
Ein  NoiiolactoB »°  CgHieO^  =  |  >0  («-Methvl-y-isobutrl- 

CH^ .  CH— CH, .  CHCCHj), 


»  Bkedt  u.  FiTTiQ,    Ann.  200,  58,  259  (1879);    208,    55   (1881).    —   Frrriü  u. 
Geisler,  Ann.  208,  42  (1881).  —  Erdxann,  Ann.  228,  181  (1885). 

*  KiLiANi,  Ber.  19,  1128  (1886).  —  Pittig  u.  A.  Schmidt,  Her.  20,  3180  (1&J<« 
Ann.  266,  80  (1889). 

5  FiTTio  u.  YouNQ,  Ann.  216,  38  (1882). 

*  Anschütz  u.  Gillet,  Ann.  247,  107  (1888). 
^  FiTTiG  u.  Zanner,  Ann.  266,  94  (1889). 

«  FiTTiG  u.  Krafpt,  Ann.  208,  86  (1881).   —  Amtbob  u.  G.  Müller,  J.  pr.  2 
42,  389  (1890). 

^  Fittiq  u.  Schneeoans,  Ann.  266,  106  (1889). 

8  Wischin,  Ann.  143,  262  ,(1867).  —  Emmert  u.  Fbiedrich,  Ber.  16,  1851  (U^^-'j• 
»  Fittiq  u.  Youno,  Ann.  216,  43  (1882). 
10  i-jrriQ  u.  Feist,  Ann.  266,  117,  124  (1889). 


J 


ä-Oxi/aäuren  und  S-Laetone. 


bntvToIactDD)   ist  dnrch   Destillation   der   aua   Isovaleraldehyd  und  Brenzi 
(vgl.  S.  490)  erhältlichen  Methjlisobntylpar&consaare  gewonnen  worden. 
CH,CO\ 
Wormale«  l>ek«I»etoii '  C,„H,,0,  =    |  >0  (r-Hex 

CH,-CHHCH,),CH, 
iRi'too)  siedet  bei  281°  und  ist  in  Wasser  sehr  wenig  löslich. 

D.     iJ-Oxysänren   und   tf-Lactone. 
Zu  der  normalen  äi'-Oxyeapronsftiire^  CH3CH{0H)CH,-CI 
C'0,H  gefauigt  man  vom  Acetessigester  durch  Combination  mit 
propioDSäureester : 

CH,.CO-CHNa 

i  +  J-CH,CH,CO,C,H, 

CO.  CA 

CH.  ■  CO  ■  CH  -  CH,  ■  CH, .  CO,  ■  C,l 

=     NaJ  +  1 

C0i-C,H6 
Verseifung  des  so  entstandenen  Acetglutarsäureesters  zu  Acetobutt 
CH,.CO.CH.GH,.OH,.CO,-C^,  CH,.CO-CH,.CH,-CH,.CO,H 

CO,-C,H,  +2H,0-  ^  ^^^  ^  ^^jj^^jj  +' 

und  Reduction  der  Äcetobuttersäure  mittelst  Natrinmamalgam. 
man  die  Säure  aus  der  Lösung  ihres  Natriumsalzes  durch  ve 
Schwefelsäure  in  Freiheit,  kocht  einige  Minuten  am  RUckflusskUt: 
sc)iUttelt  nach  dem  Erkalten   mit  Aether  aus,   so  erhält  man  Ai 

CHjCHCHj-CHjCH, 
prolacton  {  1        —    eine  wasaerhelle  FlUsaigh 

0 — CO 

schwachem  aromatischen  Geruch,  die  in  der  Kälte  zu  langen,  bei  ' 
19"  Bcbmelzendeu  Nadeln  erstarrt,  bei  230" — 231'*  siedet  und  mit 
mischbar  ist.  Auch  die  rf-Oxysäuren  besitzen  demnach  die  Pä 
schon  in  väasriger  Lösung  innere  Anhydride  zu  liefern.  Das  d- 
lacton  zeigt  indes«  gegenüber  den  isomeren  Lactonen  eine  etwas  | 
Tendenz  zum  theilweisen  Uebergang  in  die  Oxysäure  {vgl.  S.  7< 
:tnfangK  neutrale  wässrige  Lösung  nimmt  schon  bei  gewöhnliclit 
peratur  nach  einiger  Zeit  saure  Reaction  an,  auch  aus  der  Lu 
lias  Lacton  Wasser  an. 

7-A«tli7lMpr«<eltalMton'    OH,'CHCH(C,HJ  CH.CH,    ist    anf    i 
I  I 

0 —CO 

Wege,  wie  Caprodeltalacton  erhalten,  siedet  bei  254—255",  wird  bei  -  20°  r 
besitzt  bei  20°  das  spec.  G«w.  1-080,  löst  sich  in  28  Th.  Wasser  von  gewi 
Temperatur,  ist  mit  Wasserdämpfen  flüchtig,  veriifilt  sich  gegen  Wasser  wi 
ileltalacton,  bleibt  aber  beim  Stehen  an  der  Luft  neutral. 

'  FlTTlO  U.  SCHHBBOASB,  Ann.  227,  92  (1HH5). 
'  Firnu  u.  L.  WotOT,  Ann.  216,  127  {18821. 
'  Firn«  n.  Christ,  Ann.  268,  111  (1891). 


766  Oxystearinsäuren. 


Ueber  Verbmdnngen ,  d|e  zur  Klasse  der  d-Lactone  gerechnet  werden  können, 
vgl.  femer  in  Band  II  „Cumarin"  und  „Pyronderirate". 

E.    Säuren  mit  unbekannter  Stellung  der  Hydroxylgruppe. 

Oxystearinstturen  ^  CigHseO,.  Von  der  Oelsäure  gelangt  man  zu  Oxystearin- 
säuren (Ci8U340a  +  HgO  =  CtgHgeOa);  indem  man  entweder  zunächst  durch  Anlage- 
rung von  Jodwasserstoff  Jodstearinsäure  herstellt  und  dann  in  letzterer  das  Jodatom 
durch  Behandlung  mit  Silberoxyd  auswechselt,  oder  indem  mau  durch  Einwirkon!? 
von  conc.  Schwefelsäure  (vgl.  S.  512—513)  Stearinschwefelsäure  sich  bilden  ISsst,  die 
durch  Zersetzung  mit  Wasser  Oxystearinsäure  liefert  Die  aus  der  Jodstearinsänre 
entstehende  Oxystearinsäure  kr}'stallisirt  aus  Alkohol  in  sechsseitigen  Täfelchen 
mid  schmilzt  bei  84—86^;  100  Th.  einer  bei  20^  gesättigten  alkoholischen  Loenug 
enthalten  813  Th.  dieser  Säure,  100  Th.  einer  ätherischen  Lösung  2-11  Th.;  bei 
mehrstündigem  Erhitzen  far  sich  auf  200^,  beim  Erwärmen  mit  rauchender  Salzsäure 
auf  100°  oder  beim  Erwärmen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  liefert  sie  ein  —  ver- 
muthlich  aus  zwei  Molecülen  gebildetes  —  Anhydrid,  das  einen  farblosen  Sjrap 
darstellt,  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  wenig,  in  Aether  leicht  loslich  ist  und  durch 
Erwärmen  mit  alkoholischem  Kali  wieder  in  Oxystearinsäure  verwandelt  wird;  bei 
der  Destillation  liefert  sie  unter  Wasserabspaltung  als  Hauptprodukt  die  Lsoölsänre 
(S.  513);  ihr  Aethylester  schmilzt  bei  44*^.  —  Aus  den  Produkten  der  Einwirkung 
von  Schwefelsäure  auf  Oelsäure  erhält  man  dieselbe  Oxystearinsäure  bezw.  ihr  An- 
hydrid, daneben  aber  ein  lactonähnliches  Anhydrid  CigHs^Og  einer  isomeren 
Oxystearinsäure,  welches  in  feinen  weissen  Blättchen  vom  Schmelzpunkt  47 — 48*^  kiy- 
stallisirt  und  mit  Basen  Salze  einer  Oxystearinsäure  liefert,  die  durch  Säuren  sofort 
wieder  in  das  Anhydrid  übergeführt  werden.  —  Aus  der  IsoÖlsäure  entsteht  durch 
Yermittelung  einer  Jodstearinsäure  eine  Oxystearinsäure,  welche,  wie  die  oben  auf- 
geführte Säure,  bei  82 — 85®  schmilzt,  von  derselben  aber  verschieden  ist,  da  sie  in 
Alkohol  und  Aether  leichter  löslich  und  fast  ohne  Zersetzung  destillirbar  ist;  durt'h 
successive  Einwirkung  von  Schwefelsäure  und  Wasser  auf  IsoÖlsäure  kann  man  je 
nach  den  Bedingungen  die  bei  der  Destillation  zerfallende  oder  die  onzersetzt  destil- 
lirbare  Oxystearinsäure  erhalten.  —  Ebenso  wie  über  den  Ort  der  Doppelbindung 
im  Molecül  der  Oelsäure  (vgl.  S.  513)  lassen  sich  auch  über  die  Stellung  der  Hydroxyl- 
gruppe in  diesen  Oxystearinsäuren  einstweilen  nur  unsichere  Vermnthongen  auf- 
stellen. 

Natürlich  gebildet  sind  einige  OxysKnren  C^Hsi^Os  als  Befittndthelle  toi 
Waehsarten  beobachtet  worden.  Aus  dem  Camaubawachs'  (vgl.  S.  362)  ist  eine 
Säure  isolirt,  welche  —  aus  ihren  Salzen  in  Freiheit  gesetzt  —  sofort  in  ihr  Lacton 
C,iH4o02  (Schmelzpunkt  103-5^)  übergeht  und  beim  Erhitzen  mit  Natronkalk  eine 
Dicarbousäure  C,9H8a(C02H)8  liefert  —  Das  Coccerin  (Cochenillewachs,  vgl.  S.  571 1 
enthält  als  sauien  Bestandtheil  die  Coccerinsäure*  (Schmelzpunkt  92— 98**),  welche 
die  Zusammensetzung  C,iHeaOa  zu  besitzen  scheint  und  durch  Oxydation  die  gleiche 
Pentadecylsäure  wie  der  Coccerylalkohol  (S.  571)  liefert 


»  A.  Saytzew,  J.  pr.  [2]  33,  310  (1886).  —  M.,  C.  u.  A.  Saytzbw,  Ber.  19,  541 
(1886).  J.  pr.  [2]  36,  369  (1887);  37,  269  (1888).  —  Söabanejew,  Ber.  19c,  ^m 
(1886).  —  Geitel,  J.  pr.  [2]  37,  53  (1888). 

«  Stübcke,  Ann.  223,  310  (1884). 

'  0.  LiEBERifAXN,  Ber.  18,  1980  (1885).  —  C.  Liebebmann  u.  Beroami^  Ber.  20,  964 

(1887). 


Bildungsreacliotten  für  h^rtxtytreicke,  ünhasische  Säuren 


II.   Polyhydroxylderiyate  der  Fettsäuren. 

Allgemeine  Zusammensetzung  C„HjnO„. 

Unter  der  Bezeichnung  „Polyhydroxylderivate  der  Fettaäurt 
diejenigen  gesättigten  Oxysäuren  zusammengefasst  werden,  dere 
neben  einer  Carboxylgruppe  mehrere  Hydroxylgruppen  enthalten 
Säuren  sind  in  grösserer  Zahl  aus  den  mehrwerthigen  Älkc 
mehrwerthigen  Aldehydalkuholen  (Zuckerai-ten)  durch  Oxydatioi 
Eegel  mit  verdünnter  Salpetersäure  oder  mit  Brom  in  Gegt 
Wasser  —  oder  aus  den  Znckerarten  durch  die  Cyanhydrinreacti( 
werden  (vgl,  S.  741);  die  so  gewinnbaren  Säuren  werden  im 
zuweilen  schlechthin  als  „einbasische  Säuren  der  Zucke 
bezeichnet  werden;  die  einzelnen  Repräsentanten  sind  in  i 
abtheiluDg  Ä  (S.  7  74  ff.)  behandelt.  —  Eine  wichtige  Entstehung 
einbasischen  Säuren  mit  mehreren  Hydroxylgi-uppen  besteht 
der  Oxydation  von  ungesättigten  einbasischen  Säuren  mit  ] 
manganat;  an  der  Stelle  der  doppelten  Bindung  werden  bei 
(iationsprocess  zwei  Hydroxylgruppen  angelagert  (vgl.  S.  493); 
mit  einer  Doppelbindung  giebt  daher  eine  Dioxyfettaäure  ( 
säure  — >-  Dioxystearin säure),  eine  Säure  mit  zwei  Doppelbindi 
Tetraoxjfettaäure  etc.  —  ein  Umstand,  welcher  fUr  Constituti 
raungen  Wichtigkeit  erlangen  kann  (vgl.  trocknende  Oelsäuren,  S.  t 
diese  zu  ungesättigten  Säuren  in  naher  Beziehung  s 
Polyoxysäuren  sind  in  der  Uuterabtheilung  B  (S.  786 — 787)  b( 

Enthalten  die  Säuren  dieser  Klasse  Hydroxylgruppen  in  i 
lung  zur  Carboxylgruppe,  so  besitzen  sie  die  Fähigkeit  zur  Bi 
Oxylactonen',  z.  B.: 

CH,(OH)-CH(OH).CH,-CH,-CO,H-H,0  =  CH/OHjCH.CH,- 


CH,{OH) .  CH(OH)  ■  CH(OH)  ■  CH{OH)  ■  CH(OH) 

I  -H,0 

CO  OH 


CH,(OH)  ■  OH(OH)-  CH  ■  OHIOH)  ■ 


Die  hydroxylreichen  Oxylaetone  sind  oft  im  Gegensatz  zu. den  zi 
Säurehydraten  durch  grössere  Krystallisationsfahigkeit  ausge>:ei( 
Säurehydrate  selbst  sind  für  die  Glieder  der  niederen  und 
Reihen  nur  in  wenigen  Fällen  kryatallisirt  erhalten;  wo  sie  v.i 
bildung  befähigt  sind,  gehen  sie  häufig  schon  bei  der  AI 
aus  den  Salzen  oder  beim  Abdampfen  der  wässrigeii  Lösung 
IheiJs  in  Lacton  über;  in  einigen  Fällen  aber  bedarf  es  7.nt 
sirung  auch  des  Frhitzens  anf  höhere  Temperatur. 

'  Ueber  die  einracheren  Oxylsctone  vgl.  Fririu,  Aiiii.  268,  4.  3-1.  40.  I 


768  VerhaUen  der  meJirfach 


Unter  den  Derivaten  der  zur  Zucke|fgruppe  in  nahen  Beziehungen 
stehenden,  mit  Sauerstoff  stark  heladenen  Oxysäuren,  wie  z.  B.  der  Penta- 
oxycapronsäuren,  sind  als  wichtig  für  die  Abscheidung  dieser  Säuren  aus 
Gemischen  hervorzuheben  die  Phenylhydrazide  *  —  Verbindungen,  welche 
das  Hydroxyl  der  Carboxylgruppe  durch  den  Phenylhydrazinrest 
—  NH-NH-CgHg  ersetzt  enthalten: 

CH,(OH)~iCH(OH)U-COOH  >   CH,(OH)~{CH(OH)|4-CO.NH.NH.CeH5. 

(Vgl.  über  Phenylhydrazin  S.  889,  392;  Näheres  s.  Bd.  11.) 

Gerade  aus  den  Säuren  der  Zuckergruppe  bilden  sich  diese  Produkte 
sehr  leicht,  wenn  man  die  Säuren  oder  die  Lactone  in  wässriger,  etwa 
lOprocentiger  Lösung  mit  Phenylhydrazin  in  Gegenwart  von  Essigsäure 
erwärmt;  sie  sind  in  kaltem  Wasser  schwer  löslich,  lassen  sich  leicht 
durch  Erystallisation  reinigen  und  können  durch  Kochen  mit  Baryt- 
wasser  leicht  in  die  Säure  zurtickverwandelt  werden.  Diese  Eigen- 
schaften machen  die  Hydrazide  für  die  Isolirung  der  Säuren  werthvoll: 
weniger  brauchbar  sind  sie  für  die  Unterscheidung  der  Isomeren,  da 
sich  die  isomeren  Hydrazide  in  Krystallform,  Schmelzpunkt  und  Löslich- 
keit vielfach  sehr  ähnlich  sehen. 

Ein  höchst  bemerkenswerthes  Verhalten  zeigen  die  Säuren  der 
Zuckergnippe  gegen  nascirenden  Wasserstoff*.  Während  in  den  hydroxyl- 
freien  Säuren  (Essigsäure  etc.),  in  den  einfacheren  Oxysäuren,  wie  Glycerin- 
säure  CHjj(0H).CH(0H).C02H,  die  Reduction  der  Carboxylgruppe  durch 
nascirenden  Wasserstoff  zur  Aldehydgruppe  nicht  ausführbar  ist,  gelingt 
die  üeberfiihrung  jener  „Säuren  der  Zuckergruppe*'  in  die  zugehörigen 
Aldehyde  —  d.  h.  die  Zucker  selbst  —  mit  grösster  Leichtigkeit  durch 
Behandlung  mit  Natriumamalgam  unter  geeigneten  Bedingungen: 

CH,(0H)-!CH(0H)l4-C0,H >-    CH8(0H)-jCH(0Hl,-CH0. 

Diese  auffallende  Eigenthümlichkeit  hängt  mit  der  Fähigkeit  zur  Lacton- 
bildung  zusammen;  die  Säuren  selbst  sind  nämlich  nicht  reducir- 
bar,  sondern  ihre  Lactone;  jene  Beaction  gelingt  daher  einerseits 
unter  Bedingungen,  welche  die  Lactonbildung  herbeiführen,  und  wini 
andererseits  durch  Mittel,  welche  die  Lactonbildung  aufheben,  verhindert. 
Wenn  man  beispielsweise  die  alkalische  Lösung  der  Säuren  mit  Natrium- 
amalgam behandelt,  also  die  Salze  der  Säuren  der  Einwirkung  de> 
nascirenden  Wasserstoffs  aussetzt,  so  erhält  man  keine  Spur  Zucker. 
Wenn  man  aber  von  den  Lactonen  selbst  ausgeht,  oder  wenn  man  bei 
schwerer  anhydrisirbaren  Säuren  zunächst  durch  Kochen  der  wässrigen 
Lösung  der  freien  Säure  oder  durch  Eindampfen  derselben,  nöthigenfalli^ 
noch  durch  längeres  Erhitzen  des  Abdampfungsrückstands  die  Haupt- 
menge in  Lacton  überführt,  darauf  in  Wasser  löst,  mit  Natriumamalgaoi 
reducirt   und   während   der  Reduction  stets  durch  häufigen  Zusatz  von 


^  E.  Fischer  n.  Passmore,  Ber.  22,  2728  (1889). 
«  E.  Fischer,  Ber.  22,  2204  (1889);  23,  930  (1890). 


hydroxylirlen  Feitsäuren.  769 


verdünnter  Schwefelsäure  das  Gemisch  sauer  erhält,  um  die  BUck- 
verwaDdlimg  des  LactoDs  in  das  Salz  der  Säure  zu  verhüten,  so  erhält 
man  den  zugehörigen  Zucker  in  reichlicher  Menge.  Durch  weitere  Ee- 
duction  des  Zuckers  wird  dann  der  Uebergang  zu  einem  mehrwe'^'''"'"' 
Alkohol  ermöglicht. 

Es    ist   demnach    möglich  (vgl.  S.  602),    von    einem   mehrwe 

Alkohol  durch  stufenweise  Oxydation  über  den  Aldehydalkohol  (Ak 

der  Alkobolsäure   mit   gleichviel   Kohlenstoffatomen    und    von   1 

wieder  durch  stufenweise  Reduction  zum  Alkohol  zurilckzugelanger 

CH,-OH  CHO  CO,H  CHO  CB 

JCH-OH;,— >-lCH-OH|, »-ICHOHji »-  |CH-OH|, )►  [015 

CH,-OH  6h,-0H  CH,0H  CH,.0H  ÖH 

Um  diese  Beziehungen  in  den  Klassennamen  hervorzuheben, 
man,  anklingend  an  die  Bezeichnung  „Aldoae"  für  die  Aldehyda! 
die  mehrwerthigen  Alkohole  ,,Aldite",  die  zugehörigen  Säuren  ,,. 
säuren'-  nennen.  Denn  es  ist  allgemein  gebräuchlich,  die  einbt 
Säuren  der  Zuckergruppe  durch  die  Endung  ,,on"  zu  charakti 
die  mit  dem  Stamm  des  Namens  des  correspondirenden  Zuckt 
banden  wird;  man  nennt  also  z.  B.  die  aus  Glucose  entstehen 
in  G  lue  ose  überfiihrbare  Säure  „  Gl  ucon  säure."  Andererseits 
Bezeichnungen,  wie  „Arabinosecarbonsäure",  „Rhamnosecarbonsäu 
iiäufig  gebraucht,  um  im  Namen  die  Entstehung  mittelst  der  Cyaii 
reaction  aus  einem  bestimmten,  um  ein  Kohlenstoffatom  ärmeren 
anzudeuten. 

Indem  man  die  Cyanhydrinsynthese  von  Aldonsäuren  aus  , 
und  die  Reduction  von  Aldonsäuren  zu  Aldosen  abwechselnd  n 
ander  combinirt,  kann  man  von  niederen  Aldosen  bezw.  Aldo 
zu  höheren  Gliedern  derselben  Körperklassen  aufsteigen : 

C0,1 


CH(OH) 

CH(( 

CH(OH) 

--    -*' 

CH(( 

CHlOH) 

»A"'««™« 

CH(< 

CHlOH) 

CHt< 

CO,H  COH  CH(( 

I  I  I 

COH  CH(OH)  " 

i  1 

i;H(OH)  *        CH(OH) 

CH(OH)      ^'"U.™°s      CHtOH)      iR« 
CH(Oiri       ^  ■"*"*"■«'      CH(OH) 

I  I  I 

CILiOH)  CH,(OH)  CH^OH)  CH,( 

Für  den  Ausbau  der  Zuckergruppe  sind  diese  Reactionen  die 
vollsten  Hülfsmittel  geworden. 

Im  Vorbeigehenden  sind  die  Aldonsäuren  mehrfach  als  Oxyi 
Produkte  von  mehrwerthigen  Alkoholen  und  Zuckerarten  betracht 
den;    im    AnschluSs    daran    muss   erwähnt   werden,    dass  bei  kr? 


770  Stereoi^omerie  hei  Aldonsäuren, 


Oxydation  der  Aldonsäuren  die  endständige  primäre  Alkoholgruppe  in 
Carboxyl  verwandelt  wird,  und  daher  eine  zweibasische  Oxysäure  mit 
ebensoviel  Kohlenstoffatomen  entsteht,  z.  B.: 

COjH  CO,H 

I  I 

CH(OH)  CH(OH) 


CH(OH)  ^        CH(OH) . 


I 


CH(OH)  CH(OH) 

I  •  I 

CH,(OH)  CO2H 

Die  Säuren  der  Zuckergruppe  enthalten  meist  eine  normale  Kette 
von  Kohlenstoffatomen  und  an  jedes  nicht  in  die  Carboxylgruppe  ver- 
wandelte Kohlenstoffatom  eine  Hydroxylgruppe  gekettet,  z.  B.: 

CH,(OH)-CH(OH)-CH(OH)-CH(OH)-CH(OH)-CO,H. 

Die  zahlreichen  Isomeriefälle,  die  man  beobachtet  hat^  sind  fast  aus- 
schliesslich stereochemischer  Natur  und  beruhen  auf  dem  Reichthum 
der  Molectile  an  ungleichartig  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen. 

Vom  Standpunkt  der  stereochemischen  Theorie  bieten  die  Aldon- 
säuren genau  denselben  Fall  dar,  wie  die  zugehörigen  Aldosen.  Bei  den 
zur  sechsten  Reihe  gehörigen  Verbindungen  z.  B.: 

CHO  CO,H 


*CH(OH)  *CH(OH) 

I 


^CH(OH)  *CH(OH) 


CH(OH)  *CH(OH) 

I. 


*CH(OH)  •CH(OH) 


CHj(OH)  CHrfOH) 

Aldohezosen  Hexonsäuren 

enthält  das  Molecül  in  beiden  Fällen  vier  asymmetrische  Kohlenstoff- 
atome, und  unter  diesen  vier  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen  ist  jedes 
einzelne  von  jedem  anderen  verschiedenartig.  In  beiden  Fällen  müssen 
wir  demnach  auf  Grund  der  Theorie  zu  der  gleichen  Zahl  von  Isomerie- 
möglichkeiten  kommen,  jeder  Aldohexose  muss  eine  Hexonsäure  ent- 
sprechen. Es  ergiebt  sich  für  den  besprochenen  Fall  z.  B.  die  Existenz- 
möglichkeit von  je  16  structuridentischen,  aber  räumlich  isomeren,  optisch 
activen  Verbindungen,  die  ausserdem  noch  zu  8  inactiven  Modificationen 
zusammentreten  können.  Da  die  Aldonsäuren  in  der  Regel  aas  den 
optisch  activen  Zuckerarten  gewonnen  werden,  so  erhält  man  hier  — 
abweichend  wie  in  anderen  Körperklassen  —  meist  als  directe  Reactions- 
produkte  die  activen  Formen  und  gelangt  zu  den  inactiven  Formen  erst 
durch  Combination. 

Die   theoretische   Ableitung   der   einzelnen   Möglichkeiten    und   die 


Bildung  eines  neuen  asymmetr,  Kohknstojfaioms  durch d,  Gyanhydrinreaction.  771 


Verlheilung  der  sich  ergebenden  Raumformeln  auf  die  bekannten  Aldon- 
sänren  wird  besser  bis  zur  Besprechung  der  Zuckerarten  selbst  (Kap.  35) 
verschoben.  Hier  sei  nur  auf  die  Existenzmöglichkeit  einer  grossen  Zahl 
von  stereoisomeren  Verbindungen  hingewiesen,  um  es  verständlich  zu 
machen,  dass  sich  unten  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Verbindungen 
für  einen  und  denselben  Structurfall  eine  stattliche  Zahl  von  Repräsen- 
tanten aufgezählt  findet.  Für  das  Verständniss  der  unten  mitzutheilen- 
den  Bildungsweisen  müssen  indess  hier  noch  einige  Erwägungen  auf 
Grund  der  stereochemischen  Theorie  angestellt  werden. 

Wenn  wir  die  Cyanhydrinreaction  auf  eine  Zuckerart  anwenden,  so 
bilden  wir  durch  diesen  synthetischen  Process  ein  neues  asymmetri- 
sches Kohlenstoffatom;  stellen  wir  z.  B.  aus  einer  Pentose  eine  Hexon- 
säure  dar: 


COH 

! 
*CH{OH) 

I               -f  HCN  +  2H,0  = 
•CH(OH)     . 

I  Anlagerung  v.  HCN 

*CH(OH)       u.  Verseifung 

I 


COsH 

I 
CH(OH) 


CH(OH) 

I  +  NH3 , 

CH(OH) 


^  CH(OH) 

I 
CH^COH) 


CH^OH) 

so  kommen  wir  von  einer  Verbindung  mit  drei  asymmetrischen  Kohlen- 
stoffatomen zu  einer  solchen  mit  vier  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen. 
Während  nun  für  die  drei  von  vornherein  vorhandenen  asymmetrischen 
Kohlenstoffatome  eine  bestimmte  Anordnung  feststeht,  die  durch  den 
Process  —  wenn  keine  Umlagerung  eintritt  —  nicht  verändert  wird 
und  beispielsweise  durch  die  Projectionsformeln^: 

CHO 

?(U,OH) 
—OH 


CHO 


H- 
OH— 


?- 
H 


H 


H 


OH 


OH 
H" 


—OH 
— H 


OK 


CHaCOH)  CHjCOH) 

wiedergegeben  werden  mag,  können  sich  um  das  vierte  neu  gebildete 
asymmetrische  Kohlenstoffatom  zwei  verschiedenartige  Gruppirungen  ein- 
stellen. Es  werden  sich  daher  in  der  Regel  Molecüle  von  zweierlei  Art 
bilden,  d.  h.  es  wird  ein  Gemenge  von  zwei  Verbindungen: 


*  üeber  die  Bedeutung  solcher  Projectionsformeln  vgl.  S.  667,    ferner  Kap.  35 
(Zackerarten). 

49* 


772  Wechselseitige  Umwandlung  stereoisomerer  Aldonsäuren, 

CO,H  CO5H 


H— I    -OH  OH 

H       — OH  H 

und 

OH—     -  H  OH 


H— — ^OH  H 


H 


—  OH 

-  H 
-OH 


CH,(OH)  CHg(OH) 

entstehen,  die  von  einander  nur  durch  die  entgegengesetzte  AnordnuDg 
um  ein  einzelnes  asymmetrisches  KohlenstoiFatom  —  und  zwar  um  das 
der  Carboxylgruppe  benachbarte  —  unterschieden  sind.  In  der  That 
hat  man  bereits  in  mehreren  Fällen  diese  Folgerung  der  Theorie  be- 
stätigt gefunden  ^  Das  erste  Beispiel  dieser  Art  bot  die  Z-Arabinose 
(eine  Pentose),  welche  durch  Anlagerung  von  Blausäure  zwei  im  be- 
zeichneten Sinne  isomere  Hexonsäuren,  /-Mannonsäure  und  /-Gluconsäurej 
entstehen  lässt. 

Diese  beiden  Säuren  nun  —  Z-Gluconsäure  und  Z-Mannonsäure  — , 
die  sich  ihrer  gleichzeitigen  Bildung   zufolge    nur  durch   die  räumliche 
Anordnung  in  Bezug  auf  das  der  Carboxylgruppe  benachbarte  Kohlen- 
stoffatom    unterscheiden,    können    in    einander   theilweise    umgewandelt 
werden,  wenn  man  sie  mit  Chinolin  auf  140^  erhitzt;    ob  man  von  der 
Gluconsäure  oder  von  der  Mannonsäure  ausgeht,    so   erhält  man  durch 
diese  Operation  ein  Gemenge  der  beiden  Säuren,  indem  unter  dem  Einfluss 
der  höheren  Temperatur  (vgl.  ähnliche  Verhältnisse  bei  den  stereoisomeren 
Weinsäuren  S.  807,  810)  in  einer  Anzahl  von  MolecQlen  eine.Umlagerung 
eintritt,    die  in  Bezug  auf  das  der  Carboxylgruppe  benachbarte  Kohlen- 
stoffatom   die   entgegengesetzte   Anordnung   herbeiführt,    bis  schliesslich 
ein  Gleichgewichtszustand  zwischen  den  beiden  Isomeren  hergestellt  ist 
Eine  solche  Umwandlung  ist  noch  in  mehreren  Fällen  bei  Aldonsäuren 
und  ähnlichen  Säuren  durch  Erhitzen  mit  Chinolin  oder  anderen  organi- 
schen Basen  (Pyridin,   Strychnin  etc.)    ausgeführt   worden;    man   nimmt 
auch   in   den    übrigen   Fällen   —   gestützt    auf  die   Analogie   mit  dem 
üebergang  von  Gluconsäure  und  Mannonsäure  in  einander  und  auf  andere 
Verhältnisse  (vgl.  Kap.  35,  Zuckerarten)  —  an,   dass   die  herbeigeführte 
Veränderung  ebenfalls  in  der  Umkehrung  der  Anordnung  in  Bezug  auf 
das  der  Carboxylgruppe  benachbarte  Kohlenstoffatom  besteht. 

Solche  Verbindungen,  welche  sich  nur  durch  den  entgegengesetzten 
Charakter  eines  asymmetrischen  Kohlenstoffatoms  bei  gleichbleibendem 
Charakter  der  übrigen  asymmetrischen  Kohlenstoffatome  unterscheiden, 
müssen  chemisch  durchaus  different  sein,  wenigstens  in  solchem  Grade, 
wie  man  es  überhaupt  bei  nahestehenden  Gliedern  einer  und  derselben 
Körper klasse  erwarten  kann.  Denn  die  nähere  Betrachtung  ihrer  Formeln 
—  namentlich  am  Modell  —  lehrt,    dass   die  Gruppirung  der  einzelnen 

»  Vgl.  E.  F18CHEE,  Ann.  270,  64  (1892). 


■n 


>.r.  • 


Gleiehzeitige  Bildung  stereoisomerer  Aldonsäuren.  77 S 


Atome  in  ihren  Molecülen  einen  fiir  jeden  Fall  durchaus  verschiedenen 
Gleichgewichtszustand  bedingt.  Demzufolge  unterscheiden  sie  sich  denn 
auch  thatsächlich  wesentlich  von  einander  in  Schmelzpunkt,  Löslichkeit, 
optischem  Drehungsvermögen  ( —  aber  nicht  etwa  in  dem  Sinne,  dass 
sie  einander  gerade  optisch  entgegengesetzt  sind  — ),  in  der  Leichtigkeit 
der  Lactonbildung  etc. 

Es  ist  daher  auch  bei  Processen,  welche  die  gleichzeitige  Ent- 
stehung zweier  derartig  isomerer  Verbindungen  möglich  erscheinen  lassen, 
die  Bildung  der  einen  Verbindung  keineswegs  ebenso  wahrscheinlich,  wie 
diejenige  der  isomeren  Verbindung;  und  die  Verhältnisse  liegen  mithin 
bei  der  Neubildung  asymmetrischer  Kohlenstoffatome  durch  synthetische 
Processe  durchaus  anders,  je  nachdem  in  der  Ausgangssubstanz  schon 
asymmetrische  Kohlenstoffatome  vorhanden  sind  (Fall  A)  oder  nicht  (Fall  B). 
Im  letzteren  Falle  (B)  stehen  die  beiden  Configurationen,  deren  Ent- 
stehung möglich  ist,  im  Verhältniss  der  Enantiomorphie  zu  einander;  sie 
repräsentiren  denselben  Gleichgewichtszustand;  ihre  Bildung  ist  daher 
gleich  wahrscheinlich^,  und  sie  entstehen  daher  thatsächlich  stets,  wie 
schon  im  allgemeinen  Theil  (S.  82)  hervorgehoben  ist,  in  gleichen  Mengen. 
In  dem  oben  zur  Besprechung  stehenden  Falle  A  dagegen  ist  es  nicht 
nur  denkbar  sondern  sogar  wahrscheinlich,  dass  die  Tendenz 
zur  Bildung  der  einen  Configuration  grösser  ist  als  diejenige 
zur  Bildung  der  stereoisomeren  Verbindung,  dass  daher  eine  Ver- 
bindimg in  überwiegender  Menge  —  eventuell  auch  ausschliesslich  (vgl. 
Mannoheptonsäure  S.  785)  —  durch  die  Reaction  entsteht;  die  Beobach- 
tungen zeigen  in  der  That,  dass  in  solchen  Fällen  die  beiden  Reactions- 
produkte  keineswegs  in  gleichen  Mengen  gebildet  werden.  Während  im  Falle 
B  die  Bildung  genau  gleicher  Mengen  der  Isomeren  als  ein  theoretisches 
Postulat  erscheint,  würde  sie  im  Falle  A  vom  Standpunkt  der  Theorie 
nur  als  ein  Zufall  zu  betrachten  sein,  und  die  vorliegenden  Thatsachen 
schliessen  sich  den  Ergebnissen  der  Speculation  in  jeder  Beziehung  an. 

Von  dem  Verhältniss,  das  zwischen  zwei  Isomeren  solcher  Art,  wie 
/-Gluconsäure  und  /-Mannonsäure,  besteht,  sind  demnach  die  Beziehungen 
zweier  Verbindungen,  die  in  Bezug  auf  jedes  einzelne  asymmetrische 
Kohlenstoffatom  entgegengesetzte  Anordnung  aufweisen,  z.  B.: 

COjH  CO,H 

L  ) 

H-   -  OH  OH  -H 

H-    I     OH  OH  H 

OH           H  H  -  OH 

H OH  OH  H 

CH,(OH)  CH,(OH) 


^  Wenigstens  so  lauge,  als  nicht  etwa  besondere  physikalische  Einflüsse  die 
Entstehung  der  einen  Configuration  begünstigen  sollten. 


j 


774  Dioxifpropionsäure  (Olyoerinsäure). 


wohl  zu  unterscheiden.  Zwei  Isomere  letzterer  Art  stehen  in  demselben 
Verhältniss  zu  einander,  wie  die  optisch  entgegengesetzten  Modificationen 
von  Verbindungen  mit  nur  einem  asymmetrischen  Eohlenstoffatom  (vgl 
S.  80 — 82).  Ihre  Molecüle  sind  einander  enantiomorph;  sie  verhalten  sich 
wie  Gegenstand  und  Spiegelbild,  und  daher  besitzt  die  eine  Verbindung 
ein  genau  ebenso  grosses  Drehungsvermögen  nach  rechts,  wie  die  andere 
nach  links ;  aber  in  den  Molecülen  beider  Verbinduügen  herrscht  derselbe 
Gleichgewichtszustand,  und  sie  zeigen  daher  v~  abgesehen  vom  optischen 
Verhalten  und  der  Krystallform  —  keine  erheblichen  unterschiede.  Man 
belegt  sie  daher  auch  mit  dem  gleichen  Namen  und  unterscheidet  die 
beiden  „optischen  Antipoden"  nur  durch  Voransetzung  der  Buchstaben 
d  und  /  —  z.  B.  c?-Glucon säure  und  Z-Gluconsäure.  Die  Bedeutung  dieser 
Vorzeichen  ist  schon  S.  609  erklärt;  sie  drücken  nicht  den  Sinn  des 
Drehungsvermögens  für  die  Substanz  selbst  aus,  sondern  beziehen  sich  auf 
das  Drehungsvermögen  der  correspondirenden  Aldose.  Wenn  also  eine 
der  beiden  Gluconsäuren  als  rf-Gluconsäure  bezeichnet  wird,  so  wird 
damit  nicht  gesagt,  dass  sie  die  rechtsdrehende  Modification  ist,  sondern 
dass  sie  aus  einer  rechtsdrehenden  Aldose  —  der  cf-Glucose  —  durch 
Oxydation  entsteht  und  in  letztere  durch  Eeduction  wieder  übergeführt 
werden  kann. 

Für  derartige  optisch  gerade  entgegengesetzte  Modificationen  besteht 
die  Möglichkeit  der  Combination  zu  inactiven  Modificationen,  die  mit 
dem  Vorzeichen  i  bezeichnet  werden.  Allein  nicht  in  allen  Fällen  ist 
eine  Vereinigung  der  optischen  Antipoden  zu  einer  besonderen  Modifi- 
cation  beobachtet,  zuweilen  bilden  sie  mit  einander  nur  ein  inactives 
mechanisches  Gemenge  (vgl.  Gulonsäuren,  S.  782). 

A.    Polyoxymonocarbonsäuren,  welche  durch  Umwandlung  von 
mehrwerthigen  Alkoholen  oder  Aldehydalkoholen  entstehen. 

Die  Dioxy Propionsäure  CsHeO^  =  CH2(0H).CH(0H)C0,H,  gewöhnHch  Gly- 
eerinsUare  genannt,  bildet  das  einfachste  Glied  dieser  Gruppe.  Man  stellt  sie 
durch  Oxydation  von  Glycerin^  dar  und  benutzt  als  Oxydationsmittel  in  der  Regel 
Salpetersäure  (vgl.  S.  719);  sie  wird  femer  aus  der  a-j^-Dibrompropionsäure* 
CHsBr.CHBr.COjH  (vgl.  S.  722)  und  aus  der  ChlormUchsäure»  CH,C1.CH(0H).C0,H 
(vgl.  S.  755)  durch  Behandlung  mit  Silberoxyd  erhalten.  Glycerinaäure  bildet  einen 
dicken  Syrup,  mischt  sich  mit  Wasser  und  Alkohol,  ist  in  Aether  unlöslich;  beim 
Aufbewahren  der  durch  Abdampfen  der  wässrigen  Lösung  auf  dem  Wasserbade  ge- 
wonnenen  Säure  scheiden  sich  nach  und  nach  Krystalle  eines  Anhydrids  (CgHfOt)! 
ab,  welches  sich  erst  in  mehr  als  600  Th.  kochenden  Wassers  löst,  beim  Kochen  mit 
Wasser  nur  langsam,  rascher  beim  Erhitzen  mit  Kalkmilch  in  die  Säure  zurückverwandelt 

^  Debus«  Ann.  106,  79  (1858).  —  Sokolow,  ebenda,  95.  —  de  la  Rde  u.  MI^llkb, 
Ann.  109,  122  (1859).  —  Beilstein,  Ann.  120,  228  (1861>  —  Babth,  Ann.  124,  341 
(1862).  —  Moldenhauer,  Ann.  131,  324  (1864).  —  Mülder,  Ber.  9,  1902  (1876).  - 
BöBNSTEiN,  Ber.  18,  3357  (1885).  —  Lewkowftsch,  Ber.  24o,  653  (1891> 

»  Beckuets  u.  Otto,  Ber.  18,  238  (1885).        «  Fbank,  Ann.  206,  848  (1880). 


TnosryhuUersäuren,  775 


wird'.  Bei  höherem  Erhitzen'  bildet  sich  neben  anderen  Säuren  Brenztraubensäure 
CHj«CO*CO,H,  die  reichlich  beim  Erhitzen  von  Glycerinsäure  mit  saurem  schwefel- 
sauren Kalium  entsteht': 

CHg(OH).CH(OH).CO,H-H,0  =  CH,:  0(OH).CO,H  =  CHa.COCOjH 

(vgl.  S.  475—476).  Die  wichtige  Verwandlung  der  Glycerinsäure  durch  Jodwasserstoff  in 
^odpropionsäure,  welche  zur  Darstellung  letzterer  Säure  benutzt  wird,  ist  schon  er- 
wähnt (vgl.  S.  712,  719).  Durch  Spaltpilze  kann  Glycerinsäure  als  Galciumsalz  in  Gäh- 
rung  versetzt  werden^;  als  Hauptprodukte  der  verschiedenen  Gährungen  sind  Alkohol, 
Ameisensäure  und  Essigsäure,  als  Nebenprodukt  Bemsteinsäure  beobachtet.  —  Unter 
den  Salzen  der  Glycerinsäure  wird  häufig  das  Blei  salz  Pb(CsHs04)2,  das  in  kaltem 
Wasser  schwer,  in  heissem  Wasser  leicht  lösUch  ist  und  harte  ELrystallkrusten  bildet, 
zur  Abscheidung  und  Charakterisirung  benutzt  —  Glycerinsäureäthylester* 
CjHftO^-CjHg  entsteht  beim  Erhitzen  der  Säure  mit  absolutem  Alkohol  auf  170— 
190*,  ist  eine  zähe  Flüssigkeit,  siedet  bei  etwa  230— 240^  besitzt  bei  6*  das  spec. 
Gew.  1*193  und  wird  in  Berührung  mit  Wasser  schnell  sauer. 

Die  aus  Glycerin  entstehende  Glycerinsäure  ist  inactiv;  durch  auswählende 
Vezgährung  kann  eine  optisch  active,  und  zwar  rechtsdrehende,  Glycerinsäure*  daraus 
erhalten  werden,  deren  Salze  linksdrehend  sind  (vgl.  Milchsäure,  S.  752—753). 

Zur  Glycerinsäure  in  naher  Beziehung  —  in  der  gleichen  Beziehung  wie  Aethylen- 
oiyd  zu  Glykol,  Glycid  zu  Glycerin  (vgl.  S.  590)  —  steht  die  Gl jcidstture  ^ 
CgH^Og  =  CHj-CH-C^OgH  (Aethylenoxydcarbonsäure,  Epihydrinsäure).   Sie 

entsteht  aus  den  beiden  isomeren  Chlormilchsäuren: 

CHjCl .  CH(OH).  COjH       und        CHj(OH).  CHCl  •  CO,H , 

deren  erste  S.  755  besprochen  ist,  deren  zweite  bei  der  Einwirkung  von  unter- 
chloriger Säure  auf  Akrylsäure  sich  bildet,  durch  Behandlung  mit  alkoholischem 
Alkali,  ist  flüssig,  besitzt  schwachen,  an  Fettsäuren  erinnernden  Geruch,  löst  sich  in 
allen  Verhältnissen  in  Alkohol,  Aether  und  Wasser,  geht  durch  Erwärmen  mit  Wasser 
~  selbst  schon  beim  Stehen  an  feuchter  Luft  —  in  Glycerinsäure  über  und  reagirt 
mit  rauchender  Salzsäure  unter  lebhafter  Erwärmung  und  Bildung  der  |9-Chlormilch- 
säure  CH,C1.CH(0H).C0,H. 

TrioxybnttersSuren  C4H8O5.  Normale  TrioxybuttersKure»  CH2(0H).GH(0H)- 
CHOHl-COjH  (Erythritsäure,  Erythroglucinsäure)  ist  als  Oxydationsprodukt 
von  Er^iJirit  (S.  604),  Fructose  CH2(OH).CH(OH).CH(OH).CH(OH).CO.CH2(OH)  und 


^  SoKOLOW,  Ber.  11,  679  (1878). 

*  MoLDENHAUEB,  Ann.  131,  336  (1864).  —  Böttinqer,  Ann.  196,  92  (1878).  Ber. 
10,  266  (1877). 

'  Erlemmeyer,  Ber.  14,  320  (1881). 

*  FxTz,  Ber.  12,  474  (1879);  13,  1312  (1880);  16,  844  (1883).  —  Frankland  u. 
Frew,  Joum.  Soc.  59,  81  (1891). 

>  Hekrt,  Ber.  4,  705  (1871). 

*  Lewkowitsch,  Ber.  16,  2720  (1883).  —  Frankland  u.  Frew,  Joum.  Soc.  59,  96 
(1891).  —  Tutton,  ebenda,  233. 

'  Melikofp,  Ber.  13,  271.  —  Erlenheter  u.  Kinkelin,  ebenda,  457.  —  Melikoff 
u.  Zeliksky,  Ber.  21,  2052  (1888). 

«  JLampartbr,  Ann.  134,  260  (1865).  —  Sell,  Ztachr.  Chem.  1866,  12.  —  Börn- 
STEDf  u.  Herzpeld,  Ber.  18,  3353  (1885).  —  Herzpeld  u.  Winter,  Ber.  19,  390  (1886). 
—  IwiG  u.  Hecht,  ebenda,  468. 


A 


776  Tetraoxyvaleriansäuren  (Pentonsäuren), 


Mannit  beschrieben  worden.  —  Trioxjisobutter säure  ^  (CH,-OH),CH(OH)CO,H 
entsteht  aus  der  Glycerose  —  dem  ersten  Oxydationsprodokt  des  Gljcerins  (vgl 
S.  582)  —  durch  die  Cyanhydrinreaction  als  Hauptprodnkt  und  bildet  farblose  Pris- 
men vom  Schmelzpunkt  116°;  ihre  Constitution  ergiebt  sich  daraus,  dass  sie  durch 
Reduction  in  Isobuttersäure  übergeführt  werden  kann;  aus  ihrer  reichlichen  Bildung 
darf  man  folgern,  dass  die  Glycerose  als  Hauptbestand theil  Dioxyaceton  (CH,-OH)s(X) 
enthält 

TetraoxyYaleriansSuren  oder  PentoDstturen  CgHioOe.  Die  normalen  Pentoi- 
sttnren  CH,(0H).CH(0H).CH(0H).CH(0H).C02H  sind  die  Oxydationsprodukte  der 
Pentosen  CHj(OH).CH(OH).CH(OH).CH(OH)-CHO  und  werden  nach  den  ihnen  ent- 
sprechenden Zuckerarten  benannt.  —  /-Arabonsäare''^  entsteht  aus  /-Arabinose  durch 
Oxydation;  beim  Eindampfen  ihrer  wässrigen  Lösung  erhält  man  einen  Syrup,  der 
beim  Stehen  über  Schwefelsäure  erstarrt  und  dann  zum  kleinen  Theil  aus  freier 
Säure,  zum  grösseren  Theil  aus  ihrem  Lacton  besteht;  das  Lacton  kiystaUisirt  aus 
Aceton  in  farblosen  Nadeln,  erweicht  gegen  86^,  schmilzt  zwischen  95^  und  98^  und 
dreht  nach  links  ([«]d*®  in  etwa  lOproc.  wässriger  Lösung  =  —  73  •9°).  Erhitzt  man 
eine  wässrige  Arabonsäurelösung  mit  Pyridin  auf  ISO*^,  so  wird  die  Arabonsäure 
theilweise  in  die  stereoisomere  Ribonsäare^  umgewandelt,  welch  letztere  umgekehrt 
beim  Erhitzen  mit  Pyridin  theilweise  in  Arabonsäure  übergeht  (vgl.  S.  772);  die 
beiden  Säuren  lassen  sich  in  Form  ihrer  Calciumsalze  ti'ennen,  da  arabonsaures  Calcium 
sehr  leicht  kiystallisirt  und  in  kaltem  Wasser  verhältnissmässig  schwer  löslich  ist, 
während  ribonsaures  Calcium  sehr  leicht  löslich  ist  und  beim  Verdunsten  der  Lösung 
als  gummiartige  Masse  zurückbleibt;  Eibonsäurelacton  CsHgOs  bildet  farblose 
Prismen,  schmilzt  bei  72 — 76®  und  ist  ebenfalls  linksdrehend,  aber  viel  schwächer 
als  Arabonsäurelacton  ([«]d*®  in  etwa  lOproc.  wässriger  Lösung  =  —  18-0°);  durch 
Reduction  entsteht  aus  dem  Eibonsäurelacton  die  Ribose.  —  XylonsSure^  entsteht 
durch  Oxydation  von  Xylose  und  liefert  ein  nicht  krystallisirendes  Calciumsalz. 

Tetraoxyeapronstturen  CeHj-jOe-  Eine  normale  Tetraoxycapronsäure 
(Methylpentonsäure)  CH3.CH(0H).CH(0H)CH(0H).CH(0H).C0sH  ist  die  durch 
Oxydation  von  Rhamnose  entstehende  RliaiiinonsSare^,  deren  Lacton  GeHioOe  bei 
150 — 151®  schmilzt,  in  Wasser  und  Alkohol  leicht,  in  Aether  schwer  löslich  ist  und 
nach  links  dreht. 

Eine  Tetraoxycapronsäure  mit  verzweigter  Kohlenstoffkette: 
CH^0H).CH(0H).CH(0H).C(0H).CH3  ist  die  Saceharlnsäure«,  deren  Calciumsabs 


CO,H 
aus  Glucose  und  Fructose  —  daher  auch  aus  dem  Gemisch  derselben,  dem  Invert- 


^  E.  Fischer  u.  Tafel,  Ber.  22,  106  (1889). 

*  R.  W.  Baueh,  J.  pr.  [2]  30,  379  (1884);  34,  46  (1886).  —  Kiliani,  Ber.  19, 
3031  (1886);  20,  345  (1887);  22,  3006  (1888).  —  Allen  u.  Toulens,  Ann.  260,  312 
(1890).  —  Wohl,  Ber.  26,  744  (1893). 

*  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  24,  4214  (1892). 

*  Allen  u.  Tollens,  Ann.  260,  306  (1890). 

*  Will  u.  Peters,  Ber.  21,  1813  (1888).  —  Schnelle  u.  Tollens,  Ber.  23,  2992 
(1890).     Ann.  271,  68  (1892). 

*  P6UG0T,  Ber.  13,  196  (1880).  Compt  rend.  90,  1141  (1880).  —  Scheibleb,  Her. 
13,  2212  (1880).  —  KiLLiNi,  Ber.  15,  701,  2953  (1882);  17,  1302  Anm.  (18841  Ann. 
2li5,  361  (1883).  —  C.  Liebermann  u.  Scheibler,  Ber.  16,  1821  (1883).  —  Hermahä  u. 
Tollens,  Ber.  18,  1333  (1885).  —  Walden,  Ber.  24,  2028  (1891).  —  Schnelle  u.  Tol- 
lens, Ann.  271,  66  (1892). 


Te^aoxycapronsäuren  und  Saecharine. 

nicker,  —  durch  einen  sehr  eigenth  Um  liehen  und  noch  nicht  klargele 
setzungsprocesa  beim  Kochen  oder  besser  beim  längeren  Stehen  ihrer 
Lösung  mit  überschüssigem  Kalkhjdrat  Bic)i  in  reichlicher  Menge  bildet 
man  das  CalciumaalE  mit  der  enlsprechcndeu  Menge  Oxalsäure,  so  erhalt 
Losung  von  Saccharinaäure;  beim  Rochen  derselben  oder  beim  Eindampfen 
äfinre  indeas  grösstentbeils  in  das  „Saoeharln"  genannte  Lacton: 
CH^OH).CH .  CH(OH).  C(OH)-CH, 
I  I 

O  — CO 

aber,  welches  grosso  Kry stalle  bildet,  bitter  schmeckt,  bei  161°  schmilzt,  si: 
ist  und  nach  rechts  dreht  ([njo  in  lOproc.  Lüsung  anfJinglich  =  -|-  94 
mehrtÄgigem  Stehen  =  +  SS-T);  100  Th.  Wasser  lösen  bei  15°  13  Th.  tl 
beim  Kochen  oder  Stebea  der  LSsung  geht  ein  Tbeil  des  Saccharins  in  f 
siure  über.  Die  Constitution  der  Saccharinsfiure  bezw.  des  Saccharins  erj 
aas  ihrem  Verhalten  hei  der  Rednction  und  Oxydation.  Da  durch  Bedu 
Jodwasserstoff    und    Phosphor    aus    Saccharin    zunflchst    «-y-Dimethylbu1 

.CHj 
CH,CH;CHi-CH<'  (8.  783),    durch    weitere   Eeduetion  Methylpropyl 

0 >° 

/CH. 
CHj'CH,'CHj-CH<;  gewonnen  wird,  muss  mit  der  Carboxvlgruppe  c 

\CO.H 

/<= 

C-C-C--C 
verbunden  Bein;  der  empirischen  Zusammensetzung  zufolge  müssen  vi 
Koblenstofiatome  hydroiylirt,  das  Tönfte  hydroxylfrei  sein.  Da  nun  fem( 
Oxydation  mit  Silberoiyd  Essigsäure  und  Glykotsüure  als  Spaltungsprodul 
achtet  werden,  so  müssen  sich  im  Molecül  die  Hethylgruppe  und  die  Gruppe  - 
finden;  es  bleiben  demnach  zur  Wahl  die  beiden  Saccliarinsäureformeln: 

I  yCH^OH)  II  yi 

CH,  -  CH(OH)-  CH(OH)  ■  d(OH)  -  COjH  und  CH^OHI  •  CH(OH)  ■  CH(OH)  -  C(0: 
Xun  geht  die  einbasische  Sacchariiisäure  CgH„0,  durch  Oxydation  mit  Sal| 
in  zweibasische  Saccharonsäare  CgH[oO,  über  —  offenbar,  indem  die  Gruppe  - 
in  ^CO'OH  verwandelt  wird;  von  den  beiden  Saccharonsäureformeln: 

I  ,CO,H  "  /( 

CH,CH{OH)-CH(OH)qOH)-COiH  und  CO,H-CH(OH)CH(OH)-C(C 
wird  nnn  die  erste  ausgeselilosseß,  die  zweite  dagegen  bestätigt  durch  dei 
das8  auB  Saccharonaäure  durch  Eeduetion  mit  Jodwasserstoff  und  Phosphor 
glntarsänre  CO,H-CH,-CH,-CH(CHj)CO,H  (S.  676)  gebildet  wird. 

Mit  der  Saccharinsäure  bezw.  dem  Saccharin  isomer  sind  Isosaccha 
bezw.  Isaiaceharlii  *'*  (Schmelzpunkt  95";  [kJd  in  lOproc.  wässriger  1 
-»■  63-0°)  und  MeCasaccharin  säure  bezw.  HetKBftccharin'-'(Scbmel2punktl 
n'ti  in  lOproc.  nässriger  Läsung  =  —  46-7"),  welche  neben  einander  aus  Mi 
durch  Einwirknng  von  Kalkbydrat  entstehen.  Für  die  Isosaccharinsäur 
Stractarformel: 

'  CoisiNiEE.  Bull,  äe,  512  (1882).  —  KiLiÄNi,  Ber.  18,  631.  2514 
WiLDEK,  Ber.  24,  2028  (1891). 

»  Schnelle  u.  Tollebs,  Ann.  271,  66,  67  (1892). 
'  Kii.MNi,  Ber.  18,  2C2.1  (1S83);  18,  642  (IS«--!), 


778  Pentaoxycaprcmsäuren  oder  Heoconsäuren 


/CH^OH) 
CH,(OH) .  CHtOH) .  CH,  •  C(OHK 

\CO.OH 

sehr  wahrscheinlich   gemacht,    während    in    der   Metasaccharins&ure    eine    normale 
Kohlenstoffkette  anzunehmen  ist. 

Um  Verwechslungen  vorzubeugen,  sei  darauf  hingewiesen,  dass  bedaaerlicher 
Weise  der  Name  Saccharin  auch  einer  Substanz  der  aromatischen  Beihe  (Tgl.  Bd.  11} 
ertheilt  ist,  die  in  ihrer  Constitution  nicht  dia  geringste  Beziehung  zu  den  eben  be- 
sprochenen Verbindungen  hat. 

Die  stereoslsomeren  normalen  PentaoxyeapronsSaren  oder 
Hexonsäuren  CgH^jO^  =  CH,(OH).CH(OH)CH(OH)-CH(OH)CH(OH)- 
COjH  sind  von  besonderem  Interesse  wegen  ihrer  Beziehungen  zu  den 
wichtigsten  Zuckerarten;  aus  den  Aldopen  tosen  CHj(OH)-CH(OH)- 
CH(OH)-CH(OH)-CHO  entstehen  sie  durch  die  Cyanhydrinreaction,  aus 
den  Aldohexosen  CH3(0H).CH(0H).CH(0H).CH(0H).CH(0H).CH0  durch 
Oxydation. 

1.  Oluconsäuren  und  MannonsSuren.  e/-61uconsäure^  ist  das 
Oxydationsprodukt  des  Traubenzuckers  (rf-Glucose)  und  kann  in  letzteren 
wieder  durch  Reduction  mit  Natriumamalgam  übergefiihrt  werden.  Beim 
Verdampfen  ihrer  wässrigen  Lösung  erhält  man  einen  farblosen  Syrup, 
aus  welchem  nach  mehrstündigem  Erhitzen  auf  dem  Wasserbade  und 
mehrtägigem  Aufbewahren  über  Schwefelsäure  sich  das  Lacton  C^Hj^O^ 
in  Ery  stallen  abscheidet;  letzteres  schmilzt  nicht  ganz  constant  zwischen 
130^  und  135®,  ist  in  heissem  Alkohol  recht  leicht  löslich  und  dreht  nach 
rechts  {[cc]jy  in  lOproc.  wässriger  Lösung  10  Minuten  nach  dem  Auf- 
lösen =  -I-  61-6®).  Gluconsaures  Calcium  krystallisirt  in  blumenkohl- 
ähnlichen Aggregaten  und  ist,  bei  100®  getrocknet,  wasserfrei;  100  Th. 
Wasser  lösen  bei  15®  3-3  Th.  des  wasserfreien  Salzes.  Die  normale 
Structur  der  Gluconsäure  ergiebt  sich  daraus,  dass  sie  durch  Jodwasser- 
stoff zu  normalem  Caprolacton  bezw.  normaler  Capronsäure  reducirt  wird, 
die  Gegenwart  von  fünf  alkoholischen  Hydroxylgruppen  daraus,  dass  der 
Gluconsäureäthylester,  wie  auch  das  Gluconsäurenitril,  ein  Pentaacetyl- 
derivat  liefert. 

£f-Mannonsäure^  ist  das  Oxydationsprodukt  der  <f-Mannose.  Beim 
Eindampfen  ihrer  Lösung  auf  dem  Wasserbade  erhält  man  einen  Symp. 
der  beim  Erkalten  zu  einer  strahlig  krystallinischen  Masse  des  Lactons 


^  Hlasiwetz  u.  Habermann,  Ann.  166,  120  (1870).  —  Hlabiwjbtz,  Ann.  168,  253 
(1871).  —  Habermann,  Ann.  162,  297  (1872);  172,  11  (1874).  —  Grieshammeb,  Jb. 
1879,  852.  —  Hoenig,  ebenda  666,  819.  —  Kiliani,  Ann.  206,  182  (1880).  —  Hbez- 
PKLD,  Ann.  220,  385  (1883);  246,  27  (1888).  —  Kiliani  u.  Kxeemakn,  Ber.  17,  1296 
(1884).  —  VoLPERT,  Ber.  19,  2621  (1886).  —  Boütroüi,  Compt  rend.  91,  236  (1880); 
104,  369  (1886).  —  Hefpter,  Ber.  22,  1049  (1889).  —  E.  Fischer  u.  Passmobe,  ebend* 
2730.  —  E.  Fischer,  Ber.  23,  800,  2625  (1890).  —  Schnelle  u.  Tollkns,  ebenda  2991. 
—  Wohl,  Ber.  26,  732  (1893). 

•  E.  Fischer  u.  Hirsohberger,  Ber.  22,  3219  (1889).  —  E.  Fischer,  Ber.  23, 
800  (1890). 


(Olitconsäuren  und  Mannonsäuren).  779 


erstarrt;  letzteres  bildet  farblose  glänzende  Nadeln,  schmilzt  zwischen 
149^  und  153^,  löst  sich  ziemlich  schwer  in  heissem  Alkohol  und  dreht 
nach  rechts  ([a]^  in  12proc.  wässriger  Lösung  =  +  53-8^). 

J-Gluconsäure  und  rf-Mannonsäure  können  durch  Erhitzen  mit  Chi- 
nolin  in  einander  übergeführt  werden  (S.  772);  in  ihrer  Constitution  unter- 
scheiden sie  sich  durch  die  räumliche  Anordnung  in  Bezug  auf  das  der 
Carboxylgruppe  benachbarte  Kohlenstoffatom. 

Die  beiden  optischen  Antipoden  der  rf-Gluconsäure  und  rf-Man- 
nonsäure  entstehen  neben  einander  bei  der  Anwendung  der  Cyanhydrin- 
reaction  auf  die  Arabinose  (vgl.  S.  771 — 772).  Aus  dem  Gemisch  kann 
man  zunächst  die  /-Mannonsäure  leicht  in  Folge  der  grösseren  Krystalli- 
sationsfahigkeit  ihres  Lactons  abscheiden,  aus  dem  dann  bleibenden  Rest 
dann  die  Z-Gluconsäure  durch  Krystallisation  ihres  Calciumsalzes  isoliren. 
Die  Z-Gluconsäure^  ist  der  rf-Gluconsäure  äusserst  ähnlich  —  so  liefert 
sie  ein  Phenylhydrazid,  das,  ebenso  wie  dasjenige  der  rf-Gluconsäure,  bei 
raschem  Erhitzen  gegen  200^  schmilzt;  sie  unterscheidet  sich  von  ihr 
dadurch,  dass  sie  optisch  entgegengesetzt  ist  (festgestellt  für  das  Galcium- 
sulz  und  das  Lacton);  durch  Reduction  liefert  sie  Z-Glucose,  durch 
Oxydation  Z- Zuckersäure.  Die  Z-Mannonsäure*  ist  wiederum  der 
<Z-Mannonsäure  äusserst  ähnlich,  aber  optisch  entgegengesetzt;  für  die 
Hydrazide  beider  Säuren  wurde  bei  raschem  Erhitzen  der  Schmelzpunkt 
214 — 216*^,  für  das  Z-Mannonsäurelacton  der  Schmelzpunkt  146 — 151^ 
gefunden;  durch  Reduction  liefert  Z- Mannonsäure  die  Z-Mannose,  durch 
Oxydation  Z-Mannozuckersäure;  auch  an  dieser  Säure  ist  die  normale 
Stnictur  durch  Reduction  mit  Jodwasserstoff  zu  normaler  Capronsäure 
nachgewiesen,  üeber  die  UeberfÜhrbarkeit  von  Z-Gluconsäure  und 
Z- Mannonsäure  in  einander  vgl.  S.  772. 

Durch  Gombination  der  optisch  entgegengesetzten  activen  Modifica- 
tionen  können  die  inactiven  Modificationen  erhalten  werden.  i-Glu- 
consäure'  unterscheidet  sich  von  der  eZ-  und  Z-Gluconsäure  durch  den 
niedrigeren  Schmelzpunkt  (188 — 190^  ihres  Hydrazids  und  durch  die 
bedeutend  geringere  Löslichkeit  ihres  Calciumsalzes  in  kochendem  Wasser. 
i-Mannonsäure*  liefert  ein  Hydrazid,  welches  höher  (bei  etwa  230^  als 
dasjenige  der  Componenten  schmilzt,  ein  Lacton  vom  Schmelzpunkt 
149 — 155®  und  ebenfalls  ein  beträchtlich  schwerer  lösliches  Calciumsalz. 
Für  die  Synthese  der  Zuckerarten  ist  letztere  Säure  von  besonderer 
Wichtigkeit  gewesen.  Denn  sie  kann  einerseits  aus  synthetischem  Ma- 
terial hergestellt  werden,  indem  man  den  synthetischen  a-Akrit  oder 
i-Mannit  (vgl.  S.  609)  durch  Oxydation  zunächst  in  i-Mannose,  dann  in 
{-Mannonsäure  überfuhrt: 


>  £.  Fischer,  Ber.  23,  2611  (1890). 

•  KiLiAÄi,  Ber.  19,  3033  (1886);  20,  339  (1887).  —  E.  Fischer  u.  Passmore,  Ber. 
22,  2732  (1889).  —  E.  Fischer,  Ber.  23,  373,  2616,  2627  (1890). 

»  E.  Fischer,  Ber.  23,  2617  (1890).  *  E.  Fischer,  ebenda,  376,  2618. 


780  Pentaoxycap'onsäuren  oder  Hexonsäuren 


CH^OH                    CHO  CO,H 

{CHOHU     >-      [CHOH}^    >^     JCHOH!,. 

CHjOH  CH^OH  CHjOH 

Sie  kann  andererseits  in  ihre  Componenten  —  d-  und  /-Mannonsäiire  — 
gespalten  werden;  verwandelt  man  sie  nämlich  in  das  Strychninßalz  und 
kocht  letzteres  mit  absolutem  Alkohol  aus,  so  bleibt  das  schwerer  lös- 
liche Strychninsalz  der  Z-Mannonsäure  zurück,  während  das  leichter 
lösliche  Salz  der  rf-Mannonsäure  in  Lösung  geht;  auf  Grund  dieses  Ver- 
haltens können  die  beiden  activen  Componenten  aus  der  inactiTen  Mo- 
dification  wieder  in  reinem  Zustand  abgeschieden  werden;  sie  selbst  wie 
alle  durch  Umwandlung  aus  ihnen  hervorgehenden  Verbindungen  — 
z.  B.  d'  und  /- Gluconsäure  —  sind  damit  der  Synthese  zugängUch  ge- 
macht. 

2.  €f  ulonsäuren.  Wenn  in  einem  Molecül  vier  asymmetrische  Kohlen- 
stoffatome,  von  denen  jedes  mit  H  und  OH  verbunden  ist,  mit  einander 
zusammenhängen,  und  die  an  den  Enden  der  Kette  noch  verfugbaren 
Valenzen  duixh  zwei  gleichartige  Radicale  X  befriedigt  sind: 

X-  CH(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)-X , 
1.  2.  3.  4. 

SO  kann  man  in  Bezug  auf  die  räumliche  Bindungsart  der  Radicale  X 
unter  den  verschiedenen  Configurationen,  welche  die  Mittelgruppe 
— {CH'OH}^ —  annehmen  kann,  —  es  giebt  deren  zehn  (vgl.  in  Kap.  35 
die  Tabelle  Nr.  43,  Columne  JD)  —  zwei  Hauptfälle  unterscheiden.  Es 
-kann  die  räumliche  Gruppirung  um  die  Kohlenstoffatome  1  bis  4  entweder 
derart  sein,  dass  man,  wenn  das  Modell  zwischen  dem  Kohlenstoffatom  2 
und  3  aus  einander  geschnitten  wird,  und  die  beiden  Hälften  in  correspoii- 
dirender  Stellung  neben  einander  gestellt  werden,  von  beiden  Hälften 
durchaus  den  gleichen  Anblick  hat;  in  diesem  Falle  {A)  sind  die  beiden 
Radicale  X,  wie  sie  structurell  gleichwerthig  sind,  auch  räumlich  durch- 
aus gleichartig  gebunden;  wenn  mithin  ein  Radical  X  durch  ein  davon 
verschiedenes  Radical  Y  ersetzt  wird,  so  wird  es  gleichgültig  sein,  ob 
das  Radical  Y  an  das  Kohlenstoffatom  1  oder  4  tritt  ^  Oder  aber  die 
Configuration  des  Molecüls  kann  derart  sein,  dass  die  beiden  Molecül- 
hälften  nicht  einander  gleichgebaut  sind;  in  diesem  Falle  (JB)  sind  die 
beiden  Radicale  X  demnach  räumlich  nicht  gleichartig  gebunden,  und  e> 
ist  nicht  gleichgültig,  welches  derselben  durch  Y  ersetzt  wird;  vielmehr 
sind  dann  die  beiden  Configurationen: 

X-  CH(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(0H1— Y 
1.  2.  3.  4. 

und  Y-CH(OH).  CH(OH).  CH(OH)  •  CH(OH)— X 

1.  2.  3.  4.' 


*  Dem   Fall  A  entsprechen   in  Columne  I)  dor  Tabelle  Nr.  43  (Kap.  35)  die 
Configurationen   +  VI,   -  VI,   -h  VII,   -  VII. 


(OulonaäurmJ. 

nicht  mit  einander  zur  Deckung  zu  bringen,   entsprechen 
Stereo  isomeren  Verbindungen. 

Im  letzteren  Fall  (B)  kann  man,  wie  eine  nähere  Betrat 
wieder   zwei    Möglichkeiten   unterscheiden.      Die    beiden   M 
können  entweder  in  der  Art  wie  Gegenstand  und  Spiegelbild 
differiren ;  dann  werden  auch  die  beiden  Verbindungen: 
X-  CH(OH)-  CH(OH)-  CH(OH)-  CH(OH)-Y 


und 


Y— CH(OH)-  CH(OH)-  CH(OH)CH(OH)-X 


optische  Antipoden  sein  (Fall  S  a).     Oder  die  beiden  Moleci 
Verbindung : 

X-CH(OH).CH(OH)CH(OH)CH(OH)-X 
sind  überhaupt  durchaus  verschieden  construirt,  so  dass  sie 
tisch,  noch  enantiomorph  sind;  dann  werden  auch  nach  I 
Radicals  X  durch  Y  durchaus  verschiedene,  selbständige  S 
entstehen,  je  nachdem  der  Ersatz  am  einen  oder  am  ande« 
Kette  erfolgt'  (Fall  Bb). 

Eine  derartige  Tsomerie  (Fall  Bb)  besteht  zwischen  i 
säuren  und  den  Gulonsäuren;  man  hat  für  X  und  Y  d 
— CHj-OH  und  — CO,H  einzusetzen;  es  erhellt  sofort,  dass 
au%ehoben  werden  muss,  wenn  man  durch  Reactionen  ir 
Art  die  beiden  endständigen  Kadicale  einander  gleichmacht 
also  z,  B.  EU  identischen  Produkten  kommen  muss,  wer 
Gluconsäuren  oder  Gulonsäuren  zu  sechs wertliigen  Alkohole 
CH^OH)— CH(OH)CH(OH)CII(OH).CH(OH)-CH^OH) 
reducirt  oder  zu  Tetraoxyadipinsäuren  (Zuckersäuren); 

CO^-CH(OH)  ■  CH(OH)  -  CH(OH)  ■  CH(OH)— CO.H 
o\ydirt. 

Man  gelangt  zur  <f-Gnlonsäure*  von  der  rf-Gluconsäurt 
man  letztere  erst  zur  (/-Zuckersäure  —  einer  Tetraoxyadipinsi 
dirt,  dann  die  rf-Zuckersäure  bezw.  ihr  Lacton  wieder  mit  Natri 
reducirt,  wobei  erst  durch  Reduction  einer  Carboxylgruppe 
hydsäure  —  die  Glucuronsänre  — ,  dann  durch  weitere  Ri 
den  Gluconsäuren  isomere  rf-GuIonsäure  gebildet  wird: 


CO,H                         CO,H                        CHO 

jCHOHi.    f-     [CH-OH],      — *-     ICH-OHI,    - 

CH,-OH                    CG.H                        CO,H 

OH 

^      (CH 

io 

d-Gu 

<  Dem  Fall  Ba  entsprechen  in  Columne  l)  der  Tabelle  Nr.  43  < 
äonen  +.  -  I  und  +.  —  VIII,  dem  Fall  Bb  die  Configurationen  +  II. 
■f-IV.V  nnd  -  IV- V. 

•  Thikbpkldbh,  Ztachr.  f.  phyaiol.  Chem".  15,  71  (1891>  —  E.  PiBC 
Ber.  24,  525  (1891).  —  E.  Fimheb  u.  Coaiia-^,  Ber.   25,  1026  (1892). 


782  Pentaoxycap'onsäuren  oder  Hexansäuren 


Aus  dem  Umstand,  dass  das  Endprodukt  dieser  Reactionsfolge  von  dem 
Ausgangsprodukt  verschieden  ist,  ergiebt  sich,  dass  die  räumliehe  An- 
ordnung der  aus  den  vier  Gruppen  — CH{OH) —  gebildeten  Kette  im 
Molecül  der  vier  eben  neben  einander  gestellten  Verbindungen  eine  räum- 
liche Ungleichwerthigkeit  der  beiden  an  den  Enden  der  Kette  verfiigbar 
bleibenden  Valenzen  bedingt;  man  ersieht  ferner  daraus,  dass  bei  der 
Eeduction  der  cf- Zuckersäure  die  aus  der  Gluconsäure  übemommeDe 
Carboxylgruppe  der  Reduction  anheimfällt,  während  die  durch  Oxydation 
der  Gluconsäure  erst  gebildete  Carboxylgruppe  zunächst  intact  bleibt.  Da 
ferner  das  Endprodukt  auch  verschieden  ist  von  der  dem  Ausgangsprodukt 
optisch  entgegengesetzten  Verbindung  (/-Gluconsäure),  muss  die  räum- 


liche Anord^nung  der  Mittelgruppe  {CHOH}^  in  den  obigen  Verbindungei 


dem  Fall  Bb  entsprechen,  d.  h.  eine  derartige  sein,  dass  bei  Inanspruch- 
nahme der  beiden  restirenden  Valenzen  durch  zwei  ungleichartige  Gruppen 
im  einen  oder  anderen  Sinne  weder  identische,  noch  enantiomorphe  Con- 
figurationen  zu  Stande  kommen.  —  c?-Gulonsäure  liefert  ein  bei  180— 
181^  schmelzendes,  besonders  schön  krystallisirendes  Lacton,  welches 
nach  rechts  dreht  ([«Jd^^  in  etwa  lOproc.  wässriger  Lösung  =  4-55-1") 
und  ein  bei  147 — 149^  schmelzendes  Phenylhydrazid,  das  im  Gegensatz 
zu  den  Hydraziden  der  Glucon-,  Mannon-  und  Galactonsäure  in  heissem 
Wasser  leicht  löslich  ist;  durch  Reduction  geht  sie  in  </-Gulose,  durch 
Oxydation  in  (/-Zuckersäure  über. 

/-Gulonsäure^'^  würde  zweifellos  aus  der  Z-Gluconsäure  durch  die 
gleichen  Reactionen  entstehen,  die  von  der  rf-Gluconsäure  zur  rf-Gulon- 
säure  führen.  Diese  Reactionen  sind  indess  nicht  ausgeführt,  fla  einer- 
seits das  Ausgangsmaterial  sehr  schwer  zugänglich  ist,  da  andererseits  die 
/-Gulonsäure  viel  einfacher  auf  anderem  Wege  gewonnen  werden  kann. 
Sie  bildet  sich  nämlich  aus  Xylose  durch  die  Cyanhydriu- 
reaction.  Für  das  Lacton  wurde  der  Schmelzpunkt  179 — 181^  für  das 
Hydrazid  der  Schmelzpunkt  147 — 149®,  für  das  Lacton  das  Drehungs- 
vermögen [«Jd^^  in  9proc.  wässriger  Lösung  =  —  55-3®  gefunden.  rf-Gulon- 
säurelacton  und  Z-Gulonsäurelacton  sind  auch  krystallographisch  enantio- 
morph.  Durch  Reduction  entsteht  aus  Z- Gulonsäure  /-Gulose,  durch 
Oxydation  /-Zuckersäure. 

2- Gulonsäure^.  Wenn  man  gleiche  Mengen  der  optisch  entgegen- 
gesetzten Gulonsäurelactone  in  wässriger  Lösung  zusammenbringt,  so  er- 
hält man  natürlich  eine  inactive  Lösung;  aus  dieser  Lösung  schiesst  in- 
dess beim  Krystallisirenlassen  nicht  ein  f-Gulonsäurelacton  als  einheitliche 
(„racemische",  vgl.  S.  808)  Modification,  sondern  ein  Gemenge  der  Krr- 
stalle  des  d-  und  /-Gulonsäurelactons  an,  welche  von  einander  durch  das 


^  E.  Fischer  u.  Stahel,  Ber.  24,  529  (1891). 
'  E.  F18CHER  u.  CuRTiss,  Ber.  25,  1026  (1892). 


(Galaetonsäuren  imd  Talonsäure). 


Vorkommen  gewisser  hemiedrischer  Flächen  zu  unterschei 
däber  durch  Auslesen  getrennt  werden  können.  Dagegei 
aas  der  gemischten  Lösung  der  beiden  Lactone  durch  Üe 
das  Calcinmsalz  ein  Salz,  welches  bei  Xft'*  3 — 4nial  so  vie 
Lösung  erfordert  als  die  Salze  der  Optiset  activen  Säuren, 
besondere  Modification  und  nicht  als  Gemenge  zu  betrach 

3.  6alaetonsSuren  und  Talonsäure.  Auch  fUr  das 
der  Beziehungen  der  drei  Galactonsäuren  [d-,  l-  und  i-}  zu 
die  eben  angestellten  allgemeinen  Erwägungen  {S.  780 — 781) 
keit.     Diese  Säuren  stellen  ein  Beispiel  itlr  den  Fall  Ba  c 

cf-Galactonsäure '  ist  das  Oxydationsprodukt  der 
beim  Verdunsten  ihrer  Lösung  über  Schwefelsäure  im  Va( 
sich  das  Säurehjdrat  in  kleinen  Xädelchen  ab;  es  kann  in 
sirbares,  in  wasserfreiem  Zustand  bei  90 — 92"  schmelzendes 
geführt  werden,  das  linksdrehend  ist;  das  Calciumsalz  {Cgi 
stallisirt  mit  5  Mol.  H,0.  von  denen  vier  über  Scbwefelsäui 
das  Phenjlhydrazid  schmilzt  bei  raschem  Erhitzen  zwiscl: 
205"  und  ist  in  heissem  Wasser  ziemlich  leicht  löslich.  Du 
mit  Natrinmamalgam  ist  Galactonsäure  in  Galactose,  mit  Joe 
normales  Caprolacton  überfilhrbar,  durch  Oxydation  liefert  sie 

Die  aus  rf-Galactonsäure  durch  Oxydation  entstehende 
CO,HCH{0H).CH(OH)CH(0H)CH(OH).C0,H 
ist  nnn  optisch  inactiv  und  zwar  durch  intramoleculare 
inactiv  (vgl.  die  Begründung  auf  S.  820).  Ihr  Moleciil  bes 
Fall  Ba  (S.  781)  entsprechende  Configuration ;  würde  man  e 
theilen,  so  erhielte  mau  zwei  einander  enantiomorphe  Häl 
daher  in  ihrer  Wirkung  auf  das  polarisirte  Licht  im  Schleii 
compensiren.  So  erklärt  es  sich,  dass  bei  der  Reduction 
säare  (in  Form  des  Lactons  mit  Natriumamalgam),  indem  je 
Carboxylgruppen  in  ebensoviel  Schleimsäuremolecülen  zum 
der  Reduction  wird,  gleiche  Mengen  der  beiden  optisch  entg 
einbasischen  Säuren: 

C0,H-CH(OH).CH(0H)CH(OH)-CH{OH)-CH^0H) 

1.  2.  3.  4. 

CHrfOH)-CH(OH)-CH(OH)-CH(OH)CH(OH)-CO,H 

1.  2.  3.  t. 

gebildet  werden.     Es  wird  demnach  durch  die  Reactionsfo) 

CO,H  CO,H  CO,H  ( 

;cH(OH)i,   >     ;ÖH(OH);.    —  *■    !ch{oh)Ij  +  j( 

injOH)  (Oxydation)    ^^^-^        (ReductioD)    ciUOH)_( 

'  Barth  u.  Hlasiwetz,  Ann.  122,  96  (1862).  —  Hlabiwbtz, 
11871).  -  KiLiAMi,  Ber.  13,  2307  (1880);  14,  661,  2529  (1881);  18,  15 
FisCHEB  n.  Pamhobe,  Ber.  22,  2731  (ISSS).  —  Schkellb  u.  Tollenb, 
(1890).  Abu.  271,  81  (1882).  —  E.  Fischee,  Ber.  23,  935  (1890). 


784  Rkamnohexonsäure  l>is  Rhamnoocionsäure, 


die  (/-Galactonsäure  in  i-6alactonsäure^,  deren  Lactou  nicht  ganz 
constant  bei  122 — 125®  ohne  Zersetzung  schmilzt  und  sich  als  optisch 
inactiv  erweist,  verwandelt.  Die  2 -  Galactonsäure  kann  durch  Krvstalli- 
sation  des  Strychninsalzes  in  <5?-Galactonsäure  und  die  ihr  optisch  ent- 
gegengesetzte /-Galactonsäure^  gespalten  werden. 

Beim  Erhitzen  mit  Chinolin  oder  Pyridin  auf  140 — 150®  wird  rf-Ga- 
lactonsäure  theilweise  in  (/-Talonsäure^  umgewandelt,  welch'  letztere 
wieder  umgekehrt  unter  denselben  Bedingungen  theilweise  in  Galacton- 
säure  übergeht  (vgl.  S.  772);  die  beiden  Säuren,  die  zu  einander  in  ana- 
loger Beziehung  wie  Gluconsäure  und  Mannonsäure  stehen,  können  als 
Cadmiumsalze  getrennt  werden,  da  galactonsaures  Gadmium  in  kaltem 
Wasser  schwer,  talonsaures  Gadmium  leicht  löslich  ist;  auch  das  Talon- 
säurehydrazid  (Schmelpunkt:  gegen  155®)  ist  in  Wasser  viel  löslicher  als 
Galactonsäurehydrazid ;  Talonsäure  liefert  durch  Reduction  Talose,  durch 
Oxydation  Taloschleimsäure  (S.  820—821). 

Eine  normale  Pentaoxjoenanths&ure  oder  Methylhexonsaure  C7H14O7  -  CH,- 
{CH^OHIs-COgH  ist  die  Bhamnoliexonsäure^  (Isodulcitcarbousäure,  Rham- 
nosecarbonsäure),  welche  aus  der  Rhamnose  'durch  die  Cyanhydriureaction  ent- 
steht, beim  Abdampfen  ihrer  Lösung  ein  Lacton  CyHuOa  (Schmelzpunkt:  169®,  [«lu** 
in  lOproc.  wässriger  Lösung  =  4-  83  «8^^)  liefert  und  von  Jodwasserstoff  und  Phos- 
phor zu  normaler  Oenanthsäure  reducirt  wird.  —  Durch  Reduction  mit  Natrium- 
amalgam liefert  sie  einen  Zucker,  der  durch  die  Cyanhydriureaction  (vgl.  S.  769)  nun 
in  BhamnolieptonsUare^  CgHieOg  =  CHajCHOHigCO^H  (Schmelzpunkt  des 
Lactons  158 — 160^,  [otJd*®  in  lOproc,  wässriger  Losung  =  4- 55  •  6^)  verwandelt  werden 
kann.  —  Durch  die  gleichen  Reactionen  ist  man  endlich  noch  zur  RhamnooetonsSure  ^ 
CoHiaOe  =  CHg-ICH-OHIv-COjH  (Schmelzpunkt  des  Lactons  171—172«,  [a^  in 
5proc.  wässriger  Lösung  =    —  50'8*^j  aufgestiegen. 

Die    stereoisoineren    normalen    Hexaoxyoenanthsäuren   oder 

Heptonsäuren  C.Hi^Og  =  CHa(OH).CH(OH)CH(OH)CH(OH)-CH(0E)- 
CH(OH)-COgH  sind  ebenfalls  wieder  fiir  die  Kenntniss  der  Zuckergruppe 
—  und  zwar  einerseits  bei  den  Untersuchungen  über  die  Structur  der 
wichtigsten  Zuckerarten,  andererseits  bei  den  Versuchen  zur  Synthese 
höherer  Zuckerarten  —  von  grösster  Wichtigkeit  geworden.  Sie  ent- 
stehen aus  den  Aldohexosen  durch  die  Cyanhydriureaction;  und  zwar  ist 
aus  denS.  771 — 772  entwickelten  Gründen  im  Allgemeinen  die  gleichzeitige 
Bildung  zweier  stereoisomerer  Säuren  zu  erwarten.  Wenn  nun  aus 
einer  derart  gebildeten  einbasischen  Säure  von  der  Zusammensetzung 
CyHj^Og,  deren  Formel  sich  dieser  Zusammensetzung  zufolge  zunächst  in 


^6^7 


CO3H 


auflösen   lässt,    durch   Reduction   mit   Jodwasserstoff  nor 
(OH)e 


*  E.  FiscHEB  u.  Hektz,  Ber.  25,  1252  (1892).  •  ebenda,  1258. 
»  E.  Fischer,  Ber.  24,  3622  (1891). 

*  E.  Fischer  u.  Tapel,  Ber.  21,  1658,  2174  (1888).  —  Will  u.  Peters,  ebenda, 
1815.  —  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  23,  936,  3104  (1890). 

*  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  23,  3106  (1890).  •  ebenda,  3109,  3827. 


Hexaoxyoenantkaänren  oder  Hepionsäuren.  785 

males  Heptolacton  oder  normale  Oenaathsäure  gewonnen  wird,  so  ist 

damit  eben  filr  jene  Säure  die  Structur  einer  normalen  Hex« 

säure: 

CH,(OH)CH(OH)-CH(OH).CH{OH).CH(OH)CH(OH)CO, 
und  fßr  das  zu  ihrer  Darstellung  benutzte  Äusgangsprodukt  i 

CH,(OH)  ■  CH(OH)-  CBISm  ■  CHCOH)  ■  CH(OH)-  CHO 
erwiesen;  bei  diesem  Schluse  wird  nur  die  wenig  anfechtbar 
viele  Erfahrungen  gestutzte  (vgl.  S.  578 — 579)  Voraussetzu 
dass  sich  an  keinem  Kohlenstoffatom  der  Kette  mehrere  Hydi 
befinden.  Dieser  von  Eiliani  ersonnene  und  von  ihm  expen 
gearbeitete  Constitutionsbeweis  ist  flir  die  Glucosecarbonsäm 
carboQsänre  und  Galactosecarbonsäure  und  damit  för  die  enl 
Zuckerarten  erbracht  worden. 

Für  die  Synthese  höherer  Zuckerarten  sind  diese  Säurei 

da  ihre  Lactone  durch  Reduction  mit  ftatriumamalgam  in  i 

CH  JOH)  ■  CH(OH)  ■  CH(OH)- CH{OH)- CH(OH).  Ce(OH) .  CH 

übergehen,  die  ihrerseits  wieder  als  Ausgangspunkte  zu  neuer 

der  Cyanhjdrinreaction  dienen  können  (vgl.  S.  769). 

filncoBeearbODsSnreii  oder  d-GlneoheptoisKaren '-*'-'  aus  d- 
entstehen  neben  einander  aus  ä-Glucose  die  n-Glucoheptonsäure, 
U5— 14S°  Bchmelzendea  linksdreh endes  Lacton  liefert  und  durch  Oiy 
iiinctive  PentaoijpimelinBäure (S.  822)  übergeht,  und  die  ^-Glucohepto 
Lacton  bei  151 — ihi"  schmilzt  und  ebeufalla  linksdrehend  ist,  welcl: 
Oxydation  eine  active  PeDtaoxypimelinHfiure  liefert;  die  ^-Glucobei 
durch  Erhitzen  mit  Pyridin  theilweise  in  H-Glucoheptonaänre  verwan 
Confignration  der  beiden  Säuren  vgl.  Kap.  35.  —  Aus  cJ-Mannoee  ist  b 
d-MannosmsrbouBSnre*-'''  oder  (^-MBnnoheptonxUnre  —  und  zwar 
beute  von  ST/o  der  Theorie  —  erhalten  worden  (vgl.  S.  773);  sie  bil 
hydrat  kleine  Priamen,  die  bei  175°  unter  Ga»entwickelung  und  Ueh 
L&ctoM  schmelzen;  das  Lacton  schmilzt  bei  148 — löO"  und  dreht  nach  I 
sprechende  Mfanuobeptoiisänre*  und  t-MannoheptonsKure*  sind  : 
bezw.  t^Mannoae  dargestellt.  ~  GalaetosecarboDsSnre'-'  oder  Galahei 
i-Galactose)  schmilzt  als  Sfiurehydrat  bei  145°,  indem  sie  in  ihr  La 
punkt  140—150")  übergeht. 

Eine  Heptonsftnre  mit  Terzwelgter  Kohlenstoffbe 

stellt    die    aus    der   d-Fructoae   durch    die  Cyanhydrinreacti 
PraetoBecarbonsKure^  oder  if-Fractoheptoiütture  dar;  den: 

■  RiLiAxi,  Ber.  19,  767,  112S  (1886). 

'  E.  Fischer  u.  Passmore,  Her.  22,  2732  (1889). 

'  E.  Fischer,  Ber.  23,  935  (1890).  *  E.  Fischb«,  Aiju.  270, 

»  E.  FiscHEB  u.  HmscnBEROER,  Ber.  22,  370  (1889).  —  E.  PiaHEi 
IJer.   23,  2226  (1890).  —  Hartmakn,  Ann.  272,  190  (1892). 

•  Stakuey-Siuth,  Anu,  272,  182  (ln92). 

'  KiLiiSi,  Ber.  21,  91.^  (1888).  —  Maqüenke,  Compt.  rend.  108, 

"  KiLiANi,  Ber.  18,  3070  (1885);  19,  221,  1914  (1886).  —  Kiliani 
23,  449  (1890).  —  DdLr,,  Ber.  24,  348  (1891). 

V.  Metbk  d.  Jtcoaaas,  oig,  Cbem.   I.  5 


786  Octonsäuren  und  Nononsäuren. 


liefert  bei  der  Beduction  mit  Jodwasserstoff  ein  Heptolacton  und  eine 
Heptylsäure,  welche  von  den  normalen  Verbindungen  verschieden  sind; 
die  80  entstehende  Heptylsäure  konnte  vielmehr  mit  einer  Säure  identi- 
ficirt  werden,  die  mittelst  der  Acetessigestersynthese  (vgl.  S.  807 — 308) 
durch  successive  Einführung  von  Methyl  und  Normalbutyl  entsteht  und 
demnach  als  Methylbutylessigsäure: 

CHg  •  CHj  •  CHji  •  CHg  •  CH  •  CHg 

I 
CO,H 

anzusprechen  ist.    Daraus  folgt  für  die  Fructosecarbonsäure  die  Struetur- 

formel: 

CHj(OH).  CH(OH).  CH(OH).  CH(OH).  C(OH)  •  CHsCOH) 

I 
CO,H 

und    für   die   zu  ihrer  Darstellung  benutzte  Fructose  die  Formel  eines 

Eetonalkohols  (Ketose) : 

CHj(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO  •  CH^OH) . 

—  Das  Lacton  der  Fructosecarbonsäure  schmilzt  bei  126 — 130^  und  ist 
rechtsdrehend. 

HShere  Aldonsfturen  *  sind  von  der  cf-Mannoheptonsäure  and  »-(/-Glucohepton- 
säure  (s.  S.  785)  aus  durch  abwechselnde  Reductlon  und  Cyanwasserstofianlagenmg 
(vgl.  S.  769)  erhalten.  (f-MannooetonsSare  OHCHs{CH.OH}e.COjH  giebt  ein  bei 
167—170^  schmelzendes,  linksdrehendes  Lacton  CgH^^Og,  (MHannonononsiare  OH* 
CHa  •  {CH  •  OHJy  •  COgH  ein  bei  175—177*  schmelzendes,  ebenfalls  linksdrehendes  Lacton. 

—  Bei  den  von  der  n-d-Glucoheptonsfiure  ausgehenden  Synthesen  ist  die  gleichzeitige 
Bildung  zweier  isomerer  Säuren  (vgl.  S.  773)  beobachtet  worden.  Aus  a-Glucoheptose 
entsteht  durch  Anlagerung  von  Blausäure  stets  als  Hauptprodukt  n-GlneooetonsSnre 
(das  Lacton  schmilzt  bei  145 — 147*^  und  ist  rechtsdrehend),  als  Nebenprodukt  —  und 
zwar  in  steigender  Menge  mit  höherer  Temperatur  —  |?-01iieooetons&iire  (das  Lacton 
schmilzt  bei  186 — 188*  und  ist  rechtsdrehend).  Ebenso  entstehen  aus  a-Glucooctose 
zwei  GlueonononsSaren,  von  denen  indess  nur  die  leichter  isolirbare  genauer  unter- 
sucht ist. 

B.  Polyoxy-monocarbonsäuren,  welche  aus  ungesättigten  Mono- 
carbonsäuren  durch  Additionsreactionen  hervorgehen. 

Von  theoretischem  Interesse  ist  in  der  Chemie  dieser  Säuren  wieder  die  Piag<? 
nach  dem  gegenseitigen  Yerhältniss  der  gesättigten  Dioxysäuren,  welche  den  stereo- 
isomeren Gliedern  der  Oelsäurereihe  entsprechen.  Die  theoretischen  Forderungen 
sind  hier  wieder  ganz  ähnliche,  wie  sie  zuerst  bei  der  Besprechung  der  Dibalogen- 
buttersäuren  (S.  722  fF.)  entwickelt  wurden.  Im  einfachsten  Falle  also  —  bei  der 
Crotonsäure  imd  Isocrotonsäure  —  müssen  wir  erwarten,  dass  der  Crotonsäure  sowohl 
wie  der  Isocrotonsäure  je  eine  stereoisomere  a-/^])ioxybiitters]tare  CH,-CH(OH)- 
CH(0H)-C02H  (Methylglycerinsäure)  enjtspricht  —  eine  Forderung,  die  in  der 
That  durch  die  Beobachtungen"  bestätigt  wird. 

*  E.  Fischer  u.  Passmore,  Ber.  23,  2233,  2236  (1890).  —  E.  Fischer,  Ann. 
270,  64  (1892). 

»  FrrriG  u.  Kochs,  Ann.  268,  7  (1891).  —  Vgl.  femer  C.  Kolbb,  J.  pr.  [2!  26, 
390  (1882).  —  Melikopp,  Ann.  234,  197  (1886).  —  Melikoff  u.  Zelinskt,  Ber.  21, 
2053  (1888).  —  Melikopp  u.  Petrenko-Krischenko,  Ann.  266,  358  (1891). 


HydrozyladditionsprodukU  der  einbasischen  ungesättigt 

Feste  Grotonaäure  liefert  durch  Oiydation  mit  Permaoganftt  i 
sSare,  welche  aus  Wasser  iu  laiigen  pTiamatischen  KrystaUen  i 
achiessl,  über  Sehwefelsäare  verwittert  und  waaaerfrei  bei  74 — 75 
der  bei  15"  geaSttigten  Lösung  ihres  Silborsalzea  entbalteu  l'l  '] 
Bäure  dagegen  liefert  die  leodiozybuttersäure,'  welche  bei  g< 
ratur  flOasig  ist;  100  Tb.  der  bei  IS-S"  gesättigten  Lösung  ihi 
halten  5'1  Tb.  Salz.  Beide  Säuren  zeigen  keine  Neigung  zur 
)Lma  daher  keine  der  Säuren  die  Structurformel  C,H^OH)-CH( 
aitien,  vielmehr  iat  beiden  die  {gleiche  Structurformel  Cl{,-CH| 
beizulegen. 

Analog  sind  die  Beobachtungen  fiir  die  hSheren  Paare 
isomerer  Säuren  —  Oebäure  und  GlaYdinaSure,  Erucasäure  und  1 

DioxystearlnsBuren  C„H„0.  =  C„H„(OH),CO,H.  Die  D 
aus  Oelsfiure'  (durch  Oiydatiou  der  Oelsäure  mit  Kaliumpermai 
sfiuredibromid  durch  Einwirkung  von  feuchtem  Silberoiyd}  krystt 
achmilat  beilS6'5°,  ist  in  Wasser  unlöslich,  in  Aether  und  kal 
in  heiBsem  Alkohol  leicht  löslich.  —  Uie  Dioiystearinsäi 
aäure*  schmilzt  bei  99—100°  und  ist  in  Alkohol  und  Aethei 
lösUcb.  —  Die  Dioiystearinaäure  aus  IsoÖlsäure'  Bchmilzl 

DioxjbehensünreB  C,iH,(0«  =  C„H„(OH),.CO,H.  Die  ! 
aäure*  schmilzt  bei  133—133°,  diejenige  aus  Brassidinaäure 

Trioxystearinstturen'  Ci,H„0.  =  C„H,^OH),  ■  CO,H  entate 
von  Kicinnsölääure  und  Ricinelai'dinsäure  {vgl.  S.  789—790). 

Tetraoirsteariiisaiire '-'  C„H„Oa  =  C„H„(OH), ■  CO,H  (Sa 
Oiydationsprodukt  der  Linolsäure  (S.  530|;  sie  schmilzt  bei   159- 

Hexaoxystearlnsanren»-»  C,sH„08  =  C„H„(OH),  -  CO,H  (1 
entstehen  durch  Oxydation  der  Linoleosäure  und  Isolinotensäure 
säure  kr/dtallisirt  aus  Wasser  in  mikroskopischen  Nadeln  und 
Isolinuainsäure  krystallisirt  in  prismatischen  Nadeln,  löst  sit 
Waaaer  und  schmilzt  bei  173—176", 

III.  Hydroxylderlrate  der  elabaslachen  nagesät 

Die  Frage,  ob  es  ungesättigte  Oiysäuren  giebt,  i 
gruppe  an  einem  doppelt  gebundenen  Kohlenstoffatoni 
erhebliches  theoretisches  Interesse  dar.    Nach  den  S.  475 — 476  \ 

'  OvEHBECK,  Ann.  140,  1i  (1866).  —  A.  Sattzbpp,  J.  pr.  [2J 
302  (1888).  —  Spiecdonow,  Ber.  21o,  181  (1888).  J.  pr.  f2]  40,  2( 
Ber.  22,  620  (1889). 

'  Sattzeff,  J.  pr.  [2|  3S,  315  (1886). 

■Tu.,  C  u.  A.  Savtzefp,  J.  pr.  [2]  37,  282  (18S8). 

*  Hacsknboht,  Ann.  143,  53  (1867).  —  Hazdra,  Monatf 
Hazdba  u.  GBÖssNEft,  ebenda,  947.  —  Uewaszofp,  J.  pr.  [2]  39. 

*  GBtrsstfEB  u.  Hazura,  Mouatsh.  10,   196  (1889), 

•  Hazüba  u.  GbObsseb,  Monatoh.  9,  475  (1868);  10,  198  (1 
|2]  39,  341  (1889).  —  Manooi.dt,  Monatah.  13,  326  (1892). 

'  Baoeb  u.  Hazuba.  Monatah.  7,  223  (18861.  —  Hazoka,  M. 
»,  188  (1888). 

'  A.  Reforuatzkv,  J,  pr.  [2J  41,  541  (1890). 

•  Hazuba,  Monatsh.  7,  838  (1886);  9,  180  (1888).  —  1 
Monatsh.  8,   158  (1887). 


788  Oxyakrylsäure,   Oxycrotonsäure. 


sprechung  ungesättigter  Alkohole  mitgetbeilten  Erfahrungen  sollte  man  erwarten, 
dass  derartige  Säuren  sehr  unbeständig  sind  und,  wenn  sie  überhaupt  existiren,  sich 
leicht  in  Aldehydsäuren  bezw.  Ketonsäuren  umlagern,  z.  B.: 

CH(OH) :  CH  •  CO,H      —  >     CHO  •  CH,  •  CO,H , 
CH8.C(OH):CH.C08H    >^    CHs  •  CO  •  CH,  •  COgH. 

Nun  wird  aber  gerade  umgekehrt  z.  B.  für  den  Acetes^igester  —  eine  Substanz,  die 
zu  den  meistgebrauchten  organischen  Reagentien  gehört,  die  ja  auch  schon  oft  &U 
Hülfsmittel  für  Beactionen  mancherlei  Art  erwähnt  wurde,  und  die  von  den  meisten 
Chemikern  als  Ester  einer  Ketonsäure: 

CH,.CO.CH,.C04.C,H5 

aufgefasst  wird,  —  von  einer  Anzahl  Forscher  im  Gegensatz  zu  der  gebräuchlichen 
Anschauung  die  Formel  eines  Oxycrotonsäureesters: 

CH3 .  C(OH) :  CH .  CO2 .  C^Hs 

vertheidigt.  Die  Gründe  für  und  wider  diese  Anschauung  werden  später  (Kap.  39) 
angeführt  werden;  hier  sei  nur  auf  dieses  Beispiel  hingewiesen  um  anzudeuten,  da^ 
vielleicht  einige  der  gewöhnlich  als  Ketonsäuren  angesprochenen  Verbindungen 
zu  der  Gruppe  der  ungesättigten  Oxy säuren  gehören  könnten. 

Mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  dürfen  Verbindungen,  die  ihrer  Bildungsveise 
zufolge  Derivate  von  1-3  Aldehydsäuren  sein  könnten: 

CHO-CH-CO,H , 

I 

auf  GiTind  der  Beobachtungen  über  ihr  Verhalten  als  Oxj'akrylsäurederivate: 

CH(OH>--C-CO.H 

I 

angesprochen  werden*;  die  Gründe  dafür  werden  in  Kap.  38  bei  der  Besprechung 
des  sogenannten  Formylessigesters  angegeben  werden. 

Zweifellos  existiren  Alkylderivate  derartiger  Oxysäuren,  was  ja  auch  an- 
gesichts der  Beständigkeit  des  Vinyläthyläthers  etc.  nicht  überraschen  kann«  So  ent- 
steht z.  B.  aus  »j'^i^^o^P^opi^^^^^^^  durch  Erhitzen  mit  alkoholischem  Kali  in 
Folge  der  Reactionen: 

CHsCBrjCOgK-HBr  =  CH,:  CBrCO^K  , 
CH^rCBrCO.K +  KO.C,Ha  =  CH,:  0(0.C,H5).C0,K -f  KBr 

AethoxyakrjlsSure*  CH,:  C(0C,H6)C0,H  (weisse  Krystalle  vom  Schmelzpunkt 
110^).  —  Aus  |?-Chlorisocrotonsäure  bezw.  ihren  Estern  sind  durch  Einwirkung  von 
Natriumalkylaten  eine  ganze  Reihe  von  Alkoxycrotonsänren^  CH3-C(0-R):CH-CC)jH 
bezw.  Ester  derselben  gewonnen  worden;  die  so  erhaltene  Aethoxycroton säure 
CHa;C(0.C,H5):CH.C0,H  z.  B.  krystallisirt  in  Prismen,  schmilzt  bei  137-5*  unter 
Gasentwickelung  und  wird  beim  Erwärmen  mit  verdünnter  Schwefelsäiue  in  Kohlen- 
säure, Alkohol  und  Aceton  gespalten;  man  erhält  aus  |9-Chlorcrotonsäure  die  gleiche 
Aethoxycrotonsäure,  hat  daher  unter  den  Versuchsbedingungen  im  einen  oder  im 
anderen  Falle  eine  Umlagerung  der  labilen  in  die  stabile  stereoisomere  Form  an- 
zunehmen. Dagegen  ist  die  entsprechende  Schwefel  Verbindung  durch  Einwirkung 
von  Natriummercaptid  auf  ^-Chlorcrotonsäure  und  ^Chlorisocrotonsäure  in  den  beiden 


»  V.  Pechmann,  Ber.  26,  1040  (1892). 

»  Otto,  W.  Merz,  Holst,  Ber.  23,  1108  (1890). 

3  Friedrich,  Ann.  219,  322  (1883).  —  Koll,  Ann.  240,  312,  322,  324  (1888).  — 
Enke,  Ann.  266,  201  (1889).  —  Vgl.  auch  über  Methoxymethakrylsäure  (S.  793)  Klebeb. 
Ann.  246,  104  (1888). 


Ä»gelic<üactone. 


Etereo isomeren  Modificationen  erhalten  worden;  ^-Tbioäthjlcroton 
C|S-C,Hj):CHCO,H  schmilzt  bei  112— 113»,  i^-Thiottthyliaocroti 
91 — 92°;  beide  zerfallen  beim  Erhitzeo  in  KoblenaSure  und,  wie  zu  i 
gleiche  Thiofitliylpropylen  (CH,)C(S-C,H.):  CH,. 

Aach  in  Form  von  Lactonen  scheinen  derartige  Oiysäuren  bestäi 
weiiigatens  geht  LSvuUnsSure  —  eine  Säure,  welche  i;ewcihDlicb  als  Ket 

CH, 
CO-CH,-CH,-COjH,   ■ 

aufgefaeat  wird,  —  bei  sehr  langsamer  Destillation  unter  Wasserabspaltt 
in  Ewei  isomere  Verbindungen  CsHgO,  über,  deren  Verhalten  gut  ml 
von  Anyeliealaetotien  *  und  der  Bildungsgleicbung: 

CH,C-CH,-CHi  CH,-C:CHCH,  CH,:C-CH 

/  I       -H,0  =  I  1         oder  I 

OHO       —CO  O CO  0     - 

Angelicalactou  Isoangelics 

übereinstimmt.  Angelicalacton  schmilzt  bei  +18— 18-5°,  siedet  unter 
bei  51°,  löst  sich  in  20—22  Tb.  Wasser  von  15",  wird  durch  Pottasch 
gef&lltund  doTchKochen  mit  Wasser  in  Lävulinsäure  übergeführt;  Isoang 
eretant  bei  -17°  noch  nicht,  siedet  unter  2ü  mm  Druck  bei  83—84°, 
Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck  partiell  in  das  isomere  Lacton 
Wasser  mischbar,  durch  Pottasche  daraus  abscheidbar  und  gegen  koch 
sehr  bestSndig;  beide  Lactone  liefern  mit  kaltem  Barytwaxser  L&vi 
fixiren  in  Schwefelkohlenstoff lösung  Drom.  —  Aus  Dimethyllfivulinstturi;  ( 
ist  ein  Dimethylangeliealacton'  erhalten. 

Ungesättigte  K-Oiyderivate  der  OelsSuren,  deren  Hydr. 
nicht  au  einem  doppelt  gebundenen  Kolilcnstoffatom  haftet, 
ongesfittigten  Aldehyden  durch  die  Cyanhydrinreaclion*,  z.  B.  aus  Crotoni 
CH:CH-CHOdiea-Oiy-|-J-Sthyliden-propionsaureCH,-CH:CH-CI 

iUcInaslllsSare''  CisH^Oa,  welche  als  Glycerid  neben  kleinen 
Stearin  den  HauptbcHtandtheil  des  Ricitmaöls  ausmacht,  kann  ihrer  Zusa 
zufolge  wie  auch  nach  ihrem  Verhalten  als  Ozyülsäure  C,,H,^OH 
gefaaat  werden.  Man  erhfilt  sie  durch  Verseifen  des  RicinusÖls  uud  passen 
als  blendend  weisse  harte  Krystallmasse,  die  bei  Zimmertemperatur  el 
ist,  bei  +16 — 17°  schmilzt  und  auch  unter  sehr  stark  vermindertem 
nnzeivetzt  flüchtig  ist  Als  normal  constituirte  S&ure  erweist  sie  sich  i 
durch  Einwirkung  von  Jodwasserstoff  aus  ihr  eine  Säure  C„H,,JO| 
durch  nascirenden  Wasserstoff  in  gewöhnliche  Stearinsäure  übergeht;  d. 
einer  Doppelbindung  kann  man  aus  dem  Umstand  schliessen,  dass  die  Ricii 


'  AuTEsaraTH,  Ann.  364,  222  (18B9J. 

'  L.  WoLFF,  Ann.  339,  249  (1885);  364,  229  (1S91).     Ber.  80,  4i 

'  PiKiTBit,  Ber.  IB,  579  (ise2).  —  AnschOiz  u.  Giilbt,  Ann.  347, 
Weioel  u.  Hoppe,  Monatah.  13,  614  (1892).  —  Vgl.  auch  über  das  ^ 
AethyllÄTulinsÄure   bei   der  Destillation  Thobme,  Joum.  Soc.  89,  348  (1 

*  LoBBV  DE  Bbct»,    Bull.  42,    159  (1884).    Rec.  trav.  chim.  4,    2 
JoautHT,  Monatah.  11,  399  (1890). 

'  Saalkölleb,   Ann.  84,    108  (1848).    —    Ulrich,   Ztaclir.  Cliem.   1 
Ptiüs   u.    Hasseneahf,    Ber.  B,    19:6    (1876).    —    Ksafft,   Ber.   21,    27 
Hazura  u.  ÖrOssnbb,  Monalflh.  9,  475  (1888).  —  DtErF,  J.  pr,  [2j  39, 
ScHEUBEa-KESTMBR,  Compt  rend.  113,  201  (1891).  —  Mangold,  Monatsli.  1 


790  Ricinusölsäure.  Eapinsäure. 


Molecül  Brom  fixirt  und,  mit  Kaliumpermanganat  oxydirt,  Trioxyetearinsäure  liefert;  die 
Gegenwart  einer  alkoholiechen  Hydroxylgruppe  folgt  aus  der  Acetylirbarkeit  der 
Kicinusöl säure.  Die  tiefgreifenden  Zersetzungen,  welche  die  Ricinusolefture  beim 
£!rhitzen  mit  Alkali  und  hei  der  Destillation  ihres  Glycerids  erleidet,  wurden  als 
Darstellungsmethoden  fiir  secundären  Octylalkohol  (S.  167),  Sebacinsfiure  (S.  67b). 
Denan thol  (408—409)  und  ündecylensfiure  (S.  509)  schon  erwähnt  Erhitzt  man  ilir 
Bariumsalz  im  luftverdünnten  Kaum,  so  zersetzt  sich  der  grösste  Theil,  indem  Spaltmig 
eintritt,  und  Methylhexylketon  überdestillirt;  aus  dem  rückständigen  Bariumsalz  kann 
die  mit  der  Eicinusölsäure  isomere  BielnsSare^  ^18^84^8  isolirt  werden,  welche  bei 
81®  schmilzt  und  unter  15mm  Druck  bei  ca.  250 — 252®  fast  unzersetzt  destillirt  — 
Gegen  salpetrige  Säure  verhält  sich  die  Ricinusöl säure  analog  der  OelsÄure  und 
Erucasäure,  sie  wird  in  die  isomere  und  höher  (bei  52—53^)  schmelzende  RWn- 
elaYdinsUnre*  umgewandelt. 

RaplnsSnre^  ^18^840,  ist  eine  mit  der  Kicinusölsäure  isomere  flüssige  Säure  genannt 
worden,  welche  als  Glycerid  neben  Erucin  im  RübÖl  sieh  findet:  zur  Trennung  von 
der  Erucasäure  benutzt  man  den  Umstand,  dass  ihr  Zinksalz  Zn(Ci^H330,)2  (Schmelz- 
punkt 78^)  in  kaltem  gewöhnlichen  (alkoholhaltigen)  Aether  ziemlich  löslich,  das 
erucasäure  Zink  dagegen  fast  unlöslich  ist.  Von  der  Kicinusölsäure  unterscheidet 
sich  die  Rapinsäure  dadurch,  dass  sie  durch  Behandlung  mit  salpetriger  Säure  nicht 
zum  Erstarren  gebracht  wird. 


Dreissigstes  Kapitel. 

Ozys&uren  oder  Alkohols&uren  n.    Die  Hydrozylderiyate  der 

mehrbasischen  S&uren. 

lY.   HydroxylderiTate  Ton  Dicarbonsänren. 

A.    Derivate  der  Malonsäure  und  der  alkylirten  Malonsäuren. 

Die  Oxymalonsäure  CgH^O^  =  CH(OH)<  ist  TartronsJure 

\cO3H 

genannt  worden,  da  sie  zuerst  durch  Umwandlung  der  Weinsäure*  — 
nämlicli  durch  Selbstzersetzung  der  Nitroweinsäure  (vgl.  S.  806)  in 
wässriger  Lösung,  wobei  als  intermediäres  Produkt  Dioxy weinsaure 
anzunehmen    ist,    —    erhalten    wurde.      Die    Tartronsäure    und   ihre 

.CO3H 


eigentlichen  Homologen  R-C(OH)<  (Alkyltartronsfturen)  können 

^CO,H 


»  Krafft,  Ber.  21,  2736  (1888). 

«  Playpair,  Ann.  60,  322  (1846).  —  Borns,  Ann.  eh.  [3]  44,  82  (1855).  -  Vlwcv, 
Ztechr.  Chem.  1867,  548.  —  Krafft,  Ber.  21,  2735  (1888).  —  Grüssnkr  «.  Haicw, 
Monatsh.  10,  198  (1889).  —  Mangold,  ebenda,  13,  329  (1892\ 

8  Reimer  u.  Will,  Ber.  20,  2387  (1887). 

*  Dessaiones,  Ann.  82,  364  (1852);  89,  339  (1854).  —  Vgl.  auch  Demole,  Ber. 
10,  1788  (1877). 


Tarlronaäure  und  Ütre  Homologen. 

durch  die  folgenden,  ihre  Constitution  beweisenden  Reaction 
werden: 

1.  ans  den  Monobalogenderivaten  der  Malonaäure  (vgl.  i 
oder  ihrer  Homologen  (bezw.  aus  den  Estern  der  mont 
MaloQsäuren)  durch  Äuswecbselung  des  Halogens  gegen  Hjdi 
Silberoxyd  •  oder  Barytbydrat*,  z.  B. : 

,CO,H  .CO,H 

CHBr         +  AgOH   =   CH(OH)     +  AgBr; 
^CO,H  \C0,H 

2.  ans  ß-Ketonsäaren  durcb  die  Cjanbydrinreaction^,  i 

CH»COCO,H    — >-     CH..ti(OH)-CO,H  ^>-    CHa-QOH; 

BrenztraubeDsäure  MeÜijlhutr 

Ihre  nahen  Beziehungen  zu  der  Malonsäurereihe  erweisen  ■ 

auch  in   ihrem  Verhalten   beim   Erhitzen,     Sie   spalten  Koh 

um  in  einbasische  a-Osysäuren  bezw,  deren  Anhydride  überzi 

GOjH-CH(OH)CO,H- CO,  =  CH,i;OH).CO,H, 

Tartronatture*-*  wird  am  besten  auu  TrichlormilchsSnreester 
CO,-C,H,  (vgl,  S,  755)  durch  Erw&riDen  mit  Natronlauge  dargeatcllt;  e 
ist  auch  die  Bildung  geringer  Mengen  von  TartrorsBure  durch  Oxyd 
eerins  [vgl.  S,  582);  sie  krystalliairt  aus  Waasei  in  harten,  glasglänzend< 
lufttrocken  die  Zusammensetzung  2CsH,0j  +  HjO  zeigen  und  im  Eisii 
stallwasser  verlieren,  sublimirt  bei  voruchtigem  ErhiUen  anf  110 — 12C 
165— IST"  nnter  Zersetzung  in  Kohlensäure,  Wasser  uud  Polyglykolid  (S, 
Wasser  und  Alkohol  leicht,  in  Aether  schwer  löslich;  K.  =  0-  lOT;  ihr 
C,Hj.CO,-CH(OH)-CO,C,H,  ist  flüssig  und  siedet  bei  222—225", 
tartronstture«  C.HiOs  =  CO,H-C(OH)(CH,)CO,H  (iBOfipfelaäure) 
edrische  Krystalle  und  schmilzt  bei  138°  unter  Koh lensSureentwickelui 
tartronsäure»-'  O.HA  =  (;0,H-C(OHXC,Hs)-CO,H  schmilzt  bei 
ginnender  Kohlensfturecntwicketung,  zersetzt  sich  bei  180°  vollständig. 

/CO,H 
tartronsBure*  C,H„0,  =  CO,HC(  OH  schmilzt    bei    1 

^CH-CH(CH,), 
wird  ebenfalls  bei  180°  gespalten, 

Biesen  Säuren  der  Tartronsäurereihe,  weiche  ihi 
grnppe    an    dem    zwischen    den    beiden    Carboxylgruppen 

'  ScHMöOEK,  J.  pr.  [2]  14,  81  (1876),  —  Petoiepf,  Ber.  11,  415  ( 

'  BiBCHOFT  n.  HadsbOrpeb,  Ann.  239,  126  (1887). 

"  BöTTiNOEB,  Ber.  14,  87,   US,  729  (1881);  17,  144  Anm.  (1884). 

*  Gbim*ux,  Ber,  10,  903  (1877).  —  Conrad  u,  Bischoit.  Ann.  2 
—  M.  FiBCNii,  Ber.  17,  786  (1884).  —  Pisker,  Ber.  18,  752,  2852  ( 
WALD,  Zischr.  f,  physik.  Chem,  3,  869  (1869). 

"  B5TTIH0EB,  Ber.  14,  87,  148  (1881);  17,  144  Anm.  (1884).  —  Schi 
14,  77  (1876);  19,  168  (1879);  34,  38  (1881).  —  Tasatab,  Ann.  373 
BRnNNER,  Uonatsh,  13,  834  (1892), 

•  GcTTHSSKrr,  Ann,  300,  233,  238  (1881). 

'  BiscBon*  n.  HAnsoüHFER,  Ann.  339,   12G  (1887),     Ber,  24,  201J 
'  CoHHAD  u.  BrOcemer,  Ber.  34,  2997  (1891). 


792  CJarhöbutyrolaetonsäure  und  Garbovalerolaeionsäure. 


Kohlen  Stoffatom,  also  in  der  r^-Stellung  zu  beiden  Carboxylgruppen  ent- 
halten, kann  man  solche  Hydroxylderivate  von  Älkylmalonsäureu 
gegenüberstellen,  deren  Hydroxyl  an  ein  Eohlenstoffatom  des 
eingefügten  Alkylrests  gebunden  ist  und  demnach  sich  in  grösserer 
Entfernung  von  den  Carboxylgruppen  befinden  kann.  Man  wird  erwarten, 
dass  wie  bei  den  einbasischen  Säuren  so  auch  hier,  wenn  die  Hydroxylgruppe 
die  /-SteUung  zu  den  Carboxylgruppen  inne  hat,  Lactonbildung  eintreten 
wird;  allein  in  Folge  der  Gegenwart  von  zwei  Carboxylgruppen  kann 
sich  nicht  ein  neutrales  Lacton  bilden;  vielmehr  muss  eine  Verbindung 
entstehen,  die  zugleich  Lacton  und  Carbonsäure  ist.  Die  einfachste 
Säure  dieser  Art,  die  solche  Verhältnisse  zeigen  kann,  ist  die  Oxy- 
äthylmalonsäure  CHa(0H)-CH2-CH(C03H)3;  in  der  That  entsteht  aus 
dieser  Säure  unter  Wasserabspaltung  einer  der  einfachsten  ßeprasen- 
tanten  aus  der  Klasse  der  Lactonsäuren: 


CHj.CHjCHCOjH                    CHjCHjCH.CO.H 
I                 -  H,0  =  I 

CO.  OH  O CO 


—  die  a-Carbobutyrolactonsäure^  CgHgO^.  Zu  dieser  Säure  gelangt 
man,  indem  man  zunächst  durch  Combination  von  Aethylenbromid  mit 
Malonsäureester  den  Ester  einer  Trimethylendicarbonsäure  (Vinaconsäure, 
vgl.  S.  501  und  Bd.  II)  darstellt: 

CHjBr  /COj  •  Cgli5  CHjv       yCOg  •  0^05 

1  +  CH,<  «      I        >C<  +  2HBr, 

CH,Br  \C0,.C,H5  QK/     ^COj.CHs 

welche  darauf  durch  Addition  von  Bromwasserstoff  in  Bromäthylmalon- 

säure  verwandelt  wird: 

CH^v       /COjH  y  COjH 

I       >C<  +  HBr    «s     Br.CHj.CH,.CH< 

CH/      \CO,H  \CO,H 

letztere  Säure  nun  spaltet  schon  beim  Lösen  in  kaltem  Wasser  Brom- 
wasserstoff ab,  durch  kurzes  Kochen  der  wässrigen  Lösung  wird  ihre 
Spaltung  in  Brom  Wasserstoff  und  Butyrolactoncarbonsäure  befördert: 

CH» .  CHg .  CH .  CO,H                     CH,  •  CH,  •  CH  •  CO,H 
I                  I                   -  HBr  =    I  I  ; 

Br  CO.  OH  0 CO 

auch  entsteht  die  Lactonsäure  direct  und  glatt  aus  der  Vinaconsäiu^ 
durch  Erwärmen  mit  verdünnter  Schwefelsäure.  Sie  stellt  ein  in  Wasser 
leicht  lösliches  Liquidum  dar,  das  auch  im  Vacuum  nicht  erstarrt;  bei 
120®  zersetzt  sie  sich  in  Kohlensäure  und  Butyrolacton.  Wie  zu  er- 
warten, bildet  sie  zwei  Reihen  von  Salzen,  deren  eine  sich  von  der 
Lactonsäure  selbst,  deren  zweite  sich  von  der  Oxyäthylmalonsäure  ab- 

leitet  * 

CH.CHj.CHCOOMei  CHjCHj-CHCO-OMei 


CO  OH  COOMei 


>  FiTTio'u.  Rüder,  Ann.  227,  19  (1885). 


IHhydroxyldffrivale  der  Malonsäure  wnd  ihrer  Homologe 


Man  erhält  z.  B.  das  Barynmsalz  der  LactonBänre  (C^HgO, 
NeutralisatioQ  der  wäsBrigen  Lösung  der  Säure  mit  Baryum 
der  Kälte,  das  Bar7umsalz  der  OxyäthylmaloQBäare  C^HgOgBi 
durch  Kochen  mit  Barytwasser.  —  Zu  einer  homologei 
der     CarbOTslerolactonsUnre^     C^HgO,    =    CHgCH-CH,- 

I 

0 

(H-Carbo-/-MethyIbiityrolactonsäure),  welche  eine  dielte 
leicht,  in  Aether  schwer  lösliche  Flüssigkeit  darstellt  und  bc 
sich  in  Kohlensäure  und  Yalerolacton  spaltet,  —  gelangt  n 
AUylmalonsänre  (S.  680]  durch  Anlagerung  und  Wiederabs 
BromwasserstofF; 

CH,:CH.CH,.CH.CO,H->-CH,.CHBr-CH,CH-CO,H-^CH,.CH-Cl 
I                                                    I                                I 
CO,H  CO,H  0 

Beim  Kochen  mit  Barytwaeser  liefert  sie  das  Baryumsalz  dt 
pylmalon8äureCHjCH{0H)0HjCH(COjH),;  zersetzt  man 
dee  letzteren  mit  Schwefelsäure,  so  erhält  man  eine  wässrige 
freien  Oxypropylmalonsäure ,  die  aber  beim  Kochen  der  Lö 
in  die  Lactonsäure  Übergeht. 

Die  DloxymslonsSare  COaHC(OH)j-COjH  liegt  höchst 
lieh  in  der  HesoxalsäDre  vor;  sie  bietet  vom  theoretischen 
namentlich  aus  dem  Grunde  Interesse,  weil  sie  zu  der  se 
Zahl  von  Körpern  gehört,  bei  denen  man  Grund  hat,  mehrei 
gruppen  an  ein  und  dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden  n 
In  ihren  Beactionen  aber  verhält  sie  sich  wie  eine  durch  W 
tung  entstandene  Säure  COjHCOCOgH  und  soll  daher  i 
Kapitel  „Ketonsäuren"  (Kap.  39)  behandelt  werden. 

Dibjdroiylderivate  der  alkjliTlen  Malonsänreo  kSonei 
xjlgmppea  an  venchiedene  KohleoBtoBatome  gebunden  enthalten.    E 

(CH,-OjCH,.        ,CO,H 
z.  B.  die  DiBetkoxTdlmetkylmAlonBSnre*  >C<  , 

(CH,-0)CH,/     \CO,H 
Combination  von  MalonsKareester  mit  Monochlormethylfithei  CH^'O-C 
erhalten  werden  kann,  in  Prismen  krystallyeirl  und  bei  140°  schnell  in 

<CH,0)CH,^ 
Methylalkohol  und  MethoiymethakrylaSure  >CCO,H  zeri 

Ca/ 

ist  hier  ED  erwShnendieDioiydipropylmaloDBfiure  (CH,-CH(OH)'C 
welche  im  Stande  ist,  ein  Dilacton  —  das  Nonftdllacl«D '  C,H,tOt 
letsteies  entsteht  ans  DiallylmalonsSure  (S.  S9T)  durch  Behandlunj 
waaserstoff: 


>  Fima  n.  Hjblt,  Aon.  216,  52  (1383). 

*  KuBEB,  Ann.  246,  97  (1888). 

•  Fnria  n.  Hjelt,  Ann.  216,  87  (1883). 


794  Linksäpfelsäure  (Vorkommen, 


0 CO 


CHjrCHCH,.       /CO,H  CH-CHBrCHsv        XO,H  CHjCHCH,. 

>c<;      — ^  >c<      —>  >c. 

CH,:CH.CH/     ^CO.H  CHgCHBr-CH/      XJO.H  CHjCHCH/  , 

Ö CO 

kiystalliBirt  aus  Alkohol  in  dünnen  Blftttchen,  schmilzt  bei  105 — 106®,  siedet  hst 
unzersetzt  oberhalb  360^  und  ist  in  kaltem  Wasser  kaum,  in  kochendem  leicht  lös- 
lich; in  kaltem  Alkali  löst  es  sich  nicht;  mit  warmem  Baiytwasser  liefert  es  eine 
Lösung,  die  wohl  das  Baryumsalz  der  Diozydipropjlmalonsfture  enthält,  sich  aber  bei 
weiterem  Erwärmen  und  in  Abwesenheit  von  überschüssigem  Baryt  in  folgender 
Weise  zersetzt:  ' 

yOH  .OH 

CHj'CH'CHjv       yCO'Os.  CHj'CH'CHjv 

>C<  >Ba  =  BaCOg  +  >CH. 

CH,.CH.CH/      ^COO/  CH,.CH.CH/ 

OH  0  -  CO 


B.    Derivate  der  Bernsteinsäure  und  der  alkylirten 

Bernsteinsäuren. 

Für  ein  MonohydroxylderiTat  der  Bemsteinsftare  giebt  es  nur 

CHgCOaH 
eine    Structurmöglichkeit    1  ;  da    diese   Formel    ein   asym- 

CH(OH).CO,H 
metrisches  Eohlenstoffatom  aufweist,  so  ist  die  Existenz  einer  rechts- 
drehenden, einer  linksdrehenden  und  einer  durch  Combination  der  opti- 
schen Antipoden  gebildeten  inactiven  Modificatiou  zu  erwarten;  die  drei 
stereoisomeren  Modificationen  sind  bekannt  und  liegen  in  den  drei 
Aepfelsftnren  C^H^Oß  vor,  unter  welchen  die  natürliche  (Links-)Aepfel- 
säure  und  die  inactive  Aepfelsäure  vielfach  bearbeitet  sind  und  nament- 
lich auch  den  Untersuchungen,  die  zur  Begründung  und  zur  Befestigung 
der  stereochemischen  Theorie  unternommen  wurden,  häufig  als  Gegen- 
stand dienten. 

Die  natürlich  vorkommende  Aepfelsäure  ist  optisch  actir^: 
sie  wurde  1785  von  Scheele  in  den  unreifen  Aepfeln  aufgefunden  und 
ist  im  Pflanzenreiche  sehr  verbreitet*;  zur  Darstellung  eignet  sich  be- 
sonders  der  Saft   nicht  ganz  reifer  Vogelbeeren,  die  Fruchtzapfen  des 


^  Ueber  ein  natürliches  Vorkommen  von  inactiver  Aepfelsftnre  vgl.  Giktl,  Jb. 
1868,  SOG. 

•  Braconhot,  Ann.  eh.  [2]  6,  289  (1817);  8,  149  (1818);  61,  829  (1833).  - 
TaoififSDORF,  Ann.  10,  828  (1834).  —  Gabot,  Jb.  1853,  409.  —  Reinsge,  Ztschr. 
Chem.  1866,  221.  —  Lenssen,  Ber.  3,  968  (1870).  —  Grabgkb,  Jb.  1872,  796.-  BUi- 
TiHOEB,  Monatsh.  2,  485  (1881).  —  E.  Schmidt,  Ber.  19c,  678  (1886).  —  Hiloeb  u. 
Gboss,  Jb.  1886,  1815.  —  v.  Lippmann,  Ber.  24,  3300  (1891).  —  Ordokneait,  Boll. 
[3].  6,  261  (1891). 


Eigenschaften,    Constitution,    Verhalten). 


Gerbersamachs,  die  Berberitzenbeeren,  Sie  krystallisirt  ia 
glänzender,  zeröiesslicher  Nadeln,  die  gegen  100''  schmelzen 
leicht  in  Wasser  und  Weingeist,  aber  wenig  in  Aether  lösen ;  K.  = 
Sie  wird  ab  Aepfelsäure  schlechtHn  oder  auch  als  Linksäp 
bezeichnet,  weil  sie  in  verdünnter  wässriger  Lösung  linksdre 
Ihr  optisches  Drehungsvermogen '  zeigt  indes»  eigenthümliche 
ningen  mit  wechselnder  Concentration  der  Lösung;  wenn  man 
von  verdünnten  linksdrehenden  Lösungen  allmählich  zu  eoncei 
Torschreitet,  so  nimmt  die  specifische  Rotation  stetig  ab;  ist 
zu  einem  Öehalt  von  etwa  34%  vorgeschritten,  so  wird  die  Li 
die  Temperatur  von  20^  inactiv;  bei  noch  steigender  Concentrati 
man  nun  recfatsdrehende  Lösnogen,  deren  Rechtsdrehung  mit 
centration  stetig  wächst;  die  sogenannte  Linksäpfelsäure  ist  n 
wasserfreien  Zustand  vermuthlich  eine  rechtsdrebende  Substan; 
Erscheinung  der  Rotationsumkehrung  zeigt  sich  auch  bei  einig 
sauren  Salzen.  In  Acetonlösnng  ist  das  specifische  Drehuugs' 
der  Aepfelsäure  ziemlich  unabhängig  von  der  Concentnition  ([«]„  = 

Für  die  Auffassung  der  Aepfelsäure  als  Oxybernsteinsäui 
sich  viele  Beweise  beibringen.  Durch  gelindes  Erwärmen  mit  I 
pentachlorid  kann  sie  in  active  Chlorbemsteinsäure '  (S.  734),  d 
wärmen  mit  Bromwasserstotf^  in  Monobrombem  stein  säure,  durch 
mit  Jodwasserstoff*  in  Bernsteinsäure  Übei^eflihrt  werden,  j 
basische  Säure  erweist  sie  sich  durch  die  Zusammensetzung  ih: 
und  Erster,  als  Alkoholsäure  durch  den  Umstand,  dass  ihre  Dialkyl 
Acetylchlorid  unter  Bildung  von  Acetylverbindungen  reagiren*  (a 
Endlich  sind  auch  die  S.  797 — 798  angeführten  Synthesen  der 
Aepfelsäure  für  die  Constitutionsfrage  entscheidend. 

Unter  den  Umsetzungen  der  Aepfelsäure  ist  vor  allem  wi. 
schon  S.  681  besprochene  Uebergang  in  Fumarsäure  bezw.  MaJ 
anhydrid  durch  Wasserabspaltung,  die  schon  bald  über  100*  be 
Während  hiemach  heim  Erhitzen  der  Aepfelsäure  für  sich 
abspaltung  und  Bildung  einer  ungesättigten  Verbindung  erfo 
beim  Erwärmen  mit  concentrirter  Schwefelsäure  die  allgemeine 
der  ß-Oxysäuren  (vgl.  S.  7.53)  —  Abspaltung  von  Ameisensäuri 
Koblenoxyd  und  Wasser)  unter  Bildung  einer  Aldehydgmppe  — 
als  erstes  Reactionsprodukt  zu  erwartende  Aldehydsäure: 

CO,H.CH,CH(OH).CO,H  -  H  CO,H  =.  CO,H  CH,.CHO 


'  Vgl.  G.  H.  SciiMEiDEK,  Ann.  207,  257  (1881).  —  Th.  Thoksen,  Be 
11882).  J.  pr.  [2]  36,  150  (ISSTj.  —  Bhemek,  Rec.  huv.  ehira.  3,  162  (ISSJ 
Jb.  1886,  812.  —  Güte,  Ann.  eh.  [6]  26,  205  (1892). 

*  Waldeh,  Ber.  26,  214  (1893).  *  Keevl^,  Ann.  130,  21  (1864; 

*  ScawiTT,  Ann.  114,  107  (1860).  "  Wislicenvs,  Ann.  129,  179  ( 

*  Whtb,  Ber.  10,  1744  (1877).  —  v.  Pechmann,  Ber.  17,  936  (1884). 
261  (1891). 


796  Linksäpfelsäure  (Salx€  und  Ester). 


—  der  Halbaldehyd  der  Malonsäure  —  ist  freilich  unter  den  Versuchs- 
bedingungen nicht  beständig,  sondern  condensirt  sich  der  Hauptmenge 
nach  im  Sinne  der  Gleichung: 

CH,  CHjCOjH  GO.       CCOjH 


,  +    '  -2H,0     -     , 

CO  CHO  CO        CH 

\0H  \o/ 

unter  Wasserabspaltung  zu  Cumalinsäure  (vgl.  Bd.  11  unter  Pyronderi- 
vaten),  welche  demnach  als  Hauptprodukt  der  Reaction  auftritt.  —  Durch 
Spaltpilze^  wird  äpfelsaurer  Kalk  in  Gährung  versetzt;  ein  Spaltpilz 
erzeugt  als  Hiiuptprodukt  Bernsteinsäure  neben  Essigsäure,  ein  anderer 
als  Hauptprodukt  Propionsäure. 

Unter  den  Salzen  der  Aepfelsäure'  (Malaien)  sind  namentlich  die  sanren 
Salze  durch  Krystallisationsföhigkeit  auegezeichnet  Das  saure  Ammonianisalz' 
der  Linksftpfels&ure  C^HsOg-NH«  krystalUsirt  wasserfrei  in  rhombischen  Sfiulen; 
100  Th.  Wasser  von  15-7^  lösen  32.15  Th.  Das  saure  Calciumsalz*  (C4H50s),Oa 
krystallisirt  mit  6H,0;  100  Th.  Wasser  lösen  bei  \b^  1-29  Th.  des  wasserfreien 
Salzes.  —  Für  die  Darstellung  der  Aepfelsäureester^  muss  man,  um  die  Bildung 
von  Fumar8Sui*e-  oder  Chlorbernsteinsäure-Estern  zu  vermeiden,  Salzsäure  unter  starker 
Abkühlung  in  die  alkoholische  Aepfelsäurelösung  einleiten.  Aepfelsäurediftthyl- 
ester  CjHs  •  CO,  •  CH,  •  CH(OH) •  CO, •  CjHj  siedet  unter  10  mm  Druck  bei  128^ 
Durch  Behandlung  mit  Acetylchlorid  entsteht  daraus  der  AcetyläpfelsSure- 
diäthylester  CjHj •  00, •  CH, •  CH(0 •  CjHgO) •  CO, •  CjHj  —  ein  Oel,  welches  unter 
10  mm  Druck  bei  187^  siedet    Durch  Einwirkung  von  überschüssigem  Acet^lchlorid 

C,H30.0.CH-C0v 
auf  Aepfelsäure  erhält  man  das  Acetyläpfelsäureanhydrid^  yO, 

CH,  Cü^ 

welches  bei  53— 54'*  schmilzt,  unter  14  mm  Druck  bei  160—162*  siedet  und  hei  der 
Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck  glatt  in  Essigsäure  und  Malelnsäurcanhjdrid 
zerfällt  (vgl.  S.  681);  mit  der  berechneten  Menge  Wasser  tritt  es  zu  AcetylSpfel- 
säure  CjHjO •  0 •  CH . CO,H   zusammen,  welche   bei  132®   schmilzt  und  mit  Wasser 


CHjCOjH 
schon  bei  gelindem  Erwärmen  Aepfelsäure  znrückliefert. 

Die  der  gewöhnlichen  Aepfelsäure  optisch  entgegengesetzte  Rechts- 
äpfelsäure^  ist  aus  Rechtsweinsäure  durch  Reduction  mit  Jodwasser- 
stoff gewonnen. 

Aepfelsäure,  die  auf  künstlichem  Wege  aus  inactiven  Materialen 
bereitet  wird,   muss  natürlich  inactiv  sein;    sie  ist  als  Verbindung  der 


»  Fitz,  Ber.  11,  1896  (1878);  12,  481  (1879). 

>  Vgl.  LiBBiG,  Ann.  5,  147  (1838);  26, 135  (1888).  —  Hagen,  Ann.  38,  257(184ii. 

8  Pastbur,  Ann.  eh.  [3]  38,  441  (1853);  49,  8  (1856).  Ann.  82,  881  (1852). 

*  Iwm  u.  Hecht,  Ann.  233,  166  (1886). 

*  Anbchütz,  Ber.  18,  1952  (1885).  —  Anschütz  u.  Beknert,  Ann.  254, 164  (1889). 
—  Vgl.  auch  W.  WiSLicENUS,  Ber.  26,  2449  (1892). 

*  Anschütz  u.  Bennert,  Ber.  14,  2791  (1881).     Ann.  264,  165,  166  (1889). 
^  Bremer,  Ber.  8,  1594  (1875);  13,  352  (1880). 


liectttaäpfelsäurc  und  inaclire  Aepfetsäure. 

beiden  enantiomorpheu  Conüguratioiieii  aufzufassen  (vgl,  S. 
hat  inactive  Aepfelsäure  erbalteii:  aus  inactiver  Äs]: 
NHjCHCO.OH 

I  (vgl.  S.  838)  durch  Einwirkung  von  Balpetrigi 

CHj-CO-OH 
uns  Traubensäure  (vgl.  S.  807)  durch  Keduction  mit  Jodwassersti 
Brombemateinsäure  durch  Auswechselung  des  Bromatoms  gegen  I 
aus  Fumarsäure  und  Maleinsäure  durch  Anlagerung  von  Was 
S.  682 — 683).  Man  hat  einige  Zeit  geglaubt,  dass  es  zwei  ver 
inactive  Aepfelsänren  gäbe,  wie  eo  zwei  verschiedene  inactive  W 
giebt  (vgl,  S.  801);  diese  Isomerie  hätte  durch  die  Theorie  nicl 
werden  können,  da  ja  die  Aepfelsäure  im  Gegensatz  zurWeinsäur 
asvmmetrisches  Koblenstoffatom  enthält  und  daher  in  einer 
nicht  spaltbaren  Modi&cation  nicht  auftreten  sollte.  Die  Theoi 
diesem  Falle  zur  Gorrection  der  Beobachtungen  Anlass  gegebe 
sich  herausgestellt,  dasa  die  vermeintlichen  Verschiedenheiten  i 
banden  sind,  und  dass  alle  nach  den  obigen  Reactionen  ent 
Säuren  unter  einander  und  mit  der  inactiven  Aepfelsäure  identi 
welche  durch  Zusammenbringen  von  gleichen  Mengen  rechte-  i 
drehender  Säure  erhalten  wird.  —  Die  inactive  Aepfelsäure  ki 
leichter  als  die  gewöhnliche,  ist  nicht  zerfliesslich  und  in  Wasse 
loslich;  ihr  saures  Ammoniumsalz  krystallisirt  in  zwei  Formen: 
in  rhombischen  Krystatten,  welche  mit  den  Kryatallen  des  actii 
(vgl.  S,  796)  übereinstimmen  bis  darauf,  dass  sie  nicht  wie  das  a 
bemiedrische  Flächen  zeigen,  und  ferner  mit  1  Mol.  Wasser 
symmetrischen  Krystallen.  Durch  Krystallisation  des  Cinchi 
kann  die  inactive  Aepfelsäure  in  Rechts-  and  Linksäpfelsäure 
werden'  (vgl.  S.  809).  Für  die  Lösung  der  inactiven  Aepfelsäure 
die  gleiche  elektrische  Leitfähigkeit  gefunden  worden,  wie  fUr  d 
der  Linksäpfelsäure^;  man  darf  daraus  schliessen,  dass  in  de 
nur  ein  Gemenge  der  optisch  entgegengesetzten  Hodtäcation 
eine  Verbindung  vorliegt  (vgl.  Traubensäure,  S.  810). 


'  Pastedh,  Ana.  80,   152  (1851);  83,  330  11852). 
■  BBBHeR,  Ber.  8,  1594  (1875). 

'  KsKüLfi,  Ann.  U7,  126  (1861);  130,  24  (1864).  —  Tanatah,  Ber.  3*0, 
Ann.  373,  S6  (1892). 

*  JoNOFLEiECB,  Bull,  30,  147  (1878).  —  L1.0VDL,  Ann.  193,  80  (1878). 
Iler.  14,  2648  (1881).  —  Skeaup,  Monatsh.  13,  111  (1891). 

'  Vgl.  Wbbmo  u.  TiNATAR,  ADD.  174,  371  (1874).  —  AnschÜtz,  Be 
( 188S).  —  J.  H.  VAM  't  Hoff  jun.,  ebenda,  2170,  2713.  Bec.  trav.  chim.  4 
-  Bbbheb,  Rec.  trav.  cbim.  4,  180  (1885).  —  Skbacp,  Monatsh.  13,  111 
Vgl.  aueh  J.  H.  van  't  Hopp,  Dil  «nnöee  dans  l'bistoire  d'une  throne,  p. 
dsm  1887). 

•  Bbekrb,  Ber.  13,  351  |1380). 

'  Ootwal»,  Ztßchr.  f.  physik.  Chem.  3,  371  (1889). 


798  Homologe  der  Aepfdsäure, 


Synthetisch  ist  Aepfelsäure  ferner  durch  Verseifung  des  Chloräthe- 
ny Itricarbonsäureesters  ^  C^Hg  •  COg  •  CH^  •  CC^COg  •  CgHß)^ ,  durch  Reduction 
des  Oxalessigesters  ^  CaH.COgCHj-COCOg-CgHß  mit  Natriumamalgam 
und  aus  der  durch  Condensation  von  Chloral  mit  Malonsäure  hervor- 
gehenden Trichloroxy buttersäure »  CCl3-CH(OH)CH2.C02H  durch  Ein- 
wirkung von  concentrirtem  Alkali  gewonnen.  Bei  genauerer  Prüfung 
dürften  sich  die  einstweilen  nicht  näher  nntersuchten  Säuren  dieser  Pro- 
venienz unzweifelhaft  als  identisch  mit  der  spaltbaren  inactiven  Modifi- 
cation  herausstellen. 

Die  MoBoliydroxylderlvate  der  alkylirteii  BemsteinsSiireii  können  in  zwei 
Gruppen  eingetheilt  werden,  je  nachdem  die  Hydroxylgruppe,  wie  in  der  AepfelsÄnre, 
an  einem  der  die  beiden  Carboxylgruppen  verbindenden  Kohlenstofiktome  haftet  oder 
in  einem  der  eingefugten  Alkylreste  Platz  findet,  z.  B. 

CH, .  C(OH) .  CO,H  CH,  •  CH(OH)  •  CH  •  CO,H 

I  oder  I 

CHj.COjH  CHjCOjH 

Die  erste  Gruppe  umfasst  die  eigentlichen  Homologen  der  AepfelsSure 
(alkylirteAepfelsäuren).  Als  Repräsentant  ist  zunächst  zu  erwähnen  die  o-Methyl- 
ttpfelsKnre«   C^HgOs  =  CO,H.  CHj.C(0H).C04H    (Citramalsäure),    welche  aus 


CHa 
Acetessigester  C4H5  •  COj  •  CH,  •  CO  •  CH3  durch  die  Cyanhydrinreaction ,  aus  Citracon- 
sfture  unter  Benutzung  der  Reactionen: 

/CO,H  /CO.H 

COjHCHiCK  +01.  OH   =    C0,H.CHC1.C(0H)C 

^CHg  XJH, 

/CO,H  /CO,H 

C0,H.CHC1.C(0H)<  +  H,  =  00,H  •  CH,  •  C(OH)<  +  HCl, 

^CHa  \CH, 


^^H, 


aus   Isovaleriansäure  COjH'CHj'CH^  durch  Oxydation   mit  Salpetersäure  er- 

CHg 

halten  ist,   grosse   zerfliessliche  Kry stalle  bildet  und  bei  119^  schmilzt.     Die  isomere 

/J-MethyiapfelsÄiire*   C0jH.CH(CH8)CH(0H).C0jH,    welche    ebenfalls    bei   11/ 

schmilzt,  sich  aber  durch  den  Krystall Wassergehalt  ihres  Zinksalzes  CsH^OsZn  +  BH^O 

von  der  a- Methyläpfelsäure  (CjHjOjZn  +  2H,0)  unterscheidet,   wurde  aus  Methvl- 

oxalessigester   CjH5.COj.CH(CH8)-CO.CO,.C2H  durch  Reduction  mittelst  Natrium- 

amalgam  erhalten.   —  Dialkylirte  Aepfelsfinreii«*  COäHCHRCCOHj.CHg  können 

\C0,H 

*  BiscHOPP,  Ann.  214,  49  (1882). 

«  W.  WisLicENcs,  Ber.  24,  8416  (1891);  26,  2448  (1892). 

*  V.  TuRNLACKH,  Monatsh.  12,  556  (1891). 

*  Cakius,  Ann.  129, 160  (1863).  —  Morawski,  Jb.  1878,  721.  —  Demarcay,  Compt. 
rend.  82,  1337  (1876).  —  Morris,  Joum.  Soc.  37,  6  (1880).  —  Brbdt,  Ber.  14,  lT8ä 
(1881);  15,  2318  (1882).  —  Schiller- Wechsler,  Ber.  18,  1038  (1885).  —  Michael  n. 
TissoT,  Ber.  24,  2544  (1891).     J.  pr.  [2]  46,  285  (1892). 

*  W.  WiSLicENüs,  Ber.  26,  196,  1484  (1892).  —  Vgl.  auch  Michael  u.  Tbsot, 
J.  pr.  [2]  46,  294  (1892). 

«  H.^KüNio,  Ber.  12,  768  (1879).  —  Michael  u.  Tissot,  Ber.  24,  2545  (1891?. 
J.  pr.  [ä]  46,  298  (1892). 


Paraeonsäure  und  ikre  Bomotogen. 

Mi  Hkjtiitea  Acetesaigesteni  C,Hi-CO,-CHR-CO'CH,  mit  Hflife  Ai 
reoction  hei^eetellt  werden. 

Beiden  Gliedern  der  zweiten  Gruppe  ist  wieder  die  Möglich 
dft«8  Hjdroxyl  und  C&rboijl  ta  einander  in  f-Stellnng  stellen,  da»  n 
buiscbe  Oijsäure  leicht  in  eine  einbasiache  LaetonsSare  Obergeht  (vgl. 
USglicbkeit  tritt  schon  bei  dem  H^droiylderivat  der  HethylbemBtein 
siue,  i8omer  mit  atramabdure)  C^H^O,  =  OH-CH,-CH-CO,H    ein,  < 

CH,CO,H 
Dur  in  Form  von  Sahen  bekannt  ist,   in    freiem  Zustand  aber  nicht  : 
69  sich   äusserst   leicht  und    wahrscheinlich   schon  im  Momento  des 
Wasser  und  PfttMODBänre' C^R,0,  =  CH,CH(GO,H)-CH,  (|?-Carbol 

I  I 

0 CO 

säure)  spaltet.  Man  erhält  die  Paraconsäure  am  einfachsten  durch  1 
von  Itabromhrenzweinsäure  CH,Br-CH(CO,H|-CH,.CO,H  (vgl.  S.  73 
sie  bildet  eine  strahlig  krystalUnische  Masse,  schmilzt  bei  67°  und  ist  si 
mit  Silbercarbonat  in  der  KAlte  neutralisirt,  giebt  sie  paraconsaures  Sii 
mit  Calciumcarbonat  in  der  WSrme  digerirt,  dagegen  itamalsaurcs  Cai 
■f-  H,0  (bei  100°  getrocknet).  Bei  der  Destillation  verhSlt  sie  sich 
schieden  von  der  stell ungsisomeren  n-Carbobutyrolactonsaore  (S.  762);  i 
weit  bare  Mengen  von  Butjrolacton  entstehen,  geht  sie  vielmehr 
abspaltung  in  CitraconaSureanhjdrid  über;  vielleicht  ist  zunächst  die  ] 
Itaconsänreanhydrid : 

|^OH,.pO     -H.0=  ,^\0 

anzunehmen,  das  bei  der  Destillation  sich  in  Citraconsüureanhydrid 
S.  689).  —  Dass   monoalkyUrt«   Puwwnsllareit ■-'   R-CH-CH(CO, 

0 

Condenaation  von  Aldehyden  mit  bemateinsaurem  Natrium  entstehen, 
besprochen,  ebenso  ihr  Verhalten  bei  der  Destillation  (S.  490)  ond  bei  i 
von  Natrinmfithylat  (S.  681).  —  Dieselbe  Reaction  führt  bei  Anwend 
weinsanrem  Natrium  zur  Bildung  von  dlalbjllrten  Paraeonslnnil*,  i 
sieb  stets  neben  einander  zwei  isomere  LactonsSuren,  z.  B.: 

C,H,CHO  +  CH/CO,H)-CH-CH,  C,H,.CH-CH(CO^.  C 

I  ...... 

CO,H 


.H.O.     ■-^_ 


CH,  CH, 

(',H,-CHO  +       dHCCO,H)-CH,      =  H,0  +  C,H,-CH(V;0,H)- CH, 
I                                       1  I 

CO,H  0 CO 

diese  dialkjlirten  ParaconsSuren  zcrfoUen  bei  der  Destillation  der  Hs 
in  KohlenaSure  und  Alkjlene,  zum  kleinen  Tbeil  in  BrenzweinsSure  un 

'  RwAKTS,  Jb.  ISee,  404.     Ztschr.  1867,  641:1.  —  Fmio  u.  Line 
76  (1877).  —   Fima  u.  Bbbb,  Ann.  Sie.  77  (1882).  —  Fimo,  Ber.  30 
'  Frrna  n.  ScHNEEoairB,  Ann.  227,  85  (1885). 
*  Firno  u.  A.,  Ann.  266,  1  ff.  (1889);  266,  50  ff.  (1889). 


800  Terebinsäure,  Carhocaprolacionsäure. 


welcher  zu  ihrer  Darstellung  diente,  und  liefern  als  Nebenprodukte  ungesättigte 
einbasische  Säuren  bezw.  die  ihnen  isomeren  Lactone.  —  Eine  an  dem  gleichen 
Kohlenstoff  dimethylirte  Paraconsfture  ist  die  TerebinsSare^  C7H10O4 
=  (CHj),C.CH(CO,H)CH,,   welche  durch  Oxydation  von  Terpentinöl  mit  Salpeter- 

0 —      CO 

säure  gewonnen  wird,  in  grossen  Rrys^allen  anschiesst,  bei  175°  schmilzt,  aber  schon 
bei  niederer  Temperatur  zu  sublimiren  beginnt  und  in  kaltem  Wasser  schwer  loslicb 
ist.  Ihr  Verhalten  ist  durchaus  analog  dem  Verhalten  der  synthetisch  gewonnenen 
Säuren  der  Paraconsäuregruppe;  hieraus  und  aus  der  Constitution  ihrer  Umwandlungs- 
produkte  —  Brenzterebinsäure ,  Isocaprolacton ,  Teraconsäure  —  kann  ihre  Stmctor- 
formel  abgeleitet  werden.  Beim  Kochen  mit  überschüssigen  Basen  erh&lt  man  die 
Salze  der  um  ein  Wassermolecül  reicheren  Diaterebinsäure  CfU^ifi^,  aus  denen 
durch  Säuren  wieder  unter  Wasserabspaltung  die  Terebinsäure  in  Freiheit  gesetzt 
wird.  Letztere  liefert  bei  der  Destillation  unter  Kohlensäureabspaltung  die  Brenz- 
terebinsäure  (S.  509)  bezw.  das  isomere  Isocaprolacton  (S.  764)  und  daneben  geringe 
Mengen  von  Teraconsäure  (CH3),C  :C(CO,H).CH,CO,H  (S.  692).  In  Isocaprolacton 
wird  Terebinsäure  auch  durch  Erhitzen  mit  starker  Schwefelsäure  verwandelt;  der 
Uebergang  in  Teraconsäure  erfolgt  sehr  leicht  und  glatt  bei  der  Einwirkung  von 
Natriumäthylat  auf  Terebinsäureester  (vgl.  S.  691),  umgekehrt  geht  Teraconsäure  wieder 
durch  Behandlung  mit  Chlor-  oder  Bromwasserstoffsäure  oder  Schwefelsäure  in  Terebin- 
säure über.  Durch  Erhitzen  mit  Barytwasser  auf  150—170°  wird  Terebinsäure  glatt 
in  Aceton  und  Bemsteinsäure  gespalten: 

(Cn^\C .  CH(CO,H) .  CH,  CH,(CO,H)  •  CH, 

I  I       +  H,0  =  (CH,),CO  +  I       . . 

0 CO  CO.H     . 

Während  die  Säuren  der  Paraconsäuregruppe  als  Carboxylsubstitutionsprodakt« 
des  Butyrolactons  bezw.  seiner  Homologen  aufgefasst  werden  können,  bei  denen  die 
Carbozylgruppe  direct  an  einem  Kohlenstofiatom  des  Lactonrings  haftet,  gelangt 
man  von  der  Allylbemsteinsäure  (S.  694)  durch  ümlagerung  mittelst  Bromwasserstoff 
zu  einer  Carbocaprolaetonsäure '  C7H10O4: 

OH, :  CH.CHj.CHCHjCOjH  CH8.CHBr.CH,.CH.CH,.C0,H 

I  ^  I  > 

CO,H  CO,H 

CHj  •  CH  •  CH|  •  CH  •  CH,  •  COjH 

I  I 

0 CO 

deren  Carboxylgruppe  durch  eine  Methylengruppe  von  den  Kohlenstoffiitomen  des 
Lactonrings  getrennt  ist;  sie  schmilzt  bei  68—69^  und  unterscheidet  sich  von  der 
isomeren  Terebinsäure  wesentlich  dadurch,  dass  sie  unter  nur  geringer  Zersetznng 
bei  260  <>  destillirt. 

Für  ein  Dihydroxylderlyat  der  Bemsteinsftnre  bleibt  —  wenn 
man  von  der  durch  die  Formel: 

CO,H .  C(OH), .  CH, .  CO,H 


'  Bromeis,  Ann.  37,  297  (1841).  —  Rabourdik,  Ann.  52,  891  (1844).  —  Caillot, 
Ann.  eh.  [8]  21,  27  (1847).  —  Svanbkro  u.  Eykman,  Jb.  1865,  650.  —  W.  C.  Williams, 
Ber.  e,  1094  (1873).  —  Fittio  u.  Mielck,  Ann.  180,  45  (1876).  —  Frma  u.  Geisler. 
Ann.  208,  37  (1881).  —  Roseb,  Ann.  220,  254  (1883).  —  Prmo  u.  Pbost,  Ann.  226, 
863  (1884).  —  Erdmahn,  Ann.  228,  179  (1885). 

»  HjELT,  Ber.  16,  335  (1883). 


Gmfiguratitmsinoglickkeilen  für  syttim.  Diuxijbermstemsäwe 

itusgedrilckteii,  wegen  der  Gegenwart  zweier  Hydroxjlgi 
und  demselben  Kohlenstoffatom  voraussichtlich  unbest 
metrisch  constituirten  Verbindung ,  deren  Wasseiabi 
C0,H-CO-CH|-COjH  später  als  Oxalessigsäure  beaproch 
—  nur  die  symmetriscbe  Structurformel : 

CO,H .  CH(OH)  -  OHiOH)  -  CO,H 
übrig.  Diese  Formel  weist  zwei  gleichartig  asymmetris 
alome  auf —  ein  Fall,  der  vom  Standpunkt  der  stereocbt 
schon  gelegentlich  der  Besprechung  der  symmetrisch  di( 
—669)  und  dibromirten  (S.  734 — 735)  Bernstein  säuren  t 
Die  Theorie  lässt  drei  Configuratiouen  möglieb  erschein 
CO,H  CO,H 

I.  II.         I  rir. 

H— — OH  OH— — H  OH 

1 

OH— — H  H—  — OH  OH 

CO.H  CO,H 

von  denen  die  beiden  ersten  optisch  activ  und  einand 
sind,  währeud  die  dritte  durch  intramoleculare  Conipen^ 
Die  den  Configurationen  I  und  II  entsprechenden  Verb: 
endlich  mit  einander  zu  einer  inactiven  Modification: 

COjH  CO,H 

IV.  I 

H—  — OH  OH—,      H 


lOJI 


zusammentreten  können,  welche  im  Gegensatz  zu  de 
Configuration  III  entsprechenden  Verbindung  in  actii 
gespalten  werden  kann. 

Diese  vier  stereoisomeren  Dioxybemsteinaäuren  si 
nibreo  die  Namen:  KechtsirelnsBare  und  Linkswell 
AntlwelnsXure  (III)  und  Trsubensäure  (IV);  sie  warei 
Stellung  der  Theorie  von  Le  Bel-van't  Hoff  bekannt,  und 
zu  einander  waren  namentlich  durch  eingehende  Unt^ 
Pastkur  erforscht.  Die  merkwürdigen,  durch  die  Stru 
erklärbaren  Beobachtungen  in  der  Chemie  dieser  Si 
erster  Linie  Änlass  zum  Entstehen  der  Speculationen 
liehen  Bau  der  Molecüle  gegeben  (vgl.  S.  77  ff.};  sind  dii 
für  die  stereochemiache  Theorie  von  geschichtlichem  S 
besonders  interessant,  so  werden  sie  noch  wichtiger  da<l 
in  irgend  einem  anderen  Falle  ein  so  vollständiges 
Material  gesammelt  ist,  um  die  Beziehungen  zu  illustrii 

V.  MeYKR  IL  iAoaao»,  ori,  Cbcml«,    I. 


802  Rechisueinsä'ure  (Vorkommen,  Darsteilung, 


sehen  stereoisomeren  Verbindungen  mit  asymmetrischen  Kohlenstofi- 
atomen  bestehen.  Fast  jeder  Satz,  den  wir  heute  auf  diesem  Gebiete 
anerkennen,  fast  jede  Methode,  die  wir  zur  Umwandlung  steieoisomerer 
Verbindungen  in  einander  anwenden,  hat  an  den  Weinsäuren  zueilst 
Prüfung  gefunden. 

Rechtsweinsäurc    C^HgOg    (gewöhnlich    schlechthin    Weinsäure, 
officinell  acidum  tartaricuni  genannt)  ist  in  Form  ihres  sauren  Kalium- 
salzes —  des  Weinsteins  —   schon   seit   dem   Alterthum   bekannt,  als 
freie  Säure  zuerst  von  Scheele  1 769  untersucht.     Sie  ist  eine  der  yer- 
breitetsten  Pflanzensäuren;  ihren  Namen  hat  sie  von  ihrem  Vorkommen 
im  Saft  der  Weintrauben,    in    welchem   sie    sich   theils  als  freie  Säure, 
grösstentheils    aber  als  saures  Kaliumsalz  findet.     Bei  der  Vergähning 
des    Traubensaftes   zu    Wein    wird   durch   den   sich   bildenden   Alkohol 
dieses  „Weinstein"  genannte  Salz   allmählich   ausgefallt   und  setzt  sich 
während  der  nicht  mehr  unter  stürmischer  Gasentwickelung  verlaufenden 
„Nachgährung"  zusammen   mit  Hefe  am  Boden  des  Fasses  als  „Wein- 
geläger"  ab.     Dieses  Weingeläger  dient  neben  anderen  Rückständen  der 
Weinbereitung,   wie  z.  B.  Tröstern,    zur    technischen   Herstellung 
der  Weinsäure   und   ihrer  Salze,   die  in  recht  bedeutendem  Umfang 
betrieben  wird,    da  Weinsäure  viel  in  der  Färberei   und  fiir  officinelle 
Zwecke  gebraucht  wird. 

Die  Weingeläger  —  Weinhefe,  auch  Drusen*  genannt  —  werden  mit  Wasser 
unter  Zusatz  von  Salzsäure  im  Ueberschuss  gekocht,  die  Losung  wird  mit  Kalkmilch 
bis  fast  zur  Neutralisation  ausgefüllt.  Die  ganze  Menge  des  in  den  Hefen  bezw.  im 
Rohweinstein  enthaltenen  Kaliumbitartrats  und  Calciumtartrats  erhält  man  nun  als 
Calci umtartrat,  welches  durch  mehrfaches  Waschen  mit  Wasser  von  den  löslichen 
Salzen  befreit  und  dann  mit  Schwefelsäure  in  Weinsäure  und  Gyps  umgesetzt  wird. 
Die  Weinsäurelösung  wird  zur  Krystallisation  eingedampft,  aus  der  Rohkrystallisation 
erhält  man  dann  nach  verschiedenen  theilweise  complicirten  Manipulationen  je  nach 
der  Behandlung  sogenannte  spitze  oder  flache  Weinsäurekry stalle,  wie  sie  im  Handel 
zu  den  oben  genannten  Zwecken  verwendet  werden. 

Weinsäure  krystallisirt  in  grossen  durchsichtigen  monoklinen  Säulen, 

schmilzt^  bei  167—170^,  ist  in  Wasser  und  Alkohol^  leicht,   in  Aether 

nicht  löslich;  100  Th.  Wasser  lösen  bei  15«  132  Th.,  bei  100«  343  Tb. 

Weinsäure*;  Dissociationsconstante^-^ K  =  0-097.  Ihre  wässrigen Lösungen 

sind  rechtsdrehend;  ebenso  wie  bei  der  Aepfelsäure  (S.  795)  nimmt  aber 

auch  hier  die  specifische  Rotation«  mit  wachsender  Verdtinnung  zu,  mit 


*  Ein  speciell  für  feuchte,  gcpresate  Weinhefe  gebräuchlicher  Ausdruck. 

*  BiscHOFP  u.  Walden,  Ber.  22,  1814,  1819  (1889). 

'  Schipp,  Ann.  118,  189  (1860).  —  Boürgoin,  Bull.  29,  244  (1878). 

*  Leidie,  Compt.  rend.  95,  87  (1882). 

^  Ostwald,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  3,  371  (1889). 

*  Vgl.  Krecke,  Jb.  1872,  154.  —  Landolt,  Ber.  6,  1073  (1873);  13,  2329  (IS.so». 
—  Tu.  Thomsen,  J.  pr.  [2]  32,  211  (1885);  34,  74  (1886);  36,  145  (1887).  —  Bku^ 
Jb.  1886,  312.  —  Pribram,  Ber.  22,  6  (1889).  —  v.  Sonnenthal,  Ztschr.  f.  physikl 
Chem.  9,  656  (1892).  —  Güye  Ann.  eh.  [6]  26,  193  (1892). 


Bigenschapen  und  Verhalten), 

wachsender Con CO ntratioTi  ab;  aus  denBeobachtuDgen  kann 
(iass  fÖr  die  Temperatur  von  24*  und  den  blauen  Strahl 
umkehrung  erfolgen  würde,  wenn  der  Procentgehalt  an 
beträgt;    derart   concentrirte   wässrige   Lösungen   lassen 
24*  nicht  herstellen. 

Als  Dioxybemsteinsäure  ist  die  Weinsäure  aufzufasae 
Jodwaaseratoff  unter  intermediärer  Bildung  von  Aepfelsäi 
zu  Bern  stein  säure  reducirt  wird ',  da  sie  sich  ferner  durch 
Setzung  ihrer  Salze  und  Ester  als  zweibasische  Säure 
die  Gegenwart  zweier  alkoholischer  Hydroxylgruppen  i 
halten  ihrer  Dialkylester  gegen  Acetylchlorid  *  (Bildanj 
dialkylestern,  s.  S,  806)  bewiesen  wird.  Wäre  sie  unaymi 
bemsteinsäure  CO,HC(OH}j-CHj-COgH,  so  wUrde  sie 
Ziehung  zur  Oxal essigsaure  COjR-CO-CHj-COjH  stehen  ^ 
einer  Eetonsäure  ähnlich  verhalten ;  keine  einzige  ihrer  Re 
dafür,  während  die  symmetrische  Formel  CO,H-CH(OH 
ihr  Verhalten  gut  erklärt  und  auch  durch  die  S.  813  ange 
Säuresynthese  aus  Olyoxal  bewiesen  wird. 

Durch  Erhitzen  für  sich  geht  die  Weinsäure  bei  Te 
iluen  Schmelzpunkt  nicht  erbeblich  überschreiten,  in  Sä 
als  Uetaweinsäure,  Tartralsäure,  Tartrelsäure  bes 
aber  wenig  genau  definirt  sind ;  da  sie  durch  Kochen  mil 
in  Weinsäure  verwandelt  werden,  stehen  sie  zur  Weil 
naher  Beziehung  und  sind  theilweise  wohl  als  Weinsäur 
zufassen.  Durch  stärkeres  Erhitzen  tritt  eine  comple 
ein;  man  erhält  bei  der  trockenen  Destillation  ein  Desti 
anderen  Stoffen  Brenzweinsäure  (S.  665)  CO,H-CHg-CH(i 
Brenztraubensäure  CH,-CO-COjH  enthält  und  zur  Da: 
Süuren,  deren  Namen  sich  aus  dieser  Bildungsweise  er 
wird.  —  Weinsäure  reducirt  ammoniakalische  Silberlös 
daher  als  Vers ilberungs mittel  angewendet  werden';  1 
ammoniakalische  Weinsäurelösung  mit  Silbercarbonat ,  S( 
dationnprodukt   reichlich   Oxalsäure*   neben    einer    ander 


TT,  Ann.  114,  109  (IBSO).  ~  Dessaiqnes,  Ann.  118 
134  (1861). 

■  WcBLicBMiTB,  Adh.  129,  184  (1863). 

'  Erdmann,  Ann.  31,  9  (1S3T).  —  Lacbknt  u.  Oebhardt,  Jb. 
Fr£ht,  Ann.  29,  144  (1839);  78,  2S7  (1&51).  —  ^rifp,  Ann.  13 
BoticHARDAT,  CoDipt  rend.  89,  99  (1879).  —  Grobjeak,  Jonm.  äd 
—  Vgl.  auch  ScHEiBLEs  u.  MirrELMEiER,  Ber.  26,  1994  (1892).  —  Cok 

*  VoELciRL,  Ann.  89,  5T  (1854).  —  BouRaoiN,  üuli.  30,  309  (tl 
MAXH.  Ber.  15,  428  |18B3). 

»  BoTHE,  J.  pr.  93,  191  (1864). 

•  Claus  u.  Wieoamd,  Ber.  8,  951  (1875). 


804  Salxe  der  Weinsäure  (Tartraie). 


Säure  auf.  —  Durch  Bacteriengähruug  ^  kann  aus  weinsaurem  Ammern 
Bernsteinsäure  in  grosser  Menge  erhalten  werden  (vgl.  S.  658),  während 
aus  weinsaurem  Kalk  flüchtige  Fettsäuren  —  Essigsäure,  Propionsäure 
Buttersäure  —  entstehen,  aber  keine  Bernsteinsäure. 

Die  analytische  Identificirung  der  Weinsäure  gründet  sich  zweckmässig 
auf  die  Schwerlöslichkeit  ihres  sauren  Kaliumsalzes  —  eine  nicht  zu  verdünnte 
Weinsfturelösung  giebt  mit  Kaliumacetatlösung  einen  krystallinischen  Niederschlag  — 
und  auf  die  Eigenschaften  ihres  neutralen  Calciumsalzes,  welches  aus  den  Losungen 
weinsaurer  Salze  durch  Chlorcalcium  gefällt  wird;  das  Caiciumsalz  löst  sich  in 
Salmiaklösung  und  in  kohlensäurefreier  Natronlauge  auf,  scheidet  sich  aber  beim 
Kochen  der  alkalischen  Lösung  wieder  gelatinös  ab. 

Die  Salze  der  Weinsäure^  werden  Tartrate  genannt;  als  zwei- 
basische Säure  kann  die  Weinsäure  zwei  Reihen  von  Salzen  —  neutrale 
und  saure  —  bilden.  Die  neutralen  Alkalisalze  sind  leicht  löslich,  die 
neutralen  Salze  der  übrigen  Metalle  sind  schwer  oder  gar  nicht  in  Wasser 
löslich;  unter  den  aauren  Alkalisalzen  sind  das  Kalium-  und  Ammonium- 
salz  durch  Schwerlöslichkeit  ausgezeichnet. 

Neutrales  Kaliumtartrat  C4H40eK8  -f-  VjHjO  löst  sich  in  066  Th.  Wasser 
von  14^  —  Saures  Kaliumtartrat  C4HßOeK  (Weinstein,  [s.  S.  802],  Creroor 
tartari)  bedarf  bei  10^  235  Th.  Wasser  zur  Lösung';  von  seiner  Schwerlöslichkoit 
macht  man  zum  analytischen  Nachweis  einerseits  der  Weinsäure  (s.  oben),  anderer- 
seits des  Kaliums  Gebrauch.  —  Kaliumnatriumtartrat  C4H40gKNa  +  4H,0  ist 
unter  der  Bezeichnung  „Seignettesalz"  (nach  seinem  Entdecker  SEtoHEfTE  |1672- 
genannt)  bekannt,  bildet  grosse  Krystalle,  an  denen  zuweilen  hemitidrische  FläcJK'n 
auftraten,  und  löst  sich  in  1-7  Th.  Wasser  von  6^  —  Isomorph  damit  ist  das 
Natriumammoniumtartrat  C4H40QNa(NIl4)  +  4H2O,  welches  für  die  Darstellung 
der  Rechts-  und  Linksweinsäure  aus  Traubensäure  (vgl.  S.  808 — 809)  wichtig  ist,  da 
CS  besonders  leicht  mit  hemiSdrischen  Flächen  krystallisirt. 

Neutrales  Calciumtartrat  C4H4O0Ca  +  4H,0  bedarf  zur  Lösung  etwa 
350  Th.  kochendes,  mehr  als  2000  Th.  kaltes  Wasser;  über  seine  Benutzung  zum 
Nachweis  der  Weinsäure  vgl.  oben. 

^.Neutrales  Kupfertartrat  C4H40eCu  +  3HjO  scheidet  sich  durch  Fällung 
von  Kupfervitriol  mit  einem  neutralen  Alkalitartrat  als  hellgrüner  Niederschlag  ab, 
der  in  Wasser  sehr  schwer,  in  Weinsäure  leicht  löslich  ist.  In  Alkalien  lost  es  sich 
mit  tiefblauer  Farbe;  hierdurch  erklärt  sich  die  Erscheinung,  dass  KupfeFsake  in 
Gegenwart  von  Weinsäure  durch  Alkalien  nicht  gefällt  werden;  1  MoL  Weinsäure 
vermag  1  Atom  Kupfer  in  Lösung  zu  halten^;  die  Erscheinung  beruht  wohl  auf  der 
Bildung  von  Doppelsalzen,  in  denen  auch  der  Wasserstoff  der  alkoholischen  Hjdroxyl- 

gruppen  durch  Metallatome  vertreten  wird,  wie  etwa  Cu<f       |  .     Auch  die 

^OCHCOjK 
Fällbarkeit  anderer  Metalloxyde  —  z.  B.  Nickeloxyd,  Bleioxyd  —  durch  Alkali  wird  von 
Weinsäure  verhindert,  und  ähnlich  der  Weinsäure  verhalten  sich  andere  Oxysäuren*, 


»  Fitz,  Ber.  12,  475  (1879).  —  König,  Ber.  14,  211  (1881). 

*  Vgl.  besonders  Dulk,  Ann.  2,  39  (1832).  —  Werther,  J.  pr.  32,  885  (18441. 
—  De  LA  Provostaye,  Ann.  eh.  [3]  3,  129  (1841).  —  Dcmas  u.  Piria,  Ann.  eh.  [5]  5. 
353  (1842).  —  Pasteur,  Ann.  eh.  |3]  24,  443  (1848);  38,  445  (1853);  42,  418  (1«54). 

»  Blarez,  Compt.  rend.  112,  434  (1891). 

*  StXdrleu  u.  Kkause,  Jb.  1864,  74G.  »  Vgl.  Ann.  189,  27  (1877). 


Weinsäureesler. 

wie  Aepfelsfiurc,  Citroaensäure.  Man  weht  von  dieser  Erscheinung  Nutze 
JCusammenectzang  der  unter  dem  Namen  „FsMMMa'sche  Lösung"  bckanntena 
Kapferoxydiöeang,  welche  in  der  Regel  bereitet  wird,  indem  man  einereeits  ein 
:{4-6g  krj'stalliBirtes  Kupfervitriol  enthaltende  Lösung,  andererseits  eine 
173  g  krystallisirtea  Seignettesak  und  60  g  Aetznatron  enthaltende  Lösung 
und  gleiche  Raiimtheile  dieser  beiden  Löstingen  vor  dem  Gebrauch  mit 
vermischt.  Diese  Lösung  ist  ein  allgemein  gebrifuchliches  Reagens,  um  auf  K 
vennSgen  zu  prüfen;  bringt  man  sie  mit  einer  Substanz  zusammen,  die  R 
vennögen  g^;en  Kupferoxjd  besitzt,  so  scheidet  sich  aus  der  blauen  L 
Xiederachlag  von  rothem  Kupferoxydul  üb. 

Unter  den  viel&ch  nnteiauchtcn  ADtimonaalzen'  der  Weinsäur 
praktischer  Wichtigkeit  der  sogenannte  Brechweinstein  G^HfOjKSb  -t-  '/t^ 
Salz,  welches  durch  Auflösen  von  i  Th,  Antimonoiyd  und  5  Th.  Weinstein 
heissem  Wasser  und  Kristallisation  hergestellt,  gewöhnlich  als  Kalium -an  timo 
CH(OH)  COOSbO 

aufgefasst  und  bekanntlich  als  Brechmittel   verwendet 
CHiOHlCOOK 

hrystalliairt  in  rhombischen  Octa€dem,  löst  sich  in  12  6  Th.  Wasser  von  2 
Alkohol  unlöslich,  verliert  schon  an  der  Luft  theiiweise  dos  Kiystallwasaer 
10Ü*  wasserfrei  und  giebt  durch  Erhitzen  auf  200—220°  nocJi  1  Mot.  V 
indem  ein  Kahumantimoutartrat  CilI|0,Käb  cntateht,  das  beim  Auflösen  i 
wieder  gewöhnlichen  Brechw  einst  ein  regenerirt. 

Ester  können  sicli  von  der  Weinsäure  ableiten,  indem  eiitw 
Wasserstoffatome  der  Carboxylgru|»])eii  durch  Alkylreste,  oder  dio 
eitoffatome  der  alkoholischen  Hydroxylgruppen  durch  Säurei'ei 
tretou  werden,  z.  B. : 

CH(OH)CO,C,H,  CH(ONO,)-CO,H 

I  und  I 

CH(OH)-CO,-C,H,  CH{0-NOO-CO,H 

WeinsSurediKthylester  Salpctcrsfiureestcr  der  Weinsäure 

Nitroweinsänre. 
Die  Dialkylester  der  WeinsSurc'  C,H^OHyCÜ,-R),  lassen  sieh 
Zustand  fast  unzersetzt  destillireu,  werden  aber  äusserst  leicht  in  Berül 
Wasser  partiell  verseift;  man  muss  daher  hei  ihrer  Bereitung  durch  EinI 
Chlorwasserstoff  in  alkoholische  WeinsfiurelÖsungen  es  vermeiden,  sie  mit  W 
di'tn  Rcactionsgemisch  abzuscheiden.  Der  Dimethylester  ist  eine  bei  m°sct 
Kryetallmasse,  siedet  bei  280°;  der  Difithylester  ist  flüssig,  besitzt  he 
spcc.  Gew.  1-210  und  siedet  bei  2B0°.  Die  Wasaerstofiatomc  der  alki 
Hydroxylgruppen  können  in  diesen  Estern  durch  Natrium  und  Kalium  ersetz 
die  M)  entstehenden  Alkoholate*,  wie  C,H^OKI,[CO,-C,H„), ,  sind  zu  dopp< 
Setzungen  indee-icn  nicht  brauchbar. 


<  BuHDES  u.  WABDEMBtTBo,  Aun.  2,  71  (1832).  —  LiüBio,  AnD.  36,  1 
—  PiuooT,  Ann.  64,  2»2  (lS4ä).  —  Clakie  u.  Stallo,  Ber.  13,  17»7  i 
Clibu  u.  Evanh,  Ber.  18,  2379  (1H83).  —  Wardeh,  Ber.  17o,  105  (I8ö*). 
Compt  rend.  102,  1472  (1866).  —  Dcnhtan  u.  Boole,  Jb.  1S88,  1821. 

*  Abbchütz  u.  Pictbt,  Ber.  13,   ins  (1880);    14,  2789   (1881);    16,  22 
»  Febkin,  Ann.  Suppl.  6,  293  (18671.  —  Lassak-Cohh,  Ber.  20,  2003  i 
Mduikr,  Rec  trav.  chim.  8,  361  (1889);  10,  171  (1891). 


806  Linksujemmure, 


Der  Salpetersäureester  der  Weinsäure*,  deasen  Formel  S.  805  gegeben 
wurde,  iät  eine  durch  ihre  ZusammenBetzung  und  Zersctzlichkeit  höchst  interessante 
Substanz;  man  nennt  ihn  gewöhnlich  ,,Nitroweinsäuro"  —  eine  Bezeichnung,  die 
ebenso  ineonsequeut  ist,  wie  die  analog  gebildeten  Namen  „Nitroglycerin,  Nitro- 
mannit*'  etc.  Man  gewinnt  ihn,  indem  man  100  Th.  gepulverte  Weinsäure  in  650  'FL 
rauchender  Salpetersäure  löst  und  nach  dem  Erkalten  900  Th.  reine  Schwefelsäun* 
zufugt,  als  seidenartig  verschlungene  Krystallmasse.  Seine  wässrige  Losung  ist  aus- 
nehmend unbeständig;  schon  wenig  über  0°  erleidet  sie  unter  Gasentwickelung  Zer- 
setzung, indem  der  Saucrstofi  der  Nitrogruppen  oxydirend  auf  die  benachbarten  TheÜe 
des  Molecüls  wirkt;  lässt  man  einige  Tage  bei  niederer  Temperatur  stehen  und  er- 
wärmt dann  auf  40— 50^  so  erhält  man  Oxalsäure.  Bei  vorsichtiger  Leitung  der 
Scibstzersetzung  gelingt  es  aber^  als  erstes  Produkt  die  Dioxy Weinsäure  CO^H- 
C(0H),-C(0II)2-C0jll  zu  ifiolircn,  deren  Bildung  man  sich  durch  eine  vorher  erfol- 
gende Umlagerung  der  Nitro  Weinsäure  in  einen  Salpetrigsäureestcr: 

CHCONCMCOjH  C(OHXO.NO).CO,H 

I >        \ 

CH(0.\0,).CO,H  C(OH)(O.NOj.C(),U 

erklären  kann.  Da  die  Dioxy  Weinsäure  durch  Kohlcnsäureabspaltung  leicht  in  Tartron- 
säure  übergeht,  so  kann  man  unter  gewissen  Umständen  auch  Tartrousäure  als  Zer- 
setzungsprodukt der  Nitroweinsäure  erhalten  (vgl.  S.  790). 

Diacetylweinsäurc«  C,H,(O.CgH,0),(CO,HV  Das  Anhydrid  CsH^O,  (aiis 
Weinsäure  und  Acetylchlorid)  schmilzt  nicht  ganz  scharf  bei  125 — 129**  und  geht  an 
feuchter  Luft  in  das  Säurehydrat  CgHmOg  —  eine  zerfliessliche  Substanz,  die  mit 
3  Mol.  Wasser  bei  58 •  schmelzende  Krystalle  bildet,  —  über.  Der  Diäthylester 
CgHgOgCCjHft),  (aus  Weinsäurediäthylester  und  Acetylchlorid)  schmilzt  bei  66-5®  und 
siedet  bei  291—292'' 

Die  Llnksweinsäiirc'  —  die  der  gewöhnlichen  W^ einsäure  optisch 
entgegengesetzte  Modification  —  kann  nach  den  S.  808 — 809  besprocheDCU 
Methoden  durdi  Zerlegung  der  Traubensäure  hergestellt  werden.  Sie 
besitzt  den  gleichen  Schmelzpunkt  und  die  gleiche  Löslichkeit  wie  die 
Rechts  Weinsäure;  ihre  Salze  zeigen  dieselbe  Zusammensetzung,  denselben 
Wassergehalt,  dieselbe  Löslichkeit  wie  die  gewöhnlichen  Tartrate;  ihre 
Ester  schmelzen  und  sieden  bei  derselben  Temperatur,  wie  die  Kechts- 
weinsäureester.  Allein  die  Säure  selbst  sowohl  wie  ihre  Salze  uad 
Derivate  drehen  die  Schwingungsebene  des  polarisirten  Lichtstrahles 
stets  um  denselben  Betrag  nach  der  einen  Seite,  wie  die  Eechtsweiii- 
säure  bezw.  ihre  Abkömmlinge  nach  der  anderen  Seite.    W^o  ferner  eiiie 


1  Dessaiones,  Ann.  82,  362  (1852).  Jb.  1857,  306.  —  Uekry,  Ber.  3,  533 
(1870).  —  Demole,  Ber.  10,  1788  (1877).  —  Kekulä,  Ann.  221,  245  (1883).  —  Ma- 
QUEMNE,  Ann.  eh.  [6]  24,  524  (1891). 

■  Pilz,  Jb.  1861,  368.  —  Wislicenüb,  Ann.  129,  184  (1863).  —  Pekkin,  Ann. 
Suppl.  6,  285  (1867).  —  Anschütz  u.  Pictet,  Ber.  13,  1178  (1880);  14,  2790  (1S81); 
15,  2242  (1882).  —  Colson,  Compt.  rend.  114,  177,  417  (1892).  —  Güve,  ebenda,  4T5. 
Ann.  eh.  [6]  25,  202  (1892).  —  Freukdler.  Compt.  rend.  116,  509  (1892). 

«  Pasteüb,  Ann.  eh.  [3]  28,  71  (1850);  38,  460  (1853);  42,  424  (1854).  —  Lbidik, 
Compt.  rend.  95,  87  (1882).  —  Junopleisch,  Jb.  1883,  1084.  —  AKSCBOrZt  Ber. 
18,  1398  (18S5).  Ann.  226,  200  (1884);  247,  111  (1888).  —  Ostwaij),  Ztschr.  f. 
physik.  Chem.  3,   372  (1889).  —  Biscuoff  u.  Walden,  Ber.  22,  1814,  1820  (18891, 


TVaubensäure. 

Kiystallisation  mit  liemiSdrisclien  Flächen  eintritt,  titidet  ma 
i'iiien  Reibe  die  hemiedrischeD  Flächen  auf  der  rechten,  in  de 
Keihe    auf  der   linken    Seite  (vgl.  S.  78—79).     In  jeder  Bezie 

—  abgesehen   von   der   Hemiedrie   und    dem   Vorzeichen    des 
Diehungs Vermögens  —  sind  Kechts-  und  Linksweinsaure  identi» 
man  sie  aber  mit  anderen  optisch  activen  Körpern  combinirt,  so  l 
mall  nicht  mehr  Identität  des  Verhaltens,   erhält  vielmehr  nu: 
düngen  von  wesentlich  verschiedenen  Eigenschaften.    So  krystali 
das  saure  Cinchoninsalz  der  Rechtsweinsäure  C,gH,jN,0,CjH,' 
und  ist  in  absolutem  Alkohol  leicht  löslich,  während  das  ei 
Salz  der  Linksweinsäure  durchaus  anders  aussieht,  mit  IH^O 
und  in  Alkohol  sehr  wenig  löslich  ist.    Ueber  das  verschiedene 
gegen  Pilze  vgl.  S.  809. 

Die  Tranbensfture  C^H^Og  +  C^H^Og  (Paraweiusäure, 
racemicum)  —  die  nach  unseren  jetzigen  Kenntnissen  als  V 
von  Rechts-  und  Linksweinsäure  aufzufassende  Modification  (vgl. 
ist  zuerst  um  das  Jahr  1820  beobachtet  worden;  1830  zeigte  E 
dass  sie  mit  der  Weinsäure  gleich  zusammengesetzt  ist;  es  ist  in 
dass  gerade  dieser  Fall  von  Verschiedenheit  der  Kigenschaften  bt 
(irocen tischer  Zusammensetzung,  den  wir  heute  eher  als  einen 
Polymerie  ansprechen,  zur  Einführung  des  Begriffs  der  Isomerie  Ver 
gegeben  hat'.  Man  erhalt  die  Traubensäure  neben  der  Anti 
(vgl,  S.  810)  aus  der  gewöhnlichen  Weinsäure  oder  ihren 
(Cinchoninsalzen,    Estern)   durch    die  Einwirkung  höherer  Tem 

—  ein  Vorgang,  der  nach  unseren  heutigen  Anschauungen 
.\enderung  der  Configuration  in  einer  gewissen  Anzahl  von  . 
I>eruhen  muss,  die  so  weit  fortschreitet,  bis  ebenso  viel  Hnk 
wie  rechtadrehende  Molecüle  vorhanden  sind;  es  ist  dies  ein 
Fall  der  sehr  häufig  beobachteten  Erscheinung,  dass  optisch  a' 
bindungen  durch  Erhitzen  ihr  Drehungs vermögen  verlieren^.  D 
gang  der  Weinsäure  in  Trauhensäure'  bewerkstelligt  man  in 
die  Darstellung  geeigneten  Weise,  indem  man  je  30  g  Wein 
3 — 4ccm  Wasser  30  St.  lang  auf  175"  erhitzt;  fast  die  Gesan 
der  Weinsäure  wird  unter  diesen  Umständen  in  Tiaubensäure  v« 
Traubensäure  entsteht  ferner,  wenn  mau  gloicho  Mengen  Re 
Linksweinsäure  in  Lösung  zusammenbringt*,  und  zwar  untei 
entwickelung.  Ueber  synthetische  Bildungaweisen  der  Tra 
vgl.  S.  812— 8U. 


■  BERZiLina,  Pogg.  IB,  S19  (1630). 

*  Vgl  väk't  Hoff,  üii  ann^ea  etc.,   B.  49  (Rotlcrdam,  1687). 

*  Pjlsteob,  Ann.  88,  211  (185S|.  —  Dessaiohes,  Comiit  rend.  « 
(1856).  Bull.  1868,  B56.  —  Juhofj.eisch,  Bull.  18,  201  (1872).  Compl 
805  (1877).  -  Ber.  14,  2688  (1881). 

*  FiSTEiTB,  Ann.  eh.  [3j  28,  7ö  (1850). 


808  Methoden  zur  Zerlegung  „racemischer  Modi ficat tone n^' 


Die  Traubensäure  unterscheidet  sich  von  der  Rechts-  und  Links- 
weinsäure zunächst  natürlich  durch  ihre  optische  Inactivität,  aber  auch 
in  vielen  anderen  Punkten.  So  krystallisirt  sie  in  triklinen,  wasser- 
haltigen Prismen  von  der  Zusammensetzung  C^H„Og  +  C^HgOg+2HjO, 
verliert  ihr  Krystallwasser  durch  Erhitzen  auf  110°  und  schmilzt^  dann  erst 
unter  Zersetzung  bei  205 — 206®;  in  Wasser  ist  sie  bedeutend  weniger 
löslich  als  Weinsäure,  100  Th.  lösen  bei  15«  nur  15  Th.,  bei  100«  138  Th. 
wasserfreie  Traubensäure^  (vgl.  S.  802).  Ihre  Salze^  (Racemate)  unter- 
scheiden sich  von  den  Tartraten  vielfach  im  Wassergehalt;  sie  krv- 
stallisiren  ohne  hemiedrische  Flächen,  wenn  nicht  bei  der  Krystalli- 
sation  Spaltung  (vgl.  unten)  erfolgt;  das  Calciumracemat*  C^H^OgCa + 
C^H^OgCa  +  8H2O  ist  noch  bedeutend  schwerer  löslich  als  das  Calcium- 
tartrat  (S.  804)  —  daher  wird  eine  Traubensäurelösung  schon  durch  Gvps- 
wasser  gefällt,  während  eine  Weinsäurelösung  nicht  gefällt  wird;  es  löst 
sich  in  Salzsäure  und  wird  aus  dieser  Lösung  im  Gegensatz  zum  Gal- 
ciumtartrat  durch  Ammoniak  sogleich  wieder  gefallt.  Die  Ester  der 
Traubensäure*  besitzen  andere  Schmelzpunkte  wie  die  Weinsäureestcr 
(der  Methylester  z.  B.  schmilzt  bei  85«  [vgl.  S.  805]),  sieden  aber  ki 
derselben  Temperatur  (unter  Zerfall,  vgl.  S.  810). 

Von  besonderem  Interesse  und  entscheidend  für  die  Auffassung  der 
Traubensäure  sind  die  Vorgänge,  durch  welche  eine  Zerlegung  der 
Traubensäure  in  Rechts-  und  Linksweinsäure  bewirkt  wird.  Dw 
Methoden,  welche  uns  überhaupt  für  derartige  Spaltungen  zur  V^er- 
fügung  stehen,  sind  zuerst  an  der  Traubensäure  von  Pastei-r  angewendet 
und  ausgearbeitet  worden;  die  Traubensäure  kann  als  das  klassisclio 
Beispiel  fiir  inactive  Modificationen,  die  in  active  Modificationen  spaltbar 
sind,  bezeichnet  werden,  und  man  nennt  daher  auch  neuerdings  all- 
gemein die  aus  zwei  optisch  activen  Componenten  gebildete  Form  der 
Verbindungen  mit  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen  ihre  „racemische" 
Modification**.  Es  sind  drei  Methoden  von  Pasteub^  aufgefunden,  durch 
welche  aus  Traubensäure  active  Weinsäuren  gewonnen  werden  können: 

1.  Die  erste,  gewöhnlich  zur  Darstellung  der  Linksweinsäure  (vgl. 
S.  806)  aus  Traubensäure  angewendete  Methode  beruht  auf  der  eigen- 
thümlichen  Eigenschaft  des  Natriumammoniumsalzes  der  Trauben- 


1  Bischoff  u.  Waldkn,  Ber.  22,  1815  (1889). 

*  Leidie,  Compt.  read.  95,  87  (1882). 

»  Vgl.  Fresenius,  Ann.  41,  1  (1842).  —  Pasteub,  Ann.  eh.  |3J  24,  453  (184M. 
—  Wyboüboff,  Ann.  eh.  |6]  9,  221  (18ö6). 

♦  AnschOtz,  Ann.  226,  197  (1884). 

*  Pebkin,  Ann.  Suppl.  5,  286  (1867).  —  An8Ch(Jtz  u.  Pictet,  Bor.  13,  1178 
(1880).  —  ANscHtJTz,  Ber.  18,  1897  (1885).     Ann.  247,  111  (1888). 

•  Vgl.  E.  Fischeb  u.  Curtiss,  Ber.  25,  1026  (1892). 

^  Pasteüb,  Ann.  eh.  [3|  28,  56  (1850).  Ann.  88,  213  (1853).  Compt.  rend.  46, 
61G  (1858);  51,  298  (1860J.  —  Vgl.  auch  Gernez,  Ahm.  143,  376  (1866).  —  Jr.NOFLEi.*tH. 
Bull.  41,  222  (1881). 


in  die  opUscfi  activen  Componenten,  809 


säure,  bei  der  Krystallisation  unter  gewissen  Bedingungen  in  die 
Salze  der  Rechts-  und  Linksweinsäure  zu  zerfallen;  da  diese  Salze 
mit  entgegengesetzt  hemiedrischen  Flächen  krystallisiren  (vgl.  S.  804), 
so  sind  sie  durch  ihr  Aussehen  Ton  einander  zu  unterscheiden,  können 
daher  durch  Auslesen  gesondert  und  dann  durch  ümkrystalHsiren  ge- 
reinigt werden.  Damit  die  Spaltung  erfolgt^,  muss  die  Krystallisation  bei 
einer  Temperatur  unterhalb  28®  stattfinden;  oberhalb  dieser  Temperatur 
scheidet  sich  Natriumammoniumracemat  CgHQOj2Na3(NH4)3  +  2H2O  aus, 
unter  28®  aber  krystallisiren  die  beiden  optisch  und  krystallographisch 
entgegengesetzten  Tartrate  C4H40gNa(NHJ  +  4H2O  gesondert  in  den  ihnen 
eigenthümlichen  Formen. 

2.  Eine  zweite  Methode  gründet  sich  auf  die  S.  807  erwähnte 
Verschiedenheit  der  Verbindungen,  welche  die  beiden  entgegengesetzten 
Weinsäuren  mit  anderen  optisch  activen  Verbindungen  eingehen.  Wenn 
mau  z.  B.  Traubensäure  mit  Cinchonicin  sättigt,  so  krystallisirt  aus  der 
Lösung  zuerst  linksweinsaures  Cinchonicin;  umgekehrt  scheidet  sich  aus 
der  Lösung  des  Chinicinsalzes  zuerst  das  Rechtstartrat  ab  (vgl.  über 
ähnliche  Spaltungen  S.  753,  780,  784,  797). 

3.  Die  dritte  Methode  endlich  bewirkt  nicht  eigentlich  eine  Zer- 
legung der  inactiven  Säure  in  die  beiden  activen  Componenten,  sondeni 
vielmehr  eine  Zerstörung  der  einen  activen  Modification,  infolge  welcher 
die  andere  übrig  bleibende  active  Modification  nun  für  sich  isolirbar 
wird.  Sie  beruht  auf  der  Eigenthümlichkeit  niederer  Organismen,  als 
Nahrung  die  Molecüle  der  einen  Configuration  zu  bevorzugen,  die  Mole- 
cüle  der  anderen  Configuration  dagegen  zu  verschmähen:  bringt  man  in 
eine  mit  Nährsalzen  versehene  Lösung  von  Ammoniumracemat  einige 
Sporen  von  Penicillium  glaucum,  so  verschwindet,  während  sich  eine 
Vegetation  der  Pflanze  entwickelt,  die  Rechtsweinsäure,  und  es  bleibt 
eine  Lösung  des  Linkstartrats  zurück. 

Da  somit  auf  verschiedenen  Wegen  die  Traubensäure  in  Rechts- 
und Linksweinsäure  gespalten  werden  kann,  da  sie  selbst  sowie  ihre 
Salze  und  Ester  umgekehrt  wieder  durch  Zusammenbringen  gleicher 
Mengen  Rechts-  und  Linksweinsäure  bezw.  ihrer  Salze  und  Ester  ent- 
stehen, so  kann  man  nicht  daran  zweifeln,  dass  Traubensäure  nichts 
anderes  als  eine  Verbindung  von  Rechts-  und  Linksweinsäure  ist.  Wie 
diese  Verbindung  aufzufassen  ist,  ob  es  ein  Traubensäuremolccül  von 
besonderer  Structur  —  vielleicht  der  Formel: 

CO,H .  CH(OH) .  CH(OH)  •  C<^  Nc  •  CH(OH)  ■  CU  (OH)  •  CO,H 


in" 


OH 
oder  ähnlichen  Formeln  entsprechend  —   giebt,  oder  ob  wir  es  mit  einer 


'  Vgl.  vait't  Hoff  u.  Deventek,  Ber.  19,  2148  (1886).  —   Wyroüboff,  Auu.  eh. 
L6J  9,  221  (1886). 


810  Antiweinsäure  (Mesowcinsäure 


Aneinanderlagerung  von  Rechts-  und  Linksmolecülen  mehr  in  physika- 
lischem Sinne,  ohne  Aenderung  der  atomistischen  Bindungsverhältnisse, 
zu  thun  haben,  bleibt  einstweilen  eine  offene  Frage.  Jedenfalls  handelt 
es  sich  nur  um  eine  lockere  Vereinigung,  die  im  Allgemeinen  an  den  festen 
Aggregatzustand  gebunden  zu  sein  scheint.  Wo  Traubensäure  oder  ihre 
Derivate  in  den  flüssigen  oder  gar  gasförmigen  Zustand  übergehen,  kann 
man  in  der  Regel  durch  physikalische  Bestimmungen  nachweisen,  dass  nnn 
nicht  mehr  eine  Verbindung,  sondern  ein  Gemenge  vorliegt.  So  zeigen 
verdünnte  Lösungen  von  Traubensäure  und  von  Weinsäure  gleichen 
Gcfriei-punkt^,  gleiches  elektrisches  Leitvermögen*,  gleiches  specifisches 
Gewicht*  (concentrirte  Traubensäurelösungen  scheinen  allerdings,  wenn 
man  nach  ihrem  Gefrierpunkt  und  specifischem  Gewicht  urtheilen  darf, 
einen  kleinen  Bruch theil  unzerlegter  Traubensäure  zu  enthalten);  dieDi- 
äthylester  der  Traubensäure  .und  der  Rechtsweinsäure  (beide  flüssig) 
besitzen  gleiches  specifisches  Gewicht,  gleiches  magnetisches  Drehungs- 
vcrmögen*;  endlich  flihren  Moleculargewichtsbestimmungen  *,  au  den 
Trauben säureestem  im  gasförmigen  Zustand  durch  Dampfdichtemessung 
oder  im  gelösten  Zustand  auf  kryoskopischem  Wege  ausgeführt,  zu  dem 
Werth  der  einfachen  Weinsäureester. 

Die  Antiweinsäure  (Mesoweinsäure,  inactive  Weinsäure)  — 
die  durch  intramoleculare  Compensation  inactive  Modification  der  Wein- 
säure (vgl.  Configuration  III  auf  S.  801)  —  kann  neben  Traubensäure 
aus  gewöhnlicher  Weinsäure  durch  Erhitzen  der  freien  Säure  mit  Wasser 
oder  des  Cinchoninsalzes  gewonnen  werden®.  Zur  Darstellung  empfiehlt 
es  sich,  je  30  g  Weinsäure  mit  3 — 4ccm  Wasser  zwei  Tage  auf  165^ 
zu  erhitzen;  aus  dem  dadurch  entstandenen  Gemisch  von  Traubensäure. 
Antiweinsäure  und  unveränderter  Rechtsweinsäure  kann  man  die  Anti- 
weinsäure in  Folge  der  leichten  Löslichkeit  ihres  sauren  Kaliurosalzes 
abscheiden.  Antiweinsäure  ist  auch  durch  Oxydation  von  Kohlenhydraten^ 
und  Erythrit®  (vgl.  S.  604)  erhalten  worden;  über  synthetische  Bildungen 
vgl.  S.  812—814. 

Die  Antiweinsäure  krystallisirt  in  langen,  prismatischen  Krystallen 
von  der  Zusammensetzung  C^HgO^  +  H^O  ;  die  entwässerte  Säure  schmilzt* 
bei  189—143«;  Antiweinsäure  löst  sich  bei  15«  in  0-8  Th.  Wasser;  in 
ihrem  Leitvermögen®   weicht   sie  erheblich  von  den  activen  Weinsäuren 


«  Raoult,  Ztdchr.  f.  phyeik.  Chem.  1,  186  (1877). 

*  Ostwald,  ebenda,  3,  372  (1889).  •  Marchlewski,  Ber.  26,  1556  (1892). 

*  Perkin,  Journ.  Soc.  51,  362  (1887). 

*  Anschütz,  Ber.  18,  1399  (1885).    Ann.  247,  111  (1888). 

*  Pasteur,  Ann.  88,  212  (1853).  —  Dessaiones,  Bull.  1863,  356.  —  Jükofleisih. 
Coinpt.  reud.  73,  1769  (1872). 

^  Dessaiones,  Ann.  Suppl.  2,  242  (1862).  —  Kiliani,  Ann.  205,  166(1880).  Ber. 
14,  2530  Anm.  (1881). 

»  Przybytek,  Ber.  14,  1202  (1881);  17,  1412  (1884). 
»  BiscHOFF  u.  Walden,  Bcf.  22,  1816,  1820  (1889). 


oder  inaelivG  Weinsäure).  811 


und  der  Traubensäure  ab:  K  =  0-060  (vgl.  S.  802,  810).  Sehr  wesent- 
lich unterschieden  von  den  stereoisomereu  Modificationen  ist  sie  ferner 
durch  die  leichte  Löslichkeit  des  sauren  Kaliumsalzes,  das  bei  19*^ 
nur  8  Th.  Wasser  zur  Lösung  erfordert,  und  durch  den  Wassergehalt 
ihres  Calciumsalzesi  C^H^O^Ca  +  SHgO  (vgl.  S.  804  u.  808).  Im  Gegen. 
satz  zu  den  flüssigen  Diäthylestern  der  activen  Weinsäuren  (S.  805)  ist 
der  Antiweinsäurediäthylester^  fest  und  krystallisirbar. 

Während  demnach  unter  den  drei  monomolecularen  stereoisomeren 
Weinsäuremodificationen  Rechts-  und  Linksweinsäure  nur  in  Bezug  auf 
den  Sinn  des  optischen  Drehungsvermögens,  das  Vorkommen  hemiedri- 
sclier  Flächen,  die  Verbindungen  mit  anderen  activen  Substanzen,  die 
Krnährungstüchtigkeit  für  Pilze  diflferiren,  dagegen  in  Schmelzpunkt  und 
Löslichkeit  der  freien  Säuren  und  ihrer  Derivate,  in  der  Leitfähigkeit  etc. 
vollkommen  übereinstimmen,  begegnen  wir  in  der  inactiven  Antiwein- 
säure  einer  Substanz,  die  in  jeder  Beziehung  andere  Eigenschaften  auf- 
weist und  sich  durchaus  selbständig  verhält.  In  den  Raumformeln 
(vgl.  S.  801),  zu  denen  die  stereochemische  Theorie  führt,  ünden  diese 
Verhältnisse  ihre  Erklärung.  Die  Configurationen  I  und  II  unterscheiden 
sich  von  einander  nur,  wie  Gegenstand  und  Spiegelbild ;  was  in  der  einen 
rechts  liegt,  befindet  sich  in  der  anderen  links;  aber  man  übersieht  am 
Modell  sofort,  dass  bei  correspondirender  Stellung  die  Entfernungen  jedes 
einzelnen  Atoms  bezw.  jeder  Gruppe  von  allen  übrigen  genau  dieselben 
für  die  Configuration  I  sind  wie  für  die  Configuration  11,  dass  demnach 
in  den  Molecülen  beiderlei  Art  derselbe  Gleichgewichtszustand  herrschen 
uinss;  die  den  Configurationen  entsprechenden  Verbindungen  werden 
daher  Verschiedenheiten  nur  in  einzelnen  Eigenschaften  zeigen  können, 
für  welche  eben  noch  der  subtile  unterschied  enantiomoipher  Formen 
von  Belang  ist.  Aber  die  Configuration  HI  ist  in  viel  gröberer  Weise 
von  I  und  II  unterschieden;  durch  keine  Drehung  kann  man  sie  in 
eine  solche  Lage  bringen,  dass  die  Abstände  sämmtlicher  Atome  bezw. 
Gruppen  von  einander  ebenso  gross  sind  wie  in  I  und  II;  in  den  Mole- 
cülen dieser  Art  herrscht  demnach  ein  anderer  Gleichgewichtszustand, 
der  auch  für  die  entsprechende  Verbindung  durchgreifendere  Verschieden- 
heit bedingen  muss.  (Vgl.  ähnliche  Verhältnisse  bei  den  stereoisomeren 
Hexonsäuren,  S.  772—774). 

Dass  auch  der  Anti Weinsäure  die  Structurformel  C03H-CH(0H)- 
GH(0H)-C02H  zukommt,  kann  aus  den  S.  812 — 814  angeführten  synthe- 
tischen Bildungsweisen  geschlossen  werden;  vor  Allem  aber  kann  die 
ausserdem  einzig  mögliche  Formel  einer  Dioxy bernsteinsäure  COgH -0(011)2  • 
CHj-COjH  als  ausgeschlossen  gelten,  da  die  Antiweinsäure  in  ihrem 
Verhalten  durchaus  keine  Beziehungen  zur  Oxalessigsäure  COgH-COCHjj- 
COjH  zeigt'.    Unter  den  möglichen  Configurationen  (S.  801)  ist  I  und  II 


«  Anschötz,  Ann.  226,  198  (1884).  '  Anscuütz,  Der.  21,  519  (1888). 

•  Vgl.  Ahschütz,  Ber.  21,  518  1888). 


812  SyrUhciischc  Bildung 


in  Folge  der  optischen  Inactivität  der  Antiweiusäure  zu  verwerfen.  Im 
Gegensatz  zur  Traubensäure  hat  sich  die  Antiweinsäure  bei  analog  au- 
gestellten Spaltungsversuchen  (vgl.  S.  808 — 809)  als  unzerlegbar  er- 
wiesen^**; die  Configuration  III  giebt  somit  von  dem  gesammten  Ver- 
halten der  Antiweinsäure  befriedigende  Rechenschaft. 

Durch  Erhitzen  kann  Antiweinsäure  theilweise  in  Traubensäure  ver- 
wandelt werdeni"^ 

Synthetische  Bildung  von  Weinsauremodiflcationen.  Wenn 
sich  Weinsäure  aus  gesättigten  Verbindungen  bildet,  die  keine  asymme- 
trischen Eohlenstoffätome  aufweisen,  so  wird  im  Allgemeinen  die  Mög- 
lichkeit zur  Bildung  aller  drei  Configurationen  I,  11  und  III  (S.  801)  be- 
stehen. Da  die  Configurationen  I  und  11  einem  und  demselben  Gleich- 
gewichtszustand entsprechen,  so  wird  die  Chance  für  die  Bildung  der 
einen  ebenso  gross  sein  wie  für  die  Bildung  der  anderen;  es  werden 
sich  demnach  stets  ebenso  viele  Rechtsweinsäuremolecüle  bilden  wie 
Links weinsäuremolecüle;  d.  h.  wir  können  bei  synthetischen  Processen 
dieser  Art  niemals  die  Entstehung  activer  Weinsäure,  sondern  müssen 
stattdessen  die  Entstehung  von  Traubensäure  erwarten.  Die  Configu- 
ration in  dagegen,  die  einen  anderen  Gleichgewichtszustand  besitzt,  wird 
in  ihren  Entstehungsbedingungen  eine  unabhängige  Stellung  einnehmen: 
die  ihr  entsprechende  Antiweinsäure  kann  neben  der  Traubensäure  in 
wechselnden  Mengenverhältnissen  oder  vielleicht  auch  ausschliesslich  oder 
umgekehrt  gar  nicht  gebildet  werden  (vgl.  S.  773).  Als  Beispiel  für  Re- 
actionen  dieser  Art  kann  angeführt  werden  die  Entstehung  von  Trauben- 
säure durch  Anwendung  der  Cyanhydrinreaction  auf  das  Glyoxal*: 

CHOCHO >  CNCH(OH).CH(OH).CN  >    CO,H.CH(OH).CH(OH).C0,H 

und  durch  die  der  Bildung  von  Pinakonen  analog  verlaufende  Reduction 
der  Glyoxylsäure  mit  Zinkstaub  in  essigsaurer  Lösung^: 

OHO .  CO,H  CH(OH)  •  CO.H 

+  2H  =    I 
CHO .  CO«H  CH(OH)  •  CO,H 

ferner  die  Reduction  von  Dioxy Weinsäure«  C03H-C(OH)2-C(OH)2-COjH 
mit  Zink  in  saurer  Lösung,  welche  Traubensäure  und  Antiweinsäure  zu- 
gleich entstehen  lässt. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse,  wenn  W^einsäure  sich  aus  Dibrom- 
bcrnsteinsäure  durch  Auswechselung  von  Brom  gegen  Hydroxyl  bildet: 

CO,H .  CHBr .  CHBr  •  CO^H    >    CO,H  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO,H  ; 


»  Pasteub,  Ann.  88,  212  (1853).  »  Pkzybytek,  Ber.  17,  1415  (1884). 

®  Dessaiqnes,  Ann.  136,  212  (1865).  —  Jüngfleisoh,  Compt.  rend.  75,  1769  (1872i. 

*  ScuoYEN,    Ann.  132,   168  (1864).   —    Stbeckeb,    Ztschr.  Chcm.  1868,    216.  - 
Staedel  u.  Gail,  Ber.  11,  1752  (1878). 

*  Genvbesse,   Compt.  rend.  114,   555  (1892).    Bull.  [3]  7,    225  (1892).   —    Vgl 
Debüs,  Ann.  166,  127  (1872). 

""  Kekui^,  Ann.  221,  288  (1883). 


von   Weinsäuremodificationen, 


813 


uaob  der  Theorie  sollten,  wenn  keine  Umlagerungen  (vgl.  S.  727 — 728)  ein- 
treten, die  einzelnen  stereoisomeren  Modificationen  der  Dibrombernstein- 
säure  (S.  736)  in  die  entsprechenden  Modificationen  der  Dioxybernstein- 
säure  übergehen,  d.  h.  gewöhnliche  Dibrombemsteinsäure  in  Traubensäure, 
Isodibrombemsteinsäure  in  Antiweinsäure.  Das  Experiment  liefert  indess 
keine  Bestätigung  der  so  gezogenen  Folgerung:  man  hat  aus  gewöhn- 
licher Dibrombemsteinsäure  i  durch  Kochen  des  Silbersalzes  mit  Wasser 
ein  Gemenge  von  Traubensäure  und  Antiweinsäure,  aus  Isodibrombem- 
steinsäure ^  dagegen  nur  Traubensäure  erhalten.  In  der  Chemie  der  Wein- 
säuren ist  dies  der  einzige  Punkt,  der  einer  befriedigenden  Erklärung 
noch  ermangelt. 

Die  eben  erwähnte  Bildung  der  Traubensäure  aus  Dibrombemstein- 
säure stellt  eine  Synthese  derselben  aus  den  Elementen  dar,  da  Di- 
brombemsteinsäure von  dem  Acetylen  aus  über  die  Zwischenstufen: 

CH,:CH,;    CH,(CN).CH2(CN) ;    COjH.CHjCHjCOjH 

aufgebaut  werden  kann.  Traubensäure  kann  nun  durch  Krystallisation 
ihres  Natriumammoniumsalzes  in  Rechts-  und  Linksweinsäure  zerlegt 
werden  (S.  808 — 809).  Auf  diese  Weise  gelang  Jungfleisch  ^  zum  ersten 
Hai  die  durchaus  „künstliche"  Herstellung  einer  optisch  activen  orga- 
nischen Verbindung  ohne  Benutzung  von  Organismen  oder  von  Substanzen, 
deren  Herstellung  ausserhalb  des  Organismus  noch  nicht  geglückt  ist. 

In  stereochemischer  Beziehung  von  besonderem  Interesse  ist  der 
Uebergang  von  Fumar-  und  Maleinsäure  in  Dioxybemsteinsäure  durch 
Oxydation   mit   Kaliumpermanganat.     Aus    den   Raumgleichungen: 


OH 


COjH 


H 

CO,H 


H 


-CO4H 


+  ILO  4-  0  = 


H 


C0,H— 


-COjH  H 

oder 

-H  CO,H 


-OH 


OH 


OH 


H 


H 
H 


CO.H  H   - 

+  H,0  +  0  = 
CO,H  jj_ 


CO2H 
OH 

-OH 
ÖO,H 


ergiebt   sich,   dass   aus   Fumarsäure  gleiche  Theile  Rechts-  und  Links 
Weinsäure  —  d.  h.  Traubensäure  — ,  aus  Maleinsäure  dagegen  Antiwein 


'  Pbrxik  u.  Duppa,  Ann.  117,  132  (1861).  —  Kekul^^,  Ann.  Suppl.  1,  376  (1861). 
—  Pasteür,  Ann.  Suppl.  2,  242  Anm.  (1862).  —  Jiingpleisch,  Jb.  1873,  569. 
«  R.  Demuth  u.  V.  Meyer,  Ber.  21,  268  (1888). 
»  Coinpt.  rend.  76,  286  (1875). 


Öl4  Homologe  der   Weinsäuren  bezw.  Traubensäure. 


säure  gebildet  werden  sollte.  Die  Beobachtungen  haben  in  der  That 
gezeigt,  dass  aus  Fumarsäure^  lediglich  Traubensäure,  aus  Maleinsäure* 
Antiweinsäure  entsteht*. 

Durch  Oxydation  bilden  sich  Traubensäure  und  Antiweinsäure  auch 
aus    Verbindungen   von   grösserer   Eohlenstoffzahl,    welche   die  Gruppe 

^C — CH:  CH — C(^-  enthalten,  unter  Spaltung  der  Kohlenstoffkette;  man 

wird  aus  der  Bildung  der  einen  oder  anderen  Säure  auf  die  Configuration 
der  Ausgangssubstanz  schliessen  dürfen.  Traubensäure  entsteht  z.  B. 
aus  der  Sorbinsäure  (S.  518)  und  anderen  ungesättigten  Säuren*;  Anti- 
weinsäure dagegen  ist  durch  Oxydation  des  Phenols^  CqH5(0H)  —  ile< 
Hydroxylderivats  des  cyclisch  constituirten  Benzols  CgH^: 


CH  CH 

CH  CH 

"N^H-^ 
—  erhalten  worden. 

Homologie  der  WefnsHuren  bezw«  Traubensaare«    Citraweinsfiure'  CJ^fi^ 
=  C02H.C(CH,)(OH).CH(OH).CO,H   (Methylweinsäure)   wmi  in  Form  der  zu 
gehörigen  Glycidsäure  (Oxycitraconsäure)  aus  Citraconsfture  durch  Addition  von 
unterchloriger  Säure  und  Zersetzung  des  Additionsproduktes   mit   Barytwasser  oder 
alkoholischem  Kali: 

CHjCCOjH  CHjCClCOjH  CH,.C(OH).CO,H         CU^-C-COfl 

I  -  ^  I  od.  I  -^      ^(\ 

CHCOjH  OH(OH).COjH  CHCl-CO^H  NiHCOjH 

erhalten.  Die  Oxycitraconsäure  CgH^Oj  krystalHsirt  aus  Wjisser,  worin  sie  leicht 
löshch  ist,  mit  1  Mol.  Ufi  in  grossen  farblosen  Krystalien,  die  an  trockener  Lott 
verwittern;  beim  Kochen  mit  Wasser  zerföllt  sie  zum  grössten  Theil  in  KohlensSure 
und  Propionaldehyd ;  daneben  entsteht  die  sehr  zerfliessliche  CitraweinsAure.  - 
DimethyltraubensÄure^  CeHioOe  =  C0,H.C{CH,)(0H).C(CH,)(0H).C0,H  +  H,0 
ist  aus  Diacctyl  CHj  •  CO  •  CO  •  CH«  (vgl.  S.  849)  durch  die  Cyanhydrinreaction,  aus 
Brenztraubensäure  CH,.CO«CO,H  durch  Einwirkung  von  Zink  auf  die  alkoholische 
Lösung  gewonnen  worden  (vgl.  die  Traubensäurebildung  aus  Glyozylsäure,  S.  8l2l; 
die  Säure  schmilzt  wasserfrei  bei  178 — 179*^  unter  Zersetzung. 


»  Tanatab,  Ber.  12,  2293  (1879).  —  Kekülä  u.  Anschütz,  Ber.  13,  2150  (l^HO». 
—  Anschütz,  Ann.  226,  191  (1884). 

*  Tanatar,  Ber.  13,  1383  (1880).  —  Kekulä  u.  Anschütz,   Ber.  14,  713  (18811 
3  Vgl.  auch  LE  Bel,  Bull.  37,  300  (1882). 

*  DoEBNER,  Ber.  28,  2372  (1890). 

*  DoEBNER,  Ber.  24,  1753  (1891). 

«  Carius,  Ann.  129,  164  (1864).  —  Morawski,  J.  pr.  [2]  10,  79  (1874);  H 
430  (1875).  —  ScHERKs,  Ann.  227,  236  (1885).  —  Melikopf  u.  Feldmakn,  Ann.  253. 
Hl  (1889). 

'  BöTTiNGER,  Ann.  188,  315  (1877).  Ber.  25,  397  (1892).  —  F'rrrio,  Daimlebu. 
Keller,  Ann.  249,  208  (1888). 


Monoxfi-  und  Dioxi/derivale  dttr   Qluiaraäura  und  iltrer  Uom 


C".    Derivate  der  Glutart-Sure  und  der  alkylirten  Glt 

MoHobydroxjIdcrlTftt«.  n-Oijglutarsäure'  C,H,0,  =  C 
CH,-CH,-CO,H  entotebt  aus  der  entspreche  öden  AmidoglnCareäure  f 
a.  S.  840)  durch  Ijnwirkung  voq  salpetriger  Säure  und  findet  sieh  —  i 
Zersetzung  der  Olutaminsaure  entstanden  —  in  der  Rübenzuckermelt 
rfiaem  Zustand  nicht  iBolirbar,  du  sie  leicht  in  die  BntjroIactDn-^-< 
C,H,0,  =  CO,HCH.CH,.CH,  übergeht,  welche  bei  49-50"  schmilzt 
I  I 

0 CO 

(lieaatich  ist;  durch  Rcduction  mit  Jodwasserstoff  ist  die  &£ure  in  normi 
verwandelt  worden.  —  (J-Oiygluiarsaure'  CjHbO»  =  COJICH,- 
COjH  entsteht  aus  AcetondicarbonsSure  durch  Beductiou  mit  Na 
schmilzt  bei  95",  löst  sich  leicht  in  Wasser  und  Alkohol,  liefert  dun 
öOprocentiger  Schwefelsäure  Glutaconsfiure  (R.  695),  durch  Reduction  i 
Stoff  Glutarsaure.—  n-Methyl-n-Oiyglutarsäure' C,H,„Oj  =  CO,H 
CH.-CHs-COiH  entsteht  sowohl  aus   Isocaprotacton   (CH,>,CC1I,-CH 

I  I 

0       -uo 

nie  aus  Isocaproustturc  durch  Oxydation  mit  f^alpetersäure  und  kann 
vnlinsäure  CH,-CO-CH,-CH,-CO,H  mit  Hülfe  der  Cyanhydrinreacl 
Verden;  sie  ist  als  freie  ^äure  nicht  isottrt,  da  sie  leicht  in  die  bei  6 
leude,  im  Vacuum  unzersctzt  deslillirbare  ;--CBrboTalerolactonBSure 
C-CH,-CH,  Übei^eht.  -  f.j-,-Trimcthyl-«-Oiyglutarsäure'  C,H 

0 -CO 

ClOHxCH,)-CH,-C|CH,),-COjH  entsteht  als  Uclonsäure(CO,HX0H.)C 

I 

C 
(Schmelzpunkt  103—104''],  wenn  das  Anhydrid  der  aus  TrimethylgU 
>>.  €64,  874)  durch  Bromirung  erhältlidien  Brom  tri  methylglutarsäure  CO 
CH,.C(CH,),-CO,H  durch  kaltes  Alkali  zersetzt  wird. 

Dlhydroxyldfrirate.  Unsymmetrische  (<i-|?)  Dioxyglutara 
=  CO,H-CH(OH)CH(0H)CH,CO,H  wird  aus  Glutaconsäure  CO,H' 
00,11  (S.  695)  durch  Addition  von  Brom  und  darauffolgende  Ausn 
Bromatome  gegen  Hjdroxyl  erhalten  und  schmilzt  bei  ISS  — 156°.  —  Sj 
i«-r)  DioiyglutarsSure*  CO,H-CHiOH).CH,-CH(OH)-CO,H  entst 
DioiypropantricarbonsftDre(COjH),CtOH).CH,-CHtOH)-CO,H,  welche  dl 
der  leosaccharinsäure  (vgl.  S.  77T— 7TS)  gebildet  wird,  beim  Erhitzen 
uSureabspaltung ;  sie  beginnt  unter  Wasserverluat  bei  ca.  106°  eu  erwe 
erst  bei  viel  höherer  Temperatur  völlig  geschmolzen.  —  Symmetrisch 
dioiyglutarsäure'  C,ll„0,  =  CO,HC(CH^OH)CH,-C(CH,XOH) 

'  HiTTHAOaeK,  J.  pr.  103,  239  (1868).  —  Dittmar,  J.  pr.  [2]  6,  338  (1 
BOwsiKOW,   Ann.  182,  347  (1876).  —    v.  LipeHANN,  Ber.  16,  1156  (181 
(1892).  —  BRBm',  Ann.  208,  66  (1881).   —  Wolff,  Ann.  280,  126  (18 
'  v.Peckhahnu.  jENiBCH.Ber. 34, 3250(1891).  — AnschOtz, Her. as,  19' 
■  Frmo  u.  Bredt,  Ann,  208,  62  (1881).  —  Bredt,  Ber,  14,  1781  (188 
LEU,  Bloc«  u.  Tollejis,  Ber.  18,  2018  (lB8ö);  10,  706  (1886).     Ann.  2! 
*  AüWBi«  u.  V.  Meyeb,  Ber.  33,  307  (1890) 
<•  KtMANi.  Ber.  18,  2517  (1885).  '  Ebenda,  2516. 

'  Zrlinbiv,  Ber.  34,  4006  (1891).  —  Auwers  u.  jArESOH,  Ber.  2S 
~  AuwEBS  u.  Kaufhiann,  Jkr.  25,  3221  (1S92). 


816  TriaxygkUarsäuren, 


Acetylaceton  CHg-CO-CH^-CO'CIJg  durch  die  Cyanliydrinreaction ,  fenier  aus  Di- 
inethy Iglutarsäure  (S.  674)  durch  Ueberführuug  in  Dibromdimethylglutarsfiure  and 
Auswechselung  der  Bromatome  gegen  Hydroxyl  gewonnen.  Sie  existirt  in  zwei  stereo- 
isomeren Modificationen,  von  denen  die  eine  als  Säurehydrat  nicht  beständig  ist, 
sondern  unter  Wasserverlust  in  die  bei  1P8  — 190^  schmelzende  I^actonsäui-e 
CyHjoOfi  =  CO,H.C(CH8)CH,..C(CH8XOH)  übergeht,  während  die  andere  als  zwei- 


O CO 

basisches  Säurehydrat  (oder  etwa  als  Lactonsäure  mit  einem  Molecül  Kry stall wasser?) 
isolirbar  ist.  Durch  Destillation  der  bei  188  —  190'*  schmelzenden  Lactonsäure  erhält 
man   das  bei   104—105^   schmelzende,    in   kaltem  Wasser   fast  unlösliche   Dilacton 

CO 0 

CyHgO^   ==   CHj'CH-CHj'C-CHj.     Ueber    die    namentlich     vom    stereocbemisclicn 


i    ' 


CO 

Standpunkt  aus  interessanten  Uebergänge  dieser  Verbindungen  in  einander,  sowie 
ihre  Beziehungen  zu  den  Bromderivaten  der  Dimethy Iglutarsäuren  vgl.  die  Original- 
literatur. 

Die  verschiedenen  stereoisomeren  Modificationen  der  Trloxyglntar- 
säuro  CßH.O^  =  C02HCH(OH).CH(OH)CH(OH).C02H  sind  als  Oxy- 
dationsprodukte der  Pentosen  CHO-CH(OH)-CH(OH)-CH(OH).CHj(0H) 
(S.  891 — 894)  von  Wichtigkeit  für  die  Kenntniss  der  Zuckergruppe.  Das 
Molecül  der  Trioxyglutarsäure  enthält  zwei  gleichartig  unsymmetrische 
Eohlenstoffatome;  man  könnte  daher  denken,  dass  aus  der  Theorie  sich 
hier  dieselben  Isomeriemöglichkeiten  ergeben  wie  bei  der  Dioxybemstein- 
säure;  allein  man  erkennt  am  Modell  leicht,  dass  die  Verhältnisse  hier  andei-s 
liegen,  weil  auch  das  in  der  Mitte  befindliche  Kohlenstoffatom  bei  nium- 
lich  verschiedenartiger  Anordnung  um  die  beiden  benachbarten  Kohlen- 
stoffatome unsymmetrisch  wird.     Von  der  Baumformel  der  Glutarsäure 

CO.H 


H 
H 
H 


H 


„     (vgl.  über  derartige  Projectionsformeln 

S.  667  und  Kap.  35) 


H 


COjH 

kann  man  sich  die  folgenden  vier  ßaumformeln  für  Trioxyglutarsäuren^ 

ableiten : 

COjH  CO,H  COsH  CO,H 


H-  '    011  11 OH  II— ;-0H  OH         II 

H— '     OH  OH-    -H  H     :-0n  0H~      H   . 


H 


-OH  H OH  OH     I     H  H         OH 

COjH  6o,H  COJI  COjH 

II  m  IV 


»  Vgl.  E.  Fischer,  Ber.  24,  1839  (1891). 


D-hxi/gtutai 

Man  übersieht  am  Modell,  dass  I  mit  seinem  Spiegf 
gebracht  werden  kann,  demnach  einer  durch  jntram 
sation  inactiven  Verbindung  entsprechen  muss;  dassell 
I  verschiedene  Configuration  II,  und  die  Theorie  li 
zwei  inactive  Modificationen  von  der  Art  dei 
voraussehen.  Die  Configurationen  III  und  IV  stehe 
ander  in  dem  Verhältniss  eDantiomorpher  Gebilde,  sie 
nach  einer  rechtsdrehenden  und  einer  linksdrehenden 
die  sich  endlich  zu  einer  ftinften  racemischen  Modi 
könnten. 

Man  kennt  zur  Zeit  drei  Trioxyglutai'säuren ,  < 
Zuckerarten  bezw.  aus  den  Zuckern  nahestehenden  V 
Oxydation  erhalten  sind:  1.  Trioxyglutarsäure,  a 
durch  Oxydation  mit  Salpetersäure,  bildet  weisse  Wärz 
pnnkt  127",  ist  optisch  activ  ([esjo*''  in  annähernd  li 
riger  Lösung  =  —  22-7'^  nnd  entspricht  daher  einer  t 
in  oder  IV;  dieselbe  Säure  ist  durch  Oxydation  v 
S.  903,  912),  Rhamnose  (vgl.  S.  894)  und  Quercit  (v( 
worden.  2,  Inactive  Trioxyglutarsäure  aus  Xylo 
I.';.  ig  gestreckten  Tafeln  vom  Schmelzpunkt  152''  und  ^ 
pien  ihrer  wässrigen  Lösung  auf  dem  Waaserbade  nie 
säure  ober.  3.  Inactive  Trioxyglutarsäure  au; 
iitibonsäure,  vgl.  S.  776)  geht  beim  Gindampfen  ihrei 
im  Vacuum  in  eine  Lactonsäure  über,  welche  in  kleii 
stalUsirt,  bei  leO**  zu  erweichen  beginnt,  bei  170 — 1' 
beiden  inactiven  Säuren  sind  als  G-lutarsäuresbkömmL 
fuhrung  in  Glutarsäure  mittelst  Jodwasserstoff  (vgl.  S.  't 
der  Säure  aus  Xylose  kommt  die  Configuration  II,  der 
die  Conäguration  I  zn,  wie  später  (S.  912)  näher  begril 

D.    Derivate  der  Adipinsäure. 
Unter  Uebergebung  der  in  geringer  Zahl  bekannt« 
tigen  Mono-,  Di-  und  Trihydroxylderivate  der  Adip 
nur  die  TetraoxyadlpinsäDren 

C,HioOb  =  CO.H  CH(OH)CH{OH)CH(OH)CH(0 

besprochen.  Der  Umstand,  dass  in  dem  Molecül  d 
asymmetrische  Kohlenstoffatome  enthalten  sind,  bedi 
möglichkeit  einer  grösseren  Zahl  von  stereoisomeren, 


>  KiLiANi,  Ber.  21,  3006  (ISSB).  —  Kiluni  u.  Scheibleb, 
22,  519  (1889).  —  Will  n.  Petebb,  Ber.  22,  1698  (1889).  — 
1644  (1891). 

»  E.  FiscHBR,  Ber.  24,  1842,  2fi88  (1891).  —  E.  Fischer  u. 

'  E.  FiscHZH  u.  PiLOTV,  Bei.  24,  4222  (1891). 


818  Tetraoocyadipinsäuren  (Allgemeines). 


Modificationen;  unter  den  vier  asymmetrischen  Kohlenstoffatomen  kann 
man  zwei  Paare  von  je  zweien  unterscheiden,  die  gleichartig  unsym- 
metrisch sind  (in  der  Formel  durch  die  Zeichen  *  und  °  angedeutet);  die 
Verhältnisse  liegen  daher  hier  genau  so  wie  bei  den  sechswerthigen 
Alkoholen  (S.  606 ff.): 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH,(OH) ; 

•  o  o  » 

jedem  Hexit  muss  eine  Tetraoxyadipinsäure  entsprechen;  bezüglich  der 
Ableitung  der  möglichen  Raumformeln  (8  activen,  2  inactiven,  4  race- 
mischen  Modificationen  entsprechend)  und  ihre  Vertheilung  auf  die  be- 
kannten Säuren  sei  auf  das  Kapitel  „Zuckerarten"  (S.  904  ff.)  verwiesen. 
Wegen  ihrer  Beziehungen  zu  den  Zuckerarten  verdienen  diese 
Säuren  eben  besondere  Aufmerksamkeit.  In  der  Reihe  der  um  jede 
Aldohexose  sich  gruppirenden,  durch  directe  Oxydation  bezw.  Reduction 
wechselseitig  in  einander  überführbaren  Verbindungen  werden  die  End- 
punkte einerseits  von  den  Hexiten,  andererseits  von  den  Tetraoxyadipin- 
säuren  gebildet: 

CHj.OH  CHO  CO,H  CO,H  CO,H 

ICH.0HJ4    <—    {CH.OHJ4     ~>    {CH.0HJ4    —^    ICH.0HJ4    — >    {CH-OHl*. 

CH.OH  6h,.0H  CHjOH  CHO  CO.H 

Hexite  Hezosen  Hezonsäuren       Aldehydsäaren     TetraozyadiptD- 

sSoren 

Dieser  Beziehung  entsprechend  gewinnt  man  die  Tetraoxyadipin- 
säuren  durch  Oxydation  —  meist  mit  Salpetersäure  —  aus  den  Hexon- 
säuren  (vgl.  S.  769 — 770)  oder  aus  den  Hexosen  (wie  Traubenzucker,  Man- 
nose  etc.)  oder  aus  complicirteren  Kohlehydraten,  welche  durch  hydro- 
lytische Spaltung  Hexosen  liefern  (wie  Milchzucker,  Stärke,  Pflanzen- 
schleim, Gummi  etc.).  Umgekehrt  können  die  Tetraoxyadipinsäuren  in 
Form  der  zugehörigen  Lactonsäuren  oder  Dilactone  durch  Natrium- 
amalgam über  die  Stufen  der  Aldehydsäuren  und  Hexonsäuren  hinweg 
bis  zu  den  Hexosen  und  Hexiten  wieder  reducirt  werden  (vgl.  S.  768). 
Durch  energische  Reduction  —  mittelst  Jodwasserstoff  (vgl.  S.  744)  — 
werden  sie  in  Adipinsäure  übergeführt. 

Von  Interesse  ist  die  Umwandlung  der  Tetraoxyadipinsäuren  in  Fur- 
furanderivate  1.  Beim  Erhitzen  mit  starken  Säuren  liefern  sie  unter 
Abspaltung  von  Wasser  die  sogenannte  Dehydroschleimsäure  —  eine 
Furfurandicarbonsäure  (vgl,  Bd.  11): 

CH(OH)— CH(OH)  CH  —  CH 

CH(OH)    CH(OH)  -  3HjO  =  C       C  ; 


»  Vgl.  E.  Fischer,  Ber.  24»  2140  (1891). 


Mannox«ckersma■&^. 

beim  Erhitzen  für  sich  liefern   einige  Säuren  die  BrenzscU 
eine  Furfuranmonocarbonsäure : 

CH— CH 

Ah    i         . 

Dnrch  trockene  Destillation   der  Ämmoniumsalze  ^  bezi 
Litzen  der  Säuren  mit  Schwefelbarinm  *  können  Derivate  der  d 
analog  constituirten  cjclischen  Stammsubstanzen  Fyrrol  bez' 
CH CH  CH — CH 

CH        CH       und       CH     CH 

\nh/  \s/ 

erhalten  werden. 

Die  Einwirkung  von  Fhosphorpentachlorid  auf  einige  Tei 
säuren^  flührt  zur  Bildung  von  DichlormuconBäuren  (vgl.  S 

1.  HumozDckersKuren:  die  Oxydationsprodukte  d 
Mannosen  und  Mannonsäuren ;  Kaumformeln  vgl.  S.  911. 

rf-MannoznckersfiDre*   bleibt  beim  Eindampfen  der  wSssrig 


=  CHI 


Dilacton  C,H,0,  =  CH(OH)-CH'CHCH(OH)  znrück,  velchesaiu  Wai 
I  1 

0 CO 

kogen  Nadeln  mit  2  Mol.  Krystallwasaer  kiystalliairt,  zwischen  160' 
GaaentwickeluDg  schmilzt,  in  warmem  Wasser  leicht  löslich  ist,  in  de 
UHo'sche  LSaang  sehr  Btark  reducirt  nnd  nach  rechts  dreht  ([hId"  i 
niasriger  LSfiuug  =  +  201  8'^;  sie  bildet  kein  schwer  lösliches  san 
wie  die  Zuckeraäaren  (vgl.  S.  820);  ihr  Doppelhjdrazid  C,H,0,(NH-NH- 
bei  caachem  Erhitzen  gegen  212°  und  ist  selbst  in  heiasem  Wasser  t». 
/-Mannozuckeraäure'  (Mher  MetazuckersKure  genannt)  liefen 
welches  mit  2  Mol.  Kiyatallwasser  in  bei  68°  sclimebenden  Kijsta 
wasser&ei  ge^en  180°  Bchmilzt  und  dem  Ditacton  der  rf-Majinoznck 
entgegengesetzt  ist;  durch  ^sigaSiireanhjdrid  wird  es  in  ein  bei  15! 
Diacetj-lderivat  C,HA(0-CO-CH,),  übergeführt.  —  »"-Mannozucke 
ein  Dilacton,  das  unter  v91iiger  Zeraetzung  gegen  190°  schmilzt,  und  eil 
schmelzendes  Dihfdrazid. 

2.  ZackersBurcn:  die  Oxydationsprodukte  der  Sorbi 
und  Gulosen,  Gluconsäuren  und  Gulonsäuren  (vgl.  S.  780 — 
formein  vgl.  S.  911. 

d-ZnckersSore'   ist  schon   frQhzeitig  als  Produkt  der  Oiyda 

•  Vgl.  BKit,  Ber.  10,  1861  {1811).  —  Bell  n.  Lappkb,  ebenda, 
»  Paal  n.  Tafsl,  Ber.  18,  456  (1885). 

*  Lits-BoDAST,  Awi.  100,  325  (1856).  —  Bell,  Her.  12,  1272  (1 
Motte,  ebenda,  1571.  —  Rdhemanm  u.  Dufton,  Joum.  Soc.  69,  26  (I 

*  E.  FiscsEB  u.  WiBTHLK,  Ber.  24,  538  (1891).  —  E.  Fiscbbr,  el 
Eastbbfibld,  Joum.  Soc.  59,  306  {1S91). 

'  KiuAKi,  Ber.  20,  341,  2710  (1887);  31,  1422  (1888);  22,  524 

•  E.  FiacBEB  n.  Smith,  Ber.  24,  544  (1891). 
'  Vgl.  die  Citate  unter  Nr.  1  auf  S.  820. 

51 


820  Zuckersäuren;  Schleimsäure,  Alloschleimsäure 


zucker  mit  Salpetersäure  beobachtet  und  vielfach  untersucht  worden;  man  gewinnt 
sie  am  besten  durch  Erhitzen  von  Stärke  mit  Salpetersäure  und  reinigt  sie  dorch 
Krystallisation  ihres  sauren  Kaliumsalzes.  Die  freie  Säure  bildet  einen  Syrup,  der 
allmählich  zu  den  bei  180—132^  schmelzenden  Kiystallen  der  Zuckerlactonsäure 
CeHgO,  =  C08H.CH(0H).CH.CH(0H).CH(0H)  erstarrt;  letztere  reducirt  nicht  Feh- 

6 CO 

Lnfo'sche  Lösung  und  ist  rechtsdrehend.  Für  die  Zuckersäure  charakteristisch  ist  ihr 
schwer  lösliches  saures  Kaliumsalz  CeHeOgK^  welches  in  Nadeln  kiystallisirt  und 
89  Th,  Wasser  von  7**  zur  Lösung  bedarf.  Durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid 
liefert  Zuckersäure  ein  Diacetyldilaeton  CeH404(0  •  CO  •  CHs)« ,  welches  bei  188<* 
schmilzt;  das  Dihydrazid  der  Zuckersäure  schmilzt  gegen  210^  unter  Zersetzung.  — 
/-Zuckersäure'''  ist  ebenfalls  durch  das  schwer  lösliche  saure  Kaliumsalz,  das  dem 
Salz  der  (/-Zuckersäure  zum  Verwechseln  ähnlich,  aber  optisch  entgegengesetzt  ist,  be- 
sonders charakterisirt;  1  Th.  desselben  bedarf  bei  15*^  68  Th.  Wasser  zur  Lösung.  — 
t -Zuckersäure^  liefert  ein  ebenfalls  schwerlösliches  saures  Kaliumsalz,  das  aber,  ab- 
gesehen von  der  optischen  Inactivität,  auch  schon  durch  die  äussere  Form  von  den 
activen  Salzen  unterschieden  werden  kann. 

3.  .Schleimsäure,  Alloschleimsäure  und  TalosehlelmsSure.   Die 

gewöhnliche  Schleimsäure  —  schon  von  Scheele  1780  durch  Oxy- 
dation des  Milchzuckers  erhalten  —  ist  das  Oxydationsprodukt  des  Dul- 
cits,  der  Galactosen  und  Galactonsäuren.  Sie  ist  optisch  inactiv  und 
muss  als  eine  durch  intramoleculare  Compensation  inactive  Modification 
aufgefasst  werden*,  da  sie  sowohl  aus  rf-Galactose  wie  aus  /-Galactose 
—  also  aus  zwei  einander  optisch  entgegengesetzten  Verbindungen  von 
unsymmetrischer  Structur  CHO-{CH-OH}4'CH3(OH)  durch  Oxydation  ent- 
steht, umgekehrt  aber  durch  Reduction  die  racemische,  spaltbare  i-Ga- 
lactonsäure  (cf-Galactonsäure  +  /-Galactonsäure)  liefert  (vgl.  S.  783),  ferner 
auch  bei  der  Krystallisation  ihrer  Salze  mit  optisch  activen  Alkalolden  sich 
iils  nicht  spaltbar  erweist  {vgl.  auch  über  die  Configuration  der  Schleim- 
saure S.  912).  Beim  Erhitzen  mit  Pyridin  verwandelt  sie  sich  theilweise 
in  die  Alloschleimsäure,  welche  ihrerseits  wieder  durch  Erhitzen  mit 
Pyridin  theilweise  in  gewöhnliche  Schleimsäure  übergeht  (vgl.  S.  772); 
auch  die  Alloschleimsäure  ist  inactiv.  Die  Taloschleimsäure  endlich 
ist  das  Oxydationsprodukt  der  Talose  und  Talonsäure,  ist  optisch  activ 
und  kann  durch  Erhitzen  mit  Pyridin  theilweise  in  gewöhnliche  Schleim- 
säure verwandelt  werden. 


*  Trommsdorf,  Ann.  8,  36  (1833).  —  Gu£rin,  ebenda,  24.  —  Thaulow,  Ano. 
27,  113  (1838).  —  Hess,  Berz.  Jb.  18,  277  (1839).  —  Liebio,  Ann.  113,  4  (1860).- 
Heintz,  Ann.  51,  183  (1844).  Pogg.  105,  211  (1858);  111,  165,  291  (1860).  - 
HoRNEMAKN,  Jb.  1863,  381.  —  Baltzer,  Ann.  149,  237  (1868).  —  Kiliaki,  Her.  14. 
2529  (1881).  —  A.  Herzpeijj,  Ann.  220,  354  (1883).  —  Maquenne,  Bull.  48,  719  (1.^87 1. 
—  SoHST  u.  Tollens,  Ann.  245,  1  (1888).  —  Schrötter,  Monatsh.  9,  442  (1888).  — 
E.  Fischer  u.  Piloty^  Ber.  24,  521  (1891). 

2  E.  Fischer,  Ber.  23,  2621  (1890). 

*  E.  Fischer  u.  Stahel,  Ber.  24,  534  (1891). 

*  E.  Fischer  u.  Hertz,  Ber.  25,  1247  (1892).  —  Ruuemann  u.  Dupton,  Joiini. 
Soc.  59,  753  (1891). 


UTtd  TalosßhleimBäure;  laoxw 

Schleimefinre''*  (Aciduin  macicum)  wird  ai 
Milcbznckef  mit  SalpetenSare  gewonnen,  bildet  ein 
bei  rsBcbem  Erbitzen  gegen  213°  und  ist  im  Gegensab 
Waaaer  schwor  iösitcb.  Sie  reducirt  nicht  Fbhi.ujq'S' 
WasBer  gebt  sie  in  eine  T^actonsäure  über,  die  bii 
werden  konnte,  im  Gegensatz  zur  Sclileimsfiure  seli 
Alkohol  ist,  beim  Eindampfen  der  wSsarigen  LSeung 
ErwSnnen  mit  coacentrirter  Salzsäure  oder  verdünn! 
wieder  in  Schleimsäure  verwandelt  wird.  Durch  £Unv 
Schleimsäare  die  Tetraacetylschleimsäure  C4H4(0-CO-' 
pnnkt  266°),  der  SchleimaäurediSthylester  C,H,fOH),K' 
den  TetroacetyUchleimaftnredifithyleater  C,H,(0-CO-<: 
111"].  Das  Dihydrazid  der  ScbleimsSure  C4H,(0H),(( 
238—240°.  —  Alloachleimsäure*  krystallinrt  in  1 
NSdeichen,  schmilzt  nicht  ganz  constant  zwischen  161 
leichter  löslich  als  die  SchleimBSure  (in  10—12  Tb.  k 
sehr  schwer  löaUch,  verwandelt  sich  heim  Ahdampfi 
lactonartiges  Produkt,  das  in  Alkohol  leicht  löslich 
schmelzendes  Dihydrazid.  —  Taloacbieimsäure*  ki 
eben,  schmilzt  gegen  158°  und  ist  selbst  in  kaltem 
in  warmem  absolutem  Alkohol  löslich;  sie  reducirt 
reehtsdrehend ;  ihr  saures  Kaliumaalz  ist  in  Wasser  s< 
4.  iBOZoekersXore'  —  eine  einstweilen  isolirt  das 
oiyadipins&uren  nicht  in  nähere  Bezichnng  gebracht« 
von  Glucosamin  mit  Salpetersäure  erhalten,  bildet  rh< 
185°,  ist  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich  und  dr 
cenliger  wässriger  Lösung  =  +46-12'l.  Ihr  saures 
Ihei  100^  waaeerfrei)  ist  in  Wasser  leicht  löslich.  It 
C,H,),  schmilzt  bei  73*,  kann  fast  unzeraetzt  deatillii 
lOslich  und  liefert,  mit  Acetylchlorid  behandelt,  den 
acetyldiäthyleater  C,H^(0  ■  CO  •  CH,),(CO,  ■  C.Hj), . 

E.    Derivate  der  Pimeli 
Die  Peataoxyplmclinsaureii  C^Hi^O^ 

CO,H-CH(OH)-CH{OH).CH{OH)-CH{OI 
sind  die  Oxydationsprodukte  der  Heptoaen  b 

—785). 

'  K  FiscBER  u.  Hertz,  Ber.  26,  1247  (1892). 

•  Malaouti,  Ann.  eh.  [2]  63,  86  (1836).  Ann.  ] 
64,  347  (18*8).  —  Laurent,  Ann.  76,  359  (1850).  —  J 
Schwadert,  Ann.  116,  265  (1860).  —  Cboh-Brown,  An 
u.  Wrarao,  Ann.  129,  194  (1864).  —  Limpbicht,  Ann. 
lUNH,  Ann.  193,  186  (1878).  —  Klinkhardt,  J.  pr.  [2] 
14,  2529  (1881];  15,  34  (1882).  —  ScHMrrr  u.  Cobknzi 
u.  ToLLSKS,  Ann.  327,  221  (1834).  —  Bülow,  Ann.  236. 
48,  719  (1837).  —  E.  Fischsr,  Ber.  24,  2140  (18S1). 
^<x.  59,  26,  753  (1891).   —  v.  Lippmann,  Ber.  25,  32 

'  E.  FiacHEE,  Ber.  24,  2136  (1891).  '  E.  Pia 

»  TiEitABH,  Ber.  17,  247  (1884).  —  Tjemakb  ti.  h 


822  Pentaoxypimelinsäuren. 


Die  Penlaozypimelinsätire  aus  a-Glucoheptonsäare*  liefert  eine  bei 
143^  schmelzende  inactive  Lactonsänre  C^HioOg,  diejenige  aus  |9-61ucohepton- 
säure*  eine  gegen  177^  schmelzende,  stark  rechtsdrehende  Lactonsäure;  die 
Pentaozypimelinsäure  aus  cf-Mannoheptonsäure'  ist  ebenfalls  optisch  activ. 

Y.  HydroxylderlTate  ron  TrlcarbonsSuren. 

Die  CltronensSure  C^HgO^,  die  als  ein  Hydroxylderivat  der  Tri- 
carballylsäure: 

COjH .  CH, .  C(0HXC0,H)  •  CH,  •  CO,H 

(a-Oxy-coacö'-Propantricarbonsäure)  aufzufassen  ist,  verdient  beson- 
ders wegen  ihres  sehr  häufigen  Vorkommens  in  Pflanzentheilen*  Interesse. 
Erwähnt  sei  ihr  Vorkommen  in  den  Johannisbeeren,  den  Preisseibeeren, 
den  imreifen  Maulbeeren,  im  Rübensafb,  in  Leguminosensamen;  häufig 
findet  sie  sich  zugleich  mit  Aepfelsäure  und  Weinsäure.  Zu  ihrer  fabrik- 
mässigen  Darstellung  dient  der  Saft  noch  nicht  ganz  reifer  Citronen, 
der  etwa  6 — 7  7o  fr^i^  Citronensäure  enthält;  man  scheidet  die  Säure 
zunächst  in  Form  ihres  in  der  Hitze  schwer  löslichen  Calciumsalzes  ab, 
setzt  sie  dann  aus  letzterem  Salze  wieder  durch  Zersetzung  mit  Schwefel- 
saure in  Freiheit  und  gewinnt  sie  endlich  durch  Eindampfen  der  Lösung 
im  Vacuum  und  Eiystallisation.  Citronensäure  wird  hauptsächlich  als 
Aetzbeize  in  der  Zeugdruckerei,  ferner  für  Limonaden  etc.  verwendet. 
Synthetisch*  ist  sie  aus  symmetrischem  Dichlorhydrin,  femer  aus 
Acet essigester  unter  Benutzung  mehrerer  Zwischenstufen  erhalten  worden: 

1.  Synthese  aus  Dichlorhydrin: 
CHjCl  CH,C1  CHjCl        CH,C1  CH^-CN         CH.CO.H 


/OH  .OH  /OH  /OH 

CH(OH)  ->-  CO  (vgl.  S.  869)     ->-  C<        ->-  C<  ->-  C<  ->.  €< 

1  i^CN         x^o»H      im:o,h       N:o, 


CHjCl  CHjCl  CHj.Cl         CH.Cl  CH.CxV         CH,.CO,H 

2.  Synthese  aus  Acetessigester: 


1  KiLiANi,  Ber.  19,  1918  (1886).  —  E.  Fischkb,  Ann.  270,  91  (1892). 

»  E.  FiscHEE,  Ann.  270,  89  (1892).  *  Habtmank,  Ann.  272,  194  (1892). 

*  Vgl.  TiLLOY,  Berz.  Jb.  8,  245  (1829).  —  Libbiq,  Ann.  5,  141  (1833).  —  Bba- 
CONNOT,  Jb.  1849,  486.  —  Michaelis,  Jb.  1851,  394.  —  Bebtaokini,  Jb.  1866,  4TS. 
—  Wittstein,  Jb.  1857,  520.  —  Lakcaster,  Plummer,  Jb.  1860,  562.  —  Rochlsder. 
Ann.  80,  322  (1851).  —  Wilhok,  Ann.  82,  343  (1852).  —  Despaionbb,  Ann.  89,  120 
(1854).  —  Schrader,  Ann.  121,  370  (1862).  —  G.  Stein,  Ber.  12,  1603  (1871).  - 
Graeoer,  Jb.  1873,  590.  —  Wriqht  u.  Patterson,  Ber.  11,  152  (1878).  —  Haitinoeb. 
Monatsh.  2,  485  (1881).  —  Ritthausen,  J.  pr.  [2]  29,  357  (1884).  —  Hilger  u.  Gross, 
Jb.  1886,  1815.  -  Klinoer  u.  Buyard,  Jb.  1887,  2303.  —  KossownscH,  Ber.  20o, 
549  (1887). 

*  Grimaüx  u.  Adam,  Bull.  36,  21  (1881).  —  Haller  u.  Hbld,  Ann.  ch,  [6]  23, 
145  (1891).  —  Vgl.  auch  Andreoni,  Ber.  13,  1394  (1880).  —  KjBKULt,  ebenda,  1686. 


Citronensäure,  823 


CH,  CHjCl  CHj.CN  CH,.C0j.C,H5 

CO  —V  CO  —>■  CO  — )-  CO 

CH,.C0a.C,H5  CH,.CO,.C,Hß  CHaCOjC.Hj  CHj.COjCjH, 

CUj  •  COj  •  CjHs  CHj  •  COjH 

I  /OH 

I     \< 


CO,H 

CHg  •  COj  •  C2H5  CHji  •  COjH 

Durch  die  glatte  Ueberflihrbarkeit  in  Aconitsäure  und  Tricarballyl- 
säure  (S.  701  und  703)  ist  Citronensäure  als  ein  Hydroxylderivat  der 
Tricarballylsäure  gekennzeichnet;  die  Synthese  aus  Acetessigester  lässt 
über  die  Stellung  der  Hydroxylgi-uppe  keinen  Zweifel. 

Citronensäure  schiesst  gewöhnlich  mit  1  Mol.  Krystallwasser  in 
wasserhellen  Krystallen  an,  die  in  Wasser  und  Alkohol^  leicht,  iuAether^-^ 
weniger  leicht  löslich  sind;  die  wasserhaltige  Säure  schrumpft  zwischen 
70^  und  75^  unter  Wasserabgabe  zusammen,  verliert  im  Exsiccator'  das 
Krystallwasser  oft  erst  nach  langer  Zeit.  Dampft  man  die  wässrige 
Lösung  bis  zu  einer  Temperatur  von  130^  ein,  so  scheidet  sich  beim 
Erkalten  die  wasserfreie  Säure^  in  farblosen  Krystallen  vom  Schmelz- 
punkt 153®  ab;  sie  besitzt  die  merkwürdige  Eigenschaft,  beim  Umkry- 
stallisiren  aus  kaltem  Wasser  immer  wieder  wasserfrei  anzuschiessen. 
Dissociationsconstante^  K  =   0-081. 

Dass  Citronensäure  beim  Erhitzen  für  sich  auf  etwa  175®  in  Akonit- 
säore,  bei  der  Destillation  in  Itaconsäure  und  Citraconsäure  (unter  gleich- 
zeitiger Bildung  von  Aceton)  übergeht,  ist  schon  S.  689 — 690  und  S.  703 
besprochen.  Bei  der  Destillation  von  citronensauren  Salzen  mit  Aetzkalk^ 
werden  neben  anderen  Produkten  Aceton  und  Propionaldehyd  gebildet. 
Ein  stufenweiser  glatter  Abbau  zum  Aceton  ^  gelingt  bei  der  Zersetzung 
mit  concentrirter  Schwefelsäure ;  es  tritt  zunächst  die  allgemeine  Reaction 
der  a-Oxysäuren  —  Abspaltung  von  Ameisensäure  (vgl.  S.  753)  —  ein,  die 
hier  zur  Bildung  von  Acetondicarbonsäure  führt;  letztere  Säure  zerfällt 
beim  Erhitzen  in  Kohlensäure  und  Aceton: 

CH, .  C0,H  CH, .  COaH  CH3 

I 

I 

Co  - 


->    CO  . 


I  /OH 

C<  > 

CHjCOjH  (i^Ha-COgH  CH3 


*  BouRGOiN,  Bull.  29,  244  (1878).  «  v.  Lippmann,  Ber.  12,  1650  (1879). 
'  Grosjean,  Journ.  Soc.  48,  331  (1883). 

*  Büchner  u.  Witter,  Ber.  25,  1159  (1892), 

*  Walden,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  568  (1892).  —  Walker,  Journ.  Soc.  61, 
708  (1892). 

*  Fretdl,  Mooatsh.  4,  151  (1883).  —  Bischofp  u.  Hausdörfer,  Ber.  23, 1915  (1890). 
'  v.  Peckmann,  Ber.  17,  2542  (1884). 


A 


824  Oitranensäurederivate. 


Citronensaure  Salze  können  in  Gährung^  versetzt  werden;  bei  der  Spalt- 
pilzgährung  tritt  namentlich  Essigsäure  auf. 

Unter  den  Salzen'  der  Citronensaure  eind  nur  die  der  Alkalien  in  Wasser 
leicht  löslich.  Besonders  charakteristisch  ist  das  tertiäre  Calciumsalz  (GeH507)tCa3 
+  4H,0,  welches  in  kochendem  Wasser  schwerer  loslich  ab  in  kaltem  ist;  fugt  man 
daher  zu  Citronensäureldsnng  Kalkwasser  bis  zur  alkalischen  Beaction,  so  bleibt  die 
Mischung  klar;  beim  Kochen  aber  trübt  sie  sich  unter  Abscheidung  des  Calcium- 
salzes,  das  beim  Erkalten  im  verschlossenen  Gefftss  sich  wieder  nahezu  voUstfindig 
auflöst. 

Ester  der  CitronensKure'.  Der  Citronensäuretrimethy lester 
C8H4(OHXCOj  •  CHjlj  bildet  gut  ausgebildete  Krystalle,  schmilzt  bei  785— 79«,  siedet 
unter  16  mm  Druck  bei  176^,  unter  gewöhnlichem  Druck  nicht  ganz  unzeisetEt  bei 
283—287°  und  kann  aus  heissem  Wasser  umkrystallisirt  werden.  Der  Triätbyl- 
ester  C8H4(OH)(COj •  CgHs)^  ist  eine  dicke  Flüssigkeit,  geruchlos,  siedet  unter  17  mm 
Druck  bei  185°  und  besitzt  bei  20°  das  spec.  Gew.  1'137;  in  seiner  ätherischen 
liösung  löst  sich  Natrium  auf,  indem  sich  vermuthlich  die  Natriumverbindung 
CgH/ONaXCOg-CjHg),  bildet;  durch  Umsetzung  mit  Jodäthjl  erhält  man  darauf  den 
Aethylcitronensäuretriäthylesther  C8H4(0 •  CoHjXCO« •  CjHa),  —  eine  ölige 
Flüssigkeit  von  angenehmem  Geruch,  welche  unter  145— 150  mm  Druck  bei  237—238'* 
siedet  und  bei  20°  das  spec.  Gew.  1  •  102  besitzt.  Die  Citonensäurfttrialkylester  liefern 
beim  Erwärmen  mit  Acetylchlorid  die  Trialky lester  der  Acetylcitronensäure 
CsH^CO .  CO .  CHaXCOjRJs  —  der  Trimethylester  siedet  unter  15  mm  Druck  bei  171", 
der  Triäthyleater  (spec.  Gew.  bei  15°:  1146)  bei  197°  — ,  welche  beim  Erhitzen  auf 
250—280°  sehr  glatt  in  Essigsäure  und  Aconitsäureester  zerfallen  (vgl.  S.  704).  — 
Durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  Citronensaure  selbst  entsteht  das  Acetyl- 

/CO.      \ 
citronensäureanhydrid  C,U4(0 •  CO •  CHjXCO.H)!        ^0l  —  farblose,  wohl  aus- 
gebildete Krystalle  vom  Schmelzpunkt  121°. 

Citramid^  C8H4(0HXC0NHj)8  entsteht  —  neben  Citrodiaminsäure  C8H4(0Hi 
(C0aH)(C0NIl2),  und  Citromonaminsäure  C3H4(OHXC03H),(CO. NU,)  —  bei  der  Ein- 
wirkung von  Ammoniak  auf  Citronensäuretrimethylester.  Es  ist  eine  krystallinische 
Substanz,  die  sich  über  200°  bräunt  und  bei  210—215°  zu  einer  schwarzen  Flüssigkeit 
schmilzt;  100  Th.  Wasser  lösen  bei  18°  nur  2-7  TL,  bei  100°  33.3  Th.;  in  Alkohol 
und  Aether  ist  es  nicht  löslich;  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure 
geht  es  in  die  Citrazinaäure  —  ein  Pyridinderivat  (vgl.  Bd.  II)  —  über: 


»  llow,  Jb.  1852,  469.  —  Personne,  Jb.  1853,  414.  —  Phipson,  Jb.  1862,  312. 
—  Fitz,  Ber.  11,  1895  (1878).  —  Watts,  Jb.  1886,  1872. 

■  Vgl.  besonders  Heldt,  Ann.  47,  157  (1843).  —  Heussbb,  Jb.  1853,  412.— 
Kämmerer,  Ann.  148,  294  (1868);  170,  176  (1873).  —  Landbin,  Ann.  eh.  ;5^  25, 
233  (1882).  —  Salzeb,  Arch.  f.  Pharm.  229,  547  (1891). 

»  Vgl.  Malaquti,  Ann.  21,  267  (1837).  —  Heldt,  Ann.  47,  195  (1843).  —  St. 
EvRE,  Ann.  60,  325  (1846).  —  Wislicenus,  Ann.  129,  192  (1864).  —  Claus  u.  Rönne- 
fahrt, Ber.  8,  867  (1875).  —  Hunaeus,  Ber.  9,  1749  (1876).  —  Conen,  Ber.  12,  1653 
(1879).  —  Behrmann  u.  A.  W.  Hofmann,  Ber.  17,  2683  (1884).  ~  ANSCHttTZ  u.  Kusoe- 
MANN,  Ber.  18,  1953  (1885).  —  Ruhemann,  Ber.  20,  802  (1887).  —  Klikqemank,  Ber. 
22,  984  (1889).  —  Easterfieu)  u.  Sell,  Journ.  Soc.  61,  1003  (1892), 

*  Behrmann  u.  A.  W.  Hofmann,  Ber.  17,  2681  (1884). 


Isodtronensäure,  Desox<üsäur6,   Oxydtronensäure.  825 


CONH, 

CH,  OH      CHg 
CONHg      CONH, 

CO.  OH 

C 

^  ^^ 
2NHa           CH         CH 

OH-C            ÖOH 

Zu  einer  mit  der  Citronensäure  stellungsisomeren  Säure  —  der 
IsoeitronensSure  ^ : 

CO,H .  CH(OH)  ■  CHCCOjH)  ■  CH,  •  CO,H 

(o-Oxy-coao'-Propantricarbonsäure)  —  gelangt  man,  wenn  man  vermittelst 
der  allgemeinen  Paraconsäurebildungsreaction  (S.  490,  799)  unter  Be- 
nutzung Yon  Chloral  CClg-CHO  und  bemsteinsaurem  Natrium  zunächst 
die  Trichlormethylparaconsäure  darstellt  und  letztere  dann  mit  Baryt- 
wasser zersetzt: 

/COjH  /COjba 

CClj .  CH .  CH<  CO.ba  -  CH  •  CH< 

\CHa  V  !  ^CH,      : 

I  OH  I 

0 CO  CO.ba 

Trichlormethylparacons.  Isocitronens.  Barium. 

das  Bariumsalz  wird  nach  längerem  Kochen  in  Wasser  fast  unlöslich; 
setzt  man  die  Säure  in  Freiheit,  dunstet  ihre  Lösung  ein  und  erhitzt  den 
Rückstand  auf  100^,  so  erhält  man  die  Lactoisocitronensäure  C^HgOgi 

COjH .  CH .  CHCCOjH)  •  CH, 

I  I      . 

0 CO 

Al8a»w'-Dioxy-wG>,'-AethantricaTbon8äureCH(OH)(CO,H)— C(0H)(C0,Hj, 
ist  wahrscheinlich  die  leicht  in  Kohlensäure  und  Traubensäure  zerfallende  JDes- 
oxftlsSiire'  aufzufassen,  deren  Triäthylester  (Schmelzpunkt  85^  bei  der  Einwirkung  von 
Natrinmamalgam  auf  Ozalsäurediäthylester  entsteht. 

Eine  caa-Dioxy-wow'-Propant'ricarbonsäure"  (Oxycitronensäurc)  CeHgO^ 
wird  aus  Aconitsäure  durch  Addition  von  unterchloriger  Säure  und  Rochen  des  Addi- 
tionsproduktes mit  Basen  erhalten: 

CHCOjH  CH(OH).CO,H 

i;  ^  fCO,H  , 

C.COjH  >-     CjHjCKOHKCO.H   >■   OCOHICO^H 

I  lCO,H  I 

CH,.CO,H  CH,.CO,H 

und  ist  im  Rübensaft  aufgefunden  worden. 

*  Prmo  u.  Miller,  Ber.  20,  3181  (1887).     Ann.  255,  47  (1889). 

•  Löwio,  J.  pr.  83,  1296;  84,  1  (1861).  —  Brunner,  Ber.  3,  974  (1870J;  12,  543 
(1879).  —  Klein,  J.  pr.  [2|  20,  146  (1879). 

»  Pawollbk,  Ann.  178,  150  (1857).  —  v.  Lippmann,  Ber.  16,  1078  (1883). 


826  NüroderivcUe  der  Carbonsäuren. 


Einunddreissigstes  Kapitel 

Nitro-,  Amido-  und  Diazoderivate  der  Carbonsänren. 

Nltroderirate  der  CarbonsSuren. 

Nitroderivate  der  Carbonsauren  sind  nur  in  geringer  Zahl  bekannt  und  wenig 
eingehend  antersacht.  Man  hat  sie  theils  analog  den  Nitrokohlenwasaerstoffen  ans 
halogenirten  Säuren  durch  Umsetzung  mit  Silbernitrit,  z.  B.: 

CH,J.CH,.CO,H  + AgNOt  =  CH,(NO,).CH,.CO,H  +  AgJ, 

—  theils  auch  durch  directe  Nitrirung  von  Carbonsäuren  gewonnen,  z.  B.  Nitro- 
isovaleriansäure  (CH8),C(N0,)*CH,-C0sH  aus  Isovaleriansäure  durch  anhaltendes 
Kochen  mit  starker  Salpetersäure  ^  Nitromalonsäureester  CHCNOgXCOsR))  aus  Malon- 
Säureester  durch  Einwirkung  wasserfreier  Salpetersäure  in  der  Kälte'.  Durch  Be- 
dnction  liefern  sie  Amidosäuren. 

NitroessigsSure  CHs(N0s)*C09H  scheint  als  freie  Säure  und  in  Form  Ton 
Salzen  nicht  beständig  zu  sein.  Sie  bildet  sich  wohl  vorübergehend  bei  der  S.  260 
erwähnten  Reaction  von  Kaliumnitrit  auf  Chloressigsäure,  um  gleich  in  Nitromethan 
und  Kohlensäure  zu  zerfallen.  Durch  ELinwirkung  von  Silbemitrit  auf  JodessigsSure 
in  ätherischer  Lösung  erhält  man  einen  Syrup,  welcher  neben  stickstofifreier  Säure 
auch  eine  stickstoffhaltige  Substanz  enthält,  die  vielleicht  Nitroessigsäure  ist;  ihre 
Beindarstellung  ist  indessen  bisher  nicht  gelungen;  mit  Diazobenzolsulfosftore  und 
Soda  giebt  sie  eine  intensiv  orangerothe  Lösung,  bei  der  Beduction  mit  Zinkstaub 
und  Essigsäure  eine  bisher  nicht  kiystallisirte,  stickstoffhaltige  Säuret  Der  Aethvl- 
ester^  CH^CNOg) •  COg  •  C^Hj  der  Nitroessigsäure  wird  aus  Bromessigestcr  und  Silber- 
nitrit erhalten,  ist  flüssig,  siedet  nicht  ganz  unzersetzt  bei  151—152^,  besitzt  hei  0^ 
das  spec.  Gew.  1*133  und  wird  beim  Sieden  unter  Bückfluss  unter  Entwickelung  von 
Stickoxyd  und  Kohlensäure  grösstentheils  in  Oxalsäureäthylester  übeigefahrt  — 
Nitroderivate  des  Acetonitrils  sind  durch  Zersetzung  der  Fulminureäure  (Kap.  40) 
erhalten;  beim  Eintragen  von  fulminursaurem  Natrium  in  kalte  Salpeterschwefel- 
säure entsteht  Trinitroacetonitril*  C(N08)8-CN  —  eine  weisse,  kiystalliniacbe, 
brüchige,  leicht  flüchtige  Masse,  die  bei  41*5^  schmilzt,  bei  raschem  Erhitzen  auf 
220^  explodirt  und  beim  Kochen  mit  Wasser  unter  Bildung  von  Nitroform  (S.  623—624) 
zersetzt  wird. 

|9.Nitroplons8are^  CHj(NrOj)-CHj-C08H  (Bildungsgleichung  s.  oben)  krystallisirt 
aus  Chloroform  in  weissen  Schuppen,  schmilzt  bei  66 — 67**  und  ist  in  Wasser  sehr 
leicht  löslich;  K  =  0-0162. 


»  Dessaigkes,  Ann.  79,  374  (1851).  —  Bredt,  Ber.  15,  2819  (1882).  —  Vgl  auch 
Wmz,  Ann.  104,  289  (1857).  —  Champion  u.  Pellet,  Jb.  1876,  553.  —  Tassikaw» 
Ber.  11,  2031  (1878).  —  Dagegen:  Lewkowitsch,  J.  pr.  [2]  20,  161  (1879).  —  Vgl 
auch  Claus  u.  Pfeiffer,  J.  pr.  [2]  43,  161  (1891). 

'  Franchimont  u.  Klobbie,  Rec.  trav.  chim.  8,  283;  9,  220  (1890). 

'  Unveröffentlichte  Versuche  von  V.  Meyer.  —  Vgl.  auch  Demüth  u.  V.  Meyer, 
Ann.  256,  43  (1889). 

*  Forcrand,  Bull.  31,  536  (1879).  —  Lewkowitsch,  J.  pr.  [2]  20,  168  (1879).  - 
Steiner,  Ber.  15,  1604  (1882).  —  Vgl.  auch  Lepercq,  Bull.  [3]  7,  359  (1892). 

*  ScHiSGHKOW,  Ann.  eh.  [3]  49,  310  (1875). 

«  Lewkowitsch,  J.  pr.  [2]  20,  165  (1879).  —  Walden,  Ztschr.  f.  phjsik.  Cham. 
10,  652  (1892). 


Atnidosäwen  (Vorkommen  und  Büdung). 

ADÜdoderlrate  der  CarbonaSaren:  AmIdosftuK 

Die  Gruppe  der  Aroidosäuren  ist  vorwiegend  von  Inte 
ihrer  Bedeutung  für  den  Lebensprocesa.  Wir  finden  Amidos 
in  Säften  des  Thier-  und  Pflanzenkörpers  (vgl.  unten  Leucii 
Amidoglutarsäure)  und  wir  beobachten  sie  stets  als  Zersetzu 
wenn  Eiweiasatoffe,  Leim  und  verwandte  Materien  tiefgreifend 
—  sei  es  durch  Fäulnias,  aei  es  durch  Einwirkung  von  . 
Alkalien  —  erleiden.  In  den  complexen  MolecUlen  dieser  phj 
überaus  wichtigeti  Substanzen,  deren  Aufklärung  und  Synl 
böchaten  Zielen  der  organischen  Chemie  gehört,  müssen  < 
Reste  von  Amidosäuren  eisen  integrirenden  Bestandtbeil  au 

Für  die  kUnstliche  Bildung  von  Amidosäuren  ki 
Mehrzahl  der  S.  229  ff.  angeführten  Entstehungsweisen  von  i 
passender  Modiflcation  verwerthen.  Um  z,  B,  in  Halogend 
Carbonsäuren  das  Halogenatom  gegen  den  Ämidreat  ausitut 
sich  in  vielen  Fällen  namentlich  Gabbiel'b  Phtalimidreacl 
als  geeignetes  Htilfsmittel  erwiesen^;  von  Xetonsaurea  gel; 
Amidosäuren,  indem  man  ihre  Oxime  oder  Hydrazone  n 
amalgam  reducirt*  (S.  234—235),  z.  B.: 

CH,  OH,  CH, 

I  I  I 

CO  C-.N-NH.C,H,  CH(NH,i 

(CH.).  "     (CK,).  "     (CH.), 

I  I  I 

CO,H  CO,H  CO,H 

Speciell  für  die  Darstellung  von  a-Amidoaäuren  bietet  sich 
hafter  Weg  in  der  Einwirkung  von  alkoholischem  Ammo 
Cyanhydrine  der  Aldehyde  und  Ketone';  es  entstehen  zunäc 
nitrile,  z.  B.: 

<0H  ,NH, 

+  NH,   =  (CH,),C<  +H,0, 

CN  NjN 

welche  mit  Salzsäure  zu  den  Amidosäuren  verseift  werden 
Ämidonitrile  entstehen  auch  bei  der  Einwirkung  von  B 
Aldehydammoniake  *  und  bei  der  Einwirkung  von  Cyanan 
Aldehyde'.  —  Erwähnt  sei  endlich  als  theoretisch  intereasan 
praktiach  nicht  bedeutungsvoll  die  Bildung  von  Amidosi 
Addition  von  Ammoniak  (oder  Aminen)  an  ungesättigte  Sä 


'  Vgl.  Gabriel  u.  Krobbbeho,  Der.  22,  426  (1889).   —   Gabbiel, 
'1889);  23,  1767  (1890).  —  AscHiN,  Ber.  23,  3G92  (1890). 

'  TAPE^  Ber.  19,  2414  (1886).  '  Vgl.  Tiemanb,  Ber.  14,  19E 

*  Vgl.  LiPP,  Ano.  205,  8  (1880);  311,  359  (1882). 
»  Ljobavin,  Ber.  14,  2686  (1881). 

•  Ekqbs  Compt.  rend.  104,  1805  (1887);  106,  1677  (1888).  —  Küb 
Ber.   alo,  86  (1889);  22c,  735  (1889),  —   Wender,  Ber.  320,   736  (18 


828  Afnidosäuren  (VerhcUterij 


C0,H.CH:CH.C08H  + NH3  =  COjH.CH(NH,)-CHj.COjH; 

die  Reaction  tritt  beim  Erhitzen  der  Säuren  oder  ihrer  Ester  mit 
wässrigem  oder  alkoholischem  Ammoniak  in  geschlossenen  Röhren  ein. 

Die  Amidosäuren  sind  krystallinische  Körper,  zuweilen  von  süssem 
Geschmack,  meist  in  Wasser  leicht  löslich,  dagegen  in  Alkohol  und 
Aether  nicht  oder  wenig  löslich. 

In  ihrem  chemischen  Verhalten  vereinigen  sie  die  Charaktere 
der  primären  Amine  und  der  Carbonsäuren;  durch  die  Gegenwart  der 
basischen  Amidgruppe  und  der  sauren  Carboxylgruppe  werden  sie  zur 
Salzbildung  sowohl  mit  Säuren  wie  mit  Metalloxyden  befähigt  (vgl.  Glyko- 
koU,  S.  831).  Auch  eine  „innere  Salzbildung"  (vgl.  Taurin  S.  636)  durch 
gegenseitige  Absättigung  der  beiden  Gruppen  von  entgegengesetztem 
Charakter  erscheint  denkbar^;  der  einfachsten  Amidosäure  z.  B.,  der 
Amidoessigsäure  oder  dem  Gly kokoll,  könnte  man  statt  der  Formel 
CHj(NH2)'C02H  die  Formel  eines  „inneren  Ammoniumsalzes": 

CHaNHs  ,  CH,.NH3— O-CO 

I        I  oder        I  I      , 

CO-0  CO .  0 — NH, .  CH, 

V 

beizulegen  geneigt  sein^.  Diese  Auffassung  erscheint  in  Rücksicht  auf 
die  physikalischen  Eigenschaften  mancher  Amidosäuren  —  ihre  hohen 
Schmelzpunkte,  ihre  Unlöslichkeit  in  Alkohol  und  Aether  —  beachtens- 
werth  und  kann  auch  durch  einige  Punkte  in  ihrem  chemischen  Ver- 
halten begründet  werden';  sie  ist  unzweifelhaft  geboten  für  die  Tri- 
alkylderivate,  bei  denen  sich  —  wie  z.  B.  bei  dem  Trimethylglykokoll 
oder  Betaln  (vgl.  S.  831—832): 

CH,.N(CH,), 

I         I 
CO-0 

—  durch  die  leichte  Abspaltung  tertiärer  Amine  nachweisen  lässt,  dass 
sie  drei  Alkylreste  an  Stickstoff  gebunden  enthalten, 

Alkylderivate  können  sich  von  den  Amidosäuren  ableiten  durch 
Einführung  der  Alkylreste  in  die  Amidgruppe  oder  in  die  Carboxyl- 
gruppe. Im  ersten  Fall  entstehen  Verbindungen  vom  Typus  der  secun- 
dären,  tertiären  Amine  oder  Ammoniumverbindungen: 

CH, .  NH .  CHj  CHj .  NCCHj),  CH,  •  N(CHa), 

I  I  II, 

CO,H  CO,H  CO— O 


*  Vgl.  Eelenmeyer,  Ann.  176,  349  (1875). 

^  Der  Umstand,  dass  die  kryoskopische  Moleculargewichtsbestimmung  in 
wässriger  Lösung  einen  auf  die  einfache  Molecularformel  des  Glykokolls  stimmen- 
den Werth  ergiebt  (Curtius  u.  Schulz,  Ber.  23,  8041  (1890]),  kann  natürlich  nicht 
^egen  die  zweite  Foimel  angeführt  werden,  da  ein  solches  Salz  in  wässriger  Lösung 
in  Ionen  (NHaCHgCOO—  und  — NH,  •  CHj  •  CO  •  OH)  dissociirt  sein  würde. 

•  Marckwald,  Neümark  u.  Stelzner,  Ber.  24,  3279  (1891). 


Oonslitution,  Derivate). 

wie  man  nie  durch  Einwirkung  von  Aminen  auf  halogensubstituii 
uder  durch  Älkylirung  der  primären  Amidoeäuren  erhält.  Ir 
Fall  entstehen  salzbildende  Ester;  ihre  Chlorhydrate,  wie 

0,Hs-OCO.CH,.NH,.HCl, 
erhält  man,    wenn    man    die   alkoholische   Lösung   der  Amido 
Chlorwasserstoff  sättigt  i. 

Verbindungen,  welche  Was  Berstoff  der  Amidgrupp 
Sänrereste  vertreten  enthalten,  werden  durch  Einwirkung  \ 
Chloriden  oder  Säureanhydriden  auf  die  Amidosäuren  gebildet, 

CH,-CO-NH-CH,CO,H; 
(D  die  Gruppe   derartiger  Verbindungen   gehören   manche   phj 
interessante  Substanzen,  wie  Hippursänre,  Glykocholsäure  u.  a 
Durch  Glühen   mit  Baryt  können  die  Amidosäaren  in  K( 
und  Amine  gespalten  werden,  z.  B.: 

CH,.CH{NH,)-CO,H  =  CH,.CH,-NHi  +  CO,; 
auch  schon  beim  Erhitzen  fUr  sich  werden  manche  tz-Amidosä 
Theil  in  dieser  Richtung  gespalten;  andererseits  kann  man  di 
daaemdes  Erhitzen  mit  Jodwasserstoff  auf  etwa  200 '^  den  Am 
spalten  und  die  Amidoaäure  in  die  entsprechende  amidfreie  Sä 
Grlykokoll  in  Essigsäure,  Überführen*. 

Von  grossem  Interesse  sind  die  Umwandlungen,  welche  d 
üäu'en  anter  der  Einwirkung  der  salpetrigen  Säure  erlei 
Amidosäuren  selbst  verhalten  sich  den  primären  Aminen  der 
analog  {vgl.  S.  144);  unter  Austausch  von  Amid  gegen  Hydros 
sie  die  entsprechenden  Oxysäuren,  z.  B.: 

CH,-CO,H  CH,-CO,H 

I  >        \ 

CH(NH,).CO.H  CH(OH).CO,H 

Die  Ester  der  Amidosäuren  dagegen  gehen,  in  Form  ihrer  i 
Salze  mit  Katriumnitrit  behandelt,  in  Ester  von  Diazosäuren  ül 

CH((NH,)-CO,-C,H,     *-     CHN,CO,.C,H,, 

—  Glieder  einer  sehr  eigenthümlichen  Verbindungsgruppe,  we 
iler  Schilderung  der  einzelnen  Amidosäuren  im  Zusammenhang 
»erden  soU  (vgl.  S.  841  ff.). 

Die  nahen  Beziehungen  der  Amidosäuren  zu  den  Oxysi 
man  dnrch  die  eben  erwähnte  Reaction  der  salpetrigen  Säur 
scheinung  bringen  kann,  treten  femer  im  Verhalten  bei  dei 
ahspaltung  hervor,  das  bei  beiden  Klassen  in  ähnlicher  We 
die  SteUtmg  des  Carboxyls  zum  Amid  bezw.  Hydroxyl  beeinfl: 
«-Amidosäuren  liefern  Anhydride  durch  Zusammentritt  mehre 
cüle,  wie  etwa: 

'  Cdbtips,  Ber.  17,  959  (1884).  '  Kwwdä,  Monatsk  12,  419  (18 


830  Lactame, 


.NH-COv 
CH,<  >CH. ; 


Y'  und  d'-Amidosäuren  dagegen  können  in  innere  Anhydride  über- 
gehen, z.  B.: 

II                              I  I      , 

NH CO  NH CO 

welche  den  Lactonen  analog  gebaut  sind  und  daher  zuweilen  auch 
„Lactame"  genannt  werden. 

Die  Amidosäuren  geben  mit  verdünntem  Eisenchlorid  blutrothe  Färbungen'; 
ihre  alkalischen  Lösungen  lösen  Kupferoxyd  auf,  reduciren  dasselbe  aber  beim 
Kochen  nicht. 

A.   cr-AmidoderiTate  der  Fettsäuren. 

Amldoesslgsäure  oder  GlykokoU  CaH^NOg  =  CHjjCNHj)^,! 
(Glycin,  Leimzucker  oder  Leimsüss)  wurde  zuerst  als  Spaltungs- 
produkt des  Leims  —  beim  Kochen  mit  Baryt  oder  verdünnter  Schwefel- 
säure entstehend  —  beobachtet*.  Es  ist  in  unverbundenem  Zustand 
natürlich  vorkommend  bisher  nur  in  dem  Muskelgewebe  der  Muschel 
Pecten  irradians  aufgefunden^,  findet  sich  aber  sehr  häufig  in  natür- 
lichen Produkten  in  Gestalt  seines  Trimethylderivats  Betain  (vgl.  S.  831 
—832)  und  seiner  Acylderivate  ßCO-NH-CHj-CO,H.  Zu  den  letzteren 
gehört  die  Hippursäure  —  das  Benzoylderivat  des  Glykokolls  (vgl.  Bd.  II) 
CgHg-CO-NH-CHj-COjH  — ,  welche  sich  beim  Kochen  mit  wässrigen 
Säuren  in  Benzoesäure  und  GlykokoU  spaltet: 

CeHfiCO.NHCHjCO.H  +  HaO  =  CeHa-COOn  +  NH,.CH,.CO,H. 

Diese  Bildungsweise  *  des  Glykokolls  wird  am  zweckmässigsten  zu  seiner 
Darstellung*  benutzt.  Auch  synthetisch  —  aus  Chloressigsäure*  durch 
Austausch  des  Chlors  gegen  Amid  —  kann  man  es  sich  leicht  ver- 
schafifen.  Erwähnenswerth  ist  auch  seine  Entstehung  durch  Einwirkung 
von  JodwasserstoflF  auf  Cyan^,  wobei  eine  Cyangruppe  reducirt,  die 
andere  verseift  wird: 

N=C— C^N  +  2H,  +  2H2O  =  HjNCHj-COOH  +  NH,. 

GlykokoU  bildet  monokline  Krystalle^   löst  sich  in  4-3  Th.  kaltem 


»  Hofmeister,  Ann.  189,  6  (1877).  •  Braconnot,  Ann.  eh.  [2]  13, 114  (1820t 

"  Chittenden,  Ann.  178,  273  (1875).  —  Vgl.  Gubtius  u,  Goebel,  J.  pr.  [2]  37, 
180  (1887). 

^  Dessaiqnes  Ann.  68,  822  (1846). 

»  CüBTius,  J.  pr.  [2]  26,  150  (1882).  —  Gubtius  u.  Goebel,  J.  pr.  [2]  37, 156(l88:i. 

«  Perkin  u.  Duppa,  Ann.  108,  112  (1858).  —  Heintz,  Ann.  122,  257  (1862).  - 
Nencki,  Ber.  16,  2827  (1883).  —  Mauthner  u.  Süida,  Monatsh.  9,  732  (1888);  11,  373 
(1890).  —  Gabriel  u.  Kroseberg,  Ber.  22,  426  (1889).  —  Kraut,  Her.  23,  2577  (18901. 
—  Kraut,  Goldberg  u.  Kunz,  Ann.  266,  292  (1891). 

'  Emmerling,  Ber.  6,  1351  (1873).  —  Vgl.  auch  Wallach,  Ann.  184,  13  (1877'. 


Qlyhokoll,  Sarkosin.  831 


Wasser,  ist  in  absolutem  Alkohol  unlöslich,  bräunt  sich  bei  228®,  schmilzt 
unter  Zersetzung  zwischen  232®  und  236®  und  schmeckt  süss. 

Salze  des  Glykokolls^  Das  Chlorhydrat  CjHgNOj.HCl  ist  in  Wasser 
leicht,  in  Alkohol  wenig  löslich.  ->  Das  Bariumsalz  (NH, •  CH, •  C0,)2Ba  +  4H2O 
bildet  Krjstallschuppen,  die  bei  etwa  42^  schmelzen;  es  wird  durch  Wasser  und 
Kohlensfture  theilweise  zersetzt.  Besonders  charakteristisch  und  zur  Abscheidung  ge- 
eignet ist  für  das  Gljkokoll,  ¥rie  auch  fiir  andere  Amidosäuren,  das  Kupfersalz'; 
Gljkokollkupfer  (NH2*CH,-C0,),Cu  +  HgO  krjstallisirt  aus  der  heissen  Lösung  von 
Kupferoxyd  in  GlykokoUlÖsung  in  blauen  feinen  Nadeln,  löst  sich  in  173*8  Th.  Wasser 
von  15*^  und  ist  in  Alkohol  unlöslich.  —  Auch  mit  Salzen  tritt  das  Glykokoll  zu  kry- 
stallinischen  Verbindungen  zusammen,  wie  CsHsNOg.KNOa,  C^HsNOa.KCl  etc.  — 

/NHCHjv 

Glykokollanhydrid»  (C.HaNO),  =  C0<  >C0    entsteht    aus    dem 

\CH, .  Nfl/ 

Gljkokollftthylester  NHs-CHs.OO^.CtHs  (S.  83 2),  wenn  man  ihn  mit  dem  vierfachen 
Volum  Wasser  einige  Tage  stehen  Ifisst  oder  ihn  mit  Wasser  eindampft,  krystallisirt  in 
grossen  Tafeln,  beginnt  bei  245^  braun  zu  werden,  schmilzt  bei  275°,  sublimirt  bei 
raschem  Erhitzen  unzersetzt  in  langen  Nadeln  und  ist  nur  in  heissem  Wasser  und  in 
verdünntem  Weingeist  leicht  löslich.  Seine  Moleculargrösse  ist  auf  kryoskopischem 
Wege  ermittelt  Sein  Platindoppelchlorid  (C4HeNA-HCl)j.PtCl4  +  3H,0,  dessen 
Zutammensetzung  ebenfalls  für  die  Molecularformel  C^HeNiOs  spricht,  bildet  grosse 
gelbe  Krystalle. 

Alkylderivate  des  Glykokolls.  Ein  in  der  Amidgruppe  mono- 
methylirtes  Glykokoll  ist  das  Sarkosin*  CjH^NO,  =  (CH3)NH.CH3-C02H, 
welches  aus  den  natürlichen  Stoffen  Kreatin  und  KafFeln  (vgl.  Kap.  41) 
durch  Spaltung,  synthetisch  durch  Einwirkung  von  Methylamin  auf  Chlor- 
essigsäure gewonnen  wird;  es  bildet  rhombische  Säulen,  ist  in  Wasser 
sehr  leicht,  in  Alkohol  schwer  löslich  und  schmeckt  schwach  süsslich; 
beim  Erhitzen  beginnt  es  zwischen  210^  und  215®  zu  schmelzen  und 
spaltet  sich  dabei  theils   in   Dimethylamin   und   Kohlensäure,   theils   in 

/CH,CO. 
Wasser  und   Sarkosinanhydrid   CfL-N^^  ^N-CH«  ;    letzteres 

\CO-CH^/ 
schmilzt  bei  149 — 150®,  siedet  fast  unzersetzt  bei  etwa  350®,  ist  in 
Wasser  und  heissem  Alkohol  leicht  löslich,  schmeckt  bitter,  geht  durch 
Kochen  mit  verdünnten  Säuren  wieder  in  Sarkosin  über  und  liefert  bei  der 
Oxydation  mit  Kaliumpermanganat  neben  Oxalsäure  das  Dimethyloxamid 
CHg-NH-COCO-NH-CHj.—  Das  Trimethylderivat  des  Glykokolls  —  das 


'  Vgl.  besonders:  Hobsford,  Ann.  60,  1  (1846).  —  Dessaiqnes,  Ann.  82,  235 
(1852).  —  CuRTius,  J.  pr.  [2]  26,  158  (1882).  —  Kraut,  Goldbero  u.  Kunz,  Ann. 
26e,  299  (1891) 

*  Vgl.  ancb  BIaütbner  n.  Süida,  Monatsh.  11,  375  (1890). 

*  CuBTius,  Ber.  16,  755  (1883).  —  Cubtius  u.  Goebel,  J.  pr.  [2]  37,  173  (1887). 
—  CüBTius  u.  H.  ScBULZ,  Ber.  23,  3041  (1890). 

*  LiBBTG,  Ann.  62,  310  (18i7).  —  Volhard,  Ann.  123,  261  (1862).  —  Rosen- 
OABTEai  u.  Strecker,  Ann.  157,  1  (1871).  —  J.  Traube,  Ber.  15,  2111  (1882).  — 
E.  Schmidt,  Ann.  217,  274  (1883).  —  Franchimont,  Reo.  trav.  chim.  2,  339  (1884).  — 
Mtuvb,  Ber.  17,  286  (1884). 


832  Betain j   Olykokollester, 


Betani^  CgH^^NO^  +  HgO  =  (CH3)3(OH)N •  CH, •  CO •  OH  (vgl.  S.  828)  - 
ist  schon  mehrfach  erwähnt;  zuerst  wurde  es  von  Soheibleb  hi  dem 
Rübensaft  aufgefunden ;  auf  der  Ansammlung  des  Betalns  in  der  Rüben- 
Zuckermelasse  beruht  ja  die  Gewinnung  von  technischem  Trimethylamiii 
(vgl.  S.  187,  243);  später  ist  es  dann  häufig  als  Bestandtheil  von  Pflanzen- 
theilen  —  so  der  Baumwollsamen  und  Wickensamen  —  beobachtet 
worden;  von  physiologischem  Interesse  ist  es  auch  durch  seine  nahen 
Beziehungen  zum  Cholin  (S.  634),  aus  dem  es  durch  Oxydation  gewonnen 
werden  kann.  Synthetisch  ist  es  durch  Methylirung  von  Q-lykokoll  und 
durch  Addition  von  Chloressigsäure  an  Trimethylamin  erhalten.  Es 
krystallisirt  aus  Alkohol  in  grossen  glänzenden  Krystallen,  die  an  der 
Luft  zerfliessen,  verliert  bei  100°,  sowie  beim  Stehen  über  Schwefelsäure 
das  Krystallwasser,  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich  und  zersetzt  sich 
beim  Erhitzen  unter  Entwickelung  von  Trimethylamindämpfen  und  Zurück- 
lassung von  Kohle;  sein  Chlorhydrat  CgH^^NOgCl  krystallisirt  wasserfrei 
in  schönen,  monoklinen,  luftbeständigen  Krystallen. 

""Der  Aethylester  des  Glykokolls»  NH^  •  CHj  •  CO,  •  CjHg  wird  in  Form  des 
Chlorhydrats  erhalten,  wenn  man  salzsaures  Glykokoll  in  Alkohol  snspendirt  und 
Salzsäuregas  bis  zur  Auflösung  einleitet;  das  Chlorhydrat  besitzt  hervorragend» 
Krystallisations vermögen,  ist  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  leicht  löslich,  schmilzt  bei 
144^,  sublimirt  bei  vorsichtigem  Erhitzen  unzersetzt  und  wird  durch  SodalÖsnng  nicht 
zersetzt;  durch  Umsetzung  mit  Silbemitrit  unter  trockenem  Aether  kann  man  daraas 
den  salpetrigsauren  Glykokoll cster  in  grossen  Krystallen  erhalten;  das  Nitrit  gebt 
leicht  in  den  Diazoessigester  (vgl.  S.  842)  über.  Sehr  merkwürdig  ist  das  Verhalten 
des  Chlorhydrats  bei  der  Destillation  mit  Natriumcarbonat:  es  tritt  Zerfall  in  Propyl- 
amin  und  Kohlensäure  ein: 

NHj .  CHj .  CO, .  C2H5  =  NH, .  CH,  •  CjH,  +  CO, . 

Setzt  man  das  Chlorhydrat  mit  trockenem  Silberoxyd  unter  Aether  um,  so  erhält 
man  den  freien  Glykokollester  —  eine  wasserhelle  stark  basische  Flüssigkeit  von 
eigenthümlichem  aminartigen  Geruch,  welche  bei  148 — 149**  siedet,  mit  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  mischbar  ist;  der  Ester  wird  von  concentrirten  Mineralsäuren 
und  verdünnten  Alkalien  schon  in  der  Kälte  verseift  und  ist  merkwürdig  durch  seine 
Unbeständigkeit;  in  Berührung  mit  Wasser  spaltet  er  sich  in  Alkohol  und  Glykokoll- 
anhydrid  (S.  831);  im  zugeschmolzenen  Rohr  sich  selbst  überlassen,  erleidet  er  zum 
Theil  denselben  Zerfall,  daneben  entsteht  eine  bei  160—178^  schmelzende  Base,  deren 
Natur  noch  nicht  aufgeklärt  ist. 

Acylderivate  des  Glykokolls.     Als  Beispiel  sei  das  Acetylderivat  —  die 


1  Scheibler,  Ztechr.  Chem.  1866,  279.  Ber.  2,  292  (1869);  S,  155  (1870).  - 
Liebreich,  Ber.  2,  13,  167  (1869);  3,  161  (1870).  —  Griess,  Ber.  8,  1406  (1875),  - 
Marm6  u.  Husemann,  Ann.  Suppl.  2,  883  (1863);  3,  245  (1864).  Jb.  1876,  828.  - 
Kraut,  Ann.  182,  180  (1876).  —  Fbühlwo  u.  J.  Schultz,  Ber.  10,  1070  (1877).  —  Rrrr- 
hausen  u.  Weger,:  J.  pr.  [2]  30,  32  (1884).  —  E.  Schültze,  Ber.  22,  1827  (ISs^y  . 
Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  205  (1892).  —  E.  Schmidt  u.  Schütte,  Arch.  f.  Pharm. 
229,  523  (1891). 

2  Kraut,  Ann.  177,  267  (1875);  182,  172  (1876).  —  Curtius,  Ber.  16,  758  (18S3). 
17,  953  (1884).  J.  pr.  [2]  38,  399  (1888).  —  Cürtius  u.  Goebel,  J.  pr.  [2]  37,  i:»0 
(1887).  —  Kraut,  Goldbero  u.  Kunz,  Ann.  266,  305  (1891). 


Äcetursäure,  Älcmin,  Cystin,  Serin.  833 


AceturBäure*  CHg'CO-NH'CHj'COgH  —  angeführt;  sie  wird  am  besten  durch 
Kochen  von  Glykokoll  mit  EsiSigs&areanhydrid  und  Benzol  gewonnen,  bildet  farblose 
Kiystalle,  schmilzt  bei  206*,  löst  sich  in  37  Th.  Wasser  von  15  ^  in  kochendem 
Wasser  imd  Alkohol  sehr  leicht,  in  siedendem  Aether  nicht  auf;  sie  verbindet  sich 
mit  starken  Mineralsäuren  zu  Salzen,  die  von  Wasser  zersetzt  werden;  andererseits 
ist  sie  eine  starke  Säure  (stärker  als  Essigsäure:  K  =  0*0230,  vgl.  S.  311)  und  bildet 
daher  mit  Basen  meist  beständige  Salze;  ihre  Ester  CHsCO-NH-CHi-COsR  sieden 
anzersetzt. 

Die  c^-AmldopropionsSure^  C3H7NOa  =  CH3.CH(NHa)C03H  — 
auch  Alanin  genannt  —  ist  nach  den  S.  827  angeführten  Methoden  ge- 
winnbar. Als  ein  Derivat  derselben  kann  das  Cystln'  CgHjjNjO^Sj 
aufgefasst  werden,  welches  zuweilen  als  krystallinisches  Sediment  im 
Harne  von  Menschen  und  Sunden  gefunden  wird,  bei  manchen  Personen 
regelmäßig  im  Harne  ausgeschieden  wird,  sehr  selten  in  Form  von  Blasen- 
steinen auftritt.  Es  bildet  farblose  Blättchen,  ist  in  Wasser  und  Alkohol 
anlöslich,  löslich  in  Alkalien  und  Säuren  und  in  salzsaurer  Lösung  stark 
linksdrehend.  Von  Zinn  und  Salzsäure  wird  es  zu  Cysteln  CgH^NOgS 
—  wasserlösliches,  krystallinisches  Pulver  —  reducirt,  welches  sehr  leicht 
schon  durch  Luftoxydation  wieder  in  Cystin  übergeht.  Cysteln  und 
Cystin  stehen  daher  zu  einander  wohl  zweifellos  im  Verhältniss  wie 
Mercaptane  und  Disulfide  und  sind  wahrscheinlich  durch  die  Formeln: 

CHgv        xNHj  CHgv       ^NHj    NHjv        ^CHg 

CysteYn  Cystin 

auszudrücken.  Die  Gründe  für  diese  Auffassung  sind  hauptsächlich  bei 
dem  Studium  aromatischer  Cystinderivate  („Mercaptursäuren",  vgl.  Bd.  II) 
gewonnen  worden.  —  Ein  Derivat  der  a-Amidopropionsäure  ist  wahr- 
scheinlich auch  das  Serln*  CgH^NOg,  welches  beim  Kochen  von  Seiden- 
leim (Sericin)  mit  verdünnter  Schwefelsäure  erhalten  worden  ist,  mono- 
kline  Krystalle  bildet,  in  32  Th.  Wasser  von  10^  löslich,  in  Alkohol  und 

^  Jazükowitsch,  Ztschr.  Chem.  1868,  79.  —  Kbaut  u.  Hartkamn,  Ann.  133, 
lOo  (1865).  —  CuRTixrs,  Ber.  16,  757  (1883);  17,  1668  (1884).  —  Ostwald,  Ztschr.  f. 
physik.  Chem.  3,  190  (1889). 

»  &TBECKEB,  Ann.  76,  29  (1850).  —  Kolbe,  Ann.  113,  220  (1860).  —  Kekül6, 
Ann.  180,  18  (1864).  —  Preu,  Ann.  134,  372  (1865).  —  Drechsel,  Ber.  25,  3502 
(1892).  —  Dtjvillier,  Bull.  [3]  7,  99  (1892). 

*  WoLLASTOH,  Ann.  eh.  [1]  76,  21  (1810).  —  Lassaioke,  Ann.  eh.  [2]  23,  328 
U823).  —  TöL,  Ann.  06,  247  (1855).  —  Clobtta,  Ann.  99,  299  (1856).  —  Scherer, 
Jb.  1867,  561.  —  Dewar  u.  Gamgeb,  Jb.  1870,  814.  —  Niemamn,  Ann.  187,  101  (1877). 
—  Baumakv  u.  Preusse,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  6,  329  (1881).  —  Külz,  Ber.  16, 
1401  (1882);  17 o,  262  (1884).  —  Baümaitn,  Ber.  15,  1734  (1882).  Ztschr.  f.  physiol. 
Chem.  8,  299  (1884).  —  Mauthner,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  7,  225  (1883).  Ber. 
17.  293  (1884);  18,  451  (1885).  —  D£l£pine,  Ber.  24o,  577  (1891).  —  Brenzikoer, 
Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  16,  522  (1892) 

*  Gkamer,  J.  pr.  96,  93  (1865).  —  Erlenmeyer,  Ber.  13,  1078  (1880).  —  Baü- 
XAJTN,  Ber.  15,  1735  (1882). 

V.  MxTKR  n.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  53 


834  a-Ämidoderivate  der  Vdleriansäuren, 


Aether   unlöslich   ist;    da   es   durch  Einwirkung   von   salpetriger  Säure 
Glycerinsäure  liefert,  so  hat  man  ihm  wohl  eine  der  beiden  Formeln: 

CHj(0H).CH(NHa).C04H      oder      CH,(NH,).CH(OH).CO,H 

zuzuschreiben,  von  denen  die  erstere  für  wahrscheinlicher  gehalten  wird  ^ 
Die  a-Amidoderivate  der  Buttersäuren  und  Valeriansäuren 
besitzen  kein  besonderes  Interesse;  erwähnt  sei,  dass  Amidovalerian- 
säuren  in  der  Bauchspeicheldrüse  des  Ochsen  ^  und  in  Keimlingen  von 
Lupinus  luteus'  gefunden  sind. 

Dagegen  ist  eine  «-Amido-capronsäure  (oder  vielleicht  mehrere 
isomere,  vgl.  S.  835)  CßHio(NH2)C03H  von  hervorragender  physiologischer 
Bedeutung.  Man  ist  Substanzen  von  diesej  Zusammensetzung  häufig 
begegnet  und  hat  sie  Lencin  genannt;  vielleicht  sind  nicht  alle  unter 
diesem  Namen  beschriebenen  Körper  mit  einander  identisch.  Leucin  ist 
im  thierischen  (Trganismus  *  in  kleinen  Mengen  sehr  verbreitet,  und  zvar 
ausschliesslich  in  der  Drüsensubstanz  (nicht  in  den  Muskeln  und  Nerven). 
wird  auch  aus  Pflanzentheilen  (namentlich  aus  Keimlingen)  erhalten^ 
und  entsteht  aus  Eiweissstoffen  und  Leimsubstanzen®  durch  Fäuhiis> 
oder  durch  Zersetzung  mit  Säuren  oder  Alkalien;  Leucin  wird  häufig. 
sowohl  bei  seinem  Vorkommen  in  der  Natur  wie  bei  der  Bildung  durcli 
Spaltung  der  Albumine  etc.  von  Tyrosin  (vgl.  Bd.  IT)  begleitet.  So  entsteht 
es  gleichzeitig  mit  Tyrosin  beim  Kochen  von  Hornspähnen  mit  ver- 
dünnter Schwefelsäure  —  ein  Vorgang,  welcher  auch  zur  Darstellung" 
des  Leucins  benutzt  wird.  In  grösserer  Ausbeute  wird  es  aus  Nackeii- 
band  erhalten. 

Synthetisch^  bat  man  die  normale  a-Amidocapronsäure  CHg'OHfCII«' 
CH,'CH(NH8)«C02H  aus  a-Bromcapronsfiure  durch  Einwirkung  von  Ammoniak,  dif 
ff-Amidoisobutyles8igsäure  (CHj),CH •  CH, •  CH(NH,).CO,H  aus  Isovaleraldehvd- 


»  Vgl.  Melikopp,  Ber.  13,  1265  (1880j. 

»  GoRüP,  Ann.  98,  15  (1856).  —  Vgl.  Clark  u.  Fimo,  Ann.  139,  200  (1866). 

*  Schulze  u.  Barbieri,  J.  pr.  [2]  27,  353  (1883). 

*  Pkerichs  u.  Staedeler,  Jb.  1864,  675;  1855,  729;  1856,  702.  —  Valentine, 
Jb.  1854,  675  Anm.  —  Bödekeb,  Jb.  1866,  713.  —  Stadeleb,  Jb.  1856,  708  Amn 

—  GoRUP,  Ann.  98,  7  (1856).  —  W.  Müller,  Ann.  103,  157  (1857).  —  Schwaez»- 
BACH,  Jb.  1857,  538.  —  Radziszbwski,  Ztschr.  Chem.  1866,  416. 

*  Ludwig,  Jb.  1862,  516.  -  Gorup,  Ber.  7,  146  (1874).  —  Schulze  u,  Bak 
bieri,  J.  pr.  [2]  20,  400  (1879);  27,  356  (1883).  —  v.  Lippmakk,  Ber.  17,  288  (1SS4l 

—  E.  Schulze,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  212  (1892). 

*  Bopp,  Ann.  69,  20  (1849).  —  Hnn-ERBEBOER ,  Ann.  71,  75  (1849).  —  Zoui- 
KÖPER,  Ann.  82,  174  (1852).  — -  Leyeb  u.  Koller,  Ann.  83,  332  (1852).  —  Rrrr- 
HAusBN,  J.  pr.  107,  220  (1869).  —  Hlasiwetz  u.  Habermann,  J.  pr.  [2]  7,  397  U^"^'- 

—  E.  Schulze  u.  Barbieri,  J.  pr.  [2]  20,  409  (1879).  —  Schützenberoer,  Ann.  eh.  o 
16,  336  (1879). 

'  Schwanert,  Ann.  102,  222  (1857).  —  Erlemkeyer  u.  Schöfpeb,  Jb.  1859. 
596.  —  Hopmeister,  Ann.  189,  16  Anm.  (1877). 

8  HüFNER,  J.  pr.  [2]  1,  6  (1870).  —  E.  Schulze  u.  Likiernik,  Ber.  24,  669  (18911. 
Ztj^chr.  f.  physiol.  Chem.  17,  513  (1892). 


Capronsäuren  (Leudn)  und  höheren  Fettsäuren,  835 


ammoniak  durch  Einwirkung  von  Blausäure  gewonnen.  Mit  der  synthetischen  a-Amido- 
isobutylesBigsäure  identisch  hat  sich  das  aus  einem  pflanzlichen  Eiweissstoff  (Con- 
glutin)  hergestellte  und  optisch  inactiv  gemachte  (vgl.  unten)  Leucin  erwieseti;  auch 
scheinen  die  inactivirten  Leucinpräparate  aus  der  Eiweisssubstanz  der  Kürbissamen, 
sotirie  aus  Leim  und  Homspähnen  damit  identisch  zu  sein.  Dagegen  lieferte  das  aus 
Casei'n  gewonnene  Leucin  durch  Erhitzen  mit  Jodwasserstoff^  normale  Capronsäure  und 
wäre  hiernach  als  normale  Amidocapronsäure  anzusprechen.  Vielleicht  existiren  mithin 
natürliche  Leucine  von  verschiedener  Structur.  —  Das  natürlich  vorkommende  oder 
aus  natürlichen  Materialien  hergestellte  Leucin  ist  in  der  Begel  optisch  activ'  und 
zwar  in  salzsaurer  Lösung  rechtsdrehend,  wird  aber  durch  Erhitzen  mit  Baryt  auf 
150—160^  inactiv';  synthetisch  dargestelltes  Leucin  ist  inactiv;  aus  inactivem  Leucin 
entsteht  durch  Einwirkimg  von  Penicillium  glaucum  ein  actives,  dem  natürlichen 
optisch  entgegengesetztes  Leucin.  —  Das  natürliche  active,  aus  pflanzlichen  Eiweisstoffen 
bereitete  Leucin  löst  sich  in  45—46  Th.  Wasser  von  18^  und  liefert  eine  bei  7.H^ 
schmelzende  Oxycapronsäure;  die  inactive  oe-Amidoisobutylessigsäure  löst  sich  in 
106  Th.  Wasser  von  15^  und  liefert  eine  bei  54-5*^  schmelzende  Oxycapronsäure* 
(vgl.  S.  757—758). 

^formale  Ge-AmidoSnanthsaure»  CH8-(CH,)4CH(NH2)CO,H  bildet  farblose 
Blättchen  und  ist  in  kaltem  Wasser  schwer  löslich.  —  Amldoeaprylsäure®  CU^- 
(CHt)5-CH(KHs)-C0,H  bildet  perlmutterglänzende  Blättchen  und  löst  sich  in  150— 
160  Th.  siedendem  Wasser.  —  Amidomyristiiisäure ^  CH3.(CHs)ii.CH(NH,)C0jH 
schmilzt  bei  253°  und  ist  in  verdünnten  Säuren  unlöslich.  —  Amidopalmitinsäure  ^ 
CH3-(CHi)j3»CH(NH2)-C02H  bildet  ein  weisses,  krystallinisches  Pulver  und  ist  in 
Alkohol  und  Aether  nicht,  in  heissem  Eisessig  leicht  löslich.  —  Amidostearinstture^ 
CH8.(CH,)i5.CH(NH2)-CO,H  schmilzt  bei  221 -222°. 

B.     /?-,  y-y  d'  etc.  Amidoderivate  der  Fettsäuren. 

/S-Amidopropionsliure^^  CH3(NIl8)CH, -00,11  kann  aus  j9- Jodpropionsäure 
durch  Einwirkung  von  Ammoniak,  aus  ^- Oximidopropionsäure  durch  Reduction  mit 
Natriumamalgam,  aus  Oyanessigsäure  durch  Beduction  mit  Zink  und  Schwefelsäure, 
aus  Akrylsäureester  durch  Erhitzen  mit  alkoholischem  Ammoniak,  aus  Succinimid 
durch  Behandlung  mit  Brom  und  Alkali  (vgl.  S.  235)  erhalten  werden;  sie  bildet 
farblose,  tafelförmige  Krystalle,  ist  in  Wasser  sehr  leicht,  in  Alkohol  nicht  löslich 
und  schmilzt  bei  196^  unter  Zersetzung,  indem  Spaltung  in  Ammoniak  und  Akryl- 
saure  eintritt.  —  i^-AmidoisoTaieriansliure^^  (0Hj),0(NH8).0H,.OOjH  ist  durch  Oxy- 


^  HüFN£B,  Ztschr.  Ohem.  1868,  891.  —  Kwisda,  Monatsh.  12,  423  (1891). 

*  Lewkowitscb,  Ber.  17,  1439  (1884).   —   Mauthner,  Ztschr.  f.  physiol.  Ohem. 
7,  222  (1883).  —  Gute,  Ann.  eh.  [6]  25,  215  (1892). 

'  E.  Schulze  u.  Bosshabd,  Ber.  18,  388  (1885). 

^  £.  Schulze  u.  Likiernik,  Ber.  24,  669  (1891).  —  E.  Schulze,  Ber.  26,  56  (1893). 

*  Helms,  Ber.  8,  1168  (1875). 

®  Eblenmeter  u.  Siqel,  Ann.  176,  344  (1875). 
"*  Hell  u.  Twbrdomsdoff,  Ber.  22,  1747  (1889). 
^  Hell  u.  Jordanoff,  Ber.  24,  941  (1891). 

*  Hell  u.  Sadomsky,  Ber.  24,  2395  (1891). 

"  HEiirra,  Ann.  156,  36  (1870).  —  Enoel,  Ber.  8,  1597  (1875).  —  Muldbr,  Ber. 
9,  1903  (1876).  —  Wender,  Ber.  22c,  736  (1889).  —  Hooqewerf  u.  van  Dorf,  Rec. 
trav.  chim.  9,  54  (1890);  10,  4  (1891).  —  v.  Peohmann,  Ann.  264,  288  (1891). 

"  Heintz,  Ann.  198,  51  (1879).  —  Bredt,  Ber.  16,  2320  (1882). 

53* 


836  ß-,  y-f  S-Amidoderivaie  der  Fettsäuren,    Amidocrotonsäure, 

dation  Ton  Diacetonamin  (S.  416)  und  durch  Beduction  von  Nitroisovaleriansäure 
(S.  826)  erhalten,  schmilzt  bei  raschem  Erhitzen  etwa  um  215^,  sublimirt  aber  schon 
vorher. 

^^-Amidobnttersllure^  NH,-CH,CH,*CH,- 00,11  (Piperidinsäure)  entsteht 
durch  Oxydation  von  Piperylurethan  (vgl.  Bd.  II),  synthetisch  aus  /^Chlorbutyro- 
nitril  Cl  •  CH,  •  CHj  •  CH,  •  CN  mittelst  der  Phtalimidreaction ,  ist  in  Wasser  sehr  leicht 
löslich    und    schmilzt    bei    183  — 184®,    indem    sie   sich   in  Wasser  und  Pyrrolidon 

CHjCOv 

J  >NH  spaltet  (vgl.  S.  8B0).  —  T^-AmidoTaieriansllure*  CH3.CH(NHe)CH,- 

CH,  •  CH/ 

CH,  •  COsH  —  aus  dem  Hydrazon  der  Lävulinsäure  durch  Beduction  (vgl  S.  827)  — 

schmilzt  bei  193  <'. 

d-AmidoTalerianstture"  NH,.CH,.CHsCH,.CH,.CO,H  (Homopiperidin- 
säure)  entsteht  als  Benzoylverbindung  durch  Oxydation  von  Benzoylpiperidin  (vgl. 
Bd.  II),  entsteht  ferner  bei  der  Fftulniss  von  Fibrin  und  von  Fleisch  und  ist  syn- 
thetisch durch  eine  Combination  der  Phtalimid-  und  Malonsfiureesterreaction  gcTvonnen, 
die  aus  den  folgenden  Gleichungen  erhellt: 

CeH^JCAINK  +  BrCHj.CHj.CHj.Br  «  CeH^IC.OsjN.CHj.CH.CHjBr  +  KBr, 

CeH^lCaOjjN.CHjCHsCH.Br  +  NaCH(C0,.C,H5), 

=  NaBr  +  CeH4JCA|N-CH,.CH,.CH,.CH(C0,CA»i. 
CeH4tCA|N-CH,.CH,.CHj.CH(C0,.C8H5),  +  4H,0 

=  CeH,(CO,H),  +  NH,.CHj.CH,.CHjCH,.CO,H  +  CO,  +  2C,H5.0H. 

Sie  bildet  perlmutterglänzende  Blättchen,  ist  in  Wasser  in  jedem  Yerhältnias  lösUch, 
in  absolutem  Alkohol  fast  unlöslich,  schmilzt  bei   157—158®  und  zerfällt  dabei  in 

<CHj— CHjv 
>NH. 
CH,— €0/ 

0.    Amidoderivate  der  einbasischen  ungesättigten  Säuren. 

/S-AmidoerotonsKure«  CH8CH(NH,):CH.C04H  entsteht  in  Form  ihrer  Ester 
bei  der  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  die  E^ter  der  Acetessigsäure  CH,*CO-CH|- 
COgH  . —  so  z.  B.  der  Aethylester  aus  Acetessigäthylester,  indem  sich  zueist  ein 
Ammoniakadditionsprodukt  bildet,  das  aber  schon  bei  niederer  Temperatur  WsEser 
abspaltet: 

CHä-COCHsCCjCÄ  +  NHs  =  CH,.C(0H)(NH,).CH,.C0,.C,H5 

=  CH, .  C(NH,) :  CH  •  CO,  -  C^H.  +  H,0. 

Der  ^-Amidocrotousäureäthylester  bildet  stark  glänzende  monokline  Prismen, 
schmilzt  bei  34^,  destillirt  im  Vacuum  fast  unzersetzt,  ist  in  Wasser  kaum,  in  Alkohol 
und  Aether  leicht  löslich;  mit  wässriger  Salzsäure  regenerirt  er  sofort  unter  AbspHl* 


»  Schotten,  Ber.  16,  643  (1883).  —  Gabriel,  Ber.  22,  3338  (1889);  23, 
1770  (1890). 

'  Tafel,  Ber.  19,  2414  (1886);  22,  1860  (1889). 

3  E.  u.  H.  Salkowski,  Ber.  16,  1191  (1883).  —  Schotten,  Ber.  17,  2544  (1884i; 
21,  2240  (1888).  —  Gabriel,  Ber.  23,  1767  (1890).  —  Gabriel  u.  Aschan,  Ber,  24, 
1364  (1891). 

*  Precht,  Ber.  U,  1193  (1878).  —  Düisbero,  Ann.  213,  166  (1882).  —  Kxorb, 
Ber.  17,  1635  (1884).  —  Colue,  Ann.  226,  294  (1883).  Ber.  20,  445  (1887).  —  Cä^- 
zoNERi  u.  Spica,  Ber.  18  c,  141  (1885).  —  Kuckeet,  Ber.  18,  618  (1885).  —  Cokrap 
u.  Epstein,  Ber.  20,  3052  (1887).  —  Perkin,  Joum.  Soc.  61,  828,  859  (1892). 


Ämidomdlonsäure  und  Amidobemsteinsäure,  837 


tung  von  Ammoniak  Acetessigester.  Analoge  Verbindungen  entstehen  bei  der  Ein- 
wirkung von  primären  und  secundären  Aminen  auf  Acetessigester  und  bei  der  Ein- 
wirkung von  Ammoniak  auf  Monalkjlacetessigester  CHg  -  CO  •  CHB  •  CO^  •  CgH,,  dagegen 
nicht  bei  der  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Dialkylacetessigester  CHg^CO-CRg- 
COs-CcHg.  Hieraus  ergiebt  sich  auch  die  Berechtigung  der  durch  die  obigen  Glei- 
chungen ausgedrückten  Annahme  über  den  Heactionsverlauf ;  für  das  Einwirkungs- 
produkt von  Ammoniak  auf  Acetessigester  könnte  auch  die  Formel  des  Imidobutter- 
sSureesters  CHj-CCiNHj'CHj'COj-CjHg  aufgestellt  werden;  dann  aber  wäre  es  nicht 
verständlich,  warum  secundäre  Amine  dem  Ammoniak  gleich ,  zweifach  alkylirte 
Acetessigester  dagegen  nicht  ebenso  wie  Acetessigester  selbst  reagiren. 

D.   Amidoderivate  der  Dicarbonsäuren. 

AmidomalonsSure^  CH(NH2)(C02H),  entsteht  durch  Heduction  der  Isonitroso- 
malonsäure  00,11  •  C( :  N-0H)>C02H  mit  Natriumamalgam,  krystallisirt  aus  Wasser 
in  grossen  wasserhaltigen  Prismen,  spaltet  sich  beim  Schmelzen  in  Kohlensäure  und 
Gly kokoll  und  wird  durch  Jod  zu  Mesozalsäure  COjH-CO'COjH  oxydirt. 

Amldobernsteiiisäure  C02H-CH(NH2)CH2-COaH  ist  eine  Substanz 
von  grosser  physiologischer  Wichtigkeit;  in  Form  ihres  Monoamids  — 
des  unten  besprochenen  Asparagins  —  findet  man  sie  überaus  häufig  in 
der  Natur.  Dieser  Beziehung  .wegen  wird  sie  gewöhnlich  Asparaginsäure 
genannt,  und  man  stellt  sie  in  der  Regel  durch  Verseifung  des  Asparagins* 
mit  kochender  Salzsäure  dar;  als  Verseifungsprodukt  des  in  den  Zucker- 
rüben enthaltenen  Asparagins  (oder  vielleicht  auch  als  Zersetzungsprodukt 
von  Eiweissstoffen)  tritt  die  Säure  in  dem  mit  Kalk  geschiedenen  Rüben- 
saft der  Zuckerfabriken  auf  und  kann  namentlich  aus  der  Melasse  bequem 
gewonnen  werden^;  sie  wird  ferner  durch  Zersetzung  von  Eiweisskörpem * 
mit  verdünnter  Schwefelsäure  erhalten.  Die  Asparaginsäure  krystallisirt 
in  rhombischen  Blättchen,  löst  sicb^  in  222  Th.  Wasser  von  20®;  ihr 
Eupfersalz  CuC^HgNO^  +  ^^/^H^O  krystallisirt  in  Nadeln  und  erfordert 
2870  Th.  kaltes,  234  Th.  kochendes  Wasser  zur  Lösung,  löst  sich  da- 
gegen ziemlich  leicht  in  verdünnter  kochender  Essigsäure.  Sie  ist,  wenn 
nach  den  oben  angeflihrten  Bildungsweisen  unter  Vermeidung  zu  hoher 
Temperaturen  gewonnen,  optisch  activ®  —  und  zwar  in  stark  saurer 
Lösung  stark  rechtsdrehend,  in  wässriger  Lösung  schwach  linksdrehend, 
in  alkalischer  Lösung  stärker  linksdrehend  —  und  liefert  durch  Ein- 
wirkung  von   salpetriger  Säure   gewöhnliche  Aepfelsäure.     Eine  optisch 


^  Baeyes,  Ann.  131,  295  (1864). 

'  Plissok  n.  Henry,  Ann.  eh.  [2]  45,  304  (1830).  ~  Dessaiones,  Ann.  83,  83 
(1852).  —  B.  Schulze,  Ber.  16,  1872  (1883).  —  H.  Schiff,  Ber.  17,  2929  (1884). 

'  Scheibler,  Ztschr.  Chem.  1866,  278.  Ber.  2,  296  (1869).  —  Hofmeister,  Ann. 
189,  21  Anm.  (1877). 

*  Kreusler,  J.  pr.  107,  240  (1869).  —  Hitthausen,  ebenda,  218.  —  Hlasiwetz 
u.  Habermaitn,  J.  pr.  [2]  7,  408  (1873). 

*  GuAREscHi,  Jb.  1876,  777. 

*  Pasteür,  Ann.  82,  324  (1852).  --  Landolt,  Ber.  13,  2334  (1880).  —  A.  Becker, 
Ber.  14,  1035  (1881). 


838  Asparaginsäuren 


entgegengesetzte,  in  Rechtsäpfelsäure  überführbare  Asparaginsäure  erhält 
man  durch  Verseifung  des  süssen  Asparagins  ^  (vgl.  S.  839).  *  Durch  Ver- 
einigung der  beiden  optischen  Isomeren  erhält  man  die  inactive  As- 
paraginsäure^ (Asparacumsäure),  welche  aus  den  activen  Asparagin- 
säuren und  Asparaginen  auch  beim  Erhitzen  mit  Salzsäure  auf  170— 180^ 
femer  durch  Erhitzen  von  saurem  äpfelsaurem  Ammonium  auf  180— 200  ^ 
durch  Erhitzen  von  Fumarsäure  oder  Maleinsäure  mit  alkoholischem 
oder  wässrigem  Ammoniak  und  als  Ester  aus  dem  Oxim  des  Oxalessig- 
esters  C2HßC03-C(:N-OH)-CH3C02-CjHß  durch  Eeduction  mit  Natrium- 
amalgam entsteht. 

Die  S.  837  erwähnte  Erscheinung,  dass  die  saure  Lösung  der  Asparaginsäure  auf 
die  Schwingungsebene  des  polarisirten  Lichtstrahls  in  umgekehrter  Richtung  drehend 
wirkt  wie  die  alkalische,  findet  sich  bei  vielen  Amidosäoi'en  wieder.  Sie  findet  eine 
hübsche  Erklärung  in  gewissen  theoretischen  Anschauungen  über  die  Abhängigkeit 
des  Drehungsvermögens  von  der  Vertheilung  der  Massen  um  das  asymmetrische 
Kohlenstofiktom.  Auf  diese  neuerdings  von  Gttye'  entwickelten  Anschauungen  kann 
an  dieser  Stelle  nicht  näher  eingegangen  werden;  nur  die  Art  ihrer  Anwendung  auf 
den  in  Rede  stehenden  Fall  sei  angedeutet  Bei  der  Auflösung  der  Amidosäure  in 
Alkali  wird  in  Folge  der  Salzbildung  die  Carboxylgmppe,  umgekehrt  bei  der  Auf- 
lösung in  Säuren  die  Amidogruppe  beschwert;  die  Verrückung,  welche  der  Schwer- 
punkt des  ganzen  Systems  hierdurch  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  erfährt,  vird 
als  die  Ursache  für  die  Aenderung  der  Drehungsrichtung  aufgefiasst. 

Für  das  Monoamid  der  Asparaginsäure  (Amidosuccinaminsäure) 

lassen  sich  zwei  Structurf'älle: 

CH(NH2) .  CO .  NH,         CH(NHj)  •  CO  •  OH 

I  und   I 

CHa CO .  OH         CHj CO .  NH, 

voraussehen,  deren  jeder  wieder  die  Existenzmöglichkeit  einer  rechts- 
drehenden, linksdrehenden  und  racemischen  Modification  einschUesst. 

Das  gewöhnliche  Asparagin  —  so  genannt,  weil  es  zuerst  in  den 
Sprossen  von  Asparagus  officinalis  aufgefunden  wurde*,  —  ist,  wie  S.83T 
schon  erwähnt,  im  Pflanzenreiche  sehr  verbreitet^-®;  namentlich  in  Keim- 


1  PiüTTi,  Jb.  1887,  1661. 

«  Dessaiqnes,  Compt  rend.  30,  324  (1850);  81,  483  (1850).  —  Wolfp,  Ann.  75, 
293  (1850).  —  Pasteüb,  Ann.  82,  826  (1852).  —  Schaal,  Ann.  157,  30  (1871>  - 
Michael  u.  Wino,  Ber.  17,  2984  (1884).  —  Piurri,  Jb.  1887,  1662,  1730;  1888,  1811. 

—  Engel,  Compt.  rend.  104,  1805  (1887);  106,  1734  (1888).  —    Körher  u.  Mesozu. 
Ber.  21c,  87  (1888). 

3  Ann.  eh.  [6]  25,  145  (1892). 

*  Vauquelin  u.  Robtqüet,  Ann.  eh.  57,  88  (1806): 

*  Vgl.  DuBRUNPAUT,  J.  pr.  53,  508  (1851).  —  Dessaignes,  Ann.  82,  237  (1852). 

—  Portes,  Ber.  9,  1934  (1876).  —  E.  Schulze  u.  Barbteri,  J.  pr.  [2]  20,  398  (1S79); 
26,  145  (1881);  27,  340  (1883). 

^  Ueber  die  Rolle,  welche  das  Asparagin  bezw.  ähnliche  Amidsubstanzen  in  dem 
Emährungsprocess  der  Pflanzen  spielen,  vgl.:  Sachs,  Vorlesungen  über  Pflanzen- 
Physiologie,  S.  343  (Leipzig,  1887).  —  Frank,  Lehrbuch  d.  Botanik,  Bd.  I,  S.  611. 
616  (1892). 


und  Asparagine.  839 


lingen  findet  man  es  häufig  und  zuteilen  in  sehr  grosser  Menge,  so  in 
Lupinenkeimlingen  bis  zu  einem  Betrage  von  20 — 30^0  der  Trocken- 
substanz; erwähnt  sei  ferner  das  Vorkommen  in  Mandeln,  in  den  Knospen 
von  Birken  und  Kastanien.  Zur  Darstellung^  benutzt  man  zweckmässig 
den  Saft  gekeimter  Wicken,  Bohnen  oder  Erbsen.  Es  bildet  mit  1  Mol. 
HgO  grosse  rhombische,  hemiedrische  Prismen,  löst  sich  in  47  Th.  Wasser 
von  20^,  ist  in  Alkohol  unlöslich,  dreht*  in  wässriger  Lösung  nach  links 
(Md^^  in  l-4procentiger  Lösung  =  —  5-43)  und  ist  geschmacklos; 
durch  Verseiftmg  geht  es  in  Asparaginsäure  über  (s.  S.  837). 

Bei  der  Erystallisation  des  aus  Wickenkeimlingen  dargestellten 
Asparagins  erhält  man  neben  dem  gewöhnlichen,  linkshemiödrischen 
Asparagin  ebenso  ausgebildete,  aber  rechtshemiedrische  Krystalle  des 
optisch  entgegengesetzten,  in  wässriger  Lösung  rechtsdrehen- 
den Asparagins'  (Md=  +  5*41),  welches  sich  von  dem  gewöhnlichen 
Asparagin  wesentlich  durch  seinen  süssen  Geschmack  unterscheidet. 
Diese  sehr  merkwürdige  Erscheinung  erklärt  Pasteur*  durch  die  An- 
nahme, dass  bei  der  Sinneswahmehmung  die  Nervensubstanz  die  Rolle 
eines  optisch  activen  Stoffes  spielt,  demnach  auf  die  beiden  optischen 
Antipoden  verschieden  reagirt  (vgl.  Linksmilchsäure,  S.  807),  im  einen 
Falle  den  süssen,  im  anderen  Falle  den  faden  Geschmack  veranlasst.  Die 
beiden  optischen  Antipoden,  zu  gleichen  Gewichtstheilen  in  Wasser  auf- 
gelöst, geben  natürlich  eine  inactive  Lösung,  aus  der  sich  aber  beim 
Verdunsten  nicht  eine  racemische  Modification  des  Asparagins,  sondern 
ein  Gemenge  der  beiden  activen  Modificationen  abscheidet.  Es  resultirt 
auch  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Ammoniak  auf  den  durch 
directe  Esterificirung  erhältlichen,  gegen  200®  schmelzenden  Monoäthyl- 
ester  der  inactiven  Asparaginsäure  (s.  S.  838)  ein  Gemenge  der  beiden 
activen  Asparagine,  ebenso,  wenn  man  das  durch  Einwirkung  von  alko- 
holischem Ammoniak  auf  Brombemsteinsäureester  erhältliche  Imid  der 
Asparaginsäure  durch  Erhitzen  mit  wässrigem  Ammoniak  in  Asparagin 
umwandelt*: 

— COv  — CONH, 

CjHaCNH,)  >NH  +  H,0   =  CgHsCNHg) 

— C(K  -CO  OH 

Biegen  ist  ein  inactives  Asparagin®  aus  einem  Asparaginsäureester 


*  PiBiA,  Ann.  68,  348  (1846).  —  Büchner,  Jb.  1862,  310.  —  Gorup,  Ann.  126, 
291  (1868).  —  E.  Schulze,  Ber.  15,  2855  (1882). 

*  Pastedr,  Ann.  eh.  [3]  31,  70  (1851).  —  Champion  u.  Pellet,  Ber.  9,  724  (1876). 
—  Landolt,  Ber.  13,  2338  (1880).  —  A.  Becker,  Ber.  14,  1028  (1881).  —  Piutti, 
Jb.  1887,  1661. 

»  Piutti,  Jb.  1886,  1343;  1887,  1660. 

*  Compt  rend.  103,  138  (1887). 

*  Körner  u.  Menozzi,  Ber.  20  c,  511  (1887).  —  Vgl.  auch  Hell  u.  Poliakofp, 
Ber.  26,  640  (1892). 

«  Piutti,  Jb.  1888,  1811  ff.    Ber.  23  o,  561  (1890). 


840  Oluiaminsäure  und  Glutamin. 


durch  Erwärmen  mit  alkoholischem  Ammoniak  gewonnen  worden,  welcher 
durch  Eeduction  der  Oximidoätherbernsteinsäuren  C^Hj-CO^-CXtKOH)- 
CHg-COjH  entsteht  und  bei  165®  schmilzt;  dieser  Bildungsweise  zufolge: 

(X :  N .  OH) .  COj .  C,Hö  CH(NH,)  •  CO,  •  C^Hj  CH(NH,)  •  CO  •  NH, 

>   I  >-   I 


CH,-CO,H  CH,— CO,H  CH.-CO.H 

wäre  dem  inactiven  Asparagin  von  den  S.  838  als  möglich  hingestellten 
Formeln  die  erste  zuzuschreiben.  Da  sich  die  beiden  activen,  natür- 
lichen Asparagine  nicht  zu  dem  inactiven  Asparagin  combiniren.  so 
kommen  ihnen  und  dem  entsprechenden  inactiven  Asparaginsäuremono- 
äthylester  vermuthlich  die  Structurformeln: 

CH(NH,) .  CO .  OH  CH(NH,)  •  CO  •  OH 

I  bezw,       1 
CH,  -CO  •  NH,  CH,-CO,  •  CjHj 

zu. 

Aus  dem  Oxim  des  Oxalessigesters  C2Hß-COa-C(:N.OH)CH,-C0,- 
CgHg  kann  durch  Eeduction  je  nach  den  Bedingungen  sowohl  der  das 
inactive  Asparagin  liefernde,  wie  der  das  Gemenge  von  activen  Aspara- 
ginen  liefernde  Asparaginsäuremonoäthylester  gewonnen  werden. 

Amldoglntarsfture^  C02HCH2.CH2.CH(NH3j)COjH  —  häufig  auch 
inconsequenter  Weise  Glutaminsäure  genannt,  obwohl  dieser  Name 
eigentlich  nicht  einer  Amidosäure,  sondern  der  Aminsäure  COjH-CHj-CH,- 
CHj  •  CO  •  NHj  zukommt,  —  schliesst  sich  nicht  nur  in  ihrer  Constitution  an  die 
Asparaginsäure  an,  sondern  ist  auch  durch  gemeinsames  Vorkommen  und 
Entstehung  eng  mit  deraelben  verknüpft.    In  Gestalt  des  dem  Asparagin 

analogen  Glutamins  C3Hg(NH,) po^NTT  ^^^^  ^^^  ^^^^  zugleich  mit  dem 

2 

Asparagin  im  Rübensaft,  femer  in  Keimpflanzen  (Kürbis-  und  Wicken- 
keimlingen),  zugleich  mit  Tyrosin  in  den  Wurzelknollen  von  Stachys 
tuberifera.  Neben  Asparaginsäure  tritt  sie  auch  bei  der  Spaltung  der 
Eiweisskörper  auf.  Sie  krystallisirt  in  kleinen  Blättchen,  schmilzt  unter 
Zersetzung  bei  202 — 202-5^,  ist  in  wässriger  Lösung  rechtsdrehend 
und   liefert   bei   der   Einwirkung   von   salpetriger  Säure  Oxyglutarsäure 

(S.  815).     Das  Glutamin  CgHßCNfljj)^^  g^»     krystallisirt    aus    Wasser 

in  feinen  Nadeln,  löst  sich  in  etwa  25  Th.  Wasser  von  16^  und  isfiii 


*  Ritthausen,  J.  pr.  09,  454  (1866);  103,  238,  249  (1868);  106,  445;  107,  21S 
(1869).  —  Ritthausen  u.  Kreubleb,  J.  pr.  [2]  3,  814  (1871).  —  Habebmann,  Ann.  170, 
248  (1875).  —  Hofmeister,  Ann.  180,  22  (1877).  —  Hlasiwetz  u.  Habebmank,  J.  pr.  [2' 
7,  "403  (1879).  —  Scheibler,  Ber.  2,  297  (1869);  17,  1725  (1884).  —  Gorup,  Ber.  10. 
780  (1877).  —  E.  Schulze  u.  Ubich,  ebenda,  85.  —  E.  Schulze  u.  Barbiebi,  ebenda, 
199.  J.  pr.  [2]  20,  385  (1879).  —  Haitikoeb,  Monatsb.  3,  228  (1882).  —  E.  Scbulzk 
u.  Bosshabd,  Ber.  16,  312  (1883);  17,  1610  (1884);  18,  388,  390  (1885).  —  E.  Schulze, 
Ztechr.  f.  pbysiol.  Chem.  0,  256  (1885).  —  v.  Planta,  Ben  23,  1699  (1890j.  — 
L.  WoLPP,  Ann.  260,  118  (1890).   —  Menozzi  u.  Appioni,  Ber.  24o,  398  (1891). 


Diaxosäuren.  841 


starkem  Weingeist  unlöslich.  Spaltet  man  Eiweisskörper  mit  Barj't- 
wasser  bei  150 — 160®,  so  erhält  man  eine  inactive  Amidoglutarsäure, 
welche  durch  Einwirkung  von  Penicillium  glaucum  die  linksdrehende 
Amidoglutarsäure  liefert  und  synthetisch  durch  Reduction  von  a-Isonitroso- 
glutarsäure  C02H-C(:N-OH).CHj-CH,-C02H  gewonnen  ist.. 

BiazosSuren,  Hydrazlsäoren,  Hydrazinsäuren. 

Es  ist  eine  charakteristische  Eigenthiimlichkeit  der  Verbindungen, 
welche  die  Amidgruppe  in  einen  aromatischen  Kern  —  z.  B.  in  den 
Benzolkem  C^Hg  —  eingefügt  enthalten,  unter  der  Einwirkung  von  sal- 
petriger Säure  in  sogenannte  „Diazoverbindungen"  überzugehen 
{Näheres  s.  in  Bd.  11).  Diese  aromatischen  Diazoverbindungen  enthalten 
die  aus  zwei  Stickstoffatomen  gebildete  Gruppe  —  N — "N  —  einerseits 
an  ein  aromatisches  Badical,  andererseits  an  ein  Halogenatom  oder 
durch  Vermittelung  von  Sauerstoff  an  ein  Säureradical  gebunden,  z.  B.: 

CeH,— N :  N-Cl  CeHg-N  :  N— 0  •  NO« ; 

Diazobenzolchlorid  Diazobenzolnitrat 

man  kann  sie  als  Salze  von  Diazohydroxyden,  wie  CgHg — N:N — OH, 
aufGsissen.  Sie  sind  durch  eine  ausserordentliche  Beactionsfähigkeit  aus- 
gezeichnet und  namentlich  geneigt,  die  Diazogruppe  in  Form  von  freiem 
Stickstoff  abzuspalten  und  dabei  je  nach  den  Beactionsbedingungen  gegen 
andere  Gruppen  —  Cl,  Br,  J,  OH,  SH,  CN  etc.  —  auszutauschen. 

Den  Amidokörpem  der  Fettreihe  dagegen  geht  die  Fähigkeit,  in 
Diazoverbindungen  tiberzugehen,  im  Allgemeinen  ab.  Lange  hat  man 
vergeblich  nach  aliphatischen  Repräsentanten  der  Diazoverbindungen  ge- 
sucht; das  von  Zobn  1878  entdeckte  Diazoäthoxan  CgH^O-N  =  N-O-CaHg 
(S.  205)  enthält  zwar  die  Gruppe  — N=N — ,  aber  doch  nicht  an 
Kohlenstoff  gebunden.  Im  Jahre  1883  machte  Cüetiüs  endlich  die  folgen- 
reiche Beobachtung,  dass  die  Ester  der  Amidosäuren  ein  Verhalten  gegen 
salpetrige  Säure  zeigen,  welches  an  das  Verhalten  der  aromatischen 
Amine  erinnert;  sie  gehen  in  Ester  ron  Biazosftnren  über.  Diese 
seither  von  Cubtius  eingehend  untersuchten  Verbindungen  sind  nicht 
nur  an  sich  durch  ihre  Existenz,  ihre  Eigenschaften  und  ihre  Eeactions- 
fahigkeit  interessant,  sie  haben  'eine  besondere  Bedeutung  auch  für  die 
anorganische  Chemie  erlangt;  denn  von  ihnen  ausgehend,  gelangte  Cur- 
Tirs  unter  Benutzung  von  Reaktionen,  in  denen  die  Doppelstictstoff- 
gruppe  vom  Kohlenstoffkern  sich  loslöst,  zu  der  Entdeckung  des  Diamids 
HgN'NHg,  dessen  Studium  ihn  weiterhin  zur  Auffindung  der  Stickstoff- 

wasserstoffsäure    i|  yNH  führte. 

Die  Diazoester  besitzen  nicht  ganz  analoge  Structur^,  wie  die  aro- 
matischen Diazoverbindungen;    die  Diazogruppe  — N^^N —  ist  in  ihnen 

*  Cubtius,  J.  pr.  [2]  39,  107  (1888).     Ber.  28,  3036  (1890). 


842  Diaxoessigester. 


beiderseits  an  ein  und  dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden  anzonehmeii. 
So  ist  z.  B.  die  Bildung  von  Diazoessigester  aus  GlykokoUester  bezw. 
aus  dem  vorübergehend  entstehenden  Nitrit  des  letzteren  (vgl.  S.  832) 
durch  die  Gleichung: 

CjHsO.COCH,       +  NO. OH  =  CjHs •  0 •  CO •  CH<    I    +  2HjO 

^N 

auszudrücken.    Diese  Auffassung  wird  durch  die  Zusammensetzung  und 

das  Verhalten  der  Diazoester  geboten;  sie  wird  ferner  dadurch  bewiesen, 

dass  man  dieselbe  Verbindung,  welche  aus  a-Amidopropionsäuremethyl- 

ester  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  entsteht,  erhält,  wenn  man 

auf  Brenztraubensäureester  zunächst  Diamid  einwirken  lässt: 

CH3V  CH3V      /NH 

>C0  +  HjNNH,   =  >C<   I      +  HjC 

CHsOCO/  CHgO-CO/    ^NH 

und  den  so  entstandenen  Hydrazipropionsäureester  mit  Quecksilberoxyd 

oxydirt : 

CHgv       /NH  CHjv       /N 

>C<  I      +  HgO  =  >C<  li  +  Hg  +  H,0. 

CH3.O.CO/     \NH  CHaO-CO^    ^N 

DerBIazoesslgsäureäthylester^  CgHgOCOCHNg  (Azomethylen- 
carbonsäureester^)  ist  die  am  ausftihrlichsten  untersuchte  Diazover- 
bindung  der  Fettreihe.  Man  erhält  ihn  durch  Einwirkung  von  nasci- 
render  salpetriger  Säure  auf  salzsauren  GlykokoUester  und  reinigt  ihn 
durch  Destillation  mit  Wasserdampf.  Er  stellt  ein  goldgelbes  Oel  von 
eigenthümlichem  st-arkem  Geruch  dar,  das  mit  Aether  und  Alkohol  misch- 
bar, in  Wasser  kaum  löslich  ist,  bei  24^  das  spec.  Gewicht  1-083  besitzt 
und  in  der  Kälte  zu  einer  bei  —  22^  schmelzenden  Masse  erstarrt  In 
unreinem  Zustand  verpufft  er  leicht  schon  bei  wenig  erhöhter  Temperatur; 
in  ganz  reinem  Zustand  dagegen  können  kleine  Mengen  (2 — 3  g)  aus  dem 
Oelbad  unzersetzt  destillirt  werden  und  gehen  unter  720  mm  Druck  bei 
140 — 14P  über.  Kalium  und  Natrium  lösen  sich  in  dem  Diazoester*unter 
Wassejrstoflfentwicl^elung  auf;  der  Ester  löst  sich  seinerseits  in  wässrigen 
Alkalien  und  Ammoniak  und  kann  diesen  Lösungen  kurz  nach  ihrer  Be- 
reitung mit  Aether  wieder  entzogen  werden,  während  bei  längerer  Ein- 
wirkung die  S.  843  besprochenen  Umwandlungsprodukte  entstehen;  diese 
Erscheinungen  und  die  Existenz  der  schön  krystaUisirenden,  sehr  explo- 
siven Quecksilberverbindung  Hg(CN3-C02-C3H5)2  zeigen,  dass  der  Diazo^ 
essigester  ein  durch  Metallatome  vertretbares  Wasserstoffatom  enthält. 

Seine  Natur  als  Diazoverbindung  giebt  der  Ester  in  zahlreichen 
Reactionen  zu  erkennen,  die  unter  Entwickelung  des  Stickstoffgehalts  in 

*  CüRTiüs,  Ber.  10,  2230  (1883);  17,  953  (1884);  18,  1283,  1302  (1885);  20, 
1632  (1887)  J.  pr.  [2]  38,  396  (1888).  —  Büchner  u.  Cürtius,  Ber.  18,  2371,  2377 
(1885).  —  Buchner,  Ber.  21,  2637  (1888);  22,  842  (1889).  Ann.  273,  214  (1892).- 
CüRTius  u.  Lang,  J.  pr.  (2]  88,  531  (1888). 

^  Nomenclatiir  vgl.  Cürtius,  J.  pr.  [2]  44,  96  (1891). 


THazoessigsäure.  843 


Form  von  freiem  Stickstoff  sich  abspielen.  So  geht  beim  Eintropfen  des 
Esters  in  kalte  concentrirte  Salzsäure  die  Reaction: 

CHN, .  CO, .  Ca  +  HCl     =     CHjCl  •  CO,  •  C^U^  +  N, 
mit  explosionsartiger  Heftigkeit  vor  sich;  in  Berührung  mit  concentrirter 
Schwefelsäure  erfolgt  heftige  Detonation;  Erhitzen  mit  Wasser,  Alkohol 
oder  organischen  Säuren  bewirkt  Bildung  von  Glykolsäureester,   seinen 
Alkyl-  oder  Acylderivaten: 

CHN, .  CO,  ■  CjHj  +  H,0  =  CH,(OH)  •  CO,  •  C^Hg  +  N, 

CHN, .  CO, .  C,H5  +  CjHft .  OH        =  CH,(0  •  C,Hß)  •  CO,  •  CjHg  +  N, 
CHN3.CO,.C,H5  +  CHaCOOH  =  CH,(O.CO.CH3).CO,.C,H5  +  N,. 

Die  Halogene  wirken  schon  in  der  Kälte  unter  Erzeugung  dihalogenirter 

Essigsäureester  ein: 

CHN, .  CO, .  CHß  +  J,     =     CH  J, .  CO,  •  C^U^  +  N,. 

Mit  den  Estern  ungesättigter  Säuren  tritt  Diazoessigester  zu  Additions- 
produkten zusammen,  die  beim  Erhitzen  in  Stickstoff  und  die  Ester  von 
Carbonsäuren  des  Trimethylens  zerfallen,  z.  B.: 

(CO, .  C,H5)-CH  (CO, .  C,H5)~CHv 

1     +CHN,.C0,.C,H5    =  i      >CH.C0,.C,H5  +  N,. 

(CO, .  C,H5)~  CH  (CO, .  CjHfi)-  CH/ 

Ebensowenig  wie  es  gelingt,  aus  den  freien  Amidosäuren  durch  Ein- 
wirkung von  salpetriger  Säure  die  freien  Diazosäuren  zu  erhalten  (vgl. 
S.  829),  ebensowenig  kann  man  von  den  Diazoestem  durch  Verseifung 
zu  den  Diazosäuren  gelangen.  Wenn  man  die  kalte  Lösung  der  Diazoessig- 
ester in  verdünnten  Alkalien  einige  Zeit  sich  selbt  überlässt,  so  erfolgt 
zwar  Verseifung  und  Bildung  von  Salzen  der  Diazoessigsäure;  aber  schon 
beim  Einleiten  von  Kohlensäure  in  diese  Lösung  imter  starker  Abküh- 
lung tritt  Stickstoffentwickelung  ein.  Bewirkt  man  die  Verseifung  durch 
starkes  wässriges  Ammoniak,  so  erhält  man  als  Hauptprodukt  das 
Diazoacetamid  CHNg.CO'NHg,  welches  aus  Wasser  in  gelben  durch- 
sichtigen Tafeln  krystallisirt,  bei  114®  unter  heftiger  Gasentwickelung 
schmilzt,  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich  ist,  von  Mineralsäuren 
schon  in  der  Kälte  unter  Stickstoffentbindung  zersetzt  und  durch  Ein- 
wirkung von  Jod  in  Dijodacetamid  übergeführt  wird. 

Sehr  eigenthümliche  Veränderungen  erleiden  die  Diazoester  bei  der  Ver- 
seifung mit  concentrirten  wässrigen  Alkalien:  es  tritt  gleichzeitig 
Verseifung  und  Polymerisation  ein;  man  erhält  aus  Diazoessigester  Salze 
von  der  Zusammensetzung  der  diazoessigsauren  Salze,  welche  sich  aber 
von  einer  trimolecularen,  auch  im  freien  Zustand  beständigen  Säure 
ableiten  —  von  der  Trlazoessigsäure  C3H3Nß(C02H)3  oder  Triazotri- 
methy lentricarbonsäure,  deren  Structur  vermuthlich  durch  die  Formel : 

/N  :  N-CH;-CO,H 

/  \x 

CO,H-CH 

\         / 

\n  :  N-CH  -CO,H 


844  Diazopropionsäureester,  Diaxobemsteinsäureester. 


auszudrücken  ist.  Triazoessigsäure  krystallisirt  je  nach  den  Bedingungen 
mit  2  oder  3  Mol.  Wasser;  die  dreifach  gewässerte  Säure  bildet  tief- 
orangegelbe  Tafeln,  zersetzt  sich  durch  schnelles  Erhitzen  bei  149^. 
schmilzt  bei  152®  und  liefert  bei  155®  unter  lebhafter  Kohlensäure- 
entwickelung eine  farblose  Flüssigkeit;  sie  ist  in  kaltem  Wasser  fast 
unlöslich,  in  kaltem  absolutem  Alkohol  sehr  leicht  löslich,  wird  von 
heissem  Wasser  und  Alkohol  allmählich  zersetzt,  von  Jod  in  alkalischer 
Lösung  nicht  angegriffen.  Ihre  Ester  sind  mit  Wasserdampfen  nur 
schwer  flüchtig,  gegen  kochendes  Wasser  beständig;  der  Aethylester 
bildet  prachtvolle  morgenrothe  Prismen  und  schmilzt  bei  110®;  seine 
Moleeulargrösse  ist  durch  kryoskopische  Bestimmung  sichergestellt  Alle 
Derivate  der  Triazoessigsäure  färben  sich  prachtvoll  carminroth,  weon 
die  Dämpfe  rauchender  Salpetersäure  auf  sie  einwirken.  Von  grösstem 
Interesse  ist  die  Spaltung,  welche  die  Triazoessigsäure  beim  Erwärmen 
mit  Wasser  oder  verdünnten  Säuren  erleidet,  —  sie  zerfällt  in  Oxalsäure 
und  Diamid: 

,N :  N-CH.CO,H  +  NH,.NH,  +  CO.HCO.H 

CO.HCH  ?  +  6H,0  =  CO.H.CO.H  +  |    *         ; 

\  /  •         NH, 

N :  N-CHCO.H  +  NH,.NH,  +  CO.HCOjH 

auf  diesem  Wege  ist  das  Diamid  zum  ersten  Mal  erhalten  worden. 

a-Biazoproplonstturemethylester^  CHs-CNg-COs-CH,  (^lethjlazometbjlen- 
carbonsfiureester,  Nomenclatiir  vgl.  S.  842)  Biedet  unter  18  mm  Druck  bei  53— 55'- 
und  ist  viel  weniger  beständig  als  Diazoeesigester. 

Biazobernsteinsttureester *  CgHs  •  CO,  •  CH,  •  CN,  •  CO,  •  C,H5  (M e th y  1  azome- 
thjlendicarbonsftureester)  zersetzt  sich  beim  Versuch,  ihn  im  Yacuum  zu  destil- 
liren,  unter  Explosion  gegen-  150^  bei  12  mm  Druck,  zerfällt  durch  Kochen  mit  Wasser 
in  Stickstoff  und  Fumarsäureester  und  liefert  bei  der  Einwirkung  von  Ammoniak  den 
schön  krystallisireQden  Diazosuccinaminsäureester  C,H5-CO,-C,H,X,>C0-NHt 
(Schmelzpunkt  110— 112<>). 

Als  Reductionsprodukte  der  Diazosäuren  können  die  Hydrazisäuren  and 
Hydrazinsäuren,  wie 

/NH 
CH,.C<:   ,  CHj.NHNH, 

I  ^NH  1 

'  CO,H 

CO,H 

Hydrazipropionsäure  Hydrazinessigsfiure 

au%efa8st  werden. 


*  CuRTiüs  u.  Koch,  J.  pr.  [2]  38,  487  (1888).  —  Curtiüs  u.  Lang,  Ber.  23, 
3037  (1890).     J.  pr.  [2]  44,  559  (1891). 

«  Curtiüs  u.  Koch,  Ber.  18,  1293  (1885);  19,  2460  (1886).  J.  pr.  [2]  38,  472 
(1888).  —  Curtiüs  u.  Lang,  J.  pr.  [2]  44,  562  (1S91). 


Uydraxipropionsäwreester.     Hydrazinessigsäure.  845 


a-HydrazlpropionsKuremethylester^  (ygl.  Bildung  und  Verhalten  S.  842)  kry- 
stallisirt  in  farblosen  Nadeln,  schmilzt  bei  82^,  ist  in  Alkohol  und  Aether  leicht,  in 
Wasser  etwas  weniger  leicht  löslich. 

Hydrazlnessisrsäure'  (Methylhjdrazincarbonsäure,  AmidoglykokoU) 
entsteht  neben  Benzoylhydrazin  bei  der  Einwirkung  von  Diamid  auf  Benzoylglykol- 
säureester: 

CeHs.CO.O.CHj.COj.CjHB  +  2NH,.NH,- 

=  CeHj.CONHNH,  +  NH,  •  NJE  •  CH,  •  CO,H  +  C.HgOH, 

bildet  grosse  Tafeln,  schmilzt  bei  98°,   ist  in  kaltem  Wasser  sehr  leicht,  in  Aether 
nicht  löslich,  schmeckt  deutlich  süss  und  kühlend  und  reagirt  neutral. 


Zweiunddreissigstes  Kapitel. 

Mehrwerthige  Aldehyde,  mehrwerthige  Eetone,  Eetoaldehyde. 

Bialdehyde. 

Der  einfachste  Dialdehyd  und  zugleich  der  in  der  Fettreihe  einzig 
bekannte  Repräsentant  dieser  Klasse  ist  die  Verbindung,  deren  Molecül 
aus  zwei  Aldehydgruppen  besteht: 

0:HC-CH:0, 
die  als  Aldehyd  der  Oxalsäure  aufgefasst  werden  kann  und  als  Glyoxal 
bezeichnet  wird. 

GlyoxaP  C^H^Og  (Diformyl)  entsteht  durch  Oxydation  von  Aethyl- 
alkohol  und  Acetaldehyd  mit  Salpetersäure  (vgl.  S.  159);  für  die  Darstel- 
lung ist  es  zweckmässig,  vom  gewöhnlichen  Aldehyd  oder  vom  Paraldehyd 
auszugehen.  Man  erhält  das  Glyoxal  beim  Eindampfen  seiner  wässrigen 
Losung  auf  dem  Wasserbade  als  farblose  amorphe  harte  Masse,  die 
noch  viel  Wasser  enthält  und  in  Wasser  leicht  löslich  ist;  nach  dem 
Trocknen  im  Vacuum  bei  110 — 120®  löst  es  sich  nur  sehr  langsam  in 
Wasser  auf  und  hält  noch  immer  etwas  Wasser  zurück.  Die  physika- 
lischen Eigenschaften  des  Glyoxals  erscheinen  merkwürdig  bei  einem 
Vergleich  mit  dem  flüssigen  und  leicht  flüchtigen  Diacetyl  CHgCO- 
CO-CH3,  das  als  Dimethylderivat  des  Diformyls  aufgefasst  werden  muss; 
man  könnte  daher  der  Ansicht  zuneigen,  das  Glyoxal  sei  eine  polymere 
Modification  des  Diformyls ;  diese  Ansicht  wird  indess  durch  das  chemische 
Verhalten  des  Glyoxals  nicht  gestützt,  denn  das  Glyoxal  reagirt  durch- 
aus wie  eine  wahre  Carbonylverbindung.  —  Als  Aldehyd  erweist  sich  das 
Glyoxal  durch  die  Fälligkeit,  ammoniakalische  Silberlösung  unter  Spiegel- 
bildung zu  reduciren,   als  Dialdehyd   durch   die  Zusammensetzung  der 


*  CuETiüs  u.  La»o,  J.  pr.  [2]  44,  557  (1891).  »  Curtius,  Ber.  23,  3029  (1890\ 

»  Debus,  Ann.  102,  20  (1857);  110,  323  (1859).—  Schiff,  Ann.  172,  1  (1873).  — 

LjUBAvm,  Ber.  10,  1366  (1877);  14,  2685  (1881);  15,  8087  (1882).  —  Hantzsch,  Ann. 

222,  66  (1883).  —   Fobckand,  Bull.  41,  240  (1884).     Ann.  eh.  [6]  U,  433  (1881).  — 

HmsBBKO,  Ber.  24,  3236  (1891). 


846  Dialdekyde  (Glyoxal). 


krystallinischen  Verbindungen,  die  es  mit  sauren  Alkali3ulfiten  emgeht. 
z.  ß.  C3H3O2  +  2NaHS08  +  H^O,  und  durch  sein  Verhalten  gegen  Hydro- 
xylamin;  es  entsteht  ein  Dioxim  (OH-N:)CH-CH(:N-OH)  —  €Hyoxim^ 
genannt  — ,  welches  farblose,  leicht  sublimirbare  Tafeln  bildet,  bei  178^ 
schmilzt,  in  Wasser  leicht  löslich  ist,  beim  Erwärmen  mit  Essigsäure- 
anhydrid in  ein  Diacetylderivat  (Schmelzpunkt  120^,  bei  längerem  Er- 
wärmen mit  dem  Anhydrid  in  Cyau  N:C-C:N  ilbergefiihrt  wird.  —  Eine 
eigenthümliche  Veränderung  erleidet  das  Glyoxal  durch  die  Einwirkung 
der  Alkalien  schon  in  der  Kälte;  indem  die  eine  Hälfte  des  Molecüls 
reducirt,  die  andere  oxydirt  wird,  entsteht  Glykolsäure: 

CHO       jj  CHjOH 

CHO       ^      ~     CO. OH 

Interessant  ist  auch  die  Einwirkung  des  Ammoniaks  aufGlyoxal;  neben 
einer,  in  geringer  Menge  auftretenden,  in  Wasser  unlöslichen  Base 
Glykosin^  CgHgN^  entsteht  als  Hauptprodukt  das  Glyoxalin  CjH^N,. 
welches  die  Constitution: 

CH.NHv 

I  ^CH 

CH-N   ^ 

besitzt  und  daher  nebst  ähnlichen  Basen  erst  in  Band  n  bei  den  ..Imid- 
azolen"  näher  besprochen  werden  wird. 

In  demselben  Verhältniss,  wie  Glyoxal  zur  Oxalsäure,  würde  zur  Bemsteinsäure 
der  Dialdehyd: 

CHOCHjCHjCHO 

stehen;  irrthümlicher  Weise  wurde  früher  dem  isomeren  Butyrolacton  (S.  763)  diese 
Constitutionsformel  zugeschrieben.  Bernsteinsäuredialdehyd  ist  zur  Zeit  ab 
solcher  noch  nicht  bekannt;  dagegen  ist  sein  Dioxim  —  Succinaldoxim'  CH(:N*OHi' 
CH,»CH,«CH(:N'OH)  —  durch  Einwirkung  von  Hydroxylamin  auf  Pyrrol: 

NHOH  CH^CHNHOH        CH.-CHiNOH 


CH— CHv  H 

>NH  + 
CH— CH'^ :  H 


-  NHs   =    I 
NH .  OH  CH^CH .  NH .  OH      .  CH,-CH :  N  •  OH 


erhalten  worden;  es  bildet  weisse  Kryställchen,  schmilzt  bei  173^,  ist  in  Wasser  nicht 
löslich,  in  Alkalien  löslich,  entwickelt  mit  salpetriger  Säure  Stickoxydul  und  liefert 
durch  Reduction  mit  Natrium  in  Alkohol  das  Tetramethylendiamin  (S.  626,  630). 

BIketone. 

Die  Kenntniss  der  aliphatischen  Glieder  aus  der  interessanten 
Gruppe  von  Verbindungen,  deren  Molecüle  zweimal  die  ketonartig  ge- 
bundene  Carbonylgruppe   enthalten,    verdanken   wir  erst   Arbeiten   der 


*  Wittenberg  u.  V.  Meyeb,  Ber.  16,  505  (1888).  —  Lach,  Ber.  17,  1573  (1884  j. 
—  PnwER,  ebenda,  2001.  —  Hantzscii,  Ber.  25,  705  (1892). 

»  Debus,  Ann.  107,  199  (1858).  —  Wyss,  Ber.  9,  1542  (1876).  —  Pqinbb,  Ber. 
17,  2000  (1884).  —  Japp  u.  Cleminshaw,  Joum.  Soc.  51,  552  (1887). 

*  CiAMiciA»  u.  Dennstedt,  Ber.  17,  533  (1884).  —  Ciajuciak  u.  Zanetti,  Ber.  22. 
1968,  3176  (1889). 


Ncyinendatu/r  der  Diketone,  847 


letzten  Jahre  (seit  1885),  welche  namentlich  von  Claisen,  Combes, 
FiTTia,  Paatj  und  v.  Peohmann  herrühren  und  fiir  viele  Repräsentanten 
dieser  Klasse  einfache  Gewinnungs weisen  kennen  lehrten.  Vorher  waren 
nur  Diketone  der  aromatischen  Reihe  bekannt.  Dagegen  waren  die 
Monoxime  der  einfachsten  aliphatischen  a-Diketone  (Isonitrosoketone,  vgl. 
S.  848)  bereits  durch  Untersuchungen  von  V.  Meter  u.  Zübmn  charak- 
terisirt  und  leicht  zugänglich  gemacht. 

Bildungsprocesse,  Eigenschafben  und  Verhalten  der  Diketone  sind 
wesentlich  abhängig  von  der  gegenseitigen  Stellung  der  beiden  Carbonjl- 
gruppen;  es  empfiehlt  sich  daher  auch  hier  eine  gesonderte  Besprechung 
der  einzelnen  Untergruppen,  in  welche  die  Gruppe  der  Diketone  natur- 
gemäss  unter  Berücksichtigung  dieses  Umstandes  zerfällt.  Im  Einklang 
mit  der  bisher  in  diesem  Lehrbuch  meist  durchgeführten  Bezeichnungs- 
w^eise  (vgl.  S.  535)  kann  man  die  Diketone,  wenn  die  beiden  Carbonyl- 
gruppen  direct  mit  einander  verknüpft  sind: 

-CO-CO-, 
or-Diketone,  wenn  sie  durch  ein,  zwei  etc.  KohlenstoflPatome  getrennt  sind : 

_C0— C-CO-, 
— CO— C— C— CO  etc. 

/9-,  y-  etc.  Diketone  nennen.  Neuerdings  indessen  zieht  man  es  vielfach 
vor  (vgl.  „Genfer  Nomenclatur"  im  Anhang  zu  Band  I),  Zahlen  anstatt 
der  kleinen  griechischen  Buchstaben  zur  Kennzeichnung  der  Stellung 
der  einzelnen  Kohlenstoffatome  einer  Kette  zu  benutzen;  es  sind  dann 
die  Diketone 

mit  der  Gruppe  — CO  CO —  als  1-2  Diketone, 

„     „        ,,        — CO — C — CO  ,,    1*3        ,, 

„     ;,         ;,        _C0— C— C— CO    „    1-4         „         etc. 

zu  bezeichnen. 

Um  für  die  einzelnen  or- Diketone  Namen  zu  bilden,  fasst  man  sie 
in  der  Regel  als  Vereinigung  zweier  Säureradieale  auf,  z.  B.: 

CH3.CO— CO-CH^:  Diacetyl, 

CHj-CO— CO-CgHg:  Acetylpropionyl  etc.; 

die  ^-Diketone  kann  man  als  Monoketone  ansprechen,  die  durch  ein 
Säureradical  substituiii  sind,  z.  B.: 

CH3  •  CO  •  CHj  •  CO  •  CH3 :  Acetylaceton ; 

indem  man  das  einwerthige  Radical  des  Acetons  CHj-COCHj —  ,.Ace- 
tonyl"  nennt,  ergiebt  sich  für  das  einfachste  /-Diketon  die  Bezeichnung: 

CH3 .  CO  •  CHj  •  CH2  •  CO  •  CH3  :  Acetony laceton. 

Zu  einer  einheitlichen  Nomenclatur  der  Diketone  gelangt  man  bei         ^^i^ 
Benutzung  der  Beschlüsse,  welche  der  „internationale  Congress  für  die  ^ 

Reform   der   chemischen  Nomenclatur^*   zu  Genf  im  April  1892   gefasst 


848  a-Dikeione 


hat.  Die  Ketone  werden  von  den  Kohlenwasserstoffen  abgeleitet,  welche 
an  Stelle  der  CO -Gruppen  CH^- Gruppen  enthalten,  also  Aceton  CHj- 
CO-CHg  vom  Propan,  Diacetyl  CHg-CO-COCHj  von  Butan  etc.  Anden 
Namen  des  Kohlenwasserstoffs  wird  die  Endung  „on"  oder  bei  Gegen- 
wart mehrerer  Carbonylgruppen  „dion",  „trion**  etc.  gehängt.  Die  Stel- 
lung der  Carbonylgruppen  wird  durch  Ziffern  bezeichnet.  Die  Bedeutung 
der  Ziffern,  sowie  die  für  die  Nomenclatur  der  Kohlenwasserstoffe  mass- 
geblichen Principien  sind  im  Anhang  zu  Bd.  I  auseinandergesetzt. 
So  gelangt  man  zu  Namen,  wie 

CHg-CO-CHgi  Propanon, 
CHj-COCHjCHa-CHj:  Pentanon  2, 
CHg-CG-CO.CHj:  Butadion, 
CHj^COCOCHg.CHj*:  Pentadion  2.  3. 
CHjCO'-CHj.COCHg:  Pentadion  2.  4. 
CHj-CO-CHa-CHjCG-CHj:  Hexadion  2.  5. 

Analog  werden  die  Oxime  unter  Benutzung  der  Endung  „oxim*'  be- 
zeichnet, z.  B.: 

CH3.C(:NOH)-C(:NOH)-CH3 :  Butandioxim. 

Ueber  die  Benennung  der  Verbindungen,  die  zum  Theil  Keton,  zum 
Theil  Oxim  sind,  ist  noch  kein  definitiver  Beschluss  gefasst.  Im  Fol- 
genden sollen  sie  bezeichnet  werden,  indem  man  sich  die  Oximidogruppe 
durch  Sauerstoff  ersetzt  denkt  und  die  Stellung  der  Oximidogruppe  angiebt: 

CH3.CGC(:N-OH)-CH3:  Monoxim  des  Butadions, 
CH3.COC(:NOH)CH2CH3:  Monoxim  3  des  Pentadions  2.  3. 

A.    a-Diketone  oder  1-2-Diketone. 

Für  die  Gewinnung  der  a-Diketone  geht  man  von  den  Mon- 
alkylderivaten  des  Acetessigesters  CHg-CO-CHR-COg-CgH^  aus  und  unter- 
wirft sie  zunächst  der  Einwirkung  von  verdünnten  Alkalien  in  der  Kälte, 
dann  von  nascirender  salpetriger  Säure;  es  treten  dadurch  die  ßeactionen: 


CH3.CO.CH/      '  +  KOK  =  CHj-COCh/      '     +  CA- OH, 

^COjCaH,  \CO,K 

CHjCO.Ch/      '    +  ON.OH  =  CH3.C0.C(:N.0H).CH5  +  CO,  +  H,0 
^COjH 

ein;  die  Oximidogruppe  tritt  an  das  der  Ketongruppe  benachbarte 
Kohlenstoffatom,  und  es  entsteht  das  Monoxim  eines  Diketons^  Der- 
artige Verbindungen  kann  man  auch  als  Isonitroso- Substitutionspro- 
dukte der  Monoketone  auffassen  und  daher  Isonitrosoketone  nennen. 
Die  Isonitrosoketone  kann  man  in  manchen  Fällen  bequemer  direct 
durch  Nitrosirung    der  Monoketone    erhalten,    indem    man  die  Ketone 

*  V.  Meyee  u.  Züblin,  Ber.  11,  822  (1878). 


(Bildungs'weisen,  Eigensehaßen), 


bei  Gegenwart  von  Natriumäthylat  oder  Salzsäure  mit  Ämylnitril 
Vermeidnng  eines  UeberschusseB  (vgl.  unten)  behandelt';  durcl 
Reaction  entstehen  indeaa  nur  aus  den  Ketonen  K-CHj-CO-CHjl 
oxime  von  Diketonen  ß-CHjCO-C(:N-OH)-K,  während  sie  bei  K 
R-CHj-CO-CHj  infolge  der  grösseren  Keactionsfähigkeit  der  ] 
grnppe  gegenüber  der  Methjlengnippe  zu  Monoximen  von  Eetoald< 
R-CH,-C0CH(:N.OH)  führt  (vgl.  S.  860).  —  Von  den  Isoni 
ketonen  gelangt  man  nan  zu  den  entsprechenden  Diketonen 
Abspaltung  von  Hydroxylamin : 

CH,-COC(:N-OH)CH, +  H,0  =  CHa-CO-COCH,  +  H.NOH; 
diese  Spaltung  kann  durch  Kochen  mit  verdünnter,  etwa  ISproc 
Schwefelsäure  ausgeführt  werden*;  es.  ist  in  der  Begel  nicht  nöth 
Isoni trosoketon  zu  isoliren,  sondern  man  kann  die  Bildung  des  Isor 
ketons  aus  dem  alkylirten  Acetessigester  und  die  Spaltung  dei 
meist  in  einer  Operation  durchftlhren  (vgl,  S.  851  die  Darstellu 
Diacetyls).  Auch  durch  Erwärmen  mit  Amylnitrit  gehen  die  Isor 
ketone  in  Diketone  Uber^: 

CH,.C(:N.OH).CO-C,H, +  C,H„  0  NO  =  CH,-COCOC,Hj  +  CjH„OH 
man  mnss  daher  bei  der  oben  erwähnten  Darstellung  der  Isor 
ketone  mit  Amylnitrit  einen  Ueberschuss  des  letzteren  vermeiden 
Durch  Einwirknng  von  Natrium  auf  SSnrechloride  *  entstehen  Sub 
welche  früher  entsprechend  der  Bildungegleichnng: 

2C,H,C0C1  +  2Na  =  2NaCI  +  C,H,CO  CO-C.H, 
als  n-Diketone  (Dibutyryl  und  DivalerylJ  aufgefasat  wurden,  filr  welch 
ueuerdingB  die  ConstitutionsformelnL 

C^,-C-OCO.C,H,  C,H,-C-O.CO-C,H, 


-C-OC"    "" 


C,H,-C-0-COC,H,  C,H,-C-0-C0-C4H, 

wabracheinlich  gemtwht  worden  sind. 

Die  (^-Diketone  sind  gelbe,  nicht  erstarrende,  unzersetzt  sie 
mit  Wasserdampf  flüchtige  Oele  von  stechendem,  in  der  Regel 
zeitig  etwas  süsslichem  Geruch.  Sehr  bemerkenswerth  ist  ihre  i 
gelbe  Färbung  im  Gegensatz  zu  der  Farhlosigk^t  der  Monoketoi 
li;  y-  etc.  Diketone;  die  Dämpfe  des  Diacetyls  besitzen  die  Far 
Chlors.  Das  Diacetyl  löst  sich  in  4  Th.  Wasser  von  15"  zu  einer 
Flüssigkeit;  die  LösUchkeit  seiner  Homologen  nimmt  mit  stei$ 
Molecülargewicht  ab. 

Ihr  Verhalten  beweist  deutlich  die  Gegenwart  zweier  Cai 
gruppen.      Mit    Cyanwasserstoff    treten     sie    zu    Dicyanhydrinen 

■  CuiSEx  D.  Manabse,  Ber.  33,  526  (1889). 

•  V.  PBCHHAirK,  Ber.  30,  3213  (1887).  —  Ottb  u.  v.  PBcavAini,  Ber.  33, 2111 

■  Mahasse,  Ber.  21,  21T6  (1888). 

*  Fbkdnd,  Ann.  U8,  33  (1861).  —  BbÜhl,  Ber.  13,  315  (1879).  —  Ku 
ScKMiTi,  Ber.  24,  1271  (1891). 

T.  HiTKB  n.  J*«iB«oir,  org.  Cham.    I.  54 


850  Isonürosokeione,  Glyoxime. 

CH3  •  C(OH)(CN)  •  C{OH)(CN)  •  CH3  zusammen.  Mit  Hydroxylamin  und  Phenyl- 
hydrazin reagiren  sie  unter  Bildung  von  Monoximen^  Dioximen,  Mono- 
hydrazonen  und  Dihydrazonen: 

CH3.CO  CHg-CiNOH       CHj.CrN.NHCeHs        CHs-CiN-NHCeH» 

CHaCiN-OH'     CH,.C:N.Oh'      CH3.CO  '      CHa-CrN-NHCeHj ' 

Die  Dioxime  können  als  Homologe  des  Glyoxims  HC(:N-OH)-CH(:N-0H) 
{S.  846)  aufgefasst  und  daher  allgemein  als  Glyoxime  bezeichnet  wer- 
den; die  Dihydrazone  werden  Osazone  genannt. 

Die  Monoxime  der  a-Diketone  (Isonitrosoketone)  sind  farblose, 
krystallinische  Substanzen,  sieden  zum  Theil  unzersetzt  und  lösen  sich 
in  Alkalien  mit  gelber  Farbe  auf.  Die  gelbe  Farbe  der  alkalischen 
Lösung  ist  für  die  Verbindungen  mit  der  Gruppe: 

-CO-C(:N.OH)- 

höchst  charakteristisch  ist  und  unterscheidet  sie  namentlich  scharf  von 
den  farblos  löslichen  Dioximen  mit  der  Gruppe: 

— C( :  N .  OH)— C( :  N  •  OH)- 

(vgl.  unten).  Die  bei  der  Eeduction  der  Monoxime  mit  Zinnchlorür  nnd 
Salzsäure  zu  erwartenden  Amidoketone  hat  man  nicht  isoliren  können, 
kann  aber  leicht  Condensationsprodukte  derselben.  (Ketine,  Aldine) 
gewinnen^,  z.  B.  aus  dem  Monoxim  des  Diacetyls  die  Base: 


/N\  /  KH, 

CH«.C/ 


^8 


\c .  CHj  /      CH. .  CO  *\CH .  CHg 

!  =  I  +  I  -2H,0-H, 

C .  CH,  I       CH. .  CH— NH,  CO  •  CH, 


CH.  •  Cv       /C .  CHs         CHs .  CH— NH, 

w 

(Näheres  vgl.  in  Band  II  unter  ,,Azinen").  —  Die  Dioxime*  (Glyoxime) 
schmelzen  viel  höher  als  die  Monoxime,  lösen  sich  im  Gegensatz  zu  den 
Monoximen  in  Alkalien  farblos  auf  und  liefern  bei  der  Oxydation 
mit    Ferricyankalium    oder    mit   Stickstoflftetroxyd   Hyperoxyde  wie 

CH3— G=N— 0 

I  (farblose,   im  Vacuum   unzersetzt  destillirbare  Flüssig- 

CH3— C=N— 0 

keiten,  in  Wasser  etwas  löslich,  in  Alkalien  unlöslich). 

Durch  Ammoniak  werden  die  a-Diketone  glatt  in  substituirte 
Glyoxaline  (vgl.  S.  846)  verwandelt:  so  geht  z.  B.  Diacetyl  in  Trimethyl- 
glyoxalin  über^  —  ein  Vorgang,    den  man  sich  durch  die  Gleichungen: 

CHs.CO.CO.CHj  +  HjO  =  CHa-CO-OHH-COHCHa, 


*  Treadwell,  Ber.  14,  1461  (1881).  —  Ueber  die  Zwischenprodukte  vgl.  E.  Bbaün. 
Ber.  22,  559  (1889).  f 

»  Vgl.  Schramm,  Ber.  16,^80  (1883).  —  R.  Scholl,  Ber.  23,  3498  (1890). 
3  V.  Pechmann,  Ber.  21,  1415  (1888). 


Chinogene,     Darstellung  von  LHacetyl,  851 


CHjCO  CH,-C-NHv 

I      +2NH, +  CH0CH8  =   3H,0+  1  ^CCH, 

CHs-CO  CHj-C— N*^ 

erklären  kann. 

Höchst  interessant  sind  die  Veränderungen,  welche  einige  a-Diketone 
unter  dem  Einfluss  von  Alkalien^  erleiden.  Die  gelbe  wässrige  Lösung 
des  Diacetyls  z.  B.  wird  bei  vorsichtigem  Zusatz  von  Natronlauge  ent- 
färbt, und  man  kann  nach  Eintritt  der  Farblosigkeit  ein  Condensations- 
produkt  der  Lösung  entziehen,  das  als  ein  ungesättigtes  Triketon  auf- 
zufassen ist: 

CH3CO.CO.CH3  ^  H  0  =  ^^»'If'^^'^^» 

+  CH8.CO.CO.CH3        »  OHCO-COCHa' 

diese  ungesättigten  Triketone  sind  „Chinogene"  genannt  worden,  da 
sie  sich  bei  kurzem  Erwärmen  mit  überschüssigen  Alkalien  unter  wei- 
terer Wasserabspaltung  in  „Chinone"  —  Verbindungen  aus  der  Klasse 
der  Benzolderivate  —  umwandeln,  z.  B.: 

CHg-CCO.CH,  CH3.C.CO  .  CH 

l  -H,0    =  Jl  II  . 

CH.CO.COCHj  CHCOCCHj 

Xylochinon 

Die  Tabelle  Nr.  40  auf  S.  852  giebt  eine  TJebersicht  über  die 
Eigenschaften  der  einzelnen  a-Diketone  und  ihrer  Oxime. 

Darstellung  des  Diacetyls'  (vgl.  die  Gleichungen  auf  S.  848  u.  849).  50g 
Methylacetessigester  werden  mit  ^/g  Liter  Wasser,  dann  mit  140  g  Natronlauge  (1 :  4) 
übergössen;  nach  dem  Umschütteln  lässt  man  über  Nacht  stehen,  wobei  Verseifung  des 
Esters  zu  Methylacetessigsäure  erfolgt.  Nun  fügt  man  25  g  Natrinmnitrit  (98  pro- 
centig)  zu,  kühlt  durch  Einstellen  in  Eiswasser  und  giesst  portionenweise,  indem 
man  durch  Durchsaugen  eines  Luftstroms  die  Flüssigkeit  in  dauernder  Bewegung  er- 
hält, verdünnte  Schwefelsäure  (1:5)  ein,  bis  Tropaeolinpapier  deutlich  violett  gefärbt 
wird.  Man  macht  nun  wieder  alkalisch,  wodurch  die  Lösung  gelb  wird,  dann  mit 
Schwefelsäure  wieder  sauer,  so  dass  Lakmuspapier  eben  dauernd  gerdthet  wird.  Die 
Flüssigkeit,  welche  nun  das  Monoxim  des  Diacetyls  enthält,  wird  jetzt  mit  Natronlauge 
^-ieder  bis  zur  deutlichen  Gelbfärbung  versetzt  und  nach  Zusatz  von  150  g  Krystall- 
soda  möglichst  rasch  zur  Vertreibimg  des  vorher  abgespaltenen  Alkohols  auf  die  Hälfte 
abdestillirt,  darauf  nach  dem  Erkalten  mit  verdünnter  Schwefelsäure  neutralisirt,  mit 
Wasser  auf  das  ursprüngliche  Volum  aufgefüllt,  ohne  Kühlung  mit  250  g  concentrirter 
Schwefelsäure  versetzt  und  sofort  abdestillirt,  so  lange  noch  im  Destillat  das  nun 
übergehende  Diacetyl  durch  Braunfärbung  beim  Erwärmen  mit  Natronlauge  nach- 
weisbar ist.  Das  etwa  1  Liter  betragende  gelbe  Destillat  wird  zur  völligen  Zerlegung 
des  Oxims  mit  dem  siebenten  Theil  seines  Gewichts  an  concentrirter  Schwefelsäure 
nochmals  destillirt,  bis  kein  Diketon  mehr  übergeht.  Durch  immer  wiederholtes 
Destilliren  des  üebergegangenen,  zweckmässig  unter  Zusatz  von  Kochsalz,  kann  in  den 
Destillaten  das  Diacetyl  soweit  concentrirt  werden,  dass  es  sich  schliesslich  nach  4—5 
Destillationen  als  leichtes  Oel  vom  Wasser  trennt.  Man  trocknet  es  mit  Chlorcalcium 
und  rectificirt.  Ausbeute:  10 — 12  g. 


»  V.  Pechmank,  Ber.  21,  1417  (1888);  22,  2115  (1889). 
'  V.  Pechmakn,  Ber.  24,  8954  (1891). 

54' 


852     Tabellarische  Zusammenstellung  von  a-DikeUmen  und  ihren  Ckcimen, 


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ß'Diketone  (BUdungsweisen),  853 


Diacetyl  undDiamid'  reagiren  je  nach' den  angewendeten  Mengenverhält- 

CHaC^N 
niBsen  unter  Bildung  von  BimethylazlKtliaii  I       |   (mattgelbes,  mikrokrystalli- 

CH,.C=N 
nisches,  über  270®  schmelzendes,  in  siedendem  Alkohol  schwer,  in  Wasser  fast  unlös- 
liches Pulver)  oder  Bimethylblsliydraxometliylen  CH, — C C CHg  (farb- 


NH-NI 


NHNHNHNH 

lose,  bei  158^  schmelzende  Prismen,  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heissem  Alkohol 
beträchtlich  löslich). 

B.     /S-Diketone  oder  l«3-Diketone. 

Das  einfachste  /S-Diketon  —  Acetylaceton  —  entsteht,  wenn  man 
das  krystallinische  Einwirkungsprodukt  des  Aluminiumchlorids  auf  Acetyl- 
chlorid  CeH^OjAlCl^  (=  AICI3  +  SCHg-COCl  -  2HC1)  mit  Wasser  zer- 
setzt*; die  Zersetzung  verläuft  unter  Entwickelung  von  Kohlensäure; 
die  einzelnen  Phasen  der  Beaction  (vgl.  die  Einwirkung  von  Eisenchlorid 
auf  Säurechloride  S.  386)  können  in  folgender  Weise  formulirt  werden': 

2CH,.C0C1  +  CHj-COCl  +  AlCl,   =  (CH3.C0),CH.CC1,.0.A1C1,  +  2  HCl, 
(CH3.C0),CHCC1,.0.A1C1, +  4H,0  =  (CH3.C0),CH.C0.0H  +  A1(0H)8  +  4HC1, 

(CH3.C0),CH.C0,H  =  CH3.C0.CH,.C0.CH8  +  CO,. 

Vom  Acetylaceton  ausgehend,  kann  man  seine  Homologen  CHg- 
CO-CHR-CO-CHj  gewinnen,  indem  man  die  Natriumverbindung  CHj- 
CO-CHNa-CO-CHg  (vgl.  S.  854)  mit  Halogenalkylen  umsetzt». 

Einfacher  und  allgemeiner  anwendbar  aber  ist  zur  Gewinnung  von 
/9-Diketonen  die  Condensation  von  Säureestern  mit  Monoketonen  ^,  z.  B.: 

CH3.CO.O.C,H8  +  CH3.CO.CH3  =  CHj.COCHj.CO.CHa  +  CHg-OH; 

die  Beaction  verläuft  sehr  gut  bei  Gegenwart  von  Natriumäthylat  oder 
von  metallischem  Natrium  (vgl.  S.  856  die  Darstellung  des  Acetylacetons), 
namentlich  wenn  das  angewendete  Eeton  eine  dem  Carbonyl  benach- 
barte Methylgruppe  enthält,  welche  dann  stets  den  AngrijQPspunkt  des 
Säureesters  bildet,  z.  B.: 

CHj.CO.O.CjH«  +  CH3.CO.C3H,  =  CH3.CO.CH,.CO.C3H7  +  CHß.OH. 

Befinden  sich  neben  dem  Carbonyl  nur  Methylengruppen,  so  ist  der 
£eactionsverlauf  weniger  glatt. 

Natriom&thylat  —  alkoholfrei '  oder  auch  in  alkoholischer  Lösung  angewendet  — 
ist  ein  vorzügliches,  von  Claisen^  der  organischen  Synthese  zugefuhrtes  Mittel,  die 
Säureradieale  aus  Säureestem  in  andere  Verbindungen  einzufuhren;  seine  Wirksam- 
keit wird  wahrscheinlich  dadurch  bedingt,  dass  die  Ester  mit  Natriumfithylat  zu  losen 


*  CuBTius  u.  Thu»,  J.  pr.  [2]  44,  174  (1891). 

*  CoMBES,  Ann.  eh.  [6]  12,  199  (1887). 

■  Vgl.  GusTAVSOK,  J.  pr.  [2]  37,  108  (1888). 

*  Claisen  u.  Ehrhardt,   Ber.  22,  1009  (1889).  —  Farbwerke  in  Höchst  a.  M. 
(D.  R.-P.  49542),  Ber.  23o,  40  (1890). 

*  Claisem,  Ber.  22,  1010  Anm.  •  Ber.  20,  655,  2178  (1887). 


854  ß'Diketone  (VerhcUtm), 


/0.c,h; 

Doppelverbindungen  B*Cs— O^C^Hg  zusammentreten,  die  dann  unter  Alkoholabspal- 

\O.Na 
tung  reagiren: 

yO.C,H« 

R.Ce-O-CjHj  +  CHs-CO-CHs  =  R.C(ONa):  CH-CO-CH,  +  2CjH6.0H  , 
\O.Na 

R.C(ONa):  CH.CO.CH3  +  H,0  =  R.CO.CHj.CO-CHb  +  NaOH. 

An  dem  chemischen  Verhalten  der  /S-Diketone  ist  zunächst  be- 
merkenswerth  ihre  Fähigkeit  zur  Bildung  von  Metallverbindungen^: 
•die  Wasserstoffatome,  welche  an  dem  zwischen  den  beiden  Carbonjl- 
gruppen  befindlichen  Eohlenstoff  haften,  sind  gegen  Metallatome  aus- 
tauschbar. Natrium  wirkt  auf  Acetylaceton  unter  Entwickelung  Ton 
Wasserstoff  und  Bildung  der  Verbindung  CHg-CO-CHNa-COCHj  (vgl. 
S.  651 — 653);  die  stark  saure  Natur  des  Acetylacetons  zeigt  sich  nament- 
lich in  dem  umstand,  dass  seine  wässrige  Lösung  Magnesiumcarbonat, 
Bleicarbonat,  Kupferacetat  etc.  zersetzt,  um  die  entsprechenden  Metall- 
verbindungen zu  bilden;  besonders  das  schwer  lösliche  Eupfersalz 
(G^K^O^)^G\i  ist  charakteristisch  und  zur  Abscheidung  des  Acetylacetons 
aus  Gemischen  geeignet  (vgl.  S.  855  die  Darstellung  des  Acetylacetons). 
Interessant  ist  auch  die  Aluminium  Verbindung^  da  sie  bei  314 — 315^ 
unzersetzt  destillirt,  und  ihre  Dampfdichtebesiimmung  daher  ausgeführt 
werden  konnte,  um  die  Molecularformel  Al(CßHy02)3  und  damit  die 
Dreiwerthigkeit  des  Aluminiums  sicherzustellen^  (vgl.  S.  288).  Bei  den 
/S-Diketonen  K-CO-CHR-CO-R,  welche  in  die  zwischen  den  beiden 
Carbonylen  befindliche  Methylengruppe  einen  Alkylrest  eingefügt  ent- 
halten, ist  die  Säurenatur  erheblich  abgeschwächt':  sie  vermögen  nicht 
mehr  Kupferacetat  zu  zersetzen,  geben  aber  noch  zum  Theil  mit 
ammoniakalischem  Kupferoxyd  eine  Fällung. 

Beim  Kochen  mit  Alkalien  werden  die  /?-Diketone  in  Säuren  und 
Monoketone  gespalten,  z.  B.: 

CHa.COCHjCO.CH,  -*-  ROH  =  CHj-COOK  +  CHgCO-CHs. 

Durch  die  1*3-Stellung  der  beiden  Carbonyle  wird  ein  eigenthüni- 
liches  Verhalten  gegen  Hydroxylamin**^  bedingt:  es  entstehen  nicht 
eigentliche  Oxime,  sondern  Verbindungen,  welche  aus  den  Monoximen 
als  durch  Wasseraustritt  entstanden  gedacht  werden  können  und  sich 
von  einem  geschlossenen  stickstoffhaltigen  Kern  —  dem  „Isoxazolring** 
(vgl.  Bd.  n)  —  ableiten,  z.  B.: 


*  Vgl.  C0MBE8,  Compt  rend.  105,  868  (1887). 

*  C0MBE8,  Compt  rend.  108,  405  (1889). 

°  Claibek  u.  Ehrrasdt,  Ber.  22,  1018  (1889). 

*  Zedel,  Ber.  21,  2178  (1888).  —  Clatben,  Ber.  24,  3900  (1891).  —  Dükstak  u. 
Dymokd,  Journ.  Soc.  50,  428  (1891). 

»  CoMBES,  Bull.  50,  145  (1888). 


Darstellung  von  Äcetylaoeton,  855 

CH,-CO-CH,  CH-C-CH, 

I  ''         ' 

CHs-CO  +  NH^  =     CH^Ö       N  +2H,0. 

oh/  \o/ 

In   analoger  Weise  entstehen  durch  Einwirkung  von  Phenylhydrazin  ^'^ 
Abkömmlinge  des  „Pyrazols"  (vgl.  Bd.  11): 

CH,-CO-CHa  CH-C-CHj 

I  11        II 

CHg.CO  +  NH,  =     CHs-C       N 

NH-CeH,  VCeHs 

Die  /ff-Diketone  der  Fettreihe  sind  farblose,  unzersetzt  siedende 
Flüssigkeiten;  Acetylaceton  löst  sich  in  etwa  8  Th.  Wasser;  die  Tabelle 
Nr.  41  auf  S.  856  giebt  über  ihre  Constanten  Auskunft. 

Darstellung  von  Acetylaceton'.  Za  einer  gut  abgekühlten  Mischung  von 
Aceton  (t  Mol.)  und  alkoholfreiem  Essigftther  (3—4  Mol.)  wird  Natrium  (1  Atom)  in 
Form  von  feinem  Draht  zugegeben;  man  läset  zunächst -in  der  Kälte,  dann  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  stehen,  bis  das  Natrium  grösstentheils  verschwunden  ist, 
erwärmt  dann  noch  einige  Zeit  auf  dem  Wasserbade,  ftigt  nach  Beendigung  der 
Reaction  Eiswasser  hinzu  und  trennt  die  alkalische,  das  Acetylaceton  enthaltende 
Schicht  von  dem  aufschwimmenden  Essigäther.  Die  alkalische  Lösung  säuert  man 
mit  EssigBäure  eben  an  und  fällt  nun  das  Acetylacetonkupfer  durch  eine  concentrirte, 
heissgesättigte  Lösung  von  Kupferacetat  aus.  Das  Kupfersalz  wird  durch  Schütteln 
mit  kalter  verdünnter  Schwefelsäure  zersetzt,  darauf  das  Acetylaceton  mit  Chloroform 
ausgeschüttelt  und  nach  dem  Verdunsten  des  Chloroforms  rectificirt. 

C.   y-Diketone  oder  1.4-Diketone. 

Das  Acetonylaeeton^  06^10^2  =  CH3COCH3.CH3COCH3  (Hexa- 
dion  2.5)  —  der  einfachste  Repräsentant  der  y-Diketone  —  kann 
ohne  Schwierigkeit  aus  dem  Diacetbernsteinsäureester,  welcher  durch  Ein- 
wirkung von  Jod  auf  Natracetessigester  entsteht: 

C,H5 .  CO, .  CHNa  C,Hj  •  CO.  •  CH-CH  •  CO,  •  CjHj 

2  I  +  2J  =  2NaJ+  I         I  , 

CH,.CO  CHs-CO    COCHa 

gewonnen   werden,   da   die   diesem  Ester  entsprechende  Säure  leicht  in 
Kohlensäure  und  Acetonylaceton  zerfällt: 

CO,H .  CH-CH .  CO,H  CH,-CH, 

I         I  -  2C0,  =  I  I  . 

CHjCO     COCH,  CHsCO      COCH, 

Man  Idst  den  Diacetbernsteinsäureester  durch  Schütteln  in  einer  Sprocentigen 
Xatronlauge  auf,  welche  genau  auf  1  Mol.  Ester  2  Mol.  NaOH  enthält,  yerschliesst 


^  CoMBES,  Bull.  50,  145  (1888). 

'  Knobb,  Ber.  20,  1104  (1887).    Vgl.  auch  Kohlraüsch,  Ann.  253,  15  (1889). 
'  Claisen  u.  Ehbhabdt,  Ber.  22,  1009  (1889).  —  Farbwerke  in  Hdchst  (D.  R.-P. 
49542),  Ber.  23  o,  40  (1890). 

*  Paal,  Ber.  18,  58,  2251  (1885).  —    Dietrich  u.  Paal,    Ber.   20,  1085  (1887). 

—  Käobb,  Ber.  22,  168,  2100  (1889).  —  Ciamioian  u.  Zanbtti,  Ber.  22,  3176  (1891). 

—  AwQELi,  Ber.  24,  1805  (1891).  —  Eykman,  Ber.  25,  3074,  3078  (1892). 


856 


Tabellarische  Zusammensteüung  von  ß-Diketonen. 


o 


CO  OD  t-^ 
OD  CO 
CO  «O 


3j  OD  CO 


OD 

o 
«5 


OD 


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CO  ae  o 


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QC  5^    -  ^ 

OB   5,      ■♦  N 


Aoetonylaceton.  857 


den  Kolben  mit  einem  Natronkalkrohr  und  erwärmt  2—8  St.  auf  dem  Wasserbade. 
Aus  der  erkalteten  Lösung  wird  das  Acetonylaceton  durch  Kaliumcarbonat  ab- 
geschieden und  durch  Aether  ausgeschüttelt. 

Aeetonylaceton  ist  eine  farblose,  angenehm  riechende  Flüssigkeit, 
siedet  bei  194®,  besitzt  bei  21®  das  spec.  Gew.  0-970,  ist  mit  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  mischbar,  in  concentrirter  Kali-  und  Potaschelösung 
unlöslich.  SeinDioxim  CH3.C(:N.OH)-CH,-CH3.C(:NOH).CH3  bildet 
weisse  Erystalle,  schmilzt  bei  136-5®  und  ist  in  heissem  Wasser  leicht 
löslich. 

Das  Aeetonylaceton  und  andere  Verbindungen,  welche  zwei  Car- 
bonylgruppen  in  1.4-Stellung  enthalten,  stehen  in  nahen  genetischen 
Beziehungen  zu  den  cjclischen  Stammsubstanzen:  Furfuran,  Thiophen 
und  Pyrrol.  So  liefert  das  Aeetonylaceton  bei  der  Destillation  mit  Chlor- 
zink das  Dimethylfiirfuran: 

CH — CH 

I'         k 
CH3.C        C.CH3» 

mit  Schwefelphosphor  das  Dimethylthiophen: 

CH — CH 

CHa-C        CH.CH3» 

beim  Erhitzen  mit  alkoholischem  Ammoniak  das  Dimethylpyrrol : 

CH CH 

CH3.C  CCHa- 

Umgekehrt  bildet  sich  aus  dem  Dimethylpyrrol  durch  Einwirkung  von 
Hydroxylamin  das  Dioxim  des  Acetonylacetons,  und  das  Aeetonylaceton 
selbst  entsteht  glatt  durch  Erhitzen  der  Dimethylfurfurancarbonsäure 
(Carbopyrotritarsäure,  vgl.  Bd.  II)  mit  Wasser: 

CH — C.CO.H 

V  CHj-CH, 

CHi-C        C.CH3    +H,0=  I         ]  +C0,. 

Dlmethfi-8.4-Hexadloii  2.5  CH8.COCH(CH3).CH(CH8).CO.CH3  ist  durch 
Einwirkung  von  Natrium  auf  Monochlormethyläthylketon  CHj-CO-CHCl-CHg  er- 
halten^, ist  flflflsig  und  siedet  gegen  210  ^ 

D.   1.6-  und  1.7-Diketone*. 

Bei  der  Einwirkung  von  Aethylenbromid  auf  Natracetessigester  entsteht  neben 
anderen  Produkten  der  Diacetyladipinsflureester: 


*  Vladesco,  Bull.  [3]  e,  809  (1891). 

*  Kipporo  u.  Perkin,  Joum.  Soc.  66,  330  (1889);  67,  13,  29  (1890);  69,  214 
(1891).  —  Mabshaix  u.  Perkm,  Joum.  Soc.  67,  241  (1890).  —  Kippmo  u.  Mackenzie, 
Joum.  Soc.  69,  587  (1891).  —  Kippiko,  Joum.  Soc.  63,  111  (1893). 


858  L6-  und  IJ-Biketone, 


CHa-CO  CHgCO  GOCH, 

I  +  CHjBrCHjBr  =  2NaBr  +  I 

CjHb  .  CO, .  CHNa  C.Hj  •  CO,  -  CH  •  CH,  •  CH,  •  CH  •  CO,  •  C^Hj 

welcher  bei  yorsichtiger  Verseifung  das  Oetadlon  2.7  (Diacetylbutan)  liefert: 

CHa-CO  COCHa 

I  I  +  2H,0  = 

C2H5  •  CO,  •  CH  •  CH,  •  CH,  •  CH  •  CO,  •  CjHa 

CHa-CO  COCHa 

I  I  +  2C0,  +  2C,HbOH 

CH,  •  CH,  •  CH,  *  CH, 

—  eine  farblose,  krystalllnische  Substanz,  bei  48—44^  schmelzend,  wenig  Idslich  io 
Wasser.  Schon  bei  der  Destillation  und  beim  Kochen  mit  alkoholischer  Lauge  zer- 
fi&llt  es  in  Wasser  und  Methjldihydropentenmethylketon: 

CHa-COCH,         COCHa  CH8.C0.C==C.CH, 

CH,         CH,         -H2O  =  in,         ÖH,      • 

\CH,/  \CH,/ 

Ebenfalls  mit  Hülfe  von  Acetessigestersynthesen  ist  das  Enneadion  2.8  (Di- 
acetjlpentan): 

CH,  •  CO  •  CH,  •  CH,  •  CH,  •  CH,  •  CH,  •  CO  •  CH^ 

(und  einige  Homologe  desselben)  gewonnen.  Es  schmilzt  bei  48 — 49  ^  siedet  unter 
130  mm  Druck  bei  175—178^,  spaltet  sich,  mit  concentrirter  Schwefelsäure  behandelt, 
in  Wasser  und  Methyl-tetrahydro-acetophenou : 

CHa-COCH,  CHaCOC 

CH,         COCHa      „^  ÖhI        CCHa 

I  1  -  H,0  =  I  I 

CH,         CH,  CH,        CH, 

N^H,/  \CH,/ 

und  liefert  als  erstes  Beductionsprodukt  Dimethyldiozyheptamethylen : 

.CH, .  CH, .  CO .  CH,  XH,  •  CH,  •  C(OHXCH,) 

CH,<  +  2H  =  CH,<  I 

^CH, .  CH, .  CO .  CHa  '  ^CH,  -  CH,  •  C(OHXCHa) 

Trlketone  und  Tetraketone. 

Triketone.  Diacetylaceton»  CHa-COCH,.CO.CH,CO.CHa  (Heptatrion 
2.4.6)  entsteht  aus  Dimethylpyrou  (vgl.  Bd.  H)  durch  Wasseraufnahme  beim  Kochen 
mit  Barytwasser  und  Zersetzen  des  entstandenen  Bariumsalzes  mit  Salzsäure: 

=  CH,CO.CH,CO.CH,.CO-CH,; 

es  bildet  glänzende,  farblose  ErystallblStter,  schmilzt  bei  49'  und  iSst  sich  in  Soda; 
schon  bei  längerem  Aufbewahren,  rasch  beim  Erhitzen  zersetzt  es  sieh  wieder  io 
Wasser  und  Dimetbjlpyron:  ein  Beispiel  einer  ungewöhnlich  leichten  Ringschliessong- 

'  Feist,  Ann.  267,  276  (1890).  —  Pbbkim,  Joum.  Soc.  61,  82&,  858  (1892). 


THketone  und  Tetraketone,  859 


Ungesättigte  Triketone  (Cbinogene)  entstehen,  wie  schon  S.  851  erwähnt, 
bei  der  Condensation  der  a-Diketone  durch  Alkalien,  sind  aber  bisher  nicht  aber 
nntersacht. 

Tetraketone.  Octatetron  2.4.5.7  oder  Ozalyldiaceton^  CHsCO-CHt-CO- 
CO-CHt-CO'CHs  entsteht  durch  Condensation  von  Ozalester  mit  Aceton  in  Gregen- 
wart  von  Natriumäthylat  und  schmilzt  bei  120 — 121^ 

Das  Dioxim  3.4  des  Hexatetrons  2.3.4.5  CH8-C0.C(:N.0H).C(:N.0H). 
CO  •  CHs  entsteht  bei  der  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  Diacetbernsteinsäure- 
ester',  schmilzt  bei  152*5^  unter  heftiger  G-asentwickelung,  löst  sich  in  Alkalien  mit 
intensiv  gelber  Farbe  und  entwickelt  bei  der  Behandlung  mit  verdünnten  Säuren 
Blausäure.  Die  Abspaltung  von  Hydroxylamin  unter  Bildung  des  entsprechenden 
Tetraketons  ist  leider  nicht  gelungen. 

Eetoaldehyde. 

Die  Gemiinungsweisen  der  Ketoaldehjde  sind  im  Allgemeinen  analog 
denjenigen  der  Diketone;  ihre  Eigenschaften  werden  wesentlich  beeinflusst 
durch  die  gegenseitige  Stellung  der  Keton-  und  Aldehydgruppe. 

A.    a-Ketoaldehyde. 

Der  einfachste  Ketoaldehyd: 

CHaCOCHO 

kann  als  Methylglyoxal  oder  Brenztraubensäurealdehyd  bezeichnet 
werden.  Sein  Monoxim*  CH3-C0-CH(:N-0H)  (Isonitrosoaceton) 
kann  leicht  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  Acetessigsäure 
erhalten  werden  (vgl.  die  Bildung  der  Isonitrosoketone  S.  848): 

CHs.CO.CH,.CO,H  +  NOOH  =  CHj-COCHCiNOH)  +  CO,  +  H,0, 

bildet  silberglänzende  Sjryställchen,  schmilzt  bei  65^,  lässt  sich  in  ganz 
kleinen  Mengen  unzersetzt  destilliren,  ist  mit  Wasserdämpfen  sehr  flüchtig, 
in  Wasser  und  Aether  leicht  löslich  und  löst  sich  in  Alkalien  mit  intensiv 
gelber  Färbung  (vgl.  S.  850).  Durch  Spaltung  mit  verdünnter  Schwefel- 
säure (vgl.  S.  849)  erhält  man  daraus  das  Methylglyoxal^  selbst  als 
gelbe,  mit  Wasserdämpfen  flüchtige,  in  Wasser  sehr  leicht  lösliche  Flüssig- 
keit Da8Dioxim«CH3-C(:N.OH).CH(:N.OH)(Acetoximsäure,Methyl- 
glyoxim)  entsteht  aus  dem  Monoxim  und  auch  aus  unsymmetrischem 
Dichloraceton  CHj-CO-CHClj  durch  Einwirkung  von  freiem  Hydroxyl- 
amin,  bildet  weisse  Krystalle,  schmilzt  bei  153^,  löst  sich  in  kaltem 
Wasser  schwer,  in  warmem  Wasser  leicht,  in  Alkalien  augenblicklich 
farblos  auf. 


»  CuusKN  u.  Stylob,  Ber.  21,  1141  (1888).  «  Thajl,  Ber.  26,  1724  (1892). 

*  V.  Meter  u.  Züblik,  Ber.  11,  695  (1878).  —  Treadwell  u.  Steiger,  Ber.  15, 
1059  (1882).  —  Cbresole,  Ber.  16,  1326  (1882);  16,  833  (1888).  —  v.  Pecbxanv,  Ber. 
20,  2542  (1887).  —  R.  Scholl,  Ber.  20,  3578  (1887). 

*  V.  Pechmank,  Ber.  20,  2543,  3213  (1887). 

*  V.  Meyer  u.  Jannt,  Ber.  15,  1164  (1882).  —  Treadwell  u.  Westenberqer, 
ebenda,  2786.  —  Schramm,  Ber.  16,  2187  (1883).  —  K.  Scholl,  Ber.  23,  3500,  3579  (1890). 


860  KetocUdekyde. 


Durch  Nitrosirung  der  Ketoue  B^CO-CHg  mit  Amylnitrit  (Tgl.  S.  849)  kann 
man  Monozime  yon  weiteren  Homologen  des  Glyoxals  B*CO*CH(:N-OH)  erhalten V 

Im  Anschloss  daran  sei  das  Diisonitrosoaceton'  CH(:N-OH)-CO-CH(:N-0Hi 
erwähnt,  das  ab  Dioxim  des  Mesoxalaldehjds  CHO'CO*CHO  anfgefaast  werden 
kann,  ans  Acetondicarbonsfture  CO,H •  CH,* CO 'CH) '00,11  durch  Einwirkung  von 
salpetriger  Säure  entsteht,  bei  143 — 144^  unter  Zersetsung  schmilzt  und  sich  in 
Alkalien  mit  rothgelber  Farbe  löst;  beim  Kochen  mit  Wasser  zerftllt  es  grössten- 
theils  in  Kohlensäure,  Blausäure  und  Wasser;  durch  Einwirkung  yon  Hydrozrlamin 
liefert  es  das  bei  171^  unter  Zersetzung  schmelzende,  in  Alkalien  farblos  lösliche 
Propantrioxim  CH(:N.OH).C(:N-OH).CH(:N-OH)  (Triisonitrosopropan). 

B.   /9-Ketoaldehyde. 

Man  erhält  /S-Ketoaldehyde  KCO-CH,-CHO  durch  Condensation 
von  Methylketonen  R-CO-CHg  mit  Ameisensäureester  in  Gegenwart  von 
Natriumäthylat^,  z.  B.: 

CHgCOCHs  +  CHO.O.CjHs  +  CjHj.ONa  = 

CHaCO-CHiCHCONa)  +  2C,Hs.0H  (vgl.  S.  853-854). 

Ihre  Natriumverbindungen  und  andere  Salze  sind  recht  beständige  die 
freien  Ketoaldehyde  dagegen  sehr  leicht  veränderlich  und  kaum  isoHrbar; 
der  Acetessigaldehyd  z.  B.  geht  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  unter 
Wasserabspaltung  in  Triacetylbenzol  über: 

CHa-COCH^v  CHgCOC 

m:!HO  X'^ 

CHO  CH      CH 

I  +  SH^O. 


CHaCOCH,        CHj-COCH.       CHs-COC         CCO-CH, 

CHO  pH 

Eine  solche  Condensation  erscheint  nicht  möglich  bei  den  Eeto- 
aldehyden  R-CO-CHR-CHO,  welche  in  die  Methylengruppe  zwischen 
Keton-  und  Aldehydgruppe  einen  Alkylrest  eingef&gt  enthalten.  Solche 
Ketoaldehyde  entstehen  durch  die  Anwendung  obiger  Reaction  auf  Ketone 
R-CO-CHj-R  und  sind  in  der  That  auch  in  freiem  Zustand  bestandig 
(vgl.  S.  861  Propionylpropionaldehyd).  Im  Gegensatz  zu  den  /9-Diketonen 
R-CO-CHRCO'R  sind  auch  die  derart  alkylirten  Ketoaldehyde  noch 
sauer  genug,  um  Kupferacetat  zu  zersetzen  (vgl.  S.  854). 

Mit  Hydroxylamin  und  Phenylhydrazin  reagiren  die  /S-Ketoaldehyde 
den  /S-Diketonen  analog  unter  Bildung  von  Isoxazol-  und  Pyrazol- 
derivaten. 

Gewisse  Reactionen,  die  namentlich  an  analogen  Verbindungen  der 
aromatischen  Reihe  beobachtet  sind,  machen  es  indess  wahrscheinlich, 
dass  diese  sogenannten  „/9-Ketoaldehyde*'  gar  keine  Aldehydgnippe  eat- 
halten,  sondern  dass  sie  als  Oxymethylenverbindungen,  wie 


^  Claisen  u.  Makasse,  Ber.  22,  528  (1889). 

*  V.  Pechmann  u.  Wehsaro,  Ber.  19»  2465  (1886);  21,  2989  (1888). 

'  Olaisen  u.  Meterowitz,  Ber.  22,  8278  (1889). 


Ketoaldehyde.  861 


CH3.C0.CH:CH.0H 

(vgl.  S.  860  die  Bildungsgleichung),  aufeufassen  sind.    Während  in  vielen 

Fällen    die   Vinylalkoholgruppe   — CH:CH(OH)    in    die    Aldehydgruppe 

— CHj-CHO  sich  umwandelt  (vgl.  S.  476),    scheint, es,   dass   umgekehrt 

die  Vinylalkoholform   gegenüber   der  Aldehydform   die   stabilere  Atom- 

gruppirung  darstellt,  wenn  im  Acetaldehyd  oder  seinen  Homologen  E- 

CHg-CHO  ein  Wasserstoffatom  der  Methyl-  bezw.  Methylengruppe  durch 

ein  Säureradical   ersetzt   ist^   (vgl.  Formylessigester  und   Homologe   in 

Kap.  38). 

Aeetessigaldehyd'  oder  Oxymethylenaeeton  (vgl.  oben)  —  CHg-CO-CH,.CHO 
bezw.  CH,.CO-CH  :  CH(OH)  —  liefert  ein  in  hellblauen  Nädelchen  krystallisirendea,  in 
Wasser  zdemlich  lösliches  Knpfersalz  (C4H50s)sCq  ;  mit  Eisenchlorid  giebt  er  eine  tief- 
dunkelrothe  Färbong  —  Proplonylproplonaldehyd'  oder  Oxymethylenpropion  — 
CaH5CO.CH(CH3).CHO  bezw.  CjHg  -  CO  •  CCCHs) :  CH(OH)  —  (aus  Propion  und 
Ameisensäureester,  vgl.  S.  860)  bildet  farblose  Krystalle,  schmilzt  bei  etwa  40**,  siedet 
unter  45— 50  mm  Druck  bei  75—85**,  riecht  eigenthümlich,  ist  in  Wasser  merklich  lös- 
lich und  giebt  mit  Eisenchlorid  in  alkoholischer  Lösung  eine  prächtige  dunkel  violette 
Färbung. 

C.   /-Ketoaldehyde. 
Das  Dioxlm  eines  /-Ketoaldehyds  — -  des  a-MethyllSviiliBaldehyds^: 

CHs.CH.CH:N(OH) 

I 
CH2.C(:N.OH)-CH3 

entsteht  aus  Dimethylpyrrol: 

CH8-C=CH\ 

CH=C— CHg 
durch  Einwirkung  von  Hydroxylamin  (vgl.  S.  846,  857)  und  schmilzt  bei  87—90**. 


Dreiunddreissigstes  Kapitel. 

Halogenderivate  der  Aldehyde  und  Ketone. 

Halogenderirate  der  Aldehyde. 

Chlorderlrate.  Die  Chlorderivate  des  Acetaldehyds  werden 
gewöhnlich  nicht  durch  directe  Chlorirung  des  Aldehyds  (vgl.  S.  866 
Butylchloral)  gewonnen;  vielmehr  geht  man  zur  Darstellung  des  Mono- 
und  Dichloraldehyds    von    den   Chlorderivaten    des   Diäthyläthers   (vgl. 

*  Vgl.  Cm^iöen,  Ber.  25,  1780  (1892).  —  Vgl.  auch  Eliasberq  u.  Friedlaekdeb, 
Ber.  26,  1753  (1892). 

"  Claisen  u.  Stylos,  Ber.  21,  1144  (1888).  —  Stock,  Ber.  22,  3274  Anm.  (1889).  — 
CuLisBH  u.  HoBi,  Ber.  24,  139  (1891).  ^  Claisen  u!  Lakzendörfbb,  Ber.  25,  1787  (1892). 
'  Claisew  u.  Meyebowitz,  Ber.  22,  3275  (1889). 

*  CuMicUN  u.  Zanbtti,  Ber.  23,  1788  (1890). 


862  Chlord&rivate  des  Aceialdehyds. 


5.  197 — 198)  oder  des  Acetals  aus,  für  die  Darstellung  de^  besonders 
wichtigen  Trichloraldehyds  vom  Aethylalkohol. 

Dass  der  Dichloräther  durch  Erhitzen  mit  Wasser  Monochlor- 
aldehyd  liefert,  ist  schon  S.  198  erwähnt;  filr  die  Darstellung  führt 
man  indess  den  Dichloräther  zweckmässig  durch  Einwirkung  von  Natrium- 
alkoholat^  erst  in  Monochloracetal  (Siedepunkt  156 — 158^  über: 

CH,C1.CH<  +  NaOCjHB  =  CH,Cl.CH(O.C,Hft),  +  NaCl 

und  spaltet  letzteres  durch  Erhitzen  mit  Oxalsäure: 

CH,C1.CH(0.C,H5),  +  H,0  =  CH,C1.CH0  +  2C,H5.0H; 

analog  erhält  man  durch  Spaltung  des  durch  Chlorirung  von  Acetal  oder 
von  wasserhaltigem  Alkohol  (vgl.  S.  863)  gewinnbaren  Dichloracetals 
CHClj-CH(0-CjHg)2  den  Dichloraldehyd. 

Monochloraldehyd'  CH,C1-CH0  ist  eine  leicht  bewegliche,  äusserst  scharf 

riechende,   bei  85°  siedende  Flüssigkeit,   die  sich  beim  Aufbewahren  rasch  in  eine 

porcellanartige  amorphe  Masse  umwandelt.    Bei  der  oben  erwähnten  Darstellungs- 

/  /OH 

CH^aCH/ 
weise  wird  er  zunächst  in  Form  seines  Hydrats  2C,H8C10  +HjO    =  \0 

CH,C1.CH< 

erhalten  —  in  Wasser  leicht  lösliche  Tafeln,  die  sich  zwischen  48°  und  50°  verflässigen, 
bei  85*5°  unter  Spaltung  in  Wasser  und  Chloraldehyd  verdampfen;  leitet  man  die 
Dämpfe  über  auf  100°  erhitztes  Chlorcalcium,  so  erhält  man  den  wasserfreien  Chlor- 
aldehyd. Durch  Schwefelsäure  wird  er  zu  einer  trimolecularen,  in  rhombischen  Nadeln 
krystallisirenden,  bei  87  •  5°  schmelzenden  Modification  (C^HgClO),  polymerisirt,  welche 
sich  im  Vacuum  ohne  Dissociation  vergasen  lässt. 

Dichloraldehyd«  CHCljCHO  ist  eine  bei  88— 89°  siedende  Flüssigkeit,  poly- 
merisirt sich  leicht  zu  einer  amorphen  oder  zu  einer  krystallisirbaren  (Schmelzpunkt 
129—180°)  Modification  und  bildet  ein  Hydrat  C,H,C1,0  +  HjO. 

Der  Trichloracetaldehyd  CClj-CHO  ist  der  wichtigste  Repräsen- 
tant unter  den  halogenirten  Aldehyden  und  bekannt  unter  dem  Namen 
Chloral.  Das  Chloral  ist  zuerst  1832  von  Liebig*  durch  Einwirkung 
von  Chlor  auf  Aethylalkohol  erhalten  worden;  dieser  Beaction  bedient 
man  sich  auch  heute  noch  zur  fabrikmässigen  Darstellung  des  Chlorais 
(durch  Chlorirung  von  Aldehyd  selbst,  vgl.  S.  866,  erhält  man  Chloral^ 
nur,  wenn  man  den  condensirenden  Einfluss  der  entstehenden  Salzsäure 
durch  Anwendung  von  verdünntem  wässrigen  Aldehyd  oder  durch  Neu- 

*  Vgl.  AuTENRiETH,  Bcr.  24,  160  (1891). 

*  Glinsky,  Ztschr.  Chem.  1867,  678;  1868,  617;  1870,  648.  —  Jacobsek,  Ber. 
4,  216  (1871).  —  Natterer,  Monatsh.  3,  442  (1882);  4,  539  (1888);  5,  491  (1884); 

6,  519  (1885). 

"  Paternä,  Compt  rend.  67,  456  (1868).  Ztschr.  Chem.  1869,  893.  ~  Ja- 
OOBSEN,  Ber.  8,  87  (1875).  —  Kbey,  Jb.  1876,  475.  —  Dbhabo,  Ber.  17  o,  567(1884). 
—  Grimaüz  u.  Adam,  Bull.  34,  29  (1880).  —  Friedrich,  Ann.  206,  251  (1881). 

*  Ann.  1,  189  (1832). 

»  Pikneb,  Ber.  4,  256  (1871).     Ann.  179,  25  (1875). 


Chloral.  863 


tralisation  yerhindert).  Man  leitet  einen  langsamen  Ghlorstrom  zunächst 
unter  Kühlung,  später  unter  Erwärmung  mit  Dampf  in  Alkohol,  so  lange 
noch  Chlor  aufgenommen  wird;  die  Operation  dauert  ca.  6  Tage.  Die 
ersten  Gef&sse  füllt  man  mit  bereits  ^^angechlortem^S  ^*  ^'  schon  theil- 
weise  mit  Chlor  gesättigtem  Alkohol;  aus  diesen  tritt  das  Chlor  in  Vor- 
lagen, welche  mit  fiischem  Alkohol  beschickt  sind.  Nach  dem  Erkalten 
stellt  das  Reactionsprodukt  eine  krystallinische  Masse  dar,  die  zum 
grössten  Theil  aus  Chloralalkoholat  (vgl.  S.  865)  besteht;  man  zerlegt 
dasselbe  durch  Behandlung  mit  concentrirter  Schwefelsäure,  hebt  oder 
destillirt  nun  das  als  Oelschicht  oben  schwimmende  Chloral  ab  und  ver- 
arbeitet es  auf  Chloralhydrat,  nachdem  man  ihm  durch  Zusatz  von  etwas 
Wasser  und  von  kohlensaurem  Ealk  Salzsäure  und  kleine  Mengen 
Phosgengas  entzogen  hat.  [Bei  diesem  Verfahren  erhielt  man  jfrtiher  als 
Nebenprodukte  in  nicht  unbeträchtlicher  Quantität  eine  Reihe  anderer 
chlorhaltiger  Verbindungen:  Chloräthyl,  Aethylenchlorid,  Aethylidenchlorid 
(8. 545),  Chloräthylenchlorid  (S.  554),  Methylchloroform  (S.  554);  neuerdings 
indess  werden  diese  Nebenprodukte  theils  nicht,  theils  nur  in  geringer 
Menge  gewonnen.] 

Man  kann  die  Bildung  des  Chlorals^  in  dieser  Reaction  am  ein- 
fachsten durch  die  beiden  Gleichungen: 

CHj .  CHj(OH)  +  Clj       =     CHj .  CHO  +  2  HCl, 
CHs  •  CHO        +  3  Cl,     =     CCls  •  CHO  +  3  HCl 

erklären;  allein  man  hat  zweifellos  zwischen  der  Bildung  des  Aldehyds 
(erste  Gleichung)  und  der  Bildung  des  Chloralalkoholats  noch  eine  Reihe 
von  intermediären  Reactionen  anzunehmen.  Viel  Wahrscheinlichkeit  hat 
die  Annahme,  dass  sich  zunächst  aus  Aldehyd  und  Alkohol  Acetal 
CH3-CH(0-CjHß)2  bildet,  dieses  bis  zum  Dichloracetal  CHCla-C^O-CjHg)^ 
chlorirt  wird,  welches  nun  bei  weiterer  Chlorirung: 

/OC^Hfi 
CHCl,.CH(0.C,H5)j  +  Cl,  =  CClgCH/  +  CjHjCl 

\0H 

Chloralalkoholat  und  Chloräthyl  liefert.  Thatsächlich  tritt  Dichloracetal 
als  Nebenprodukt  der  Fabrikation  auf, 

Chlorirt  man  Alkohol  in  Gegenwart  von  Eisenchlorid,  so  erhält  man 
nicht  Chloralalkoholat,  sondern  ein  Gemisch  von  Chloral  und  Chloralhydrat*. 

Chloral'  ist  eine  ölige  Flüssigkeit  von  durchdringendem  Geruch, 
siedet  bei  97-7^  und  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gew.  1-512.  Mit  Wasser 
ist  es  an  sich  nicht  mischbar,  verbindet  sich  aber  damit  nach  wenigen 
Augenblicken    unter    lebhafter  Erhitzung   zu   leicht   löslichem   Chloral- 


*  WuBTz  u.  Vogt,  Compt  rend.  74,  777  (1872).  —  Lieben,  Ann.  eh.  [8]  62, 
313  (1858).  Ber.  3,  907  (1870).  —  Patebn6,  Ann.  160,  253  (1869).  —  Jacobsen  u. 
Nbuiceister,  Ber.  16,  599  (1882). 

*  Page,  Ann.  226,  209  (1884). 

"  Bbühl,  Ann.  203,  11  (1880).  —  Thobpe,  Journ.  Soc.  37,  191  (1880).  —  Fassa- 
VAKT,  Journ.  Soc.  39,  55  (1881).  —  Febein,  Journ.  Soc.  61,  808  (1887). 


864  Chloralhydrat, 


hydrat.  Bei  Gegenwart  geringer  Mengen  Schwefelsäure  oder  anderer 
Beimengungen  geht  es  allmählich  in  festes,  amorphes,  polymeres  ^  Chloral 
(Metachloral)  über;  durch  kleine  Mengen  Trimethylamin  können  grosse 
Mengen  Chloral  unter  lebhafter  Reaction  in  eine  weisse  feste  Masse 
verwandelt  werden,  welche  stickstofffrei  ist  und  bei  der  Behandlung  mit 
alkoholhaltigem  Aether  Chloralalkoholat  liefert. 

Chloral  reducirt  ammoniakalische  Silberlösung  unter  Spiegelbildung  ^, 
wird  von  rauchender  Salpetersäure  zu  Trichloressigsäure  (vgl.  S.  715) 
oxydirt,  von  Zink  und  Salzsäure  in  Aldehyd  verwandelt*.  Von  beson- 
derem Interesse,  ist  sein  Verhalten  gegen  wässrige  Alkalien;  schon  in 
der  Kälte  wird  es  in  Chloroform  und  ameisensaures  Alkali  gespalten: 

CC1,.CH0  +  KOH  =  CHCla  +  CHO-OK; 

diese  auffallende  Reaction*  illustrirt  besonders  deutlich  den  lockernden 
Einäuss,  den  die  Beladung  mit  negativen  Radicalen  auf  den  Zusammen- 
halt der  KohlenstofiFatome  ausübt  (ähnliche  Spaltungen  vgl.  bei  den  Poly- 
carbonsäuren  [S.  651,  699,  705],  der  Trichloressigsäure  [S.  715],  den 
/?-Diketonen  [S.  854],  den  halogenirten  Ketonen  [S.  868]  etc.).  Auf  dieser 
Reaction  beruht  die  übliche  Darstellungsmethode  des  Chloroforms  (S.  538). 
Indem  man  sie  mit  überschüssigem  titrirten  Alkali  ausfuhrt  und  dann 
die  nicht  durch  Ameisensäure  neutralisirte  Alkalimenge  zurücktitrirt, 
kann  man  eine  quantitative  Chloralbestimmung*  darauf  gründen. 

Das  Additionsbestreben  der  Aldehydgruppe  — CHO  ist  durch  die 
Vereinigung  mit  der  an  elektronegativen  Bestandtheilen  reichen  Gruppe 
— CClg  noch  erhöht.  Als  besonders  merkwürdig  ist  hervorzuheben,  dass 
Chloral  sich  mit  Wasser  schon  beim  Schütteln  zu  einem  Hydrat  ver- 
einigt, das  nicht  als  Krystallwasserverbindung,  sondern  als  Dihydroxyl- 
verbindung  CCl3-CH(OH)2  aufzufassen  ist.  Dieses  Chloralhydrat^  bildet 
grosse  monokline  Krystalle,  schmilzt  bei  57^,  siedet  bei  96 — 98®  unter 
Zerfall  in  Wasser  und  Chloral,  ist  in  Wasser  leicht  löslich  und  liefert, 
mit  concentrirter  Schwefelsäure  gemengt,  wieder  Chloral  zurück.  Es  ist 
diejenige  Form,  in  welcher  das  Chloral  auf  den  Vorschlag  Ltebseigh's^ 


*  Vgl.  V.  Meyer  u.  Dulk,  Ann.  171,  76  (1873).  —  Grabowski,  Ber.  8,  1436 
(1875).  —  Byasson,  Compt.  rend.  91,  1071  (1880).  —  Lemoine,  Compt  rend.  93,  514 
(1881).  —  CoMBEB,  Ann.  eh.  [6J  12,  268  (1887). 

"  Staedeler,  Ann.  106,  253  (1858).  ^  PEBflONNE,  Ann.  167,  113  (1871). 

*  Ueber  die  Benutzung  dieser  Eeaction  zu  Untersuchungen  betreib  der  Ver- 
zögerung oder  Verhinderung  chemischer  Beactionen  in  gewissen  Theilen  der  reagi- 
renden  Flüssigkeit  („todter  Raum  bei  chemischen  Beactionen'*)  ygl.  Lisbbsich,  Jb. 
1886,  32.  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  5,  529  (1890);  8,  83  (1891^  —  Budde,  Ztschr.  f. 
physik.  Chem.  7,  586  (1891). 

*  V.  Meter  u.  Hafftee,  Ber.  6,  600  (1873). 

^  Persottne,  Compt.  rend.  69,  1363  (1869).  —  Boucheb,  Lebaigne  u.  Jukofleisch, 
Ztschr.  Chem.  1870,  351.  —  Flückigeb,  ebenda,  482.  —  V.  Meyeb  u.  Dulk,  Ann. 
171,  65  (1873). 

^  Ber.  2,  269  (1869). 


Derivate  des  Cklorals.  865 


hin  seit  etwa  20  Jahren  das  beliebteste  Schlafmittel  darstellt;  auf  die 
Idee,  das  Chloral  als  Schlafmittel  zu  prüfen,  wurde  Liebbeich  durch 
die  Erwägung  gefuhrt,  es  möchte  innerhalb  des  Organismus  Chloroform 
abspalten;  doch  haben  spätere  Untersuchungen  gezeigt,  dass  das  Chloral 
diese  Spaltung  im  Körper  nicht  erleidet,  sondern  nach  Reduction  zu 
Trichloräthylalkohol  in  Form  einer  eigenthümlichen  Säure  —  der  Uro- 
chloralsäure  (vgl.  S.  952)  —  austritt  ^  Die  schlafmachende  Wirkung  des 
Chlorals  düi'fte  eher  auf  seine  Zugehörigkeit  zur  Klasse  der  Aldehyde 
zurückzuführen  sein  (vgl.  Paraldehyd  S.  406,  Trichloressigsäure  S.  715). 
—  Für  die  Auffassung  des  Chloralhydrats  als  Dihydroxylderivat^  spricht 
namentlich  der  Umstand,  dass  es  im  Gegensatz  zum  Chloral  die  Aldehyd- 
reaction  mit  fuchsinschweiiiger  Säure  (S.  393)  nicht  zeigt;  das  Chloral- 
hydrat  bildet  mithin  eine  Ausnahme  von  der  Regel,  dass  mehrere  Hydroxyl- 
gruppen nicht  an  demselben  Kohlenstoffatom  haften  können  (vgl.  S.  558). 

Derivate  des  Chlorals.    Das  dem  Cbloralhydrat  analoge  und  äusserlich  äbn- 

/0C,H5 
liehe   Chlor alalkoholat"'*   CCl3*CH<(^  —    das   Zwischenprodukt    bei   der 

Chloraldarstellung  (S.  868)  —  schmilzt  bei  56— 57<>,  siedet  hei  115  <>  unter  Zer&ll. 
Infolge  der  Alkoholabgabe  entwickelt  es  beim  Erhitzen  im  Gegensatz  zum  Cbloral- 
hydrat brennbare  Dämpfe;  daher  wird  von  dem  officinellen  Cbloralbydrat  nach  dem 
Arzneibucb  für  das  deutsche  Reich  gefordert,  dass  es  keine  brennbaren  Dämpfe  ent- 
wickelt 

/OH 
Chloralammoniak*-«  CClg-CH/         schmilzt  bei  62— 64<>.  —  Auch  mit  Sfiure- 

amiden^'^  tritt  Chloral  zu  additioneilen  Verbindungen  zusammen;  hierher  gehört  das 

.OH 
als    SchlafiDaittel    benutzte  Chloral formamid    CCl3-CH<;  (Schmelzpunkt 

^NH-CHO 
114—115°). 

Hydrozylamin   reagirt   ebenfalls   zunächst  auf   Chloral  unter  Bildung   eines 

.OH 
Additionsproduktes^  CCL-CH^  ;  dasselbe  krystallisirt  in  Schuppen  und 

^NHOH 
schmilzt  bei  98®.    Durch  Einwirkung  von  überschüssigem  salzsaurem  Hydroxylamin 
in  sehr  concentrirter  wässriger  Lösung  und  bei  gelinder  Wärme  erhält  man  das  Tri- 
chloraldoxim^  CClg •  CH :  N •  OH,  welches  bei  39—40*^  schmilzt,  in  kleinen  Mengen 


*  Vgl.  V.  Merino  u.  Musculus,  Ber.  8,  662  (1875). 

•  Cabo  u.  V.  Meter,  Ber.  13,  2343  Anm.  (1880).  —  Vgl.  auch  Peekin,  Journ. 
Soc  51,  808  (1887). 

•  Pebsonne,  Compt.  rend.  69,  1363  (1869).  —  Roucheb,  Lebaiqne  u.  Jungfleisch, 
ZtBchr.  Chem.  1870,  351.  —  Mabtiüs  u.  Mendelssohn,  Ber.  3,  444  (1870).  —  Lieben, 
ebenda,  909. 

*  Pebsonke,  Ann.  157,  114  (1871).  —  R.  Schiff,  Ber.  10,  166  (1877).  —  Bähal 
u,  Ghoay,  Compt.  rend.  109,  817  (1889);  110,  1270  (1890).  Ann.  eh.  [6]  26,  5  (1892). 
—  Vgl.  auch  R.  Schupf,  Ber.  24  c,  628  (1891). 

*  Jacobsen,  Ann.  167,  243  (1870).  —  Moscheles,  Ber.  24,  1803  (1891). 

•  Hantzsch,  Ber.  26,  701  (1892).  '  V.  Meyeb,  Ann.  264,  118  (1891). 
»  Bähal  u.  Choay,  Ann.  eh.  [6]  27,  319  (1893). 

y.  Mbtbk  u.  Jaoobsok,  org.  Chem.    I.  55 


866  Cldorderivate  der  höheren  Aldehyde. 


unzersetzt  siedet,  furchtbar  reizende  Wirkung  auf  die  Augen  ausübt  und  von  Alkalien 
explosionsartig  unter  Bildung  von  Blausäure,  Salzsäure  und  Kohlensäure  (nicht  Chloro- 
form) zersetzt  wird.  Durch  Einwirkung  von  überschüssigem  Hydroxylamin  auf  Chloral 
in  Gegenwart  von  überschüssigem  Alkali  entsteht  das  Chlorglyoxim*  CC1(:N0H)' 
CH(:N'OH)  (Chloramphiglyoxim),  welches  aus  Wasser  mit  1  Mol.  Krystall- 
wasser  in  Nadeln  krystallisirt  und  in  verdünntem  Nati'on  und  in  Ammoniak  sich 
unverändert  auflöst;  leitet  man  in  seine  ätherische  Lösung  Chlorwasserstoff,  bo 
wird  es  in  das  stereoisomere  Chlorantiglyoxim  verwandelt,  welches  gegen 
Alkalien  äusserst  empfindlich  ist;  durch  sehr  verdünnte  Alkalien  wird  letzteres 
augenblicklich  in  Chloramphiglyoxim  zurückverwandelt,  durch  gewöhnliches  Natron 
unter  Gelbfärbung,  durch  concentrirtes  Ammoniak  unter  Bräunung  explosionsartig 
zersetzt.  Es  liegt  hier  ein  specieller  Fall  von  Stereoisoraerieerscheinungen  vor,  wie 
sie  bei  Oximen  in  letzterer  Zeit  sehr  häufig  beobachtet  sind  (vgl.  S.  950,  977, 985, 98Ti 
und  namentlich  an  den  Oximen  der  aromatischen  Reihe  ausführlich  studirt  sind. 
Ueber  ihre  Erklärung  (wie  auch  über  die  Bedeutung  der  Vorsilben  „amphi*'  und 
„anti^O  vergleiche  daher  die  Oxime  aromatischer  Aldehyde  und  Ketone  in  Band  IL 
Mit  a-Oxysäuren  (z.  B.  Milchsäure)  tritt  Chloral  beim  Erhitzen  zu  acetalartigeu 
Verbindungen  unter  Wasserabspaltung  zusammen,  die  als  Chlorali  de  bezeichnet 
werden,  z.  B. : 

OH .  CH  ■  CH.  /0-CH .  CHj 

f  =     CCl3-CH<         1 

OH.  CO  ^O-CO 

Chloralid^  war  ursprünglich  eine  Substanz  CsH^Cl^Os  genannt,  welche  durch 
Einwirkung  von  rauchender  Schwefelsäure  auf  Chloral  entsteht,  bei  114—115® 
schmilzt  und  bei  272—273^  siedet.  Die  Constitution  dieser  Verbindung,  die  lange 
räthselhaft  war,  ist  durch  eine  scharfsinnige  Untersuchung  von  Wallach  an%eklSrt: 
da  sie  auch  beim  Erhitzen  von  Trichlormilchsäure  (S.  755)  mit  Chloral  entsteht,  so 

,0— CHCCl, 
ist  sie  als  Trichlormilchsäure-trichloräthylidenester  CCls-CH<f         ( 

^CO-CO 
aufzufassen. 

Chlorderivate  der  höheren  Aldehyde,  Wenn  man  gewöhnlichen  Acetaldehyd 
oder  Paraldehyd  der  Einwirkung  von  Chlor  aussetzt,  so  erhält  man  als  Hauptprodukt 
nicht  ein  Substitutionsprodukt  des  Acetaldehyds,  sondern  ein  Trichlorderivat  des 
Butyraldehyds  —  das  sogenannte  Butylchloral',  welchem  bisher  die  Formel  CH,- 
CHCl •  CCl, •  CHO  zuertheilt  wurde,  welches  aber  nach  einer  neueren  Untersuchung 
ein  Gemijsch  von  zwei  sehr  ähnlichen  Isomeren  zu  sein  scheint;  die  Reaction  verlSuft 
wahrscheinlich  derart,  dass  sich  zunächst  Monochloracetaldehyd  bildet,  welcher  sich 
unter  dem  Einfluss  der  entstehenden  Salzsäure  mit  Aldehyd  zu  a-Chlorcrotonaldehyd 
condensirt,  worauf  letzterer  Chlor  addirt: 

CHs .  CHO  +  CHjCl .  CHO     =     CH,  •  CH :  CCl  •  CHO  +  H,0 , 
CH, .  CH :  CCl .  CHO  +  Cl,     =     CH,  •  CHCl  •  CCl,  •  CHO . 


CCl,.  CHO  +1  =     CC1,.CH<         [  +  H,0. 


1  Nageli,  Ber.  16,  499  (1883).  —  Hantzsch,  Ber.  26,  707  (1892). 

»  StIdeleb,  Ann.  61,  104  (1847);  106,  253  (1858).  —  Kekulä,  Ann.  106,  293 
(1857)1  —  Geabowsky,  Ber.  8,  1433  (1875).  —  Wallach,  Ann.  193,  1  (1878).  -  Otto, 
Ann.  239,  262  (1887).  —  Amschütz  u.  Haslam,  Ann.  239,  297  (1887);  263,  121  (1889> 

«  KbImee  u.  Pinneb,  Ber.  3,  388  (1870).  —  Sabnow,  Ann.  164,  98  (1872).  - 
Pinneb,  Ber.  8,  1561  (1875).  Ann.  179,  26  (1875).  —  Engel  u.  Moitessibb,  Oompt 
rend.  90,  1075  (1880).  —  Lieben  u.  Zeisel,  Jb.  1881,  598.  Monatsh.  4,  531  (1883  <• 
—  BBtfHL,  Ann.  203,  20  (1880).  —  Thomas,  Jb.  1887,  1361.  —  IL  Sohifp  u.  Taeuoi. 
Ber.  24c,  828  (1891).  —  R.  Schipp,  Ber.  26,  1690  (1892), 


Broni'  und  Jodderivate  der  Aldehyde.  867 


Butylchloral  ist  eine  farblose  ölige  Flüssigkeit,  siedet  bei  164— 165^  besitzt  bei  20*^ 
das  spec.  Gew.  1*396,  vereinigt  sich  mit  Wasser  zu  einem  krystallinisehen  Hydrat, 
wird  von  Salpetersäure  zu  Trichlorbuttersäure  oxydirt. 

a  Chlorisobutyraldehyd  ^  (CHa),CClCHO  ist  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf 
Isobutylalkohol  erhalten. 

Bromderlrate  der  Aldehyde. 

Monobromaeetaldehyd*  CH,Br>CHO  ist  durch  Spaltung  von  Monobromacetal 
mit  Wasserspeier  Oxalsäure  (vgl.  Chloraldehyd,  S.  862)  erhalten. 

BromaP  CRrj-CHO  ist  in  Bezug  auf  Bildung  und  Verhalten  dem  Chloral  durch- 
aus analog;  es  siedet  bei  172 — 173^,  ist  bei  -20^  noch  flüssig,  besitzt  das  spec.  Gew. 
3-34;  sein  Hydrat  schmilzt  bei  53 -5^  —  Tribrompropionaldehyd^  CH,Br-CBr,CHO 
(Glycerinbromal)  entsteht  durch  Einwirkung  eines  Gemisches  von  concentrirter 
Bromwasserstoflfeäure  und  concentrirter  Schwefelsäure  auf  Glycerin;  sein  Hydrat 
C,H,Br,0  +  2H,0  schmilzt  bei  61- 5^ 

JodderiTate.  Monojodderivate  der  Aldehyde*  lassen  sich  leicht  durch 
Einwirkung  von  Jod  auf  die  in  Wasser  oder  Alkohol  gelösten  Aldehyde  in  Gegen- 
wart von  Qnecksilberoxyd  oder  Jodsäure  erhalten.  Monojodaeetaldehyd  CH,J*CHO 
ist  eine  wasserhelle  ölige  Flüssigkeit  vom  spec.  Gew.  2*14  bei  20^  die  bei  —  20^ 
nicht  erstarrt,  sich  an  der  Luft  schnell  schwärzt,  bei  80^  schon  Zersetzung  erleidet; 
schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  stösst  er  Dämpfe  aus,  die  ausserordentlich  die 
Augen  und  Athmungswerkzeuge  angreifen.  —  Ein  dem  Chloral  entsprechendes  Jodal* 
CJj-CHO  ist,  obwohl  früher  beschrieben,  in  Wahrheit  nicht  bekannt. 

Halogenderirate  der  Eetone. 

Die  Halogenderivate  der  Ketone  können  leicht  durch  directe  Sub- 
stitution aus  den  Ketonen  —  sowohl  aus  den  Monoketonen  wie  aus  den 
Diketonen  —  gewonnen  werden^. 

Hochhalogenirte  Derivate  der  Ketone  entstehen  häufig  aus  Benzol- 
derivaten durch  Spaltung  des  KohlenstofiFringes®  bei  der  Einwirkung  der 
Halogene;  z.  B.  erhält  man  (unter  intermediärer  Bildung  von  Penta- 
methylenderivaten,  vgl.  Bd.  II): 


»  Brochet,  Bull.  [3]  7,  641  (1892). 
'  E.  FiscHEB  u.  Landstbiner,  Ber.  25,  2651  (1892). 

"  Löwio,  Ann.  3,   288  (1832).    —   Schapper,   Ber.  4,    366  (1871).    —    Hardt, 
Gompt  rend.  79,  806  (1874).  —  Pikneb,  Ann.  179,  72  (1875). 
^  NiEMiLowicz,  Monatsh.  11,  87  (1890). 

*  Chautard,  Compt  rend.  102,  118  (1885).  Ann.  eh.  [6]  16,  145  (1888). 

«  Vgl.  AüATO^Jb.  1876,  473.  —  Bertrand,  Jb.  1881,  588.  —  Mülder,  Rec. 
trav.  chim.  7,  321  (1888). 

'  Vgl.  S.  868—869  die  Citate  bei  den  Chlorderivaten  des  Acetons,  femer:  Emmer- 
LDfO  u.  Wagner,  Ann.  204,  28  (1880).  —  de  Clermont  u.  Chautard,  Compt.  rend. 
100,  745  (1885).  —  Norton  u.  JVestenhoff,  Jb.  1888,  1564.  —  Vladesco,  Butl.  [3]  6, 
395,  807  (1891).  —  Combes,  Compt.  rend.  111,  272  (1890). 

*  Vgl.  WEroEL  u.  Gbcber,  Ber.  10, 1145  (1877).  —  Hantzsch  u.  Schniteb,  Ber.  20, 
2040  (1887).  —  Hantzsch,  Ber.  21,  2427,  2437,  2441  (1888);  22,  1254,  1255,  2847, 
2849  (1889).  —  Lew  u.  Jedlicea,  Ber.  20,  2318  (1887);  21,  318  (1888).  —  Zincke  a. 
Kegel,  Ber.  23,  231,  235,  240,  1708,  1717  (1890).  —  H.  Landolt  jun.,  Ber.  25,  857 
(1892). 

55* 


868  Halogenderivate  von  Kelonen. 


CHCl, .  CO  •  CHCl,  /^^\ 

Tetrachloraceton  Cl  •  C  U  •  OH 

und  aus  ;  ' 

CHCljCO.CO.CHCl,  ^*^-^        ^-^^ 

Tetrachlordiacetyl  ^CO^ 

Chloranilsäure 

durch  Einwirkung  von  chlorsaurem  Kali  und  Salzsäure,  Hexabromaceton 
aus  .der  entsprechenden  Bromanilsäure;  aus  Phoroglucin  entsteht  bei  der 
Einwirkung  von  Chlor  ein  Hexachlortriketohexamethylen: 

OH 
^h  .CO. 


CH  CH  CCl,         CCJa 

I  I       .       >        \               !       , 

OH-C  C~OH  Co           CO 

"^ch/  \cci/ 

welches    bei    weiterer  Behandlung  mit   Chlor   und   Wasser  Octochlor- 
acetylaceton : 

COCCU-CO  Qj^  CO.CCIj.CO.OH 


A 


+  01 

Cla-COCClj      ^'  CCla-COCCIi 

COCCUCOOH  COCCla 

4-Cl.OH  =  !  +C0,  4-H,0 


CCl, .  CO .  CCI3  CCl, .  CO .  CClj 

liefert,  etc. 

Manche  Halogenderivate  der  Ketone  besitzen  einen  äusserst  stechen- 
den Geruch  oder  nehmen  einen  solchen  beim  Aufbewahren  an;  beim 
Operiren  mit  denselben  ist  grösste  Vorsicht  geboten,  da  ihre  Dämpfe 
Augen  und  Athmungsorgane  in  der  heftigsten  Weise  angreifen. 

Die  hochhalogenirten  Derivate  der  Ketone  erinnern  an  das  Chloral 
durch  ihre  Neigung  zur  Bildung  krystallisirter  Hydrate,  wie  CHCIjCO- 
CHClg  +  4H2O,  und  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  sie  durch  verdünnte 
Alkalien  gespalten  werden,  z.  B.  Hexachloraceton  CClg-CO-CCl^  durch 
Ammoniak  in  Chloroform  CHCI3  und  Trichloracetamid  NHj-CO-CClg. 

Chlorderivate  des  Acetons.  Durch  Chlorirung  des  Acetons^  im  zerstreuten 
Licht  erhält  man  als  Endprodukt  Tetrachloraceton,  während  die  Chlorirung  im  directen 
Sonnenlicht  bis  zur  Substitution  aller  Wasserstoffatome  durchgeführt  werden  kann- 
Monochloracetoni-«  CHjCl-CO-CH,  siedet  bei  118— 120^  zeigt  bei  13»  das  spec 
Gew.  1*158,  ist  in  Wasser  leicht  löslich  und  bildet  kein  Hydrat;  es  besitzt  in  der 
Regel  einen  äusserst  heftige^,  zu  Thränen  reizenden  Geruch,  der  indess  dem  reinen 
frisch  bereiteten  Präparat  nicht  zukommt  und  älteren  Präparaten  durch  Waschen 
mit  seftr  schwach  alkalischem  Wasser  benommen  w^en  kann;    man  benutzt  es  zu- 


*  Clobz,  Ann.  eh.  [6]  9,  145  (1886). 

»  RicHE,  Ann.  112,  821  (1859).  —  Linnemann,  Ann.  134,  171  (1865);  138,  122 
(1866).  —  Glutz,  J.  pr.*[2]  1,  189  (1870).  —  C.  Bischofp,  Ber.  5,  863  (1872).  - 
Henry,  ebenda,  190,  966.  —  Mulder,  ebenda,  1009.  —  Glütz  u.  Fischer,  J.  pr.  l21 
4,  52  (1871).  —  TscHERNiAC,  Ber.  25,  2629  (1892).  —  Feitsch,  Ber.  26,  597  (1898). 


Chlorderivate  des  Acetons  und  Di^iceiyls.  869 


weilen  für  Synthesen,  um  das  Acetonylradical  CH,-CO-CHj —  einzufuhren.  —  üu- 
BjmmetrischeB  Dichloraceton*'*'  CHC1,«C0«CH,  entsteht  bei  der  Chlorirung 
des  Acetons,  siedet  bei  1*^0^  besitzt  bei  15^  das  spec.  Gew.  1«284,  ist  in  Wasser 
wenig  löslich,  riecht  stark  reizend  und  bildet  ein  Hydrat  mit  3  Mol.  Wasser.  —  Sym- 
metrisches Dichloraceton*-*-*  CHjCl-CO-CHjCl  entsteht,  wenn  man  Aceton  in 
Gegenwart  von  Wasser  mit  Chloijod  bedandelt  und  das  so  erhaltene  Dijodacetou  mit 
Chlorsilber  erhitzt;  es  schmilzt  bei  +  44°  und  siedet  bei  170°.  Durch  Oxydation  von 
symmetrischem  Dichlorhydrin  CHjCl -011(011)  »CHjCl  erhält  man  ein  Produkt  von 
der  Zusammensetzung  des  Dichloracetons^*^,  welches  den  gleichen  Schmelzpunkt  und 
Siedepunkt  wie  das  obige  symmetrische  Dichloraceton  zeigt,  aber  doch  nicht  in  allen 
Stücken  sich  mit  demselben  gleichartig  zu  verhalten  scheint.  —  Die  beiden  isomeren 
Trichloracetone*-'  CHC1,.C0.CH,C1  und  CClg-COCHj  entstehen  bei  der  Chlori- 
rung des  Acetons;  CCls'CO'CH,  spaltet  mit  Alkalien  Chloroform  ab  (vgl.  S.  538).  — 
Unsymmetrisches  Tetrachloraceton»»  CClj-CO-CHjCl  siedet  bei  180—182°, 
zeigt  bei  17°  das  spec.  Gew.  1*482,  ist  mit  Wasserdämpfen  sehr  fltlchtig,  besitzt 
furchtbar  heftigen  Geruch,  bildet  mit  4  Mol.  HgO  ein  bei  38 — 39°  schmelzendes 
Hydrat  und  liefert  mit  Ammoniak  Chloroform  neben  Monochloracetamid.  —  Sym- 
metrisches Tetrachloraceton**'  CHClj •  CO •  CHClj  wird  am  besten  aus  Tri- 
amidophenol  durch  Oxydation  mit  Salzsäure  und  Kaliumchlorat  erhalten,  siedet  bei 
179 — 181°,  besitzt  das  gleiche  specifische  Gewicht  wie  das  unsymmetrische  Tetra- 
ebloraceton;  mit  4  Mol.  H^O  bildet  es  ein  Hydrat,  welches  aus  warmem  Wasser  in 
farblosen  Säulen  kiystallisirt  und  bei  48—49°  schmilzt.  —  Pentachloraceton*"*'*° 
CClj-CO-CHClj  siedet  bei  192°,  besitzt  bei  14°  das  spec.  Gew.  1-576,  löst  sich  in 
der  zehnfachen  Menge  Wasser  von  0°  und  scheidet  sich  bei  50 — 60°  wieder  aus  der 
LfoeuDg  ab,  liefert  mit  Ammoniak  Chloroform  und  Dichloracetamid.  —  Hexachlor- 
aceton^  CClg-CO-CCl,  (Perchloraceton)  erstarrt  in  der  Kälte  zu  grossen  weissen 
Bl&tte'm,  die  bei  —  2°  schmelzen,  siedet  bei  202 — 204°,  besitzt  bei  12°  das  spec.  Gew. 
1-744,  bildet  mit  1  Mol.  Wasser  ein  Hydrat,  spaltet  sich  beim  Erhitzen  mit  Wasser 
auf  120°  glatt  in  Chloroform  und  Trichloressigsäure. 

Halofenderivate  des  Diacetyls.  Tetrachlordiacetyl"  CHC1,C0.C0CHC1, 
(Bildung  s.  S.  867 — 868)  krystallisirt  aus  Aether  in  intensiv  gelben  Tafeln,  schmilzt 
bei  83 — 84°,  siedet  bei  201—203°,  riecht  stechend  und  ist  in  warmem  Wasser  löslich. 


»  Cloez,  Ann.  eh.  [6]  9,  145  (1886). 

•  Glutz  u.  Fischer,  J.  pr.  [2]  4,  52  (1871).  —  Tscherniao,  Her.  26,  2629  (1892). 
»  FiTTio,  Ann.  110,  40  (1858).  —  Bobsche  u.  Fittio,  Ann.  133,  112  (1864).  — 

LiKNEMAKN  u.  ZoTTA,  Ann.  168,  247  (1871).  —  Mulder,  Ber.  6,  1007  (1872).  —  Thbe- 
OABTBM,  Ber.  e,  897  (1873).  —  Biscuopf,  Ber.  8,  1330  (1875).  —  Grabowsky,  ebenda, 
1438.  —  Conrad,  Ann.  186,  235  (1877).  —  V.  Meyer  u,  Jaknv,  Ber.  16,  1165  (1882). 

•  VoELCKER,  Ann.  192,  93  (1878). 
»  Fritsch,  Ber.  26,  598  (1893). 

^  Erlenbach,  Ann.  269,  18,  46  (1891). 

»  Krämer,  Ber.  7,  257  (1874).  —  Morawski,  J.  pr.  [2]  12,  379  (1875).  —  Bi- 
schoff, Ber.  8,  1336  (1875).  —  Combes,  Ann.  eh.  [6]  12,  239  (1887). 

•  BiscHOFP,  Ber.  8,  1342  (1875). 

'  Lbvy  u.  Jedlicka,  Ber.  21,  319  (1888).  —  Levy  u.  Churchod,  Ann.  262,  330 
(1889).  —  Levy  u.  Witte,  ebenda,  343.  —  Hantzscb,  Ber.  21,  2438  (1888).  —  Zincke 
n.  Kboel,  Ber.  22,  1478  (1889). 

^^  Plantahoür,  Berz.  Jb.  26,  429  (1847).  —  Stadeler,  Ann.  111,  293  (1859). 

"  Levy  u.  Jeducka,  Ber.  21,  318  (1888).  —  Levy  u.  Witte,  Ann.  264,  83 
(1889).  —  Levy,  ebenda,  374. 


870  Halogenderivate  des  Acetylacetons. 


—  Das  entsprechende  Tetrabromdiacetyl*  CHBr, •  CO •  CO •  CHBr,  (Schmelzpunkt 
95 — 96^j  kann  durch  directe  Bromirung  des  Diacetyls  erhalten  werden. 

Halopenderirate  des  Aeetylaeetons.  Durch  erschöpfende  Halogenimng'  des 
Acetylacetons  in  der  Wärme  und  im  Sonnenlichte  erhält  man  Hezachloracetyl- 
aceton  CClj-COCHj-COCCls  (flüssig,  Siedepunkt  190—195«  unter  20  mm  Druck) 
uni  Heiabromacetylaceton  CBrj.CO-CHj'CO-CBr,  (fiirblose  Nadeln,  Schmek- 
punkt  107— 108*0  —  Verbindungen,  aus  welchen  Alkali  mit  grösstei*  Leichtigkeit 
Trichloraceton  bezw.  Tribromaceton  abspaltet.  —  Octochloracetylaceton'  (X)l,- 
CO . CClg •  CO . CCla  (Bildung  vgl.  S.  868)  schmilzt  bei  42—48«,  siedet  unter  Summ 
Druck  bei  165 — 168«  und  liefert  mit  Ammoniak  Trichloracetamid.  —  Octobrom- 
acetylaceton*  CBr, •  CO •  CBr, •  CO •  CBr,  (Phlorobromin)  schmilzt  bei  154-155* 
und  wird  beim  Erhitzen  mit  Wasser  auf  180 — 140«  in  Bromoform,  Kohlensäure  und 
Pentabromaceton  gespalten. 


I 

I 


Vierunddreissigstes  Kapitel. 

Die  einfachen  Aldehydalkohole  und  Ketonalkohole. 

Die  Gruppe  der  Aldehydalkohole  und  Ketonalkohole  hat  ein  be- 
sonderes Interesse  erlangt,  seitdem  man  erkannt  hat,  dass  Substanzen 
ihr  angehören,  welche  die  Natur  im  allergrössten  Massstab  im  Pflanzen- 
körper erzeugt,  welche  wichtige  Bestandtheile  unserer  täglichen  Nahrungs- 
mittel ausmachen.  Es  sind  dies  die  sogenannten  ., Kohlenhydrate'*, 
die  theils  nichts  anderes  als  Aldehydalkohole  oder  Ketonalkohole  sind 
(Traubenzucker,  Fruchtzucker  etc.),  theils  anhydridartige  Abkömmlinge 
derselben  (Rohrzucker,  Stärke,  Cellulose  etc.),  welche  leicht  in  Aldehyd- 
bezw.  Ketonalkohole  übergeführt  werden  können.  Die  Molecüle  dieser 
Substanzen  bezw.  der  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Aldehydalkohole  oder 
Ketonalkohole  enthalten  stets  auf  eine  Carbonylgruppe  eine  grössere 
Zahl  von  Hydroxylgruppen. 

In  diesem  Kapitel  sollen  zunächst  die  einfacheren,  nur  künstlich 
gewonnenen  Aldehydalkohole  und  Ketonalkohole  besprochen  werden, 
deren  Molecüle  neben  einer  Carbonylgruppe  nur  eine  oder  zwei 
Hydroxylgruppen  enthalten.  Im  Anschluss  daran  bringt  das  folgende 
Kapitel  die  Schilderung  der  hydroxylreicheren  Aldehyd-  und  Keton- 
alkohole —  der  einfachen  Zuckerarten  oder  Monosaccharide. 

lldehydaikohole. 

Der  einfachste  Aldehydalkohol  —  der  Glykolsäurealdehyd  *  CH,(OH)' 
CHO  (Glykolaldehyd)  —  ist  bisher  nur  in  wässriger  Lösung  bekannt 

*  Keller,  Ber.  23,  85  (1890).  «  Combes,  Ann.  eh.  [6]  12,  236  (1887). 
3  ZiNCKE  u.  Kegel,  Ber.  23,  240  (1890).  { 

*  Benedikt,  Monatsh.  6,  702  (1885).  —  Zincke  u.  Kegel,  Ber.  23,  1717  (1890).  ' 
»  Abeljanz,    Ann.  164,    213,    223    (1872),   —    Pinneb,   Ber.  6,    150  (1872).  - 

E.  Fischer  u.  Landstbineb,   Ber.  25,    2549  (1892).    —    W.  Marcewald  u.  Eluxoer, 
ebenda,  2984. 


Glykolsäurealdehyd  und  ÄldoL  ■  871 


Man  bereitet  seine  Lösung,  vom  Acetal  ausgehend;  entweder  bromirt 
man  Acetal,  spaltet  aus  dem  Monobromacetal  durch  Erhitzen  mit  wasser- 
freier Oxalsäure  die  Aethylgruppen  ab  (vgl.  S.  862)  und  entbromt  den  so 
entstehenden  Bromaldehyd  durch  kaltes  Barytwasser: 

CHgCHCOCjHg),   >-    CH,Br.CH(O.C,Hß),   >-    CHjEr-CHO 

>-    CH2(0H).CH0; 

oder  Chloracetal  wird  durch  Erhitzen  mit  alkoholischer  Kalilauge  in 
Glykolacetal  übergeführt,  und  letzteres  durch  Kochen  mit  sehr  verdünnten 
Säuren  gespalten: 

CH,Cl.CH(O.C,Hö),   >-   CHj(0H).CH(0C,H5),   >   CHj(OH).CHO. 

Die  Gegenwart  des  sehr  leicht  veränderlichen,  mit  Wasserdämpfen  übrigens 
aus  verdünnten  Lösungen  unzersetzt  abdestillirenden  Glykolaldehyds  in 
den  auf  passende  Weise  gereinigten,  durch  obige  Beactionen  erhaltenen 
Lösungen  ergiebt  sich  aus  der  Entstehung  von  Glykolsäure  durch  Oxy- 
dation derselben  mit  Bromwasser.  Die  Lösung  zeigt  die  folgenden,  für 
Verbindungen,  welche  die  Gruppe 

-CH(OH)-CO- 

enthalten,  typischen  Reactionen: 

1.  sie  reducirt  FEHLiNö'sche  Lösung  (schon  bei  Zimmertemperatur), 

2.  sie  färbt  sich  beim  En^'ärmen  mit  Alkalien  gelb, 

3.  sie  liefert  bei  gelindem  Erwärmen  mit  essigsaurem  Phenyl- 
hydrazin infolge  von  Oxydation  der  zur  Carbonylgruppe  benachbarten 
Alkoholgruppe  ein  „Osazon"  (vgl.  S.  850),  in  diesem  Falle  dasjenige 
des  Glyoxals: 

CeHB.NHNiCH-CHiNNH.CeHj. 

Lässt  man  die  Lösung  bei  0^  mit  schwacher  Natronlauge  längere  Zeit 
stehen,  so  ist  der  Glykolaldehyd  durch  Aldolcondensation  (vgl.  unten): 

CH,(OH).CHO  +  CH,(OH).CHO  =  CH8(0H).CH(0H).CH(0H).CH0 

in  eine  Tetrose  (vgl.  S.  891)  verwandelt. 

Wichtig  ist  femer  der  /S-Oxybutyraldehyd^  CH3.GH(OH)-CH2-CHO, 
welcher  von  Wübtz  entdeckt  und  Aldol  genannt  worden  ist;  er  entsteht 
durch  Polymerisation  des  Acetaldehyds  (vgl.  S.  407): 

CHjCHO  +  CHs-CHO  =  CH,  •  CH(OH)  •  CH,  ■  CHO , 

und  diese  Bildung  stellt  den  zuerst  bekannt  gewordenen  Fall  einer  sehr 
häufig  eintretenden  Reaction  der  Aldehyde  dar  (Aldolcondensation, 
vgL  S.  395).  Aldol  ist,  frisch  destillirt,  leicht  flüssig,  wird  aber  bald 
unter  Erwärmung  zäh,  um  bei  erneuter  Destillation  wieder  flüssig  zu 
werden;    es    siedet    unter   20  mm    bei    90 — 105^,    besitzt   bei   0^   das 


*  WuETz,  Compt  rend.  74,  1861  (1872);  76,  1165  (1878);  83,  255,  1259(1876); 
92,  1438  (1881);  97,  1169,  1525  (1883).  —  Lobby  de  Brutn,  Bull.  42,  161  (1884).  — 
MicHASL  n.  Kopp,  Ber.  16,  2501  (1883).  —  Obndorbf  u.  Newbuby,  Monatsh.  13, 
517   (1892). 


872  Ketonalkohole  oder  Ketok. 


spec.   Gew.  1-121.    ist   mit  Wasser   und   Alkohol   mischbar,   in  Aether 

löslich,  liefert  beim  Erhitzen  auf  135®  Crotonaldehyd  (vgl.  S.  526),  durch 

Oxydation   mit    Silberoxyd   /S-Oxybuttersäure    (S.  759)  und  polymerisirt 

sich  leicht. 

lieber  den  dem  Aldol  isomeren  a-Oxyisobuturyraldehjd^  (CHa),C(OH)-CH0 
vgl.  die  Original literatur. 

Ketonalkohole  oder  Eetole. 

Die  Verbindungen,  welche  zugleich  Keton  und  Alkohol  sind,  be- 
zeichnet man  als  Ketole*  und  unterscheidet  je  nach  der  Stellung  des 
Hydroxyls  zum  Carbonyl  1.2-Ketole,  1.3-Ketole  etc. 

A.    1.2-Ketole. 

Die  1.2-Ketole  —  die  Verbindungen  also,  welche  benachbart  zur 
Carbonylgruppe  eine  alkoholische  Hydroxylgruppe  enthalten,  —  sind  in 
bemerkenswerther  Weise  durch  ihre  leichte  Oxydirbarkeit  ausgezeichnet 
und  wirken  daher  —  ähnlich  den  Aldehyden  —  als  kräftige  Reduetions- 
mittel.  So  reduciren  sie  alkalische  Kupferoxydlösujigen  zu  Kupferoxydul, 
ammoniakalische  Silberlösung  zu  Metall.  Bei  der  Einwirkung  von  Phenyl- 
hydrazin erhält  man  zuerst  zwar  die  entsprechenden  Hydrazone,  z.  B.: 

CHa-CiN-NHCeHj  CHgCO 

I  aus  I  ; 

CH, .  CH .  OH  CHs .  CH .  OH 

erwärmt  man  aber  mit  überschüssigem  Phenylhydrazin,  so  wirkt  das 
Phenylhydrazin  als  Oxydationsmittel  und  erzeugt  aus  der  zunächst  nicht 
in  Reaction  getretenen  Carbinolgruppe  eine  Carbonylgruppe,  welche  nun 
wieder  mit  Phenylhydrazin  reagiren  kann;  demgemäss  entsteht  das  Di- 
hydrazon  eines  1.2-Diketons  oder  1.2-Ketoaldehyds,  ein  Osazon  (vgl 
S.  850),  z.  B.: 

CH.C :  N-NHCeH»  CH.CO 

I  aus  I 

CHa-CiNNHCaHg  CH,.CH.OH 

1.2-Ketole   können   aus   den  Halogenderivaten    der   Ketone  durch 

Auswechselung   des   Halogens   gegen   Hydroxyl   oder  aus  1.2-Diketonen 

durch  partielle  Reduction  erhalten  werden. 

Methylketol**«  CHa-CO-CH/OH)  (Oxyaceton,   Acetylcarbinol,  Acetoli 
—  aus  Chloraeeton  gewinnbar,   indem    man   daraus   durch  Einwirkung  von  Kalium* 


'  GoBBOW  u.  Kessler,  Ber.  20  o,  779  (1887). 
»  v.  Pbchmann,  Ber.  22,  2214  (1889). 

•  „Metbylketol"  wurde  früher  ein  Homologes  des  Indols  genannt,  welches  jetzt, 
nachdem  seine  Constitution  mit  Sicherheit  festgestellt  ist,  als  oe-Methylindol  be- 
zeichnet wird  (vgl.  Bd.  II). 

*  Henst  u.  Bischopinck,  Ber.  5,  966  (1872).  —  Henry,  Compt  rend.  93,  421 
(1881);  95,  850  (1882).  —  Emmerlino  u.  Wagner,  Ann.  204,  27  (1880).  —  Emmebuko 
u.  LoGES,  Ber.  16,  837   (1883).    —    Laubmann,    Ann.  243,    248  (1887).    —   Frmo  u. 


1,2'Ketole.    Alkylen-nitrosate  ufid  -nürosite.  873 


acetat  zunächst  den  Essigester  des  Acetylcarbinols  CHg-CO'CHj'O.-CO'CH,  darstellt 
und  letzteren  dann  durch  Kochen  mit  Wasser  und  Bariumcarbonat  verseift,  —  ist 
sehr  veränderlich;  erst  neuerdings  ist  nach  vielen  vergeblichen  Versuchen  die  Ab- 
scheidong  der  wasserfreien  Substanz  aus  der  wössrigen  Lösung  geglückt.  Es  ist  ein 
farbloses  Oel,  siedet  nicht  ganz  unzersctzt  bei  147^,  erstarrt  in  der  Kälte,  zeigt  bei 
15^  das  spec.  Gew.  1*079,  besitzt  einen  schwachen  eigenthümlichen  Greruch  und 
Bussen  aber  brennenden  Geschmack  und  ist  mit  Wasser  mischbar. 

IHmethjlketol'  CH8.COCH(OH).CH8  (Acetylmethylcarbinol)  —  aus 
Monochlormethyläthylketon  CHg  •  CO  •  CHCl  •  CHg  durch  Einwirkung  von  alkoholischem 
Aetznatron  oder  aus  Diacetyl  durch  Reduction  mit  Zink  und  Schwefelsäure  —  siedet 
bei  141— 142^  besitzt  bei  15^  das  spec.  Gew.  1*002  und  ist  mit  Wasser  mischbar. 
Schon  beim  Destilliren  unter  Luftzutritt  färbt  es  sich  gelb  und  nimmt  den  Geruch 
nach  Diacetyl  an. 

MethylSthylketoP  CH8-C0.CH(0H).C,H5  (Acetyläthylcarbinol)  siedet  bei 
152— 153^  spec.  Gew.  bei  17*50:0.972. 

Aus  den  S.  849  erwähnten  Verbindungen,  welche  durch  Einwirkung  von 
Natrium  auf  Butyrylchlorid  bezw.  Isovalerylchlorid  entstehen,  erhält  man  beim  Ver- 
seifen mit  alkoholischem  Kali  neben  Buttersäurc  bezw.  Isovaleriansäure  Substanzen, 
welche  höchstwahrscheinlich  zur  Klasse  der  1.2-Ketole  gehören  und  die  Constitutions- 

formeln : 

C8H7-CO  CÄ-CO 

I  bezw.  I 

C,H7-CH(0H)  •  CA-CH(OH) 

besitzen;  diese  unzersetzt  destillirbaren,  flüssigen  Verbindungen  sind  ButyroYn  und 
LsoTaleroYn'  genannt. 

Als  Abkömmlinge  von  Oximen  der  1.2-Ketole  sind  femer  die  Verbindungen 
zu  erwähnen,  welche  aus  gewissen  Alkylenen  durch  Anlagerung  von  Stickstofl^tetroxyd 
und  von  Stickstofibrioxyd  entstehen,  —  die  Alkylennitrosate  und  Alkylennitrosite^ 
(vgl.  S.  444—445);  die  Reaction  verläuft  in  folgender  Weise: 

(CH,),C  (CH8),C-0*N0, 

I,     +  N,0,  =  I 

CHa-CH  CHa*C=N.OH 

(CH8),C  (CH8),C-0.N0 


CH8*6 


H  CH8*C— N*OH 

die  Produkte  sind  demnach  Salpetersäureester  bezw.  Salpetrigsäureester  von  Oximen 
der  Ketole.  —  Das  Amylennitrosat  (aus  Trimethyläthylen,  Formel  s.  in  obiger 
Gleichung)  krystallisirt  in  monosymmetrischen  Würfeln  oder  Nadeln;  seine  Constitution 
ergiebt  sich  aus  folgenden  Keactionen:  durch  Einwirkung  von  Cyankalium  entsteht 
unter  Auswechselung  der  0*  NO, -Gruppe  ein  Cyanid  (CH,)8C(CN)-C(:NOH)*CH8, 
welches  durch  Verseifung  eine  auch  aus  Dimethylacetessigester  (CH8)jC(COj*C4H5) — 
CO -GH,    durch    Einwirkung   von  Hydroxylamin   erhältliche  Säure   (CH8),0[C0,H)— 


£ble37bach,  Ber.  21,  2138,  2648  (1888).  Ann.  268,  22  (1891).  —  Coubes,  Compt 
rend.  111,  422  (1890).  —  Perkin  jun.,  Journ.  Soc.  59,  786  (1891).  —  Perkin  u.  Tingle, 
Ber.  24o,  726  (1891). 

'  V.  Pechmann  u.  Dahl,  Ber.  22,  2214  (1889);  23,  2421  (1890).  —  Vladesco, 
Bull.  [3]  e,  811  (1891). 

'  V.  Pechmakn  u.  Dahl,  Ber.  23,  2425  (1890). 

'  Rldiobb  u.  Schmitz,  Ber.  24,  1271  (1891). 

*  Wallach,  Ann.  241,  288  (1887);  248,  161  (1888);  262,  324  (1891). 


874  LS'Ketole  und  lA-Ketole. 


C( :  N  •  OH)  •  CHg  liefert.  -  üeber  eine  ähnliche,  durch  Einwirkung  von  ealpetriger 
Säure  auf  Aceton  entstehende  Verbindung  (Isonitrosodiacetonnitrat)  vgl.  S.  410. 

B.  1.3-Ketole. 

Aeetoisopropylalkohol'  CHs.CH(OH).CH,CO.CHs  (Hydracetylaceton) 
entsteht  durch  Aldolcondensation  von  Acetaldehyd  «ait  Aceton  bei  Gegenwart  alkali- 
scher Agenden,  ist  eine  ketonartig  riechende  Flüssigkeit,  siedet  fast  unzersetzt  bei 
176 — 177*^,  besitzt  bei  15*  das  spec.  Gew.  0-978,  ist  mit  Wasser  in  jedem  Verhftltni&s 
mischbar  und  liefert  beim  Kochen  mit  Essigsäureanhydrid  unter  Wasserabepaltnng 
das  Aethylidenacetou'  CHg  •  CH  :  CH  •  CO  •  CHg . 

Chloralaeeton*  CClg.CH(0H).CHj.C0.CH8  —  ein  Trichlorderivat  der  eben 
angeführten  Verbindung  —  entsteht  durch  Condensation  von  Chloral  mit  Aceton  in 
Gegenwart  von  Eisessig  bei  100*,  bildet  derbe  Krystalle,  schmilzt  bei  75 — 76®,  lo«t 
sich  leicht  in  Alkohol,  ziemlich  leicht  in  Wasser  und  geht  durch  Elrwärmen  mit  Sod&- 
lösung  in  Acetakrylsäure  CGaH-CHiCH-CO-CH,  (S.  979)  über. 

BiaeetonalkohoP  CHg  •  CO  •  CH^  •  CCOHXCHg),  —  aus  Diacetonamin  und  salpetriger 
Säure,  vgl.  S.  416  —  siedet  bei  163.5—164.5*,  besitzt  bef  25*  das  spec.  Gew.  0.931 
und  ist  mit  Wasser,  Alkohol  und  Aether  mischbar. 

C.  1.4-Ketole. 

Acetopropylalkohol  *  CHg  •  CO  •  CH,  •  CHj  •  CHj(OH)  kann  aus  Acetessigester  durch 
folgende  Reactionen  gewonnen  werden: 

CHgCOCHNaCOj.CHs +  Br.CH,.CHj.Br  =  NaBr  +  CHgCO.CHCOgCjH, 

I 
CHgCHgBr 

Bromäthylacetessigester 

CHg .  CO .  CH .  CO, .  CjHj  CHg  •  CO .  CH, 

I  +  2HjO  =  +  CO,  +  CHgOH  +  HBr. 

CH,.CH,Br  CH,.CH,.OH 

Er  bildet  eine  farblose,  ziemlich  leicht  bewegliche  Flüssigkeit  von  eigenthümlichein 
Geruch,  siedet  unter  :^00mm  Druck  bei  144—145*,  ist  mit  Wasserdämpfen  ziemlich 
leicht  flüchtig,  in  Wasser  leicht  löslich,  besitzt  bei  0*  das  spec.  Gew.  1*016  und 
reducirt  weder  ammoniakalische  Silberlösung  noch  FEHLiNo'sche  Losung. 
Bei  langsamer  Destillation  unter  gewöhnlichem  Druck  zerföllt  er  in  Wasser  und  dn  bei 
72—75*  siedendes,  angenehm  riechendes  Anhydrid,  das  sich  mit  Wasser  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  wieder  zu  Acetopropylalkohol  vereinigt  und  wahrscheinlich  eine 
der  Formeln: 

CH, :  CH .  CH,  •  CH,  •  CH,  CH, .  CH :  CH  -  CH,  •  CH, 

^\  y^  oder  \v 

\o-^  \o-^ 

besitzt. 

Als  Derivate  von  Dioxymonoketonen,  deren  beide  Hydroxylgruppen  zur  Carbonvl- 
gruppe  die  1.4-Stellung  inne  haben,  sind  die  durch  den  Atomcomplex: 


*  Claisen,  Ber.  25,  3164  (1892). 

«  KoENiGS,  Ber.  25,  794  (1892).  —  Koenios  u,  Wägstaffe,  Ber.  26,  554  (18931. 
—  J.  WiSLicENUS  u.  Kircheisen,  ebenda,  908. 

8  Heintz,  Ann.  169,  117  (1873);  178,  342  (1875). 

*  Perkin  u.  Freer,  Ber.  19,  2566  (1886).  —  Colman  u.  Perkin,  Journ.  Soc.  55, 
357  (1889).  —  Lirp,  Ber.  22,  1196  (1889).  —  Marshall  u.  Perkin,  Joum.  Soc.  69. 
866,  877,  882  (1891).  —  Vgl.  auch  Perkin  u.  Stenhouse,  Journ.  Soc.  61,  72  (1892.1 


Oxetone.  875 

c-c-c- 

I        I 

c=g 

I       I 

C-C-C- 
charakterisirten  Oxetone^  anzusehen,  welche  aus  den  Lactonen  durch  die  S.  762  an- 
geführten  Reactionen   entstehen.    Von   den  hypothetischen  4.1.4-Dioz7ketonen  kann 
man  sie  sich  durch  Anlagerung  von  1  Mol.  H^O  an  die  Carbonylgruppe  und  darauf- 
folgende zweimalige  Anhydrisirung  gebildet  ableiten: 

C— C-C;;-  C-C-C\  C-C-C- 

I  M)H  I  /OH     M)H  I  I 

CO  >-  C<  )-    n 0 

I  /OH  I  M)H     /OH  VJ 0     • 

C-C-C^  c-c-c—  I  I 

C-C-C- 

Ihre  Constitution   ergiebt   sich   daraus,   dass  das  aus  Valerolacton   entstehende  Di- 

methyloxeton: 

CHj  •  CHj  •  CH  •  CHg 

I         I 

0 


C 


o 

I  I 

CH2  •  CHj  •  CH  •  CHg 
auch  erhalten  wird,  wenn  man  an  symmetrisches  Diallylaceton,  welches  aus  Aceton- 
dicarbonsäureester  (vgl.  S.  990): 

CHj  •  CO2  •  CjHj  CH(C8H6)  •  COj  •  C2H5  CHg  •  C^Hs 

I  I  I 

CO  »►      CO  *-     CO 

I  I  I 

CHg  •  COj  •  C2Hg  CH(C8H5)  •  COj  •  C2H5  CHj  •  C^Hg 

gewonnen  werden  kann,  Bromwasserstoff  anlagert: 

CHj .  CHj .  CH  :  CHj  CH,  •  CH,  -  CHBr  •  CH, 

I  I 

CO  4-  2HBr  =  CO 

1^  I 

CH,  •  CHj  •  CH  :  CH,  CH,  •  CH,  •  CHBr  •  CH, 

und  das  so  entstandene  Dibromvaleron  mit  Wasser  kocht.  Die  Oxetone  sind  flüssig, 
mit  Wasserdämpfen  sehr  leicht  flüchtig,  leichter  als  Wasser  und  darin  wenig  löslich, 
bleiben  beim  Kochen  mit  starken  Basen  unverändert,  reduciren  ammoniakalische 
Silberlösung,  lösen  sich  in  Natriumbisulfitlösung  bei  mehrtägigem  Stehen  und  häufigem 
Schütteln  auf,  reagiren  nicht  mit  Hydroxylamin  und  verbinden  sich  mit  Bromwasser- 
stoff leicht  zu  Dibromketonen,  die  beim  Erwärmen  mit  Wasser  wieder  die  Oxetone 
regeneriren  (s.  oben).  —  Das  einfachste  Oxeton  C7H„0,  siedet  bei  159*4^  und  löst 
sich  in  10 — 15  Th.  Wasser  von  gewöhnlicher  Temperatur.  —  Dimethyloxeton 
(^"»HieO,  siedet  bei  169-5o,  besitzt  bei  0^  das  spec.  Gew.  0-978  und  löst  sich  in 
ca.  18  Th.  Wasser  von  gewöhnlicher  Temperatur. 

D.    1.5-Ketole. 

AeetobatylalkohoP  CH8C0.CH,.CH,CH,CH,0H  entsteht  durch  analoge 
Eleactionen,   wie   Acetopropylalkohol   (S.  874),   aus   Acetessigester,    wenn   man   statt 

*  Frmo,  Ber.  17,  3014  (1884),    Ann.  256,  56,  130,  141  (1889);  267,  197  (1892). 
—  Voi^ARD,  Ann.  267,  78  (1892).  —  Fimo  u.  Ström,  ebenda,  186,  197. 

»  Lipp,  Ber.  18,  8280  (1885).  —  Colman  u.  Perkin,  Journ.  Soc.  55,  352  (1889). 


876  Lö'Ketole  (Acetobuiylalkoholh 


Aethylenbromid  Trimethylenbromid  verwendet;  er  stellt  ein  farbloses  Gel  dar,  siedet 
in  reinem  Zustand  anzersetzt  bei  225 — 227  ^  zersetzt  sich  dagegen  in  Gregenwart 
geringfügiger  Verunreinigungen  bei  der  Destillation  in  Wasser  und  Methyldehydro- 
hexon  (Siedepunkt  109**): 

(JH  CH, 

CHg  •  C  CHj 


Fünfunddreissigstes  Kapitel. 

Allgemeines  über  Kohlenhydrate.    Die  einfachen  Zacker- 
arten oder  Monosaccharide. 

(Triosen  und  Tetrosen.    Pentosen.     Hexoseu.    Heptosen,  Oetosen,  Nonosen). 

Eine  Gruppe  von  Substanzen,  die  zu  einander  in  nahen  Beziehungen 
stehen  und  für  den  Haushalt  der  Natur  von  der  grössten  Bedeutung 
sind,  wird  seit  langer  Zeit  unter  der  Bezeichnung  „Kohlenhydrate"^ 
zusammengefasst,  weil  sie  ihrer  empirischen  Zusammensetzung  nach  als 
Verbindungen  von  Kohlenstoff  mit  Wasser  —  Cx  +  yH^O  —  angesehen 
werden  können;  Formeln,  wie  CßHiQ0ß(==6C  +  öH^O),  CeHi30g(=6C  + 
6H,0),  Ci3H320ii(=12C  + llHjO),  mögen  als  Beispiele  dienen.  Um 
die  Wichtigkeit  dieser  Gruppe  zu  illustriren,  sei  vorweg  erwähnt,  dass 
der  Traubenzucker  und  Fruchtzucker,  welche  die  Süssigkeit  der  Früchte 
bedingen  und  durch  ihre  Vergährung  uns  den  Alkoholgehalt  des  Weines 
liefern,  der  Rohrzucker  —  das  unentbehrliche  Nahrungs-  und  Genuss- 
mittel unserer  Zeit,  dessen  Gewinnung  die  Aufgabe  einer  grossartig 
entwickelten,  mit  der  Landwirthschaft  eng  verknüpften  Industrie  bildet,  — 
die  von  der  Pflanze  erzeugte  und  uns  als  wichtiger  Nährstoff  dienende 
Stärke,  die  Cellulose,  welche  das  Baumaterial  der  pflanzlichen  Zellwände 
darstellt  und  in  Form  von  Holz,  Papier,  Geweben  täglich  durch  unsere 
Hände  geht,  ihr  angehören. 

Die  Bezeichnung  „Kohlenhydrate'*  passt  heute  streng  genommen  nicht  mehr: 
denn  wir  kennen  Verbindungen,  welche  ihrer  Natur  nach  unbedingt  zu  den  eine 
Unterabtheilung  der  Kohlenhydrate  bildenden  Zuckerarten  gezählt  werden  mlLasea 
Wasserstoff  und  Sauerstoff  aber  nicht  in  dem  Verhftltniss  2 : 1  enthalten,  x.  B.  die 
Bhamnose  CeHigOg  (vgl.  S.  894).  Trotz  dieser  Ausnahmen  dür£be  man  indess  kanin 
aufhören  das  Wort  „Kohlenhydrate"  als  Sammelnamen  jener  Stoffe  zu  benutzen,  d^ 

^  £ine  eingehende  monographische  Behandlung  der  Kohlenhydrate  aus  neuerer 
Zeit  —  freilich  vor  dem  Erscheinen  der  wichtigsten  Arbeiten  £.  Fischbb's  abgeschlossen 
—  liegt  in  Tollens'  „kurzem  Handbuch  der  Kohlenhydrate"  (Breslau  1888)  vor.  Am 
dieses  Werk  sei  auch  in  Bezug  auf  die  sehr  umfangreiche  filtere  Originalliteratur 
verwiesen;  im  Folgenden  sind  nur  die  Citate  neueren  Datums  gegeben. 


Definition  und  Eintheilung  der  Kohlen-hydrate.  877 


68  sich  einmal  namentlich  in  der  physiologischen  Chemie  eingebürgert  hat  und  für 
die  Mehrzahl  der  hierher  gehörigen  Verbindungen  und  gerade  für  die  wichtigsten 
zutreffend  ist 

Ihren  sinnlichen  Merkmalen  nach  sind  die  Substanzen,  welche  die 
Gruppe  der  Kohlenhydrate  umfasst,  sehr  verschiedenartig.  Während  ihr 
einerseits  die  leicht  löslichen,  süss  schmeckenden,  in  grossen  Krystallen 
erhältlichen  „Zuckerarten**  angehören,  werden  ihr  andererseits  auch  Stoffe 
wie  Stärke,  Cellulose,  Gummi  zugerechnet,  welche  kein  Krystallisations- 
vermögen  und  keinen  charakteristischen  Geschmack  besitzen  und  zumTheil 
in  Wasser  durchaus  unlöslich  sind.  Allein  diese  letzteren,  nicht  zucker- 
ähnlichen Kohlenhydrate  stehen  doch  zu  den  eigentlichen  Zuckerarten  in 
naher  Beziehung,  denn  sie  lassen  sich  leicht  in  Zuckerarten  überfuhren; 
der  üebergang  erfolgt  unter  der  Einwirkung  verdünnter  Säuren  in  der 
Wärme  oder  auch  gewisser  Fermente  (vgl.  Diastase,  S.  173);  er  besteht 
in  einer  Wasseraufnahme  und  gleichzeitiger  Spaltung  eines  complicirteren 
Molecüls  in  mehrere  einfachere  (hydrolytische  Spaltung),  z.  B.: 

Dieser  üebergang  legt  die  Auffassung  nahe,  jene  nicht  zuckerähnlichen 
Kohlenhydrate  seien  anhydridähnliche  Derivate  der  Zuckerarten  — 
„Polysaccharide",  deren  Molecül  aus  mehreren  einfachen  Zucker- 
molecülen  durch  Wasserabspaltung  gebildet  ist. 

Wir  können  femer  unter  den  durch  ihre  äusseren  Eigenschaften 
als  Glieder  der  Zuckergruppe  charakterisirten  Substanzen  eine  ähnliche 
Unterscheidung  treffen,  wie  eben  zwischen  zuckerähnlichen  und  nicht 
zuckerähnlichen  Kohlenhydraten;  unter  ihnen  giebt  es  eine  Anzahl  von 
Substanzen,  welche  —  an  sich  schon  mit  zuckerähnlichen  Eigenschaften 
begabt  —  doch  noch  durch  „hydrolytische  Spaltung"  in  einfachere  Ver- 
treter der  Zuckergruppe  zerfallen  können,  wie  z.  B.  Rohrzucker  in 
Traubenzucker  und  Fruchtzucker: 

CijH„Oii  -f  11,0    =    CßHijOe  +  CeHjaOo  , 

welche  demnach  ebenfalls  als  Anhydride  einfacherer  Zuckerarten  be- 
trachtet werden  können.  Man  kann  diese  spaltbaren  Zuckerarten  als 
„zuckerähnliche  Polysaccharide"  den  ^, Monosacchariden"  gegen- 
überstellen —  den  Zuckerarten,  welche  durch  hydrolytische  Spaltung 
nicht  mehr  in  einfachere  Zuckerarten  zerlegt  werden  können. 

Die  Gruppe  der  Kohlenhydrate  umfasst  mithin  die  ein- 
fachen Zuckerarten  (Monosaccharide)  und  die  Substanzen, 
welche  durch  hydrolytische  Spaltung  in  einfache  Zuckerarten 
übergeführt  werden  können.  Man  kann  sie  in  die  folgenden  Unter- 
gruppen eintheilen: 

I.  Einfache  Zuckerarten.  Monosaccharide  (Traubenzucker,  Holz- 
zucker etc.). 

IL  Spaltbare  Zuckerarten  oder  zuckerähnliche  Polysaccharide  (Rohr- 
zucker, Raffinose  etc.). 


878  Definition  und  Eintheilung  der  Monosaccharide. 


in.  Nicht  zuckerähnliche  Polysaccharide  (Stärke,  Cellulose,  Dex- 
trine etc.). 
Die  einfachen  Zuckerarten  erscheinen  als  die  Grundlage  der  ganzen 
Gruppe;  die  Molectile  der  complicirteren  Kohlenhydrate  bauen  sich  aus 
den  Molecülen  der  Monosaccharide  auf,  indem  sich  eine  Anzahl  der 
letzteren  unter  Wasserabspaltung  zu  einem  Complex  vereinigt,  aus  dem 
durch  Wasseraufnahme  wieder  die  einzelnen  Glieder  abgetrennt  werden 
können. 

Welcher  Art  sind  nun  diese  einzelnen  Glieder  des  molecularen 
Aufbaus  jener  Substanzen,  wie  Stärke  und  Cellulose,  deren  die  Natur 
sich  in  so  gewaltigem  Massstab  bedient,  um  die  Erscheinungen  de> 
organischen  Lebens  hervorzubringen? 

Einige  äussere  Eigenschaften,  —  Krystallisirbarkeit,  Lösliclikeit 
in  Wasser,  süsser  Geschmack —  sind  jedermann  als  charakteristische  Merk- 
male des  Begriffs  ,, Zucker"  geläufig;  aber  diese  Merkmale  reichen  zur 
Definition  nicht  aus;   denn  es  giebt  Substanzen,  welche  zwar  diese  Eigen- 
schaften vereinigen,  aber  ihrer  chemischen  Natur  nach  zu  den  Kohlen- 
hydraten nicht  gerechnet  werden  können;  andererseits  erscheint  auch  die 
Existenz  von  Verbindungen  nicht  undenkbar,  welche  durch  ihr  chemisches 
Verhalten  als  Glieder  der  Zuckergruppe  charakterisirt  sind,  ohne  indess 
jene  äusseren  Merkmale  zu  besitzen.    Weiter  unten  (S.  881  ff.)  wird  das 
chemische  Verhalten  der  Zuckerarten  ausfuhrlicher  besprochen  werden, 
und  es  werden  sich  dann  einige  Gharakterzüge  herausstellen,  die  für  die 
Zugehörigkeit   einer   Substanz  zur  Zuckergruppe  wesentlich  sind.    Hier 
aber  sei  zur  Präcisirung  des  Begriffs  „Zucker"  das  allgemeine  Ergebniss 
der  Untersuchungen  über  die  Constitution  der  Zuckerarten  vorangestellt: 
„Die    Monosaccharide    sind    Aldehydalkohole     oder    Ketou- 
alkohole  mit  offener  Kohlenstoffkette,  deren  Molecül  eine  Carbonyl- 
gruppe   und   mehrere   Hydroxylgruppen    enthält    und    zwar   eine  der 
Hydroxylgruppen  in  Nachbarstellung  (1.2)  zur  Carbonylgruppe.** 

In  den  Benennungen  charakterisirt  man  die  Zuckerarten  durch 
die  Endung  „ose",  welche  an  einen  die  Herkunft  oder  sonstige  Be- 
ziehungen der  einzelnen  Substanz  andeutenden  Stamm  gehängt  wird 
(Xylose,  Fructose,  Lactose  etc.);  man  theilt  die  Monosaccharide  fenier 
nach  der  Zahl  der  in  einem  Molecül  befindlichen  Sauerstoffatome  in 
Triosen,  Tetrosen,  Pentosen,  Hexosen  etc.  ein: 

CHj.OH 

CHO  CHO  CO  CHO 

CHOH         jCH-OHU        {CHOHl,        {CHOHi, 

CHj-OH         CHj  CH.OH         CH.OH 

Triose  Pentose  Hexose  Octose 

Die  Erkenntniss  der  chemischen  Natur  der  Zuckerarten  gehört  der 
neuesten  Zeit  an.     Wenn  auch  Formeln,    welche   der  oben   angeführten 


Neuere  Entwickebing  ufiaerer  Kenntniss  von  der  Zuckergruppe,        879 


Definition  und  den  heutigen  Anschauungen  entsprechen,  schon  früher  ^  mit 
ziemlicher  Bestimmtheit  aufgestellt  waren,  so  erhielten  die  heute  gelten- 
den Structurformeln  der  wichtigsten  natürlichen  Zuckerarten  doch  ihre 
definitive,  experimentelle  Begründung  erst  durch  Kiliani^s  bedeutungs- 
volle Untersuchungen^  aus  den  Jahren  1885 — 1887. 

Seitdem  reiht  sich  in  dem  Gebiete  der  Zuckerarten  in  ununter- 
brochener Folge  eine  wunderbare  Entdeckung  an  die  andere;  wir  sind 
in  diesen  Jahren  Zeugen  von  Erfolgen  bei  der  Bearbeitung  dieser  Gruppe 
gewesen,  wie  sie  überraschender  wohl  noch  niemals  durch  die  Methoden 
und  Theorieen  der  organischen  Chemie  erzielt  sind.  Diese  mächtige 
Förderung  unserer  Kenntnisse  auf  einem  Gebiete,  dessen  Aufklärung 
schon  lange  den  Forschern  als  eines  der  wichtigsten  Probleme  vor- 
schwebte und  doch  kaum  nenuenswerthe  Fortschritte  machte,  verdanken 
wir  Emil  Fischer^.  Ihm  gelang  es,  der  experimentellen  Schwierigkeiten, 
welche  die  Zuckerarten  durch  ihre  leichte  Zersetzlichkeit,  die  dadurch 
bedingte  schwere  Trennbarkeit  von  begleitenden  Stoffen  und  andere  Um- 
stände bieten,  in  so  vollkommener  Weise  Herr  zu  werden,  dass  die 
synthetische  Gewinnung  von  Zuckerarten,  die  Ueberftihrung  der  bekannten 
Zucker  in  andere  Vertreter  derselben  Körperklasse  und  damit  die  Auf- 
findung zahlreicher  neuer  Zuckerarten  und  die  Klarlegung  ihrer  gegen- 
seitigen Beziehungen  in  rascher  Folge  als  Früchte  seiner  planvollen 
Untersuchungen  geerntet  wurden.  Im  Jahre  1887  gelang  zum  ersten 
Mal  die  Abscheidung  einer  einheitlichen,  zur  Zuckergruppe  gehörigen 
Substanz  (Akrose,  vgl.  S.  902)  auf  synthetischem  Wege,  1890  die  Syn- 
these von  natürlichen  Zuckerarten.  So  siijd  auch  in  diesem  Gebiete 
die  Produkte  der  Lebensthätigkeit  der  Synthese  zugänglich  gemacht; 
und  wie  in  jeder  Körperklasse,  so  wurde  auch  hier,  sobald  der  erste 
Schritt  gelungen  war,  der  Organismus  in  gewissem  Sinne  von  der 
Laboratoriums  Werkstatt  überflügelt:  denn  durch  mannigfache  Variirung 
in  den  Bedingungen  der  künstlichen  Processe  lernte  man  eine  bedeutend 
grössere  Zahl  von  Zuckerarten  kennen,  als  solche  in  der  Natui*  aufge- 
funden waren. 

Unter  der  stattlichen  Scliaar  der  heute  bekannten  Zuckerarten  giebt 
es  eine  grosse  Zahl  von  Isomeriefällen,  die  lediglich  auf  der  Verschieden- 
heit der  räumlichen  Atomanordnung  beruhen;  wir  kennen  z.  B.  zur  Zeit 
nicht  weniger  als  13  verschiedene  Zucker,  denen  sämmtlich  die  gleiche 
Structurformel: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CHO 

^  FiTTio,  Ueber  die  Constitution  der  sogenannten  Kohlenhydrate  (Tübingen, 
1871J.  —  ZiNCKE,  Ber.  13,  641  Anm.  (1880).    Ann.  216,  318  flF.  (1883).  'ji"J^^-  -'■ 

•  Ber.  18,  3066  (1885);  19,  221,  767,  1128,  1914,  3029  (1886);  20,  339,  1233  (1887). 

'  Eine  zosammeniasBende  Schilderung  der  Forschungsergebnisse  in  der  Zucker- 
grappe bis  zum  Jahre  1890  vgl.  in  £.  Fischeb's  Vortrag  „Synthesen  in  der  Zucker- 
gruppe" :  Ber.  23,  2114  (1890). 


880  Monosticcharide  (VorkonDnen,  Bildungsweisen, 


zukommt.  Zu  einer  klaren  üebersicht  des  Gebietes  gehört  mithin  notii- 
wendigerweise  die  Ermittelung  der  Configuration*  der  einzelnen  Zucker- 
arten :  ein  Problem,  das  in  den  neuesten  Untersuchungen  E.  Fischeb*s  in 
Angriff  genommen  und  für  eine  grössere  Zahl  von  Einzelfällen  gelöst 
ist.  Für  die  Anwendung  der  stereochemischen  Theorie  lag  hier  eine 
Aufgabe  vor,  deren  erfolgreiche  Lösung  die  Nützlichkeit  dieser  Theorie 
in  besonders  schlagender  Weise  erkennen  liess. 

Vor  zehn  Jahren  noch  ein  Wirrsal  zahlloser  einzelner  Beobach- 
tungen, für  die  uns  das  einigende  Band  fehlte,  bietet  sich  uns  somit 
heute  die  Gruppe  der  Zuckerarten  als  ein  wohlgeordnetes  Gebiet  dar,  in 
dem  wir  ohne  Mühe  die  Gliederung  übersehen  und  die  Beziehungen  der 
einzelnen  Theile  zu  einander  unschwer  erkennen.  Es  liegt  nahe,  diese 
Periode  unserer  Wissenschaft,  welche  am  Ende  des  Jahrhunderts  über 
eine  der  wichtigsten  Gruppen  natürlicher  Stoffe  IQarheit  verbreitete,  in 
Parallele  zu  setzen  mit  der  Zeit,  als  zu  Beginn  unseres  Jahrhunderts 
Chevbeül  durch  die  chemische  Erkenntniss  der  Fette  (vgl.  S.  588) 
eine  ähnlich  folgenreiche  Grossthat  in  derselben  Arbeitsrichtung  voll- 
brachte. Gehören  doch  Fette,  Kohlenhydrate  und  Eiweisskörper  als 
„Baustoffe  der  pflanzlichen  Organe"  und  als  Nahrungsstoffe  des  Menschen 
enge  zusammen;  wann  wird  das  Dunkel  gelichtet  werden,  das  nun  noch 
die  dritte  der  genannten  Gruppen  einhüllt? 

L   Die  einfachen  Zuckerarten  oder  Monosaccharide. 

Vorkommen  und  Bildungsweisen.  Die  Monosaccharide  finden  sich 
zum  Theil  fertig  gebildet  in  der  Natur  (wie  d-Glucose,  cJ-Fructose).  Aus 
complicirteren  natürlichen  Kohlenhydraten  (wie  Rohrzucker,  Milchzucker, 
Stärke,  Cellulose,  Gummi  etc.)  können  wir  sie  durch  hydrolytische  Spal- 
tung (vgl.  S.  877)  darstellen,  aus  einfacheren  Stoffen  durch  Synthese 
aufbauen.  Für  die  Synthese  der  Monosaccharide  bietet  die  S.  871  er- 
wähnte „Aldolcondensation**  das  Mittel,  z.  B.: 

CHgO  +  CH,0  +  CH,0  +  CH^O  +  CH^O  -f-  CH,0 

6CHjO 
=  CHj(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CHO, 

CHa(OH).CII(OH)CHO  +  CH,(0H).C0.CH8(0H) 

=  CHjCOH)  .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO  •  CH^(OH). 

Für  die  künstliche  Bildung  von  Zuckerarten  aus  Verbin- 
dungen von  gleicher  Kohlenstoffzahl  ist  besonders  wichtig  die  vor- 
sichtige Oxydation  der  mehrwerthigen  Alkohole  mit  verdünnter  Salpeter- 
säure, Brom  und  Soda  und  ähnlichen  Mitteln  (vgl.  S.  602),  z.  B.: 

CH.(OH).CH(OH).CH.(OH)  +  0  =  H.O  H-  {S1oS'Ä(OH?  ' 

und  die  Reduction  der  Aldonsäuren  in  Form  ihrer  Lactone  mit  Natrium- 
amalgam  (vgl.  S.  768),  z.  B.: 

CH8(0H){CH(0H)},.C0sH +  2H  =  H,0  +  CH,(0H){CH(0H)!7.CH0. 


StructuTj  optisches  Drehungsvermögen),  881 


In  der  Natur  finden  sich  die  Monosaccharide  nicht  nur  als  solche 
und  in  Form  der  complicirteren  Kohlenhydrate,  sondern  auch  in  Form 
von  esterartigen  Verbindungen  mit  phenolähnlichen,  aldehydartigen  Kör- 
pern etc.  gepaart;  man  bezeichnet  solche  Derivate  der  Zuckerarten  als 
„Glucoside^*;  sie  können  durch  verdünnte  Säuren  oder  Fermente  ge- 
spalten werden,  z.  B.: 

C„H,,NO„   +  2H,0  =  C^HeO  +  2CeHi,0e  +  HCN. 
Amygdalin  Benzaldebyd     Glucose     Blausäure 

Für  manche  Monosaccharide,  wie  Rhamnose  (vgl.  S.  894),  bietet  die  Ab- 
spaltung aus  Glucosiden  den  üblichen  Weg  der  Darstellung. 

Die  Straetur  der  Monosaccharide  ist  bereits  durch  die  S.  878  ge- 
gebene Definition  präcisirt;  die  Gründe  für  die  in  dieser  Definition  aus- 
gesprochene Auffassung  werden  weiter  unten  (S.  888  ff.)  entwickelt.  Es 
sei  hervorgehoben,  dass  wir  bis  jetzt  nur  Zuckerarten  mit  normaler 
Kohlenstoffkette  kennen.  Man  unterscheidet  die  Zuckerarten,  welche 
eine  Aldehydgruppe  enthalten,  als  AI  dosen  von  den  Ke  tosen,  deren 
Carbonylgruppe  ketonartig  gebunden  ist.  Unter  den  Ketosen  kennt  man 
bislang  nur  solche,  deren  Carbonylgruppe  das  zweite  Glied  von  einem 
Ende  der  Kette  an  gerechnet  bildet,  wie: 

CH,(OH) .  CH(OH  j .  CH(OH)  •  CH(OH)  -  CO  •  CH,(OH) ; 
ähnhche  Verbindungen,   deren  Carbonylgruppe   mehr   in   der  Mitte  der 
Kette  befindlich  ist,  wie  etwa: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CO  -  CH(OH)  •  CH,(OH) , 
sind  nicht  bekannt,  dürften  aber  vermuthlich  auch  zuckerähnliche  Eigen- 
schaften besitzen. 

Allgemeine  Charakteristik  der  Monosaccharide.  Die  Mono- 
saccharide sind  neutrale,  süss  schmeckende,  farblose  und  geruchlose 
Körper.  Sie  sind  zum  Theil  in  reinem  Zustand  gut  krystallisirbar;  doch 
findet  ihre  Ejrystallisation  häufig  sehr  langsam  statt  und  wird  namentlich 
durch  Beimengungen  leicht  verzögert  oder  ganz  verhindert.  Sie  lösen 
sich  leicht  in  Wasser,  schwer  in  absolutem  Alkohol,  nicht  in  Aether. 
In  höherer  Temperatur  zersetzen  sie  sich  zunächst  unter  Bräunung, 
später  unter  starker  Verkohlung. 

Die  Zuckerarten  sind  sämmtlich  optisch  activ,  so  weit  sie  nicht 
Verbindungen  zweier  optisch  entgegengesetzten  Individuen  sind. 

Das  optische  Drehungs vermögen  ist  eine  für  die  Charakterisirung  der  einzelnen 
Zackerarten  sehr  wichtige  Constante  und  wird  auch  vielfach  zur  Bestimmung  des 
Procentgehaltes  von  Zuckeriösungen  heniitzt.  Man  verwendet  zu  den  Beobachtungen  * 
jetzt  allgemein  homogenes  gelbes  Natriumlicht,  führt  sie  bei  der  Normaltemperatur 
von  20°  aus  und  bezeichnet  als  „specifische  Drehung"  die  Ablenkung  in  Kreis- 
graden, welche  durch  eine  1  dm  lange  und  in  1  ccm  1  g  active  Substanz  enthaltende 
Flüflsigkeitsschicht  bewirkt  werden  würde:  diese  Grösse  wird  durch  das  Zeichen  [«^d 


*  Näheres  über  ihre  Ausführung  vgl.  in  WiEDEMAim-EBEBT's  physikalischem 
Praktikum  (Braunschweig,  1890)  S.  329 ff.  —  Landolt,  Das  opt.  Drehungsvermögen 
Organ.  Substanzen  (Braunschweig,  1879). 

V.  Mbysr  u.  Jaoobson,  org.  Chem.  I.  oß 


882   VerJialien  der  Manosacckaride  gegen  FeJüing'sdie  Lösung,  Essigsäureankydrid, 


angegeben;  hat  man  an  einer  Lösung  vom  spec.  Gew.  d  und  dem  Gehalt  von 
p  Gewichtstheilen  activer  Substanz  in  100  Gewichtsth.  Lösung  für  eine  Schicht 
von  /dm  Länge  die  Drehung  a  beobachtet,  so  ist 

100  a 

In  vielen  Fällen  ändert  sich  die  Drehung  der  Schwingungsebene  des  polarisirten 
Lichtstrahls  nicht  proportional  mit  der  Concentration ;  es  ist  daher  nöthig,  bei  Angaben 
über  das  specifische  Drehungsvermögen  die  Concentration  mitzutheilen ,  bei  welcher 
die  Beobachtungen  angestellt  wurden.  —  Häufig  beobachtet  man,  dass  die  Drehas^ 
der  Zuckerlösung  einen  wesentlich  anderen  Werth  zeigt,  wenn  sie  einerseits  frisch 
bereitet  ist  oder  andererseits  24  Stunden  gestanden  hat  bezw.  kurze  Zeit  aufgekocht 
ist;  man  bezeichnet  die  Erscheinung^,  dass  das  Drehungsvermögen  allmählich  ab- 
nimmt, als  „Birotation^^  oder  „Mehrdrehung^^,  die  umgekehrte,  nicht  so  häufig 
beobachtete  Erscheinung  des  Zunehmens  als  „Halbrotation"  oder  „Weniger- 
drehung"  und  giebt  in  solchen  Fällen  meist  die  constant  bleibenden  Werthe  (nach 
längerem  Stehen  oder  nach  dem  Aufkochen)  an.  Die  Mehr-  und  Wenigerdrebung 
wird  dureh  sehr  kleine  Mengen  Ammoniak  aufgehoben;  löst  man  daher  die  Zucker- 
arten, di6  diese  Erscheinung  zeigen,  nicht  in  Wasser,  sondern  in  O*lprocentigem 
Ammoniak wasser,  so  kann  man  gleich  nach  der  Auflösung  die  End werthe  der  Polari- 
sation ablesen*.  Die  Erscheinung  der  Mehr-  und  Wenigerdrehung  ist  vielleicht  durch 
die  Annahme  zu  erklären,  dass  die  drehenden  Substanzen  mit  dem  Lösungsmittel 
Verbindungen  eingehen,  dass  bei  Anwendung  von  Wasser  also  Hydrate  entstehen'. 

Die  Monosaccharide  reduciren  sämmtlich  aus  alkalischer  Kupferoxyd- 
lösung (FEHLiNo'sche  Lösung,  vgl.  S.  804 — 805)  Kupferoxydul. 

Auch  dieses  Verhalten  dient  häufig  zu  quantitativen  Zuckerbestim- 
mung en^;  man  kann  hierbei  titrimetrisch  verfahren,  indem  man  mit  einer  titrirten 
Kupferlösung  arbeitet-,  oder  man  kann  die  Menge  des  reducirten  Knpferoxyduls  ge- 
wichtsanalytisch  bestimmen,  indem  man  es  abfiltrirt,  durch  einen  Wasserstoffistrom 
zu  metallischem  Kupfer  reducirt  und  letzteres  wägt.  Da  sich  das  Reductionsverhält- 
niss  mit  der  Concentration  der  Lösungen  etwas  ändert,  ist  es  erforderlich,  bestimmte 
empirisch  festgestellte  Operationsbedingungen  —  auch  bezüglich  der  Dauer  des 
Kochens  —  genau  einzuhalten;  man  arbeitet  stets  mit  höchstens  einprocentigen  Zacker- 
lösungen. Neuerdings  wird  statt  der  FEHUNo'schen  Lösung  eine  Kaliumkupfercarbomit- 
lösung  vorgeschlagen*. 

Das  Vorhandensein  von  alkoholischen  Hydroxylgruppen  in 
den  Molecülen  der  Zuckerarten  erhellt  aus  der  Fähigkeit,  beim  Kochen 
mit  Essigsäureanhydrid  in  Gegenwart  von  etwas  Chlorzink  oder  Natrium- 
acetat  Acetylderivate®  zu  liefern;  dieses  Verhalten  Icann  auch  zur 
Ermittelung  der  Anzahl  der  Hydroxylgruppen  dienen. 


»  Vgl.  Parkus  u.  Tollens,'  Ann.  257,  160  (1890). 
»  C.  ScHULTZE  u.  Tollens,  Ann.  271,  49  (1892). 
»  Vgl.  Jacobi,  Ann.  272,  170  (1892). 

*  Näheres  über  die  Ausführung  vgl.  in  Fbeseniüs'  Anleitung  zur  quant.  cheni. 
Analyse  (Braunschweig,  1877—1887)  II,  S.  586 flP.;  auch  Voetmann's  Anleitung  zur 
ehem.  Analyse  organ.  StoflFe  (Leipzig  u.  Wien,  1891),  S.  242,\246,  253,  257;  Vibcho^. 
Nahrungsmittel -Untersuchung  (Berlin,  1891),    S.  27fF.;    Tollens,  Handbach,  S.  70  ff 

*  Ost,  Ber.  23,  1085,  8008  (1890);  24,  1634  (1891).  —  Schmoeoer,  Ber.  24, 
3610  (1891). 

*  Erwiq  u.  Koenios,  Ber.  22,  1464,  2207  (1889). 


Basen,  nasdrenden   Wasserstoff,  Blausäure,  Hydroxylamin.  883 


Es  beruht  ferner  auf  der  Gegenwart  von  Hydroxylgruppen  die  Fähig- 
keit der  Zuckerarten,  mit  Basen  —  besonders  mit  den  alkalischen  Erden 
(Kalk,  Strontian)  —  zu  losen  alkoholatartigen  Verbindungen  (Saccha- 
raten)  zusammenzutreten,  die  durch  Kohlensäure  wieder  zerlegt  werden. 
Von  Alkalien  werden  die  Zuckerarten  unter  Bräunung  zersetzt  (vgl. 
Milchsäure,  S.  751);  bei  stärkerer  Einwirkung  von  Kalk  erleiden  sie 
ebenfalls  complexe  Veränderungen  (vgl.  Saccharin,  S.  776 — 777). 

Zahlreiche  Reactionen  sprechen  für  die  Gegenwart  einer  Car- 
bonylgruppe  im  Molecül  der  Monosaccharide. 

Bei  der  Behandlung  mit  Natriumamalgam  fixiren  sie  allgemein  zwei 
Wasserstoffatome,  um  in  mehrwerthige  Alkohole,  wie  Arabit,  Mannit, 
Perselt  etc.  überzugehen  (vgl.  Kap.  22). 

Nascirende  Blausäure  wird  unter  Bildung  von  hydroxylreichen  Cyan- 
hydrinen  aufgenommen  (vgl.  S.  741). 

Durch  die  BlaiiBfiureaddition  wird  stets,  durch  die  Wasserstoffaddition  nur  bei 
Ketosen  ein  neues  asymmetrisches  Kohlenstoffatom  gebildet;  es  ist  daher  bei  diesen 
Beactionen  die  gleichzeitige  Bildung  zweier  stereoisomerer  Verbindungen  möglich 
(vgl.  S.  771—773,  901). 

Die  beiden  specifischen  Reagentien  auf  Carbonylgruppen  —  Hydroxyl- 
amin und  Phenylhydrazin  —  erzeugen  mit  den  Zuckerarten  Oxime  und 
Hydrazone. 

Die  Oxime ^  der  Zuckerarten  —  bisher  verhältnissmässig  wenig 
untersucht  —  sind  krystallisirbar  und  spalten  beim  Erwärmen  mit  con- 
centrirler  Natronlauge  Blausäure  ab;  sie  werden  in  Zukunft  für  die  Er- 
forschung der  Zuckergruppe  voraussichtlich  grössere  Bedeutung  erlangen, 
da  sie  bei  der  kürzlich  entdeckten  Methode  zum  Abbau  der  Zuckerarten 
als  Zwischenglieder  benutzt  werden  (vgl.  S.  887). 

Ausserordentlich  wichtig  sind  für  die  Chemie  der  Zuckerarten  die 
Verbindungen  geworden,  welche  durch  Einwirkung  von  Phenylhydrazin* 
entstehen.  Die  Reaction  verläuft  zunächst,  wie  bei  gewöhnlichen  Ketonen 
und  Aldehyden,  unter  Bildung  der  entsprechenden  Hydrazone,  z.  B. : 

CH,iOH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH  :  N  •  NH  •  CeH^ ; 

diese  Hydrazone  sind  indess  in  den  meisten  Fällen  in  Wasser  leicht 
löslich  und  daher  nicht  leicht  abzuscheiden^.  Wenn  man  aber  über- 
schüssiges Phenylhydrazin  in  verdünnter  essigsaurer  Lösung  bei  Wasser- 
badwärme einige  Zeit  auf  die  Zuckerarten  wirken  lässt,  so  bleibt  die 
Reaction  nicht  bei  der  Bildung  der  Hydrazone  stehen,  sondern  geht  in 


*  V.  Meyeb  u.  E.  Schulze,  Ber.  17,  1554  (1884).  —  Rischbieth,  Ber.  20,  2673 
(1887).  —  Reiss,  Ber.  22,  611  (1889).  —  E.  Fischer  u.  Hirschbesqer,  ebenda,  1155. 
—  Jacobi,  Ber.  24,  696  (1891).  —  Wohl,  Ber.  24,  993  (1891);  26,  730  (1893). 

•  E.  Fischer,  Ber.  17,  579  (1884);  20,  821  (1887);  21,  1806  (1888);  23,  2117 
(1890). 

■  In  manchen  Fällen  erweisen  sich  die  Bromphenylhydrazone  (aus  p-Bromphenyl- 
hydrazin)  als  leicht  isolirbar  und  daher  zur  Abscheidung  und  Erkennung  geeignet; 
vgl.  £.  Fischer,  Ber.  24,  4221  Anm. 

56* 


884  Hydraxone  und  Osazone 


derselben  Weise  weiter,  wie  dies  schon  S.  871  und  872  für  die  ein- 
fachsten, die  Gruppe: 

-CH(OH)-CO- 

enthaltenden  Verbindungen  besprochen  wurde:  durch  Oxydation  der 
Carbinolgruppe,  welche  der  ursprünglichen  Carbonylgruppe  benachbart 
ist,  wird  eine  neue  Carbonylgruppe  gebildet,  die  gleich  wieder  mit  Phenyl- 
hydrazin reagirt,  wodurch  ein  Osazon  entsteht,  z.  B.: 

CH^OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  C-  CH 

CeHft.NH.N     N-NH-CeHj' 

Diese  Auffassung  des  Processes  wird  dadurch  geboten,  dass  man  aus 
der  zur  Ketosegruppe  gehörigen  Fructose  und  aus  der  zur  Aldosegruppe 
gehörigen  Glucose: 

CH  j(OH) .  !CH(0H)}8 .  CO  -  GHj(Ofl)     und     CH^OH)  •  lCH(OH)!a  •  CH(OH)  -  OHO 

ein  und  dieselbe  Verbindung  —  Phenylglucosazon  (vgl.  S.  899,  901)  — 
erhält.  Diese  Osazone  nun  —  gelbgefärbte,  krystallinische  Verbin- 
dungen —  sind  in  Wasser  fast  unlöslich,  fallen  daher  selbst 
aus  den  verdünntesten  Lösungen  heraus  und  sind  infolge- 
dessen zur  Abscheidung  der  Zuckerarten  aus  Lösungen  sowie 
zu  ihrem  Nachweis  besonders  geeignet.  Da  sie  sich  durch  Schmelz- 
punkt, Löslichkeit  und  optisches  Verhalten  von  einander  unterscheiden, 
können  sie  auch  zweckmässig  zur  Charakterisirung  der  einzelnen  Zucker- 
arten benutzt  werden. 

Die  Schmelzpunktbestimmungen  der  Osazone  müssen  bezüglich  der  Schnelligkeit 
des  Erhitzens^  gleichförmig  angestellt  werden;  man  findet  den  Schmelzpunkt  hei 
langsamem  Erhitzen  niedriger  als  bei  raschem  Erhitzen ;  die  in  der  Literatur  ange- 
gebenen Zahlen  beziehen  sich  meist  auf  schnelles  Erhitzen. 

Der  Hauptwerth  dieser  Hydrazinverbindungen  besteht  in  der  Mög- 
lichkeit, mit  ihrer  Hülfe  die  Zuckerarten  aus  Lösungen,  in  denen  sie 
sich  neben  anderen  organischen  oder  anorganischen  Stoffen  befinden, 
abzuscheiden.  Aus  einem  derartigen  Gemenge  durch  mechanische  Ope- 
rationen —  Eindampfen,  Extrahiren  mit  Lösungsmitteln,  Krystallisation 
u.  dgl.  —  die  Zuckerarten  zu  isoliren,  ist  meist  kaum  möglich,  da  sich 
die  Zucker  zu  leicht  zersetzen  und  in  Gegenwart  von  Beimengungen  zu 
schwer  kry^stallisiren.  Die  Hydrazinverbindungen  sind  hier  das  rettende 
experimentelle  Hülfsmittel  gewesen ;  durch  ihre  Benutzung  ist  es  E.  Fi- 
BCHEE  gelungen,  die  Synthese  und  die  wechselseitige  Verwandlung  der 
Zuckerarten  in  erfolgreicher  Weise  in  Angriff  zu  nehmen.  Hiertür 
mussten  aber  noch  Methoden^  gefunden  werden,  um  die  Hydrazin- 
verbindungen wieder  in  Zuckerarten  zurück  zu  verwandeln. 

Aus  den  Hydrazonen  kann  der  entsprechende  Zucker  leicht  durch 
einfache  Spaltung  mit  rauchender  Salzsäure  bei  gewöhnlicher  Temperatur 


»  Vgl.  Beythien  u.  Tollens,  Ann.  265,  217  (1889). 
*  E.  Fischer,  Ber.  23,  2119,  2120—2121  (1890). 


der  Monosaccharide,  885 


wieder  erhalten  werden^;  da  aber  gerade  die  Hydrazone  meist  nicht 
leicht  abzuscheiden  sind  (vgl.  S.  883),  so  ist  das  Problem,  aus  den  Osazonen 
Zucker  zu  regeneriren,  weit  wichtiger;  seine  Lösung  gelingt  durch  fol- 
gende zwei  Methoden,  von  denen  die  zweite  allgemeinerer  Anwendung 
fähig  ist: 

1.  DieOsazone  liefern  bei  derReduction  mit  Zinkstaub  und  Essigsäure 
Osanaine*  —  Amidoderivate  von  Eetonalkoholen  (vgl.  S.  947)  — ,  z.  B.: 

CH^OH).  {CH(0H)J8 .  C— CH 

I!     !!  +  HjO  +  4H 

CeH^.NHN    N-NHCeH« 

=   CH^0H).{CH(0H)J3.C-CH,  +  CeHa-NH-NH,  +  CeHg-NH,; 

Osamin  i       I 

0    NH, 

der  Vorgang  ist  theil weise  eine  hydrolytische  Spaltung,  theilweise  ein 
Reductionsprocess  im  Sinne  der  TAFEL'schen  allgemeinen  Reaction 
(S.  234 — 235);  die  Osamine,  die  aber  nur  in  wenigen  Fällen  leicht  er- 
halten werden  können,  gehen  nun  durch  Behandlung  mit  salpetriger 
Säure  in  Ketoseri  über  (vgl.  S.  144): 

CH,(OH).  {CH(0H)|8  •  CO  •  CHj(NH,)  +  HNO, 

=  CH,(0H).{CH(0H)}s.C0.CH8(0H)  +  N,  +  H,0. 

2.  Die  Osazone  liefern  bei  der  Spaltung   durch   ganz   kurzes,   ge- 
lindes Erwärmen  mit  rauchender  Salzsäure  einerseits  salzsaures  Phenyl- 
hydrazin, andererseits  Osone'  —  Hydroxylderivate  von  Ketoaldehyden  — , 
z.  B. : 
CH,(OH) .  {CH(0H)!8 .  C-CH 


II     II  +  2HaO  +  2  HCl 


CeH^NH-N    N.NHCaHj 

•  =  2  CeHg .  NH .  NH, .  HCl  +  CH^OH)  •  JCHCOH)},  •  CO  •  CHO ; 

Oson 

die   Osone   können   in  Form   von  Bleiverbindungen   isolirt  werden  und 
liefern  bei  der  Reduction  mit  Zinkstaub  und  Essigsäure  Ketosen: 

CH^0H).{CH(0H)lsC0CH0  +  2H  =  CH,(0H).[CH(0H)}8.C0.CH,(0H). 

In  beiden  Fällen  also  gelangt  man  vom  Osazon  zur  entsprechenden 
Ketose.  Ist  man  von  einer  Aldose  ausgegangen,  so  erhält  man  durch 
die  Verwandlung  in  Osazon  und  darauffolgende  Umwandlung  des  letz- 
teren nicht  den  ursprünglichen  Zucker  zurück,  sondern  einen  isomeren 
Zucker  aus  der  Eetosegruppe : 

....  CH(OH) .  CHO    >  ....  C— CH  ^    ....  CO  •  CH,(OH). 

II      ' 

CeHß.NHN    N.NHCeHß 
Wir  besitzen  mithin  in  diesen  Reactionen  auch  ein  Mittel,  um  Aldosen 
in  Ketosen,  z.  B.  Traubenzucker  in  Fruchtzucker,  zu  verwandeln. 

*  E.  Fischer  u.  Tapel,  Ber.  20,  2569  (1887).  —  E.  Fischer  u.  Hirschberoer, 
Ber.  21,  1806  (1888). 

»  E.  Fischer,  Ber.  19,  1920  (1886).  —  E.  Fischer  ii.  Tafel,  Ber.  20,  2566  (1887). 
»  E.  Fischer,  Ber.  21,  2631  (1888);  22,  87  (1889). 


886  Oxydation,   Qährung  der  Zuokerarten, 


Das  Verhalten  der  Zuckerarten  bei  der  Oxydation  ist  natürlich  Ter- 
schiedenartig  bei  den  Aldosen  und  Ketosen.  Die  Aldosen  können  in 
Carbonsäuren  von  gleicher  Kohlenstoffzahl  übergeführt  werden,  und  zwar 
liefern  sie  bei  milder  Oxydation  (mit  Chlor-  oder  Bromwasser,  Silberoxyd 
oder  verdünnter  Salpetersäure)  einbasische  Oxysäuren  (vgl.  8.767,776,778): 
CH,(OH).{CH(OH)54CHO    >-    CHs(0H).{CH(0H)|4.C0,H, 

bei  kräftigerer  Oxydation  mit  Salpetersäure  zweibasische  Oxysäuren  (vgl. 
S.  769—770,  818): 

CH,(0H).{CH(0H)l4.CH0    >-    CO,H.}CH(OH)VCO,H. 

Da  diese  Säuren  durch  Erhitzen  mit  Pyridin  etc.  in  stereoisomere 
Modificationen  umgelagert  (vgl.  S.  772)  und  durch  Reduction  wieder  in 
Zucker  übergeführt  werden  können  (vgl.  S.  768 — 769),  so  sind  sie  für 
die  Verwandlung  der  Zuckerarten  in  Stereoisomere  von  grosser  Be- 
deutung. —  Im  Gegensatz  zu  den  Aldosen  können  die  Ketosen  durch 
Oxydation  nur  Oxysäuren  von  niederer  Kohlenstoffzahl  liefern. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  Zersetzungen,  welche  die 
Zuckerarten  unter  der  Einwirkung  von  Mikroorganismen  —  durch  „Gäh- 
rung"  —  erleiden.  Von  Hefepilzen  werden  gewisse  Zuckerarten  unter 
geeigneten  Bedingungen  rasch  zu  Alkohol  und  Kohlensäure  vergohreu: 

CsHiA  =  2C,HeO  +  2COj; 

über  die  Bedingungen  dieser  „alkoholischen  Gährung'',  die  dabei 
entstehenden  Nebenprodukte  und  ihre  Bedeutung  für  die  Praxis  vgl. 
S.  172 ff.  Sehr  interessante  Verschiedenheiten  haben  sich  in  Bezug  auf 
die  Gährungsfahigkeit  der  einzelnen  Monosaccharide  ergeben;  die  Eigen- 
schaft der  raschen  Vergährbarkeit  ist  nur  bei  Zuckern  von  der  Zu- 
sammensetzung CgHgOg,  CßHjjOg,  CgHjgOg  (Trioscu,  Hexosen,  Nonosen) 
beobachtet,  während  sie  Pen  tosen,  Heptosen,  Octosen  nicht  zukommt. 
Aber  unter  den  vielen  zur  Zeit  bekannten  Hexosen  CgHjjOg  sind  wie- 
derum durchaus  nicht  alle  rasch  vergährbar;  während  z.  B.  <f-Glucose 
und  rf-Fructose  —  die  in  der  Natur  sehr  häufig  vorkommenden  Hexosen  — 
leicht  die  Gährung  erleiden,  vergähren  ihre  optischen  Antipoden  —  die 
künstlich  gewonnenen  Zuckerarten  /-Glucose  und  /-Fructose  —  nicht 
oder  nur  schwach  mit  gewöhnlicher  Bierhefe;  vermuthlich  würden  auch 
diese  Zuckerarten  durch  ein  passendes  Ferment  rasch  vergohren  werden 
können,  aber  die  uns  zur  Verfügung  stehende  Hefe  ist  eben  an  jene 
natürlichen  Zuckerarten  als  Nahrung  gewöhnt  und  vermag  sich  nicht 
sogleich  einer  veränderten  Nahrung  anzupassen.  Die  Mikroorganismen 
wissen  offenbar  zwischen  enantiomorphen  Configurationen  sehr  wohl  zu 
unterscheiden;  es  geht  dies  ja  auch  daraus  hervor,  dass  sie  uns  zur 
Abscheidung  von  optisch  activen  Modificationen  aus  racemischen  Modi- 
ficationen dienen  können  (vgl.  S.  809). 

Unter  dem  Einfluss  von  Spaltpilzen  erleiden  die  Zuckerarten 
Gährungen  anderer  Art  (vgl.  S.  174);  hierher  gehört  die  „Milchsäure- 
gährung"  (vgl.  S.  750)  und  „Buttersäuregährung"  (vgl.  S.  326);  der 


Aufhau  und  Abbau  der  Monosaccharide, 


887 


..Bacillus  aethaceticus"  und  der  ,,Pneumococcus  (Fkiedländee)"  erzeugt 
aus  Traubenzucker  als  Hauptgährungsprodukte  Aethylalkohol,  Essigsäure, 
Kohlensäure  und  Wasserstoffe.  —  Durch  die  sogenannte  „schleimige 
Gährung",  infolge  welcher  Wein  und  Bier  zuweilen  zähe  werden,  wird 
Traubenzucker  in  eine  gummiartige  Substanz  unter  gleichzeitiger  Bil- 
dung von  Mannit  umgewandelt. 

Aufbau  und  Abbau  der  Zuckerarten.  Die  Möglichkeit  des 
wechselseitigen  Uebergangs  zwischen  kohlenstoffarmeren  und  kohlenstoff- 
reicheren Zuckerarten  ist  für  den  Ausbau  der  Zuckergruppe  von  aller- 
grösster  Bedeutung. 

Die  Beactionen,  mit  deren  Hülfe  man  innerhalb  der  Zuckergruppe 
zu  kohlenstoffreicheren  Gliedern  aufsteigen  kann,  sind  bereits  S.  769 
besprochen;  indem  man  die  Cyanhydrinsynthese  und  die  Reducirbarkeit 
der  Aldonsäuren  abwechselnd  benutzt,  kommt  man  von  Aldopentosen  zu 
Aldehexosen,  von  Hexosen  zu  Heptosen  etc.  Diese  Methode  ist  bereits 
in  vielen  Fällen  von  E.  Fischer  angewendet  worden  (vgl.  S.  897 — 898, 
900,  913—914). 

Eine  Methode,  mit  deren  Hülfe  man  das  umgekehrte  Problem  lösen, 
den  Abbau  der  Zuckerarten  bewerkstelligen  kann,  ist  erst  kürzlich  von 
Wohl*  aufgefunden  und  am  Beispiel  des  Traubenzuckers  ((f-Glucose) 
erprobt  worden.  Wenn  man  das  Glucosoxim  CH3(OH)-{CH(OH))4-CH: 
N-OH  (vgl.  S.  883)  mit  Essigsäureanhydrid  bei  Gegenwart  von  Natrium- 
acetat  behandelt,  so  werden  seine  fünf  alkoholischen  Hydroxylgruppen 
acetylirt,  während  zugleich  aus  der  Aldoximgruppe  durch  Wasser- 
abspaltung die  Cyangruppe  wird  (vgl.  S.  391);  es  entsteht  so  das  Penta- 
acetylgluconsäurenitril  CH2(0-C2H30)-{CH(0-C3H30)}^-CN,  und  dieses  Nitril 
spaltet  nun  bei  der  Einwirkung  von  ammoniakalischer  Silberlösung  Blau- 
säure ab,  um  in  das  Acetylderivat  einer  Pen  tose  überzugehen;  das  so 
gewonnene  Acetylderivat  kann  durch  Behandlung  mit  Ammoniak  in  eine 
Acetamidverbindung  der  Pentose  verwandelt  werden,  aus  welcher  endlich 
die  Pentose  selbst  (d-Arabinose,  vgl.  S.  893)  durch  Einwirkung  von  ver- 
dünnter Schwefelsäure  abgespalten  wird.  Die  folgende  Zusammenstellung, 
in  welcher  die  intermediäre  Einführung  von  Acetylgruppen  vernachlässigt 
ist,  giebt  einen  üeberblick  über  die  wichtigster)  Phasen  der  Reaction: 


CHO 

CH:NOH 

CN 

1 

• 

CH(OH) 

CH(OH) 

CH(OH) 

CHO 

CH(OH) 
CH(OH) 

CH(OH) 
CH(OH) 

CH(OH) 
CH(OH) 

CH(OH) 
CH(OH) 

CH(OH) 

CH(OH) 

CH(OH) 

1 

CH(OH) 

CH^OH) 

CHj(OH) 

(!:jh,(OH) 

CH,(OH) 

'  Perct  Frankland  u.  Lumsden,  Journ.  Soc.  61,  432  (1892). 
»  Ber.  26,  730  (1893). 


888  Ableitung  der  Structurformeln 


Die  (xrUnde  fflr  die  gegenwärtig  ttbliehen  Straeturformeln 
der  Zuekerarteii.  Die  S.  883  besprochenen  Eeactionen  —  Fixinmg  von 
Wasserstoff  unter  Bildung  von  Alkoholen,  üebergang  in  Cyanhydrine  durch 
Anlagerung  von  Cyanwasserstoff,  Bildung  von  Oximen  und  Hydrazonen  — 
fuhren  übereinstimmend  zu  dem  Schluss,  dass  das  Molecül  der  Zuckerarten 
ein  Sauerstoffatom  höchstwahrscheinlich  in  Form  der  Carbonylgruppe 
enthält,  üeber  die  Bindungsart  der  übrigen  Sauerstoffatome  kann  man 
schon  aus  der  empirischen  Zusammensetzung  der  Zuckerarten  ein  ürtheil 
gewinnen;  zieht  man  z.  B.  von  der  Bruttoformel  der  Hexosen  C^H^jOg 
die  Elemente  der  Carbonylgruppe  CO  ab,  so  bleibt  der  Rest  CgHjjOj 
übrig,  und  dieser  Rest  ist  so  wasserstoffreich  (Cg.-Hjj  =  C^:H2n  +  2jj 
dass  er  vollkommen  gesättigt  sein  muss,  weder  doppelte  Bindungen  noch 
auch  ringförmige  Complexe  enthalten  kann.  Seine  fünf  Sauerstoffatome 
können  demnach  nur  entweder  in  Form  von  Hydroxylgruppen  oder  äther- 
artig beiderseits  an  zwei  verschiedene  Kohlenstoffatome  ( — C — 0 — C— ) 
gebunden  sein;  letztere  Möglichkeit  ist  indess  ganz  ausgeschlossen,  da 
die  durch  Reduction  der  Carbonylgruppe  aus  den  Hexosen  z.  B.  ent- 
stehenden  Verbindungen,  wie  Mannit,  Sorbit,  Dulcit,  sich  als  sech*^- 
werthige  Alkohole  erweisen,  bei  der  Reduction  mit  Jodwasserstoff  Hexyl- 
jodid  liefern  und  demnach  zweifellos  eine  ununterbrochene  Kette  von 
6 C- Atomen  enthalten  (vgl.  S.  606  ff.).  Man  kann  somit  —  auch  unter 
Berücksichtigung  des  ümstandes,  dass  die  Hexosen  in  Pentaacetylderivate 
übergeführt  werden  können  —  den  Hexosen  die  aufgelöste  Formel: 

CeH,0(0H)6 

geben,  in  welcher  das  nicht  hydroxylartig  gebundene  Sauerstoffatom  als 
Carbonylsauerstoff  zu  denken  ist. 

Die  Kohlenstoffkette  besitzt  in  den  natürlichen  Zucker- 
arten normale  Structur;  denn  die  den  Zuckerarten  entsprechenden 
mehrwerthigen  Alkohole  (vgl,  oben)  liefern  bei  der  Reduction  mit  Jod- 
wasserstoff normales  secundäres  Pentyljodid  bezw.  Hexyljodid  (vgl. 
S.  606,  608). 

Der  Ort  der  Carbonylgruppe  innerhalb  der  Kohlenstoff- 
kette  kann  ermittelt  werden,  indem  man  an  den  Zucker  Cyanwasserstoff 
anlagert,  das  Cyanhydrin  verseift,  die  entstandene  Oxysäure  mit  Jod- 
wasserstoff reducirt  und  die  Structur  der  so  gebildeten,  dem  ursprüng- 
lichen Zucker  um  ein  Kohlenstoffatom  überlegenen  Fettsäure  fest- 
stellt; dasjenige  Kohlenstoffatom,  welches  nun  die  Carboxylgruppe  trägt, 
muss  vorher  mit  dem  Carbonyl-Sauerstoffatom  verbunden  gewesen  sein; 
Näheres  über  diesen  KiLiANi'schen  Constitutionsbeweis,  der  gleichzeitig 
auch  eine  Bestätigung  für  die  normale  Structur  der  Zuckermolecüle  bei- 
bringt, vgl.  S.  784—786. 

Nach  diesen  Feststellungen  bleibt  nur  noch  die  Beurtheilung  der 
Vertheilung  der  Hydroxylgruppen  übrig.  In  den  natürlichen 
Zuckerarten  ist  ihre  Anzahl  in  der  Regel  ebenso  gross  als  die  Anzahl 


für  Monosaccharide,  889 


der  nicht  cajbonylartig  mit  Sauerstoff  verbundenen  Kohlenstoffatome; 
unter  Berücksichtigung  des  Erfahrungssatzes,  dass  nur  in  Ausnahme- 
fällen an  einem  Kohlenstoflfatom  mehrere  Hydroxylgruppen  haften,  liegt 
es  demnach  am  nächsten,  jedes  Kohlenstoflfatom  mit  einer  Hydroxyl- 
gruppe verbunden  anzunehmen.  Nachdem  also  z.  B.  für  Traubenzucker 
die  Stellung  der  Carbonylgruppe  am  Ende  der  Kette: 

-C-C-C-C-C-CO-, 
für  Fruchtzucker  um  ein  Glied  nach  innen  verschoben: 

-C— C-C-C-CO-C 

durch  die  eben  erwähnten  Reactionen  ermittelt  ist,  würden  die  voll- 
ständigen Structurformeln  dieser  Zuckerarten  folgendermassen  zu  schrei- 
ben sein: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  -  COH , 
CHj(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO  •  CH^OH) . 

Man  könnte  hiergegen  freilich  einwenden,  dass  bei  der  Beladung  des 
Molecüls  mit  Hydroxylgruppen  gerade  die  Zuckerarten  wie  das  Chloral- 
hydrat  (S.  865)  einen  Ausnahmefall  von  jener  Regel  darstellen  könnten, 
würde  dann  aber  in  der  Deutung  der  Umwandlungen  der  Zuckerarten 
überall  Schwierigkeiten  begegnen.  Erhielte  z.  B.  der  Fruchtzucker  eine 
Formel  wie  etwa: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  -  CH,  •  CO  •  CH(OH)j , 

80  würde  ja  der  durch  WasserstoflFaddition  daraus  hervorgehende  Mannit 
nicht  mehr  als  eigentlicher  sechs werthiger  Alkohol,  sondern  als  Hydrat 
eines  tetrahydroxylirten  Aldehyds: 

CH^OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH^  •  CH(OH)  -  CH(OH), 

aufizufassen  sein  und  müsste  dementsprechend  Aldehydreactionen  zeigen. 
Da  derartige  Be9bachtungen  niemals  gemacht  sind,  vielmehr  alle  Beob- 
achtungen in  der  Zuckergruppe  leicht  erklärbar  sind,  wenn  jede  Hydroxyl- 
gruppe an  ein  anderes  Kohlenstoflfatom  gebunden  angenommen  wird,  so 
begegnet  diese  Annahme  über  die  Vertheilung  der  Hydroxylgruppen  kaum 
einem  Widerspruch^. 

Durch  Schlussfolgerungen,  wie  die  eben  entwickelten,  sind  zunächst 
die  Structurformeln  der  natürlichen  Zuckerarten  ermittelt  worden.  Für 
die  künstlich  durch  Umwandlung  der  natürlichen  Zuckerarten  gewonnenen 
Monosaccharide  ergiebt  sich  die  Structur  stets  aus  ihren  Bildungsweisen. 

Die  Structurformeln,  zu  denen  man  auf  diesem  Wege  gelangt  ist, 
weisen  stets  eine  grössere  Zahl  von  asymmetrischen  Kohlenstoflfatomen 
auf;  jedem  einzelnen  Structurfall  kann  daher  eine  Anzahl  von  stereo- 
isomeren Modificationen  entsprechen;  thatsächlich  sind  in  der  Zucker- 
gruppe selbst  und  in  den  ihr  nahe  verwandten  Körperklassen  Fälle  von 
Stereoisomerie  in  solcher  Zahl  beobachtet,   wie  in  keinem  anderen  6e- 


^  Ueber  die  Möglichkeit  einer  anderen  Auffassung  für  Galactose,  Dulcit  und 
SchleimsHure  vgl.  Maqüekke,  Bull.  48,  722—723  (1S87). 


890 


Älkylenoxydfonnel  der  Zuckerarten, 


biete,  und  für  das  Verständniss  der  ganzen  Gruppe  ist  daher  hier  die 
Ermittelung  der  Configuration  besonders  nothwendig  und  werthvoU. 
Wie  man  zur  Lösung  dieses  Problems  gelangt,  wird  nach  der  speciellen 
Besprechung  der  Hexosen  in  einem  besonderen  Abschnitt  (S.  904  £F.)  ge- 
zeigt werden. 

Mit  den  oben  entwickelten  Structurformehi  der  Zuckerarten  stehen  einige  wenige 
Punkte  ihres  Verhaltens  anscheinend  nidit  ganz  im  Einklang.  Die  hiernach  als 
Aldehydalkohole  aufisufassenden  Substanzen  zeigen  nämlich  insofern  nicht  das  Ver- 
halten der  gewöhnlichen  Aldehyde,  als  sie  sich  an  der  Luft  nicht  oxydiren  und  mit 
fuchsinschwefliger  Säure  keine  Röthung  liefern^;  die  Pentaacetylderivate  der  Hexosen, 
denen  man  nach  jener  Auffassung  Formeln,  wie: 

CH,(0 .  CjHjO) .  {CH(0 .  C,H,0)}4  •  CHO , 

beilegen  sollte,  sind  gegen  Phenylhydrazin  indifferent.     Man  kann  diese  ThatBachen 

indess   kaum   als   gewichtige  Argumente  gegen  die  Carbonylformeln  gelten  lassen; 

denn  man  findet  auch  in  manchen   anderen  Fällen,   dass  die  — COH- Gruppe  ron 

Aldehyden,   deren  Molecüle  mit  negativen  Bestandtheilen  beladen  sind,  wenig  oiy* 

dationsfähig  ist';  auch  kann  man  es  nicht  als  ausgeschlossen  betrachten,  dass  Garbonyl* 

gruppen  durch  die  Nachbarschaft  von  Oxacetylgruppen  die  Fähigkeit  zur  Hydrazon- 

bildung  verlieren,  so  lange  nicht  direct  nachgewiesen  ist,  dass  Verbindungen  mit  der 

Gruppe: 

-CH-CO- 

I 
OCO-CHj 

allgemein  Hydrazone  liefern.  In  Rücksicht  auf  jene  Thatsachen  indess  werden  Ton 
einigen  Autoren^'*  die  Aldohexosen  als  Verbindungen  mit  alkylenoxydartiger  Bindung: 

CHj(OH) .  CH(OH) .  CH  •  CH(OH).  CH(OH)  •  CH(OH) 


I 0 ' 

formulirt  —  eine  Auffassung,  die  mit  den  Umsetzungen  der  Zuckerarten  ebenfalls 
verträglich  ist.  Die  gebräuchlichere  Aldehydformel  der  Zuckerarten  erlaubt  indess 
jedenfalls  eine  einfachere  und  übersichtlichere  Deutung  fast  aller  ihrer  Beactionea. 
Die  beiden  Ansichten  stehen  einander  übrigens  durchaus  nicht,  unvereinbar  gegen- 
über, da  die  ihnen  entsprechenden  Verbindungen  durch  Wasseraufiiahme  und  Wasser- 
abspaltung: 


ch/ 


OH 


CH(OH) 
CH(OH)     +H,0 


0 


CH 


CH(OH) 
CHjCOH) 


/OH 
CH< 

I      \0H 

OH(OH) 
ÖHCOH) 
CH(OH) 
CH(OH) 
CHg(OH) 


CHO 


CH(OH) 

CH(0H)     +  H,0 
CH(OH) 
CH(OH) 
(iH,(OH) 


1  V.  Meyer,  Ber.  13,  2343  Anm.  (1880). 
«  Vgl.  Bayman,  Ber.  21,  2841  (1888). 

*  Erwig  u.  Koenios,  Ber.  22,  2210  (1889);  23,  672  (1890). 

*  ToLLENs,  Handbirch,  S.  9—11.  —  Sohokin,  J.  pr.  [2]  37,  312  (1888).  —  Skrafp. 
Monatsh.  10,  401  (1889).  —  Wohl,  Ber.  23,  2098  (1890). 


Triosen  und  Tetrosen.  891 


leicht  in  einander  übergeben  könnten.  Man  kann  daher  zur  Erklärung  der  oben 
berührten  Punkte  die  Oxydformel  annehmen  und  trotzdem  für  die  Darstellung  des 
Gesammtverhaltens  der  Zuckerarten  sich  der  Aldehydformel  bedienen. 

A.    Triosen  und  Tetrosen. 

Die  Glycerose^  CgH^Oj  —  ein  Gemenge  von  Glycerinaldehyd 
CH2{0H).CH{0H).CH0  und  Dioxyaceton,  CH2(OH).CO-CH3(OH),  über 
dessen  Entstehung  aus  Glycerin  durch  Oxydationsmittel  schon  S.  582  be- 
richtet wurde,  —  ist  als  ein  Syrup  erhalten  worden,  welcher  FEHLiNG'sche 
Lösung  stark  reducirt  und,  wenn  man  ihn  mit  Wasser  verdünnt  und  mit 
Bierhefe  versetzt,  in  lebhafte  Gährung  geräth.   Mit  Phenylhydrazin  liefert 

CH,(OH).C— CH 
sie    das    Phenylglycerosazon  ,1  ,    welches  aus 

CeHßNH.N  N-NH.C.H, 
Benzol  in  glänzenden,  gelben  Blättern  krystallisirt  und  bei  131®  schmilzt. 
Das  durch  Einwirkung  von  Bromdampf  auf  Bleiglycerat  erhältliche  Gly- 
cerosepräparat  liefert,  der  Cyanhydrinreaction  unterworfen,  eine  grosse 
Ausbeute  an  Trioxyisobuttersäure  (0HCHa)2C(0H)C03H  (vgl.  S.  776) 
und  besteht  mithin  zum  grössten  Theil  aus  Dioxyaceton^. 

Erythrose*  C4H8O4  (vgl.  S.  604)  ist  aus  Erythrit  durch  Oxydation  mit  verdünnter 
Salpetersäure  erhalten  und  in  Form  des  bei  166—167°  schmelzenden  Phenyl- 
erythrosazons  Ci^HigN^Oj  isolirt.  —  Die  durch  Aldolcondensation  des  Glykol- 
aldehyds  entstehende  Tetrose*"  (vgl.  S.  871)  liefert  ein  Osazon,  das  wahrscheinlich  mit 
dem  Phenylerythrosazon  identisch  ist. 

B.   Pentosen. 

In  den  Pentosen  ^  begegnen  wir  nun  Substanzen,  die  —  wenn  auch 
bisher  nicht  als  frei  vorkommend  in  der  Natur  beobachtet  —  doch  zu 
natürlichen  Produkten,  und  zwar  Vegetabilien,  in  naher  Beziehung  stehen 
und  jedenfalls  für  den  Aufbau  gewisser  Pflanzensubstanzen  von  grosser 
Bedeutung  sind.  Um  ihre  Charakterisirung,  die  Erkenn tniss  ihrer 
chemischen  Natur  und  ihrer  Bedeutung  haben  sich  namentlich  Kiliani 
und  ToLLENs  Verdienste  erworben.  Man  gewinnt  sie  aus  complexeren 
Kohlenhydraten,  besonders  aus  Gummiarten,  durch  hydrolytische  Spaltung 
(Kochen  mit  verdünnten  Säuren). 


*  V.  Deen,  Jb.  1868,  501.  —  Qbihaux,  Compt.  rend.  104,  1276  (1887).  —  E. 
Fischer  u.  Tafel,  Ber.  20,  1089,  3384  (1887);  21,  2634  (1888);  22,  106  (1889).  — 
£.  Fischer,  Ber.  23,  2124  (1890). 

■  Vgl.  auch  Grihiüx  u.  Lef^vre,  Compt.  rend.  107,  914  (1888).  —  Pitttq  u. 
Erlenbach,  Ann.  269,  80  (1891). 

»  E.  Fischer  xl  Tafel,  Ber.  20,  1087  (1887). 

*  £.  Fischer  u.  Lakdsteiker,  Ber.  26,  2553  (1892). 

'  Allgemeines  über  Pentosen  vgl.  in  den  folgenden  Abhandlungen:  Tollens  u.  A., 
Jb.  1887,  2235.  Ann.  243,  333  Anm.  (1887);  249,  227  (1888);  254,  829  (1889); 
260,  304  (1890).  Ber.  22,  1046  (1889);  23,  137,  1751  (1890);  24,  694,  8575  (1891); 
25.  2912  (1892).  —  Stone,  Ber.  23,  3791  (1890);  24,  3019  (1891). 


892  Pentosen. 


Im  Gegensatz  zu  den  Hexosen  werden  die  Pentosen  durch  Hefe 
nicht  in  Gährung  versetzte  Während  femer  die  Hexosen  CgH^^Og  beim 
Erhitzen  mit  Schwefelsäure  oder  Salzsäure  unter  Bildung  von  Lävuliii- 
säure  zerfallen  (vgl.  S.  895),  liefern  Pentosen  CgHjjjOg  keine  Lävulinsäure, 
wohl  aher  hei  der  Destillation  mit  starken  Säuren  das  mit  Wasserdampf 
leicht  flüchtige  Furfurol  (vgl.  Bd.  II): 

CH CH 

■  'I  ' 

Ch       c-cho 

in  grosser  Menge.  Da  letztere  Substanz  durch  Farbenreactionen  leicht 
zu  identificiren  ist  (vgl.  Bd.  II),  auch  quantitativ  bestimmt  werden  kann. 
so  kann  man  die  „Furfurolreaction"  als  Kennzeichen  fiir  die  AbspaltuDg 
von  Pentosen  aus  Kohlenhydraten  benutzen  und  aus  der  gebildeten 
Furfurolmenge  Schlüsse  über  den  Gehalt  verschiedener  Materiahen  an 
pentosebildenden  Stoffen  („Pentosanen")  ziehen.  So  hat  man  nach- 
gewiesen, dass  aus  Kleie,  Bierträbem,  Holz,  Jute,  Heu,  Stroh,  Loofah, 
ßübenschnitzeln,  Baumwollsamenschalen  etc.  beim  Kochen  mit  Säuren 
Pentosen  gebildet  werden;  der  Nachweis  ist  in  manchen  Fällen  durch 
die  Isolirung  derselben,  in  anderen  Fällen  durch  die  Furfurolreaction  er- 
bracht; es  erhellt  daraus  die  Bedeutung  der  Pentosen  namentlich  al^^ 
Baumaterial  für  die  Grundstoffe  der  pflanzlichen  Gewebe, 

Beim  Erwärmen  mit  Phloroglucin  und  Salzsäure  geben  die  Pentosen 
—  und  alle  Materialien,  welche  Pentosen  abspalten,  —  eine  kirschrothe 
Reaction. 

Die  zur  Zeit  bekannten  Pentosen  sind  sämmtlich  Aldosen. 

Arablnosen  G^^^^O^  =  CB^(0H).{CH(0H)}3.CH0.  Gewöhnliche 
Arabinose*  (Pectinzucker)  —  als  /-Arabinose  zu  bezeichnen,  da 
sie  mit  der  ^Glucose  und  /-Mannose  correspondirt  (vgl.  S.  897 — 899).  — 
wurde  1869  von  Scheiblee  entdeckt  und  wird  am  besten  durch  Kochen 
von  Kirschgummi  mit  zweiprocentiger  Schwefelsäure  dargestellt.  Sie 
krystallisirt  in  hübschen  Prismen,  schmilzt  bei  ca.  160®,  schmeckt  an- 
genehm süss,  aber  nicht  so  süss  wie  Rohrzucker,  ist  stark  rechtsdreheml 


*  lieber  Vergährnng  durch  den  Bacillus  aetbaceticus  vgl.  Pbbcy  Frankluid  u. 
Mao  Gregor,  Joum.  Soc.  61,  737  (1892). 

•  ScHEiBLi»,  Ber.  1,  60,  108  (1869);  6,  614(1873);  17,  1729(1884).  —  Claessos- 
Ber.  14,  1270  (1881J.  —  v.  Lippmann,  Ber.  17,  2288  (1884).  —  Bauer,  J.  pr.  [2]  80. 
379  (1884);  34,  46  (1886);  43,  112  (1891).  Ber.  22o,  835  (1889).  —  Cokbai)  Q- 
GuTHZBiT,  Ber.  18,  2906  (1885).  —  Kiliani,  Ber.  19,  3029  (1886);  20,  339,  1233 
(1887);  21,  3006  (1888).  —  Stone  u.  Tollens,  Ann.  249,  227,  267  (1888).  —  Stone. 
Ber.  23,  3795  (1890).  ~  Steiger  u.  E.  Schulze,  Ber.  23,  3110  (1890).  —  Pabccs  c. 
Tollens,  Ann.  257,  173  (1890).  —  Allen  u.  Tollens,  Ann.  260,  298  (1890).  - 
C.  Schulze  u.  Tollens,  Landwirthschaftl.  Versuchsstationen  40,  379  (1892).  —  Sk* 
MANN  u.  Langbein,  J.  pr.  [2]  45,  305  (1892).  —  E.  Fischer,  Ber.  23,  2611  (1890): 
24,  4221  Anm.  (1891).  —  Wohl,  Ber.  26,  743  (1893). 


Ärabinosen,  Ribose,  Xylose,  893 


([«]d  in  lOproc.  Lösung  =  + 105^,  zeigt  Mehrdrehung  und  liefert  ein  hei 
157 — 158®  schmelzendes  Osazon  Cj^Hj^N^Og ,  dessen  alkoholische  Lösung 
bald  nach  dem  Auflösen  rechts  dreht,  nach  eintägigem  Stehen  aber  inactiv 
ist.  Durch  ßeduction  geht  sie  in  den  optisch  activen  Arabit  (S.  605 — 
606),  durch  Oxydation  mit  Bromwasser  in  Arabonsäure  (S.  776),  mit  Sal- 
petersäure in  optisch  active  Trioxyglutarsäure  (S.  816 — 817),  durch  die 
Cyanhydrinreaction  in  ein  Gemenge  von  /- Gluconsäure  und  /-Mannon- 
säure*  (S.  771 — 772)  über.  Aus  diesen  Beziehungen  ergiebt  sich  ihre 
Structur.  Besonders  charakteristisch  ist  das  Bromphenylhydrazon  der 
Arabinose.  —  d-Arabinose^  ist  künstlich  durch  Abbau  des  Trauben- 
zuckers (4-Glucose)  mit  Hülfe  der  S.  887  besprochenen  Eeactionen  ge- 
wonnen; da  der  Traubenzucker  synthetisch  gewinnbar  ist  (vgl.  S.  903),  so 
ist  auch  die  d- Arabinose  der  Synthese  zugänglich ;  unter  den  Pentosen  ist 
sie  einstweilen  die  einzige  synthetisch  herstellbare  Verbindung;  sie  ist  der 
^ Arabinose  optisch  entgegengesetzt;  in  lOproc.  wässriger  Lösung  wurde 
[a]j,*o  =  — 1041®  gefunden;  der  Schmelzpunkt  des  Osazons  wurde  bei 
159 — 160®  beobachtet.  —  i-Arabinose^  ist  durch  Combination  der 
beiden  optischen  Antipoden  hergestellt;  ihr  Osazon  schmilzt  bei  163®. 
Rlbose^  ist  durch  Eeduction  des  Eibonsäurelactons  (vgl.  S.  776)  — 
also  mittelbar  durch  räumliche  Umlagerung  aus  Arabinose: 

(Umlagerang  \ 
durch  Erhitzen  1  •a-L.       •.  -n  «r 

mit  Pyridin     — ^  Kibonsaure  — >■  Kibose 
vgl.  S.  772    / 

—  als  farbloser  Synip  erhalten  worden;  mit  überschüssigem  Phenyl- 
hydrazin giebt  sie  das  gleiche  Osazon  wie  die  Arabinose,  mit  |?-Brom- 
phenylhydrazin  ein  bei  164 — 165®  schmelzendes  Hydrazon;  durch  Ee- 
duction geht  sie  in  Adonit^  über. 

Xylose*  CgHjj^Oß  (Holzzucker)  —  ebenfalls  stereoisomer  mit 
Arabinose  —  ist  1886  von  F.  Koch  entdeckt,  wird  aus  Holzgummi 
durch  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  erhalten,  krystallisirt  gut  in 
Prismen,  schmilzt  je  nach  den  Bedingungen  des  Erhitzens  zwischen 
140®  und  160®,  ist  schwach  rechtsdrehend  ([«Jd^®  in  1 0  proc.  Lösung  = 

>  Wohl,  Ber.  26,  730  (18Ö3). 

»  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  24,  4220(1891).  —  E.  Fischer,  Ber.  26,  638  (1893). 

'  Ein  auch  io  der  Natur  vorkommender  Inactlver  Pentit,  über  dessen  Auffindung 
seit  Druck  des  von  den  Pentiten  handelnden  Abschnitts  (S.  605—606)  E.  Fischer 
(Ber.  26,  633  [1893])  berichtet  hat. 

*  F.  Koch,  Ber.  20o,  145  (1887).  —  Tollens  u.  Wheeler,  Ber.  22,  1046  (1889). 
Ann.  254,  304  (1889).  —  Parcus  u.  Tollbns,  Ann.  257,  175  (1890).  —  Allen  u. 
ToiiENs,  Ann.  260,  289  (1890).  —  Stone,  Ber.  23,  8796  (1890).  —  E.  Fischer  u.  Stahel, 
Ber.  23,  2628  (1890);  24,  528  (1891).  —  E.  Fischer,  Ber.  24,  1842  (1891).  —  Ber- 
TRAMD,  Bull.  [3]  5,  555,  740  (1891);  7,  499  (1892).  -  Stone  u.  Lotz,  Ber.  24,  1657 
(1891).  —  C.  Schultzeu.  Tollens,  Landwirthsch.  Versuchsstationen  40,  879,  381,  382, 
U892).    -Ann.  271,  40,  60  (1892). 


894  Rhamfwse,  Fucose, 


+  19®),  zeigt  aber  die  stärkste,  bisher  beobachtete  Mehrdrehung  ([ü]d 
5  Minuten  nach  dem  Auflösen  =  75  —  80*^.  Sie  liefert  ein  bei  160^ 
schmelzendes  linksdrehendes  Osazon,  welches  von  den  Arabinosftzoneu 
verschieden  ist,  durch  Beduction  den  optisch  inactiven  Xylit  (S.  605— 
606),  durch  Oxydation  Xylonsäure  (S.  776)  bezw.  inactive  Trioxyglutar- 
säure  (S.  816 — 817),  durch  die  Cyanhydrinreaction  /-Gulonsäure  (S.  782). 

üeber  die  Configuration  dieser  Pentosen  vgl.  S.  911 — 912. 

Khamnose^  CgHigOß  =  CH3-{CH(OH)}4CHO  —  früher  irrthüinlich 
CgHj^Og  formulirt,  und  daher  „Isodulcit*-  genannt —  ist  jetzt  als  eine 
Methylpentose  erkannt.  Sie  entsteht  aus  verschiedenen  Glykosiden  (Quer- 
citrin,  Xanthorhamnin,  Naringin  etc.)  durch  Hydrolyse,  krystallisirt  mit 
1  Mol.  Wasser  in  schönen,  glänzenden,  stark  süss  schmeckenden  Krystallen, 
schmilzt  wasserfrei  bei  93®,  ist  in  wässriger  Lösung  schwach  rechts- 
dreliend  {[«Jd^^  i^i  etwa  lOproc.  Lösung  =  +  8-4®,  für  wasserhaltige 
Rharanose  berechnet),  in  alkoholischer  Lösung  linksdrehend;  wasser- 
haltige ßhamnose  zeigt  in  wässriger  Lösung  Wenigerdrehung,  während 
wasserfreie  ßhamnose  diese  Erscheinung  nicht  zeigt.  ßKamnose  liefert 
ein  bei  180^  schmelzendes  Osazon  CigH^jN^Og,  durch  Oxydation  mit 
Bromwasser  Rhamnonsäure  (S.  776),  mit  Salpetersäure  active  Trioxy- 
glutarsäure  (S.  816 — 817),  durch  die  Cyanhydrinreaction  Rhamnohexon- 
säure  (S.  784),  durch  Destillation  mit  Schwefelsäure  Methylfurfiirol: 

CH CH 

CHgi  CCHO* 

Die  Structur  der  Rhamnose  ist  aus  folgenden  Erwägungen  abgeleitet  Da  die 
durch  die  Cyanhydrinreaction  daraus  hervorgehende  Bhamnohezonsäure  durch  Jod- 
wasserstoff in  normale  Oenanthsäure  überführbar  ist,  so  ist  Rhamnose  eine  Aldose 
von  normaler  Structur  und  zwar  ihrer  empirischen  Zusammensetzung  zufolge  ein 
vierfach  hydroxylirter  Aldehyd  mit  sechs  Kohlenstoffatomen;  von  den  ftinf  Kohlen- 
Stoffatomen,  die  sich  an  die  Aldehydgruppe  anreihen: 

C-C-C-C-C-CHO 
5     4     3     2     1 

miiss  demnach  eines  hydroxylfrei  sein.  Nr.  1  kann  nicht  hydrozyifrei  sein,  denn  die 
Rhamnose  liefert  ein  Osazon;  da  ferner  sowohl  die  Rhamnonsäuro  wie  die  Rhamoo- 
hexonsäure  leicht  Lactone  liefern,  so  sind  höchstwahrscheinlich  ^ie  in  diesen  Säuren 
zur  Carboxylgruppe  in  ^-Stellung  befindlichen  C-Atome  ebenfalls  hydroxylirt  das 
sind  Nr.  3  und  Nr.  2.    Es  bleiben  demnach  übrig  die  beiden  Formeln: 


*  Hlasiwetz  u.  Pfaundler,  Ann.  127,  362  (1863).  —  C.  Liebervann  u.  HöRNAiT'» 
Ann.  196,  323  (1878).  —  C.  Lieberhank  u.  Hamburger,  Ber.  12, 1186  (1879).  —  Foersteb, 
Ber.  15,  215  (1882).  —  Will,  Ber.  18,  1316  (1885);  20,  297,  1186  (1887).  —  Will 
ü.  Peters,  Ber.  21,  1813  (1888);  22,  1697  (1889).  —  Herzig,  Monatsb.  8,  217  ll8f*T'. 
—  Rayman,  Bull.  47,  668,  760  (1887).  Ber.  21,  2046  (1888).  —  Rayjian  u.  Kbcis. 
Bull.  48,  632  (1887).  —  E.  Fischer  u.  Tafel,  Ber.  20/  1091,  2574  (1887);  21,  165:. 
2173  (1888).  —  Maquenne,  Compt.  rend.  109,  603  (1889),  —  Jacobi,  Ber.  24,  69: 
(1891).     Ann.  272,  170  (1892)  ~  Schnelle  u.  Tollens,  Ann.  271,  62  (1892). 


Hexosen.  895 


CH^COH) .  CH,  ■  CH(OH)  ■  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CHO 
CHs  •  CH(OH) .  CH{  OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CHO ; 

von  diesen  wird  die  letztere,  eiue  endstftndige  Methylgruppe  aufweisende  Formel  da- 
durch begründet,  dass  bei  der  Oxydation  der  Khamnose  mit  Silberoxyd  Essigsäure, 
mit  Salpetersäure  Trioxyglutarsäure  erhalten  wird,  femer  durch  den  Uebergang  in 
Methylfiirfurol. 

Mit  der  Rhamnose  isomer  ist  die  Fucose^  —  ein  aus  Seetang  durch 
Hydrolyse  erhältlicher  Zucker;  Fucose  krystallisirt  in  mikroskopischen 
Nadeln,  ist  sehr  stark  linksdrehend  ([a]©*®  in  9 — 10  procentiger  Lösung 
=  —76^,  zeigt  bedeutende  Mehrdrehung  und  liefert  beim  Destilliren 
mit  Salzsäure  Methylfurfurol;  ihr  Osazon  schmilzt  gegen  159  ^ 

C.   Hexosen. 

Die  Gruppe  der  Hexosen  umfasst  die  wichtigsten  und  bestgekannten 
Zuckerarten;  die  seit  langer  Zeit  bekannten  natürlichen  Zuckerarten  — 
Traubenzucker,  Fruchtzucker,  Galactose  —  gehören  ihr  an;  in  neuester 
Zeit  sind  ihnen  durch  die  S.  879  erwähnten  Untersuchungen  zahlreiche 
„künstliche"  Zuckerarten  zugesellt,  deren  eine  —  die  f/-Mannose  —  dann 
auch  als  Bestandtheil  von  Naturprodukten  aufgefunden  wurde.  Bis  vor 
wenigen  Jahren  noch  galten  die  Hexosen  als  die  einfachsten  Zuckerarten 
und  als  die  Grundlage  aller  Kohlenhydrate;  denn  den  Kohlenhydraten 
kamen  nach  den  damaligen  Kenntnissen  Formeln  zu,  welche  entweder 
sechs  C- Atome  oder  ein  Multiplum  von  sechs  C- Atomen  enthielten. 
Seit  man  die  Arabinose  als  Pentose  erkannt  hat  (Kiliani  1887)  und 
darauf  zahlreiche  zur  Zuckergruppe  gehörige  Verbindungen  mit  5,  7, 
8  etc.  Kohlenstoffatomen  kennen  lernte,  hat  die  Sechszahl  der  Kohlen- 
stoffatome für  die  Präcisirung  des  Begriffs  „Kohlenhydrat"  ihre  Bedeutung 
verloren ;  wenn  heute  zuweilen  noch  die  Hexosen  als  eigentliche  Zucker- 
arten unterschieden  werden,  so  ist  dies  nur  durch  die  Tradition,  nicht 
durch  ihre  chemische  Natur  gerechtfertigt.  Es  sei  indess  daran  erinnert, 
dass  in  biologischer  Hinsicht  dem  Dreikohlen^offcomplex  eine  Be- 
deutung zuzukommen  scheint,  da  nur  Triosen,  Hexosen  und  Nonosen 
als  gährungsfähig  beobachtet  wurden  (S.  886). 

Ueber  das  Verhalten  der  Hexosen  vgl.  die  allgemeine  Charakteristik 
der  Monosaccharide  S.  881  ff.;  die  dort  angegebenen  allgemeinen  Reactionen 
sind  grösstentheils  durch  das  Studium  der  Hexosen  festgestellt.  Ein 
speciell  den  Hexosen  zukommendes  Verhalten  ist  bei  der  Zersetzung 
durch  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  beobachtet;  unter  gleichzeitiger 
Bilung  von  „Huminsubstanz**  und  Ameisensäure  entsteht  Lävulinsäure^ 
CHj.COCHj.CHj-COaH  (vgl.  S.  973). 


*  GüKTHEB  u.  ToLLENS,  Ber.  23,  2585  (1890).    Ann.  271,  86  (1892). 

'  V.  Grote  u.  Tollenb,  Ann.  206,  226  (1881).  —  K^nt  u.  Tollens,  Ber.  17, 
608  (1884).  —  Wehmeb  u.  Tollens,  Ann.  243,  314  (1887).  —  Vgl.  hierzu  auch  Loew: 
Landwirthsch.  Versuchastationen  41,  131  (1892). 


896  d-Mannose, 


Die  Tabelle  Nr.  42  auf  S.  897  giebt  eine  Uebersicht  über  die 
zur  Zeit  bekannten  Hexosen;  es  ist  in  derselben  das  optische 
Drehungsvermögen  der  betreffenden  Zuckerart  und  der  Schmelzpankt 
ihres  Osazons  angegeben,  ferner  werden  die  stereoisomeren  secis- 
werthigen  Alkohole  CH2(OH)-{CH(OH)}4-CH,(OH)  (S.  606 ff.),  die  Pentaoxy- 
capronsäuren  CHj(OH)-{CH(OH)!4-C02H  (S.  778  ff.)  und  Tetraoxyadipiii- 
säuren  C02H.{CH(0H)}4-C02H  (S.  817  ff.)  genannt,  welche  durch  Reduction 
oder  Oxydation  aus  jeder  einzelnen  Hexose  erhalten  bezw.  umgekehrt  in 
die  betreffende  Hexose  übergeführt  worden  sind.  Die  Kenntniss  dieser  Be- 
ziehungen ist  von  grösster  Wichtigkeit  für  das  Verständniss  der  Ueber- 
fuhrung  der  Zuckerarten  in'  einander  und  für  das  Problem  der  Con- 
figurationsbestimmung.  Nach  Besprechung  der  einzelnen  Hexosen  wird 
letzteres  Problem  in  einem  besonderen  Abschnitt  (S.  904)  behandelt 
werden. 

Die  Bedeutung  der  Zeichen  d  und  /  ist  schon  S.  609  erklärt  Sie 
sagen  über  das  Drehungsvermögen  der  einzelnen  Substanz  nur  in 
einigen  Fällen  etwas  aus,  wo  sie  zur  Bezeichnung  von  Aldohexosen  ge- 
braucht werden;  in  allen  anderen  Fällen  —  also  in  Verbindung  mit 
den  Namen  von  Eetosen,  Hexiten,  Hexonsäuren,  Tetraoxyadipinsäuren, 
Hydrazonen,  Osazonen  etc.  - —  dienen  sie  nur  dazu,  um  die  Beziehungen 
der  Substanz  zu  einer  bestimmten  Aldohexose  hervortreten  zu  lassen.  Auch 
Aldosen,  welche  auf  künstlichem  Wege  aus  anderen  Aldosen  entstehen, 
werden  ohne  Rücksicht  auf  ihr  eigenes  Drehungsvermögen  mit  diesen 
Zeichen  derart  versehen,  dass  die  genetischen  Beziehungen  hervortreten: 
so  wird  z.  B.  die  Octose  aus  f/-Mannose,  obwohl  sie  linksdrehend  ist 
(f-Mannooctose  genannt. 

JL.  Aldosen 9  welche  durch  Reduction  in  Xannite  und  durch 
Oxydation  in  Mannozuckersäuren  überführbar  sind. 

rf-Mannosei  CeHj20o  =  CH3(OH).{CH(OH)|^-CHO  (Seminose)  ent- 
steht neben  rf-Fructo§e  durch  vorsichtige  Oxydation  des  </-Mannits  und 
ist  auf  diesem  Wege  zuerst  erhalten  worden  (1887);  kurze  Zeit  darauf  fand 
man,  dass  sie  auch  durch  Hydrolyse  natürlicher  Kohlenhydrate  —  Salep- 
schleim  und  Reservecellulose  (vgl.  Hemicellulose,  S.  934)  —  gewonnen  wer- 
den kann;  ein  an  Reservecellulose  reichhaltiges  und  sehr  billiges  Material 
sind  die  Spähne,  welche  bei  der  Fabrikation  von  Knöpfen  aus  der  Stein- 
nuss  abfallen;  aus  diesen  Abfällen  kann  man  durch  Erhitzen  mit  verdünn- 
ten Säuren  leicht  die  f/-Mannose  darstellen.  rf-Mannose  bildet  eine  harte, 
leicht  zerreibliche,  zerfliessliche  Masse,  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich, 
in  Alkohol  selbst  in  der  Hitze  schwer  löslich,  in  Aether  unlöslich,  dreht 
nach   rechts  und  gährt  leicht  mit  Bierhefe.     Besonders  charakteristisch 


*  E.  Fischer,  Ber.  20,  831  (1887).  —  E.  Fischer  u.  Hirschberqer,  Ber.  31,  ISO? 
(1888);  22,  365,  1155,  3218  (1889).  —  Gans  u.  Tollens,  Ber.  21,  2150  (1888).  Ann- 
249,  251  (1888).  —  Keiss,  Ber.  22,  609  (1889).  —  Lindset  u.  Tollens,  Ahd.  261, 
349  (1891).  —  Jacobi,  Her.  24,  698  (1891). 


Tabellariscke  Zusammenstülung  der  Hexosen. 


897 


Tabelle  Nr.  42. 


II 


Name  der 
Hezose 


Optisches 

Drehungs- 

vermogen  in 

lOproc.  wflssri- 

ger  Ldsung 


Schmelz- 
punkt des 

Osazons 
CjeH„N,0, 


Zu- 
gehöriger 
Hexit 


Zugehörige 
Hexonsänre 

CgHijOy 


Zugehörige 

Tetraoxjadipinsäure 

CeHioOg 


A.  Aldosen. 

ef-Mannose  . 
^Mannose.  . 
i-9dannose.  . 


rf-61ucose . 
/-Glucose  . 
i-61uooee  . 

(2-Guloee  . 
^Galose 
«-Gulose    . 

</*Galactose 
/-Galactose 
/-Galactose 

Talose    .  . 


B.  Ketosen. 

rf-Fruetose   . 

^Fructose    . 

t-Pructose 

(a-Akrose) 

Sorbinoee  .  . 


[«Td  = 


-f- 14. 360    205—2060 
gegen  205® 


0 

-f- 52.50 
-51.40 

0 


0 

[a]D=  +80. 30 
([a]D  =-74.70) 
0 


[a]D=  -930 


[«]D 


43.4 


217—2180 

204—205  0 
204—2050 
217—2180 

1560 

1560 

157—1590 

192—1950 
192—1950 
gegen2060 

192—1950 


204—2050 


204- 
217- 


2050 
2190 


162—1640 


<^-Mannit 
/-Mannit 

t-Mannit 

(«-Akrit) 


(i^Mannonsäure  '  (^- Mannozuckersäure 


/-Mannonsfture 
f-Mannonsfiure 


rf-Sorbit      1  «^-Qluconsäure 
/-Gluconsäure 


/-Mannozuckersäure 
t-Mannozuckersäure 

(^Zuckersäure 
/-Zuckersäure 


t-Gluconsfture    1  i-Zuckersäure 


—        I  d-Gulonsäure     I  (i-Zuckers&ure 


/-Sorbit 


Dulcit 
Dulcit 


/"Gulonsäure 
i-Gulonsfture 


/-Zuckers&ure 
i-Zuckersänre 


fi^-Galactonsfture  |  Schleimsäure 

Schleimsäure 
i-Galactonsäure   Schleimsäure 


Talönsäure 


TaloBchleimsäure 


{d-  Mannit 
d-Sorbit 

t-Mannit 
(a-Akrit) 

Sorbit 


f&r  die  //-Mannose  ist  ihr  schwer  lösliches  Phenylhydrazon  CjjHjgNjOg 
(vgl.  S.  883);  beim  Vermischen  der  kalten  wässrigenMannoselösung  mit  essig- 
saurem Phenylhydrazin  fällt  dasselbe  als  krystallinischer  Niederschlag  aus, 
der  aus  heissem  Wasser  in  feinen  Prismen  anschiesst;  es  schmilzt  bei 
195 — 200^  unter  Zersetzung,  erfordert  80 — 100  Th.  kochendes  Wasser 
zur  Lösung  und  fallt  beim  Erkalten  grösstentheils  wieder  heraus,  während 
die  Hydrazone  der  übrigen  Zuckerarten  meist  leicht  löslich  sind.  Beim 
Erwärmen  der  Mannoselösung  mit  überschüssigem  essigsaurem  Phenyl- 
hydrazin entsteht  das  entsprechende  Osazon,  und  dieses  ist  identisch 
mit  dem  aus  rf-Glucose  und  rf-Fructose  entstehenden  ^-Phenyl- 
glucosazon  (vgl.  S.  899,  901).  —  /-Mannose^  ist  aus  Z-Arabinose  auf 
folgendem  Wege: 


»  E.  FißCHEB,  Ber.  23,  373  (1890). 
V.  Hbtbr  u.  Jaoobsom,  org.  Chem.    I. 


57 


b98  d-Glncose  oder  Traubenzucker, 


/-Arabinose  —  (Cyanhydrinreaction)  —>■  /-Maimonsäure  —  (Reduction)  —  ► 

/-Mannose 

erhalten  worden  (S.  769,  772);  sie  ist  der  rf-Mannose  durchaus  ähnhcfa, 
aber  optisch  entgegengesetzt  und  wesentlich  durch  das  Verhalten  gegen 
Bierhefe  unterschieden;  wenn  überhaupt,  so  ist  sie  jedenfalls  schwer 
vergährbar.  —  i-Hannose^  ist  durch  Beduction  von  t-Mannonsäurelactou 
(S.  779 — 780)  dargestellt;  sie  vergährt  mit  Bierhefe  partiell,  indem  die 
^-Mannose  verzehrt  wird,  die  /-Mannose  übrig  bleibt;  ihi*  Osazon  ist 
identisch  mit  dem  2-61ucosazon  und  dem  c^-Akrosazon  (vgl.  S.  902). 

2.  Aldosen,  welche  durch  Beduction  In  Sorbite  und  dareh 
Oxydation  In  ZuckersBuren  fiberftthrbar  sind. 

d-Glucose*  ist  neben  rf-Fructose  das  wichtigste  natürliche  Mono- 
saccharid; ihres  reichlichen  Vorkommens  in  den  Weintrauben  wegen 
wird  sie  gewöhnlich  als  Traubenzucker  bezeichnet,  mit  Rücksicht  auf 
den  Sinn  ihres  Drehungsvermögens  wurde  sie  früher  häufig  als  Dextrose 
von  dem  linksdrehenden  Fruchtzucker  (Lävulose,  s.  S.  900)  unterschieden. 
rf-Glucose  findet  sich  überaus  häufig  zugleich  mit  rf-Fructose  in  der 
Natur,  so  namentlich  in  den  süssen  Früchten,  aber  auch  in  Samen. 
Wurzeln,  Blättern,  Blüthen  etc.;  wichtig  ist  ferner  ihr  reichliches  Aut- 
treten im  Harn  bei  der  Zuckerharnruhr  (Diabetes).  Hydrolytisch  ent- 
steht sie  aus  vielen  Glucosiden  und  Polysacchariden.  Zu  ihrer  Dar- 
stellung im  Laboratorium  benutzt  man  am  zweckmässigsten  die  Hydro- 
lyse (Inversion,  vgl.  S.  915 — 916)  des  Rohrzuckers,  welche  gleiche 
Mengen  c?-Glucose  und  rf-Fructose  entstehen  lässt;  durch  ihr  grösseres 
Krystallisationsvermögen  lässt  sich  die  Glucose  von  der  Fruetose 
trennen.  Zu  ihrer  technischen  Darstellung  (vgl.  S.  941)  dient  die  Hydro- 
lyse der  Stärke. 

Darstellung  von  Traubenzucker.  In  12  Liter  Alkohol  von  90%,  welche 
mit  480  ccm  rauchender  Salzsäure  versetzt  sind  und  auf  45 — 50^  erwfirmt  werden,  trSgt 
man  4  kg  gepulverten  Rohrzucker  unter  Umrühren  ein ;  nach  zwei  Stunden  l&sst  man 
erkalten  y  fügt  zur  Anregung  der  Krystallisation  etwas  wasserfreien  Traubenzucker 
hinzu  und  Ifisst  einige  Tage  zur  Krystallisation  stehen.  Der  nun  abgeschiedene 
Traubenzucker  wird  abgesaugt,  mit  verdünntem  Alkohol  nachgewaschen  und  nm- 
krystallisirt,  indem  man  ihn  in  etwa  dem  halben  Gewicht  Wasser  im  Wasserbade 
löst,  diese  Losung  mit  dem  doppelten  Volum  90 — 95proceutigem  Alkohol  vermischt 
warm  filtrirt  und  nun  nach  Zusatz  eines  Traubenzucker-Krystfillchens  kiystalliren  iSast 

Die  rf- Glucose  krystallisirt  aus  Alkohol  oder  auch  aus  concentrirter 
wässriger  Lösung  bei  30 — 35^  wasserfrei  in  feinen  Nadeln  oder  harten 

»  E.  Fischer,  Ber.  23,  381  (1890). 

«  Vgl.  ToLLENS,  Handbuch,  S.  32  ff.  —  Femer:  Erwio  u.  Köwios,  Ber.  22,  H64 
(1889).  —  Skraup,  Monatsh.  10,  406  (1889).  —  Parcus  u.  Tollkns,  Ann.  267,  164 
(1890).  —  E.  Fischer,  Ber.  20,  821  (1887);  23,  804,  1687  (1890),  —  Wohl,  Ber.  23. 
2096  (1890);  26,  730  (1893).  —  Meunier,  Compt.  rend.  Ul,  49  (1890).  —  Jacob, 
Ber.  24,  697  (1891).  Ann.  272,  170  (1892).  —  Tollens,  Ber.  24,  2000  (1891).  - 
Franchimont,  Rec.  trav.  chim.  11,  106  (1892).  —  Pickardt,  Ztschr.  f.  phjsiol.  Chem. 
17,  217  (1892).  —  ScHUNCK  u.  Marchlewski,  Ber.  26.  942  (1893). 


l'Glueose  und  i-Glucose,  899 


Krusten  vom  Schmelzpunkt  146°;  bei  gewöhnlicher  Temperatur  krystalli- 
sirt  sie  aus  wässriger  Lösung  mit  1  Mol.  Wasser  in  Täfelchen,  die  zu 
Warzen  vereinigt  sind  (vielleicht  ist  der  wasserhaltige  Traubenzucker 
nicht  als  Krystallwasserverbindung,  sondern  als  siebenwerthiger  Alkohol 
CH2(OH)-{CH(OH)}4-CH(OH)2  aufzufassen,  vgl.  S.  890).  Traubenzucker 
schmeckt  weniger  süss  als  Rohrzucker,  ist  in  Wasser  sehr  leicht,  in 
absolutem  Alkohol  kaum  löslich,  ist  stark  rechtsdrehend  und  zeigt  be- 
deutende Mehrdrehung;  er  vergährt  mit  Bierhefe  leicht  und  vollständig. 
Beim  Erhitzen  mit  Acetylchlorid  liefert  er  die  Acetochlorhydrose 
CqH70-C](0-C3H30)^,  beim  Erwärmen  mit  Essigsäureanhydrid  in  Gegen- 
wart von  Chlorzink  oder  Natriumacetat  zwei  isomere  Pentaacetylderivate 
CgH70(0-CO-CH3)5,  von  denen  eines  bei  112^  das  andere  bei  134» 
schmilzt.  —  Durch  Einwirkung  von  Phenylhydrazin  kann  man  je  nach 
den  Bedingungen  zwei  isomere,  leicht  lösliche  Phenylhydrazone  von  der 
Zusammensetzung  Cj^Hj^NgOg  erhalten*.  Durch  Einwirkung  von  über- 
schüssigem Phenylhydrazin  in  der  Wärme  erhält  man  das  schwer  lös- 
liche rf-Phenylglucosazon  CigH^N^O^  (vgl.  Tabelle  Nr.  42  auf  S.  897), 
das  auch  aus  (2-Mannose  und  e2-Fructose  entsteht,  aus  verdünntem  Alkohol 
in  feinen  gelben  Nädelchen  krystallisirt  und  linksdrehend  ist.  Sehr 
charakteristisch  ist  ferner  das  Diphenylhydrazon  CgHj205:N*N(CgH5)j, 
welches  beim  Erhitzen  des  Traubenzuckers  mit  Diphenylhydrazin  in 
alkoholischer  Lösung  entsteht,  bei  162 — 163^  schmilzt  und  aus  heissem 
Walser  sehr  leicht  in  farblosen  glänzenden  Prismen  krystallisirt.  — 
Durch  Einwirkung  von  Salzsäure  entstehen  aus  der  Glucose  verschiedene 
Polysaccharide  („Reversion",  vgl.  S.  916),  darunter  die  Isomaltose 
(S.  920). 

Mit  der  (f-Mannose  ist  die  (f-Olucose  eng  verknüpft,  da  man  die 
beiden  Zuckerarten  infolge  der  wechselseitigen  üeberfuhrbarkeit  von 
Mannonsäure  und  Gluconsäure  (vgl.  S.  772,  779)  in  einander  um- 
wandeln kann: 

c?-Mannose  — >-  ^/-Mannonsäure  — >-  rf-Gluconsäure  — >  ef-Glücose, 
(/-Glucose  — >  rf-Gluconsäure  — >-  rf-Mannonsäure  — >  c^-Manpose. 

lieber  die  Synthese  dieser  Zuckerarten  vgl.  S.  903. 

/-Glucose 2  ist  ebenso  wie  die  /-Mannose  (vgl.  S.  772,  779,  897 
bis  898)  aus  /-Arabinose: 

/-Arabinose  (^^reSn"')  —^  /-Gluconsäure  —>-  (Eeduction)  — >•  /-Glucose 

gewonnen  worden,  ist  an  sich  und  in  ihren  Hydrazinderivaten  der 
rf-Glucose  zum  Verwechseln  ähnlich,  aber  optisch  entgegengesetzt,  vergährt 
indessen  nicht  mit  Bierhefe  oder  jedenfalls  nur  sehr  langsam.  —  i-GHucose' 

*  Ueber  die  Deutung  dieser  eigenthüm liehen  Thatsache  vgl.  Skraup,  Monatsh. 
10,  408  (1889)  u.  Hantzsch,  Ber.  25,  1698  Anm.  (1892). 

'  £.  Fischer,  Ber.  23,  2618  (1890).  '  Ebenda,  2620. 

57* 


900  GtUosm. 


ist  als  farbloser  Syrup  erhalten  worden,  vergährt  partiell,  indem  die 
<f-Glucose  verschwindet,  die  /-Glucose  übrig  bleibt,  und  liefert  ein  Di- 
phenylhydrazon,  das  feine  glänzende  Blättchen  bildet  und  schon  bei 
132— 133  <>  schmilzt. 

O^üloseil  ^  sind  künstlich  gewonnene  Zuckerarten  genannt  wordeu, 
welche  zu  den  Glucosen  stereocheniisch  in  derartiger  Beziehung  stehen, 
dass  zwar  die  Anordnung  der  Wasserstoffatome  und  Hydroxylgruppen 
um  die  vier  mittleren  Eohlenstoffatome: 

-CHtOH).  CH(OH).  CH(OH)  •  CH{OH)- 
12  8  4 

dieselbe  bleibt,  die  endständigen  Gruppen  aber  —  Aldehydgruppe  und 
primäre  Alkoholgruppe  —  gegen  einander  vertauscht  sind  (vgl.  S.  780  ff.): 

COH.CH(OH).CH(OH).CH{OH).CH(OH).CH,(OH) :  Glucose 
12  3  4 

CH,{OH).CH(OH).CH(OH).CH(OH)CH(OH).CHO :  Gulose. 
12  3  4 

Man  gelangt  zur  (f-O^alose  von  der  ^-Glucose  auf  folgendem  Wege 
(vgl  S.  781): 

if-Glucose  — ►  rf-Gluconsäure  — >■  rf-Zuckersäure  — >-  rf-Glucuronsäure  -> 

<f-Gulonsäure  — >-  rf-Gulose; 

sie  ist  als  farbloser  Sjrrup  erhalten  und  als  nicht  oder  jedenfalls  nur 
sehr  schwer  vergährbar  befunden  worden.  Leichter  erhältlich  ist  die 
/-Gulose,  die  aus  der  Xylose  durch  Vermittelung  der  Xylosecarbonsäure 
(/- Gulonsäure,  S.  782)  entsteht: 

Xylose    -)-(^^reSJn"')  ~^  /-Gulonsäure  — >  (Eeduction)  -^ /-Gulose. 

Sie  schmeckt  süss,  dreht  ganz  schwach  nach  rechts  und  ist  nicht  gähr- 
fähig.  Ihr  Phenylhydrazon  CeHuOg  :  N-NH-C^Hg  bildet  feine  weisse 
Nädelchen  vom  Schmelzpunkt  143^,  ihr  Osazon  ist  im  Gegensatz  zu 
anderen  Hexosazonen  in  heissem  Wasser  merklich  löslich,  auch  in  Al- 
kohol viel  löslicher,  als  Phenylglucosazon.  Viel  weniger  löslich  ist  das 
Osazon  der  t-Gulose. 

3/  Ketosen,  welche  durch  Beductlon  Mannlte  und  Sorbite 
liefern. 

e/-Fructose*  (Fruchtzucker,  LBtuIosc)  ist  schon  als  die  den 
Traubenzucker   in   den   meisten  süssen  Früchten  begleitende  Zuckerart 

*  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  24,  526  (1891).  —  E.  Fischer  u.  Stahel,  ebeudi. 
532.  —  E.  Fischer  u.  Cürtiss,  Ber.  25,  1029  (1892). 

*  ToLLENB,  Handbuch  S.  83  ff.  —  Ferner:  Hökig  u.  Schubert,  Monatsh.  8,  5ö3 
(1887).  —  Seliwanopp,  Ber.  20,  181  (1887).  --  Hbrzfeld,  Ann.  244,  274  (188TI  - 
Winter,  ebenda,  295.  —  Honig  u.  Jesser,  Monatsh.  9,  562  (1888).  —  Junqpleisö 
u.  Grimbert,  Compt,  rend.  107,  390  (1888).  —  Paboüs  u.  Tolleks,  Ann.  257,  I6i 
(1890).  —  Erwiq  u.  Königs,  Ber.  28,  672  (1890).  —  E.  Fischer,  Ber.  22,  94  (1889«: 
23,  36H4  (1890).  —  Wohl,  Ber.  23,  2092,  2107  (1890).  —  Gayon  u.  Düboüry,  Corapt. 
rend.  110,  865  (1890).  —  Ost,  Ber.  24,  1686  (1891),  —  Tollens.  ebenda,  2000. 


d-Fruotose  oder  Fruchtzucker,  901 


hervorgehoben  worden  (S.  898).  Ein  Gemisch  gleicher  Mengen  von  Trauben- 
zucker und  Fruchtzucker  ist  der  sogenannte  Invertzucker,  welcher 
durch  Hydrolyse  des  Rohrzuckers  entsteht;  ein  natürlicher  Invertzucker 
liegt  im  normalen  Honig  vor,  der  neben  etwa  80®/^  Invertzucker  und 
16 — 18^0  Wasser  geringe  Mengen  von  Wachs,  Eiweissstoffen  etc.  ent- 
hält. Während  die  Abscheidung  des  Traubenzuckers  aus  dem  Invert- 
zucker verhältnissmässig  leicht  gelingt  (vgl.  S.  898),  ist  die  IsoUrung  des 
schwer  krystallisirbaren  Fruchtzuckers  aus  Invertzucker  eine  recht  müh- 
same *Arbeit.  Man  wendet  daher  heute  zur  Darstellung  des  Fruchtzuckers 
stets  einen  hydrolytischen  Process  an,  der  lediglich  rf-Fructose  entstehen 
lässt:  durch  Erwärmen  von  Inulin  (S.  927  —  928)  mit  schwach  säure- 
haltigem Wasser  kann  man  bequem  reinen  Fruchtzucker  gewinnen. 
Erinnert  sei  ferner  daran,  dass  Fruchtzucker  neben  if-Mannose  sich 
durch  Oxydation  von  ^-Mannit  bildet  (S.  607,  896);  er  entsteht  auch 
bei  der  Oxydation  des  rf- Sorbits;  über  seine  synthetische  Gewinnung 
s.  S.  902—903. 

Fruchtzucker  schiesst  aus  alkoholischer  Lösung  in  harten,  wenig 
hygroskopischen,  wasserfreien  Kry stallen  des  rhombischen  Systems  an; 
aus  concentrirter  wässriger  Lösung  scheiden  sich  wasserhaltige  Nadeln 
von  der  Zusammensetzung  2GqS^^0q  +  H^O  ab.  Fruchtzucker  dreht 
stark  nach  links,  stärker  als  Traubenzucker  nach  rechts;  daher  ist  Invert- 
zucker schwach  linksdrehend;  Fruchtzucker  zeigt  nur  schwache  Mehr- 
drehung, sein  Drehungsvermögen  ist  indess  sehr  mit  der  Temperatur 
veränderlich.  Er  vergährt  leicht  und  vollständig  mit  Bierhefe,  durch 
manche  Hefesorten  langsamer,  durch  andere  schneller  als  Traubenzucker. 
—  Mit  Essigsäureanhydrid  in  Gegenwart  von  Chlorzink  behandelt,  liefert 
er  Pentaacetylfructose  CgHyO(0-CO-CH3)5  —  ein  zähes  Harz,  dessen 
Chloroformlösung  schwach  rechtsdrehend  ist.  —  Mit  überschüssigem 
Phenylhydrazin  behandelt,  geht  er  in  dasselbe  ^-Phenylglucosazon 
über,  das  aus  ^-Mannose  und  c^-Glucose  entsteht  (S.  899);  da  die 
^-Fructose  aus  diesem  Osazon  mittelst  der  S.  885  besprochenen  ße- 
actionen  regenerirt  werden  kann,  so  kann  man  cf-Mannose  und  d-Olu- 
cose  durch  Vermittelung  des  Osazons  in  rf-Fructose  überfuhren.  — 
Durch  Einwirkung  geringer  Säuremengen  in  concentrirter  wässriger  Lösung 
wird  Fruchtzucker  in  dextrinartige  Produkte  verwandelt;  durch  Reduktion 
mit  Natriumamalgam  liefert  er  ef-Mannit  und  ^/-Sorbit  neben  einander, 
und,  wie  es  scheint,  in  annähernd  gleicher  Menge;  durch  Oxydation  mit 
Quecksilberoxyd  in  Gegenwart  von  Barythydrat  wird  er  in  Glykolsäure 
und  Trioxybuttersäure  (S.  775 — 776)  gespalten. 

i-Fmctose^  —  die  inactive  Modification  des  Fruchtzuckers  —  ist 
eine   Substanz   von  besonderem  historischen  Interesse:    sie  ist  diejenige 


»  E.  Fischer  u.  Tapbl,  Ber.  20,  1092,  2566,  8386  (1887);  22,  97  (1889).  — 
E  Fischer,  Ber.  21,  988  (1888);  23,  886  (1890).  —  E.  Fischer  u.  Passmork,  Ber. 
22,  359  (1889).  —  0.  Loew,  Ber.  22,  470,  478  (1889). 


902  i'Fructose  oder  a-Akrose,  l-Fnustose. 


Znckerart,  welche  zuerst  aus  synthetisch  herstellbaren  Ausgangsmateriaiien 
in  einheitlichem  Zustand  abgeschieden  ist,  und  bildet  auf  dem  Weg,  der 
zur  Synthese  der  natürlichen  Zuckerarten  geführt  hat,  das  erste  zur 
Hexosegruppe  gehörige  Zwischenglied.  Drei  Wege  haben  zur  directen 
Synthese  v.on  Zuckerarten  gedient: 

1.  Polymerisation  des  Formaldehyds  durch  Basen  (Loew,  vgl.  Roh- 
formose, S.  401). 

2.  Addition  von  Brom  an  Akroleln  (vgl.  S.  523)  und  Zersetzung  des 
entstandenen  Akrolelndibromids  mit  Barytwasser  (E.  Fischer  u.  T^fel), 
wobei  zunächst  üebergang  des  Akrolelndibromids  CHjBr-CHBr-CHO  in 
Glycerinaldehyd  und  dann  Aldolcondensation  des  letzteren  (vielleicht 
auch  mit  durch  Umlagerung  daraus  gebildetem  Dioxyaceton)  anzunehmen 
ist  (vgl.  S.  880). 

3.  Einwirkung  von  schwachem  Alkali  auf  die  durch  Oxydation  von 
Glycerin  erhältliche  Glycerose  (S.  891),  wobei  Aldolcondensation  der 
beiden  Glycerosecomponenten  —  Glycerinaldehyd  und  Dioxyaceton  — 
eintritt  (E.  Fisohee  u.  Tafel). 

Aus  den  durch  diese  Reactionen  gebildeten  Gemischen  kann  man 
die  künstlichen  Zuckerarten  in  Form  ihrer  Osazone  abscheiden;  man 
erhält  in  allen  Fällen  ein  Gemenge  von  mehreren  Osazonen,  aus  dem 
sich  ein  Osazon  von  den  Eigenschaften  des  z-Phenylglucosazons  isoliren 
lässt;  letzteres  unterscheidet  sich  von  dem  rf-Phenylglucosazon  durch 
seinen  etwas  höheren  Schmelzpunkt  (vgl.  Tabelle  Nr.  42  auf  S.  897),  die 
optische  Inactivität  und  die  geringere  Löslichkeit  in  Alkohol;  es  geht 
durch  die  S.  885  besprochenen  Reactionen  in  die  zugehörige  Eetose  über, 
und  diese  ist  eben  die  inactive  Form  der  Fructose.  Sie  zeigt  alle 
Eigenschaften  des  natürlichen  Fruchtzuckers,  abgesehen  von  der  opti- 
schen Activität;  durch  Reduction  ist  daraus  die  inactive  Form  des 
Mannits  (S.  609)  erhalten  worden.  Da  diese  synthetisch  gewonnenen 
Glieder  der  Zuckergruppe  in  reinem  Zustand  zuerst  aus  dem  Akroleln 
dargestellt  wurden,  so  hat  man  sie  Akrosazon,  Akrose  und  Akrit  genannt 
und  unterscheidet  sie  von  gleichzeitig  gebildeten  isomeren  Produkten 
als  a-Phenylakrosazon,  c^-Akrose  und  a-Akrit. 

Ob  in  dem  ursprünglicben,  direct  durch  die  obigen  Synthesen  erhaltenen  Gemisch 
schon  a- Akrose  enthalten  ist,  kann  nicht  mit  Sicherheit  behauptet  werden;  denn  das 
Akrosazon  kann  ja  auch  aus  einer  Aldphexose  entstanden  sein.  Einige  Beobachtungen 
an  den  ursprünglichen  Reactionsgemischen  machen  es  indess  wahrscheinlich,  dass 
wirklich  die  Akrose  schon  darin  präformirt  ist;  ihre  Bildung  lässt  sich  leicht  durch 
Condensation  von  Glycerinaldehyd  mit  Dioxyaceton  verstehen: 

CH,{OH).CHfOH).CHO  +  CH,(OH)  •  CO  •  CH,(OH) 

=  CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH )  •  CH(OH)  •  CO  •  CH,(OH  u 

Die  durch  Condensation  von  Formaldehyd  mit  Kalkmilch  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  entstehende  Bohformose  besteht  indess  jedenfalls  nur  zum  geringen  Theil 
aus  «-Akrose,  zum  grössten  Theil  dagegen  aus  einem  anderen  Zucker  (Formoaei 
der  noch  nicht  in  reinem  Zustand  daraus  abgeschieden  ist  und  ein  gegen  144* 
schmelzendes  Osazon  liefert. 


Synthese  von  Z/uckerarUn.     Sori>inoae. 


Die  t-Fructose  oder  a-  Äkrose  geräth  mit  Bierhefe  in  lebhafte  Qährung, 
vei^ährt  aber  nur  partieU,  indem  die  rf-Fructose  verzehrt  wird,  die 
/-Fmctose'  dagegen  übrig  bleibt;  da  die  Hefe  durch  ihre  Herkunft  an 
den  gewöhnlichen  Fruchtzucker  als  Nahrung  gewöhnt  ist,  so  ist  dies 
Resultat  nicht  überraschend  (vgl.  S.  886). 

Die  i-Fmctose  kann  nun  durch  eine  Eeihe  meist  schon  be 
Keactionen  in  die  natlirlichen  Zuckerarten  rf-Mannpse,  d'G\ 
(f-Fructose  verwandelt  werden,  welche  damit  ebenfalls  der  Sj 
gänglich  gemacht  sind.     Zu  diesem  Ziele  ilihrt  der  folgende 

i-Fructose  liefert  durch  ßeduction  den  i-Mannit  (S.  60' 
durch  Üxjdation  in  i-Mannose  (S.  898}  und  t-Mannonaäure 
780)  übergeht: 

?-Fructo8e  — »-  i-Mannit  -->■  i-Mannose  — >■  t'-Mannonsi 
Die  i-Maunonsänre  kann  in  d-  und  /-Mannonsäure  gespalt« 
und  die  tf-Mannonsäure  (S.  778 — 779)  liefert  nun  einerseits 
daction  fZ-Mannose,  andererseits  durch  ümlagerung  beim  Ei 
Chinolin  die  in  «j-Qlucose  überführbare  {f-Gluconsäure: 

^JY    «i-Gluconsänre  — »-   i 
t-Mannonsäure  — >-  cf-Mannonsäure 

"~*-    if-Maunose; 
endlich  können  (f-Mannose  iind  tf-Glucose  mit  Hülfe  des  d- 
cosazons  in  rf-Fructose  verwandelt  werden  (vgl.  S.  885); 
rf-GIucose  -^ 

(i-Phenylglucosazon  —>■  rf-Phenylglacoson  — >-  ■ 
G^-Mannose  "'*' 

Das  Problem  der  Synthese  der  wichtigsten  natürlichen  Zuck 
mithin  durch  diese  Reactionen  gelöst. 

SorblnoM'  C,H„0,  (Sorbin;  vgl.  auch  S.  dI2)  iat  ein  Zucker,  de 
beeraafl:  unter  gewiesen  Bedingungen  ieolirt  werden  kann,  in  dem  Saft 
prSformirt  vorhanden  ist,  sondern  erst  bei  längerem  Stehenlassen  deaselbeii 
Oi^dationsprocess  ans  Sorbit  zu  entstehen  scheint;  er  bildet  farhlosl 
Kryatalle,  ist  llukedtehcnd,  liefert  durch  Oxydation  mit  Salpetersäure  Trio: 
(S.  817),  durch  Redaction  mit  Natriumamalgam  Sorbit  und  besitzt  dab^T 
echetnlich  gleich  den  Fructosea  die  Structurformel: 

CH,(OH) .  CH{ÜH)  ■  CH(OIf]-  CH(OH)  -  CO  ■  CH,(OH) . 

4.  Aldosen,  welche-^reh  Rediictloii  Bnlclt,  durch  • 
ScliIelinsBiire  oder  Taloschlelmsänre  liefern. 

<f-6alactose^  CgHjjOg    entsteht   neben   rf-Glucose   durch 

>  £.  FucHEB,  Ber.  23,  38S  (1B90). 

*  ToLLEHs,  Handbuch  S.  99.  —  Femer;  G.  Fibchbb,  Ber.  20,  8'. 
KiLUKi  n.  ScBEiBLEB,  BeT.  ai,  3276  (IBSS).  -—  Stone  u.  Tollen»,  An: 
(1888).  —  Vkoemt  u.  DiLiCHiHAL,  Compt.  rend,  111,  51  (1890). —  Freo 
U,  680  (18S0). 

'  ToLLEHB,  Handbuch  S.  97.  —  Femer:  v.  Lifpmann,  Ber.  SO,  10< 
E.  FiBCHES,  ebenda,  826.  —  Tollmb  u.  Stose,  Ber.  31,  1572  (1888).    A. 


904  Ocdactosen,  Talose,  Rhamnohexose, 


des  Milchzuckers,  ferner  wird  sie  durch  Hydrolyse  mancher  anderer  Kohlen- 
hydrate,  z.  B.  gewisser  Gummisorten,  auch  durch  Spaltung  des  aus 
Gehimsubstanz  erhältlichen  Cerebrins  gebildet.  Sie  krystallisirt  in  mi- 
kroskopischen Sechsecken,  schmilzt  bei  168*^,  ist  stark  rechtsdrehend, 
zeigt  Mehrdrehung,  vergährt  langsamer  als  rf-Glucose,  aber  annähernd 
ebenso  vollständig.  Ihr  Pentaacetylderivat  C^Hy 0(0 -CO -011^)5  bildet 
glänzende  rhombische  Krystalle  und  schmilzt  bei  142®;  ihr  Phenyl- 
hydrazon  CeHy(0H)5  iN-NH-C^Hg  schmilzt  bei  158—160®  und  ist  Unks- 
drehend.  —  z-O^alaotose  ^  ist  durch  Eeduction  der  t-Galactonsäure  (vgl. 
S.  783 — 784),  also  aus  tZ-Galactose  durch  folgende  Zwischenstufen: 

rf-Galactose  — >■  Schleimsäure  — >-  z-Galactonsäure  — >-  i-Galactose 

gewonnen;  sie  bildet  harte  farblose  Krystallkrusten  und  schmilzt  bei 
140 — 142®.  Lässt  man  sie  vergähren,  so  vrird  die  (f-Galactose  verzehrt, 
und  man  erhält  die  /-O^alaetose^,  welche  der  (f-Galactose  zum  Ver- 
wechseln ähnlich  ist. 

Talose^  ist  durch  Eeduction  der  Talonsäure  (S.  784),  also  aus 
rf-Galactose  durch  die  Zwischenstufen: 

rf-Galactose  — >-  rf-Galactonsäure    — ►  Talonsäure  — >■  Talose 

gewonnen  und  liefert  dasselbe  Osazon  wie  die  cf-Galactose. 

Als  eine  Metfaylhexose  ist  femer  zu  erwähnen  die  Rhamnohexose^  CfHifO«  = 
CH3{CH(OH)!5CHO,  welche  aus  der  Rhamnose  (S.  894)  synthetisch  durch  die  Q^- 
hydrinreaction: 

CH8.1CH(OH)!4.CHO— ^CH,.jCH(OH)}^.CH(OH).CO,H  -^  CH,.{CH(OH)}5CH0 

dargestellt  ist,  gut  krystallisirt,  bei  180 — 181^  schmilzt,  linksdrehend  ist  ([a]D 
in  lOproc.  wässriger  Lösung  =    —61  «4^)  und  ziemlich  starke  Mehrdrehung  zeigt 

Die  Configuration^  der  Pentosen  und  Hexosen,  sowie  der  zu 
ihnen  in  naher  Beziehung  stehenden  Verbindungen  aus  anderen 

Klassen. 

Um  auf  Grund  der  stereochemischen  Theorie  Baumformeln  f&r  die 
zahlreichen  stereoisomeren  Zuckerarten  und  die  mit  ihnen  nahe  ver- 
wandten mehrwerthigen  Alkohole  und  Säuren  zu  ermitteln,  muss  man 
zuvörderst  sich  die  Zahl  und  Art  der  Configurationsmöglichkeiten  klar 
machen,  welche  von  der  Theorie  für  die  einzelnen  Fälle  zui'  Wahl  ge- 
stellt werden. 


(1888).  —  Erwig  u.  Koenigs,  Ber.  22,  2207  (1889).  —  Pabcus  u.  Tollsks,  Ann.  267, 
168  (1890).  —  Thierpelder,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  14,  209  (1890).  —  Jaoobi,  B«r. 
24,  698  (1891).  Ann.  272,  170  (1892).  —  Browh  u.  Morris,  Joum.  Soc.  67,  57 
(1890).    Ber.  24o,  723  (1891). 

1  E.  Fischer  u.  Hertz,  Ber.  25,  1255  (1892).  *  Ebenda,  1259. 

»  E.  Fischer,  Ber.  24,  3625  (1891). 

*  E.  Fischer  u.  Piloty,  Ber.  28,  3104  (1890). 

*  Vgl.  E.  Fischer,  Ber.  24,  1886,  2683  (1891). 


Gonfiguration  der  stereoisomeren  Zfuckerarten  eto.  905 


Es  soll  dies  im  Folgenden  zunächst  fiir  die  Pentosen  und  die  ihnen 
entsprechenden  Pentonsäuren  geschehen;  da  die  Verbindungen  beider 
Klassen  je  drei  ungleichai*tig  asymmetrische  Kohlenstoffatome  enthalten: 

CHg(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  -  COH 

*  «  * 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH).  CO,H , 

*  *  * 

so  sind  die  einzelnen  Möglichkeiten  in  beiden  Erlassen  einander  natürlich 
durchaus  entsprechend. 

Man  construire  sich  am  Modell  (vgl.  S.  666 — 667  Anm.)  das  Molecül: 

CH,(OH)— CH, .  CH, .  CH,— CHO  (bezw.  CO,H) , 

indem  man  drei  Kohlenstoffinodelle  zu  einer  Kette  zusammensetzt  und 
die  daran  gebundenen  Atome  bezw.  Radicale  durch  verschiedenfarbige 
Kugeln  —  etwa  H  durch  weiss,  CHj(OH)  durch  grün,  COH  (bezw.  CO,H) 
durch  blau  —  markirt;  durch  Drehung  der  einzelnen  Kohlenstofi^odelle 
um  die  sie  verbindende  Axe  richte  man  darauf  die  Combination  derart, 
dass  in  die  durch  die  Gentren  der  drei  Kohlenstoffatome  zu  legende 
Ebene  auch  die  Centren  der  grünen  und  blauen  Kugel  fallen,  und 
ein  dieser  Ebene  entsprechender  Schnitt  durch  das  Modell  den  Anblick: 


%,. 


JOH  (bezw.  CO^H) 

C< 

^CHj-OH 

zeigt;  stellt  man  jetzt  diese  Ebene  senkrecht  zur  Fläche  des  Papiers 
und  projicirt  sie  auf  die  letztere  in  Gestalt  eines  verticalen  Striches, 
so  bleiben  zu  beiden  Seiten  je  drei  Wasserstoffatome,  und  man  erhält, 
indem  man  sich  nun  die  Kohlenstoffatome  in  einer  geraden  Linie  an- 
geordnet denkt,  die  folgende  Projectionsformel: 

COH  (bezw.  CO,H) 


H- 
H 
H 


H 
H 
-H 


CH,(OH) 

in  derselben  sind  an  den  drei  Kreuzungspunkten  die  drei  mittleren 
Kohlenstoffatome  zu  ergänzen,  deren  Symbole  der  Uebersichtlichkeit 
wegen  fortgelassen  werden  mögen. 

Ausgehend  von  dem  derart  gerichteten  Modell  oder  von  dieser  Pro- 
jectionsformel, kann  man  nun  leicht  die  verschiedenen  Isomeriefälle  con- 
struiren,  welche  sich  ergeben,  wenn  an  jedem  der  mittleren  Kohlenstoff- 
atome ein  Wasserstoffatom  durch  die  Hydroxylgruppe  ersetzt  ist;  sie 
sind  in  der  Horizontalcolumne  A  der  beigehefteten  Tabelle  Nr.  43  zu- 
sammengestellt und  mit  den  darüberstehenden  römischen  Ziffern  bezeichnet. 


906 


Configuration  der 


Die  Configurationen,  die  za  einander  sich  wie  Gegenstand  und  Spiegel- 
bild Terhalten,  sind  mit  der  gleichen  Ziffer  versehen  und  dui'ch  die 
Vorzeichen  +  und  —  unterschieden.  Es  soll  dadurch  nur  angedeutet 
werden,  dass  sie  einander  optisch  entgegengesetzt  sind,  aber  nicht  etwa, 
dass  gerade  die  mit  +  bezeichnete  Configuration  rechtsdrehend,  die  mit 
—  bezeichnete  linksdrehend  wirkt.  Es  giebt  in  diesem  Falle,  wie  die 
Ueberlegung  zeigt,  8  verschiedene  Configurationen ,  unter  denen  sich 
4  Paare  von  je  2  enantiomorphen  Configurationen  befinden;  ausser  den 
8  optisch  activen  Isomeren  erscheinen  mithin  noch  4  racemische  inactiTe 
Modificationen  denkbar. 

Wir  gehen  jetzt  zu  den  Pentiten  und  Trioxyglutarsäuren  über, 
die  durch  Eeduction  bezw.  Oxydation  aus  den  Pentosen  oder  Penton- 
säuren  entstehen.  Während  wir  es  eben  mit  structur-unsymmetrischen 
Verbindungen  zu  thun  hatten,  handelt  es  sich  jetzt  um  Verbindungen 
von  symmetrischer  Structur: 

CH,(OH)~CH(OH)  .CH(OH)  .CH(OH)— CH,(OH) 

«  <c  * 

CO,H-CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)-CO,H ; 

♦  *  « 

von  den  drei  im  vorigen  Falle  ungleichartig  unsymmetrischen  Kohlenstoff- 
atomen sind  jetzt  zwei  —  die  beiden  äusseren  —  einander  gleichwerthig, 
während  das  dritte  —  mittlere  —  überhaupt  nicht  mehr  in  allen  Fällen 
unsymmetrisch  ist,  sondern  es  nur  bei  verschiedenartiger  Anordnung  um 
die  beiden  Nachbarkohlenstoffatome  wird  (vgl.  S.  816);  es  leuchtet  sofort 
ein,  dass  die  Anzahl  der  möglichen  Isomeriefalle  jetzt  geringer  sein  wird 
als  im  vorigen  Falle.     Wenn  z.  B.  die  beiden  Configurationen: 

COH  COH 


H 


H— 
H— 


OH 


OH- 


— OH 
-  OH 


und 


OH— 
OH- 


H 


H 


H 


CH,(OH)  CH,(OH) 

für  Pentosen  von  einander  unzweifelhaft  verschieden  sind,  so  werden  sie 
nach  Herstellung  der  symmetrischen  Structur  durch  Uebergang  in  Pentit: 

CH,(OH)  CH,(OH) 


H 


H 


H- 


OH 
OH 


OH 


OH 


und 


OH 


OH- 


—  H 


H 
H 


CH,(OH)  CH,(OH) 

mit  einander  identisch;  denn  man  braucht  jetzt  offenbar  nur  eines  dieser 
Systeme   derart  umzudrehen,   dass  das  vorher  untere  Ende  zum  oberen 


stereoisofneren  Zfuckerarten,  907 


wird,  um  es  mit  dem  anderen  System  yöllig  gleich  aassehend  zu  machen. 
Die  nähere  Ueberlegung  zeigt,  dass  hier  nur  vier  verschiedene  Con- 
figurationen  möglich  sind  (vgl,  S.  816 — 817);  sie  sind  in  der  Horizontal- 
columne  B  der  Tabelle  Nr.  43  derart  zusammengestellt,  dass  sie  sich  stets 
unter  den  entsprechenden  Pentoseconfigurationen  befinden,  und  sind  mit 
den  darunter  befindlichen  Ziflfern  bezeichnet,  die  diese  Beziehung  eben- 
falls andeuten  sollen.  Wenn  demnach  eine  Pentitconfiguration  die  Bezeich- 
nung +  III)  IV  erhält,»  so  ist  .damit  ausgedrückt,  dass  sie  zwei  optisch 
activen,  aber  nicht  entgegengesetzten  Pentoseconfigurationen  (+111  und 
+  IV)  entspricht.  Die  mit  +,—11  bezeichnete  Pentitconfiguration  da- 
gegen entspricht  zwei  optisch  activen  und  einander  entgegengesetzten 
Pentoseconfigurationen  (+11  und  —11);  es  ist  leicht  ersichtlich,  dafes 
letzteres  System  durch  intramoleculare  Compensation  der  gleichartig  un- 
symmetrischen Kohlenstoflfatome  inactiv  sein  muss;  (Jenn  construirt  man 
sein  Spiegelbild  und  kehrt  letzteres  wieder  um: 

CH,(OH)  CHg(OH)-<— I  CHs(OH) 

\  ! 

H OH  OH H  ,  H— i~OH 


OH H      —  >■      H— '— OH 


H 


OH  OH-  I— H 


=    0H--|— H 
H— ,— OH 

CH,(OH) 


CH,(OH)  CHs(OH) — 

so  kommt  man  zur  ursprünglichen  Gestalt  wieder  zurück.  Gegenstand 
und  Spiegelbild  sind  hier  nicht  mit  einander  enantiomorph,  sondern 
identisch;  diese  Art  der  Anordnung  entspricht  mithin  nicht  zwei  optischen 
Antipoden,  sondern  einer  inactiven  Modification.  Die  üebersicht  über 
die  Columne  B  zeigt,  dass  es  für  Pentite  und  Trioxyglutarsäuren  zwei 
verschiedene  durch  intramoleculare  Compensation  inactive  Modificationen 
(+,  — I  und  +,—11)  und  zwei  einander  enantiomorphe  Modificationen 
(+111,  IV  und  —in,  IV)  giebt,  demnach  endlich  noch  eine  fünfte  race- 
mische  inactive  Modification  denkbar  erscheint. 

In  gleicher  Weise  kann  man  nun  die  Isomeriemöglichkeiten  für  die 
Aldohexosen  und  Hexonsäuren 

CH,(OH)— CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)~CHO 

«  4'  *  4^ 

CH,(OH)-CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)— COgH , 

«  «  *  * 

sowie  für  die  Hexite  und  Tetraoxyadipinsäuren : 

CH,(OH)-CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)-CH,(OH) 

«  *  •  • 

CO,H-CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)-CO,H 

*  *  *  • 

ableiten.  Sie  sind  in  den  Horizontalcolumnen  C  und  D  der  Tabelle,  die 
den  Columnen  A  und  B  ganz  analog  angeordnet  sind,  zusammengestellt. 
Hier  sei  nur  noch  das  zahlenmässige  Ergebniss  der  Ableitung  angeführt. 


908  Ganfiguratimi  der 


Für  Aldohexosen  und  Hexonsäuren  sind  16  active  Modificationen 
möglich;  zu  denen  noch  8  racemische  inactive  Modificationen  hinzutreten 
können. 

Für  Hexite  und  Tetraoxyadipinsäuren  sind  zwei  durch  intra- 
moleculare  Gompensation  inactive  und  acht  optisch  active  Modificationen, 
endlich  noch  vier  racemische  inactive  Modificationen  denkbar. 

Um  die  Isomeriemöglichkeiten  der  Ketohexosen  abzuleiten,  bedarf 
es  keiner  besonderen  Betrachtung;  sie  entsprechen  in  stereochemischer 
Beziehung  durchaus  den  Aldopentosen: 

CH,(OH)-CH(OH).  CH(OH)  •  CH(OH)— CO  •  CH,(OH) 

*  >0  * 

CH,(OH)-CH(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)-COH , 

m  *  * 

und  demnach  gilt  f&r  sie  die  Columne  A  mit. 

Nach  Ableitung  der  möglichen  Kaumformeln  handelt  es  sich  nun 
darum,  sie  auf  die  einzelnen  bekannten  Verbindungen  zu  vertheilen. 

Es  gelingt  dies,  wenn  man  sich  auf  die  genetischen  Beziehungen 
stützt,  welche  die  Pentosen  mit  Hexosen,  die  einzelnen  Hexosen  unter 
einander  und  endlich  die  Zuckerarten  mit  mehrwerthigen  Alkoholen  und 
Säuren  verknüpfen  (vgl.  die  Tabelle  Nr.  42  auf  S.  897). 

Man  kann  zunächst  unter  den  Pentosemöglichkeiten  (Columne  A) 
eine  beschränkte  Auswahl  für  die  Arabinosen  einerseits  und  Xylose 
andererseits  treffen.  Denn  i-Arabinose  ist  in  optisch  activen  Arabit 
(S.  606)  und  optisch  active  Trioxyglutarsäure  überflihrbar  (S.  817)),  muss 
daher  eine  der  vier  Configurationen  +  III,  +  IV,  —  III,  —  IV  besitzen. 
Xylose  dagegen  liefert  den  optisch  inactiven  Xylit  und  die  inactive  Tri- 
oxyglutarsäure; diese  Verbindungen  können  nicht  racemisch  sein,  da  sie 
aus  einer  einheitlichen  activen  Pentose  hervorgehen;  mithin  muss  Xylose 
eine  der  vier  Configurationen  +1,  —  I,   +11,   — 11  besitzen. 

Man  kann  ferner  unter  den  Möglichkeiten  der  Columne  D  wieder 
eine  beschränkte  Auswahl  für  d-  und  /-Zuckersäure  bezw.  d-  und  /-Sorbit 
treffen,  wenn  man  berücksichtigt,  dass 

1 .  d-  und  Z-Zuckersäure  optisch  activ  und  einander  entgegengesetzt  sind, 

2.  jede  Zuckersäure  aus  zwei  verschiedenen  Aldohexosen  —  Glucose 
und  Gulose  —  entsteht. 

Durch  1.  werden  die  Configurationen  +,  —  I  und  +,  —  VIII,  durch  2.  die 
Configurationen   +  VI,   —  VI,   +  VII,  —  VII  ausgeschlossen. 

Unter  den  übrig  bleibenden  Configurationen  +  11,  HI  und  —  11,  IQ. 
+  IV,  V  und  —  IV,  V  kann  man  eine  weitere  Auswahl  auf  Grund  einer 
Schlussfolgerung  treffen,  welche  sich  übereinstimmend  aus  mehreren 
Thatsachen  betreffs  der  stereochemischen  Beziehungen  zwischen  den  Ver- 
bindungen Mannose,  Mannit,  Mannonsäure,  Mannozuckersäure  einerseits 
und  den  Verbindungen  Glucose,  Sorbit,  Gluconsäure,  Zuckersäure 
andererseits  ergiebt.  Numerirt  man  nämlich  in  der  Formel  der  Hexosen 
und  Hexonsäuren  die  asymmetrischen  Kohlenstoffatome  wie  folgt'. 


stereoisomeren  Zmkerarten, 


909 


OH,(OH)— CH(OH).CH(OH).CH(OH).CH(OH)-CHO  (bezw.  CO,H), 
1.  2.  8.  4. 

80  muss  die  Anordnung  in  Bezug  auf  die  Kohlenstöffatome  Nr.  1,  2  und  3 
in  beiden  Verbindungsreihen  die  gleiche  sein,  und  die  Isomerie  der 
einander  entsprechenden  Verbindungen  aus  beiden  Reihen  kann  lediglich 
auf  entgegengesetzter  Gruppirung  in  Bezug  auf  das  KohlenstolQFatom  Nr.  4 
beruhen;  es  folgt  dies  aus  nachstehenden  Beobachtungen: 

1.  Glucose  und  Mannose  liefern  ein  und  dasselbe  Phenylglucosazon 
(S.  899). 

2.  (i-Sorbit  und  6^-Mannit  entstehen  neben  einander  durch  Eeduction 
einer  Ketohexose  (ef-Fructose,  vgl.  901). 

3.  Z-Mannonsäure  und  /-Gluconsäure  entstehen  neben  einander  durch 
die  Cyanhydrinreaction  aus  einer  Aldopentose  (/-Arabinose,  vgl.  S.  893). 

Durch  diese  Beziehungen  werden  nun  die  Configurationen  +  ü,  HI 
und  -n,ni: 


H- 
H 


CH,(OH) 

-OH 
-OH 


CH,(OH) 


H 


OH 


0H-- 
OH— 


—OH 


H 


OH 


H 


— H 
— H 


H— |-  OH 

CH,(OH)  (!)H,(OH) 

itbr  die  Sorbite  und  Zuckersäuren  unmöglich;  denn  bei  ihrer  Annahme 
würden  den  Manniten  und  Mannozuckersäuren  die  Configurationen 
+,-Vin  oder  +,-I: 

CH,(OH)  CH,(OH) 


OH 
H 
H 

OH 


H 
OH 


—OH 
— H 


H 
H 
H 
H 


OH 
OH 
OH 
OH 


CH,(OH)  CH,(OH) 

(durch  Umwechselung  von  H  und  OH  entweder  am  untersten  oder  am 
obersten  asymmetrischen  Kohlenstoflfatom  entstehend)  zufallen ;  diese  Con- 
figurationen stellen  aber  inactive  Systeme  dar,  während  im  Gegentheil  die 
Mannite  und  Mannozuckersäuren  als  optisch  active  Substanzen  befanden 
sind.  Mithin  bleiben  nun  für  die  Zuckersäuren  und  Sorbite  lediglich  die 
Configurationen  +IV,  V  und  —  rV,V  als  möglich  übrig.  Welche  dieser 
Configurationen  der  rf-Zuckersäure  imd  dem  d-Sorbit,  welche  der  /-Zucker- 
säure und  dem  /-Sorbit  zukommt,  lässt  sich  ebensowenig  entscheiden,  wie 
man  beispielsweise  für  Rechtsäpfelsäure  und  Linksäpfelsäure  eine  bestimmte 


910  Configuration  der 


Auswahl  zwischen  den  beiden  möglichen  Raumformeln  treffen  kann.  Es 
ist  dies  auch  flir  alle  weiteren  Betrachtungen  unnöthig,  da  beide  Confi- 
gurationen  ja  einander  enantiomorph  sind  und  demnach  demselben  chemi- 
schen Gleichgewichtszustand  entsprechen.  Wir  wollen  willkürlich  die  An- 
nahme machen,  dass  öf-Zuckersäure  und  rf-Sorbit  die  Configuration  —  IV»  7, 
dagegen  Z-Zuckersäure  und  /-Sorbit  die  Configuration   +  IV,  V  besitzt. 

Nachdem  somit  die  Configuration  der  Zuckersäuren  und  Sorbite  be- 
stimmt ist,  bleibt  fllr  die  zugehörigen  Aldohexosen  —  Glucosen  und 
Gulosen  —  auch  nur  die  Wahl  zwischen  wenigen  Möglichkeiten  der 
Columne  C  Es  ist  nur  zu  entscheiden,  welche  von  den  beiden  Con- 
figurationen  —IV  und  —V  der  rf-Glucose,  welche  der  rf-Gulose  zukommt; 
ebenso  sind  die  Configurationen  +IV  und  +V  auf  /-Glucose  und 
/-Gulose  zu  vertheilen. 

Für  diese  Auswahl  braucht  man  sich  nur  daran  zu  erinnern,  dass 

4 

Xylose  durch  die  Cyanhydrin  Z-Gulonsäure,  i-Arabinose  aber  /-Glucon- 
säure  (neben  /-Mannonsäure)  liefert,  und  femer  auf  die  schon  früher 
vorgenommene  beschränkte  Auswahl  der  Configurationsmöglichkeiten  för 
Xylose  und  Arabinose  (S.  908)  zurückzugreifen.  Es  ist  leicht  ersichtlich, 
dass  eine  Hexonsäure  von  der  Configuration   +IV: 

COgH 
-OH 


H 


H OH 


OH-  -j  -H 

H—    -OH 
I 
CH,(0H) 

nur  entstehen  kann  aus  der  Aldopen  tose: 

CHO 

H OH 

OH— |— H       ; 
H— --0H 

6h,(0H) 

und  da  sich  letztere  Configuration  unter  den  Xylosemöglichkeiten  befindet 
(+  II  in  Columne  A),  so  kommt  die  obige  Configuration  +rV  der  /-Gulon- 
säure  und  /-Gulose  zu;  umgekehrt  folgt  aus  den  Beziehungen  der  /-Glucon- 
säure  zur  /-Arabinose  die  Configuration  +V  für  /-Gluconsäure  und 
Z-Glucose. 

Hiermit  sind  nunmehr  die  Raumformeln  für  die  Glucosen  und  Gulosen 
festgestellt: 


stercoisomeren  Zuckerarten, 


911 


COH 


H- 
OH- 


H 


H- 


OH 
H 


—OH 
—OH 


CH,(OH) 
cf-Glucose 


COH 


OH— |— H 
H OH 


OH- 


H 


OH H 


CH,(OH) 
^Glacose 


OH- 


OH- 


H- 
OH- 


COH 


H 


— H 
—OH 
— H 


CHg(OH) 
fl{-6ulose 


COH 


H— 

H— 

OH— 


—OH 
—OH 
— H 


H OH 

CH,(OH) 
/-Gnlose 


Da  aber  die  Glucosen  mit  den  entsprechenden  Mannosen  und  Fructosen 
die  gleichen  Osazone  liefern,  so  ergeben  sich  auch  sofort  die  Kaum- 
formeln für  die  Mannosen  und  Fructosen: 


COH 

I 

OH— i— H 


OH 
H 


H 


H 


OH 
OH 


CH,(OH) 
(i-Mannose 


H- 
H 


OH— 
OH— 


COH 

—OH 
—OH 
— H 


H 


CH,(OH) 
/-Mannose 


CH,(OH) 
CO 


OH 
H 


H 


H 


-OH 
OH 


CH,(OH) 
rf-Fructose 


H 


OH- 


OH 


CH,(OH) 


OH 
H 


■H 


CH,(OH) 
^Fructose 


Die  Baumformebi  der  den  Aldohexosen  entsprechenden  Hexonsäuren 
sind  natürlich  ganz  analog;  zusammengestellt  seien  hier  noch  die  Raum- 
formehi  der  Mannite,  Sorbite,  Zuckersäuren  und  Mannozuckersäuren: 


CH,(OH)  (bezw.  CO,H) 
OH— —  H 


OH 

H 


H 
OH 


H— !— OH 

6h,(0H)  (bezw.  CO,H) 
tif-Mannit 
(Mfannozackersfture 


H- 
H 


OH 


OH 


CH,(OH) 


OH 


—OH 
— H 


— H 


CH,(OH) 
Mlaniiit 
/-Mannozuckersänre 


OH 


OH 
H- 


CH,(OH) 


OH 


H 


H 
^H 


H 


CH,(OH) 
rf-Sorbit 
(^-Zuckersäure 


H 
H- 


OH- 


CH^OH) 


—OH 


OH 
H 


OH 


H 


CH,(OH) 
/-Sorbit 
/-Znckersäure 


Aus  den  Beziehungen  von  Xylose  zu  ^Gulose,  /-Arabinose  zu  Z-Man- 
nose  und  /-Glucose,  (2-Arabinose  zu  (i-61ucose  und  aus  dem  Umstand, 
dass  /-Arabinose  und  Kibose  das  gleiche  Osazon  liefern,  ergiebt  sich 
femer  die  Gonfiguration  der  Pentosen: 


912 


Configuration  der  stereoisomeren  Zuekerarten, 


COH 


H   —OH 


COH 


COH 


COH 


H 


OH H 


H 


OH 


OH- 
OH- 


CH,(OH) 
Xylose 


OH 
H 


H 


OH 
H- 
H 


-H 
-OH 
—  OH 


OH 


H 


OH 


H 


CH,(OH) 
/-Arabinose 


CH,(OH) 
ti-Arabinose 


OH— I— H 


CH,(OH) 
Ribose 


und  im  Anschluss  daran  diejenige   der  Pentite  und  Trioxyglutarsäureii 


H 
OH 


CH,(OH)  (b€zw.  CO2H) 

—OH 
— H 


CH2(0H) 


CH,(OH) 


H 


—OH 


H 
OH 
OH 


OH 

H 

H 


OH H 


OH 
OH 


CH,(OH)  (bezw.  CO^H) 

Xylit, 
Trioxyglatarsäare 
(Schinelzpanktl52<>) 


CHs(OH) 
/-Arabit, 
Triozyglutarsäure 
(Schmelzpunkt  127*) 


H 
H 


CH,(OH) 
Adonit, 
TrioxyglatarsäuTe 
Schmelzpunkt  170— 111  •> 


Auch  für  die  Verbindungen  der  Duicitreihe  Iftsst  sich  die  Configuration 
soweit  beurtheilen,  dass  ftlr  die  einzelnen  Verbindungen  nur  eine  geringe  Zahl  Fon 
Raumformeln  als  möglich  übrig  bleibt.  Schleimsäure  und  Dulcit  sind  aus  den  S.  820 
angeführten  G-ründen  durch  intramoleculare  Compensation  inactiv,  besitzen  also  die 
Configuration  +>I  oder  + 1  VllI  (ColumneZ>);  bei  einem  Ueberblick  über  die  Tabelle 
ist  es  sofort  ersichtlich,  dass  nur  mit  diesen  Raymformeln  die  Bildung  der  gleichen 
Tetraoxyadipinsäure  aus  zwei  optischen  Antipoden  vereinbar  ist.  Für  die  Gralactosen 
sind  mithin  die  Configurationen  + 1,  —  I,  +  VIII,  —  VIII  (Colnmne  CT)  und  för  die 
Talose,  die  das  gleiche  Osazon,  wie  die  d-Galactose,  liefert,  die  Configurationen 
+  n,  +  HI,  —  n,  —  ni  möglich.  Der  Taloschleimsäure  endlich  und  ihrem  noch  un- 
bekannten optischen  Antipoden  können  daher  nur  die  enantiomorphen  Configurationen 
+  n,  ni  oder  —  n,  in  (Columne  D)  zukommen ;  und  da  nun  von  den  optisch  aetiven 
Configurationen  der  Columne  D  alle  bis  auf  +  VII  und  —  VH  durch  Tetraoxy- 
adipinsfturen  bereits  besetzt  sind,  so  bleibt  für  die  Isozuckersäure  nur  eine  dieser 
beiden  enantiomorphen  Raumformeln  übrig. 

Die  Rhamnose  liefert  die  gleiche  Trioxyglutarsäure,  wie  die  ^Arabinose,  und 
besitzt  daher  entweder  die  Configuration  +in  oder  +IV  (Columne  A;  man  ersetze 
in  der  Pentoseformel  — CHgCOH)  durch  — CH(OH).CH,). 

Die  Beobachtungen  über  die  Sorbinose  sind  mit  der  Theorie  nicht  in  Ein- 
klang zu  bringen.  Sie  soll  dieselbe  Trioxyglutarsäure,  wie  Arabinose,  liefern;  da 
diese  Säure  aber  nicht  optisch  untersucht  ist,  so  könnte  sie  auch  das  optische  Isomere 
sein.  Hiemach  müsste  die  Sorbinose  eine  der  Configurationen  +  HI,  +  IV,  —  HI,  —  IV 
besitzen  [Columne  J.;  man  ersetze  in  der  Pentoseformel  — COH  durch  —CO -011,(0 H)]. 
Von  diesen  Configurationen  sind  aber  —  IV  und  +  IV  schon  durch  d-  und  /-Fructose 
besetzt,  und  die  übrig  bleibenden  +  IH  und  —  HI  können  wiederum  durch  Reduction 
nicht  die  Configuration  der  Sorbite  liefern.  Vielleicht  verschwinden  diese  Wider- 
sprüche bei  einer  Revision  der  Beobachtungen. 


Hepiosen,  Octosen,  Noiiosett. 

D.  Heptosen,   Octosen,   Nonosen. 
Monosaccharide  mit  mehr  als  sechs  Saueratoffatomen  sind  bis! 
der  Natur   nicht   aufgefunden.     Ihre  künstliche  Bildung  gelingt, 
man  —  ausgehend  von  den  Hexosen  —  abwechselnd  die  Cyanh 
Synthese   und   die  Reduction  der  Aldonsäuren   in   Form   ihrer   Li 
ansführt  (8.  769): 

CH^0H)1CH(0H)I,.C0H  »-  CH,(OH).|CH(OH)],-CH(OH)CO,H       - 

CHj(0H)-JCH(OH)icCX>H     etc. 

Sü  ist  man  z.  B.  von  der  i:2'Mannose  zur  if-Mannoheptose,  Manno 
und  Mannononose  —  sämmtlich  Zuckerarten,  die  gleich  der  rf-Ms 
charakteristische,  in  Wasser  schwer  lösliche  Phenylhydrazone  liefe 
»nfgestiegen ' ;  von  besonderem  Interesse  ist  es,  dass  Mannononose  € 
leicht  wie  Mannose  vergährt,  während  die  Heptose  und  Octoae 
gährungsfäbig  sind  (vgl.  S.  Ö86).  Von  der  i-Mannose  und  i-JSs 
ausgehend,  hat  man  eine  l-  und  i-Manuoheptose  dargestellt'.  Vc 
Rbamnose  als  Ausgangspunkt  ist  eine  Bhamnohexose  (S.  904),  Rh 
heptose  und  Rhamnooctose  gewonnen  worden*. 

Am  ausführlichsten  sind  Reactionen  dieser  Art  filr  den  Ai 
von  der  (/-Glucose  aus  untersucht  worden*;  hier  hat  auch  die  | 
zeitige  Bildung  zweier  Stereoisomeren,  die  infolge  der  Neubildung 
asymmetrischen  Sohlen stoffatoms  der  Theorie  nach  möglich  ers 
(vgl,  S.  771 — 773),  bei  der  experimentellen  Durcharbeitung  eing 
verfolgt  werden  können.  Es  sind  zwei  [:i-GlucoheptoBen  isolirt  wi 
die  als  a-  und  /3-Glncoheptose  unterschieden  werden  und  ihrer  f 
zeitigen  Entstehung  aus  if-Glucose  zufolge  den  Raumformeln: 
I.  COR  II.         OOH 

H  On  OH        -H 


H  OH  H-      -OH 

H OH  H— |— OH 

I 
CH^OH)  CH^OH) 

entsprechen.  Durch  Oxydation  können  diese  beiden  Heptosen  in 
verschiedene  Pentaoxypimeliueäuren  (S.  821 — 822)  übergeführt  w 
filr  welche  demnach  die  Raumformetn: 

>  E.  PiBCHRB  u.  Pabshure,  Bu.  23,  2226  (1690);  vgl.  auch  ebenda,  ü.  dS 

»  Stamley  Smith,  Ann.  270,  182  (1892). 

■  E.  FisoBKB  u.  PiLOTT,  BcT.  2S,  3102  (1890). 

<  E.  FiMBEB,  ADD.  270,  64  (1892). 

V.  Mktbr  u.  JaoobKh,  arg.  Cham     I  5B 


914 


Heptosen,   Ootosen,  Nonosen, 


I. 


CO,H 


H- 
H 


OH 


H- 
H- 


OH 
OH 
H 


IL         CO,H 
OH— !— H 


H 
OH 


-OH 
H 


OH 


—OH 


H- 
H 


OH 
OH 


CO,H  CO,H 

zur  Wahl  stehen.  Von  diesen  beiden  Configurationen  nun  muss,  wie 
man  sich  am  Modell  leicht  überzeugen  kann,  die  erste  durch  intra- 
moleculare  Compensation  inactiv,  die  zweite  dagegen  actiy  sein.  Nun 
hat  es  sich  in  der  That  gezeigt ,  dass  aus  or-Glucoheptose  eine  inactiTe, 
aus  /?-Glucoheptose  eine  active  Pentaoxypimelinsäure  entsteht;  dem  zu- 
folge besitzt  or-Glucoheptose  die  Configuration  I,  /S-Glucoheptose  die  Con- 
figuration  11.  Von  der  or-Glucoheptose  ist  dann  die  Synthese  über  eine 
a-Glucooctose  bis  zu  einer  a-Gluconose  fortgeführt  worden  (vgL  auch 
S.  786),  welch'  letztere  sich  im  Gegensatz  zur  Mannononose  als  nicht 
gährfähig  erwiesen  hat. 

cf-Mannoheptose  G7H14O7  krystallisirt  aus  Alkohol  in  sehr  feinen  Nadeln, 
schmilzt  bei  184  — 185^,  schmeckt  rein  süss  und  ist  stark  rechtsdrehend:  [a]i>*^  in 
lOprocentiger  wässriger  Lösung  =  +68-6^;  ihr  Hydrazon  CyHuOeiN-NH-CeHj 
schmilzt  bei  197 — 200^  (das  Hydrazon  der  /-Mannoheptose  schmilzt  ebenso,  da- 
gegen dasjenige  der  «-Mannoheptose  bei  175 — 177**).  —  (/-Hannooetose  CgHs^Os 
ist  schwach  linksdrehend  und  liefert  ein  gegen  212^  schmelzendes  Hydrazon.  — 
c?- Mannononose  C^HigOg  ist  wieder  stark  rechtsdrehend;  ihr  Hydrazon  schmilzt 
gegen  223  ^ 

oc-Glueoheptose  C7H14O7  ist  ungemein  krystallisationsfiLhig,  schmeckt  schwach 
süss,  schmilzt  nicht  constant  zwischen  180^  und  190^,  löst  sich  in  10*5  Th.  Wasser 
von  14^y  dreht  links  und  liefert  ein  leicht  lösliches  Hydrazon,  das  gegen  170*^  unter 
Zersetzung  schmilzt;  ^-Glucoheptose  konnte  nicht  kxystallisirt  erhalten  werden 
und  liefert  ein  Hydrazon,  das  bei  etwa  192^  schmilzt;  aus  beiden  Heptosen  entsteht 
das  gleiche  Osazon  (Schmelzpunkt  gegen  195^).  —  Glue^oetose  CgHieOg  krystalliart 
aus  Wasser  in  feinen  Nadeln  mit  2  Mol.  H,0,  schmilzt  wasserhaltig  bei  93%  dreht 
links  und  liefert  ein  in  kaltem  Wasser  schwer  lösliches  Hydrazon  (Schmelzpunkt 
gegen  190^).  —  Glueononose  C^HigO»  wurde  bisher  nicht  krystallisirt  erhalten,  ist 
in  Wasser  sehr  leicht  löslich  und  dreht  schwach  nach  rechts;  ihr  Hydrazon  ist  in 
kaltem  Wasser  sehr  schwer  löslich  und  schmilzt  zwischen  195^  und  200^. 


faltbare  Zuckerarten,  915 


Sechsunddreissigstes  Kapitel. 

spaltbaren  Kohlenhydrate  oder  Polysaccharide. 

(ZackerShnliche  PoljBaccbaride  [Rohrzucker  etc.].  —  Nicht  zuckerfthnliche  Poly- 
saccharide  [Stärke,    Cellulose  etc.].    —    Die   Bedeutuog   der   Kohlenhydrate   in   der 

Industrie.) 

U.  Die  spaltbaren  Zuckerarten  oder  zuckerähnlichen 

Polysaccharide. 

Die  zuckerähnlichen  Polysaccharide  kommen  fertig  gebildet  in  der 
Natur  vor,  wie  Eohrzucker,  Itfilchzucker,  Raffinose  etc.  Itfan  erhält  sie 
femer  aus  complicirteren  Kohlenhydraten  durch  partielle  hydrolytische 
Spaltung;  z.  B.  Maltose  und  Isomaltose  aus  Stärke,  und  kann  sie  endlich, 
wie  durch  die  Bildung  von  Isomaltose  aus  Traubenzucker: 

2  C^HijOg  —  HjO  =  CijHjjOii 

gezeigt  ist,  umgekehrt  aus  Monosacchariden  durch  Anhydrisirung  (beim 
Erhitzen  mit  concentrirten  Säuren)  gewinnen. 

Gleich  den  Monosacchariden  sind  sie  neutrale,  süss  schmeckende 
farblose  Verbindungen,  welche  in  Wasser  leicht  löslich  sind ;  sie  sind  in 
der  ßegel  durch  grössere  Krystallisationsfähigkeit  als  die  Monosaccharide 
ausgezeichnet. 

Ihre  empirischen  Formeln  enthalten  die  Elemente  von  n  Mono- 
saccharidmolecülen  vermindert  um  die  Elemente  von  n  —  1  Wassermole- 
cülen,  2.  B.  C„H„0„  =  2CeH,,0,  -  H3O,  C„H„0„  =  3C,H,,0,  -  2H,0. 
Man  kennt  bisher  fast  ausschliesslich  solche  zuckerähnliche  Polysaccharide, 
welche  sich  von  Hexosen  ableiten^,  deren  Molectil  mithin  ein  Multiplum 
von  6  C-Atomen  enthält;  man  unterscheidet  sie  je  nach  der  Anzahl  der 
mit  einander  vereinigten  Hexosemolecüle  als  Hexobiosen  C^jHgjOn, 
Hexotriosen  CigHggOig  etc. 

An  ihrem  chemischen  Verhalten  ist  vor  Allem  als  allgemein  gültig 
hervorzuheben  ihr  Vermögen,  unter  der  Einwirkung  von  verdünnten 
Säuren  in  der  Wärme  oder  auch  unter  der  Einwirkung  gewisser  unge- 
formter  Fermente  schon  in  der  Kälte  eine  hydrolytische  Spaltung 
in  Monosaccharide  zu  erleiden.  Als  Produkte  dieser  Spaltung  tritt 
zuweilen  nur  eine  Hexose  auf,  z.  B.  öf-Glucose  aus  Maltose: 

Ci,H,Ai   +  H,0  =  2CeHj,0e  (Glucose); 


*  Nur  eine  von  der  Arabinose  sich  ableitende  Pentobiose  CioHjgOo  (=  2C5HioOß 
—  H2O)  ist  bisher  bekannt  geworden.  Diese  Arabinon  genannte  Substanz  entsteht 
bei  gemässigter  Einwirkung  von  verdünnter  Schwefelsäure  auf  Arabinsäure  (S.  980) 
und  andere  Guminisäuren;  sie  ist  bisher  nur  in  amorphem  Zustand  erhalten,  dreht 
stark  nach  rechts,  wird  von  Schwefelsäure  leicht  zu  Arabinose  hydrolysirt;  ihre 
Moleculargrösse  ist  auf  kryoskopischem  Wege  bestimmt.  (Süllivav,  Joum.  Soc.  57, 
59  [1890]). 

58* 


916  hiversion  und  Reversion, 


häufiger  aber  werden  mehrere  isomere  Hexosen  neben  einander  ge- 
bildet, z.  B.  rf-Glucose  und  (i-Fructose  aus  Rohrzucker: 

Ci,H„0„   +  H,0  =  CgHigOe  (Glucose)  +  CeHijO«  (Fructose); 

complicirtere  Polysaccharide  können  auch  partiell  hydrolysirt  werden, 
indem  einfachere  Polysaccharide  neben  Monosacchariden  entstehen,  z.  B.: 

CisIIssOie  (Meletrioee)  +  H,0  =  Ci,H„0„  (Melebiose)  +  CeHi,Oe  (rf-Fructoee). 

Man  hat  diesen  Vorgang  der  hydrolytischen  Spaltung  von  Polysaccha- 
riden zuerst  und  am  eingehendsten  beim  Rohrzucker  untersucht;  in 
diesem  Falle  fuhrt  er  von  dem  rechtsdrehenden  Rohrzucker  zu  einem 
Gemisch  von  gleichen  Theilen  der  rechtsdrehenden  d- Glucose  und  der 
stärker  linksdrehenden  d- Fructose  (vgl.  S.  901),  also  zu  einem  links- 
drehenden Gemenge;  wegen  dieser  Umkehrung  des  Dreh ungs Vermögens 
bei  dem  wichtigsten  Beispiel  der  hydrolytischen  Spaltung  bezeichnet 
man  die  Reaction  häufig  auch  als  „Inversion'^,  das  Reactionsprodukt 
als  „Invertzucker".  Für  die  vollständige  Inversion  bedarf  es  nur 
äusserst  geringer  Säuremengen;  so  wird  z.  B.  ein  Gemisch  von  80  Th. 
Rohrzucker  und  20  Th.  Wasser,  das  auf  den  Zucker  berechnet  nur 
0-005  7o  Chlorwasserstoff  zugesetzt  enthält,  bei  einstündiger  Digestion 
in  siedendem  Wasser  nahezu  völlig  invertirt;  bei  Gegenwart  grösserer 
Säuremengen  werden  die  Spaltungsprodukte  ihrerseits  wieder  verändert, 
indem  sie  zu  complicirteren  Kohlenhydraten  (vgl.  Dextrine)  condensirt 
werden^  („Reversion"). 

lieber  die  „Inversionsgeschwindigkeit^^  und  ihre  Abhängigkeit  von  der 
Natur  der  invertirenden  Säure  sind  mehrere  eingehende  Untersuchungen*  ansgefubit 
worden;  der  Vorgang  der  Zuckerinversion  kann  zur  Bestimmung  von  Affinitäte- 
coefficienten  (vgl.  S.  35S)  benutzt  werden. 

Die  Untersuchung  der  hydrolytischen  Spaltung  der  Polysaccharide 
fährt  insofern  zu  einem  Urtheil  über  ihre  Constitution,  als  sie  die  ein- 
zelnen zuckerartigen  Componenten  kennen  lehrt,  welche  zu  einem  grösseren 
Molecül  vereinigt  sind.  Aus  dem  Umstand,  dass  die  hydrolytische  Spal- 
tung so  äusserst  leicht  eintritt,  kann  man  ferner  den  Schluss  ziehen, 
dass  bei  der  Wasserzufuhr  nicht  Kohlenstoffatome  von  einander  gerissen 
werden,  dass  mithin  der  Zusammenhalt  der  einzelnen  Monosaccharid- 
molecüle  lediglich  durch  Bindung  mittelst  der  Sauerstoffatome  bewirkt 
wird,  dass  die  Polysaccharide  eben  Anhydride  der  Monosaccharide  sind. 

Welche  Sauerstoffatome  aber  sind  es,  die  sich  bei  der  Verkettung 
mehrerer  Monosaccharidmolecüle  betheiligen? 

Man  kann  zunächst,  wenn  man  die  grosse  Zahl  der  Hydroxylgruppen 
in  den  Monosacchariden  und  die  Zusammensetzung  der  Polysaccharide 


*  Vgl.  Wohl,  Ber.  23,  2084  (1890). 

*  Wilhelm Y,  Pogg.  81,  413,  499  (1850).    —    Löwenthal  u.  Lekssen,  J. 
321,  401  (1862).  —  Fleury,  Ann.  eh.  [5]  7,881  (1876).  —  Urech,  Ber.  15,  21 
17,  2165  (1884).   —   Ostwald,  J.  pr.  [2]  29,  385  (1884).   —  Spohb,  J.  pr.  [ 
(1885).  —  Tbevoe,  Ztachr.  f.  physik.  Chem.  10,  821  (1892). 


Constitution  der  Disaccharide.  917 


berücksichtigt,  behaupten,  dasa  jedenfalls,  wenn  auch  die  Hydroxyl- 
gruppen theilweise  durch  die  Anhydrisirung  verschwinden,  die  grössere 
Zahl  der  Hydroxylgruppen  noch  in  dem  Polysaccharidmolecül  vorhanden 
sein  muss.  Dieser  Schluss  wird  bewiesen  durch  die  Zusammensetzung 
der  Acetylderivate,  welche  aus  den  Polysacchariden  durch  Einwirkung 
von  Essigsäureanhydrid  entstehen,  z.  B.  Octoacetyllactose  aus  Milchzucker 
( —  im  Gegensatz  zu  den  Zuckern  selbst  zeigen  diese  Acetylderivate  bit- 
teren Geschmack). 

Man  kann  femer  durch  die  Reactionen  der  Polysaccharide  ein  Ur- 
theil  darüber  gewinnen,  ob  und  in  wieweit  die  Carbonylgruppen  der 
Monosaccharide  bei  dem  Zusammentritt  mehrerer  Molecüle  verändert 
werden  bezw.  erhalten  bleiben.  Unter  den  Disacchariden  CuHg^On 
kann  man  in  dieser  Beziehung  zwei  Gruppen  unterscheiden. 

Es  giebt  einerseits  Disaccharide,  welche  gleich  den  Monosacchariden 
noch  durchaus  den  Charakter  von  Aldehydalkoholen  zeigen.  Sie  reduciren 
FEHLiNö'sche  Lösung  und  färben  sich  leicht  mit  Alkalien;  sie  reagiren 
mit  Phenylhydrazin  unter  Bildung  von  Osazonen,  deren  Zusammensetzung 
^24-^2^4^9  beweist,  dass  ihr  Molecül  noch  einmal  die  Nachbarcombi- 
nätion  von  Carbonylgruppe  und  Carbinolgruppe  enthält,  und  die  im 
Gegensatz  zu  den  Osazonen  der  Monosaccharide  in  heissem  Wasser  ver- 
hältnissmässig  leicht  löslich  sind.  Sie  können  durch  vorsichtige  Oxy- 
dation in  einbasische  Säuren  Cj^H^jOu  verwandelt  werden,  die  bei  der 
Hydrolyse  nun  in  ein  Molecül  Hexose  und  ein  Molecül  Hexonsäure  zer- 
fallen : 

CisHjsOis  +  HjO  =  CeHjjOj  +  C^HigO?; 

ebenso  können  sie  durch  die  Cyanhydrinreaction  in  einbasische  Säuren 
^13^24^13  verwandelt  werden,  die  als  hydrolytische  Spaltungsprodukte 
eine  Hexose  und  eine  Heptonsäure  liefern.  Alle  diese  Reactionen  weisen 
darauf  hin,  dass  bei  der  Anhydrisirung  die  eine  Carbonylgruppe  zwar 
verändert  ist,  die  andere  aber  erhalten  blieb;  man  kann  sich  eine  der- 
artige Vereinigung  zweier  Hexosemolecüle  vorstellen,  wenn  man  analog  der 
A'cetalbildung  annimmt,  dass  die  Carbonylgruppe  des  einen  Hexosemole- 
cüls  mit  zwei  Hydroxylgruppen  des  zweiten  Molecüls  reagirt,  dem  ent- 
stehenden Disaccharid  mithin  eine  Formel,  wie 

CHjCOH)  .  {CH(0H)[4 .  CH<         I 

\0  -  GH .  {CH(OH)[, .  CH(OH) .  CHO , 

beilegt.  Zu  dieser  Gruppe  von  Disacchariden  gehört  der  Milchzucker, 
die  Maltose  und  Isomaltose. 

Im  Gegensatz  dazu  zeigen  andere  Disaccharide,  z.  B.  Rohrzucker, 
kein  Reductionsvermögen  gegen  FEHLiNa'sche  Lösung  und  verhalten  sich 
gegen  Phenylhydrazin  indifferent.  In  ihren  Molecülen  sind  mithin  ver- 
muthlich  Carbonylgruppen  nicht  mehr  enthalten.  Man  kann  sich  in,  ihnen 
die  Verkettung  der  beiden  Hexosemolecüle  entsprechend  der  allgemeinen 
Formel: 


918  RohrTMcker. 


C,H,(OHU-0-lc,H,(OH)« 


••{33 


denken,  die  Spielraum  für  zahlreiche  Stellungs-  und  Eaumisomerien  lässt 
Auch  in  Bezug  auf  die  Gährungsfähigkeit  verhalten  sich  die 
Disaccharide  verschieden.  Maltose  z.  B.  vergährt  leicht  direct;  ßohr- 
zucker  ist  an  sich  nicht  gährungsfähig  und  vergährt  erst  nach  der  b- 
version,  die  aber  von  der  Hefe  selbst  durch  das  in  ihr  enthaltene  Invertm 
(vgl.  S.  "178)  bewirkt  werden  kann. 

A.   Disaccharide  ^i^S^^^w  ^^^^  Hexobiosen. 

Kohrzueker^  CijHggOn  (Saccharose)  ist  im  Pflanzenreich  sehr 
verbreitet,  findet  sich  z.  B.  neben  Monesacchariden  in  manchen  Früchten, 
wie  Ananas  und  Erdbeeren;  in  besonders  grosser  Menge  aber  ist  er  in 
den  Wurzeln  der  Zuckerrübe  (bis  ca.  16  ®/y),  den  Stengeln  der  Zucker- 
hirse und  des  Zuckerrohrs  (15 — 20  7o)  —  Materialien,  welche  zur  tech- 
nischen Gewinnung  des  Rohrzuckers  dienen  (vgl.  S.  935  flf.),  —  enthalten. 
Rohrzucker  bildet  grosse,  klare,  monokline  Krystalle,  ist  in  Wasser  sehr 
leicht  löslich  (bei  20®  in  etwa  ^^  Th.  Wasser),  in  starkem  Alkohol  schwer 
löslich  und  dreht  stark  nach  rechts:  [ajp  =  +66-5®;  sein  specifisches 
Drehungsvermögen  wird  durch  Aenderungen  der  Concentration  und  der 
Temperatur  nur  wenig  beeinflusst.  Rohrzucker  schmilzt  gegen  160®  und 
erstarrt  dann  wieder  zu  einer  amorphen  glasartigen  Masse;  durch  stär- 
keres Erhitzen  bräunt  er  sich  und  bildet  zunächst  unter  Zersetzung 
das  sogenannte  „Caramel'*  —  ein  nicht  krystallisations&higes  Substanz- 
gemisch — ,  dann  verkohlt  er  unter  Entwickelung  von  Gasen  und  Dämpfen. 
Er  reducirt  nicht  alkalische  Kupferoxydlösung,  ist  nicht  direct  gährungs- 
fähig, reagirt  nicht  mit  Phenylhydrazin  und  wird  durch  verdünnte  Al- 
kalien nicht  verändert.  Bei  der  Hydrolyse  ( „Inversion* ',  vgl.  S.  916) 
liefert  er  ein*  Gemenge  von  gleichen  Theilen  c^-Glucose  und  d-Fructose 
(„Invertzucker"),  welches  nun  FBHLiNG'sche  Lösung  reducirt  und  von 
Alkali  unter  Gelbfärbung  zersetzt  wird.  —  Octoacetylsaccharose 
CiaHi403(0-COCH3)8  schmilzt  bei  67«  und  schmeckt  bitter. 

Unter  den  Verbindungen  des  Rohrzuckers  mit  Basen  (Saccharaten) 
sind  für  die  technische  Abscheidung  des  Zuckers  (vgl.  S.  989,  989—940)  namentlich 
wichtig  die  Saccharate  der  alkalischen  Erden.  Man  erhält  das  Mo nocalcinm- 
saccharat  CigHssO,!,  GaO  +  2H2O  und  das  Dicalciumsaccharat  CitH|,Oti. 
2CaO,  wenn  man  in  Zuckerlösungen  die  entsprechenden  Mengen  Ejük  löst  und 
darauf  mit  Alkohol  fällt,   als  Niederschläge,   welche  sich   in  kaltem  Wasser  leicht 


^  ToLLENS,  Handbuch  S.  104ff.  —  Vgl  ferner:  Stbombter,  Ber.  20o,  574  (1S87K 
—  Wulff,  Jb.  1888,  2322.  —  Washbubn  u.  Tollbks,  Ann.  257,  156  (1890).  - 
Stone,  Ber.  23,  1406  (1890).  —  Fabnsteiner,  ebenda,  8570.  —  Scheibleb,  Ber.  24, 
434  (1891).  —  BoDLÄXDEB,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  7,  308  (1891).  —  O'Süluvak,  Journ. 
Soc.  61,  408  (1892).  —  Nasini  u.  ViLLAVECcmA,  Ber.  25  o,  442  (1892).  —  Ewbix, 
Cöthener  Chem.*Zt^.  Repert.  1892,  359.  —  B^hamp,  Bull.  [3]  9,  21  (1893). 


Milchzucker.  919 

lösen.     Beim   Kochen   ihrer   Lösung  fällt   das   sehr  schwer   lösliche   Tricalcium- 
saccharat  CisH^gOn,  SCaO  +  SH^O  (im  Vacuum  getrocknet)  aus. 

Milchzucker^  CjgHgaOj^  (Lactose)  kommt  in  der  Milch  der  Säuge- 
thiere  und  des  Menschen  in  einem  Betrage  von  3 — 67o  ^^^  ^^d  wird 
aus  den  „Molken"  —  der  Flüssigkeit,  welche  nach  Abscheidung  des 
Caselns  und  Fetts  aus  der  Milch  zurückbleibt  — ,  durch  Abdampfen  zur 
Erystallisation  und  Umkrystallisiren  dargestellt.  Er  schiesst  in  grossen, 
weissen,  harten  Erystallen  mit  1  Mol.  H^O  an,  löst  sich  in  6  Th.  kaltem, 
etwa  2^/2  Th.  kochendem  Wasser,  ist  stark  rechtsdrehend  ([a]i>  = 
-f-  52  «5®)  und  zeigt  starke  Mehrdrehung.  Der  krystallwasserhaltige 
Milchzucker  wird  nicht  über  Schwefelsäure,  auch  nicht  bei  100^  wasser- 
frei, kann  aber  bei  130^  entwässert  werden;  bei  höherer  Temperatur  färbt 
sich  Milchzucker  unter  Zersetzung  und  schmilzt  bei  etwa  200  ^  Wasser- 
freier Milchzucker  zeigt,  nach  verschiedenen  Bereitungsweisen  hergestellt, 
Verschiedenheiten  in  Bezug  auf  das  anfangliche  Drehungsvermögen 
seiner  Lösung;  unter  gewissen  Umständen  erhält  man  ihn  weniger- 
drehend, unter  anderen  Umständen  mehrdrehend  (vgl.  S.  882).  Milchzucker 
reducirt  FEHLiNa^sche  Lösung,  färbt  sich  mit  Alkalien  leicht  gelb  und 
scheint  nicht  direct  der  alkoholischen  Gährung  fähig  zu  sein.  Durch 
Hydrolyse  zerfällt  er  in  c?-Galactose  und  rf-Glucose;  durch  Erhitzen  mit 
Essigsäureanhydrid  liefert  er  eine  Octoacetylverbindung  CjjHj^Og(0- 
CO-CH3)8,  durch  Einwirkung  von  überschüssigem  Phenylhydrazin  das 
Phenyllactos8|.zon  Cg^HjjN^Og,  welches  gelbe  Nadeln  bildet,  bei  200** 
schmilzt  und  in  80 — 90  Th.  heissem  Wasser  löslich  ist.  Letzteres  wird 
durch  rauchende  Salzsäure  in  der  Kälte  in  salzsaures  Phenylhydrazin  und 
Lactoson  gespalten,  und  das  Lactoson  liefert  bei  der  tivertirung  durch 
Erhitzen  mit  verdünnten  Säuren  d-Galactose  und  c^Glucoson  (vgl.  S.  885). 
Durch  Oxydation  mit  Bromwasser  geht  Milchzucker  in  Lactobionsäure 
CijHggOjg  über,  welche  beim  Erwärmen  mit  verdünnten  Säuren  in 
d-Galactose  und  d-Gluconsäure  gespalten  wird.  Mit  Eücksicht  auf  die 
Spaltungsprodukte  des  Lactosons  und  der  Lactobionsäure  kann  man  den 
Schluss  ziehen,  dass  beim  Zusammentritt  des  Galactose-  und  Glucose- 
molecüls  zum  Milchzuckermolecül  die  Aldehydgruppe  der  Galactose  ver- 
schwindet, diejenige  der  Glucose  erhalten  bleibt  (vgl.  S.  917). 

Maltose^  ^12^22^11  entsteht  aus  Stärke  (vgl.  S.  927)  durch  Ein- 
wirkung der  Malzdiastase  und  anderer  Fermente  und  ist  daher  von  be- 
sonderer Bedeutung  für  die  Praxis  derjenigen  Gährungsge werbe,  welche 
von  stärkehaltigen  Rohstoffen  ausgehen;  sie  stellt  den  gährungsfähigen 
Zucker  der  Kartoffel-  und  Getreidebranntweinmaischen  (vgl.  S.  173,  177) 

*  Vgl.  T0LLBN8,  Handbuch  S.  144ff.  —  Femer:  E.  Fischer,  Ber.  21,  2632  (1888). 
—  £.  F18GHEB  n.  J.  Meybb,  Ber.  22,  361  (1889).  —  Pabcus  u.  Tollens,  Ann.  257, 
170  (1890).  —  SoHMÖGBB,  Ber.  26,  1452  (1892).  >-  Reinbbecht,  Ann.  272,  197  (1892). 

•  T0LLEK8,  Handbuch  S.  150.  —  Femer:  Pabcus  u.  Tollens,  Ann.  257,  171 
(1890).  —  £.  Fischer  n.  J.  Meter,  Ber.  22,  1941  (1889).  —  Reinbrecht,  Ann.  272, 
200  (1892). 


920  Maltose  und  Isomaliose. 


und  der  Bierwüi-zen  dar.  Sie  bildet  feine,  weisse  Nadeln,  krjstallisirt 
mit  1  Mol.  Krystall Wasser,  das  bei  100®  entweicht,  ist  in  Wasser  leicht 
löslich,  stark  rechtsdrehend  ([aj^  =  +  137®)  und  zeigt  Wenigerdrehung. 
Sie  reducirt  FEHLiNG'sche  Lösung,  wird  durch  Alkalien  leicht  zersetzt 
gährt  mit  Hefe  leicht  und  vollständig,  wird  von  Diastase  und  Invertin 
nicht  verändert  und  liefert  bei  der  Hydrolyse  durch  verdünnte  Säuren 
lediglich  (f-Glucose.  Mit  Essigsäureänhydrid  und  Natriumacetat  erhitzt, 
liefert  die  Maltose  ein  bei  150 — 155®  schmelzendes  Octoacetylderivat 
Cj,Hj^03(0-C0-CHg)g,  mit  Phenylhydrazin  das  bei  206®  schmelzende,  in 
75  Th.  kochendem  Wasser  lösliche  Phenylmaltosazon  Cj^Hj^N^O,,  bei 
der  Oxydation  mit  Bromwasser  die  Maltobionsäure  CjjHjjOjj,  welche 
durch  Erhitzen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  in  d-Glucose  und  d-Glucon- 
säure  gespalten  wird. 

Isomaltose  ^  ^12-^2^11  entsteht  synthetisch  aus  rf-Glucose  durch 
längere  Einwirkung  von  rauchender  Salzsäure  bei  10 — 15®  neben  dextrin- 
artigen Produkten,  findet  sich  daher  im  technischen  Stärkezucker  {S.  941); 
sie  wird  auch  bei  der  Einwirkung  von  Diastase  auf  Starke  gebildet, 
und  zwar  besonders  reichlich  bei  65 — 70®  und  nicht  zu  grossem  Ueber- 
schuss  an  Diastase;  daher  bildet  sie  einen  Bestandtheil  des  gedarrten 
Malzes  und  der  Bierwürze;  da  sie  nur  sehr  langsam  vergährt,  indem 
sie  wahrscheinlich  erst  sehr  allmählich  durch  das  Invertin  der  Hefe 
verändert  wird,  ist  sie  auch  nach  der  Gährung  noch  im  Biere  enthalten 
(in  einer  Menge  von  ca.  25 — 30®/^  des  Bierextracts)  und  scheint  von 
grosser  Bedeutung  für  die  Eigenschaften  des  Bieres  zu  sein.  Die  Iso- 
maltose schmeckt  intensiv  süss,  beginnt  schon  bei  65®  in  gelbbraune, 
ebenfalls  noch  süss  schmeckende  Röstprodukte  überzugehen  —  es  wird 
hierdurch  vorzugsweise  das  „Böstaroma  des  Darrmalzes"  bedingt  — , 
während  bei  höherer  Temperatur  dunkelbraune  Röstprodukte  von  bitterem 
Geschmack  entstehen.  Dir  optisches  Drehungsvermögen  ist  fast  gleich 
dem  der  Maltose  ([«Jd  in  lOprocentiger  Lösung  =  +  139 — 140®).  Durch 
Diastase  wird  sie  vollständig  in  Maltose  übergeführt.  Ihr  Osazon 
Cj^HjjN^Og  bildet  gelbe  Nadeln,  beginnt  bei  140®  zu  sintern,  schmilzt 
bei  150 — 153®,  ist  in  heissem  Wasser  ziemlich  leicht  löslich  und  wird 
durch  starke  Salzsäure  in  Phenylhydrazin  und  Isomaltoson  zerlegt, 
welch'  letzteres  durch  Hydrolyse  in  d-Glucose  und  d-Glucoson  zerfallt 

Trehalose*  CisHssOn  (NT ycose)  ist  ein  natürlich  vorkommendes  Disaocharid,  das 
namentlich  in  frischen  Pilzen  verbreitet  ist.    Sie  kiystallisirt  mit  2  Mol.  H,0,  schmilzt 


»  E.  Fischer,  Ber.  23,  3687  (1890).  —  Ldttner,  Jahrbach  der  Chemie  von  R 
Meyer,  I,  375  (Frankfurt  a.  M.  1892).  Cöthener  Chem.-Ztg.  1892,  Repertoriom 
S.  15.  Ztschr.  f.  angew.  Chem.  1892,  263,  329.  —  Scheibler  u.  Mittblmbieb,  Ber. 
24,  301  (1891).  ~  DüLLy  Cöthener  Chem.-Ztg.  1892,  1178.  —  Prior,  Ztschr.  f.  angew. 
Chem.  1892,  315.  —  Lintner  u.  Düll,  Cöthener  Chem.-Ztg.  Bepert  1892,  161.  — 
Schifferer,  ebenda,  336. 

■  ToLLBNs,  Handbuch  S.  154.  —  Femer:  Boürquelot,  Compt  rend.  108,  56S 
(1889);  111,  578  (1890).  —  Maqüenne,  Compt.  rend.  112,  947  (1891), 


Trehalose,  Melebiose,  Turanose,  921 


wasserhaltig  bei  100^  wasserfrei  bei  210*^,  dreht  stark  rechts,  wird  von  Alkalien 
nicht  gebräunt,  reducirt  nicht  FEHLiNo'sche  Lösung  und  ist  schwer  oder  nicht 
gährungsflähig;  durch  Hydrolyse  liefert  sie  cI-Glucose. 

Melebiose^  Oxfi%%Oii  (Eucalyn)  entsteht  neben  d-Fructose  durch  partielle 
Hydrolyse  der  Meletriose  (s.  unten)  sowohl  bei  der  Einwirkung  von  Säuren  wie  auch 
von  Invertin.  Sie  ist  stark  rechtsdrehend,  liefert  ein  bei  170 — 171^  schmelzendes 
Octoacetylderivat  Ci2Hi403(0«  CO  •  CHj)8,  ein  Phenylhydrazon  CigHjaOioN,, 
welches  bei  145^  schmilzt,  in  Wasser  leicht,  in  Alkohol  schwer  loslich  ist,  und  ein 
in  heissem  Wasser  leicht  lösliches  Osazon  Ca4H8aN409. 

Taranose'  O^^^fin  entsteht  durch  partielle  Hydrolyse  der  Melezitose  (vgl. 
S.  922),  schmilzt  bei  65—70^  und  ist  rechtsdrehend. 

B.    Trisaccharide  CjgHgjOjg  oder  Hexotriosen. 

Meletriose  oder  BafSnose^  ^\^z%^i^  (Gossypose,  Melitose) 
lindet  sich  in  geringer  Menge  in  der  Kübe  und  häuft  sich  bei  der  Zucker- 
fabrikation aus  Buben  in  der  Melasse  an;  sie  krystallisirt  dann  mit 
Rohrzucker  in  eigenthtimlichen,  spitzen  Krystallen  (verzerrte  Formen  der 
normalen  Rohrzuckerkrystalle).  Sie  ist  ferner  aus  Baumwollsamen,  aus 
der  Eucalyptus-Manna  und  aus  Gerste  gewonnen  worden,  ßaffinose  kry- 
stallisirt mit  5  Mol.  HjO  in  dünnen  Nadeln  oder  Prismen,  wird  bei 
langsamem  Erhitzen  bis  gegen  100^  wasserfrei,  schmilzt  wasserfrei  bei 
118 — 119^,  löst  sich  in  6 — 7  Th.  Wasser,  auch  ziemlich  leicht  in  Methyl- 
alkohol, dagegen  kaum  in  Aethylalkohol  und  ist  stark  rechtsdrehend: 
[«Jd  in  lOprocentiger  Lösung  =  +  104-4^;  da  sie  bedeutend  stärker  als 
Rohrzucker  dreht,  so  kann  natürlich  raffinosehaltiger  Rübenzucker  eine 
Drehung  zeigen,  die  bei  der  sich  auf  das  Drehungsvermögen  des  Rohr- 
zuckers gründenden  Berechnung  des  Zuckergehalts  eine  Zahl  von  über 
100%  liefert  („Pluszucker").  Raffinose  ist  gegen  Alkalien  und 
FEHiiiNG'sche  Lösung  indiflFerent  und  kann  mit  Hefe  vollständig  ver- 
gohren  werden.  Durch  Erwärmen  mit  Essigsäureanhydrid  und  Natrium- 
acetat  liefert  sie  ein  bei  99.— 101°  schmelzendes  Undekaacetylderivat 
CjqH,j05(0-CO-CH3)ii;  bei  der  Hydrolyse  zerfällt  sie  zunächst  in  i-Fruc- 
tose  und  Melebiose  (s.  oben),  welch'  letztere  dann  in  c^Glucose  und  Galac- 
tose  gespalten  wird.     Die  Melebiose  ist,  da  sie  ein  Osazon  liefert,  ein 


1  ScHSiBLEB  u.  MiTTELMEiEB,  Ber.  22,  1682,  3118  (1889);  23,  1438  (1890). 

*  Alechin,  Ber.  22  o,  760  (1889). 

*  JoHKSTON,  J.  pr.  29,  485  (1848).  —  Bebthelot,  Ann.  eh.  [3]  46,  66  (1856). 
Compt.  rend.  109,  548  (1889).  —  Loiseaü,  Compt.  rend.  82,  1058  (1876);  109,  614 
(1889).  —  RiTTHAUSBN,  J.  pr.  [2]  29,  351  (1884).  —  Tollens,  Ber.  18,  26  (1885).  — 
Ribchbiet  n.  Tollens,  Ber.  18,  2611  (1885).  Ann.  282,  169  (1886).  —  Scheibleb, 
Ber.  18,  1409,  1779  (1885);  19,  2868  (1886).  —  O'Sullivan,  Joum.  Soc.  49,  70  (1886). 
—  V.  LiPPMAMK,  Ber.  18,  3087  (1885);  21  o,  889  (1888).  —  Haedicke  u.  Tollens,  Ann. 
238,  808  (1887).  —  Tollens  u.  F.  Mayeb,  Ber.  21,  1569  (1888).  —  Betthiem  u.  Tollens, 
Ann.  266,  195,  214,  222  (1889).  —  Scheibleb  u.  Mittelmeieb,  Ber.  22,  1678,  3118 
(1889);  23,  1438  (1890).  —  Lindet,  Bull.  [3]  3,  413  (1890).  Compt.  rend.  110,  795 
(l890j.  —  Passmoee,  Ber.  24  c,  401  (1891).  —  Wintebstein  ,  Landwirthsch.  Versuchs- 
Stat.  41,  382  (1892). 


922  Meletriose  (Baffinose)  und  Mdezüose, 


milchzuckerähnliches  Disaccharid  mit  einer  Aldehydgruppe,  und  zwar 
gehört  die  Aldehydgruppe  wahrscheinlich  dem  Glucoserest  an;  denn 
durch  Beduction  der  Melebiose  mit  Natriumamalgam  erhält  man  ein 
Produkt  (Melebiotit),  das  als  ein  aus  einer  Hexose  und  einem  Hexit 
gebildetes  Anhydrid  aufzufassen  ist  und  bei  der  Hydrolyse  als  einzigen 
Zucker  Galactose  liefert.  Von  den  drei  Hexoseresten  des  Meletriose- 
molecüls  ist  mithin  der  Glucoserest  der  mittelständige;  er  ist  einerseits 
durch  eine  milchzuckerartige  Bindung  mit  dem  Galactoserest,  anderer- 
seits durch  eine  rohrzuckerartige  Bindung  mit  dem  Fructoserest  ver- 
knüpft. 

Melezitose  ^  CigUgiOie  ist  eine  in  mehreren  Mannasorten  —  so  im  Terenshabm, 
des  persischen  Manna  von  Alhagi  Mauroram  —  gefundene  Zuckerart.  Sie  kiystalli- 
Birt  mit  2  Mol.  HgO  in  rhombischen  Prismen;  wasserfrei  schmilzt  sie  bei  157^  Sie 
löst  sich  in  etwa  3  Th.  Wasser  von  17°,  ist  rechtsdrehend,  gegen  FsHLiNo'sche  Losung 
und  Natronlauge  unempfindlich,  gährt  mit  Hefe  schwierig  und  liefert  ein  bei  170*^ 
schmelzendes  Undekaacetylderivat  CjgH,i06(0-C0-CHg)u.  Bei  der  Hydrolyse 
zerföllt  sie  zunächst  in  Turanose  (vgl.  S.  921)  und  £^-Glucose;  als  Endprodukt  entsteht 
ausschliesslich  cI-Glucose. 


C.   Krystallisirbare   Polysaccharide    von   höherem 

Molecularge  wicht. 

Die  folgenden,  noch  wenig  untersuchten  Kohlenhydrate,  deren  Eigenschaften 
auf  ein  hohes  Molecularge  wicht  deuten  und  theil  weise  schon  an  die  amorphen,  nicht 
zuckerähnlichen  Kohlenhydrate  erinnern,  können  auf  Grund  der  bei  ihrer  AnaljBe 
erhaltenen  Zahlen  als  Hexasaccharid^e  C^^e%^si  aufgefasst  werden;  doch  besitzt 
man  noch  keine  zuverlässigen  Anhaltspunkte  für  die  Beurtheilung  ihrer  Molecular- 
grosse,  und  die  Analysenzahlen  würden  auch  mit  anderen  Formeln  in  Einklang  za 
bringen  sein. 

GenÜanose*  ist  aus  der  Wurzel  von  Gentiana  lutea  erhalten,  schmeckt  kaom 
süss,  schmilzt  bei  210^,  ifit  in  Wasser  leicht  löslich  und  rechtsdrehend:  [aj)  = 
+  65*7^;  sie  reducirt  FEHLiNO^sche  Lösung  nicht,  gährt  aber  mit  Hefe  und  liefert 
einen  linksdrehenden  Invertzucker. 

Laetosin^  wird  aus  der  Wurzel  von  Silene  vulgaris  und  anderen  Caiyophyl* 
laceen  erhalten  und  scheint  in  einer  amorphen  und  einer  krystalÜsirten  Modification 
zu  exLstiren,  die  durch  die  Grrösse  ihres  Drehungsvermögens  differiren.  Das  kiystal- 
lisirte  Lactosin  enthält,  über  Schwefelsäure  getrocknet,  1  Mol.  H^O  (auf  die  Formel 
CjeHßjOsi  berechnet)  und  wird  bei  110°  wasserfrei;  es  bildet  schon  mit  wenig  WjKser 
eine  klare  Lösung,  welche  in  concentrirtem  Zustand  wie  Dextrinlösung  klebt;  es  ist 
stark  rechtsdrehend  ([«Jd  in  Sprocentiger  wässriger  Lösung  =  +211-7®)  und  redudri 
FEHUNO^sche  Lösung  bei  kurzem  Kochen  nicht.  Bei  der  Hydrolyse  liefert  es  ein  Zncker- 
gemenge,  das  etwa  zur  Hälfte  aus  (f-Galactose  besteht 


»  Bebthelot,  Ann.  eh.  [3]  56,  282  (1859).  —  Voliers,  Bull.  27,  98  (1877).  - 
Alechin,  Ber.  22  o,  759  (1889).  —  Stohmann,  J.  pr.  [2]  45,  321  (1892). 

•  A.  Mefee,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  6,  135  (1881).  —  Vgl.  Tollkkb,  Hand- 
buch S.  159. 

8  A.  Meyer,  Ber.  17,  685  (1884). 


OerUianose,  Laotosin,  Siachyose.  923 


Stachyose  ^  findet  sich  sehr  reichlich  in  den  Wurzelknollen  von  Stachys  tuberi- 
fera,  bildet  tafelartige  glänzende  wasserhaltige  Erystalle,  deren  Zusammensetzung 
der  Formel  CigHgjOie  +  3H,0  oder  CgeHejOgi  +  7H,0  entsprechen;  bei  103—104® 
getrocknet,  zeigt  die  Verbindung  die  Zusammensetzung  CigHgjOie,  bei  110—112®  ge- 
trocknet: C,oH02^8i*  3^^  schmeckt  sehr  schwach  süsslich,  löst  sich  sehr  leicht  in 
Wasser,  ist  rechtsdrehend  ([oJd  in  9procentiger  wässriger  Lösung  =  +  148®),  reducirt 
nicht  FEHUNO^sche  Lösung  und  liefert  bei  der  Hydrolyse  c{-Galactose,  cf-Fructose  und 
c?-Glucose. 

III.  Die  nicht  zuckerfthnlichen  Polysaccharide. 

Die  in  dem  vorigen  Abschnitt  als  „zuckerähnliche  Polysaccharide" 
zusammengefassten  Anhydride  der  einfachen  Zackerarten,  deren  Molecüle 
eine  verhältnissmässig  geringe  Zahl  von  Monosaccharidresten  vereinigt 
enthalten,  verdienen  das  Prädicat  „zuckerähnlich"  insofern,  als  sie  in 
Wasser  leicht  löslich  und  krystallisirbar  sind  und  süssen  Geschmack 
besitzen. 

Ihnen  kann  eine  Gruppe  von  Substanzen  gegenüber  gestellt  werden, 
welche  sich  als  Polysaccharide  ebenfalls  dadurch  erweisen,  dass  sie  durch 
hydrolytische  Spaltung  in  Monosaccharide  zerlegt  werden  können,  welche 
in  ihren  äusseren  Eigenschaften  aber  durchaus  nicht  mehr  an  die  ein- 
fachen Zuckerarten  erinnern;  sie  besitzen  kaum  noch  Krystallisations- 
fähigkeit,  wenigstens  nicht  in  gewöhnlichem  Sinne;  zum  Theil  sind 
sie  nur  amorph  erhalten  worden,  jsum  Theil  in  sogenannten  „Sphäro- 
krystallen"  —  krystallinische  Aggregate  von  knollig-rundlichen  Formen, 
die  aus  radial  gestellten,  nach  einem  gemeinschaftlichen  Centrum  zu- 
sammenlaufenden Elementen  zusammengesetzt  sind;  sie  zeigen  keinen 
süssen  Geschmack  mehr,  sind  zum  Theil  allerdings  in  Wasser  noch 
löslich,  zum  Theil  aber  quellen  sie  auch  nur  in  heissem  Wasser  auf 
oder  sind  ganz  wasserunlöslich. 

Zu  dieser  Gruppe  der  „nicht  zuckerähnlichen  Polysaccharide"  ge- 
hören Substanzen  von  grösster  physiologischer  Bedeutung:  die  Stärke 
und  Cellulose,  die  Gummiarten  und  Pflanzenschleime. 

Entsprechend  der  hohen  Wichtigkeit,  welche  diese  Stoffe  för  den 
Lebensprocess  der  Pflanzen  besitzen,  sind  sie  Gegenstand  sehr  zahl- 
reicher Untersuchungen  gewesen.  Wenn  trotzdem  unsere  Kenntniss 
dieger  Gruppe  noch  weit  davon  entfernt  ist,  einen  klaren  Ueberblick  zu 
ermöglichen,  wenn  in  vielen  Punkten  auch  heute  noch  selbst  über  die 
chemische  Individualität  von  manchen  überaus  wichtigen  Stoffen  diver- 
gente Ansichten  herrschen,  so  liegt  dies  einerseits  an  den  experimentellen 
Schwierigkeiten,  welche  stets  mit  der  Bearbeitung  amorpher  Substanzen 
verknüpft  sind,  andererseits  daran,  dass  erst  die  neueste  Zeit  Klarheit 


»  V.  Plamta  u.  E.  Schulze,  Ber.  23,  1692  (1890):  24,  2705  (1891).  Land- 
wirthsch.  Versuchs-Stationeii  40,  281  (1892);  41,  123  (1892).  —  E.  Schulze,  Ber.  26, 
2215  (1892).  —  Stromer  u.  Stift,  Ber.  26  o,  386  (1892).  —  Winterstein,  Landwirthach. 
VerBuchsstat.  41,  380  (1892). 


924  Nicht  ztwkercUinliche  Polysaccharide, 


über  die  Natur  der  einfachen  Zuckerarten  verbreitet  hat,  deren  genaue 
Kenntniss  ja  natürlich  eine  unumgängliche  Vorbedingung  für  die  Auf- 
klärung der  complexeren  Polysaccharide  bildet.  Es  ist  zu  erwarten,  dass 
die  Erfolge,  welche  man  neuerdings  bei  der  Bearbeitung  der  Mono- 
saccharide erzielt  hat,  nun  auch  bald  ihre  Wirkung  auf  die  Förderung 
unserer  Kenntnisse  im  Gebiet  der  complicirten  Polysaccharide  äussern 
werden. 

Einstweilen  können  wir  über  die  Natur  der  nicht  zuckerähnlichen 
Kohlenhydrate  —  abgesehen  von  der  Beschreibung  ihrer  Eigenschaften 
—  nicht  viel  mehr  angeben,  als  sich  aus  der  Untersuchung  ihrer  hydro- 
lytischen Spaltung  —  ihrer  „Verzuckerung"  —  ergiebt:  wir  erfahren 
dadurch,  welche  Monosaccharidreste  die  einzelnen  anhydridartig  ver- 
knüpften Glieder  ihrer  Molecüle  bilden.  Ueber  die  Art  der  Verknüpfung 
können  wir  nichts  Bestimmtes  aussagen;  ja  selbst  bezüglich  der  Zahl 
der  in  einem  Molecül  vereinigten  Monosaccharidreste  müssen  wir  uns 
einstweilen  mit  unbestimmten  Vermuthungen  begnügen;  ein  sicher  be- 
gründetes Urtheil  über  die  Moleculargrösse  dieser  complicirteren  und 
jedenfalls  sehr  hoch-  molecularen  Kohlenhydrate  kann  zur  Zeit  nicht  ab- 
gegeben werden. 

Man  bezeichnet  gegenwärtig  diese  complexeren  Kohlenhydrate  zu- 
weilen mit  Namen,  welche  die  Natur  der  bei  der  Hydrolyse  entstehenden 
Zuckerarten  andeuten,  z.  B.  Xylan,  Galactan,  Pentosane,  Galacto- 
Araban  etc. 

Versuche  zur  Anwendang  der  kryoskopischen  Moleculargewichtsbestimmung' 
sind  an  einigen  dieser  Kohlenhydrate  (Inulin,  Phlein^  Dextrin  etc.)  in  wässriger 
Lösung  gemacht  worden;  selbst  bei  sehr  grossen  Concentrationen  sind  nur  sehr 
geringe  Gefrierpunktsdepressionen  gefunden,  und  insofern  können  die  Beobachtongen 
zur  Bestätigung  dafür  dienen,  dass  wir  es  hier  mit  sehr  hoch  molecularen  Verbin- 
dungen zu  thun  haben;  doch  sind  die  beobachteten  Depressionen  eben  so  geiing 
und  daher  so  abhängig  von  unvermeidlichen  Versnchsfehlem,  dass  man  sie  kaum  mit 
Vertrauen  einer  auch  nur  approximativen  Berechnung  des  Moleculargewichts  zu 
Grunde  legen  kann. 

Die  Gegenwart  von  alkoholischen  Hydroxylgruppen  giebt  sich  auch 
bei  diesen  complicirteren  Polysacchariden  durch  die  Fähigkeit  zur  Bil- 
dung von  Salpetersäure-  und  Essigsäure-Estern  kund. 

A.    Stärke  und  ähnliche  Kohlenhydrate. 

Stärke^  (^gHioOs)!  (Amylum)  —  eine  Substanz,  welche  man  in  den 
verschiedensten  Organen  des  Pflanzenkörpers   in  Form   von  Körnchen. 


^  Brown  u.  Morris,  Journ.  Soc.  55,  462  (1889).  —  Ekstrakd  u.  Mauzklits, 
Cöthener  Chem.-Ztg.  1889,  1302,  1337. 

■  Vgl.  ToLLENS,  Handbuch,  S.  165  £F.  —  Frank,  Lehrbuch  der  Botanik  I,  S.  48  ff. 
(Leipzig,  1892).  —  Vgl.  ferner:  Jb.  1887,  2262—2266.  —  Brown  u.  Morrq,  Journ.  Soc, 55. 
449,  465  (1889).  —  Wohl,  Ber.  23,  2101  (1890).  —  Scheibler  u.  Mittrlmeikr,  ebenda. 
3060,  3473.  —  Zulkowsky,  ebenda,  3295.  —  Flourens,  Compt.  rend.  110,  1204  (1890». 
—  Lintner,  Ztechr.  f.  angew.  Chemie  1890,  546.    Cöthener  Chem.-Ztg.  Repert.  1893, 


stärke.  925 


die  organisirte  Stnictur  besitzen,  findet;  schon  beim  Assimilationsprocess 
(vgl.  S.  401)  sieht  man  sie  im  Chlorophyllkorn  entstehen;  die  durch  den 
Assimilationsprocess  gebildete  Stärke  wandert  in  gelöster  Form  aus  den 
assimilirenden  Organen  in  andere  Gewebetheile.  Sie  wird  dann  als  Bil- 
dungsstofi  zum  Aufbau  der  Pflanzensubstanz  entweder  sogleich  benutzt; 
oder  wenn  der  Verbrauch  zum  Zwecke  des  Wachsthums  der  Pflanze 
gegen  die  gerade  erzeugte  Kohlenhydratmenge  zurückbleibt,  so  lagert  sich 
zumeist  der  Kohlenhydratvorrath  wieder  in  Form  von  Stärke  als  „ßeserve- 
stoff'*  —  als  Material  für  künftige  Vegetationsperioden  —  ab;  so  finden 
wir  Stärke  besonders  reichlich  in  vielen  Knollen,  Wurzeln  und  Samen, 
welche  daher  auch  zur  Gewinnung  der  Stärke  (vgl.  S.  940)  dienen. 

Die  Foim  und  Grösse  der  Stärkekömer  ist  sehr  wechselnd  je  nach 
ihrem  Vorkommen;  Kartoffelstärke  z.  B.  bildet  ovale  Kömchen  von 
durchschnittlich  0-07  mm  Grösse,  enthält  aber  auch  grössere  Körnchen 
(bis  zu  0*1  mm);  Weizenstärke  dagegen  enthält  hauptsächlich  kreisrunde 
Kömchen,  einerseits  kleinere  von  0-005 — 0-007  mm  Durchmesser,  anderer- 
seits grössere  von  0-02 — 0-04  mm,  während  Kömchen  von  mittlerer 
Grösse  verhältnissmässig  selten  sich  darin  finden.  Die  Stärkekörner  zeigen 
häufig  eine  deutliche  und  charakteristische,  durch  die  ungleichmässige 
Vertheilung  von  Wasser  und  Stärkesubstanz  bedingte  Schichtung  um 
einen  im  Inneren  befindlichen  Kern;  bei  den  Kartoffelstärkekörnern  liegt 
dieser  Kern  meist  nach  dem  schmäleren  Ende  hin  verschoben,  und  die 
Schichtung  ist  daher  excentrisch,  während  bei  den  Weizenstärkekömem 
der  Kern  in  der  Mitte  liegt,  und  die  Schichtung  concentrisch  ist^  Im 
polarisirten  Licht  zeigen  die  Stärkekörner  ein  schwarzes  Kreuz  und  er- 
weisen sich  dadurch  als  doppeltbrechend. 

Die  Frage,  ob  die  Stärkekömer  aus  einer  einheitlichen  Substanz 
oder  aus  verschiedenen  Substanzen  bestehen,  ist  vielfach  erörtert  worden. 
Wenn  man  Stärke  mit  kalten  verdünnten  Säuren  oder  diastatischen 
Fennenten  behandelt,  so  geht  sie  grösstentheils  in  Lösung;  ein  kleinerer 
Theil  bleibt  ungelöst  zurück.  Diese  Erscheinung  wurde  von  C.  Nägeli 
dadurch  erklärt,  dass  in  den  Stärkekörnern  neben  der  eigentlichen,  als 
„Granulöse"  bezeichneten  Stärkesubstanz  eine  widerstandsfähigere  Sub- 
stanz —  die  „Stärkecellulose**  —  angenommen  wurde.  Neuere  Unter- 
suchungen haben  indess  wahrscheinlich  gemacht,  dass  jener  Rückstand 
nicht  eine  ursprünglich  vorhandene  Substanz,  sondern  ein  durch  Fer- 
mente oder  Säuren  entstehendes  Umwandlungsprodukt  darstellt,  das  sich 


S.  15.  —  RouviEB,  Compt.  rend.  114,  128  (1891).  —  Villiees,  Compt.  rend.  112,  485, 
536  (1891);  113,  144  (1891).  -  Tora,  Cöthener  Chem.-Ztg.  1891,  1523,  1583.  —  Prior, 
Ztschr.  f.  angew.  Chemie  1892,  317.  —  Mühlhaüser,  Cöthener  Chem.-Ztg.  Repert. 
1892,  190.  —  LiNTNER,  ebenda,  161.  —  Bial,  Ber.  26  o,  647,  912  (1892).  —  Röhmann, 
Ber.  26o,  647  (1892).  Ber.  25,  3654  (1892).  —  Schippeber,  Cöthener  Chem.-Ztg.,  Re- 
pert 1892,    336.    —    V.  AsBÖra,    Cöthener  Chem.-Ztg.  1892,  1517,  1560. 

*  Ueber  den  feineren  Bau  der  Stärkekömer  vgl.  Bütschli,  Verhandlungen  d. 
nÄturhisf.-medic.  Vereins  zu  Heidelberg.   N.  P.   Bd.  V,  89  (1893). 


926  Stärke. 

unter  besonderen  physiologischen  Verhältnissen  auch  schon  in  den  Stärke- 
kömern  selbst  anhäufen  kann. 

Die  elementare  Zusammensetzung  der  Stärke  entspricht  der  Formel 
CgHi^Og,  die  aber  sicher  keine  Molecularformel  ist,  sondern  noch  mit 
einem  zur  Zeit  nicht  sicher  bekannten  Factor  zu  multipliciren  ist.  Aus 
Beobachtungen  über  die  Zusammensetzung  der  Alkaliverbindungen  der 
Stärke  und  der  Jodstärke  (vgl.  unten)  kann  man  folgern,  dass  dieser 
Factor  mindestens  gleich  vier  —  der  Formel  G^ß^S^^o  entsprechend  — 
ist;  doch  werden  von  manchen  Autoren  —  und  wohl  mit  gutem  Grunde 
—  viel  grössere  Formeln  mit  mehr  als  100  C- Atomen  für  wahrschein- 
lich gehalten^.  Auch  ist  es  wohl  nicht  ganz  ausgeschlossen,  dass  die 
Stärke  entsprechend  der  allgemeinen  Formel  der  einfacheren  Poly- 
saccharide n(CßHj30ß)  —  (n— 1)1130  (vgl.  S.  915)  zusammengesetzt  ist, 
also  etwa  statt  der  Formel  Cg^H^oOjo  die  Formel  C34H42O31  besitzt. 

Stärke  enthält  im  lufttrockenen  Zustand  10 — 20^0  Wasser;  durch 
vorsichtiges  Trocknen  bei  allmählich  auf  100 — 110®  erhöhter  Temperatur 
vrird  sie  wasserfrei.  In  kaltem  Wasser  ist  sie  so  gut  wie  unlöslich. 
Beim  Erwärmen  mit  Wasser  quellen  die  Stärkekömer  auf,  platzen  und 
bilden  den  sogenannten  „Stärkekleister"  —  eine  schleimige,  filtrirbare 
Lösung,  bei  deren  Filtration  indess  immer  eine  gallertartige  Masse 
zurückbleibt.  Behandelt  man  ungelatinirte  Stärke  mit  kalter  verdünnter 
Mineralsäure  nicht  zu  lange  Zeit  (vgl.  Amylodextrin,  S.  929)  —  einige 
Tage  — ,  so  verwandelt  sie  sich  in  „lösliche  Stärke",  welche  sich  in 
heissem  Wasser  ohne  Kleisterbildung  auflöst*. 

Stärke  ist  besonders  charakterisirt  durch  die  blaue  Färbung,  welche 
sie  mit  Jod  liefert,  und  kann  durch  diese  schöne  Reaction,  die  bekannt- 
lich auch  als  Indicator  bei  wichtigen  titrimetrischen  Bestimmungen 
(„ Jodometrie")  benutzt  wird,  leicht  erkannt  werden.  Die  Färbung 
beruht  auf  der  Bildung  der  „Jodstärke"  —  einer  Verbindung,  welche 
einen  Jodgehalt  von  etwa  18®/^  Jod  besitzt,  und  zu  deren  Bildung 
vielleicht  nicht  ausschliesslich  freies  Jod,  sondern  daneben  in  geringem 
Betrage  auch  JodwasserstoflFsäure  oder  eines  ihrer  Salze  nothwendig  ist. 

Durch  Verreiben  der  Stärke  mit  concentrirter  Schwefelsäure  in  der  Kälte  ent- 
stehen Stärkeschwefelsäuren,  durch  Einwirkung  von  rauchender  Salpetersäure 
Salpetersäureester  (Nitrostärke),  durch  Einwirkung  von  Essigsäureanhydiid 
oder  Acetylchlorid  Acetylderivate. 

Die  wichtigste  Umwandlung  der  Stärke  ist  der  Process  ihrer  hydro- 
lytischen Spaltung  —  ihre  Verzuckerung,  üeber  die  Endprodukte  dieses 
Processes,  welcher  täglich  in  den  Spiritusbrennereien  (vgl.   S.  173)   und 


*  Wenn  indess  Brown  u.  Morris  (Joum.  Soc  56,  473  [1889-)  auf  Grund  einer 
kryoskopischen  Moleculargewichtsbestimmung  des  Dextrins  (vgl.  S.  929)  und  auf  Grond 
ihrer  Anschauungen  über  das  Verhfiltniss  von  Stärke  zu  Dextrin  die  ungeheuerlicbe 
Molecularformel  CuooHiooo^iooo  aufstellen,  so  geht  diese  Annahme  doch  wohl  weit 
über  den  Bereich  des  Wahrscheinlichen  hinaus. 

*  Darstellung  der  löslichen  Stfirke  vgl.  Lintmer,  J.  pr.  [2J  34,  381  (18^6). 


Lichenin,  IntUin.  927 


Bierbrauereien  in  grösstem  Massstab  ausgeführt  wird  und  Gegenstand 
zahlreicher  sorgsamer  Untersuchungen  gewesen  ist,  herrscht  kein  Zweifei 
mehr;  über  seinen  Verlauf  dagegen  ist  man  noch  immer  nicht  zu  unbe- 
strittenen Resultaten  gekommen. 

Es  kann  als  festgestellt  gelten,  dass  bei  der  Verzuckerung  durch 
Erhitzen  mit  verdünnten  Säuren  als  einziges  Monosaccharid  die  (i-61ucose 
gebildet  wird.  Im  Gegensatz  zu  der  ein  Monosaccharid  erzeugenden 
Säureverzuckerung  bleibt  die  Hydrolyse  durch  Diastase  unvollständig: 
sie  lässt,  wie  schon  S.  919 — 920  erwähnt,  Disaccharide  —  Maltose  und  Iso- 
maltose —  entstehen.  Ein  anderes  ungeformtes  Ferment  —  die  Glycase, 
von  welcher  grosse  Mengen  im  Mais  enthalten  zu  sein  scheinen,  geringe 
Mengen  aber  auch  in  Gerste  und  Weizen  sich  finden,  —  vermag  da- 
gegen die  Stärke  in  c^-Glucose  zu  verwandeln.  Auch  das  Serum  des 
Bluts  und  der  Lymphe  enthält  ein  Enzym,  das  Stärke  zu  d-Glucose  ver- 
zuckert. 

unter  Einhaltung  geeigneter  Bedingungen  kann  man  durch  ver- 
dünnte Säuren  Stärke  fast  quantitativ  in  Traubenzucker  überfuhren. 
Unter  anderen  Bedingungen  aber  erhält  man  neben  dem  Zucker  gummi- 
artige Körper  —  „Dextrine"  (vgl.  S.  929)  — ,  welche  als  Zwischenpro- 
dukte bei  dem  Zerfall  des  Stärkemolecüls  in  Zuckermolecüle  aufgefasst 
werden.  Derartige  Dextrine  entstehen  ferner  stets  in  beträchtlicher 
Menge  neben  Zucker  bei  der  Einwirkung  von  Diastase  auf  Stärke.  Ueber 
die  Individualität  dieser  dextrinartigen  Zwischenprodukte  sind  die  An- 
sichten noch  sehr  getheilt,  ebenso  über  die  Frage,  ob  bei  der  Spaltung 
des  Stärkemolecüls  gleichzeitig  Zuckermolecüle  und  complicirtere  Dextrin- 
molecüle,  die  dann  ihrerseits  wieder  successive  in  Zuckermolecüle  und 
einfachere  Dextrinmolecüle  zerfallen,  gebildet  werden,  oder  ob  anderer- 
seits die  Stärke  zuerst  in  Dextrin  verwandelt  wird,  welches  allmählich 
sich  hydratisirend  Zucker  liefert.  Bei  der  Verzuckerimg  durch  Säuren 
hat  man  auch  zu  berücksichtigen,  dass  das  Dextrin  theil weise  durch 
„Beversion^^  wieder  aus  schon  abgespaltenem  Zucker  entstanden  sein 
kann  (vgl.  S.  916,  930).  —  Erwähnt  sei  noch,  dass  auch  durch  Erhitzen 
in  Glycerinlösung  ein  Abbau  des  Stärkemolecüls  bewirkt  werden  kann. 

Liehenin^  (CeHio05)x  ist  ein  in  kaltem  Wasser  schwer  lösliches,  gallertartiges 
Kohlenhydrat,  welches  aus  isländischem  Moos  erhalten  werden  kann;  es  giebt  mit 
Jod  keine  Färbung;  bei  gemässigter  Hydrolyse  durch  Säuren  liefert  es  dextrinartige 
Produkte,  welche  im  Gegensatz  zu  dem  rechtsdrehenden  Stärkedextrin  inactiv  sind; 
bei  längerem  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  liefert  es  Traubenzucker. 

Inulln*  C^e^io^ö)«  +  ^ö  findet  sich  in  gelöster  oder  aufgequollener 
Form  in  vielen  Compositen  und  spielt  in  diesen  Pflanzen  die  Rolle  eines 


^  ToLLENS,  Handbuch,  &,  198.  —  Hönio  u.  Schubebt,  Monatsh.  8,  452  (1887). 

'  ToLLKNS,  Handbuch,  S.  199  ff.  —  Vgl.  femer:  Honig  u.  Schübebt,  Monatsh.  8, 
529  (1887).  —  Brown  u.  Mobris,  Joum.  Soc.  66,  463  (1889).  —  Ekstbano  u.  Mauze- 
ijus,  Cöthener  Chem.-Ztg.  1889,  1337.  —  Wohl,  Ber.  23,  2105  (1890).  —  Tanbet, 
Compt.  rend.  116,  514  (1893).    Bull.  [3]  9,  200  (1893). 


928  Tritioiny  Fhle'in,   Graminin.     Glykogen. 


Reservestoflfs ,  ähnlich  wie  bei  anderen  Pflanzen  die  Stärke;  man  ge- 
winnt es  am  besten  aus  Georginenknollen.  Es  stellt  ein  weisses  Pulver 
dar,  welches  aus  kleinen  doppeltbrechenden  Sphärokrystallen  best-eht^  ist 
in  warmem  Wasser  sehr  leicht  löslich,  scheidet  sich  aus  der  Lösung 
langsam  wieder  ab,  rascher  durch  Gefrieren  der  Lösung  oder  durch 
Alkoholzusatz,  dreht  links,  giebt  mit  Jod  keine  Färbung  und  wd  von 
Diastase  kaum  verändert.  Erhitzt  man  es  für  sich  oder  in  Glycerin- 
lösung,  so  erhält  man  dextrinartige  Produkte.  Durch  verdünnte  Säuren 
wird  es  viel  leichter  hydrolysirt  als  Stärke  und  liefert  hierbei  die 
(i-Pructose,  soweit  bekannt,  als  alleiniges  Monosaccharid;  es  beruht 
hierauf  die  bequemste  Methode  zur  Darstellung  der  rf-Fructose  (S.  901). 
Inulin  scheint  nicht  ein  der  Stärke  entsprechend  zusammengesetztes 
Anhydrid  des  Fruchtzuckers  zu  sein,  sondern  eine  einfachere  Constitution 
zu  besitzen. 

Tritiein,  PhleYn  (Iris in)  und  Graminiu  sind  inulinähnliche  Kohlenhydrate ^ 
welche  in  verachiedenen  monokotylen  Pflanzen  als  ReservestofFe  gefunden  sind.  Sie 
besitzen,  bei  100^  getrocknet,  eine  der  Formel  eCeHioOj  +  H^O  entsprechende  Zu- 
sammensetzung, bilden  doppeltbrechende  Sphärokrystalle ,  sind  in  kaltem  Wasser 
ziemlich  löslich,  blänen  Jod  nicht,  sind  linksdrehend  und  liefern  bei  der  Verzuckeroiig 
d-Pructose. 

Glykogen  2,  (CgHioOg),  oder  vielleicht  (CeH^oOJx  +  B^O,  ist  ein 
stärkeähnliches  Kohlenhydrat,  welches  im  thierischen  Organismus  ver- 
breitet ist.  Es  findet  sich  in  den  Muskeln  (bis  zu  0-6 — O-T^/J  und  ver- 
schwindet darin  während  der  Arbeit  oder  beim  Hungern;  besonders 
reichlich  ist  es  in  der  Leber  gesunder  Thiere  aufgespeichert,  namentlich 
nach  Genuss  von  stärkehaltiger  und  zuckerhaltiger  Nahrung;  es  ist  der 
ßeservestöff,  in  welchen  der  thierische  Organismus  die  überschüssig  zu- 
gefuhrten  Kohlenhydrate  verwandelt,  um  bei  später  zu  verrichtenden 
Functionen  wieder  daraus  durch  Spaltung  Zucker  zu  erzeugen  und  dem 
Blute  zuzuführen.  Glykogen  findet  sich  in  fast-  allen  embryonalen  Ge- 
weben, ferner  in  den  Austern  und  anderen  Wirbellosen,  auch  in  vielen 
Pilzen,  endlich  in  dem  aus  fast  reinem  Protoplasma  bestehenden  Aetha- 
lium  septicum.  Es  ist  ein  weisses  amorphes  Pulver,  das  in  warmem 
Wasser  leicht  zu  einer  opalisirenden  Flüssigkeit  löslich  ist,  aus  der  Lö- 
sung durch  Alkohol  wieder  gefällt  wird;  die  Lösung  färbt  sich  mit  Jod 
roth  bis  braun  und  ist  sehr  stark  rechtsdrehend.  Durch  diastatische 
Fermente  und  durch  Säuren  wird  Glykogen  gespalten  unter  Bildung  von 
Dextrinen,  Maltose  bezw.  c^Glucose. 

Näheres  über  die  physiologische  Bedeutung  von  Stärke  und  Gly- 
kogen vgl.  in  den  Kapiteln  des  Anhangs  zu  Band  II. 

*  ToLLENS,  Handbuch,  8.  206.  —  EKsraA^ND  u.  Jouamson,  Ber.  20,  3810  (1887): 
21,  594  (18S8).  —  Wallach,  Ber.  21,  896  (1888).  —  Ekstband  ii.  Maüzeltob,  Clötbener 
Cniem.-Z^.  1889,  1802,  1887. 

'  ToLLENS,  Handbuch,  S.  192.  —  Bumoe,  Lehrbuch  der  physiol.  u.  pathol 
Chemie  (Leipzig  1889),  S.  889  ff.  —  Vgl.  ferner:  S.  Fbaenkbl,  Cöthener  CJhem.-Ztg. 
Bepert.,  1892,  212.  —  Huppebt,  ebenda,  867. 


Dextrine.  929 


B.    Dextrine  und  Gummiarten. 

Dextrine  aus  Stärke  \  Die  Bildung  dieser  Substanzen  aus  Stärke 
durch  die  Einwirkung  von  Säuren,  von  Diastase  oder  auch  durch  Er- 
hitzen für  sich  ist  schon  S.  927  besprochen.  Es  sind  wahrscheinlich 
verschiedene  Dextrine  zu  unterscheiden,  die  sich  je  nach  den  Bedingungen 
der  hydrolytischen  Spaltung  bilden;  die  einzelnen,  von  einigen  Autoren 
angenommenen  Dextrinarten,  wie  Erythrodextrin,  Achroodextrin, 
Maltodextrin  werden  indess  nicht  allgemein  als  bestimmte  chemische 
Individuen  anerkannt  und  seien  daher  hier  nicht  speciell  beschrieben. 
In  krystallinischer  Form  ist  ein  nach  sehr  langer  (monatelanger  bis 
jahrelanger)  Einwirkung  von  kalter,  verdünnter  Mineralsäure  auf  Stärke 
zurückbleibendes  Produkt  —  das  Amylodextrin  —  isolirt;  es  löst  sich 
in  warmem  Wasser,  und  durch  Ausfrieren  seiner  wässrigen  Lösung  erhält 
man  es  in  Sphärokrystallen. 

Die  Dextrine  sind  in  Wasser  löslich  und  werden  aus  der  Lösung 
durch  Alkohol  ausgefällt;  sie  sind  stark  rechtsdrehend,  geben  mit  Jod 
theils  keine  Färbung,  theils  Rothfärbung  und  liefern  bei  der  Hydrolyse 
Traubenzucker.  Sie  sind  nicht  direct  gährungsfahig,  werden  aber  bei 
Gegenwart  von  Diastase  durch  Hefe  mit  vergohren  {vgl.  S.  173). 

Bezüglich  der  chemischen  Natur  des  durch  Säurewirkung  aus  Stärke 
erhältlichen,  von  Zucker  völlig  befreiten  Dextringemisches  ist  neuerdings 
festgestellt,  dass  es  aus  Polysacchariden  von  Aldehydcharakter  besteht 
bezw.  solche  Körper  enthält.  Denn  es  wird  durch  Erhitzen  mit  Kali- 
lauge gelb  bis  braun  gefärbt,  reducirt  FEBLiNG'sche  Lösang  und  liefert 
beim  Digeriren  mit  Phenylhydrazin  in  der  Kälte  einen  weissen  amorphen 
Köiper,  welcher  ca.  1^/^  Stickstoff  enthält,  bei  der  Behandlung  mit 
rauchender  kalter  Salzs&ure  wieder  Phenylhydrazin  abspaltet  und  dem- 
nach vermuthlich  ein  Hydrazongemenge  darstellt;  es  wird  ferner  durch 
nascirebden  Wasserstoff  in  ein  Produkt  verwandelt,  das  FBHUNö'sche 
Lösung  nicht  mehr  reducirt,  von  Kalilauge  nicht  mehr  gelb  gefärbt  wird, 
aber  durch  Einwirkung  starker  Säuren  wieder  eine  FBHLiNG'sche  Lösung 
stark  reducirende  Flüssigkeit  liefert;  es  geht  andererseits  durch  Oxyda- 
tion mit  Bromwasser  in  ein  Produkt  von  saurer  Natur  über,  welches 
Lackmus  röthet,  aus  kohlensaurem  Kalk  Kohlensäure  entwickelt  und, 
für  sich  FEHLiNo'sche  Lösung  nicht  reducirend,  nach  vorherigem  Er- 
hitzen   mit    einer    Mineralsäure   starkes    Reductionsvermögen    annimmt 

(SCREIBLEB    U.    MiTTELMEIEB). 


*  ToLLENS,  Handbach,  S.  173—178,  187—189.  —  Brown  u.  Moeris,  Journ.  Soc. 
55,  449,  466  (1889).  —  Schbibler  u.  Mittelmeieb,  Ber.  28,  3068  (1890).  —  Villiers, 
Compt  rend.  112,  435  (1891).  —  Petit,  Compt.  rend.  114,  76  (1892).  —  Prior,  Ztschr. 
f.  angew.  Chem.  1892,  315.  —  Lintner,  ebenda,  328.  —  Röhmann,  Ber.  25,  3656  (1892). 
—  ScHiFFEREB,  Cöthcner  Chem.-Ztg.  Repert.  1892,  336. 

V.  Mkyxb  u.  Jacobson,  org.  Chem.   I.  59 


930  Natürlidie  Gummiarien,  Pflanxenschleinie 


Dextrine  aus  Monosacchariden  ^  Aas  einigen  Hexosen  sind  dnrch 
Erwärmen  mit  verdünnten  Säuren  („Reversion",  vgl.  S.  916)  Dextrine 
gewonnen,  bisher  aber  wohl  kaum  in  einheitlichem  Zustand  erhalten 
worden. 

Natürliche  6ammlarten,  Pflanzenschlelme  und  ähnliche  Kohlen- 
hydrate*. Als  Gummiarten  bezeichnet  man  gewisse  Pflanzenprodukte, 
welche  zuweilen  in  compacter  Form  als  amorphe  durchscheinende  Massen 
zur  Ausscheidung  gelangen  (wie  Gummi  arabicum)  oder  durch  verdünnte 
Alkalien  aus  Pflanzentheilen  ausgezogen  und  aus  der  alkalischen  Lösung 
durch  Salzsäure  und  Alkohol  niedergeschlagen  werden  können  (wie 
Holzgummi  aus  verschiedenen  Hölzern).  Die  eigentlichen  Gummiarten 
sind  in  Wasser  löslich  zu  einer  dicklichen,  filtrirbaren,  klebenden 
Lösung;  aus  dieser  Lösung  werden  sie  durch  Alkohol  wieder  gefällt;  sie 
reduciren  nicht  FEHLiNo'sche  Lösung  und  werden  durch  Erhitzen  mit 
Säuren  in  Monosaccharide  gespalten.  Aehnliche  Produkte,  welche  aber 
in  Wasser  nur  theilweise  löslich  sind,  zum  grössten  Theil  in  Wasser 
lediglich  aufquellen,  werden  als  „Pflanzenschleime"  von  den  Gummi- 
arten  unterschieden.  In  den  Gummiarten  begegnen  wir  zum  ersten  Mal 
Polysacchariden,  welche  bei  der  Hydrolyse  nicht  nur  Hexosen,  sondern 
auch  häufig  und  reichlich  Pentosen  liefern  (vgl.  S.  891 — 894);  dienen 
doch  Gummiarten  stets  als  Ausgangsmaterialien  für  die  Gewinnung  der 
/-Arabinose  und  Xylose,  Von  Hexosen  ist  als  hydrolytisches  Spaltungs- 
produkt der  Gummiarten  namentlich  häufig  ^-Galactose  nachgewiesen  wor- 
den, und  in  Uebereinstimmung  damit  liefern  viele  Gummiarten  durch 
Oxydation  mit  Salpetersäure  Schleimsäure. 

Arabinsäure  —  bisher  wohl  kaum  als  einheitliche  Substanz  dargestellt  —  bildet  is 
Form  von  sauren  Calcium-,  Kalium-  etc.  -Salzen  den  Hauptbestandtheil  des  „Gummi- 
arabicum^^  Als  „arabisches  Gummi^^  kommen  die  durch  Eintrocknen  erhärteten  Au»- 
8ch witzungen  verschiedener  tropischer  Acacia-  und  Mimosaarten  in  den  Handel;  eg 
enthält  etwa  3°/o  Asche  und  löst  sich  leicht  in  Wasser;  aus  dieser  Losung  erhSlt 
man  die  Arabinsäure  nach  dem  Ansäuern  mit  Salzsäure  und  Ausfällen  mit  Alkohol  al^ 
farblose,  amorphe  Substanz.  Sie  reagirt  schwach  sauer,  treibt  aus  Carbonaten  Kohlen- 
säure aus  und  liefert  bei  der  Hydrolyse  Galactose,  Arabinose,  Arabinon  (S.  915  Anm.i 
Auch  aus  Kübenmark  kann  Arabinsäure  (Metapectinsäure)  abgeschieden  werden.  — 
Neuerdings  sind  die  Säuren  der  rechtsdrehenden  Geddagummi-Sorten  von  0*Suluva> 


*  Grimaux  u.  Lef^vbe,  Compt  rend.  103,  146  (1886).  —  Wohl,  Ber.  23,  2094. 
2096  (1890). 

»  ToLLENS,  Handbuch,  S,  207—224.  —  Frank,  Lehrbuch  der  Botanik  I,  &  620 
(Leipzig  1892).  —  R.  W.  Bauer,  Jb.  1888,  2825.  —  Wheeler  u.  Tollehs,  Ann.  251 
320  (1889).  —  Stone,  Ber.  23,  2574  (1890)  —  E.  Schulze,  Ber.  24,  2285  (1891»; 
25,  2213  (1892).  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  16,  430  (1892).  Landwirthsch.  Versuchs- 
stationen, 41,  207  (1892).  --  O'SuLLivAN,  Joum.  Soc.  59,  1024  (1891).  —  C.Schtui 
u.  Tollens,  Landwirthsch.  Versuchs-Stationen,  40,  367  (1891).  —  B£chaiip,  Bull.  :3 
7,  587  (1892).  —  Garros,  ebenda,  625..—  v.  Lippmann,  Ber.  23,  8564  (18901  - 
LiNTNER,  Ztschr.  f.  angew.  Chemie  1890,  520.  —  Lintner  u.  Düll,  Ztschr.  f.  angew. 
Chemie,  1891,  538.  —  Winterstein,  Ztschr.  f.  physiol.  Chemie  17,  381  (1892).  Land- 
wirthsch. Versuchsst.  41,  375  (1892).  —  Guichaed,  Bull.  [3]  9,  19  (1893). 


U7id  ähnlidie  Kohlenhydrate.  931 


eingehend  untersucht,  besonders  in  Bezug  auf  den  stufenweisen  Abbau  dureh  Hydro- 
lyse. Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  bei  der  Hydrolyse  zunächst  die  Arabinose- 
gruppen  abgespalten  werden,  und  aus  den  verschiedenen  in  den  natürlichen  Gummi- 
arten  vorkommenden  Säuren  als  Zwischenprodukt  dieTrigalactangeddinsäure  er- 
halten wird,  welcher  die  Formel  SCuHj^Oio,  CgsHgsOig  zugeschrieben  wird,  und 
welche  bei  weiterer  Hydrolyse  in  Galactose  und  die  stark  rechtsdrehende  Geddin- 
säure  CssHsgO,,  zerfällt: 

SCisHjoOio,  CjgHggOjg  +  9H2O  =  CssHggOg«  +  ßCgHuO^. 

Aehnliche  Resultate  hatten  sich  bei  der  Hydrolyse  des  linksdrehenden  arabischen 
Gummis  ergeben;  man  erhält  beim  Abbau  desselben  eine  der  Geddinsäure 
isomere  Säure  O^^^O^^,  welche  aber  im  Gegensatz  zur  Geddinsäure  gar  nicht 
oder  nur  schwach  optisch  activ  ist. 

Holzgummi  (Xylan,  vgl.  S.  924)  —  namentlich  in  Laubhölzem  in  grösserer 
Menge  vorkommend,  neuerdings  den  Hemicellulosen  (vgl.  S.  934)  zugerechnet  — 
liefert  bei  der  Hydrolyse  Xylose,  Kirsehgammi  —  das  Gummi  der  Kirschen  und 
Mandelbäume  —  reichlich  ^Arabinose,  PArsiehgamiili,  welches  infolge  von  Verletzung 
der  Binde  des  Pfirsichbaums  abgeschieden  wird,  liefert  zugleich  Arabinose  und  Galac- 
tose; Gerstengammi  —  ein  halblöslicher  Gummikörper,  welcher  einen  wesentlichen 
Bestandtheil  der  sogenannten  stickstofffreien  Ektractstoffe  bei  Cerealien  auszumachen 
scheint,  —  liefert  Galactose  und  Xylose. 

Bassorin  wird  der  in  Wasser  nur  aufquellende  Bestandtheil  der  Pflanzenschleime 
genannt. 

Galaetane  sind  einige  gummiähnliche  Kohlenhydrate  genannt,  welche  in  Legu- 
minosen, besonders  Lupinensamen,  femer  um  Waschwasser  vom  Scheidekalk  der 
Kübenzuckerfabriken  gefunden  sind,  und  bei  der  Verzuckerung  Galactose  (eventuell 
neben  anderen  Monosacchariden)  liefern. 

Als  Pektinstoffe  ^  werden  gewisse  in  Früchten  ( Aepfeln,  Birnen)  und  fleischigen 
Wurzeln  (Rüben,  Möhren)  sich  findende  Substanzen  bezeichnet,  welche  durch  Alkohol 
aus  der  wässrigen  Lösung  gallertartig  gefällt  werden,  und  auch  beim  Einkochen  ihrer 
Lösungen  Gallerten  liefern  können.  Sie  scheinen  den  Kohlenhydraten  nahe  zu  stehen 
oder  vielleicht  auch  zu  ihnen  zu  gehören. 

C.    Cellulose  und   andere   Kohlenhydrate  der  Zellmembranen. 

Cellulose^  (CgHjoOg)x  (Zellstoff)  ist  die  Bezeichnung  fdr  das  Kohlen - 
hydrat  (bezw.  Kohlenhydratgemenge,  vgl.  S.  933),  welches  einen  Haupt- 
bestandtheil  der  Zell  Wandungen  bildet,  in  warmen  verdünnten  Säuren 
unlöslich,  in  Kupferoxydammoniak  dagegen  löslich  ist;  über  nahestehende, 
durch  verdünnte  Säuren  auflösbare  Kohlenhydrate  der  Zellwandungen  vgl. 
S.  934.     In  ganz  jungem  Zustand  bestehen  die  Membranen  der  Zellen 


*  ToLLENS,  Handbuch,  S.  242. 

*  ToLLENS,  Handbuch,  S.  224  ff.  —  Guionet,  Compt.  rend.  108,  1258  (1889).  — 
E.  Schulze,  Ber.  23,  2579  (1890);  24,  2279  (1891).  —  Lifschütz,  Ber.  24,  1186(1891). 
—  Will,  Ber.  24,  400  (1891).  —  Winterstein,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  391  (1892). 
liftndwirthsch.  Versuchsst.  41,  383  (1892).  —  E.  Schulze,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem., 
16,  411  (1892).  —  GuicHAED,  Bull.  [3],  7,  55a  (1892).  —  C.  Schulze  u.  Tollens,  Land- 
wirthschaftl.  Versuchsstat. ,  40,  378  (1892).  —  Choss  u.  Bevan,  Journ.  Soc,  57,  1 
0890).  Ber.  24,  1772;  24o,  401  (1891);  25o,  432  (1892).  —  Lindsey  u.  Tollens, 
Ann.  267,  370  (1891).  —  Wiesnek,  Monatsh.  13,  384,  390  (1892).  —  Gross,  Bevan 
u.  Beadlb,  Ber.  26,  1090  (1893). 

59* 


932  GelkUose. 


aus  fast  reiner  Cellulose;  in  älteren  Organen  ist  die  Cellulose  der  Zell- 
wände von  „incrustirenden  Substanzen"  durchwachsen.  Die  Cellulose 
zeigt  in  den  Pflanzentheilen  organisirte  Structur.  Bezeichnend  ftir  die 
Widerstandsfähigkeit  der  Cellulose  ist  der  Umstand,  dass  man  sie  noch 
in  Braunkohlen  und  Steinkohlen  nachweisen  kann. 

Man  benutzt  zur  Darstellung  der  Cellulose  (technische  Darstellung 
vgl.  S.  942)  Materialien,  welche  von  der  Natur  oder  der  Industrie  ge- 
liefert werden  und  schon  zum  grössten  Theil  aus  Cellulose  bestehen: 
z.  B.  Baumwolle,  leinene  Lumpen,  schwedisches  Filtrirpapier.  Da  Cellu- 
lose in  allen  üblichen  Lösungsmitteln  unlöslich  ist  und  von  schwachen 
Beagentien  nicht  verändert  wird,  so  unterwirft  man  diese  Materialien 
behufs  Entfernung  der  begleitenden  StoflFe  einer  successiven  Extraction 
mit  Wasser,  Alkohol,  Aether,  verdünntem  Alkali,  verdünnter  Salzsäure 
und  Flusssäure  und  erhält  als  Bückstand  nun  reine  Cellulose.  Li  ähn- 
licher Weise  verfährt  man  bei  agriculturchemischen  Arbeiten  zur  quanti- 
tativen Bestimmung  der  Cellulose  in  Pflanzentheilen  (Hennebsbg's 
„Weender  ßohfas er- Bestimmung")  und  zur  Darstellung  von  Cellulose 
aus  solchen  Pflanzentheilen,  welche  neben  Cellulose  noch  grössere  Mengen 
anderer  Substanzen  enthalten;  zur  Entfernung  der  incrustirenden  Sub- 
stanzen digerirt   man   häufig   auch   noch   mit  „P.   Schulze's  Reagens" 

—  ein  Gemisch  von  verdünnter  Salpetersäure  mit  Kaliumchlorat  —  in 
der  Kälte. 

Die  Eigenschaften  der  Cellulose  sind  meist  an  dem  aus  BaumwoUe 
gewonnenen  Präparat  festgestellt;  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
Cellulose  verschiedener  Herkunft  abweichendes  Verhalten  zeigt,  dass  es 
verschiedene  Cellulosen  giebt  (vgl.  S.  933). 

Cellulose  ist,  wie  schon  erwähnt,  in  den  üblichen  Lösungsmitteln 
und  in  verdünnten  Säuren  sowie  Alkalien  unlöslich.  Ein  specifisches 
Lösungsmittel  für  Cellulose  ist  das  sogenannte  „ScHWEiTZEB'sche  Reagens^^ 

—  eine  Lösung  von  Kupferoxydammoniak;  aus  diesem  Lösungsmittel 
wird  die  Cellulose  durch  Säuren  und  Salze  wieder  ausgefällt  und  bildet 
nun  nach  dem  Waschen  mit  Alkohol  ein  weisses  amorphes  Pulver. 

Die  Zusammensetzung  der  Cellulose  entspricht  der  Formel  C^Hi^jO^; 
das  Moleculargewicht  ist  zweifellos  ein  sehr  hohes,  da  Cellulose  ihren 
Eigenschaften  nach  jedenfalls  als  ein  Zuckeranhydrid  von  bedeutend 
complexerer  Structur  aufgefasst  werden  muss,  als  es  in  der  Stärke  vorliegt. 

Beim  Verreiben  von  Cellulose  mit  concentrirter  Schwefelsäure  bilden 
sich  Schwefelsäureester,,  welche  in  wässriger  Lösung  leicht  zerfallen. 
Durch  kalte  Schwefelsäure  von  50°  B.  wird  Cellulose  in  „colloldale 
Cellulose"  verwandelt,  welche  mit  Wasser  eine  etwas  milchige,  leicht 
filtrirbare  Lösung  bildet,  aus  der  die  colloldale  Cellulose  durch  sehr  ge- 
ringe Mengen  von  Säuren  oder  Salzen  gefallt  wird;  durch  kurze  Ein- 
wirkung von  stärkerer  Schwefelsäure  wird  die  colloldale  Cellulose  in 
Wasser  unlöslich.  Löst  man  Cellulose  in  concentrirter  Schwefelsäure 
und  fügt  bald  Wasser  zu,  so  wird  eine  gallertartige  Substanz  gefallt. 


Gellulose.  933 


welche,  so  lange  sie  noch  mit  der  Säure  in  Berührung  ist,  ähnlich  der 
Stärke  sich  mit  Jod  blau  färbt  und  zur  Andeutung  dieses  der  Stärke 
ähnlichen  Verhaltens  zuweilen  mit  dem  Namen  „Amyloid"  bezeichnet 
wird;  daher  wird  Cellulose,  die  mit  Jodlösung  getränkt  ist,  durch  con- 
centrirte  Schwefelsäure  blau  gefärbt  (Beaction  auf  Cellulose;  ebenso  wirkt 
auch  eine  mit  Jodkalium  und  Jod  versetzte  Ghlorzinklösung).  Von  den 
Veränderungen  der  Cellulose  durch  concentrirte  Schwefelsäure  macht 
'man  für  die  Darstellung  des  „Pergamentpapiers"  Gebrauch:  unge- 
leimtes  Papier  wird  rasch  durch  starke  Schwefelsäure  passirt,  dann 
durch  Waschen  mit  Wasser  von  der  anhängenden  Säure  befreit;  das 
Papier  ist  dadurch  viel  fester  und  weniger  durchlässig  f&r  Flüssigkeiten 
geworden,  indem  die  Poren  zwischen  den  Papierfasem  nun  durch  col- 
loldale  Cellulose  verkittet  sind. 

Wenn  man  Cellulose  zunächst  längere  Zeit  mit  starker  Schwefel- 
säure bei  gewöhnlicher  Temperatur  digerirt,  darauf  mit  Wasser  verdünnt 
und  längere  Zeit  am  Hückflusskühler  kocht,  so  erhält  man,  während  ein 
Theil  ungelöst  bleibt,  eine  Zuckerlösung.     Als  Produkt  der  Verzucke- 
rung entsteht  aus  BaumwoUcellulose   lediglich  Traubenzucker;    ebenso 
wurde  aus  der  Cellulose  des  Bothtannenholzes,  der  Bothkleepfianzen  und 
verschiedener  Pflanzensamen  Traubenzucker  gewonnen;  aber  neben  dem 
Traubenzucker  wurde  aus  mehreren  Cellulosepräparaten  —  Cellulose  aus 
Kaflfeebohnen,   Cocos-  und  Sesamkuchen  —  in  beträchtlicher  Menge  d- 
Mannose  erhalten.     Es  kommt  demnach  als   celluloseartiger  Zellwand- 
bestandtheil  nicht  nur  die  gewöhnliche  „Glucosocellulose",   sondern 
auch  ein  Anhydrid  der  Mannose  —   die  „Mannosocellulose"  —  vor. 
Wenn  man  Cellulose  in  starke  Salpetersäure  oder  in  ein  Gemenge 
von  Salpetersäure  und  concentrirte  Schwefelsäure  einträgt,  so  entstehen 
je  nach  den  Bedingungen  der  Einwirkung  verschiedene  Salpetersäure- 
ester der  Cellulosen  oder  Nitrocelllilosen,  welche  sich  als  Salpeter- 
säureester dadurch  erweisen,  dass  sie  bei  der  Behandlung  mit  Alkalien 
wieder  Salpetersäure  abspalten  und  bei  der  Einwirkung  von  reducirenden 
Mitteln,  wie  Schwefelalkalien,  Eisenchlorid,   ebenfalls  unter  Abspaltung 
des  Stickstoffs  Cellulose  regeniren.  Wie  die  Salpetersäureester  allei  mehr- 
atomigen Verbindungen  (vgl.  S.  585),  so  sind  auch  die  Nitrocellulosen  äusserst 
explosiv;  sie  werden  'als  Sprengstoffe   (und   auch  für  andere  praktische 
Zwecke)  benutzt  und  werden  daher  noch  in  dem  Abschnitt  über  die  in- 
dustrielle Bedeutung  der  Kohlenhydrate  besprochen  werden  (vgl.  S.  944). 
Eine   Trennung  der  verschieden  hoch  nitrirten  Nitrocellulosen  von  ein- 
ander, die  freilich  kaum  zur  Abscheidung  einheitlicher  Individuen  führt, 
lässt   sich  durch  Behandlung  mit  Lösungsmitteln  wie  Alkohol,  Aether, 
Essigäther  bewirken;   die  Benennung  der  einzelnen  Nitrirungsstufen  be- 
zieht man  auf  die  Formel  CjgHgjjOj^,  z.  B.  Cellulosedinitrat  C^^H^gOg 
(0-NO,),,    Cellulosehexanitrat    CiaHi^04(0-N03)3;    über    die   Stufe    des 
Hexanitrats  geht  die  Nitrirung  nicht  hinaus. 

Aus  der  Bildung  dieser  Salpetersäureester,  wie  auch  aus  der  Bil- 


934  Hemicellidosen,  pflanxl.  Amyloid,  Lignin,  Tunicin. 


düng  von  Acetylderivaten  und  Benzoylderivaten  kann  man  auf  die  Gegen- 
wart alkoholischer  Hydroxylgruppen  im  Cellulosemolecül  schliessen. 

Ueber  Cellulosegährung  durch  Bacterien  vgl.  S.  130. 

Hemlcellnlosen  ^  Als  «jH^i^ic^ll^los^i^^*  werden  neuerdings  von 
E.  SchuLZE  Kohlenhydrate  der  Zellwandungen  bezeichnet,  welche  in  Wasser 
unlöslich  sind,  durch  heisse  verdünnte  Mineralsäuren  aber  im  Gegensatz 
zur  Cellulose  bezw.  den  Cellulosen  sehr  leicht  unter  Verzuckerung  in  Lö- 
sung gebracht  werden.  Derartige  Kohlenhydrate  sind  namentlich  in  den 
Pflanzensamen  sehr  verbreitet;  so  wurden  sie  in  den  Erbsen,  Wicken, 
Kaffeebohnen,  Dattelkernen  etc.  gefunden.  Bei  ihrer  Verzuckerung  werden 
fast  stets  mehrere  Monosaccharide  neben  einander  erhalten,  besonders  häufig 
Galactose  und  (f-Mannose,  in  manchen  Fällen  auch  Arabinose  und  Xylose. 

Pflanzliehes  AmyloYd*.  Amyloid  wird  ein  in  vielen  Pflanzen  nachgewiesener, 
als  Reservestoff  flingirender  Zellwandbestandtheii  genannt,  welcher  in  kaltem  Wassc-r 
aufquillt,  mit  kochendem  Wasser  eine  schleimige  Lösung  bildet  und  mit  Jod  schön 
blaue  Färbung  liefert;  aus  der  wässrigen  Lösung  wird  es  durch  Alkohol  als  farblos*', 
durchsichtige,  voluminöse  Gallerte  gefüllt;  es  dreht  stark  rechts.  Durcb  Diastase 
wird  es  nicht  in  Zucker  übergeführt,  leicht  dagegen  durcb  Erhitzen  mit  verdünnter 
Schwefelsäure,  wobei  es  Galactose  und  eine  Pentose  (wahrscheinlieh  Xylose),  daneben 
vermuthlich  auch  etwas  Traubenzucker  und  andere  Zuckerarten  liefert. 

Als  Holzsubstanz  oder  Lignin^  bezeichnet  man  die  incrustirende  Substanz 
(bezw.  das  Gemenge  von  Substanzen),  mit  welchem  die  Cellulose  im  Holz  und  in 
verholzten  Zellen  durchwachsen  ist.  Bei  der  Digestion  der  betreffenden  Pflanzen- 
theile  mit  Säuren  und  Alkalien  bleibt  das  Gemisch  von  Cellulose  und  Lignin  (odtr 
vielleicht  eine  Verbindung  von  Cellulose  und  Lignib)  —  ,,ItohfaBer'^  (vgl.  S.  932)  — 
surück.  Ueber  die  chemische  Natur  des  Lignins,  das  jedenfalls  nicht  zur  (rrappi^ 
der  Kohlenhydrate  gehört  und  hier  nur  seiner  nahen  physiologischen  Beziehung  znr 
Cellulose  wegen  erwähnt  wird,  herrscht  noch  Unklarheit  Es  giebt  zwei  schöne 
Farbenreactionen:  mit  schwefelsaurem  Anilin  färbt  es  .sich  intensiv  gelb,  mit  einer 
Lösung  von  Phoroglucln  in  concentrirler  Salzsäure  schön  roth.  Diese  Reactionen 
können  zur  Prüfung  von  Papier  auf  IJolzstoff  verwendet  werden. 

Tuniein^  (thierische  Cellulose)  ist  ein  der-  Pflanzencellulose  nahestehender 
Stoff,  welcher  in  niederen  Tbieren  (Ascidien)  vorkommt  und  bei  der  Verzuckerung 
Traubenzucker  liefert. 

Die  Bedeutung  der  Kohlenhydrate  In  der  Industrie  ^ 

Unter  den  Monosacchariden  wird  in  Substanz  auf  technischem  Wege 
lediglich  der  Traubenzucker  gewonnen  und  zwar  durch  Hydrolyse  der 


*  Reiss,  Ber.  22,  609  (1889).  —  E.  Schllze,  Steioeb  u.  Maxwell,  Ztschr.  f. 
physiol.  Chem.  14,  227  (1890).  —  E.  Schulze,  Ber.  22,  1192  (1889);  24,  2277  (1891'- 
Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  16,  887  (1892).  —  Toixens,  Landwirthschaftl.  Versuchs- 
stationen, 40,  389  (1892).  —  WnfiEBSTEiK,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  876  (1892. 

»  WiNTKRSTBiN,  Bcr.  26,  1237  (1892).    Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  353  (1892u 

*  ToLLENs,  Handbuch,  S.  230.  —  G.  Lange,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  14,  15. 
217  (1890).  —  LiNDSEY  u.  ToLLENS,  Ann.  267,  341  (1891). 

*  ToLLENS,  Handbuch,  S.  238.  —  Winterstein,  Ber.  26,  362  (1893). 

*  Der  Abschnitt  ist  von  Herrn  Dr.  Edmund  0.  v.  Lippmann  (Halle)  freondlicbfr 
einer  Durchsicht  unterzogen  worden. 


Rohrzucker-Industrie  (Geschichte,  Bedeutung).  935 


Stärke;  seine  Bereitung  und  Verwendung  wird  daher  erst  später  (S.  941) 
im  Anschluss  an  die  Technik  der  Stärke  besprochen  werden.  Lösungen, 
welche  Traubenzucker  und  Fruchtzucker  als  wesentliche  Bestandtheile 
enthalten,  sind  die  Fruchtsäfte,  welche  behufs  Gewinnung  von  Trau- 
benwein, Obstwein,  Obstbranntwein  der  alkoholischen  Gährung  über- 
lassen werden. 

Der  Rohrzucker^  ist  die  technisch  wichtigste  Zuckerart;  seine  Ab- 
scheidung aus  pflanzlichen,  an  Rohrzucker  reichen  Materialien  ist  die 
Aufgabe  hoch  entwickelter  und  volkswirthschaftlich  bedeutsamer  Industrien. 
Als  Ausgangsmaterial  dient  in  den  tropischen  Ländern  das  Zuckerrohr, 
in  Europa  die  Zuckerrübe.  Das  Vorkommen  von  krystallisirbarem 
Zucker  iu  der  Rübe  und  anderen  einheimischen  Pflanzen  war  schon 
1747  von  Maeggbaf  entdeckt;  aber  erst  1799  wurde  die  erste  Rüben- 
zuckerfabrik von  AcHABD  in  Schlesien  —  und  zwar  damals  noch  ohne 
bedeutenden  Erfolg  —  errichtet.  Durch  Verbesserung  der  Reinigungs- 
methoden und  der  Apparate  kam  dann  die  Rübenzuckerindustrie,  deren 
hoher  Aufschwung  während  der  Continentalsperre  nur  ein  vorübergehen- 
der gewesen  war,  zuerst  in  Frankreich  gegen  Ende  der  zwanziger  Jahre 
in  dauernde  Blüthe,  etwa  15 — 20  Jahre  später  auch  in  Deutschland. 
Heute  erzeugt  Deutschland  1-2  bis  1-3  Millionen  Tonnen  Rübenzucker 
—  ein  Betrag,  der  etwa  20^0  ^^^  Weltproduktion  an  Rohrzucker  (5 — 
6  Millionen  Tonnen)  entspricht.  Die  Gesammtproduktion  an  Rohrzucker 
yertheilt  sich  zu  etwa  gleichen  Beträgen  auf  Kolonialzucker  (Zucker  aus 
Zuckerrohr)  und  Rübenzucker.  An  der  Rübenzuckererzeugung  sind  neben 
Deutschland  namentlich  Oesterreich- Ungarn,  Frankreich  und  Russland 
betheiligt.  Deutschland  flihrt  fast  gar  keinen  Zucker  ein,  exportirt  da- 
gegen den  grösseren  Theil  seiner  Produktion  (0-7 — 0-8  Millionen  Tonnen). 
In  Nordamerika*,  England  und  Italien  bildet  bisher  weder  das  Zucker- 
rohr, noch  die  Zuckerrübe  die  Grundlage  einer  Industrie;  diese  Länder 
sind  daher  auf  den  Import  angewiesen. 

Seit  dem  Aufschwung  der  Rübenzuckerindustrie  ist  Rohrzucker  ein 
allgemeines  Genuss-  und  Nahrungsmittel  geworden.  Im  deutschen  Zoll- 
gebiet wurden  im  Betriebsjahre  1890/91  470253  Tonnen  Rohrzucker 
verbraucht,  was  pro  Kopf  der  Bevölkerung .  einen  Betrag  von  9-5  Kilo 
ausmacht;  noch  erheblich  höher  (25  —  32  Kilo)  wird  der  Verbrauch  in 
England  und  in  den  Vereinigten  Staaten  geschätzt,  in  Australien'*  gar 
auf  45—60  Küo. 

Diese  ausserordentliche  BedeutuDg  des  Zuckers  als  Genussmittel  hat  natürlich 
die  Kegiemngen  zur  Besteuerung  des  Zuckers  veranlasst.  Seit  Jahren  steht  die 
Frage  über  die  rationellste  Art  der  Zuckerbesteuerung  im  Yordexgrunde  der  wirth- 


^  Ausführliche  Besprechung  der  Zuckerindustrie  vgl.  in  Ost  s  Lehrbuch  d.  techn. 
Chem.  (Berlin  1893),  S.  347  ff.  —  F.  Fischer,  Handbuch  d.  ehem.  Technologie  (Leipzig 
1893),  S.  851  ff. 

•  Vgl.  Cöthener  Chem.  Ztg.,  Repertorium  i892,  S.  86. 

•  Vgl.  Cöthener  Chem.  Ztg.,  Repertorium  1892,  S.  223. 


936  Bohrzucker-Industrie  (Besteuerung, 


schaftspolitischen  Discussionen.    Deutschland  hatte  bis  vor  wenigen  Jahren  eine  reine 
Materialsteuer,  d.  h.  es  erhob  die  Steuer  von  dem  Rnbenquantum,  das  zur  Ver- 
arbeitung gelangt;   durch  dieses  Steuerprincip  wurde  die  Industrie  veranlasst ,   ihre 
Ausbeute  aus  einem  bestimmten  Rübenquantum  einerseits  durch  Vervollkommnung 
der  Abscheidungsmethoden,    andererseits    durch   Züchtung    möglichst    zuckerreicher 
Rübensorten,   so  weit  es  irgend  möglich  war,  zu  erhöhen,    und  hat  in  beiden  Rich- 
tungen bedeutende  Erfolge  erzielt    Diese  Bemühungen  erhielten  noch  einen  grösseren 
Anreiz  durch  die  Gewährung  der  ,,Ausfuhrvergütungen*^     Da  nämlich  nur  der  im 
Zollgebiet  verbrauchte  Zucker  besteuert  werden  sollte,  so  wurde  bei  dem  Export  die 
Steuer  zurückgezahlt  und  zwar  nach  Massgabe  einer  gesetzlich  normirten  Annahme 
über  die  durchschnittliche  Zuckerausbeute  aus  den  Rüben.    Aber  dieser  angenommene 
Ausbeutebetrag  (1  :  11*25  in  den  Jahren  1869—1886,  später  1 :  10*15)  blieb  natOrlich 
infolge  jener  Bemühungen  der  Zuckerfabriken  hinter  dem  wirklichen  mittleren  Aus- 
beutebetrag  (1:10*5   im   Betriebsjahre  1882/83,    1:8«09   im   Betriebsjahre  1889/90) 
immer  mehr  zurück;   der  Staat  zahlte  daher  den  Zuckerfabriken  —  namentlich  den 
besser   situirten  —  erheblich   mehr   an  Vergütung  bei  der  Ausfahr  zurück,    als   sie 
selbst  an  Steuer  bei  der  Fabrikation  des  exportirten  Zuckerquantums  entrichtet  hatten; 
er  gewährte  ihnen   eine   „Exportprämie'^    Diese  Verhältnisse   waren   zwar    für    die 
Entwickelung   der   Industrie  überaus  günstig,   führten  aber,   als  der  Export  immer 
grösser  wurde,  zum  Verfall  der  Zuckersteuer;  während  der  Reinertrag  der  letzteren 
1873/74  noch  60*6  Millionen  Mark  betrug,  war  er  1887/88  auf  6*6  Millionen  zoräck- 
gegangen.     Nach    langen    parlamentarischen   Kämpfen    hat   sich   Deutschland    1888 
endlich  zu  einer  Aenderung  des  Steuersystems  entschlossen;  es  soll  fortan  nicht  mehr 
die  Rübe  besteuert,  sondern  der  im  Inland  zum  Consum  gelangende  Zucker  mit  einer 
Verbrauchsabgabe   belegt   werden.    Im   Interesse   der  Zuckerindustrie   ist   diese 
Aenderung  der  Steuerverhältnisse   indessen   nicht   mit  einem  Schlage   durchgeführt, 
sondern  etappenweise.    In  der  Uebergangsperiode ,  in  welcher  eine  „gemischte"   Be- 
steuerung —  Materialsteuer  und  Verbrauchsabgabe  —  herrschte,  wurde  zimfichst  der 
Steuersatz  für  Rüben  und  die  Ezportvergütung  herabgesetzt,  die  Verbrauchsahgabe 
schrittweise  erhöht.    Vom  1.  August  1892  ab  kam  die  Materialsteuer  ganz  in  Fort&U; 
die  Verbrauchsabgabe  beträgt  jetzt  18  Mark  auf  100  Kilo;  den  Zuckerfabriken  wird 
noch  eine   massige   „offene^^  Exportprämie  gewährt,  welche  1895   eine  weitere  Ver- 
minderung erfahren,  1897  ganz  aufgehoben  werden  soll. 

Was  die  Einzelheiten  des  Verfahrens  der  Zuckerabscheidung  betrifft, 
so  sei  hier  nur  die  Gewinnung  aus  der  Zuckerrübe  als  für  unsere  Ver- 
hältnisse besonders  wichtig  etwas  eingehender  beschrieben,  die  sehr 
ähnliche  Fabrikation  aus  Zuckerrohr  aber  übergangen.  Die  Bübenzacker- 
fabrikation  ist  bei  uns  ein  wichtiges  landwirthschaftliches  Gewerbe; 
die  Landwirthe  sind  häufig  Societäre  der  Zuckerfabriken,  liefern  ihnen 
die  Rüben  und  benutzen  wieder  die  Abfallprodukte  —  Bübenschnitzel 
und  Scheideschlamm  (vgl.  S.  939)  —  als  Viehfutter  bezw.  Düngemittel  in 
ihrem  Betriebe.  Da  die  Rüben  beim  Lagern  an  Zucker  verlieren,  so  suchen 
die  Fabriken  in  einer  möglichst  kurzen  Arbeitszeit  ihr  Bübenqoajitam 
aufzuarbeiten;  ihl-e  „Campagne"  beginnt  unmittelbar  nach  der  Ernte  — 
Ende  September  —  und  dauert  nur  2 — 4  Monate.  Der  Betrieb  zeri&llt 
in  die  drei  Theile:  Safkgewinnung,  Saftreinigung  und  Saftconcentration. 

Zum  Zwecke  der  „Saftgewinnung"  werden  die  vorher  gewaschenen 
Eüben  zunächst  in  Schnitzel  zertheilt,  welche  zweckmässig  1 — P/j  mm 
dick   und    4 — 6  mm  breit   sind;    aus   diesen  Schnitzeln  wird  nun    durch 


Saftgewinnung y  Saflreinigung),  937 

DiflPasion  —  d.  h.  durch  methodisches  Auslaugen  mit  warmem  Wasser 
bezw.  noch  nicht  gesättigter-  Zuckerlösung  —  der  Zucker  ausgezogen. 
Die  concentrirte  Zuckerlösung  der  Zellen  giebt  durch  Diffusion  an  das 
umgebende  Wasser  bezw.  die  verdünntere  Zuckerlösung  Zucker  ab  und 
nimmt  andererseits  Wasser  von  aussen  auf.  Die  Operation  geschieht  in 
eisernen  Cylindem  („Diffuseure"),  von  denen  eine  grössere  Zahl  (10 — 
12)  zu  einer  Batterie  vereinigt  ist;  durch  geeignete  Bohrverbindungen 
ist  dafür  gesorgt,  dass  die  Flüssigkeit  durch  das  ganze  System  circuliren 
und  an  jedem  einzelnen  Diffuseur  je  nach  Wunsch  ihren  Kreislauf  be- 
ginnen bezw.  endigen  kann.  Man  arbeitet  nun  so,  dass  das  frische 
Wasser  zunächst  mit  schon  fast  zuckerfreien  Schnitzeln  zusammengebracht 
wird,  um  letztere  möglichst  vollständig  zu  entzückern,  worauf  die  so  ent- 
standene —  einstweilen  noch  schwache  —  Zuckerlösung  durch  Diffuseure 
mit  immer  zuckerreicheren  Schnitzeln  und  endlich  im  letzten  Diffuseur 
schon  reich  an  Zucker  über  ganz  frische  Schnitzel  passirt;  hier  reichert 
sie  sich,  so  weit  möglich ,  an  und  gelangt  darauf  zur  weiteren  Ver- 
arbeitung;- die  Temperatur  der  Zuckerlösung  wird  allmählich  bis  90^ 
gesteigert,  in  den  letzten  Diffuseur en  wieder  etwas  herabgesetzt.  So 
gelingt  es,  einen  Saft  zu  gewinnen,  der  fast  die  gleiche  Goncentration  wie 
der  Zellsaft  (12 — 15%  Zucker)  besitzt,  und  andererseits  den  Zucker  fast 
vollständig  (bis  etwa  ^4  7o)  auszuziehen.  Die  entzuckerten  Schnitzel 
werden  ausgepresst  und  als  Viehfiitter  benutzt,  neuerdings  auch  durch 
sofortiges  Trocknen^  unveränderlich  haltbar  gemacht. 

Die  „Saftreinigung''  wird  durch  „Scheiden"  mit  Kalk  und  „Sa- 
turiren"  mit  Kohlensäure  bezw.  schwefliger  Säure  ausgeführt.  Wenn  man 
den  Zuckersaft  mit  Kalk  in  der  Wärme  behandelt,  so  werden  die  freien 
Säuren  gebunden,  welche  beim  nachherigen  Eindampfen  den  Bohrzucker 
invertiren  könnten;  es  werden  femer  Phosphorsäure  und  manche  orga- 
nische Säuren  wie  Oxalsäure,  Citronensäure  vollständig  oder  theil weise 
in  Form  unlöslicher  Calciumsalze  abgeschieden,  Eiweisskörper  und  Amido- 
säuren  werden  zum  Theil  gefällt  und  zersetzt,  Farbstoffe  ausgefällt; 
gleichzeitig  geht  aber  auch  Kalk  (als  lösliches  Saccharat?,  vgl.  S.  918) 
in  Lösung,  und  auch  der  dadurch  etwa  gebundene  Zucker  muss  nun 
wieder  durch  Kohlensäure  in  Freiheit  gesetzt  werden.  Kalk  und  Kohlen- 
säure erzeugen  die  Zuckerfabriken  selbst  durch  Glühen  von  Kalk- 
stein in  Kalköfen.  Die  Operation  der  Saftreinigung  geschieht  in  den 
„Scheidepfannen"  —  meist  rechteckigen,  eisernen  Kästen,  die  mit 
einer  Dampfschlange  und  einem  Zuführungsrohr  für  Kohlensäure  ver- 
sehen sind;  nachdem  der  vorgewärmte  Zuckersaft  eingelassen  ist,  wird 
Kalkmilch,  Aetzkalk  oder  staubförmiger  Aetzkalk  zugegeben,  Kohlen- 
säure eingeleitet,  und  auf  70 — 80^  erhitzt.  Man  wendet  jetzt  fast  allge- 
mein eine  erhebliche  Kalkmenge  an  —  2 — 3^/^  vom  Gewicht  der  Rüben — , 
die   fast  hinreichen   würde,   um  allen  Zucker  in  Monocalciumsaccharat 


^  Vgl.  M.  Müller  u.  Ohlmeb,  Ztschr.  f.  angew.  Chem.  1893,  142. 


938  Bolivucker-Indttstrie  (Saflconcentration, 


überzuführen;  man  saturirt  zunächst  nicht  vollständig;  sondern  nur  bis 
auf  etwa  0-12^/^j  Alkalität  des  Saftes  (auf  Ealk  berechnet)  und  filtrirt 
dann  durch  Filterpressen.  Der  filtrirte  Saft  wird  nun  wieder  in  den 
Scheidepfannen  mit  V^Vo  ^^^^  —  j^^zt  in  der  Siedehitze  —  behandelt 
und  mit  Kohlensäure  auf  0*04^/^  Alkalität  saturirt,  darauf  filtrirt  und 
jetzt  meistens  endlich  zuletzt  mit  schwefliger  Säure  auf  0-02  ^/^  Alkalität 
saturirt;  nach  abermaliger  Filtration  kommt  er  nun  zum  Verdampfen. 
Die  schweflige  Säure,  welche  in  den  Zuckerfabriken  entweder  durch  Ver- 
brennen von  Schwefel  erzeugt  oder  in  flüssigem  Zustand  bezogen  wird, 
fällt  den  Ealk  als  schwer  lösliches  Calciumsulfit  aus  und  wirkt  ausser- 
dem entfärbend;  da  sie,  im  Ueberschuss  angewandt,  den  Rohrzucker 
invertirt,  so  ist  sie  mit  grosser  Vorsicht  zu  handhaben,  namentlich  ist 
zu  beachten,  das  Bisulfite  auf  Lackmus  noch  alkalisch  reagiren.  Die 
früher  allgemein  übliche  Filtration  des  Saftes  über  Knochenkohle  hat 
sich  als  durchaus  entbehrlich  erwiesen  und  ist  in  den  letzten  Jahren 
wohl  überall  aufgegeben  worden.  Der  bei  den  obigen  Operationen  ab- 
fallende „Scheideschlamm"  wird  mit  Wasser  ausgesüsst  —  freilich  nicht 
ganz  vollständig,  um  das  Volum  des  zu  verdampfenden  Saftes  nicht  gar  zu 
sehr  zu  vergrössem,  —  und  als  Dünger  verwendet,  wofür  er  wegen 
seines  Kalk-,  Phosphorsäure-  und  Stickstoffgehalts  besonders  geeignet  ist. 

Die  „Saftconcentration"  wird,  um  Zersetzung  des  Zuckers  zn 
verhüten,  stets  im  luftverdünnten  Baume  in  Verdampfapparaten  mittelst 
schwach  gespannten  Dampfes  vorgenommen,  und  zwar  in  zwei  Stadien. 
Man  verdampft  die  von  der  Saturation  kommende,  ziemlich  verdünnte 
Zuckerlösung  —  den  „Dünnsaft"  —  zunächst  auf  eine  sehr  concentrirte, 
aber  noch  nicht  krystallisirende  Lösung  —  den  „Dicksaft".  Der  Dick- 
saft wird  dann,  da  die  Alkalität  (vgl.  oben)  durch  die  Concentration  zu- 
genommen hat,  nochmals  saturirt  —  mit  Kohlensäure  oder  schwefliger 
Säure  — ,  filtrirt  und  nun  in  anderen  Vacuum -Verdampfapparaten  „auf 
Korn  verkocht",  d.  h.  unter  öfterem  Nachziehen  von  Dicksaft  so  weit  con- 
centrirt,  dass  schon  während  des  Kochens  im  Vacuum  reichliche  E^rystall- 
bildung  in  Form  nicht  zu  feiner  und  möglichst  scharfer  Körner  erfolgt. 
Das  hierbei  resultirende  Gemisch  von  krystallisirtem  Zucker  und  Zucker- 
syrup  wird  die  „Füllmasse"  genannt.  Sie  wird  in  eiserne  Kästen  abge- 
lassen, bleibt  bis  zur  Beendigung  der  Krystallisation  24  Stunden  stehen  und 
wird  dann  auf  Centrifugen  abgeschleudert,  wobei  einerseits  der  Rohzucker, 
andererseits  Zuckersyrup  erhalten  wird.  Der  Syrup  wird  dann  im  Vacuum 
weiter  eingeengt  und  liefert  das  Produkt  11  und  eventuell  weitere  „Nach- 
produkte", endlich  die  nicht  mehr  krystallisirende  Melasse  (vgl.  S.  939). 
Neuerdings  wird  die  Füllmasse  auch  in  sogenannten  Kühlmaischen  sofort 
abgekühlt  und  dann  centrifugirt,  oder  unter  Wiedereinwurf  der  Nach- 
produkte der  sogenannten  Krystallisation  in  Bewegung  unterworfen: 
man  erhält  so  nur  ein  einziges,  einheitliches  Verkaufeprodukt 

Der  „Rohzucker"  der  Zuckerfabriken  enthält  etwa  94 — 977©  Zucker 
und  ist  zum  Verbrauch  noch  nicht  rein  genug.     Seine  Verarbeitung  auf 


Rafßnerie,  Verwertkung  der  Melasse).  939 


„Verbrauchszucker"  geschieht  in  der  Eegel  nicht  in  den  Zuckerfabriken, 
sondern  in  besonderen  „Zuckerraffinerien".  Hier  wird  er  zunächst 
mit  Zuckersyrup  angerührt  und  nochmals  abgeschleudert,  oder  einer 
systematischen  Auswaschung  mit  Syrupen  von  steigender  Reinheit  unter- 
worfen; man  löst  ihn  darauf  in  Wasser  und  filtrirt  die  Lösung  nach 
etwaiger  Behandlung  mit  chemischen  Reinigungsmitteln  über  Knochenkohle, 
welch'  letztere,  wenn  sie  unwirksam  geworden  ist,  durch  Behandlung  mit 
Salzsäure  und  Glühen  „wiederbelebt"  wird.  Der  filtrirte  Saft  wird 
wieder  im  Vacuum  —  meistens  unter  Zusatz  von  einer  Spur  Ultramarin 
zur  Verdeckung  der  gelblichen  Färbung  —  auf  Füllmasse  eingekocht; 
die  Füllmasse  wird  dann  durch  verschiedenartige  mechanische  Behand- 
lung auf  die  einzelnen  Verkaufsiformen  —  Hutzucker,  Würfelzucker, 
PiW,  Kandiszucker  etc.  —  verarbeitet.  Als  „Saftmelis"  wird  ein  ge- 
ringerer Verbrauchszucker  bezeichnet,  der  zuweilen  in  den  Zuckerfabriken 
direct  aus  dem  Rübensafte  gewonnen  wird.  Der  raffinirte  Zucker  des 
Handels  („Raffinade")  ist  sehr  rein;  er  enthält  99-9*^/^  Rohrzucker 
und  mehr. 

Sowohl  bei  der  Verarbeitung  des  Dicksafts  auf  Korn  in  den  Zucker- 
fabriken, wie  bei  den  Krystallisationsprocessen  der  Zuckerraffinerien 
bleibt  schliesslich  ein  dicker,  schwarzbrauner  Syrup  zurück,  welcher 
noch  etwa  50^0  Zucker  enthält,  aber  trotzdem  nicht  mehr  durch  Ein- 
kochen auf  Zucker  verarbeitet  werden  kann,  weil  die  begleitenden  Stoffe 
—  organische  Nichtzuckeratoffe  und  anorganische  Salze  —  die  Kry- 
stallisation  des  Zuckers  verhindern.  In  dieser  „Melasse"  die  man  als 
eine  gesättigte  Lösung  von  Zucker  in  einer  Nichtzuckerlösung  zu  be- 
trachten hat,  steckt  ungefähr  ^/g  des  Gesammtzuckers  der  Rübe;  im 
Laufe  der  letzten  20  Jahre  etwa  —  in  jener  Periode,  in  welcher  die 
Steuerverhältnisse  dazu  anreizten,  die  Zuckerproduction  bis  auf  den 
höchstmöglichen  Betrag  zu  heben,  —  wurde  in  Deutschland  auch  die 
Melasse  grösstentheils  durch  besondere  „Entzuckerungsmethoden" 
(vgl.  unten)  theils  in  den  Fabriken  und  Raffinerien  selbst,  theils  in 
eigenen  Melasseentzuckerungsanstalten  auf  Zucker  verarbeitet.  Ob  alle 
diese  Verfahren  sich  auch  weiterhin  unter  dem  neuen  Stenergesetz  als 
rentabel  erweisen  werden,  muss  als  zweifelhaft  bezeichnet  werden;  viel- 
leicht wird  man  wieder  allgemeiner  dazu  übergehen,  die  Melasse  durch 
Vergährung  auf  Alkohol  zu  verarbeiten  (vgl.  S.  178);  in  der  That  hat 
schon  im  letzten  Jahre  die  Spritgevrinnung  aus  Melasse  gegen  die  Vor- 
jahre, in  denen  sie  auf  sehr  geringe  Beträge  gesunken  war,  wieder  er- 
heblich zugenommen. 

Unter  deDveiBchiedenenMelasseentzuckerungemethoden  ist  die  „Osmose" 
die  älteste:  vermittelst  Diffusion  der  Melasse  gegen  Wasser  durch  Pergamentpapier 
wird  ein  Tbeil  der  die  Losung  des  Zuckers  vermittelnden,  leicht  diffusiblen  Salze 
entfernt,  sodass  aus  der  zurückbleibenden  Melasse  nun  wieder  ein  Theil  des  Zuckers 
nach  dem  Eindampfen  im  Yacuum  krystallisirt.  Bei  anderen  Verfahren  wird  der 
Zucker  zunSchst  als  Calciumsaccharat  abgeschieden  und  daraus  wieder  gewonnen 
(Elntions verfahren  von  Scheibler,  Ausscheidungs verfahren  von  Stbffek).  Die 


940  Teo^mik  der  Stärke. 


vollkommenste  Methode  ist  das  Strontianver fahren,  bei  welchem  der  Zucker  zu- 
nächst durch  Kochen  der  etwas  verdünnten  Melasse  mit  überschüssigem  Strontium- 
hydroxyd als  Bistrontiumsaccharat  Ci^HssOti,  2SrO  ausgeföUt  wird;  dieses  Saccharat  ist 
obgleich  in  heissem  Wasser  löslich,  in  heisser  Strontianlösung  feist  unlöslich  und  kann 
daher  mit  letzterer  ausgewaschen  werden ;  es  wird  dann  mit  kaltem  Wasser  (unterhalb 
15^)  zusammengebracht  und  zerfHUt  dabei  in  Zucker  und  Strontianhydrat;  von  den 
abgeschiedenen  Strontiankrystallen  wird  die  Lösung  getrennt,  der  Best  des  Strontians 
aus  der  Lösung  durch  Kohlensäure  gefällt,  die  strontianfreie  Zuckerlösung  im  Va- 
cuum  eingedampft.  Der  wiedergewonnene  Strontian  wird  natürlich  immer  wieder 
benutzt,  das  Strontiumcarbonat  durch  Glühen  und  Löschen  in  Strontian  verwandelt: 
man  verliert  auf  100  Th.  Melasse  etwa  4 — 4V9  Th.  Strontianit  —  Auch  als  Barium- 
saccharat  lässt  sich  der  Zucker  abscheiden;  theils  wegen  der  Giftigkeit,  theils  wegen 
der  höchst  schwierigen  Segenerirung  der  Bariumverbindungen  hat  dieses  Verfahren 
aber  nur  wenig  Anwendung  gefunden. 

Unter  den  nicht  zuckeräJinlichen  Polysacchariden  sind  Stärke  und 
Cellulose  für  die  Technik  wichtig. 

StSrke^  wird  in  grosser  Menge  aus  Kartoflfeln,  Weizen,  Eeis, 
Mais  und  einigen  tropischen  Pflanzen  abgeschieden.  Für  Deutschland- 
ist der  billigste  Bohstoff  die  Kartoffel;  die  Gewinnung  der  Starke  dar- 
aus ist  eine  einfache,  nur  mechanische  Operation.  Die  Kartoffeln 
werden  gewaschen,  dann  zerrieben;  der  Kartoffelbrei  gelangt  dann  auf 
eine  Reihe  von  terrassenförmig  aufgestellten  Büttelsieben  (oder  ähnUche 
Apparate),  auf  welchen  er  mit  Wasser  angespritzt  wird,  um  die  Starke 
aus  den  geöffneten  Zellen  herauszuwaschen;  die  Zelltrümmer  und 
„Schwarten**  bleiben  auf  dem  Sieb  zurtlck  und  werden  als  Viehftitter 
(„Pulpe")  verwendet.  Die  feinen  Stärkekömer  gehen  mit  Wasser  als 
Stärkemilch  durch  die  Maschen  des  Siebes ;  nach  gehörigem  Auswaschen 
wird  dann  die  Stärke  langsam  getrocknet.  —  Weizen  ist  zwar  viel 
reicher  an  Stärke  als  Kartoffeln;  aber  die  Abscheidung  der  Starke  ist 
hier  schwieriger,  weil  die  Stärkekömer  mit  stickstoffhaltigen  Substanzen 
—  Ei  Weissstoffen,  Kleber  —  innig  verwachsen  sind;  man  überlässt  in 
der  Begel  den  Brei,  der  durch  Zerquetschen  der  eingeweichten  Weizen- 
körner erhalten  wird,  einer  Gährung  („Sauerverfahren"),  durch  welche 
der  Kleber  gelöst  wird,  während  die  Stärke  kaum  angegriffen  wird;  die 
Stärke  wird  dann  ausgewaschen  und  getrocknet.  —  Beis*  ist  am  reichsten 
an  Stärke,  aber  am  schwierigsten  zu  verarbeiten';  man  löst  die  Stoffe, 
welche  die  Stärkekörner  des  Beis  fest  mit  einander  verkitten,  durch 
Behandlung  mit  schwacher  Natronlauge.  —  Arrow-root  ist  einein  den 
Tropenländern  aus  Maranta-Arten  gewonnene  Stärke.  —  Sago  wird  aus 
dem  Mark  der  Sagopalme,  jetzt  aber  auch  vielfach  aus  Kartoffelstärke 
hergestellt,   indem   man   die   gekörnte   feuchte   Stärke   auf  eine   heisse 


'  Vgl.  Ost,  Lehrb.  d.  techn.  Chem.  (Berlin,  1893),  S.  393  ff.  —  F.  Fibceeb, 
Handb.  d.  chem.  Technologie  (Leipzig,  1893),  S.  836  ff.  —  Saare,  Jahresbericht  d. 
chem.  Technologie  1891,  S.  8X8  ff. 

•  Vgl.  Beroeb,  Cöthener  Chem.  Ztg.  1890,  1440,  1557,  1571. 


StärkexiAcker,  Dextrin.  941 


Metallplatte  fallen  lässt,  wodurch  sie  theilweise  verkleistei-t,  theilweise 
auch  in  Dextrin  verwandelt  wird. 

Stärke  wird  in  möglichst  fein  vertheiltem  Zustand  als  Puder  ver- 
wendet, in  Form  von  Kleister  als  -Klebemittel  bei  Tapezier-  und  Buch- 
binderarbeiten und  als  Verdickungsmittel  beim  Zeugdruck.  Sie  dient 
femer  bekanntlich  zum  Steifen  der  Wäsche;  ihre  Wirkung  beruht  dar- 
auf, dass  die  zunächst  als  Kleister  aufgetragene  Stärke  durch  das  heisse 
Bügeleisen  in  einen  steifen  glänzenden  Ueberzug  von  Dextrin  verwan- 
delt wird. 

Die  Bedeutung  der  Stflrke  als  Nahrungsmittel,  die  Brotbäckerei  etc.  wird  in 
dem  Kapitel  ,,Nahrungs-  und  Genussmittel  (Band  11)^'  besprochen  werden. 

Stärke  ist  femer  das  Ausgangsmaterial  für  die  Gewinnung  von  Stärke- 
zucker und  Dextrin. 

StSrkezueker  ((i-61ucose  als  wesentlichen  Bestandtheil  enthaltend) 
wird  durch  Kochen  von  Kartoffelstärke  oder  Maisstärke  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  hergestellt;  nach  der  Verzuckerung  wird  die  Schwefelsäure 
durch  Zusatz  von  Schlämmkreide  als  Gyps  fortgeschafft,  die  filtrirte 
Zuckerlösung  im  Vacuum  so  weit  verdampft,  dass  die  ganze  Masse  beim 
EIrkalten  zu  einem  harten,  fein  krystallinischen  Kuchen  erstarrt.  Eine 
weitere,  technisch  ausfuhrbare  Beinigung  dieser  Masse  durch  Abschleu- 
dern oder  Krystallisation  ist  bisher  nicht  gelungen;  durch  Verzuckern 
in  verdünnterer  Lösung  lässt  sich  zwar  sehr  reiner  Traubenzucker 
herstellen,  den  man  im  Vacuum  auf  Krystall  verkochen  kann,  doch  hat 
sich  diese  Fabrikation  nicht  als  rentabel  erwiesen.  Der  technische 
Stärkezucker  ist  daher  ein  recht  unreines  Produkt;  er  enthält  neben 
Traubenzucker  noch  Maltose,  Isomaltose  ^  und  Dextrine.  Da  er  viel  billiger 
als  Rohrzucker  ist,  wird  er  vielfach  —  in  fester  Form  oder  als  Syrup  — 
als  Süssmittel  für  Konditoreiwaaren  etc.,  als  Ersatzmittel  für  Honig  und 
für  äJinliche  Zwecke  verwendet.  Grosse  Mengen  wurden  früher  beim 
.jGallisiren"  des  Weines  als  Zusatz  zu  dem  mit  Wasser  verdünnten 
Most  verbraucht;  seitdem  man  weiss,  dass  derart  hergestellter  Wein  in- 
folge der  unvollständigen  Vergährung  der  Verunreinigungen  des  Stärke- 
zuckers stark  rechtsdrehende  und  daher  sehr  leicht  nachweisbare  Be- 
standteile enthält,  hat  man  sich  wohl  allgemein  entschlossen,  hier  statt 
Starkezucker  den  freilich  kostspieligeren,  aber  reinen  und  vollständigen 
vergährbaren  Bohrzucker  anzuwenden ,  gegen  dessen  Benutzung  vom 
sanitären  Standpunkt  aus  wenigstens  kaum  Bedenken  vorliegen.  — 
Durch  Erhitzen  von  Stärkezucker  —  zuweilen  unter  Zusatz  von  Soda  — 
stell  man  die  Zuckercouleur  dar,  die  zum  Färben  von  Liqueuren  und 
Bier  gebraucht  wird. 

In  unbedeutender  Menge  wird  auch  Maltose  technisch  durch  Verzuckerung  der 
Stärke  mittels  Malzauazug  bereitet. 

Technisches  Dextrin  (Stärkegummi)  wird  theils  durch  Erhitzen 
von  Stärke  für  sich  auf  220—250®  (Röstgummi),  theils  durch  kurzes 


^  Sgheibleb  u.  MrrrSLMEiEB,  Ber.  24^  301  (1891). 


942  Technik  der  Gdlulose  (Oespinnstfasern, 


Erhitzen  mit  verdünnter  Salzsäure  oder  Salpetersäure  (Säuredextrin) 
dargestellt;  es  dient  als  wohlfeiler  Ersatz  der  natürlichen  Gummiarten. 
beim  Zeugdruck  als  Verdickungsmittel,  als  Klebemittel  für  Brief- 
marken etc. 


Die  Cellnlose  hat  in  technologischer  Beziehung  zunächst  als  wesent- 
licher Bestandtheil  der  pflanzlichen  Oespinnstfasern^,  wie  Flachs, 
Hanf  etc.,  eine  grosse  Bedeutung.  Um  die  Bastfasern  des  Flachses 
möglichst  rein  und  unversehrt  von  einander  und  von  der  Binde  und  dem 
Kern,  zwischen  welche  sie  in  der  Leinpflanze  gelagert  sind,  zu  trennen, 
werden  die  Flachsstengel  zunächst  unter  Wasser  gelegt  oder,  auf  Feldern 
gelagert,  häufig  mit  Wasser  begossen.  Bei  diesem  mit  der  Entwickelung 
sehr  unangenehmer  Gerüche  verbundenen  und  daher  sehr  belästigenden, 
sogenannten  „Röstprocess**  tritt  eine  Fäulniss  ein,  durch  welche  die 
Stoflfe,  welche  die  Bastfasern  verkitten,  zerstört,  die  Fasern  selbst  aber  nicht 
angegriffen  werden.  Nach  beendigter  Röstung  können  nun  die  Bast- 
fasern von  den  mürbe  gewordenen,  anhängenden  Theilen  durch  ge- 
eignete mechanische  Operationen  —  Klopfen,  Brechen,  Schwingen, 
Hecheln  —  getrennt  und  spinnfähig  gemacht  werden.  —  In  ähnlicher 
Weise  wird  der  Hanf  zubereitet.  —  Baumwolle  ist  die  Samenwolle 
der  Früchte  von  Gossypiumarten ,  welche  namentlich  in  Ostindien  und 
in  den  Südstaaten  Nordamerikas  angebaut  werden;  an  den  Orten,  wo 
die  Baumwolle  geerntet  wird,  wird  sie  gleich  ,,egrenirt",  d.  h.  von  den 
Samenkörnern,  an  denen  die  Baum  wollhaare  festsitzen,  befreit;  die 
Samen  dienen  als  Viehfutter,  Düngemittel  und  zur  Bereitung  des  Baum- 
wollsamenöls. 

Bevor  die  Gespinnstfasem  bezw.  die  daraus  gefertigten  Gewebe  zur  Verwendung 
in  weissem  Zustande  gelangen  oder  einem  Färbeprocess  unterworfen  werden,  mossen 
sie  bekanntlich  gebleicht  werden'.  Das  „Bleichen"  beruht  darauf,  dass  die  Stoffe, 
welche  die  Faser  verunreinigen,  von  chemischen  Agentien  leichter  verändert  oder  zer- 
stört werden,  als  die  sehr  widerstandsfähige  Cellulose.  Man  benutzte  fräher  stets  die 
„Rasenbleiche",  bei  welcher  wohl  hauptsächlich  Wasserstoffsuperoxyd  als  wirk- 
sames Agens  auftritt.  Heute  werden  die  Gewebe  aufl  Pflanzenfasern,  nachdem  man 
sie  zur  Entfernung  der  während  des  Spinnens  oder  Webens  aufgenommenen  Ver- 
unreinigungen —  Fett,  Schmutz,  Schweiss,  Weberschlichte  —  mit  verdünnten  Alka- 
lien und  Säuren  behandelt  hat,  stets  schliesslich  mit  verdünnter  ChlorkalkldsBD^ 
gebleicht.  Die  Textilindustrie  verbraucht  daher  ausserordentlich  grosse  Mengen  von 
Chlorkalk,  und  letzterer  ist  dadurch  eines  der  wichtigsten  Produkte  der  anorganisch- 
chemischen  Grossindustrie  geworden. 

Bei  der  Zubereitung  der  Gespinnstfasern  sucht  man  die  Cellulose- 

fasem  möglichst  intact  zu  erhalten;  bei  der  Papierfabrikation  handelt 

es  sich  umgekehrt  darum,  zunächst  das  Cellulosematerial  so  weit  zu  zer- 


*  Eine    ausführliche    Schilderung   der   Pflanzenfasern   vgL    in    Otto    N.  Witts 
chemischer  Technologie  der  Gespinnstfasern,  S.  108—165  (Braunschweig,  1888). 

*  Näheres  über  den  Bleichprocess  vgl.  in  Hummel-Kkecht's  Färberei  u.  Bleicherei 
der  Gespinnslfaser,  S.  51  fl^.  (Berlin,  1891). 


Papier fabrikation),  943 


kleinem,  dass  man  es  mit  Wasser  zu  einem  dünnen  Brei  („GanzstoflF") 
anrühren  kann,  der  dann,  in  dünne  Schichten  gleichmässig  ausgebreitet 
und  darauf  entwässert,  einen  dünnen  Filz  von  Cellulose  —  das  Papier- 
blatt —  hinterlässt.  Bis  etwa  zur  Mitte  unseres  Jahrhunderts  waren, 
nachdem  das  schon  den  Arabern  bekannte  Baumwollpapier  wieder  in 
Vergessenheit  gerathen  war,  die  Lumpen  und  Hadern,  welche  bei  der 
Verarbeitung  und  bei  dem  Verfall  der  Gewebe  abfallen,  —  namentlich 
die  leinenen  Lumpen  —  der  ausschliessliche  Rohstoff  der  Papierfabriken. 
Seitdem  aber  durch  die  Entwickelung  des  Zeitungswesens  der  Papier- 
bedarf in  enormer  Weise  gestiegen  ist,  musste  man  andere  cellulosehaltige 
Materialien  heranziehen  und  benutzt  jetzt  in  grösstem  Massstab  Holz  zur. 
Erzeugung  von  Zellstoff  für  die  Papierfabrikation.  Durch  ein- 
fache mechanische  Zerkleinerung  von  Holz  erhält  man  den  ligninhaltigen, 
sogenannten  „Holzschliff",  der  nur  für  die  Herstellung  geringerer 
Papiersorten  verwendbar  ist.  Für  feinere  Papiere  muss  man  die  Cellu- 
lose möglichst  von  dem  Lignin  und  den  sonstigen  incrustirenden  Sub- 
stanzen befreien  und  daher  eine  chemische  Trennung  ausfuhren.  Man 
kann  dieselbe  durch  Erhitzen  mit  Natronlauge  oder  mit  Galciumbisulfit- 
lösung  unter  Druck  bewirken.  Namentlich  das  Sulfitverfahren,  welches 
1866  von  TiLGHMAN  patentirt,  hauptsächlich  aber  von  Mitscheelich  aus- 
gebildet und  in  die  Praxis  eingeführt  wurde,  in  Bezug  auf  die  Art  seiner 
Wirksamkeit  übrigens  noch  wenig  aufgeklärt  ist,  wird  seit  15 — 20  Jahren 
in  grossem  umfang  ausgeübt.  Im  Jahre  1891  wurden  in  Deutschland 
150  000  Tonnen  Holzzellstoff  erzeugt,  welche  einen  Werth  von  etwa 
32  Millionen  Mark  repräsentiren,  davon  etwa  137  500  Tonnen  nach  dem 
Sulfitverfahren ^  Man  verwendet  als  Rohstoff  meist  Nadelholz,  selten 
Laubholz,  ferner  Stroh  und  Espartogras;  das  zuvor  von  der  Binde  be- 
freite Holz  wird  auf  Haselnussgrösse  zerkleinert  und  nun  entweder  direct 
in  eisernen  Cylindern,  die  innen  mit  Bleiplatten  ausgeschlagen  sind,  mit 
Calciumbisulfitlösung  18  Stunden  durch  Dampf  auf  4 — 5  Atmosphären 
erhitzt  (BiXTsn-KELLNEB'sches  Verfahren)  oder  zunächst  mit  Dampf 
bezw.  heissem  Wasser  extrahirt  und  darauf  mit  der  Calciumbisulfitlösung 
28 — 36  St.  in  den  geschlossenen  Kesseln  auf  ca.  120°  erhitzt  (Mitscher- 
uch's  Verfahren)^.  Nach  dieser  Behandlung  zerfällt  die  zurückbleibende 
Cellulose  leicht,  wird  in  den  sogenannten  „Holländern"  zu  Brei  zerrissen, 
darauf  gründlich  ausgewaschen  und  durch  mechanische  Operationen  auf 
Papier  verarbeitet.  Das  bei  anderen  Verfahren  nothwendige  Bleichen 
des  Papierbreis  mit  Chlorkalk  kann  hier  in  der  Regel  unterbleiben,  da 
die  Sttlfitlauge  selbst  schon  bleichend  wirkt. 

Die  Cellulose  erlangt  endlich  weitere   praktische  Bedeutung  durch 
die  Verwendung  ihrer  S.  933  erwähnten  Salpetersäureester. 

*  Vgl.  Wichelhaus,  wirthschaftl.  Bedeutung  chemischer  Arbeit  (Braunschweig, 
1893),  8.  25. 

*  Ueber  die  Substanzen,    welche   sich   nach  dieser  Behandlung  in  der  ,.Holz- 
Sulfitflässigkeit^*  befinden,  vgl.  LiNDSEy  u.  Tollens,  Ann.  267,  341  (1891). 


944  Gollodium,  CeUiUcnd,  SchiessbaumwoUe. 


Die  niederen  Nitrirangsstufen  der  Gellulose  (Cellulose-dinitrat  bis 
-tetranitrat,  vgl.  S.  933)  sind  in  einem  Gemisch  von  Alkohol  und  Aether 
löslich.  Eüne  solche  Lösung  —  hergestellt  durch  Behandlung  von  Baum- 
wolle mit  Salpeterschwefelsäure  bestimmter  Goncentration,  Auswasdien 
der  so  entstandenen  ,,Collodiumwolle*'  und  Auflösen  derselben  in  Aether- 
Alkohol  —  wird  „Collodlum^^  genannt;  sie  hinterlässt  beim  Verdunsten 
die  Collodiumwolle  in  Gestalt  zusammenhängender  Häute  und  wird  be- 
kanntlich in  der  Chirurgie,  femer  in  der  Photographie  verwendet.  Eine 
Auflösung  von  schwach  nitrirter  Baumwolle  in  geschmolzenem  Kampher 
(zuweilen  auch  vermischt  mit  anderen  Substanzen)  ist  das  CelluloTd  — 
jene  vorzüglich  plastische,  aber  sehr  feuergefährliche  Masse,  welche  heute 
so  vielfach  zur  Imitation  von  Hom,  Hartgummi  etc.  benutzt  wird.  Die 
Verwendung  der  Collodiumwolle  in  der  Sprengstoffbechnik  als  Gelatininmgs- 
mittel  für  Nitroglycerin  ist  schon  S.  600 — 101  besprochen. 

Höher  nitrirte  Salpetersäureester  der  Cellulose  (Tetranitrat  bis  Hexa- 
nitrat)  sind  die  Bestandtheile  des  wichtigen,  unter  dem  Namen  ^^Sehless- 
banmwolle^^  bekannten  Sprengstoffs,  welcher  1846  von  Schönbkik  uod 
von  BöTTGER  entdeckt  wurde.    Zu  seiner  Herstellung  werden  Baumwoll- 
abfälle in  ein  Gemisch  aus  stärkster  Salpetersäure  und  stärkster  Schwefel- 
säure   getaucht,    einige    Minuten    darin    herumgezogen,    dann    wieder 
herausgenommen  und,  von  dem  Säuregemisch  durchtränkt,  längere  Zeit 
sich  selbst  überlassen;  hierauf  wird  die  nitrirte  Baumwolle  mit  Wasser 
gewaschen,  im  Holländer  zu  Brei  zerrissen,  nochmals  sehr  sorgfältig  ge- 
waschen, da  ungenügend  gewaschene  Schiessbaum  wolle  sich  allmählich 
von  selbst  —  zuweilen  unter  Explosion  —  zersetzt,   und  endlich  vor- 
sichtig getrocknet.     Lose  SchiessbaumwoUe  gleicht  in  ihrem  Aussehen 
durchaus  der  gewöhnlichen  Baumwolle,  fühlt  sich  aber  rauher  an,  ist  in 
Alkohol  und  Aether  nicht  löslich,  entzündet  sich  leicht  und  verbrennt 
äusserst  lebhaft  ohne  Explosion.     SchiessbaumwoUe  hat  zuerst  in  com- 
primirtem  Zustand  als  Sprengstoff  zur  FüUung  von  Torpedos  und  Gra- 
naten Bedeutung  erlangt;  obgleich  gegen  Stoss  und  Schlag  ziemUch  un- 
empfindlich, explodirt  die  zu  Prismen  oder  Cylindem  durch  hydrauUschen 
Druck  comprimirte  SchiessbaumwoUe  mit  grösster  Heftigkeit  durch  die 
Entzündung  von  Knallquecksilbersätzen.    Bei  der  Explosion  unter  Druck 
Uefert  sie  freien  Stickstoff,  Wasserstoff,  Wasserdampf,  Kohlenoxyd  und 
Kohlensäure  als  Zersetzungsprodukte;  es  entstehen  mithin  nur  gasformige 
Produkte,  die  SchiessbaumwoUe  explodirt  ohne  Entwickelung  von  Bauch 
und  ohne  Hinterlassung  eines  Rückstandes.     Ihrer  directen  Verwendung 
als  rauchfreies  Gewehrpulver  und   Geschützpulver  stand   indessen  ihre 
gar  zu  hohe  Brisanz  entgegen.    Neuerdings  ist  diese  Schwierigkeit  über- 
wunden; die  mächtige  Umwälzung  in  der  miUtärischen  Technik,  welche 
jüngst  durch  die  Einführung  des  rauchlosen  Pulvers  veranlasst  ist,  wurde 
dadurch  ermöglicht,  dass  man  Mittel  auffand,  die  Verbrennungsgeschwin- 
digkeit der  SchiessbaumwoUe  durch  geeignete  Behandlung  so  weit  herab- 
zusetzen, dass  sie  als  Gewehrpulver  benutzbar  wird.     Die  Einzelheiten 


Amidoaceialdehyd.  945 


der  Verfahren  zur  Herstellung  der  gegenwärtig  in  den  Armeen  einge- 
führten rauchlosen  Pulver  werden  natürlich  geheim  gehalten.  Das  Princip 
dieser  Verfahren^  aber  besteht  darin,  dass  fein  zertheilte  Schiessbaum- 
wolle  mit  Essigäther,  Aceton  oder  ähnlichen  Lösungsmitteln  ,,gelatinirt<< 
wird;  ohne  dass  eigentliche  Lösung  stattfindet,  quillt  die  Schiessbaum- 
wolle in  diesen  Flüssigkeiten  unter  Bildung  einer  homogenen,  gallert- 
artigen Masse  auf;  aus  der  gelatinirten  Masse  kann  nun  durch  Pressen 
oder  Verdunsten  das  Lösungsmittel  ganz  oder  theilweise  entfernt  werden ; 
aus  der  dann  zurückbleibenden  plastischen  Gelatine  wird  endlich  das 
Pulver  selbst  durch  Zerschneiden  in  dünne  Blättchen  oder  durch  Aus- 
stanzen zu  Eömern  hergestellt;  durch  verschiedenartige  Behandlung  bei 
der  Entfernung  des  Lösungsmittels  —  eventuell  noch  durch  Beigabe 
unwirksamer  verbrennKcher  Zusätze,  —  kann  man  die  Brisanz  reguliren 
und  die  Eigenschaften  des  Pulvers  je  nach  Wunsch  den  einzelnen  Waffen 
anpassen. 


Siebenunddreissigstes  Kapitel. 

Amidoderivate  der  Aldehyde  und  Eetone. 

Amidoderivate  der  aliphatischen  Aldehyde  und  Ketone  sind  nur  in 
äusserst  geringer  Zahl  bekannt.  Verbindungen,  welche  die  Amidogruppe 
und  Carbonylgruppe  benachbart  enthalten: 

-CO— C(NH>)- 

sind  in  freiem  Zustand  sehr  unbeständig^  und  condensiren  sich  leicht 
unter  gleichzeitiger  Oxydation  zu  complicirteren  Basen  mit  cyclischem 
stickstoffhaltigem  Kern  (Aldine,  vgl.  S.  850,  Näheres  in  Bd.  II). 

Die  einfachste  hierhergehörige  Verbindung  —  der  a-Amldoacet- 
aldehyd^  CHj(NH3)-CH0  —  ist  daher  erst  in  jüngster  Zeit  isolirt 
worden;  Derivate  derselben,  welche  durch  Modificirung  der  Aldehyd- 
bezw.  Amidgruppe  grössere  Beständigkeit  erlangen,  waren  schon  vorher 
bekannt.  So  ist  das  a-AmidoacetaH  CH3(NH2)-CH(0C2Hß)3  durch  Um- 
setzung von  Chloracetal  (S.  862)  mit  Ammoniak  erhalten;  es  stellt  ein 
farbloses  Oel  von  starkem  Amingeruch  dar,  siedet  bei  163^,  bildet  mit 
wenig  Wasser  eine  Emulsion,  ist  in  mehr  Wasser  löslich,  wird  aus  der 
Lösung  durch  festes  Alkali  wieder   abgeschieden  und  ist  mit  Wasser- 


*  Vgl.  Lbpsius,  Verhandlungen  d.  Gesellsch.  dtsch.  Naturforscher  u.  Aerzte  (64. 
Versammlg.  zu  Halle,  1891)  Th.  I,  8.  36.  —  TmEL,  Jahresbericht  d.  ehem.  Technologie 
1891,  S.  437. 

»  Vgl.  E.  Braun  u.  V.  Mbyee,  Ber.  21, 19  (1888).  —  E.  Braun,  Ber.  22,  559  (1889). 
—  Vi-ADESOO,  Bull.  [3]  e,  818  (1891). 
»  E.  Fischer,  Ber.  26,  92  (1893). 

*  Wohl,  Ber.  21,  616  (1888).  — -  Wolpp,  ebenda,  1482.  —  Marckwald  u.  Ellinqer, 
Ber.  25,  2855  (1892). 

V.  MsYXB  n.  Jacobson,  org.  Ghem.   I.  60 


946  Mtcscarin.     Amidovaleraldefiyd, 


dämpfen  flüchtig.  Durch  Behandlung  mit  rauchender  Salzsäure  in  der 
Kälte  wird  daraus  Alkohol  abgespalten,  und  das  Ghlorhydrat  des 
Amidoacetaldehyds  gebildet,  welches  nach  dem  Verdampfen  der 
Lösung  im  Yacuum  als  farbloser  Syrup  hinterbleibt;  es  ist  in  Form  des 
Platindoppelchlorids  (CHO-CHj- NHj. HCl) jPtCl^  analysirt  worden,  das  aus 
alkoholischer  Lösung  in  Nädelchen  mit  2  Mol.  Erystallalkohol  ausfallt; 
der  Amidoacetaldehyd  ist  äusserst  veränderlich,  reducirt  FEHLiNo'sche 
Lösung,  wird  durch  Oxydation  in  GlykokoU,  durch  EIrwärmen  mit  über- 
schüssigem essigsaurem  Phenylhydrazin  in  das  Osazon  des  Glyoxals 
(S.  845)  verwandelt 

Eine  vom  Amidoacetaldehyd  sich  ableitende  quatemäre  Ammonium- 
base  ist  höchstwahrscheinlich  das  in  der  Natur  vorkommende  Muscarin, 
welches  demzufolge  eine  Zwischenstellung  zwischen  Cholin  (S.  634)  und 
Betain  (S.  832)  einnehmen  würde: 

CH, .  NCCHs),  OH  CH, .  N(CH,)s  •  OH  CH,  •  N(CHA  -  OH 

I  I  I  . 

CH^OH  CH(OH),  CO  OH 

Cholin.  MuBcarin.  Betain. 

Mnscarin^  CgHjßNOj  ist  von  Schmiedbbeeg  u.  Koppe  im  Fhegen- 
schwamm  (Agaricus  muscarius)  entdeckt,  bildet  zerfliessliche  Krystalle 
und  ist  ein  sehr  starkes,  herzlähmend  wirkendes  Gift;  beim  Erhitzen 
liefert  es  Trimethylamin.  Seine  Constitution  kann  noch  nicht  als  ganz 
sicher  gestellt  gelten,  da  der  Vergleich  des  durch  Oxydation  von  Cholin 
erhaltenen  „künstlichen  Muscarins"  und  des  natürlichen  Muscarins  nicht 
völlige  Identität  ergeben  hat.  Die  beiden  Basen  stimmen  zwar  chemisch 
vollständig  überein;  aber  in  ihrer  physiologischen  Wirkung  beobachtet 
man  gewisse  Verschiedenheiten.  Eine  aus  dem  Acetaltrimethylammonium- 
chlorid  (CH3)3C1N.CH2 -011(0 -C^Hß),  durch  Spaltung  entstehende  Base 
weicht  auch  in  der  Zusammensetzung  ihres  Platindoppelsalzes  und  Gold- 
doppelsalzes  von  dem  ,,Oholin-Muscarin"  und  dem  „Pilz-Muscarin"  ab. 

^-Amldoraleraldehyd»  NHj.OHg-CHa-OH^.OHjOHO  ist  durch 
Oxydation  von  Piperidin  mit  Wasserstoffsuperoxyd: 

CHj 


CHg      CH^  CH]     CH] 

I  I         +  H,0,  =    1  I         +  H,0 

CH,      CH,  CH,     CHO 


NH  NH, 

erhalten,  bildet  weisse  Blättchen,  schmilzt  bei  39^,  besitzt  einen  starken 


^  ScBMiEDBBEBo  u.  RoppE,  Jb.  1870,  875.  —  ScHMiEDSBEBQ  u.  Habkack,  Jb.  1876. 
803,  804.  —  Berlinebblau,  Ber.  17,  1139  (1884).  —  Boehm,  Archiv  f.  experiment 
Pathol.  u.  Pharmakol.  19,  94  (1885).  —  Lochest,  Bull.  [3]  8,  858  (1890).  —  E.  Fkceii. 
Ber.  26,  468  (1893).  —  G.  Nothnaoel,  Ber.  26,  801  (1893). 

«  Wolppenstein,  Ber.  25,  2781  (1892). 


Diamidoaceton.     Osamine.  947 


eigenthümlichen  Geruch,  ist  sehr  leicht  flüchtig,  in  Wasser  leicht  löslich 
nad  condensirt  sich  beim  Erhitzen  zu  Tetrahydropiridin: 


Cxig     Ciif  CHg     CH 

I  I         -H,0  =1  ^     . 

CH,     CHO  CH,     CH 

NH,  NH 

Diftmidoaceton  ^  CO(CH,«NH,),  ist  in  Form  von  Salzen  auf  complicirtem  Wege 
aus  verschiedenen  Körpern,  welche  sich  bei  der  Einwirkung  von  Natriumäthylat 
ans  HippoTSäureester  bilden,  durch  Behandlung  mit  Säuren  erhalten  worden.  Die 
freie  Base  konnte  nicht  isolirt  werden. 

£in  |?-Amidoketon  ist  das  schon  S.  416  besprochene  Diacetonamin. 

Amidoderivate  von  ungesättigten  Ketonen  entstehen  durch  Einwirkung 
von  Ammoniak  bezw.  Aminen  auf  1.3-Diketone',  z.  B.: 

CHj.COCHj.CO.CHg  +  NH,  =  H,0  +  CH,.CO.CH:C.CH, 

I 

Kh, 

(vgl.  die  Bildung  von  Amidocrotonsäureestern  [S.  836—837]  aus  Acetessigester). 

Als  Amidoderivate  von  Aldehydalkoholen  bezw.  Keton- 
alkoholen  müssen  hier  noch  die  schon  S.  885  erwähnten  Osamine  be- 
sprochen werden,  welche  als  Monosaccharide  aufzufassen  sind,  in  deren 
Molecül  eine  Hydroxylgruppe  durch  die  Amidgruppe  ersetzt  ist. 

Glueosamin^  CgH^gNO^  ist  ein  von  Leddebhose  entdeckter  Körper 
genannt  worden,  der  unter  den  hierher  gehörigen  Verbindungen  als  erste 
aufgefunden  wurde.  Sein  salzsaures  Salz  wird  durch  Spaltung  des  Chitins 
(vgl.  Bd.  11)  —  einer  Substanz,  aus  welcher  die  Panzer  der  Crustaceen 
der  Hauptmenge  nach  bestehen,  —  mit  heisser  concentrirter  Salzsäure 
erhalten;  zur  Darstellung  eignen  sich  namentlich  Hummerschalen  als 
Ausgangsmaterial.  Das  salzsaure  Salz  CgH^gNO^-HCl  bildet  schöne,  glän- 
zende Kry stalle  von  deutlich  süssem  Geschmack,  ist  in  Wasser  leicht, 
in  Alkohol  sehr  wenig  löslich  und  dreht  stark  rechts.  Glucosamin  reducirt 
FBHLiNG'sche  Lösung,  wird  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  in 
einen  rechtsdrehenden,  nicht  gährungsfähigen  Zucker  verwandelt,  durch 
Oxydation  mit  Salpetersäure  in  Isozuckersäure  (S.  821)  übergeführt  und 
liefert  beim  Erwärmen  mit  überschüssigem  essigsaurem  Phenylhydrazin 
das  c?-Phenylglucosazon  (S.  899).  Aus  den  beiden  letzten  Reactionen 
ergiebt  sich,  dass  ihm  die  Structurformel: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(NH,)  •  CHO 

beizulegen  ist.     (In    stereochemischer   Beziehung    stehen    indessen    die 


^  BüOHBiMEB,  Ber.  21,  3329  (1888);  22,  1955  (1889).  —  Rüqheimeb  u.  Misghel, 
Ber.  25,  1562  (1892). 

«  A.  u.  C.  CoMBBS,  Bull.  [3]  7,  778,  788  (1892). 

"  LuDDERHOSE,  Ber.  .9,  1200  (1876).  Ztsckr.  f. -phyaiol.  Chem.  4 ,  139  (1880).  — 
TiBMANN,  Ber.  17,  241  (1884);  19,  49,  155  (1886).  —  Baumann,  Ber.  18,  3220  (1886). 

60* 


948  Olyoxyl^äure. 


beiden  Uebergänge  in  Isozuckersäure  (vgl.  S.  912)  einerseits  und  d-Phenyl- 
glucosazon  andererseits  mit  einander  in  Widerspruch). 

Isoglncosamln  ^  ist  das  aus  dem  c?-Phenylglucosazon  durch  Se- 
duction  mit  Zinkstaub  und  Essigsäure  entstehende  Osamin  genannt 
worden^  welches  durch  salpetrige  Säure  in  c?-Fructose  verwandelt  wird 
und  daher  die  Structurformel: 

CH,(OH) .  CH(OH) .  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CO  •  CH,(NH,) 

besitzt  (vgl.  S.  885).  Sein  Acetat  C^H^gNOß . C^H^O,  krystallisirt  in 
schönen  farblosen  Nadeln  und  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich.  Mit 
Phenylhydrazin  regenerirt  es  leicht  (/-Phenylglucosazon.  Seine  Salze 
drehen  in  wässriger  Lösung  stark  links. 

cc-AkrosamiB'  ist  aus  a-Pbenylakrosazon  (S.  902)  gewonnen  worden. 


Achtunddreissigstes  Kapitel. 

Aldehydsäuren. 

OlyoxylsSnre  CHO-CO,H  ist  die  denkbar  einfiachste  Verbindung 
aus  der  Klasse  der  Aldehydsäuren,  deren  Repräsentanten  in  der  Fett- 
reihe ziemlich  selten  sind.  Es  sei  gleich  bemerkt,  dass  die  freie  Säure, 
welche  beim  Eindunsten  der  wässrigen  Lösung  zunächst  als  Symp,  dann 
bei  längerem  Stehen  über  Schwefelsäure  in  rhombischen  Prismen  krystal- 
lisirt erhalten  wird,  nicht  die  der  obigen  Structurformel  entsprechende 
Zusammensetzung  C^H^Og  besitzt,  sondern  1  Mol.  Wasser  mehr  enthält  und 
nicht  ohne  Zersetzung  entwässert  werden  kann,  dass  ebenfalls  ihre  Salze 
—  ausser  dem  Ammoniumsalz  C^HOj'NH^  —  Wasser  enthalten,  welches 
ihnen  nicht  ohne  Zersetzung  entzogen  werden  kann.  Man  fasst  daher 
häufig  die  wasserhaltige  Glyoxylsäure  analog  dem  Chloralhydrat  (S.  865) 
als  atomistische  Verbindung  —  Dioxy essigsaure  CH(0H)j-C02H  —  auf'. 
Die  Reactionen  der  Glyoxylsäure  erklären  sich  am  besten  aus  der  Formel 
CHO-CO^H. 

Die  Glyoxylsäure  ist  von  Debus*  entdeckt;  sie  entsteht  dnrch 
Oxydation*  von  Alkohol,  Glykol  oder  Glykolsäure  mit  Salpetersäure, 
femer  aus  Dichloressigsäure  bezw.  Dibromessigsäure*  durch  Erhitzen  mit 


*  E.  Fischer,  Ber.  19,  1920  (1886).  —  E.  Pischbr  u.  Tafel,  Ber.  20,  2569(1887). 

*  E.  PiacHKB  u.  Tafel,  Ber.  20,  2578  (1887). 
^  Vgl.  über  die  Constitation :  Debüb,  Pebkin  u.  Odlimq,  Ber.  4,  69  (1871);  8, 

188  (1875).  —  Otto  u.  Beckübts,  Ber.  14,  1616  (1881).  --  E^osl,  Compt.  rend.  98, 
628  (1884).  —  Otto  u.  Tröqeb,  Ber.  25,  3425  (1892).  —  Berthblot  u.  Matiokoj. 
Ann.  eh.  [6]  28,  189  (1898). 

*  Ann.  100,  1  (1856);  102,  28  (1857);  110,  316  (1859);  126,  129  (1863). 
^  Vgl.  auch  Böttinqeb,  Ann.  198,  206  (1879).  —  Hsnrrz,  Ann.  152,  331  (18691 

*  Fischer  u.  Geutheb,  Jb.  1864,  316.  —  Debtts,  Ztschr.  C^em.  1866,  168.  -        ^ 
Pebkin  u.  Duppa,  Ztschr.  Chem.  1868,  424.  —  Gbixaüx,  Compt.  rend.  83,  63  Amn. 
(1876).  —  Beckubts  u.  Otto,  Ber.  14,  578  (1881). 


Formylessigsäure.  949 


Wasser;  letztere  Methode  dient  am  besten  zu  ihrer  Darstellung^.  Sie 
findet  sich  allgemein  verbreitet  in  unreifen  Früchten^;  mit  zunehmender 
Keife  nimmt  ihre  Menge  allmählich  ab;  bei  völliger  Maturität  verschwindet 
die  Glyoxylsäure  aus  den  Früchten,  doch  lässt  sie  sich  dann  noch  in 
den  Blättern  nachweisen;  vielleicht  gehört  sie  zu  den  Zwischenprodukten 
des  Assimilationsprocesses  ^  (vgl.  S.  401). 

Glyoxylsäure  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich  und  mit  Wasser- 
dämpfen flüchtig.  Sie  reducirt  ammoniakalische  Silberlösung  unter 
Spiegelbildung,  wird  von  nascirendem  Wasserstoff  zu  Glykolsäure  reducirt, 
von  Salpetersäure  zu  Oxalsäure  oxydirt;  kocht  man  Glyoxylsäure  mit 
überschüssigem  Kalkhydrat  oder  Ealihydrat^,  so  entstehen  Glykolsäure 
und  Oxalsäure  neben  einander.  Mit  Alkalibisulfiten  bildet  Glyoxylsäure 
Verbindungen,  mit  Hydroxylamin  und  Phenylhydrazin  reagirt  sie  unter 
Bildung  eines  Oxims  bezw.  Hydrazons.  —  Das  Oxim  ^  —  Oximido- 
essigsäure  CH(:N-0H)-C02H  —  krystallisirt  in  langen  farblosen  Nadeln 
mit  1  Mol.  Erystallwasser,  wird  über  Schwefelsäure  wasserfirei,  ist  in 
Wasser  und  Alkohol  sehr  leicht  löslich,  schmilzt  wasserfrei  bei  137 — 138^ 
unter  Zersetzung  in  Kohlensäure,  Wasser  und  Blausäure  und  zerfällt  in 
dieselben  Produkte  beim  Erhitzen  mit  Wasser  auf  120^;  K  =  0-0995. 

Homologe  der.  Glyoxylsäure  im  eigentlichen  Sinne  kann  es  nicht 
geben;  denn  ersetzt  man  das  einzige  an  Kohlenstoff  gebundene  Wasser- 
stoffatom durch  Alkyl,  z.  B.: 

CHa.COCOjH, 

so  gelangt  man  zu  einer  Verbindung  aus  einer  anderen  Klasse  —  einer 
a-Ketonsäure  (vgl.  Brenztraubensäure,  S.  956). 

Aber  es  erscheinen  weitere  Aldehydsäuren  möglich,  deren  Aldehyd- 
gruppe und  Garboxylgruppe  durch  Zwischenglieder  von  einander  ge- 
trennt sind. 

FormylesslgsSure  CHO-CHj-COjH  wäre  unter  den  Säuren  dieser 
Art  diejenige,  welche  sich  zunächst  an  die  Glyoxylsäure  anschliessen 
würde;  sie  könnte  auch  als  Halbaldehyd  der  Malonsäure  aufgefasst 
werden.  Sie  ist  in  freiem  Zustand  nicht  bekannt,  da  sie  sehr  leicht  zu 
Gondensationsprocessen  geneigt  erscheint;  ihre  vorübergehende  Entstehung 
wird  bei  der  Cumalinsäurebildung  aus  Aepfelsäure  (S.  795 — 796)  ange- 
nommen. Als  Natriumverbindung  ihres  Aethylesters*  CHO'CHj-COg- 
CjHg  wurde  bisher  die  Substanz  angesehen,  welche  sich  bei  der  Eün- 


»  Vgl.  Cbambb,  Ber.  25,  714  (1892). 

'  Bruhneb  u.  Chüabd,  Ber.  19,  595,  616  (1886).  —  Vgl.  auch  v.  Lippkann,  Ber. 
24,  8305  (1891). 

'  Vgl.  auch  KoENiQS,  Ber.  25,  800  (1892). 

*  BamNQER,  Ber.  13,  19S2  (1880). 

^  Gramer,  Ber.  25,  718  (1892).  —  Södesbaüm,  Ber.  25,  912  (1892).  —  Hantzsgh 
u.  MiOLATi,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  6  (1892). 

•  PiUTTi,  Ber.  20,  537  (1887).  —  W.  Wislicenüs,  ebenda,  2931.  —  v.  Peghvakn, 
Ann.  264,  283  (1891).    Ber.  25,  1040  (1892). 


950  ß -  Oximidopropionsävre,     Homologe  des  Formylessigeaiers 


Wirkung  von  Natrinm  (vgl.  S.  853 — 854)  auf  ein  Gemisch  von  Ameisen- 
säureester und  Essigester  bildet: 

CHOOCjHs  +  CHaCO.O.CjHg  =  CHO.CH.COO.CjHj  +  C^OH; 

der  Est^r,  welcher  aus  der  durch  diese  Reaction  gebildeten  Natrium- 
verbindung entsteht,  löst  sich  in  Alkalien  und  Alkalicarbonaten  auf;  er 
ist  in  freiem  Zustand  sehr  unbeständig  und  condensirt  sich  äusserst 
leicht  zu  einem  Benzolderivat  —  dem  Trimesinsäureester: 

CH,-CO, .  C,Hß  CH-CO, .  CjHs 


CHO   CHO  CH      CH 


CHO  ,     CH 

COj  •  CsH5  COj  •  C2H5 

neuerdings  wird  er  als  /S-Oxyakrylsäureester  CH(OH):CH-C02-C,H5 
aufgefasst,  vgl.  unten.  — 

Das  Oxim  der  Formylessigsäure  —  /S-Oximidopropionsäure^ 
CH(:N-OH)-CH2-C03H  (Isonitrosopropionsäure)  —  entsteht  durch 
Spaltung  der  Cumalinsäure  (S.  796)  bei  der  Einwirkung  von  Hydroxyl- 
amin  in  alkalischer  Lösung;  es  schmilzt  bei  1 1 7 — 118^  unter  plötzhchem 
Aufschäumen,  wird  durch  kochende  verdünnte  Schwefelsäure  in  Hydroxyl- 
amin,  Kohlensäure  und  Acetaldehyd  gespalten  und  von  nascirendem 
Wasserstoff  zu  /9-Amidopropionsäure  (S.  835)  reducirt;  K  =  0-0099. 

Die  Acetylverbindung  der  Oximidopropionsäure  existirt  in  zwei  rfimn- 
lich  isomeren  Modificationen : 

H-C-CHj .  CO,H  H-C-CHj  •  CO.H 

II  und 

CÄO.O-N  N-O.C,H,0     ; 

der  ireien  Oximidopropionsäure  ist  die  Configuration: 

H-C— CHj.CGjH 


OH-N 

zuzuschreiben.  Näheres  über  diese  Verhältnisse  vgl.  in  Bd.  II  bei  den  Oximen  der 
aromatischen  Aldehyde  und  Ketone. 

Das  Nitril  der  Formylessigsäure  liegt  in  dem  Cyanacetaldehjd* 
CHO-CHj-CN  vor,  welcher  aus  Jodaldehyd  (S.  867)  durch  Umsetzung  mit  Cyansilher 
entsteht;  er  ist  farblos,  siedet  bei  71  «5®,  besitzt  bei  15^  das  spec  Gewicht  0-881  und 
ist  mit  Wasser  mischbar. 

Es  ist  eben  schon  bemerkt  worden,  dass  der  sogenannte  Formylessig- 
ester  neuerdings  als  /S-Oxyakrylsäureester  CH(OH) :  CH  •  CO3  •  C^Hj  aufgefasst 
wird.  Analoges  gilt  für  die  Verbindungen,  welche  durch  Condensation 
des  Ameisensäureesters  mit  den  Homologen  des  Essigesters' 

*  V.  PECHMAim,  Ann.  264,  285  (1891).  —  Hantzsch,  Ber.  25,  1904  (1892V  - 
Haktzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  17  (1892). 

*  Chautard,  Compt.  rend.  106,  1167  (1888).  —  Ueber  Homologe  vgl.  Ann.  fh. 
[6]  16,  182  flF.  (1888). 

»  W.  WiSLiOENiTS,  Ber.  20,  2984  (1887).  —  v.  Pechmaiw,  Ber.  26,   1040  (1892> 


bezw.  Oxahrylsäureesters.    Mtufockhrsäure  und  Mucobromsäure.        951 


gewonnen  werden,  und  welche  im  Gegensatz  zu  dem  Formylessigester 
auch  im  freien  Zustand  beständig  sind,  da  sie  infolge  der  Gegenwart 
einer  Alkylgruppe  an  Stelle  eines  WasserstofFatoms  eine  der  Trimesin- 
säurebildung  analoge  Condensation  nicht  mehr  erleiden  können.  So  ent- 
steht z.  B.  durch  Combination  von  Ameisensäureester  und  Propionsäure- 
ester  der  Methylformylesslgester  CHO-CH(CH3)-COaC3Hß  bezw.  /9-Oxy- 
metliakrylsftiireester  CH(0H):C(CH3)-C0a-CaHß,  welcher  bei  160—1620 
siedet  und  mit  Eisenchlorid  eine  intensive  röthlichviolette  Färbung  giebt. 
Die  neue  Constitutionsauffassung  wird  hauptsächlich  dadurch  begründet, 
dass  diese  Verbindungen  sich  analog  den  Hydroxylverbindungen  durch  Ein- 
wirkung von  Essigsäureanhydrid  direct  acetyliren  lassen,  und  dass  die 
so  gewonnenen  Acetate,  wie  CH(O-CO-CHg):  CH-COg-CaHg,  ein  Molecül 
Brom  addiren.     Vgl.  über  eine  analoge  Constitutionsfrage  S.  860 — 861. 

Als  Halogenderivate   des  Halbaldehyds   der   Maleinsäure  COH*CH: 
CH-COsH  werden  die  MueocMorsäare  C4H,ClsO,  und  Mueobromsäure  C4H,Br208: 

CCl-COH  CBrCOH 

CCl.COjH  CBrCO.H 

aufgefasst.  Diese  Säuren^  bilden  sich  bei  der  Einwirkung  von  Chlor  bezw.  Brom  auf 
Brenzschkimsäure  (vgl.  Bd.  II): 

CH-CH 

CH      CCOjH 

in  wässiger  Lösung.  Mucochlorsäure  schmilzt  bei  125^,  Mucobromsäure  bei  120^  bis 
121^;  von  überschüssigen  Alkalien  werden  sie  in  Ameisensäure  und  Dichlor-  bezw. 
Dibromakrylsäure  gespalten;  durch  Oxydation  liefert  Mucobromsäui'e  die  Dibrom- 
maleinsfture  (S.  737). 


Glyknronsäure  *  COH  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  CH(OH)  •  COjjH 
(Glucuronsäure)  ist  eine  Oxyaldehydsäure,  welche  durch  Reduction 
von  ei-Zuckersäure  entsteht,  durch  Oxydation  wieder  in  c?- Zuckersäure 
übergeht,  durch  weitere  Reduction  aber  rf-Gulonsäure  liefert  (vgl.  S.  781). 
Aus  diesen  Beziehungen  ergiebt  sich  die  obige  Structurformel  und  auch 
die  Configuration  dieser  Säure  (vgl.  S.  911): 


*  Schmelz  u.  Beilstein,  Ann.  Suppl.  3,  276  (1865).  —  Limpricht,  Ann.  165, 
293  (1878).  —  Jackson  u.  Hill,  Ber.  11,  289,  1671  (1878).  —  Tönnies,  Ber.  12,  1202 
(1879).  —  Hill  u.  Sänger,  Ber.  16,  1906  (1882).  —  Hill,  Ber.  17,  238  (1884).  —  Hill 
u.  Palmeb,  Jb.  1887,  1670,  1674. 

'  Schxiedebero  u.  H.  Meyer,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem  3,  422  (1879).  —  Spiegel, 
Ber.  16,  1964  (1882).  —  v.  Mebino,  ebenda,  1020.  —  Grünling,  Jb.  1883,  1094.  — 
Thtbrfelder  u.  V.  Merino,  Ztschr.  f.  phjsiol.  Chem.  9,  514  (1885).  —  Thibrfelder, 
Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  11,  888  (1887);  13,  275  (1888);  16,  71  (1891).  —  KFiscfiER 
n.  PiLOTY,  Ber.  24,  522  (1891).  —  Günther,  de  Chalmot  u.  Tollens,  Ber.  25,  2569 
(1892).  —  Bunge,  Lehrb.  d.  physiol.  u.  pathol.  Chem.  (Leipzig,  1889),  S.  251. 


952  Olykuransänre,   ürochloralsäure,  Ckondrosin, 


COJtL 


OH— 
OH— 


H 


OH 


H 
-H 


■OH 


-H 


CHO 

Glykuronsäure  ist  eine  Substanz   von   physiologischer  Wichtigkeit; 

sie  erscheint  nach  Eingabe  gewisser  Substanzen  —  wie  Campher,  Chloral, 

Orthonitrotoluol  etc.  —  im  Harn  in  Form  von  gepaarten  Säuren,  die 

bei  der  Spaltung  einerseits  Glykuronsäure,  andererseits  jenen  Substanzen 

nahestehende   Umwandlungsprodukte    —    Oxydationsprodukte   oder  Ee- 

ductionsprodukte   —   liefern.     Beim  Eindampfen  der  wässrigen  Lösung 

geht  sie  in  ein  Lacton  C^HgOg  über,  welches  monosymmetrische  Tafeln 

bildet,  angenehm  süss  schmeckt,  bei  raschem  Erhitzen  gegen  170^  sintert, 

darauf  bei  175 — 178^  unter  Zersetzung  schmilzt;  es  dreht  nach  rechts: 

[cc]jy^^  in  etwa  lOproc.  wässriger  Lösung  =    +  19.P;  beim  Destilliren 

mit  Säuren  liefert  die  Glykuronsäure  gleich  den  Pentosen  (vgl.  S.  892) 

Furfurol. 

Unter  jenen  eben  erwähnten  gepaarten  Säuren  ist  die  UroeUoralsSsre  ^ 
CgHiiClgO,  von  besonderem  Interesse.  Diese  Säore  tritt  im  Harn  von  Menschen  oder 
Hunden  nach  dem  Einnehmen  von  Chloral  auf  (vgl.  S.  865).  Sie  bildet  seidenglänzende 
Nadeln,  ist  leicht  löslich  in  Wasser  und  Alkohol,  reducirt  alkalische  Kupferoxrd- 
lösung  beim  Kochen  und  ist  linksdrehend.  Beim  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  wird 
sie  in  Glykuronsäure  und  Trichloräthylalkohol  (S.  620)  gespalten. 

Ein  erhöhtes  physiologisches  Interesse  hat  die  Glykuronsäure  ge- 
wonnen, seit  man  ihr  jüngst  als  Abbauprodukt  der  Knorpelsubstanz  be- 
gegnet ist.  Aus  dem  zerkleinerten  Knorpel  der  Nasenscheidewand  vom 
Schweine  erhielt  Schmiedeberg  ^  durch  Behandlung  mit  Pepsin  und 
Salzsäure  als  wasserunlöslich  zurückbleibende  Masse  das  Peptochondrin. 
welches  durch  Einwirkung  von  Alkalien  Salze  der  Chondroltinschwefel- 
säure  C^gEg^NSOiy  liefert;  aus  dieser  Säure  wird  durch  Spaltung  neben 
Schwefelsäure  und  Essigsäure  das  Chondrosln  CjaHgiNOu  gewonnen. 
Letztere  Substanz  verbindet  sich  nach  Art  der  Amidosäuren  sowohl  mit 
Säuren  wie  mit  Basen,  wirkt  stark  reducirend,  dreht  rechts  und  hefert 
beim  Erwärmen  mit  Barytwasser  Glykuronsäure ;  daneben  entstehen  ähn- 
liche Produkte,  wie  sie  bei  der  Behandlung  des  Glucosamins  (S.  947)  mit 
Baryt  gebildet  werden.   Das  Chondrosinmolecül  scheint  demnach  durch  Zu- 


>  V.  Merino  u.  Musculits,  Ber.  8,  662  (1875).  —  Külz,  Ber.  14,  2291  (1881); 
17c,  334  (1884).  Jahresb.  über  Thierchemie  1882,  92.  —  v.  Merino,  Ber.  15,  1019 
(1882).  ZtBchr.  f.  physiol.  Chem.  6,  480  (1882). 

»  Archiv  f.  experim.  Pathologie,  28,  351  (1891),  referirt  in  Richard  Mktkh's 
Jahrbuch  d.  Chemie  I,  S.  249  (1891)  und  Ber.  25  o,  472  (1892). 


Ketonsäuren.  953 


sammentritt  von  Glucosamia  und  Glykoronsäure   gebildet   zu  sein  und 
ist  vielleicht  durch  eine  Formel,  wie 

CHO 

CH-N :  CH.{CH.0H}4.C0,H 

I 
{CH.OH}, 

C] 


auszudrücken. 


JH,(OH) 


Neununddreissigstes  Kapitel. 

Ketonsäuren. 

Ketonsäuren  —  Verbindungen,  deren  Molecüle  neben  Carboxyl- 
gruppen  ketonartig  gebundene  Carbonylgruppen  enthalten,  —  sind  durch 
synthetische  Untersuchungen  in  grosser  Zahl  bekannt  geworden,  während 
sie  kaum  jemals  als  Naturprodukte  aufgefunden  sind.  Die  Anzahl  der 
zur  Zeit  bekannten  aliphatischen  Ketonsäuren  ist  so  gross,  dass  es  nöthig 
ist,  die  Gruppe  der  Ketonsäuren  nach  Zahl  und  Stellung  der  charakte- 
ristischen Gruppen  —  Carboxyl  und  Carbonyl  —  in  verschiedene  Ab- 
theilungen zu  zerlegen.  Da  auch  die  Bildungsweisen  und  Reactionen 
von  diesen  Umständen  wesentlich  beeinflusst  werden,  so  sollen  sie  erst 
bei  den  einzelnen  Unterabtheilungen  näher  besprochen  werden. 

Fiine  Bildungsreaction  von  sehr  allgemeiner  Bedeutung  sei 
indess  gleich  hier  hervorgehoben.  Sie  besteht  in  der  Einwirkung  von 
metallischem  Natrium  oder  Natriumäthylat  auf  Säureester  bezw.  Gemische 
von  Säureestern  ^.  Es  beruht  auf  ihr  die  lange  schon  bekannte,  aber  ver- 
einzelt gebliebene  Bildung  von  Acetessigester  CHg-CO-CHg-COg-CgH^  aus 
E^sigester  durch  Behandlung  mit  Natrium.  Neuerdings  hat  sie  durch 
Untersuchungen  von  W.  Wislicbnus*  und  von  Claisbn  (vgl.  S.  853 — 854) 
wesentlich  an  praktischer  Brauchbarkeit  und  Allgemeinheit  der  Anwend- 
barkeit gewonnen.  Der  Effect  dieser  Beaction  ist  einfach  eine  Abspal- 
tung von  einem  Molecül  Alkohol  aus  zwei  Estermolecülen,  z.  B.: 

CHs-CO.O.C,H6  +  CH,.CO.O.C,H5  — CjHs.OH  =  CHs.COCHjCOO.CjHg 

COO.CjHg      CHs.COOCjHj  CO.CHjCO.OCÄ 

I  +  -C^Hß-OH  =    I  ; 

COOCjHs  COO.CjHj 

ihr  Verlauf  aber  ist  jedenfalls   nicht   so  einfach.     Nach  Claisbn  und 


^  Eine  ausführliche  Besprechung  dieser  Beaction  in  historischer  Beziehung  etc. 
vgl.  beiELBS,  Synthet.  Darstellungsmethoden  d.  KohlenstoflFverbindungen  (Leipzig,  1889), 
I,  S.  84  S. 

'  Ann.  246,  806  (1888). 

*  Vgl.  ebenda,  S.  308. 


954  Bildung  der  Ketonsäuren  aus  Säureestem, 


LowMANN^  (vgl.  S.  853 — 854)  findet  zunächst  eine  Addition  von  Natrium- 

äthylat  an  den  Säureester  statt: 

/O.CA 
CHj.CO.OCjHß  +  CjHft.ONa  =  CHa.C^CjHg; 

^O-Na 

dieses  Additionsprodukt  reagirt  dann  unter  Abspaltung  von  Alkohol: 

CH3.qO.CaH5),  +  CHa-COO-CA  =  CH5.C:CH.C0.0.C,H,  +  2CÄ-0H, 

I  I 

ONa  ONa 

und  aus  der  so  entstandenen  Natriumverbindung  entsteht  nun  beim  An- 
säuern der  Ketonsäureester  durch  einen  Bindungswechsel: 

CH,.C(OH):CH.CO.O.C,Hß    >-    CH,  •  CO  -  CH,  -  CO,  •  C^Hj. 

Dass  man  die  Beaction  mit  metallischem  Natrium  ohne  Zusatz  von 
Alkohol  ausflihren  kann,  erklärt  sich  daraus,  dass  eine  Spur  Alkohol,  wie 
sie  den  Säureestem  stets  anhaftet,  wenn  nicht  ganz  besondere  Beinigongs- 
massregeln  getroffen  sind,  zur  Bildung  einer  kleinen  Menge  Natrium- 
äthylat  und  damit  zur  Einleitung  der  Reaction  genügt,  und  durch  den 
Fortgang  der  Beaction  nun  immer  neue  Alkoholmengen  entstehen.  (In 
der  That  wird  Essigester,  der  absolut  von  Alkohol  befreit  ist,  durch 
Natrium  in  der  Kälte  gar  nicht  und  beim  Kochen  nur  sehr  langsam  an- 
gegriffen *). 

Die  Beaction  erfolgt  stets  derart ,  dass  der  Eingriff  des  einen  Estermolecöls  an 
dem  der  Carbozäthylgruppe  benachbarten  Kohlenstoffatom  des  zweiten  Estermolecüls 
stattfindet: 

CH3  •  CHg  •  COj  •  CgH5  +  CHj  •  CHj  •  COj  •  CjHs 

=  CHa.CHj.CO.CH.COj.CtHs  +  CjHj.OH. 

I 
CH3 

Es  ist  dabei  nothwendig,  dass  der  eine  der  zu  combinirenden  Ester  eine  Methylen- 
gruppe ( — CH,— )  benachbart  zur  Carboxäthylgruppe  enthält;  mit  Estern  wie  Iso- 
buttersäureester (CH8)jCH'CO,*CjH5  ist  eine  Condensation  nicht  zu  erzielen. 

Die  Ketonsäuren  besitzen  besondere  Wichtigkeit  in  ihrer  Eigenschaft 
als  Zwischenprodukte  bei  vielen  Synthesen.  Sie  gehören  zu  den 
reactionsfähigsten  Verbindungen,  leihen  sich  zu  Umformimgen  der  mannig- 
faltigsten Art  her  und  werden  daher,  insbesondere  da  gegenwärtig  viele 
Ketonsäuren  leicht  herstellbar  sind,  einige  sogar  technisch  gewonnen 
werden  (vgl.  Acetessigester  S.  961,  Dioxy Weinsäure  S.  987),  fortwährend 
im  Laboratorium  für  den  Aufbau  organischer  Verbindungen  benutzt 
Wie  man  in  früherer  Zeit  namentlich  von  der  Eigenschaft  des  Acetessig- 
esters  CHg-CO-CHj-COa-CjHg  Nutzen  zog,  die  Wasserstoffatome  der 
zwischen  Carbonyl-  und  Carboxylgruppe  befindlichen  Methylengruppe  leicht 
gegen  Metallatome  und  darauf  gegen  Badicale  auszutauschen  (vgl.  z.  B. 
S.  308,  386,  761),  so  hat  man  in  den  letzten  Jahren  mit  grösstem  Erfolg 
die  Einwirkung  von  Stickstoffverbindungen  auf  Ketonsäuren  studirt  und 

»  Ber.  20,  651  (1887);  21,  1154  (1888). 

'  Ladenbübg,  Ber.  3,  305  (1870).  —  Vgl.  dagegen  Fbseb,  Her.  24e,  662(1891)- 


Wichtigkeit  der  Ketonsäuren  für  Synthesen.    Nomenclatur.  955 


hat  dadurch  einfache  Methoden  zur  Gewinnung  Ton  Verbindungen  mit 
cyclischem,  stickstoffhaltigem  Kern  kennen  gelehrt.  Nur  wenige  Beispiele 
mögen  hier  zur  Erläuterung  dienen: 

Cxi«  •  C        CH) 
CH,.CO.CH,  I         I 

I  +  HjN.NHCeHj  =  N        CO     +  H,0  +  CjHß-OH 

CO-O-CA  \/ 

j^g         CO-CH,  /^""\^^' 

CHj.C^  +     ^CH,         =  CHa-Cf  Vh  +  H,0  +  CAOH. 

Um  für  die  Ketonsäuren  Benennungen  zu  bilden,  fasst  man  sie 
in  der  Regel  entweder  als  Carboxylsubstitutionsprodukte  von  Eetonen 
oder  als  Acylsubstitutionsprodukte  von  Säuren  auf.  So  erklären  sich 
einerseits  Bezeichnungen,  wie: 

COaH .  CH,  •  CO  •  CH,  •  COjH :  Acetondicarbonsäure 

CH3  •  CO  •  CO  •  CH,  -  COjH :  Diacetylcarbonsäure 

etc., 
andererseits  Namen,  wie: 

CHj'CO-CHj-COjH:  Acetylessigsäure  oder  Acetessigsäure, 

CH3.COCH  .CO3H 

I  :  Diacetbemsteinsäure 

CH3.COCH  .CO3H 

etc. 

Endlich  kann  man  die  Ketonsäuren  von  den  gleich  kohlenstoffreichen 
carbonylfreien  Garbonsäuren  ableiten  und  mit  Namen,  wie: 

CHj-CO-COgH:  a-Ketopropionsäure , 

COjH-CHjCHjCO-COaH:  a-Ketoglutarsäure, 

CO,H .  CO  •  CO  •  COjH :  Diketobemsteinsäure 

etc. 

versehen  (vgl.  S.  382).  —  Auf  dem  Genfer  Nomenclaturcongress  (vgl. 
S.  1091)  sind  noch  keine  Regeln  für  die  Benennung  der  Ketonsäuren 
vereinbart  worden. 

I.  Einbasische  Ketonsäuren. 

A.  OesSttlgte  einbasische  Eetonsftnren  mit  einer  Carbonylgmppe. 

1.    (^-Ketonsäuren. 

Als  €if- Ketonsäuren  sind  diejenigen  Säuren  zu  bezeichnen,  welche 
die. Carbonylgmppe  und  Carboxylgruppe  benachbart  enthalten: 

RCOCO,H. 


956  a-Ketonsäuren. 


Sie  entsprechen  den  a-Oxysäuren  R-CH(OH)«CO,H,  gehen  durch  Eeduc- 
tion  in  letztere  Säuren  über  und  können  umgekehrt  durch  Oxydation 
—  wenn  auch  nur  in  schlechter  Ausbeute  —  aus  ihnen  erhalten  werdend 
Beweisend  flir  ihre  Constitution  ist  femer  die  ebenfalls  wenig  er- 
giebige, durch  die  folgenden  Gleichungen  ausgedrückte  allgemeine  Bil- 
dungsweise ^: 

CH,.C0C1  +  AgCN  =  CHs-CO-CN  +  AgCl, 
CHjCOCN  +  2H,0  =  CHaCOCOjH  +  NHa, 

welche  die  Nitrile  der  a-Eetonsäuren  oder  Cyanide  der  Fettsäureradieale 
als  Zwischenglieder  benutzt,  sowie  ihre  Entstehung  aus  Oxalessigester 
(vgl.  S.  984)  bezw.  seinen  Homologen  durch  Kochen  mit  verdünnter 
Schwefelsäure'*,  z.  B.: 


CH.3  •  CH  *  COf  *  C2XI5  Cxig  *  CHf 

+  2H,0=  I  +00, +  2C,H5.0H. 

JO.OO.CjHs  OO.COjH 


k. 


Die  Oxime  der  e^-Eetonsäuren  —  auch  als  £^-Isonitrosofett- 
säuren,  Oximidofettsäuren,  Eetoximsäuren^  bezeichnet — ,  welche 
natürlich  aus  den  Eetonsäuren  selbst  durch  Einwirkung  von  Hydroxylamin 
entstehen^,  können  femer  allgemein  durch  eine  interessante  Beaction  aus 
den  monalkylirten  Acetessigestem  CHg  •  CO  •  CHR  •  CO3  •  C3H5  gewonnen 
werden«;  unterwirft  man  letztere  der  Einwirkung  von  nascirender  salpe- 
triger Säure,  so  entstehen  durch  Abspaltung  des  Acetylrestes  die  Ester 
von  Isonitrososäuren,  z.  B. : 

0Hs.C0.0H.C0,.C,H5  +  N0.0H  =  CHj-CO-OH  +  OH-N:  COOj.CA, 

[  I 

CHj  OH3 

aus  welchen  dann  durch  Yerseifung  die  freien  Isonitrososäuren  erhalten 
werden. 

Das  Verhalten  der  cr-Eetonsäuren  ist  hauptsächlich  an  dem  einfach- 
sten Glied  —  der  Brenztraubensäure  —  untersucht  worden  und  sei  daher 
auch  an  diesem  Beispiel  geschildert. 

Brenztranbensfture  CgH^O,  wird  diese  ihrer  Constitution  nach  als 
Acetylameisensäure  oder  Methylglyoxylsäure  zu  bezeichnende, 
einfachste  Eetonsäure  CE^-CO-CO^B.  gewohnlich  genannt,  weil  sie  zuerst 
durch   Destillation   von   Weinsäure   und   Traubensäure   erhalten   wurde 


^  Beilstbik  a.  Wieoand,  Ber.  17,  %840  (1884).  —  Aiustow  u.  Deiuakow,  Ber. 
2O0,  697  (1887). 

'  Olaisen  u.  Shadwell,  Ber.  11,  621,  1563  (1878).  —  Olaisen  u.  Mobitz,  Ber. 
13,  2121  (1880). 

•  W.  W18LICENU8,  Ber.  19,  3225  (1886).  —  W.  Wislicekub  u.  Abkold,  Ber.  20, 
3895  (1887). 

*  Vgl.  Wallach,  Ann.  248,  169  Anm.  (1888). 

*  V.  Meyeb  u.  Jankt,  Ber.  15,  1527  (1882). 

•  V.  Meyeb  u.  Züblin,  Ber.  11,  692  (1878).  —  Wleüoel,  Ber.  16,  1057  (1882).  - 
FüBTH,  Ber.  16,  2180  (1888). 


Brenxtraitbensäure,  957 


(Bebzeuus  ^),  und  weil  die  Zersetzung  der  Weinsäure  durch  trockene  De- 
stillation auch  heute  der  zu  ihrer  Darstellung  übliche  Weg  ist.  Man  kann 
sich  diese  Bildung  leicht  erklären,  wenn  man  annimmt,  dass  zunächst 
durch  Kohlensäureabspaltung  Glycerinsäure  CHj(0H)-CH(0H)C03H  aus 
Weinsäure  entsteht,  welche  dann  durch  Wasserabspaltung*  Brenztrauben- 
säure  liefert  (vgl.  S.  774 — 775).  Während  die  Ausbeute  bei  der  Destilla- 
tion der  Weinsäure  für  sich*  nur  gering  ist,  wird  sie  vortrefflich  beider 
Destillation  mit  saurem  Kaliumsulfat  ^.  Ausser  den  S.  956  schon  be- 
sprochenen allgemeinen  Bildungsweisen  sei  noch  die  Entstehimg  der 
Brenztraubensäure  aus  a,-Dichlor-  imd  «g-Dibrompropionsäure  (vgl.  S.  722) 
durch  Behandlung  mit  Silberoxyd  erwähnt^. 

Brenztraubensäure  ist  eine  farblose  Füssigkeit,  krystallisirt  in  der 
Kälte®,  wird  dann  erst  wieder  bei  +9^  flüssig,  siedet  ziemlich  un- 
zersetzt  bei  etwa  165^,  riecht  ähnlich  der  Essigsäure,  ist  mit  Wasser 
mischbar  und  besitzt  ein  specifisches  Gewicht^  von  etwa  1-27  bei  20^; 
Dissociationsconstante^  K  =  etwa  0-56. 

Während  die  Säure,  wie  oben  bemerkt,  fast  unzersetzt  siedet,  also  nicht 
dabei  in  Acetaldehyd  und  Kohlensäure  (vgl.  Acetessigsäure,  S.  960 — 961): 

CH.CO.COiH  =  CH,.COH  +  CO, 

zerfällt,  erleidet  sie  diese  Spaltung®  beim  Erhitzen  im  Rohr  mit  ver- 
dünnter Schwefelsäure  auf  150^;  es  beruht  auf  dieser  Spaltung  auch  das 
Vermögen  der  Brenztraubensäure,  ammoniakalische  Silberlösung  unter 
Spiegelbildung  zu  reduciren,  und  manche  Umsetzungen  derselben,  so  die 
Bildung  von  Grotonsäure  durch  Behandlung  mit  Essigsäureanhydrid  und 
Natriumacetatiö  (vgl.  S.  491). 

Brenztraubensäure  zeigt  das  allgemeine  Verhalten  der  Ketone,  bildet 
ein  Oxim  (vgl.  S.  959)  und  ein  Hydrazon  (Näheres  vgl.  Bd.  II),  welch' 
letzteres  sich  zum  Nachweis  der  Säure  in  verdünnter  Lösung  eignet  ^^; 
Einwirkung  von  Diamid  vgl.  S.  842.  Mit  nascirender  Blausäure  liefert 
sie  einCyanhydrin^*;  mit  Thioglykolsäure  ^*  bildet  sie  ein  Additionsprodukt 


^  Pogg.  36,  1  (1885).  '  MoLDENHAUEB,  Ann.  181,  338  (1864). 

»  Klimenko,  Ber.  3,  466  Anm.  (1870).  —  Seisbl,  Ann.  249,  297  (1888). 

•  Erlenmeyeb  u.  Böttinqer,  Ber.  14,  321  (1881).  —  Doebner,  Ann.  242,  268 
(1887).  — 

»  Bbckubts  u.  Otto,    Her.  10,   265  (1877);  18,  228,  235  (1885).  —  Eine  Syn- 
these des  Brenztraabensäoreanilids  vgl.  Nef,  Ann.  270,  295  £f.  (1892). 

•  SniON,  Bull.  [3]  9,  111  (1893). 

'  YoELCKEL,  Ann.  89,  67  (1854).  —  Claisen  u.  Shadwbll,  Ber,  11,  1567  (1878). 
—  Pebcek,  Joum.  Soc.  61,  807,  836  (1892). 

•  Haktzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  7  (1892). 
»  Beuotew  u.  Wiboand,  Ber.  17,  841  (1884). 

"  HoMOLEA,  Ber.  18,  987  (1885). 
"  E.  PiscHEB  u.  JouRDAN,  Ber.  16,  2242  (1883). 
"  Böttwobb,  Ber.  14,  88  (1881).  —  Gebson,  Ber.  19,  2963  (1886). 
"  Bokoabtz,  Ber.  19,  1933  (1886);  21, 484  (1888).  —  Vgl.  auch  Bbehzinobb,  ZtBchr. 
f.  phyßiol.  Chem.  16,  582  (1892). 


958  Condensationen  der  Brenztraubensäure, 

CH,         /SCH,CO,H  ~" 

yC\  ,   in  Gegenwart   von   Salzsäure   ein   Mercaptol 

CO^W      ^OH 

CH3  /SCH3.CO3H 

j/C\  (Brenztaraubensäuredithioglykokäure).     Mit  Sul- 

COgH/     ^S-CHj.COgH 

fiten  ^  tritt  sie  zu  Additionsprodukten  zusammen. 

Bemerkt  zu  werden  verdient,  daas  Phosphorpen tachlorid  auf  die  Methji- 
gruppe  chlorirend  wirkt  und  Mono-  und  Dichlorbrenztraubensaurechlorid  eraeogt'.  — 
Ueber  die  Einwirkung  von  Phosphorwasserstoff'  vgl.  die  Originalliteratar. 

Besonders  eigenthümlich  ist  die  Neigung  der  Brenztraubens&ure  zu  Conden- 
sationsprocessen^.  Wenn  man  Brenztraubensäure  mit  einer  zur  Neutralisation 
ungenügenden  Menge  Baiythydrat  und  wenig  Wasser  kocht,   so  zersetzt  sie  sich  in 

CH3.CH.COjH 
Kohlensfture,  Essigsfiure,  Brenzweinsfture  |  (S.  665)  und  PvrotritaisSure 

CH,.CO,H 

HC CCOjH 

IL        IL  (^S^'  ^^'  ^^)  ^  ^^^  Bildung  dieser  Produkte  kann  man  eine 

CH*  •  C        C  •  CHa  » 

Erklärung  finden,  wenn  man  annimmt,  dass  Brenztraubensäure  analog  der  Gljoxjl- 
säure  (S.  949)  unter  dem  Einfluss  des  Alkalis  eine  gleichzeitige  Beduction  und  Oxy- 
dation erleidet: 

CH3 .  CO  •  CO,H  CH, .  CH(OH)  •  CO,H 

+  H,0  =  +C0,; 

CH, .  CO .  CO,H  CH3 .  CO .  OH 

Milchsäure  und  Essigsäure  könnten  im  nascirenden  Zustand  mit  einander  zu  Brenz- 

weinsäure : 

CHs .  CH(OH) .  CO,H  CH.  •  CH  •  CO,H 

-H,0  =          I 

CH,.CO,H  CHj-COjH 

Milchsäure  und  Essigsäure  mit  Brenztraubensäure  zu  Pyrotritarsäure: 

CHs  •  CH(OH) .  COjH  CH C  •  CO,H 

''  i 

CHa-CO  COCH,  -SHgO-CO,  =  CH-C  C-CH, 

OH      COjH  O 

zusammentreten.  —  Fügt  man  zur  wässrigen  Lösung  der  Brenztraubensäure  aber- 

CH,.qOH).C0,fl 

schüssiges  Barytwasser,  so  fällt  das  Bariumsalz  der  Hydru vinsäure  yO  iT' 

CH3.d(OH).C0,fl 
aus,  welches  beim  Kochen  mit  Wasser  sich  in  kohlensauren,  Oxalsäuren,  uTitinsaaren 
und  uvitonsauren  Baryt  verwandelt;  unter  diesen  Säuren  ist  die  Uvitinsäore  (vgl 
Bd.  II)  ein  Benzolderivat  von  der  Constitution: 


*  Clewing,  J.  pr.  [2]  17,  241  (1877). 
'  Seissl,  Ann.  249,  299  (1888). 

'  Messinger  u.  Engels,  Ber.  21,  834,  2919  (1888). 

*  FiNKH,  Ann.  122,  182  (1861).  —  Bötttooer,  Ber.  6,  895(1873);  8,  1583  (18j5): 
9,  836  (1876);  18,  609  (1885).  Ann.  172,  239  (1874);  188,  300  (1877);  208,  122 
(1881). 


Äceiyleyanid,   Oadmidopropionsäure,  959 


COjH.C  CCOjH 

CH        CH 


die  üvitoüBflare  wird  als  ätherartiges  Anhydrid  von  Milchsäure  und  Brenztraubensäure : 

CH, .  CH-0~C(CH,)-0-C(OH)(CHa) 

I  .  I  I  angesprochen:  es  ist  schwer,  eine  plausible 

CO,H       CO.H  CO,H 

Erklärung  f&r  diese  merkwürdige  Zersetzung  zu  finden.  —  In  Gegenwart  von  Ammoniak 

entstehen  durch  Condensation  der  Brenztraubensäure  Pyridinderivate. 

Unter  den  Salzen  der  Brenztraubensäure  sei  das  Zinksalz  (CgHgOslsZn 
erwähnt,  welches  ein  weisses,  glanzloses,  krystallinisches  Pulver  darstellt,  in  Wasser 
schwer  löslich  ist,  lufttrocken  3  Mol.  H^O  enthält  und  bei  120^  wasserfrei  wird.  — 
Der  Aethjlester*  siedet  bei  145—146®  und  zerföUt  in  Berührung  mit  Wasser  rasch 
in  Alkohol  und  Säure. 

Brenztraubensäurenitril  oder  Acetylcyanid*  CHg*CO-CN  ent- 
steht durch  Einwirkung  von  Chloracetyl  auf  Cyansilber,  femer  durcTi 
Behandlung  von  Isonitrosoaceton  CHg-CO-CHrN-OH  (S.  859)  mit  Essig- 
säureanhydrid. Es  ist  eine  bei  93®  siedende  Flüssigkeit,  wird  durch 
Wasser  langsam  in  Essigsäure  und  Blausäure  gespalten,  dagegen  durch 
vorsichtige  Behandlung  mit  concentrirter  Salzsäure  in  Brenztraubensäure- 
amid  übergeführt.  Beim  Aufbewahren  oder  beim  Behandeln  mit  festem 
Aetzkali  oder  Natrium  polymerisirt  es  sich  zu  Diacetyldicyanid  C^HgO^N, 
(Schmelzpunkt  69®,  Siedepunkt  210®),  welches  auch  durch  Einwirkung 
von  Essigsäureanhydrid  auf  Cyankalium  erhalten  wird.  —  Brenz- 
traubensäureamid*  CHj-CO-CO-NHg  bildet  wohlausgebildete  wasser- 
klare Krystalle,  schmilzt  bei  124 — 125®,  sublimirt  aber  zum  Theil  schon 
früher  und  löst  sich  leicht  in  Wasser. 

Brenztraubensäureoxim  oder  a-Oximidopropionsäure^CHg* 
C(:N-0H)-C02H  (Isonitrosopropionsäure)  entsteht  nach  den  S.  956 
besprochenen  Bildungsweisen,  bildet  kleine,  kömige,  weisse  Krystalle,  die 
in  Wasser  leicht  löslich  sind,  zersetzt  sich  bei  177®  plötzlich  unter  leb- 
haftem Aufkochen  und  verschwindet  dabei  fast  rückstandslos,  löst  sich 
in  Alkalien  farblos,  wird  durch  gelindes  Erwärmen  mit  Essigsäureanhy- 


*  BorriHOER,  Ber.  14,  316  (1881).  —  Seissl,  Ann.  249,  300  (1888).  —  Cübtiüs 
u.  Lang,  J.  pr.  [2]  44,  557  (1891).  —  Steupe,  Ann.  261,  24  (1891).  —  Simon,  Bull. 
[3]  9,  112  (1898). 

'  HüBNER,  Ann.  120,  334  (1861);  124,  315  (1862).  —  Claisen  a.  Sbadwell, 
Ber.  11,  1565  (1878).  —  Ci.aisen  u.  Manasse,  Ber.  20,  2196  (1887).  —  Klbehank, 
Ber.  18,  256  (1885).  ->  Bbunneb,  Monftteh.  13,  834  (1892). 

*  Claisen  u.  Sbadwell,  Ber.  11,  1566  (1878). 

*  V.  Meter  u.  Züblin,  Ber.  11,  693  (1878).  —  Gütknecht,  Ber.  13,  1116  (1880)*. 
—  V.  Mbteb  u.  Janny,  Ber.  16,  1527  (1882).  —  Bebgbeen,  Ber.  20,  533  (1887).  — 
Hantzsch,  Ber.  24,  50  (1891).  —  Hantzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10, 
7  (1892).  —  Walden,  ebenda,  651. 


960  Homologe  der  Brenxiraubensäure, 

drid  in  Kohlensäure,  Wasser  und  Acetonitril  gespalten,  liefert  durch 
Reduction  mit  Zinn  und  Salzsäure  c^-Amidopropionsäure,  durch  Oxydation 
mit  Kaliumpermanganat  Aethylnitrolsäure;  E  =  0-01.  Ihr  Aethylester 
CH3-C(:N0H)C0a-CaHß  (Bildung  s.  S.  956)  entsteht  auch  durch  Einwir- 
kung  von  salpetriger  Säure  auf  Methylmalonsäureester  CH3-CH(C0jH)- 
COj-CgHg  unter  Abspaltung  von  Kohlensäure  (vgl.  auch  die  Bildung  aus 
Propionylpropionsäureester,  S.  971),  stellt  atlasglänzende  Krystalle  dar, 
schmilzt  bei  95^,  siedet  unter  geringer  Zersetzung  bei  233^  und  löst  sich 
in  Alkalien  farblos  auf. 

Als  OxybTenztraubensäure^  CH2(0H)-00-00tH  ist  wahrscheinlich  eine  Sftnre 
aufzufassen,  welche  bei  der  Zersetzung  von  Nitrocellulose  durch  Alkali  entsteht 

Homologre  der  Brenztraubensäure'.  —  Propionylameisensäure  CH^'OE,- 
CO'COaH  (Methylbrenztraubensäure,  Aethylglyoxylsäure)  ist  flüssig,  siedet 
unzersetzt  unter  23  mm  Druck  bei  78—81^  und  besitzt  bei  17*5^  das  spec  Gew. 
1-200.  —  Trimethylbrenztraubensäure  (CH,),C-CO-CO,H  ist  durch  Oxydation 
von  Pinakolin  (CH,)3C  •  CO  •  CH,  (vgl.  S.  410,  419)  mit  Kaliumpermanganat  gewonnen, 
bildet  sauer  riechende  Prismen,  schmilzt  bei  90—91^,  siedet  wesentlich  unzersetzt 
bei  185 — 185*5^,  ist  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heissem  Wasser  leicht  loslich,  mit 
Dampf  flüchtig  und  wird  durch  Silberoxyd  sowie  durch  Raliumbichromat  zu  Trimethyl* 
essigsaure  oxydirt. 

2.   /3-Eetonsäuren. 

Als  eine  besonders  charakteristische  EigenthümUchkeit  der  /9-Keton- 

säuren,  welche  diese  Säuregruppe  von  den  c^-Ketonsäuren  und  y-Keton- 

säuren  scharf  unterscheidet,    sei   gleich  ihre  ausserordentliche  Neigung 

erwähnt,  Kohlensäure  abzuspalten  und  dadurch  in  Ketone  überzugehen« 

z.  B. : 

CHs.CO.CHj.COsH  =  CH,.COCH, +  C0,. 

Diese  Neigung  ist  so  gross,  dass  die  fi'eien  Säuren  und  ihre  Salze  ihrer 
Unbeständigkeit  wegen  überhaupt  nur  unter  besonderen  Vorsichtsmass- 
regeln erhalten  werden  können.  Beständig  sind  dagegen  die  Ester,  wie 
CH3  •  CO .  CHg  •  CO3  •  CgEß ,  deren  Bildung  schon  S.  953—954  besprochen  wurde. 

Die  Neigung  zur  Kohlensäureabspaltung  bei  den  /9-Ketonsäuren  ist 
analog  der  Leichtigkeit,  mit  welcher  aus  den  /^-Sulfoncarbonsäuren 
(S.  745),  wie  CaH5-SP2.-CH3-C02H,  und  den  /S-halogenirten  Carbonsauren 
(S.  713)  die  Carboxylgruppe  abgespalten  wird. 

AcetessigsSure  ^  CHg-COCHj-COjH  (Acetoncarbonsäure)  ist  die 
denkbar  einfachste  /?-Ketonsäure.  Wenn  man  ihren  Aethylester  (3.  S.  961) 
in  etwas  mehr  als  der  berechneten  Menge  2^/2procentiger  Kalilauge  löst 

*  Will,  Ber.  24,  400,  3831  (1891). 

*  Hübneb,  Ann.  131,  74  (1864).  —  Claisek  u-  Mobitz,  Ber.  13,  2121  (1880).  — 
Mobitz,  Joum.  Soc.  39,  13  (1881).  —  Wleüoel,  Ber.  16,  1057  (1882).  —  POeth,  Ber.  le. 
2180  (1883).  —  Lobby  de  Bbuyn,  Rec.  trav.  chim.  8,  387  (1884).  —  Abistow  u.  Dexjakov, 
Ber.  2O0,  698  (1887).  —  W.  Wislioenus  u.  Abnold,  Ber.  20,  3395  (1887).  —  GlCcbs- 
MANN,  Monatsh.  10,  770  (1889). 

^  Cebesole,  Ber.  15, 1327,  1871  (1882).  —  Deichmülleb  u.  Tollens,  Ann.  208,  21 
30  (1881).  —  V.  Jaksch,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  7, 487  (1882).  —  Otto,  Ber.  21, 93  (18S8). 


Acetessigsäure  und  Acetessigester,  961 


und  diese  Lösung  in  der  Kälte  24  Stunden  stehen  lässt,  so  erhält  man 
eine  Lösung  ihres  Ealiumsalzes.  Säuert  man  letztere  mit  Schwefelsäure  an, 
schüttelt  mit  Aether  aus  und  verdampft  die  ätherische  Lösung  vorsichtig, 
so  hinterbleibt  ein  Gemisch  von  Acetessigester  und  freier  Acetessigsäure; 
wird  dies  Gemisch  mit  Bariuracarbonat  und  Wasser  verrieben,  so  bleibt 
der  Ester  zurück,  die  Säure  geht  als  Bariumsalz  in  Lösung;  schon  beim 
Verdampfen  dieser  Lösung  im  Vacuum  über  Schwefelsäure  tritt  indess 
theilweise  Spaltung  ein.  Die  freie  Säure  ist  als  hygroskopischer  Syrup  er- 
halten worden,  zerfällt  beim  Erwärmen  schon  unterhalb  100^  unter  stürmi- 
schem Aufbrausen  in  Aceton  und  Kohlensäure,  giebt  in  wässriger  Lösung 
mit  salpetrige!*  Säure  momentan  Kohlensäure  und  Isonitrosoaceton  (vgl. 
S.  859),  mit  Chlor  Kohlensäure  und  Chloraceton.  Mit  Eisenchlorid  giebt 
sie  eine  schön  rothviolette  Reaction ;  es  scheint,  dass  die  rothe  Eisenchlorid- 
reaction  des  Harns  von  Diabetikern,  welcher  bei  der  Destillation  Aceton 
liefert,  durch  Acetessigsäure  bedingt  wird  (vgl.  S.  414). 

Der  Acetesslgsftnrejftthylester  C^-CO-CHj-COaCaHg  (Acetessig- 
ester)  ist  18^  von  Geütheb^  entdeckt  worden.  Seine  Natriumverbindung 
(vgl.  S.  963)  entsteht  durch  Einwirkung  von  metallischem  Natrium  auf 
Essigsäureäthylester  (vgl.  S.  953 — 954).  Acetessigester  ist  eines  der  wichtig- 
sten Hülfsmittel  für  organische  Synthesen  geworden  und  daher  eine  in  den 
organischen  Laboratorien  täglich  gebrauchte  Substanz ;  seit  einigen  Jahren 
wird  er  auch  technisch  in  grossen  Mengen  hergestellt,  da  er  als  Zwischen- 
produkt bei  der  Darstellung  des  Antipyrins   (vgl.  Bd.  II)  benutzt  wird. 

Darstellung  von  Acetessigester^  30  g  Natrium  werden  in  möglichst  feine 
Scheiben  geschnitten,  in  einen  Kolben  mit  Kückflusskühler  gebracht  und  mit  800 g 
reinem  Essigester,  der  über  Chlorcalcium  destillirt  war,  Übergossen.  Nach  kurzer 
Zeit  geräth  in  der  Regel  die  Flüssigkeit  ins  Sieden;  wenn  die  Keaction  nachlftsst, 
bezw.  wenn  sie  nicht  von  selbst  eintritt,  erhitzt  man  im  Wasserbade  bis  zur  voll- 
ständigen Lösung  des  Natriums.  Die  Reactionsmischung  enthält  nun  den  Natracet- 
essigester  und  wird,  nachdem  sie  etwas  abgekühlt  ist,  unter  äusserer  Kühlung  mit 
verdünnter  Essigsäure  (1:1)  bis  zur  sauren  Reaction  versetzt,  um  den  Acetessigester 
in  Freiheit  zu  setzen.  Nach  Zusatz  eines  gleichen  Volums  gesättigter  Kochsalzlösung 
hebt  man  die  obere  Essigesterschicht  von  der  wässrigen  Salzlösung  ab,  destillirt  den 
unveränderten  Essigester  aus  dem  Wasserbade  ab  und  fractionirt  den  Rückstand  — 
aber  nicht  zu  oft,  da  sich  Acetessigester  bei  jeder  Destillation  zum  kleinen  Theil  zer- 
setzt.    Die  Fraction  von  170—180^  (uncorr.)  ist  fast  reiner  Acetessigester. 

Acetessigester  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  angenehm  erdbeer- 
artigem Geruch,  siedet  bei  181®,  besitzt  das  spec.  Gew.^  1-030  bei  15®, 
ist  in  Wasser  nur  wenig  löslich,  mit  Wasserdämpfen  flüchtig  und  färbt 
sich  mit  Eüsenchlorid  violett.  Bei  der  DestiDation  wird  ein  kleiner  Theil 
des  Acetessigesters  unter  Bildung  von  Dehydracetsäure  (S.  966,  Näheres 
vgl.  Bd.  II)  zersetzt. 

'  Jb.  1863,  323.  Ztschr.  Chem.  1866,  5.  —  Historisches  vgl.  bei  Wislicenüs, 
Ann.  186,  163  (1877). 

'  Vgl.  Wblicekus  u.  Cokrad,  Ann.  186,  210  (1877). 

»  Bbühl,  Ann.  203,  26  (1880).  —  Elion,  Rec.  trav.  chim.  3,  246  (1884).  — 
Perkik,  Joum.  Soc.  61,  836  (1892). 

y.  Metkr  o.  Jaoobsoh,  org.  Chem.   I.  61 


962  Acetessigesier  {Ketcmspaitung,  SäurespcUtung, 


Dass  Acetessigesier  durch  Torsichtige  Verseifaug  mit  kaltem  yer- 
dünnten  Alkali  in  Alkalisalze  der  Acetessigsäure  übergeführt  werden 
kann,  ist  schon  S.  960 — 961  erwähnt.  Durch  Erhitzen  mit  verdünnten 
Säuren  wird  er  in  Aceton,  Kohlensäure  und  Alkohol  gespalten: 

CH3.CO.CHj.CÖ,.C,H8  +  H,0  =  CHj-COCHj  +  COj  +  CAOH; 

durch  Erwärmen  mit  stärkeren  Alkalilaugen  erleidet  er  zum  Theil  die 
gleiche  Spaltung,  zum  Theil  zerßlllt  er  —  umgekehrt,  wie  seine  Bildung 
erfolgt,  —  in  zwei  Molectile  Essigsäure*: 

CH8C0-CH,.C0,.C,H5  + 2K0H  =  CHjCOOK  +  CHsCOOK  +  C,Hj^H. 

Diese  beiden  Spaltungsreactionen  sind  auch  für  die  Homologen  des 
Acetessigesters  und  andere  /S-Ketonsäureester  typisch  und  werden  als 
„Ketonspaltung"  und  „Säurespaltung''  von  einander  unterschieden 
(vgl.  S.  968—969). 

Bevor  die  weiteren  Umsetzungen  des  Acetessigesters  zur  Besprechung 
gelangen,  sei  hier  gleich  darauf  hingewiesen,  dass  die  durch  die  Be- 
zeichnung „Acetessigester"  ausgedrückte,  von  Fbanklaio)  und  Düppa* 
herrührende  Auffassung  der  Constitution  des  in  Bede  stehenden  Esters 

als  Ketonsäureester : 

CH,.C0.CH,.C0,.C,H5 

nicht  von  allen  Seiten  anerkannt  wird;  Geuthee  —  der  Entdecker  dieser 

wichtigen  Verbindung  —  sprach  sie  als  Ester  der  /S-Oxycrotonsäure: 

CH, .  (HOB) :  CH  •  CO,  •  C,Hj 

an ,  und  auch  in  letzter  Zeit .  ist  diese  Ansicht  noch  verfochten  und 
wieder  bekämpft  worden.  Die  Wahrscheinlichkeit  der  beiden  Formeln 
soll  weiter  unten  (S.  964)  discutirt  werden. 

Die  bemerkenswertheste  Eigenschaft  des  Acetessigesters  ist  seine 
Fähigkeit  zur  Bildung  von  Metallverbindungen.  Acetessigester  C^Hj^^O, 
reagirt  zwar  neutral,  leitet  auch  die  Electricität  so  gut  wie  gar  nicht ^. 
besitzt  aber  doch  ein  durch  Metallatome  vertretbares  Wassersto&tom. 
wie  durch  die  Existenz  von  Metallverbindungen  CgHgOjNa,  (CgHj03)j|Hg. 
(CßHgOg)jCu  etc.  bewiesen  wird;  er  kann  daher  in  gewissem  Sinne  als 
Säure  —  Geuthee  nannte  ihn  Aethyldiacetsäure  —  bezeichnet  wer- 
den; in  verdünnten  Alkalien  löst  er  sich  auf;  in  wasserfreien  Lösungs- 
mitteln mit  Natrium  zusammengebracht,  löst  er  das  Metall  unter  Wasser- 
stoflFentwickelung  und  Bildung  der  Natriumverbindung  CgH^OjNa  auf*. 
Die  Bildung  solcher  Metallverbindungen  hat  man  entweder  darauf  zurück- 
zuführen, dass  die  Wasserstoflfatome  der  Methylengruppe,  welche  zwischen 
der  Acetyl-  und  der  Carboxäthylgruppe  steht,  durch  den  Einfluss  dieser 
sauren  Gruppen  austauschbar  werden  (vgl.  Malonsäureester,  S.  651 — 653. 


*  WisLicENUs,  Ann.  190,  257  (1877). 

*  Ann.  138,  842  (1865). 

*  Walden,  Ber.  24,  2030  (1891).    —   Vgl.  dagegen  Mulldcen  nach  Nkp,  Ann. 
270,  .S34  (1892). 

*  WiSLicBKüs,  Ann.  186,  183  (1877). 


Aktaüderivate).  963 


^-Diketone,  S.  854),  oder  im  Sinne  der  Oxycrotonsäureformel  auf  die 
Gegenwart  einer  alkoholischen  Hydroxylgruppe: 

CH, .  CO .  CHNa  •  CO,  •  C^Hj    bez W.    CH3  •  C(ONa) :  CH  •  CO^  •  C,Hß . 

Wenn  man  nun  auf  die  Natriumverbindung  Halogenalkyle  einwirken 
lässt,  80  entstehen  Verbindungen,  welche  ihrem  Verhalten  nach  unzweifel- 
haft als  wahre  Homologe  des  Acetessigesters  von  der  Structur  CHj-CO- 
CBni-CO,-CgHß  aufgefasst  werden  müssen  (vgl.  S.  968).  Dies  ist  auf 
Grund  der  Eetonsäureformel  sofort  als  Folge  einer  doppelten  Umsetzung 
verständlich : 

CH,.C0.CHNa.C0,.C,H5  +  CÄ-J  =  CHa.C0.CH(C,H6).C0,.C,H5  +  NaJ; 

bei  Annahme  der  Oxycrotonsäureformel  dagegen  ist  nur  durch  Aufein- 
anderfolge einer  Additions-  und  Abspaltungsreaction  das  Endresultat 
zu  erklären,  z.  B.: 

CHs .  0(0Na) :  CH  •  CO,  •  CjH^  +  CjE^  •  J  =  CR,  •  CJ(ONa)  ■  CHCCjHg)  •  CO,  •  CjHj , 

CH, .  C  J(ONa)  •  CH(C,H5)  •  CO,  •  CHj  =  CH,  •  C(ONa) :  C(C,H5)  •  CO,  •  C,H5  +  HJ 

=  CH, .  C(OH) :  C(C,H5)  •  CO,  •  C.Hj  +  NaJ. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Bildung  einer  Verbindung  CHj-C(0- 
C2H5):CH-COg-C,H5  in  letzterem  Falle  von  vornherein  für  wahrschein- 
licher hätte  gehalten  werden  müssen.  Eine  Verbindung  von  solchem 
Typus  —  CH3-C(0-C03-CaHß):CHCO,-CjH5  —  entsteht  übrigens  that- 
sächlich  bei  der  Einwirkung  von  Chlorkohlensäureester  Cl-COj-CjHg 
auf  Natracetessigester^.  —  Erwähnt  sei  ferner  gleich  hier  als  Ar  die 
Beurtheilung  der  Constitution  des  Natracetessigesters  wichtig,  dass  Natra- 
cetessigester  mit  Jod  unter  Bildung  von  Diacetbernsteinsäureester  (S.  988) 
reagirt   —   ein   auf  Grund    der   Eetonsäureformel  direct   verständlicher 

Process: 

CH,.CO.CH.CO,.C,Hg 
2CH,  •  CO  •  CHNa-  CO,  •  C,H5  +  2  J  =  |  +2  NaJ. 

CH,.C0.CH.C0,.C,H5 

Metallverbindungen  des  Acetessigesters^  Natracetessiges ter 
CgH^OsNa  ist  wasserfrei  in  Aether  löslich,  bildet  aber  mit  Wasser  ein  in  Aether 
unlösliches,  krystallinisches  Hydrat.  Für  die  Synthesen,  bei  denen  er  als  Zwischen- 
produkt verwendet  wird,  stellt  man  ihn  in  der  Kegel  nicht  in  fester  Form  dar  (vgl. 
S.  968).  —  Kupferacetessige&ter  (CqH90,),Cu  wird  erhalten,  wenn  man  eine 
verdünnte  Losung  von  Kupfersulfat  mit  einer  Mischung  gleicher  Volumina  Acet- 
essigester  und  Alkohol  versetzt  und  dann  die  zur  Neutralisation  erforderliche  Menge 
titrirten  Ammoniaks  unter  Umrühren  einträgt;  er  löst  sich  in  etwa  10  Th.  kochendem 
Benzol  und  krystallisirt  daraus  in  grünen  Nadeln. 

In  einigen  Beactionen  verhält  sich  Acetessigester  ganz  wie  ein 
Keton.     So  wird  er  von  nascirendem  Wasserstoff  zu  /S-Oxybuttersäure 


*  Vgl.  Michael,  J.  pr.  [2]  37,  473  (1888);  45,  580  (1892).  —  Claisen,  Ber.  25, 
1760  (1892). 

•  LippMANN,  Ztschr.  Chem.  1869,  29.  —  Conrad,  Ann.  188,  269  (1877).  — 
Harbow,  Ann.  201,  143  (1880).  —  Elton,  Rec.  trav.  chim.  3,  240  (1884).  Ber.  23, 
3123  (1890).  —  Conrad  u.  Guthzeit,  Ber.  19,  21  (1886).  —  Nbf,  Ann.  266,  95  (1891), 

61* 


964  Acetessigester  (Eirvwirhwng  v.  Wasserstoff,  Blausäure,  Phosphorpentaehlond, 


(S.  759)  reducirt,  bildet  mit  Natrinmbisulfit  eine  farblose,  krystallinische 
Verbindung^,  mit  Blausäure  ein  Cyanhydrin  (vgl.  S.  798),  reagirt  mit 
Thioglykolsänre*  in  Gegenwart  von  Salzsäure  unter  Bildung  der  Ver- 
bindung CHg  •  C(S  •  CHj,  •  COaH)a  •  CH,  •  COg  •  CaH^ ;  Phosphorpentachlorid  wirkt 
unter  Erzeugung  von  Chlorcrotonsäuren  ein  (vgl.  S.  498 — 499).  Es  ist 
leicht  ersichtlich,  dass  alle  diese  Beactionen  auch  durch  die  Oxycroton- 
Säureformel  ganz  gut  gedeutet  werden  können. 

Hydroxylamin^,  in  alkalischer  Lösung  angewendet,  erzeugt  das 
innere  Anhydrid  der  /S-Oximidobuttersäure  (Methylisoxazolon): 

CHj.C-CHj-CO 

!'  I    , 

N 0 

welches   mit  Basen   zu   Salzen  der  Oximidobuttersäure   CH3-C(:N-0H)- 

CHj-CO-OH  zusammentritt.    Phenylhydrazin*  reagirt  unter  Bildung  einer 

Verbindung,  für  welche  die  von  der  Oxycrotonsäureformel  sich  ableitende 

Structurformel: 

GH,.C:CH.C0j.CaH5 

I 
NHNH.CeHj 

wahrscheinlich  gemacht  ist. 

Auch  die  Einwirkung  von  Ammoniak  und  Aminen  verläuft,  wie  schon 
S.  836 — 837  ausgeführt  wurde,  in  diesem  Sinne  und  fuhrt  zur  Bildung 
von  Amidocrotonsäureester  CH3-C(NHg):CH-C02-C,Hß  bezw.  Esteni  von 
Alkylamidocrotonsäuren. 

Es  sind  namentlich  diese  letzterwähnten  Beactionen,  welche  zu 
Gunsten  der  Oxycrotonsäureformel  angeführt  werden;  bei  Annahme  der- 
selben erscheinen  sie  einfach  als  bedingt  durch  eine  Auswechselung  der 
Hydroxylgruppe  gegen  ein  einwerthiges  stickstoffhaltiges  Radical.  Anf 
Grund  der  Ketonsäureformel  erklären  sie  sich  indess  ebenfalls  einfach, 
wenn  man  die  keineswegs  unwahrscheinliche  Annahme  macht,  dass  zu- 
nächst Addition^  und  darauf  Wasserabspaltung  eintritt: 

CHaCOCHjCOj.CjHß  +  HjNNH.CeHj  =  GH,  •  C(OH)  •  CH,  •  CO,  •  CjH» 


NHNH.CeHs 

=  CH,.C:CH.C0,.C,H5 

I  -h  H,0. 

NHNHCeHj 

Die  Annahme  der  Oxycrotonsäureformel  für  den  Acetessigester  ist 
mithin  auch  in  den  Fällen  nicht  nöthig,  wo  als  Umsetzungsprodukte 
desselben  wirklich  Derivate  der  Crotonsäure  erhalten  werden.  Bei  Be- 
trachtung des  Gesammtverhaltens  wird  man  kaum  zweifelhaft  sein,  dass 


*  Elion,  Rec.  trav.  chim.  8,  245  (1884).  «  Bongartz,  Ber.  21,  485  (ISSSV 
'  Westbnberqee,  Ber.  16,  2996  (1883).    —    Hantzsch,  Her.  24,  496  (18911  - 

Hantzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  17  (1892). 

*  Nkf,  Ann.  266,  70  (1891).  —  Vgl.  auch  Freer,  J.  pr.  [2]  47,  237,  246  (1893^. 

*  Vgl.  Nkf,  Ann.  270,  289,  300,-  319,  322  (1892). 


HydroQoylamin,  Ämmonicüc  etc.     Constitution).  965 


die  Ketonsäureformel  CHj-CO-CHj-COj-CjHg  eine  einfachere  Deutung 
erlaubt,  als  die  Oxycrotonsäureformel.  Als  Argument  in  dieser  Streit- 
frage^ können  ferner  die  physikalischen  Constanten  des  Acetessigesters 
(Lichtbrechungsvermögen,  magnetische  Rotation)  herbeigezogen  werden, 
deren  Werth  bei  Berücksichtigung  gewisser  Gesetzmässigkeiten  mit  der 
Ketonsäureformel  übereinstimmt,  der  Oxycrotonsäureformel  aber  wider- 
spricht. Endlich  muss  besonders  hervorgehoben  werden,  dass  Acetessig- 
ester  weder  durch  Essigsäureanhydrid  noch  durch  Acetylchlorid  — 
'  Seagentien,  welche  auf  Hydroxyl Verbindungen  stets  acetylirend  wirken, 
—  in  eine  Acetylverbindung  übergeführt  wird.  .  Man  könnte  freilich 
den  Einwand  geltend  machen,  dass  Hydroxylgruppen,  die  an  ein  doppelt 
gebundenes  Eohlenstoffatom  gebunden  sind,  sich  anders  verhalten  können; 
aber  auch  dieser  Einwand  ist  nicht  stichhaltig,  seitdem  Glaisen  in  den 
sogenannten  /9-Ketoaldehyden  (S.  860 — 861)  der  aromatischen  Eeihe 
Verbindungen  aufgefunden  hat,  in  welchen  auf  Grund  ihres  Verhaltens 
der  Complex: 

-C(OH)=C-CO- 
I 

angenommen  werden  muss;  diese  Verbindungen  nun  verhalten  sich 
durchaus,  wie  man  es  von  Hydroxyl  Verbindungen  gewohnt  ist,  und 
durchaus  verschieden  vom  Acetessigester.  Sie  liefern  mit  Essigsäure- 
anhydrid und  Benzoylchlorid  leicht  Acetate  bezw.  Benzoate;  bei  der 
Umsetzung  ihrer  Natriumsalze  mit  Jodalkylen  tritt  der  Alkylrest  an  das 
Sauerstoffatom.  Der  Vergleich  mit  diesen  Verbindungen  zeigt  deutlich, 
dass  Acetessigester  nicht  ihnen  analog  als  Oxycrotonsäureester 

CH,.C(0H):CH'C0,.C,H5 

aufgefasst  werden  kann.     Die  Ketonsäureformel  dagegen: 

CH3.CO.CH,.CO,.C,H8 

erklärt  sein  Gesammtverhalten  in  durchaus  befriedigender  Weise. 

Trotzdem  hält  Claisen',  der  neaerdings  in  besonders  überzeugender  Weise 
gegen  Nef  für  die  Ketonnatar  des  Acetessigesters  plaidirt  hat,  mit  Michael  für  den 
Natrium  acetessigester  noch  die  Form  ei  C  Hg  •  C(0  Na) :  C  H  •  CO,  •  C^Hs  für  möglich. 
Diese  Ansicht  scheint  indess  namentlich  in  Rücksicht  darauf  wenig  plausibel,  dass 
bei  der  Einwirkung  von  Jod  auf  Natracetessigester  (S.  963)  Verkettung  zweier  Reste 
durch  Kohlenstoffbindung  stattfindet.  Mit  Bezug  auf  dies  Problem,  sowie  mit  Bezug 
auf  die  Theorie  der  Bildung  des  Acetessigesters  (S.  953 — 954)  wäre  es  gewiss  interessant 
zu  untersuchen,  ob  etwa  der  Natracetessigester,  welcher  bei  der  Bildung  des  Acet- 


^  Beiträge  zu  derselben  aus  neuerer  Zeit:  Wedel,  Ann.  219,  87  (1883).  — 
Geuther,  ebenda,  119.  Ann.  244,  190  (1887).  —  Hantzsch,  Ann.  222,  40  (1883).  — 
Hamtzsgh  u.  Herhann,  Ber.  21,'  1084  (1888).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  37,  473  (1888); 
46,  580  (1892);  46,  189  (1892).  —  Nef,  Ann.  266,  52  (1891);  270,  331  (1892).  — 
V.  Pbchxakn,  Ber.  24,  4099  (1891);  25,  L040  (1892).  —  Brühl,  Ber.  25,  366(1892). 
—  Claiseh,  Ber.  25,  1776  (1892).  —  Perkin,  Journ.  Soc.  61,  808,  836  (1892).  — 
Frebb,  J.  pr.  [2]  47,  236  (1898). 

»  Ber.  25,  1777  Anm.  (1892). 


966        CondenscUionen  des  Äcetessigsäureäthylesters.     Andere  Ester  d^ 

essigesters   ans   Essigester   direct   entsteht   (8.  961),    verschieden    ist  von  dem  aas 
fertigem  Acetessigester  sich  bildenden  Natriumsalze. 

Von  sonstigen  Reactionen  des  Acetessigesters  sei  erwähnt,  dass  er 
durch  nascirende  salpetrige  Säure  in  Isonitrosoacetessigester  CHg-CO- 
C(:N-0H)-C0,-C,H5  (vgl.  S.  977)  übergeführt  werden  kann,  von  rauchen- 
der Salpetersäure^  in  eine  Verbindung  verwandelt  wird,  welche  wahr- 
scheinlich die  Structur: 

CO, .  C,H5— C C— CO, .  CA 


N        N 

I 
0- 


i 


besitzt.  Bemerkenswerth  sind  die  Beactionen,  durch  welche  Acetessig- 
ester in  Derivate  cyclischer  Stammsubstanzen  übergeht.  Die  Dehydracet- 
säure^  welche  durch  Zersetzung  des  Acetessigesters  in  der  Hitze  entsteht, 
ist  als  Pyronderivat  von  der  Structur: 

CHjC  CO  CO  CCH.CO.CH, 

II  1  oder       I  1 

CH         CH-COCH,  CH,        CH 

CO  CO 

erkannt.  Durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure*  liefert 
Acetessigester  den  Isodehydracetsäureester  Cj^Hi^O^  (=  ^Cfi^fi^- 
H,0  -  C^H^O): 

CO         CCH, 

CH         C  •  COj  •  C]Hg . 

\CH, 

Durch  Einwirkung  von  Chloroform  auf  Natracetessigester  entsteht  ein 
Benzolderivat . —  die  Oxyuvitinsäure;  durch  Condensation  von  Acetessig- 
ester mit  Aldehydammoniak  können  Pyridinderivate,  mit  Anilin  Chinolin- 
derivate,  mit  Phenylhydrazin  Pyrazolderivate,  mit  Amidinen  Pyrimidin- 
derivate  gewonnen  werden.  Diese  Reactionen  sind  eingehender  erst  bei 
den  betreffenden  Reactionsprodukten  zu  besprechen. 

Fernere  ^Derivate  der  AeetessiirsXure. 

Ester.  Wenn  man  —  analog  der  Darstellang  des  Acetessigsäurefithylest^is 
(S.  961)  —  metallisches  Natrium  statt  auf  Essigsäureäthylester  auf  andere  Alkylester 
der  Essigsäure   einwirken  lässt,   so   erhält   man   die   entsprechenden  Alkylester  der 

^  Pröpper,  Ann.  222,  46  (1883).  —  Cramer,  Ber.  25,  718  (1892). 

'  Hantzsch,  Ann.  222,  1  (1888).  —  AMSciith^,  Benbtx  u.  Kerf,  Ann.  269,  \^ 
(1890).  —  üeber  Condensation  des  Acetessigesters  durch  Chlorwasserstofl^  ^T^- 
PoLONOWSKA,  Her.  10,  2402;  (1886).  Genvrbsse,  Ann.  eh.  [6]  24,  88  (1891),  Bull- 
[8]  7,  586  (1892).  Hantzsch,  Ann.  259,  257  Anm.  (1890).  Ber.  25,  1310  (1892).  - 
üeber  Einwirkung  von  Bromwasserstcff  vgl.  Feeer,  J.  pr.  [2]  47,  238,  251  (1898). 


Acetessigsänre.     Oyanaceton.     Halogenderivate  des  Acetessigesters,       967 


Aoeteasigsäure,  z.  B.  Acetessigsäuremethylester  CHs •  CO •  CH« •  CO, •  CH,  (Siede- 
punkt 167— 168 ^  ßpec.  Gew.  bei  9*^  1*037)  aus  EBsig8äu^emeth7le8ter^  Zu  diesen 
Estern  gelangt  man  auch  vom  Acetessigäthjlester  durch  Austausch  des  Alkybrests, 
wenn  man  den  Aethjlester  in  Gegenwart  von  Natriumalkoholat  mit  überschüssigem 
Methylalkohol,  Amylalkohol  etc.  stehen  lässt  oder  —  bei  Abwesenheit  von  Natrium 

—  mit  einem  grossen  Ueberschuss  höherer  Alkohole  (Methylalkohol  wirkt  bei  Ab- 
wesenheit von  Natrium  nicht  ein)  längere   Zeit  kocht*. 

Acetessigsäurenitril  oder  Cyanaceton' CHg'CO-CH^'CN  ist  eine  farblose 

Flüssigkeit  von  nur  geringer  Beständigkeit,  die  schon  bei  gelindem  Erwärmen  sich 

unter  explosionsartigem  Aufkochen  polymerisirt;  es  entsteht  aus  dem  dimolecularen 

Cyanmethyl  (vgl.  8.  299—800)  CH8.C(:NH)CH,.CN  durch  Einwirkung  von  concen- 

trirter   Salzsäure    und    aus   dem  a-Methylisoxazol,   welches  durch  Einwirkung  von 

Hydrozylamin  auf  Oxymethylenaceton  (S.  860 — 861)  gebildet  wird,  durch  Umlagerung 

mittelst  Natriumäthylat: 

CH CH  CHNa-CN 

11  1      +  C^Hs-ONa  =  I  +  CjH^OH. 

CH,.C  TS^  CHjCO 

\o/. 

Aus  Chloraceton  und  Cyankalium  erhält  man  dimoleculares  Cyanaceton  CHg-CO- 
CN        CH, 

I  I  .     Das   Imidonitril    der   Acetessigsäure   CH,-C(:NH)- 

CH C(OH).CH,.CN 

CH,-CN oder  AmidocrotonsäurenitrilCH,*C(NH,):CH-CN  ist  dasdimoleculare 
Cyanmethyl*  (S.  299),  welches  ÜEirblose  Nadeln  vom  Schmelzpunkt  52—58^  bildet. 

Halogr^nderivate  des  Aeetessigesters^.  Acetessigester  lässt  sich  durch  directc 
Einwirkung  von  Chlor  (auch  Sulfurylchlorid)  oder  Brom  chloriren  bezw.  bromiren. 
Es  hat  sich  bei  der  Untersuchung  der  so  entstehenden  Halogenderivate  das  eigen- 
thümliche  Ergebniss  herausgestellt,  dass  Chlor  und  Brom  sich  hinsichtlich  des  Orts, 
an  dem  sie  Substitution  bewirken,  verschieden  verhalten.  Dem  durch  directe 
Chlorirung  entstehendea  Monochloracetessigester  (Siedepunkt  198 — 195^  spec. 
Gew.  bei  14°  1-19)  muss  seinen  Reactionen  zufolge  die  Formel  des  a-Chloracetessig- 
esters  CH, •  CO •  CHCl •  CO, •  CjHg  beigelegt  werden;  bemerkt  zu  werden  verdient,  dass 
er  gleich  dem  Acetessigester  die  Fähigkeit  zur  Bildung  von  Metallverbindungen  wie 
(CeHgClOaJgCu  zeigt,  während  der  durch  weitere  Chlorirung  daraus  entstehende 
Dichloracetessigester  diese  Fähigkeit  nicht  zeigt  und  daher  wahrscheinlich  die  Formel 

^  BaAin>Es,  Ztschr.  Chem.  1866,  454.  —  EmfERLiNG  u.  Oppenheim,  Ber.  0,  1097 
(1876).  —  Conrad,  Ann.  186,  228  (1877). 

*  Peters,  Ber.  20,  8823  (1887).    Ann.  267,  358  (1889). 

»  HoLTZWABT,  J.  pr.  [2]  30,  287  (1889).  —  James,  Ann,  231,  245  (1885).  — 
Hantzsch,  Ber.  23,  1472,  1816  (1890).  —  OsEfaiA,  Ann.  266,  885  (1891).  —  Claisen 
u.  Lanzendöbpee,  Ber.  25,  1787  (1892).  —  Bubns,  J.  pr.  [2]  47,  120  (1898). 

*  HoLTzwABT,  J.  pr.  [2]  38,  343  (1888);  39,  230  (1889).  —  Bürns,  J.  pr.  [2]  47, 
105  (1898). 

»  Conrad,  Ann.  186,  282  (1*77).  Ber.  11,  2177  Anm.  (1878).  —  Allihn,  Ber. 
11,  567  (1878);  12,  1298  (1879).  —  Duisbebq,  Ann.  213,  137  (1882).  —  Lippmann, 
Ber.  15,  2142  (1882).  —  Conbad  u.  Guthzeit,  Ber.  16,  1551  (1883).  —  Wedel,  Ann. 
219,  74,  92  (1883).  -    Leuckart,  Ber.  18,  2098  (1885).  —  Ossipofp,  Jb.  1887,  1719. 

—  Mbvbs,  Ann.  245,  58  (1888).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  37,  505  (1888).  —  Genvresse, 
Compt  rend.  107,  687  (1888).  Ann.  eh.  [6]  24,  46  (1891).  —  Haller  u.  Held, 
Compt  rend.  108,  516  (1889);  114,  898,  452  (1892).  —  Schönbrodt,  Ann.  253,  168 
(1889).  —  Hantzsch,  Ber.  23,  2339  (1890J.  —  Nef,  Ann.  266,  77  (1891).  —  Steüde, 
Ann.  261,  27,  46  (1891).  —  Hantzsch  u.  Schiffer,  Ber.  25,  728  (1892). 


968  Thioacetessigester.     Homologe 


CHj •  CO  •  CCl^  •  CO, •  CjHg  besitzt.  Der  durch  directe  Bromirung  erhältliche  Mono- 
bromaceteBsigester  (ein  unter  Atmosphärendruck  nicht  unzersetzt  destillirbares 
Oel,  spec.  Gew.  bei  28^:  1-511)  ist  dagegen  seinen  Reactionen  zufolge  als  /-Brom- 
acetessigester  CH,Br  •  CO •  CH, •  CO, •  C^Hg  anzusprechen;  ein  isomeres  Monobrom- 
derivat  scheint  durch  Einwirkung  von  Brom  auf  Kupferacetessigester  zu  entstehen. 
Ueber  höhere  Halogenderivate  vgl.  die  Originalliteratur. 

CH,  •  CO  •  CHv   -CO, .  CjHg 
Thioaeetessigester*  )>S  entsteht  durch  Einwirkung  von 

CH, .  CO .  CH/_CO, .  C,H6 

Chlorschwefel  auf  Acetessigester,   bildet  farblose  Nadeln  und  wird  durch  kochende 

Kalilauge  in  Alkohol,  Essigsäure  und  Thiodigljkolsäure  (S.  749)  gespalten. 

Homologe  des  Acetesslgesters.  Die  Homologen  des  Acetessigesters, 
deren  Alkylrest  an  dem  zwischen  Carbonyl-  und  Carboxäthylgruppe  be- 
findlichen Kohlenstoflfatom  haftet,  können  direct  aus  dem  Acetessig- 
ester durch  Einführung  von  Alkylresten  erhalten  werden.  Indem 
man  den  Natracetessigester  mit  Alkylhalogenen  umsetzt  (vgl.  S.  963), 
gelangt  man  zunächst  zu  monalkylirten  Acetessigestern  CH^-CO- 
CHRCOj-CjHß,  z.B.: 

CHj.COCHNa.COjCjHs  +  CHaJ  =  NaJ  +  CH,.CO.CH(CH,).COj.C,H,. 

In  diesen  Monalkylacetessigestern  ist  nun  wieder  ein  Wasserstoffatom 
durch  Natrium  ( —  aber  nicht  durch  Kupfer*  — )  vertretbar;  die  so 
entstehenden  Natrium  Verbindungen,  aufs  Neue  mit  Alkyljodiden  umge- 
setzt, liefern  die  dialkylirten  Acetessigester  CHg-CO-CR^-COj-CjHg. 
z.  B.: 
CH,.C0.CNa(CH8).C0,.C,H5  +  C^H^J  =  NaJ  +  CH^CO  0(C8HaXCH,).CO,.CA, 

welche  nun  nicht  mehr  ein  durch  Metall  vertretbares  Wasserstoffatom 
enthalten. 

Zur  Ausfuhrung'  derartiger  Alkylirungen  löst  man  die  berechnete  Menge 
Natrium  in  10—12  Th.  absolutem  Alkohol,  fligt  zu  der  Natrium&thylatlösung  nach  dem 
Erkalten  den  Acetessigester  und  das  Halogenalkyl  zu  und  digerirt  bis  zum  Aufhören 
der  alkalischen  Reaction.  Man  destillirt  darauf  den  Alkohol  grösstentheils  ab,  scheidet 
aus  dem  Rückstand  den  Alkylacetessigester  durch  Wasser  ab  und  rectificirt  letzteren 
eventuell.  Ueber  die  Geschwindigkeit  der  Reaction,  sowie  allgemeinere  Bemer- 
kungen über  ihren  Verlauf  vgl.  Conead  u.  Brücki^bb^ 

Dass  die  so  entstehenden  Verbindungen  wahre  Homologe  des 
Acetessigesters  sind,  deren  Alkylrest  an  Kohlenstoff  gebunden  ist,  ergiebt 
sich  unzweideutig  aus  ihren  Spaltungen.  Sie  erleiden  durch  Kochen  mit 
verdünnten  Säuren  oder  verdünnten  Alkalien  die  „Ketonspaltung"  (S.  385 
bis  386,  962)  und  liefern  dadurch  Homologe  des  Acetons,  z.  B.: 

CH,.C0.CH(CH3).C04.C,H5  +  H^O  =  CHj-COCH^CH,)  +  CO,  +  C.H^OH; 


*  Bdchka,  Ber.  18,  2090  (1885).  —  Dblislb,  Ber.  20,  2008  (1887);  22,  306 
(1889).  —  ScHüNBBODT,  Auu.  258,  197  (1889).  —  Buchka  u.  Spraque,  Ber.  22,  2541 
(1889).  —  Michaelis  u.  Philips,  Ber.  23,  559  (1890). 

»  Vgl.  Wedel,  Ann.  219,  101  (1888).  —  Schönbbodt,  Ann.  253,  205  (1889). 
"•  Conrad  u.  Limfach,  Ann.  192,  153  (1878). 

*  Ztechr.  f.  physik.  Chem.  7,  283  (1891). 


des  Äcetessigesiers.  969 


durch  concentrirte  Alkalien  wird  daneben  die  zur  Bildung  von  Essig- 
säurehomologen führend©  „Säurespaltung"  (S.  307 — 308, 962)  bewirkt,  z.  B. : 

CH,.CO.qCH3),.CO,.C2H5  +  2H,0  =  CHj.COOH  +  CH(CHsl,.CO,H  +  CgH^OH. 

Die  Ausbildung  dieser  und  ähnlicher  „Acetessigestersynthesen"  und 
Spaltungen,  die  zuerst  von  Fbankland  und  Düppa  ^  ausgeführt  wurden, 
und  den  Einblick  in  ihren  Verlauf  verdanken  wir  vor  Allem  den  Unter- 
suchungen, welche  J.  Wislicenus  *  theils  selbst  anstellte,  theils  anregte. 

Die  Homologen  der  freien  Acetessigsäure'  werden  aus  den  Estern  durch 
vorsichtige  Verseifiing  in  der  S.  960 — 961  beschriebenen  Weise  gewonnen.  Die  Di- 
rne thylacetessigsäure  konnte  in  Krjstallen  erhalten  werden,  die  aber  in  fort- 
währender Zersetzung  zu  Kohlensäure  und  Isopropylmethylketon  begriffen  sind.  Die 
Diäthjlacetessigsäure  ist  verh&ltnissmässig  beständig,  so  dass  ihr  Bariumsalz 
durch  Eindunsten  seiner  Lösung  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ohne  Zersetzung  in 
Eürystallen  von  der  Zusammensetzung  [CH,  •  CO  •  (XCsHs),  •  COalgBa  +  2H,0  erhalten 
werden  kann. 

Ueber  Einwirkung  von  nascirendem  Wasserstoff  auf  homologe  Acet- 
essigester  (Reduction  zu  Homologen  der  /S-Oxybuttersäure)  vgl.  S.  759, 
über  Einwirkung  von  Cyanwasserstoff  S.  798 — 799;  die  Einwirkung  der 
salpetrigen  Säure  auf  die  ifreien  Säuren  vgl.  S.  848 — 849,  851,  auf  die 
Ester  S.  956. 

Wässriges  Ammoniak  ^  wirkt  auf  Monalkylacetessigester  in  zweierlei 
Sichtung;  theils  wird  das  entsprechende  Säureamid,  theils  der  Ester 
einer  Amidoalkylcrotonsäure  gebildet,  z.  B.: 

CH,.C0.CH(CH,).C0j.C2Hg +  NH,  =  CH.COCHj.CONH,  +  CjHßOH 
CH,.C0.CH(CH,).C0,.C,H5  +  NHg  =  CHa-CCNH,):  0(CH,).C0,.C,H8  +  H,0. 

Auf  Diäthylacetessigester   wirkt  trockenes   Ammoniak  und   Ammoniak- 
flüssigkeit nicht  ein. 

Wie  der  Acetessigester  selbst,  so  können  auch  seine  Homologen 
leicht  chlorirt  und  bromirt  werden.  Sehr  eigenthümlich  und  noch  un- 
erklärt sind  einige  Zersetzungen,  welche  die  Bromderivate  der  Monalkyl- 
acetessigester  erleiden*.  Aus  den  Monobromderivaten  entsteht  durch 
Abspaltung  vom  Bromäthyl  —  schon  beim  Erwärmen  für  sich  oder  mit 
Wasser   —   eine   mit   der   Tetrinsäure    CgH^Oj    beginnende   Reihe   von 

Säuren : 

C,H„BrOs         -         CH^Br      =       C^HeO, 
Brommethylacetessigester  Tetrinsäure, 


*  Ann.  135,  217  (1865);  138,  204,  328  (1865). 
"  Ann.  186,  161  (1877);  190,  257  (1877). 

*  CsRESOLE,  Ber.  16,  1874  (1882). 

*  IsfiEBT,  Ann.  234,  170  (1886).  —  Pbtbbs,  Ber.  20,  3318  (1887).  Ann.  267, 
339  (1890).  ^ 

*  Demae^ay,  Ann.  eh.  [5]  20,  433  (1880).  Bull.  33,  516  (1880).  —  Pawlow, 
Ber.  16,  486,  1871  (1883);  18o,  182  (1885).  —  Fitfig,  Ber.  16,  1940  (1883).  — 
Michael,  J.  pr.  [2]  37,  503  (1888).  —  Moscheles  u.  Cornelius,  Ber.  21,  2603  (1888); 
22,  243  (1889).  —  Wolff,  Ann.  260,  87  (1890).  —  Walden,  Ber.  24,  2025  (1891). 
—  Fbebb,  Ber.  24  o,  662  (1891). 


970  Homologe  des  Äcetessigesters, 


CgHjjBrOj        —        CjHjBr       =       G^HgOs 
Bromäthylacetessigester  Pentinsfiure 

etc., 

deren  Constitution  noch  als  fraglich  bezeichnet  werden  muss.     Aus  den 

Dibromderivaten   entstehen    durch   Zersetzung   mit    alkoholischem   Kali 

Homologe  der  Fumarsäure  (vgl.  S.  690 — 691). 

Methylacetessigsäurefithylester*  CH,C0CH(CHs)C0,.C,H5  siedet  b« 
186 -8^  besitzt  bei  6®  das  spez.  Gew.  1-009  und  fSGlrbt  sich  mit  Eisenchlorid  tiefblaiL 
-Dimethylacetessigsäureäthylester«  CHg •  CO  OCCHj),. CO, -CtHj:  Siedepunkt 
184^  spec.  Gew.  bei  16*  0-991.  —  Aethylacetessigsäure&thylester"  CH,- 
C0CH(C,H6).C0j.C,H5  siedet  bei  198^  spec.  Gew.  bei  20*  0-980.  —  Di&thyl- 
acetessigsftureathylester*  CHj  •  CO  •  C{C,Hs),  -  CO,  •  C,Ha :  Siedepunkt,  218<*  spec 
Gew.  bei  20  <>  0-974. 

Für  die  Gewinnung  von  Acetessigesterhomologen,  welche  auch 
in  die  endständige  Methylgruppe  Alkylreste  eingeführt  ent- 
halten, kann  man  nicht  vom  Acetessigster  selbst  ausgehen;  wir  besitzen 
hierfür  andere  Methoden. 

Ganz  analog  der  Bildung  des  Acetessigesters  selbst  ist  die  Ent- 
stehung von  „Propionylpropionsäureester^^  durch  Einwirkung  von  metal- 
lischem Natrium  auf  Propionsäureester^: 

CH,.CH^.C0,.C,H5  +  CH,.C0,.C,H5  -  CjHsOH  =  CH,.CH,.C0.CH.C0,.C,H5 

I  I 

CH3  CH3 

Diese  Reaction  lässt  sich  indessen  nicht  allgemein  auf  die  höheren  Fett- 
säureester ausdehnen^;  aus  letzteren  bilden  sich  vielmehr  vorwiegend 
Dialkylester  von  /S-Oxysäuren,  wie  z.B.  Aethoxycaprylsäureester(CH^)JCH• 
CH(0•C2Hß).C(CH3)2•COa•C2Hß  aus  Isobuttersäureester. 

Allgemeiner  anwendbar  ist  das  Verfahren,  /3-Ketonsäureester  mit 
Hülfe  der  schon  S.  386  erwähnten  Reaction  von  Eisenchlorid  auf  Säure- 
chloride darzustellen.     Wenn  man  das  ursprüngliche  Reactionsgemisch 


^  Geutheb,  Jb.  1866,808.  —  Isbebt,  Ann.  234,  188  (1886).  —  Rocbleff,  Ann. 
250,  254  (1890).  —  Nep,  Ann.  266,  90  (1891). 

'  Fbankland  u.  Düfpa,  Ann.  138,  828  (1865).  —  Wallach,  Ann.  248,  170 
(1888).  —  Hantzsch  u.  Schipp,  Ber.  26,  730  (1892). 

'  Geutheb,  Jb.  1863,  824;  1866,  303.  —  Fbamklaitd  u.  Duppa,  Ann.  138, 
2X5  (1865).  —  Wislicenus,  Ann.  186,  187  (1877).  —  Conbad  u.  Livpach,  Ann.  192, 
155  (1878).  —  Milleb,  Ann.  200,  281  (1880).  —  Wedel,  Ann.  219,  100  (1883).  — 
Jaxes,  Ann.  226,  202  (1884).  —  Elion,  Rec.  trav.  chim.  3,  281  (1884).  —  Isbert,  Ann. 
234,  170  (1886).  —  Petebs,  Ann.  267,  354  (1889).  —  Nep,  Ann.  266,  94  (1891). 
—  Michael,  J.  pr.  [2]  46,  193  (1892).  —  Pebkin,  Joum.  See.  61,  809,  837  (1892). 

*  Feankland  u.  Duppa,  Ann.  138,  211  (1865).  —  Wislicenus,  Ann.  186,  190 
(1877).  —  CoNBAD  u.  LiMPACH,  Ann.  192,  156,  157  (1878).  —  James,  Ann.  226,  205 
(1884);  231,  235  (1885). 

*  Hantzsch  u.  Wohlbbück,  Ber.  20,  1320  (1887).  —  Geuther,  Ann.  239, 
386  (1887). 

«  Gbeiner,  Ztschr.  Cham.  1866,  461.  —  Wohlbbück,  Ber.  20,  2332  (1887).  — 
Bbüooekann,  Ann.  246,  129  (1888).  —  Hantzsch,  Ann.  249,  54  (1888). 


Propionylpropionsäureester,  971 


nicht,  wie  dort  behufs  Darstellung  der  Ketone  angegeben  ist,  mit  Wasser 
zersetzt,  sondern  vorsichtig  in  abgekühlten,  absoluten  Alkohol  giesst,  so 
erhält  man  j9-Ketonsäureester  ^,  z.  B.: 

CH..CH,.C0.CH.C0.C1  CH.CHjCO.CH.COO.C.Hb 

I  +  CjHjOH  =  j       •  +  HCl. 

CH3  CH3 

Femer  ist  hier  an  die  schon  S.  299 — 300  besprochene  Bildung  von 
Imidonitrilen  der  /9-Ketonsäuren,  z.B.  CH3-CH3-C(:NH)-CH(CHg)-CN, 
durch  Polymerisation  der  Alkylcyanide  zu  erinnern^.  Durch  Einwirkung 
von  Chlorwasserstoff  in  alkoholischer  Lösung  werden  diese  Imidonitrile 
in  /J-Ketonsäureester  verwandelt*. 

Propionylpropions&ureester*  CH, •  CH, •  CO •  CH(CHs) •  CO, •  C,!!«  (a-y-Di- 
methylacetessigester)  siedet  bei  196 — 197^,  besitzt  bei  15^  das  spec.  Gew. 0-987, 
riecht  angenehm  und  giebt  mit  Eisenchlorid  keine  Färbung.  Er  wird  durch  Natron- 
lauge in  Diäthylketon,  Kohlensäure  und  Alkohol  („Ketonspaltung**) ,  durch  Erhitzen 
mit  Natriumalkohat  in  Propionsäureester  („Säurespaltung^^  gespalten.  Ein  Wasserstoff- 
atom kann  gegen  Natrium  und  Alkyl  ausgetauscht  werden.  Durch  Reduction  mit 
Natriumamalgam  liefert  er  eine  Methyloxyvaleriansäure  CHj-CHi*  CH(OH) '011(0113)  • 
COtH,  welche  durch  weitere  Reduction  mit  Jodwasserstoff  in  Methylpropylessigsfture 
CH,.CH,.CH,.CH(CH8).C0,H  übergeht.  Durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure 
liefert  er  o-Oximidopropionsäureester  CHj.C(  :N-OH).C08-C8H5  (vgl.  S.  960).  Aus 
diesen  Umsetzungen  ergiebt  sich  seine  Analogie  mit  dem  Acetessigester  und  seine 
Constitution. —  Das  Imidonitril  der  Propionylpropion8äure'CH,'CHt*C(:NH)- 
CH(CHs)-CN  (dimoleculares  Cyanäthyl)  schmilzt  bei  47  — 48<>  und  siedet 
bei  258<>. 

3.   ^'-Ketonsäuren. 

y-Ketonsäuren  können  synthetisch  nach  folgenden  Methoden  ge- 
wonnen werden: 

1.  Combination  von  Acetessigester  oder  seinen  Monalkylderivaten 
mit  a-halogenirten  Säureestern  und  Ketonspaltung  der  dadurch  ent- 
standenen Ketodicarbonsäureester®,  z.  B.: 

CH, .  CO .  CHNa  •  CO,  •  CHj  CH,  •  CO  •  CH  •  CO,  •  C^Hj 

+  CH.CI.CO..C.H.       =NaCH-  iH..CO,.C.H.' 

CH,.C0.CH.C0,.C,H5  CH.COCH, 

I  +2H,0=  I  +C0,  +  2C,H5.0H. 

CHjCCjCA  CH,.CO,H 

2.  Addition  voji  Brom  an  /S-y-  oder  /-J- ungesättigte  Säuren  und 
Zersetzung  der   entstandenen  Dibromsäuren  durch  Kochen  mit  Wasser 


^  Hamoket,  Bull.  [3]  2,  334  (1889). 

•  Vgl.  E.  V.  Meter,  J.  pr.  [2]  87,  411  (1888);  38,  336  (1888). 

»  BouvEAULT,  Compt.  rend.  lU,  531  (1890).    Bull.  [3J  4,  637  (1890). 

*  Hellon  u.  Oppenheim,  Ber.  10,  700  (1877).  —  Israel,  Ann.  231,  197  (1885).  — 
HA1IT28CH  u.  WoHLBKücK,  Bcr.  20,  1320  (1887).  —  PiNQEL,  Ann.  246,  84  (1888).  — 
Hamonbt,  Bull.  [3]  2,  338  (1889). 

*  E.  V.  Mfteb,  J.  pr.  [2]  37,  411  (1888).  —  Bures,  J.  pr.  [2]  43,  406  (1891); 
47,  105  (1893). 

•  Vgl.  Bischopf,  Ann.  206,  313  (1879j. 


972  y  -  Ketonsäuren, 


oder   iu    schwach   alkalischer   Lösung^;    es   entstehen   hierbei  zunächst 
Bromlactone,  z.  B. : 

CH, .  CHj .  CH  :  CH .  CH, . CO,H  +  Br,  =  CH, •  CH, -OHBr •  CHBr-  CH, •  CO,H 

=  CHg'GIli  •CIi*CHBr<CMj 

I  I        +HBr, 

0 CO 

welche  dann  der  Hauptmenge  nach  in  Oxylactone: 

CH,.CH,.CH.CHBr.CH,  CH3.CH,.CH.CH(0H).CH, 

I  I        +H,0  =  I 

0 CO  0 


L       +H,0  =  1  I       +HBr 


übergehen,  zum  Theil  aber  infolge  der  Reactionen: 

CHs-CHj.CH.CHBr.CH,  CH,.CH,.C  rCH-CH, 

I                    I         -  HBr  =                       I  I         (vgl.  S.  789) 

0 CO  0 CO 

CH,.CH,.C:CH.CH, 

I  I        +HjO  =    CH,.CH,.C(OH):CH.CHj.CO,H 

0 CO 

=    CHa.CH,.CO.CHj.CH,.CO,H 

y-Ketonsäuren  liefern. 

Die  ;^-Ketonsäuren  zeigen  im  Gegensatz  zu  den  /3-£eton- 
säuren  (vgl.  S.  960)  keine  Neigung,  die  Carboxylgruppe  abzu- 
spalten; sie  sind  in  freiem  Zustand  so  beständig,  dass  sie 
unzersetzt  destillirt  werden  können. 

Wenn  man  sie  aber  längere  Zeit  im  Sieden  erhält,  so  erleiden  sie 
Wasserabspaltung  und  gehen  in  ungesättigte  Lactone  (S.  789)  über^,  z.  B.: 

CH,.CO.CH,.CH,.CO,H 

=  CH,.C(OH):CH.CH,.CO,H    oder    CH,:C(OH).CH,.CH,.CO,H 

=  HjO  +  CH,.C:CH.CH,  ^         CH, :  C-CHj-CH, 

I           I             oder              I  I     . 

0 CO  0 CO 

Durch  Reduction  mit  Natriumamalgam  liefern  sie  ^'-Oxysäuren  bezw. 
^'-Lactone  (S.  761),  durch  Oxydation  mit  Salpetersäure'  Bemsteinsäure 
bezw.  homologe  Bernsteinsäuren. 

Die  Natur  dieser  Säuren  als  Ketonsäuren  ist  nicht  unbestritten; 
nach  Bbedt  *  wären  sie  yielmehr  als  Oxy-^'-Lactone  aufzufassen,  z.  B. : 

CH^  •  C  •  CHg "  CHj  CH3  •  CO  •  Cxi}  •  CH) 

/[  I        statt  I  ; 

OHÖ CO  COOK 

Näheres  über  diese  Frage  vgl.  S.  974  bei  Lävulinsäure. 

LäYttlln8äureCßH803  =  CH3-CO-CH,-CH3COaH(/?-Acetopropion- 


»  FiTTiG,  Ann.  268,  55  (1891). 

'  WoLFF,  Ann.  229,  249  (1885).  —  Thobne,  Ber.  18,  2268  (1885)u  —  Vgl  «ich 
Bischoff,  Ber.  28,  621  (1890). 

*  ToLLEKS,  Ann.  206,  257  (1881).  —  Bischoff,  ebenda,  826,  835. 

*  Ann.  236,  225  (1886);  256,  314  (1890).  —  Vgl.  dagegen  Miohabl,  J.  pr.  [2;; 
37,  480  (1838);  44, 124  (1891).  —  Pebkin,  Joum.  80c  61,  811,  838  (1892). 


Lävulinsäure,  973 


säure)  ist  der  Prototyp  der  y-Ketonsäuren.  Sie  ist  von  Noeldecke^ 
entdeckt,  von  Tollens*  besonders  eingehend  untersucht.  Sie  entsteht, 
wie  ToLLENS  fand,  aus  Hexosen  (besonders  leicht  aus  cZ-Fructose  (Lävulose), 
daher  der  Name  Lävulinsäure)  und  demnach  auch  aus  Polysacchariden, 
welche  bei  der  hydrolytischen  Spaltung  Hexosen  liefern,  durch  Kochen 
mit  verdünnten  Säuren  (vgl.  S.  895).  Diese  Bildung*  ist  so  allgemein,  dass 
die  Entstehung  der  Lävulinsäure  in  dieser  Reaction  als  Reagens  auf  die 
Zugehörigkeit  eines  Kohlenhydrats  zur  Hexosegruppe  benutzt  werden 
kann.  Man  bedient  sich  dieses  merkwürdigen  und  in  seinem  Verlauf 
schwer  erklärbaren  Processes  auch  am  besten  zur  Darstellung  der  Lä- 
vulinsäure. 

Darstellung^:  8  kg  gepulverte  Kartoffelstärke  werden  in  3  Liter  Salzsäure 
(spec.  Gew.  1  •  1)  auf  dem  Wasserbade  unter  Umrühren  eingetragen,  bis  alles  ^u  einem 
dünnen  Syrup  gelöst  ist,  der  nun  unter  Rückfluss  20  Stunden  im  stark  kochenden 
Waaserbade  erwärmt  wird.  Man  presst  darauf  von  der  ausgeschiedenen  Huminsubstanz 
ab  und  destillirt  aus  der  abgepressten  Flüssigkeit  im  Wasserbade  und  unter  vermin- 
dertem Druck  das  Wasser,  die  Salzsäure  und  Ameisensäure  ab.  Der  rückständige 
Syrup  wird  dann  aus  dem  Oelbade  im  Vacuum  destillirt  und  liefert  etwa  890  g 
krystallisirte  Lävulinsäure. 

Lävulinsäure  bildet  harte  strahlige  oder  blättrige  Krystalle,  schmilzt 
bei  +  33-5**,  siedet  bei  rascher  Destillation  unter  nur  geringer  Zersetzung 
bei  250^^  besitzt  bei  20^  in  überschmolzenem  Zustand  das  specifische 
Gewicht*  1-189  und  ist  in  Wasser  leicht  löslich. 

Lävulinsäure  ist  synthetisch®  nach  Bildungsweise  1.  (vgl.  S.  971  die 
Gleichungen)  und  Bildungsweise  2.  (aus  Allylessigsäure  CH^iCH-CHj- 
CHj-COjH)  gewonnen  worden.  Diese  Bildungen,  ferner  ihre  Ueberführ- 
barkeit  durch  Keduction^  in  Valerolacton  und  normale  Valeriansäure, 
durch  Oxydation  in  Bemsteinsäure  beweisen,  dass  sie  normale  Structur 
besitzt,  und  dass  das  ;^-Kohlenstoffatom  (zur  Carboxylgruppe)  mit  Sauer- 
stoff verbunden  ist. 

Da  die  Lävulinsäure  zu  den  allgemeinen  Reactionen  der  Carbonyl- 
verbindungen  —  Bildung  eines  Oxims  (vgl.  S.  975),  Hydrazons,  Cyan- 
hydrins,  Mercaptols  ®  —  sich  befähigt  erweist,  so  liegt  es  am  nächsten,  sie 
der  Formel  CHgCO-CHg-CHj-COall  entsprechend  als  Ketonsäure  auf- 
zufassen. 


^  Ann.  149,  224  (1868). 

*  Gbotb  u.  Tolleks,  Ann.  176,  181  (1874).  —  Grote,  Kehreb  u.  Tollens,  Ann. 
206,  207,  226,  233,  257  (1881).  —  Tollens,  Ber.  14,  1950  (1881).  —  Kent  u.Tollens. 
Ann.  227,  227  (1884).  —  Block,  Kbekeleb  u.  Tolleks,  Ann.  288,  287  (1886).  — 
Wehmeb  u.  Tollens,  Ann.  243,  814  (1887). 

»  Vgl.  auch  Bente,  Ber.  8,  416  (1875);  0,  II57  (1876).  —  Conrad  u.  Guthzeit, 
Ber.  18,  439  (1885). 

*  RiscHBiETH,  Ber.  20,  1773  (1887).  *  Perkin,  Journ.  Soc.  61,  838  (1892). 

•  NöLDECKE,  Ann.  149,  228  (1868).  —  Conrad,  Ann.  188,  222  (1877).  Ber.  11, 
2177  (1878).  —  FiTTio  u.  ürban,  Ann.  268,  65  (1891). 

^  PrmG  u.  L.  WoLPF,  Ann.  208,  104  (1881). 

•  Vgl.  BoNQARTZ,  Ber.  21,  485  (1888). 


974  Constitution  der  LävtUinsäure, 


Nun  entsteht  aber  durch  Einwirkung  von  fissigsäureanhydrid  auf  fireie  Lfivuhn- 
säure  (schon  beim  Stehenlassen),  femer  durch  Umsetzung  zwischen  Ifivulinsanrem 
Silber  und  Acetylchlorid  die  ,,Acet7llävulins&ure"^  —  eine  Verbindung,  welche 
bei  78—79®  schmilzt  und  bei  höherem  Erhitzen  in  Essigsäure  und  die  Angelica- 
lactone  (S.  789)  gespalten  wird;  da  diese  Verbindung  aus  heissem  Alkohol  nnrer- 
ftndert  umkrystallisirt  werden  kann,  so  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  sie  ein  ge- 
mischtes Säureanhydrid  (vgl.  S.  853): 

CHs.CO.CHj.CHj.CO.O.CO.CH, 
ist;  vielmehr  passt  sich  ihrem  Verhalten  besser  die  Structurformel: 

Cii|  *  C  *  CHf  ■  GH] 

C,H,0.0     0 CO 

an,  welche  durch  einige  andere  Bild ungs weisen  derselben  Substanz  fast  anzweifeOuift 
festgestellt  ist;  sie  bildet  sich  nämlich  auch  aus  Angelicalacton  (S.  789)  durch 
directe  Fixirung  von  Essigsäure,  femer  aus  dem  durch  Anlagerung  von  Chlorwasser- 
stoff an  Angelicalacton  entstehenden  ^-Chlorvalerolacton  (Lävulinsfturechlorid),  das 
auch  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  Lävulinsäure  erhalten  wird,  durch 
Umsetzung  mit  Silberacetat: 

CIIs'C :  CH'CHj  Cxl3»C"CHj|'CIIj  CH3 * C « CH^ •  CH^ 

o CO  dl   0 — CO  CjHjO.o    0 CO* 

Ihre  Entstehung  aus  Lävulinsäure  wäre  daher  am  einfEU^hsten  zu  deuten,  wenn  man 
für  Lävulinsäure  sowie  ihr  Silbersalz  die  Formeln: 

CM3  •  C  •  CH]  •  CHj  CH3  •  C  •  CHj  *  CH) 

(5h    0 CO  AgO     0 CO 

acceptirte,  mit  denen  die  übrigen  Umsetzungen  der  Lävulinsäure  auch  ziemlich  gut 
in  Einklang  gebracht  werden  können.  Bedenklich,  wenn  auch  vielleicht  nicht  ganz 
ohne  Analogie,  erscheint  nur  dabei,  dass  die  Säurenatur  der  Lävulinsäure  durch  eine 
alkoholische  Hydroxylgruppe  bedingt  sein  soll.  Uebrigens  lassen  sich  die  Bildungs- 
reactionen  der  Acetylverbindung  aus  Lävulinsäure  auch  mit  der  Ketonsäurefbnnel 
der  Lävulinsäure  ungezwungen  erklären: 

1.  CH,.C0.CH4.CH,.C0.0H+(CH3.C0),0  =         CH,.C.CH8CH,.C0.0H 

C,HjO-0     O.CjHjO 

CI13  •  C  •  CHji  •  CHj 

/\         I       +C,H30.0tt 
C,H30.0     0 CO 

2.  CH8.C0.CH,.CH,.C0.0Ag-f.CH3.C0Cl  =         CHj.C.CHs.CHj.COOAg 

CjHjO.O     Cl 

CH3  •  C  •  Cof  •  CHi 

C,H,0.0     0 CO 

3.  CH8.CO.CH,.CH3.CO.OH  +  CH3.CO.Cl=  CH3.C.CH,.CH,.C0.0H 

(A 


n   o.c,H,o 

=  CH3  •  C  •  CH3  •  CH3 

di' 


/\      \     +  C3H300H , 

0 CO 


^  Bredt,  Ann.  236,  225  (1886);  266,  814  (1890).  —  Autbkbibth,  Ber.  20,8191 
(1887).  —  Vgl.  auch  MAONANnn,  Ber.  21,  1523  (1888). 


Salxe,  Derivate,  Homologe  der  LäviUinsäure.  975 


Cxi3  •  C  •  CHi  •  CH^  CHj  •  C  •  CHj  •  GH| 

y\      I     +  CHj.cooAg  =  Agci  +  y\      \    .  . 

Gl    0 — CO  C,H,0.0     0 CO 

Die  für  die  Entstehung  des  sogenannten  Lävulins&urechlorids  (Chlorvalerolacton) 
aus  Lftyulinsfture  und  Acetylchlorid  unter  3.  gegebene  Gleichung  dürfte  sogar  plau- 
sibler sein,  als  die  bei  Annahme  der  Lactonformel  sich  ergebende  Bildungsgleichung: 

GHg  •  G  •  GH|  •  GH|  GH3  •  G  •  CHi  •  CHj 

im  letzteren  Falle  sollte  man  viel  eher  eine  Wirkung  des  Acetjlchlorids  im  Sinne 
der  Gleichung: 

CH3  •  C  •  GH]  •  Gxii                                        GH3  •  G  •  GH3  •  Gxij 
^^^^        I         +  C,H,0.G1  =                 y\         I       +  HCl 
OH    0—  CO  C^HaOO     0 CO 

erwarten.  Es  scheint  demnach  kaum  angezeigt,  die  Ketonsftureformel  zu  Gunsten 
der  Oxylactonformel  fallen  zu  lassen. 

Unter  den  Salzen  der  Lävulinsäure  ist  namentlich  das  Silbersalz  CsHrOgAg 
charakteristisch,  das  aus  kochendem  Wasser  in  ausgefranzten  Blättchen  krystallisirt. 
Zum  Nachweis  der  Lävulinsäure  eignet  sich  femer  die  durch  Bromirung  in  Ghloro- 
formlosung  aus  LäTulinsäure  entstehende  Dibromlävulinsäure^  CsH^Br^Og,  welche 
farblose  Nadeln  vom  Schmelzpunkt  114  — 115*  bildet.  —  Lävulinsäureäthyl- 
ester'  G5H7O3.G3H5  siedet  bei  208—2040,  besitzt  bei  20<^  das  spec.  Gew.  1-016  und 
ist  in  Wasser  leicht  löslich.  —  Das  Oxim  der  Lävulinsäure'  CHg-CONOH)' 
CHs-GHs-COsH  (T'-Isonitrosovaleriansäure)  schmilzt  bei  95 — 96®,  ist  in  Wasser 
leicht  löslich  und  wird  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure  in  Methjl- 

CH,-GOv 
sucdnimid  1  ^N-CH«  verwandelt  (BscKMANM'sche  Umlagerung,  vgl.  S.  391); 

CHj-CO-^ 
K  =  0-0023.  —  lieber  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  ^  und  von  Phosphorpen ta- 
chlorid^  auf  Lävulinsäure  vgl.  die  Originalliteratur. 

Homologe  der  LMyiilinsXiire.  a-Methjllävulinsäure*  GH3-GOGH3CH 
(GHs)-G03H  (nach  Methode  1  [S.  971]  durch  Combination  von  Acetessigester  mit 
a-Brompropionsäureester)  siedet  bei  247— 248^  ^-Methyllävulinsäure'  CH3'C0- 
GH(CH3)*GH,-C0sH  (durch  Methylirung  von  Acetbemsteinsäureester  (vgl.  S.  985—986) 
und  darauffolgende  Ketonspaltung)  siedet  bei  242°  und  erstarrt  bei  —  12°  krystallinisch. 
^-Methyllävulinsäure»   CHj  •  GH,  •  CO  •  GH3  •  GH«  •  CO3H   (aus  Hydrosorbinsäure, 


*  Vgl.  WoLFF,  Ann.  220,  266  Anm.  (1885);  260,  80  (1890). 

*  Conrad,  Ann.  188,  225  (1877).  —  Grote,  Kehrbb  u.  Tollens,  Ann.  206,  221 
(1881).  —  Neugebauer,  Ann.  227,  100  (1883).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  44,  114  (1891). 
—  Weoscheider,  Monatsh.  13,  266  (1892). 

*  Müller,  Ber.  16,  1617  (1883).  —  Rischbibtb,  Ber.  20,  2669  (1887).  —  Bredt 
n.  BoEDDiHOHAUs,  Ann.  261,  816  (1889).  —  Dollfus,  Ber.  26,  1927,  1980  (1892).  — 
Michael,  J.  pr.  [2]  44,  116  (1891).  —  Hantzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  phjsik.  Ghem. 
10,  23  (1892). 

*  Hantzsch  u.  Wohlbrück,  Ber.  20,  1323  (1887). 

*  Seissl,  Ann.  249,  278  (1888). 

*  Bischoff,  Ann.  206,  321  (1879).  —  Zelinskt,  Ber.  20,  2017  (1887).  —  Zanettj, 
Ber.  24o,  649  (1891). 

'  Bisoboff,  Ann.  206,  332  (1879).  —  Grunewald,  Ber.  20,  2585  (1887). 
^  FiTTiG  u.  Hillert,  Ann.  268,  69  (1891). 


976  ä'Ketonsäuren. 


Bildungsgleichung  s.  S.  972)  schmilzt  bei  32  — 33^  —  oa-Dimethyl-lÄyulin- 
säure*  CHj  .  CO  •  CH,  •  C(CH,),  •  CO,H  (Mesitonsäure)  entsteht  neben  anderen 
Verbindungen  durch  Einwirkung  von  Cyankaiium  auf  die  S.  411  erwfthnten  chlor- 
haltigen Produkte  der  Condensation  des  Acetons  durch  Salzsäure: 

(CHJjCO  +  CHsCOCH,  +  HCl  =  (CH,),CC1.CH,.C0CH,  +  H,0, 
(CH3),CC1 .  CH, .  CO  •  CHg  +  KCN    =  (CH,),C(CN)  -  CH,  •  CO  -  CH,  +  KCl , 
(CH,),C{CN)-CH,.C0.CH8  +  2H,0  =  (CH3),C(C0,H)  •  CH,  •  CO  •  CH,  +  NH,. 

Sie  schmilzt  bei  74°,  siedet  unter  15' mm  Druck  bei  138°,  giebt  durch  Oxydation 
Dimethjlmalonsfture,  durch  Erhitzen  Dimethylangelicalacton  (vgl. S. 789).  —  a-Aethjl- 
IftvulinsÄure"  CHg.C0CH,.CH(C,H5)-C0jH  ist  durch  Combination  von  Acetessig- 
ester  mit  a-Brombuttersftureester  (vgl.  Methode  1  auf  S.  971)  erhalten. 

4.    J-Ketonsäuren  etc. 

d-Ketonsfiuren*  werden  durch  Combination  von  Acetessigester  oder  seinen 
Monalkylderivaten  mit  |?- Jodpropionsäureester  und  darauffolgende  Ketonspaltong  ge- 
wonnen (vgl.  S.  765).  —  Die  /-Acetobuttersänre,  CeHioOj  =  CHj.CO-CH,.(^- 
CHs-CO,H  (einfachste  ^-KetonsÄure),  schmilzt  bei  +  13°,  siedet  bei  274—275°  und  rieht 
aus  der  Luft  begierig  Wasser  an,  um  ein  bei  35 — 36°  schmelzendes  Hjdrat  Cßifi^ 
zu  bilden,  das  über  Schwefelsäure  sein  Wasser  wieder  abgiebt  —  Interessant  ist  die 
Bildung  eines  Chlorderivats  dieser  Säure  aus  einem  Benzolderivat,  dem  Besorcin: 

.C(OH). 

Ck  CH 

(:h         c(OH)' 

"^CH^ 

durch  fortgesetzte  Chlorirung  kann  letzteres  in  HeptachlOrresorcin  (Heptachlor- 
diketo-hezamethjlen) : 

CCl, — CO — CCl, 

CHCi-cci,— (io 

übergeführt  werden,  welches  nun  durch  Einwirkung  von  unterchloriger  Säure  die 
Octochlor-y-Acetobuttersäure*: 

CCl,  .  CO  .  CCl,        Cl         CCl,  .  CO  .  CClg 

CHC1.CC1,.CJ0         C)H  ~  CJHCi.CCl^.CO.OH 

liefert;  diese  Säure  bildet  dicke,  farblose  Nadeln,  schmilzt  bei  189 — 140°,  wird  dnrch 
kalte  Sodalösung  in  Chloroform  und  Pentachlorglutarsäure  COiH-CCls*CHCl*CXnt' 
CO{H  gespalten,  durch  Kochen  mit  Wasser  in  Tetrachlordiketopentamethjlen  (vgl 
S.  980)  verwandelt: 

CCl,  .  CO  .  CCl,  CCl.COv 

I  +  H,0  =  CO,  +  4HC1  +   U  >CC1,. 

CHCl .  CCl, .  CO,H  CCl .  C(K 


*  Pinner,  Ber.  14,  1072  (1881);  15,  578  (1882).    —   Anschütz  u.  Gillet,  Ann. 
247,  99  (1888).  —  Weidel  u.  Hoppe,  Monatsh.  13,  610  (1892). 

•  Thorne,  Joum.  Soc.  39,  340  (1881).  —  PnnG  u.  Youno,  Ann.  216,  89  (1S821 
»  Frrna  u.  Wolpp,   Ann.  216,    129  (1882).    —    Frmo  u.  Christ,   Ann.  268, 

113  (1891). 

^  ZiNCKE  u.  Rabinowitsch  ,  Bcr.  24,  913  (1891).  —  Zingke  u.  v.  Lohb,  Ber.  26, 
2219  (1892). 


GlyoxcUcarbonsäure,  Diketobuttersäure,  977 


Säuren,  welche  zwischen  die  Carbonylgruppe  und  Carboxylgruppe  noch  mehr 
als  drei  Zwischenglieder  eingeschaltet  enthalten,  sind  mit  Hülfe  von  Acetessigester- 
synthesen  (vgl.  z.  B.  S.  994)  erhalten  worden  ^ 

B.  O^esättlgte  einbasische  Ketoiisäuren  bezw.  Eetoaldehydsänren 

mit  mehreren  Carbonylgruppen. 

Die  denkbar  einfachste  hierher  gehörige  Substanz  —  die  GljoxalearbonsMnre 
OHO'CHO*COsH  —  ist  als  solche  allerdings  nicht  bekannt,  wohl  aber  als  Diozim 
CH(:N-OH).C(:NOH).CO,H  (Dioximidopropions&ure»),  welches  aus  Dibrom- 
brenztraubensäure  CHBr«  •  CO  •  COsH  durch  Einwirkung  von  Hydroxylamin  entsteht. 
Dasselbe  ist  in  zwei  stereoisomeren  Formen  (vgl.  Chlorglyozime  S.  866)  erhalten, 
deren  eine  bei  141—143^  schmilzt,  in  Wasser  leicht  löslich  ist,  die  Dissociations- 
eonstante  K  =  0*4174  besitzt  und  durch  Behandlung  mit  Salzsäure  oder  auch  durch 
spontane  Umlagerung  in  die  zweite,  bei  172°  schmelzende,  weniger  lösliche  Modification 
(K  =  0*285)  übergeht;  beide  Modificationen  geben  mit  Eisenchlorid  eine  intensiv  blut- 
rothe  Färbung. 

Auch  die  sich  daran  anschliessende  Methylglyoxalearbonstture  CHs-CO'OO* 
CO,H  (Diketobuttersäure)  ist  nur  in  Form  der  Oxime: 

CH3.C0.0(:N.0H).C0,H    und    CH8.C(:N.0H).C(:N.0H).C0,H 

bekannt  Der  Aethylester  des  Monoxims  CHjCOCXrNOEO.COjCjHj  ist  der 
sogenannte  Isonitrosoacetessigester^  welcher  aus  Acetessigester  durch  Ein- 
wirkung von  salpetriger  Säure  entsteht: 

CH,.C0.CH,.C0,.C,H6  +  NO. OH  =  CH3.C0.C(:N.0H).C0,.C,H,  +  H,0, 

aus  Chloroform  in  farblosen,  glasglänzenden  Säulen  krystallisirt,  bei  52  —  54° 
schmilzt,  in  Alkohol,  Aether,  Chloroform  leicht,  in  Wasser  schwieriger  löslich  ist 
lind  sich  in  Alkalien  mit  intensiv  gelber  Farbe  löst  (vgl.  S.  850).  Durch  Ein- 
wirkung von  Hydroxylamin  liefert  er  einen  Diisonitrosobuttersäureester^ 
CH,-C(:NOH).C(:NOH).COs.C,Hß(Methylglyoximcarbonsäureester),  welcher 
aus  Aether  in  weissen  Nadeln  krystaHisiii:,  bei  115°  sich  röthlich  ^bt,  bei  142° 
unter  Gasentwickelung  schmilzt,  mit  Alkalien  sich  nicht  förbt,  in  ammoniakalischer 
Lösung  mit  Kupferacetat  eine  grüne  Fällung  liefert;  dieser  Methyl-syn-glyoxim- 
carbonsäureester  kann  durch  Natronlauge  zu  der  entsprechenden  Säure  verseift 
werden  und  wird  durch  Behandlung  mit  Salzsäuregas  in  ätherischer  Lösung  in  eine 
stereoisomere  Modification  —  den  Methylamphiglyoximcarbonsäureester  — 
verwandelt,  welche  bei  132°  schmilzt,  mit  Kupferacetat  weder  eine  Fällung  noch 
eine  Färbung  liefert  und  durch  Lösen  in  Aetznatron  wieder  in  den  ursprünglichen 
Ester  umgewandelt  wird.  Ueber  ähnliche  Isomerieverhältnisse  vgl.  S.  866.  Die  Diiso- 
nitrosobuttersäure  wird  von  kalter  Salpetersäure  zu  dem  Hyperoxyd^: 


*  KiPPiNG  u.  Perkin  jun.,  Journ.  Soc.  66,  338  (1889);  67,  36  (1890J.  —  Pebkix 
Jan.,  Journ.  Soc.  67,  230  (1890).  —  Kipping  u.  Mackenzie,  Ber.  24o,  729  (1891). 

*  SöDEBBAUM,  Ber.  26,  904  (1892).  —  Hantzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik. 
Chem.  10,  25  (1892). 

»  V.  Meyer,  Ber.  10,  2077  (1877).  —  V.  Meter  u.  ZOblin,  Ber.  11,  320  (1878). 
—  Wleüqel,  Ber.  16,  1050  (1882).  —  Ceresole,  ebenda,  1326.  —  Knorb,  Ber.  17, 
1641  (1884).  ~  Lahg,  Ber.  20,  1327  (1887). 

*  Cebesole  u.  Koeckert,  Ber.  17,  821  (1884).  —  Nussberger,  Ber.  26,  2142, 
2152  (1892).  —  Hantzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  27  (1892). 

*  Amoeli,  Ber.  26,  594  (1893). 

V.  UxYER  u.  Jacobson,  org.  Chem.    I.  ^'- 


978      Diacetylcarbonsäure,  Glyoxylpropionsäure,  Acetbre?ix4rauben8äure. 


CH«— C — C~CO,H 

P       I' 
N      N 

Ö — Ö 

oxydirt,  welches  farblose  Tafeln  bildet,  wasserfrei  bei  92^  schmilzt  und  in  Wasser 
sehr  leicht  löslich  ist. 

Die  BiaeetylearbonsXiire  CH,«COCOCHsCO,H  (DiketovaleriansSurei 
ist  ebenfialls  nur  als  Oxim  bekannt.  Ihr  Monozim^  CHa-OOC(:N*OH)*OU,-G0,H 
(Isonitrosolftvulinsäure)  entsteht  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  aat 
Acetbemsteinsäure  (vgl.  S.  985—986): 

CHgCOCHCOjH  CHaCOC-.N.OH 

I  +  NO. OH  =  I  +  CO,  +  H,0, 

CH,.CO,H  CH,.CO,H 

bildet  weisse  Kry stalle,  welche  sich  bei  110*^  brfinnen  und  bei  119®  unter  Zerfall  in 
Kohlensäure  und  Diacetylmonozim  schmelzen,  löst  sich  in  Alkalien  mit  gelber  Farbe 
und  liefert  durch  Behandlung  mit  verdünnter  Schwefelsäure  Diacetyl. 

Isomer  mit  der  Diacetylcarbonsäure  ist  die  GlyoxylpropionsSiire'  CHO-CO- 
CHj-CHs'COtH,  welche  aus  Dibromlävulinsäure  (S.  975)  durch  Kochen  mit  Wasser 
als  Hauptprodukt  neben  kleinen  Mengen  von  Kohlensäure  und  Diacetyl  entsteht. 
Die  Dibromlävulinsäure  besitzt  wahrscheinlich  die  Structur  CH,*CO-CBr,-CH,-CO|H, 
ihr  Uebergang  in  Qlyoxylpropionsäure  ist  vielleicht  durch  die  vorübergehende  Bildang 
eines  Trimethylenderivats  zu  erklären: 

COv  COv 

I     \CBr,.CH,.CO,H- 2HBr  =    [      ^CCH^COgH. 
CH,  CH^ 

C0\  .  CO. 

I     p^CCHj.COjH      +    HjO    =    I     ^CH,.CH,.CO,H. 
CH'  CHO 

Die  Glyoxylpropionsäure  selbst  ist  als  firnissartige  Masse  erhalten;  ihre  Constitution 
ergiebt  sich  aus  dem  glatten  Uebergang  in  Bemsteinsäure  durch  Oxydation  und  aas 
der  üeberführbarkeit  in  ein  Dioxim  CH(:N-OH).C{:N.OH).CH,.CH,.CO,H  (Diiso- 
nitrosovaleriansäure);  letzteres  schmilzt  bei  136®  und  liefert  durch  Behandloog 
mit  concentripter  Schwefelsäure  ein  inneres  Anhydrid: 

CH=Nv 

ij>0    (Purazanpropionsäure,  vgl.  auch  S.  983,  9891 

Als  dritte  isomere  Säure  CsHqO«  ist  die  AcetbrenztraubensSure'  CH, -GO- 
CH,-CO- CO,H  anzuführen.  Ihr  Aethylester  entsteht  durch  CondenaaÜon  von 
Aceton  mit  Oxalester  in  Gegenwart  von  Natriumäthylat: 

CH3CO.CH,  +  C2H5.0.CO.CO.O.C,Hß  =  CH,.C0.CH2.C0.C0,.C,H,  + C,H,.OH. 

siedet  bei  213 — 215^,  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gew.  1-128,  erstarrt  in  der  Kälte  zu  einer 

bei  18^  wieder  schmelzenden  krystallinischen  Masse  und  liefert  Metall  Verbindungen. 

Biaeetjlessigrsäiire^  (CH3-CO)jCH-C04H  (Acetylacetoncarbonsäure)  ent- 


*  Thal,  Ber.  25,  1719  (1892).  *  Wolpp,  Ann.  260,  79  (1890). 

»  Claisen  u.  Stylos,  Ber.  20,  2189  (1887);  21,  1141  (1888).  —  Fahhwebss 
Höchst  a/M.,  Ber.  21o,  679  (1888).  —  Claisen,  Ber.  22,  3271  (1889);  24,  128  (18dU 
—  Perkin,  Joum   Soc.  61,  820,  853  (1892). 

^  Jakes,  Ann.  226,  210  (1884).  —  Eliok,  Rec.  trav.  diim.  2,  38,  202  (1883); 
3,  248  (1884).  —  Gustavson,  J.  pr.  [2]  37,  108  (1888).  —  v.  Pecbmakii,  Ber.  85, 1047 
(1892).  —  Perkin,  Joum.  Soc.  61,  823,  854  (1892). 


Diaceiyl'  und  Triaeetyl-essigsäure,     AUyl-  und  Diallyl-acetessigester.     979 


steht  in  Form  ihres  Aethylesters  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  Natracet- 
essigester: 

(CH3.CO)CHNa.CO,.CjH5  +  CHjCOCl  =  (CH,.CO),CH.CO,.C3H5  +  NaCl, 

femer  aus  dem  S.  853  erwähnten  Reactionsprodnkt  von  Aluminiumchlorid  auf  Acetyl- 
chlorid  durch  Zersetzung  mit  Alkohol.  Der  Aethylester  siedet  unter  geringer 
Zersetzung  bei  etwa  210  ^  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gkw.  1*095,  riecht  angenehm 
und  ist  eine  starke  Säure,  die  Acetate  zersetzt;  sein  Rupfersalz  ist  wasserhaltig 
himmelblau,  wasserfrei  smalteblau  und  schmilzt  bei  148^;  durch  Wasser  wird  er  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  allmählich  in  Acetessigester  und  Essigsäure  zersetzt. 
Während  man  seine  Homologen  (CHg '  CO)sCB  •  CO,  •  CgH«  nicht  aus  seiner  Natrium  - 
Verbindung  durch  Umsetzung  mit  Halogenalkjlen  gewinnen  kann,  lassen  sie  sich 
durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  die  Homologen  des  Natracetessigesters 
darstellen. 

Triaeetylessigester^  (CHs-CO),C*COs'C,Hs  kann  nicht  aus  der  Natriumver- 
bindung des  Diacetylessigesters  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  erhalten  werden, 
entsteht  dagegen  neben  Diacetylessigester  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf 
Natracet essigester  oder  besser  Kupferacetessigester,  femer  durch  Einwirkung  von 
Essigsäureanhydrid  auf  eine  alkalisch  gehaltene  Losung  von  Acetessigester.  Er  ist 
in  Alkalien  nicht  löslich  und  siedet  unter  geringer  Zersetzung  bei  212 — 214°. 

Ueber  DiaeetylTalerianstture'  und  Biaeetyleapronsttiire^  vgl.  die  Original- 
literatnr. 

Zu  den  Diketonsäuren  gehört  vielleicht  auch  die  S.  519  erwähnte  Stearoxyl- 
sMure'*  und  die  durch  Oxydation  von  Behenolsäure  entstehende  DioxjbehenolsXiiTe^ 

CsjH4q04  . 

C.   Ungesättigte  einbasische  Ketons&uren. 

Ester  von  ungesättigten  einbasischen  Ketonsäuren  können  aus  dem  Acetessig- 
ester durch  Einführung  von  ungesättigten  Radicalen  (vgl.  S.  968)  erhalten  werden^, 
z.  B.  AUjIacetessigester  CH,:CH.CH,.CH(C0.CH,).C0,.C,H6  (Siedepunkt  206«, 
spec.  Gew.  bei  20 <»  0-982)  und  BiaUylacctessigester  (CH, :  CH.CH,),C(CO.CH,). 
COj-CjHj  (Siedepunkt  289— 241«,  spec.  Gew.  bei  25 <>  0-948).  —  Eine  fernere  Bil- 
dungsweise  besteht   in  der  Condensation  von  Aldehyden  mit  Acetessigester',  z.  B.: 

CHa .  CHO  +  CH,  -  CO, .  CA        CH,  -  CH  :  C  -  CO,  •  C.H« 


1  +*H,0. 

COCHs  COCHs 

Nach  beiden  Reactionen  erhält  man  Ketonsäureester,  deren  doppelte  Bindung  in 
einer  Seitenkette,  nicht  direct  zwischen  Carbonyl-  und  Carboxylgruppe  sich  befindet. 
Die|?-Acetakryl8anrc«CH8C0.CH:CH.C0,H  ist  der  einfachste  Repräsentant 
solcher  ungesättigter  einbasischer  Ketonsäuren,  deren  Doppelbindung  zwischen  Car- 
bonyl- und  Carboxylgruppe   eingeschaltet   ist.     Sie   entsteht   neben  Hydroxylävulin- 

^  Nep,  Ann.  266,  61,  102  (1891).  —  v.  Pechmann,  Ber.  26,  1046  (1892). 

•  Perkin  jun.,  Joum.  Soc.  67,  227  (1890). 

•  KippiNG  u.  Pkrkin,  Joum.  Soc.  65,  333,  345  (1889). 

^  OvERBECK,  Ann.  140,  63  (1866).  —  Hazüra  u.  C^rüssner,  Monatsh.  9,  953  (1888). 

•  Haussknecht,  Ann.  143,  46  (1867).  —  v.  Grossmann,  Ber.  26,  644  (1893). 

»  Zeidler,  Ann.  187,  33  (1877).  —  C.  Wolpp,  Ann.  201,  45  (1880).  —  O.  Hof- 
MAMir,  ebenda,  73.  —  James,  Ann.  226,  206  (1884). 

'  Claisek  u.  Matthews,  Ann.  218,  170  (1883). 

«  WoLFP,  Ber.  20,  426  (1887).  Ann.  264,  229  (1891).  —  Hill  u.  Hendrixson, 
Ber.  23,  452  (1890).  —  Angeu  u.  Chiussi,  Ber.  26,  2205  (1892).  —  Koenios  u.  Wao- 
STATFE,  Ber.  26,  554  (1893). 

62* 


980  Acetakrylsänre.     Acetylcrotonsäure. 


Bllure  aus  Bromlävulinsäure  durch  Einwirkung  von  Sodalösnng  oder  besser  durch  Er- 
hitzen mit  Natrinmacetat: 

CHaCO.CHBr.CH,.COjH-HBr  =  CHj-COCH:  CH.CO,H, 

femer  aus  Chloralaceton  (S.  874)  durch  Kochen  mit  verdünnter  Sodalösnng,  hildet 
glänzende  Blättchen,  schmilzt  bei  125^  und  liefert  mit  Barjtwasser  Aceton  und 
Oxalsäure  neben  einer  zweibasischen  Säure  GeHgOe. 

Interessant  ist  die  Bildung  von  Halogenderivaten  der  Acetakrjlsäure 
aus  cyclischen  Verbindungen  durch  Aufspaltung  ringförmiger  Atomgruppirungen  zur 
offenen  Kette.     Als  Dibromacetakrylsäure^: 

CHaCOCBrrCBrCOsH 

ist  wahrscheinlich  eine  Säure  aufzufassen,  welche  aus  Tribromthiotolen: 

CBi CBr 

CH, .  C  CBr 

durch  Einwirkung  von  concentnrter  Salpetersäure  entsteht  —  Trichloracetakryl- 
säure«  CClj •  CO •  CH  :CH. 00,11  (Trichlorphenomalsäure)  entsteht  neben  an- 
deren Produkten  aus  Benzol  und  aus  Benzochinon  durch  Einwirkung  von  Ealinm- 
chlorat  und  Schwefelsäure;  sie  bildet  kleine  glänzende  Blättchen,  schmilzt  bei  131- 
1S2^,  riecht  angenehm,  ist  mit  Wasserdämpfen  flüchtig,  in  kaltem  Wasser  schwer, 
in  heissem  leicht  löslich,  zerföUt  beim  Erwärmen  mit  Barytwasser  in  Chloroform 
und  MaleSnsäure  und  addirt  Brom  (zwei  Atome);  ihre  Bildung  ist  leicht  verständlich, 
wenn  man  sich  aus  Benzol  bezw.  Chinon  zunächst  Monochlorchinon  gebildet  denkt, 
welches  dann  der  Spaltung  unter  Eliminirung  eines  Kohlenstoffatoms  unterliegt: 


.COv  ..C0> 

m      cci  OH      ca» 

II 


/« 


— ^    1 

OH  OH 

/  \ 

CO/  ♦  ^COOH 

Chlorbenzochinon  Trichloracetakiylsäure. 

—  Perchloracetakrylsäure«  CClg •  CO •  001 :  001  •  OO^H  entsteht  als  Chlorid  ans 
dem  S.  976  erwähnten  Tetrachlordiketopentamethylen  (also  mittelbar  auch  aus  einem 
Benzolderivat,  dem  Resorcin)  durch  Einwirkung  von  Chlor: 

CClCOv  001. 00-001, 

;  >COU  +  Ol,  =    :i  ; 

•t^Cl-CO/  CCI- 0001 

aus  dem  Chlorid  erhält  man  durch  Zersetzung  mit  Wasser  die  Säure,  welche  wass«^ 
frei  bei  83—84®  schmilzt  und  durch  Alkalien  in  Chloroform  und  DichlormaleüiBiure 
(S.  737)  gespalten  wird. 

Ohlorderivate   der   Aeetylerotonsäure «   CHj-OOCHjCH  :  CH.CO,H  sind 
aus  dem  Pentachlorresorcin  (vgl.  S.  976)  erhalten  worden;  z.  B. : 

*  Angeli  u.  Oiamioian,  Ber.  24,  77  (1891). 

*  Camus,  Ann.  142,  129  (1867).  —  Kkkül6  u.  Steboker,  Ann.  223,  170  (1884). 

—  Ansohütz,  Ann.  264,  152  (1889). 

»  ZiNCKE  u.  v.  LoHB,  Bcr.  26,  2221,  2227  (1892). 

*  ZiNCKE  u.  Rabinowitsch,  Bor.  23,  3769,  3779  (1890).  —  ZnroKB  u.  Fuchs,  Ber. 
25,  «690,^2694  (1892);  26,498  (1898).  —  Zinckb  u.  v.  d.  Linde,  Ber.  26,  319  (1893> 


MesQxcUsäure,  98 1 


CCl  CCl,  OCl        CHCl, 

I  {  -     >        \ 

CH  CO  CH        CO- OH 


Gl, 


n.   Zweibasische  Ketonsäuren. 

• 

Analog  der  Systematik,  welche  für  die  Dicarbonsäuren  (Eap.  25  und 
26)  und  die  Oxydicarbonsäuren  (Eap.  30)  festgehalten  ist,  möge  nun 
auch  ftir  die  Classificirung  der  ^^Eetodicarbonsäuren^'  die  gegenseitige 
Stellung  der  beiden  Carboxylgruppen  als  bestimmend  angesehen  werden. 

A.    Ketoderirat«  der  Malonsftare  und  der  Malonsäurehomologen. 

Von  der  Malonsäure  selbst  kann  man  als  denkbar  einfachste  zwei- 
basische Eetonsäure  die  Verbindung 

CO,H.CO.CO,H, 

aus  zwei  Carboxylgruppen  und  einer  Carbonylgruppe  bestehend,  ableiten. 
Eine  Säure,  welche  ihren  Bildungsweisen  und  Eeactionen  zufolge  diese 
Formel  besitzen  könnte,  liegt  in  der  Mesoxalsäure  vor.  Allein  es  sei 
gleich  bemerkt,  dass  diese  Säure  .weder  in  freiem  Zustand  wasserfrei 
bekannt  ist^  noch  auch  wasserfreie  Salze  bildet^.  Man  fasst  daher  all- 
gemein die  Mesoxalsäure  als  Dioxymalonsäure  C02H-C{0H)2-C02H 
auf  (vgl.  S.  793,  vgl.  femer  Chloralhydrat  S.  864—865,  Glyoxylsäure  S.948); 
da  sie  indessen  die  typischen  Reactionen  der  Carbonylverbindungen  zeigt 
und  einen  Ester  liefert,  der  sich  von  der  wasserfreien  Säure  COjH-CO« 
CO,H  ableitet,  so  rechtfertigt  sich  andererseits  ihre  Einreihung  in  die 
Gruppe  der  Eetonsäuren. 

Mesoxalsäure  CgH^O^  ist  von  Wöhlbb  und  Liebig  ^  zuerst  durch 
Spaltung  eines  Harnsäurederivats  —  des  AUoxans  (S.  1078),  welches  einen 
Hamstoffabkömmling  der  Mesoxalsäure  darstellt,  —  erhalten  worden: 

.NH-COv  /NH,      OH-CO> 


Co/  ^C(OH),  +  2H,0  =  CO^      '  +  >C(OH),; 

^NH-CO/  ^NH,      OH-CO/ 

Alloxan  Harnstoff         MesozalBäore 

die  Spaltung  des  Alloxans  durch  Baryt  bildet  auch  gegenwärtig  die  be- 
quemste Darstellungsweise  ^  der  Sß'Ure.  Beweisend  für  ihre  Constitution 
ist  die  Bildung  aus  Dibrombrenztraubensäure  durch  gelindes  Erwärmen 
mit  Silberoxyd*,  wobei  letzteres  reducirt  wird: 

CHBr,.CO.CO,H      - -^    CHO.CO.CO.H >-    CO,H  •  CO  -  CO,H, 

und  aus  Dibrommalonsäure*  durch  Eochen  mit  Barytwasser.    Interessant 


*  Vgl.  Pbtbiefp,  Ber.  11,  4U  (1878).  *  Ann.  26,  298  (1838). 

*  Deichsel,  J.  pr.  93,  195  (1864).  —  Böttinoer,  Ann.  203,  138  (1880). 

*  Wichelhaus,  Ber.  1,  265  (1868). 

»  Pctriew,  Ber.  7,  402  (1874).  —  Fbeünd,  Ber.  17,  788  (1884). 


982  Mesoxalsäure, 


ist  eine  Synthese^  der  Mesoxalsäure,  bei  welcher  ihr  Eohlenstoffskelett 
gewissermassen  aus  drei  einzelnen  Kohlenstoffatomen  aufgebaut  wird; 
das  aus  Anilin  und  Chloroform  entstehende  Phenylcarbylamin  (vgl. 
S.  251—252): 

CeHj .  NH,  +  CHCl,  -  3  HCl     =     C^K^  -  N-^c/ 

addirt  nämlich  Kohlenoxychlorid  COClj  unter  Bildung  eines  Chlorids,  das 
beim   Zusammenbringen   mit  Wasser   in  Mesoxalanilidhydrat  übergeht: 

C,H5N:C<^  CeHB-NiC/   ^ 

+  COCl,  =  \co, 


OH 

C,H5.N:C<^ 


CeH^NrlX 


>C(OH),   +  2  HCl; 

m 

letzteres  wird  durch  Alkali  in  Anilin  und  Mesoxalsäure  gespalten: 

/OH  CO(OH) 

CeH5.N:C<  CeH,.NH,       \ 

>C(0H),  +  2H,0  =                     +    C(OH),; 

CeH,.N:C<                           .  CeH^.NH,      / 

\0H  CO(OH) 

es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  die  drei  Kohlenstoffatome  aus  2  Molecülen 
Chloroform  und  1  Mol.  Kohlenoxychlorid  bei  dieser  Reactionsfolge  die 
Baustücke  des  Mesoxalsäuremolecüls  bilden. 

Mesoxalsäure  bildet  prismatische,  zerfliessliche  Krystalle  und  schmilzt 
bei  etwa  108^.  Sie  reducirt  in  der  Wärme  ammoniakalische  Silberlösung 
unter  heftiger  Kohlensäureentwicklung.  Beim  Kochen  in  wässriger  Lösung 
wird  sie  in  Kohlensäure  und  Glyoxylsäure  gespalten.  Als  Keton  erweist  sie 
sich,  da  sie  durch  Natriumamalgam  zu  Tartronsäure  reducirt  wird,  mit 
Hydroxylamin  ein  Oxim  (s.  S.  983),  mit  Phenylhydrazin  ein  Hydrazon  liefert 

DenAethylester^CaHß.OCOCO-COOCjHß  (Ketomalonsäure- 
ester),  der  sich  von  der  wasserfreien  Säure  ableitet,  erhält  man  aus 
dem  bei  105^  getrockneten  Bariumsalz,  wenn  man  dasselbe  mit  abso- 
lutem Alkohol  übergiesst,  den  Alkohol  mit  trockenem  Chlorwasserstoff 
sättigt,  nach  mehrtägigem  Stehen  vom  Chlorbarium  trennt  und  endlich  im 
Vacuum  destillirt,  als  ein  hell  grünlichgelbes  Oel  (Siedepunkt  unter 
14mm  Druck  100— 101<>,  spec.  Gew.  bei  16^  M36);  dieser  Esterist 
entsprechend  einem  Vorschlage  vou  Kekülä',  den  doppelt  mit  Kohlen- 
stoff verbundenen  Sauerstoff  als  „Oxo^-Sauerstofl  zu  bezeichnen,  Oxo- 
malonsäureester  genannt  worden.    Er  ist  ausserordentlich  wassergierig 


*  Nep,  Ann.  270,  286  (1892). 

'  Conrad  n.  Brückner,  Ber.  24,  3000  (1891).  —  Akscbütz  u.  Parlato,  Her.  25, 
8614  (1892). 

«  Ber.  25,  1977  (1892). 


Acetylmalonsäure.  '  983 


und  zieht  schon  an  der  Luft  Wasser  an,  um  in  den  farblosen,  kry- 
stallinischen,  bei  57^  schmelzenden,  nicht  ohne  Wasserabspaltung  destillir- 
baren  Dioxymalonsäureester  C2H5-0-COC(OH)2.COOCjHß  über- 
zugehen. 

Das  Oxim  der  Mesoxalsfiure»  COgHC(:NOH).CO,H  (Isonitrosomalou- 
säure)  entsteht  durch  Einwirkung  von  Hydroxylamin  auf  Mesoxalsäure;  der  Ester 
COa(CJ3[8)-C(:NOH)-COj(C,Hß)  wird  auch  ans  Malonsäureester  durch  Einwirkung 
von  salpetriger  Säure  erhalten.  Die  freie  Isonitrosomalonsäure  bildet  Nadeln,  schmilzt 
bei  189®  unter  Gasentwickelnng  und  verpufft,  auf  dem  Platinbleche  erhitzt.  Beim 
Erwärmen  mit  Wasser  zerfällt  sie  in  Kohlensäure  und  Cyanwasserstoff: 

CO,H.C(:N.OH)-CO,H  =  2C0,  +  HCN  +  H,0; 

diese  eigenthümliche  Zersetzung,  bei  welcher  die  drei  Kohlenstoffatome  des  Mesoxal- 
sänremolecüls  von  einander  isolirt  werden,  bildet  ein  Gegenstück  zu  der  S.  982 
besprochenen  Synthese  der  Säure.  —  Isonitrosocyanessigester*  CN'C(:N-OH)' 
COi'CaHj  —  aus  Cyanessigester  und  Amylnitrit  —  bildet  farblose  Krystalle  und 
schmilzt  beil27— 128^  —  Isonitrosocyanessigsäure«  CN-C{:N- OH)  00,11  (vgl. 
auch  S.  987)  ist  aus  der  S.  978  erwähnten  Furazanpropionsäure  erhalten ;  durch  Oxy- 
dation kann  die  Furazanpropionsäure  in  Furazancarbonsäure  übergeführt  werden, 
welche  nun  durch  Alkalien  sofort  in  Isonitrosocyanessigsäure  umgelagert  wird: 

I  >0     —^^  I 

COaH— C    ^N/  CO,H--C-  N . OH ; 

sie  krystallisirt  aus  Wasser,  worin  sie  sehr  leicht  löslich  ist,  in  farblosen  wasserhaltigen 
Kiystallen,  schmilzt  wasserfrei  unter  explosionsartigem  AufBchänmen  gegen  130®  und 
wird  durch  kochende  Kalilauge  zu  Isonitrosomalonsäure  verseift;  mit  kohlensauren  Al- 
kalien und  Erdalkalien  liefert  sie  Salze  von  der  Formel  CN-C(:N-OMe^)-CO,MeS 
welche  sich  in  Wasser  mit  gelber  Farbe  lösen;  K  =  1'39. 

Von  den  Malonsäurehomologen  können  sich  nur  solche  Keto- 
derivate  ableiten,  deren  Carbonylgruppe  in  der  Seit^nkette  steht.  Als 
Ketoderivat  der  Aethylmalonsäure  kann  die 

Acetylmalonsäare^  CHg- CO  011(00211)2  aufgefasst  werden,  deren 
Diäthylester  OHg- 00 •0H(0O2-02Hß)2  durch  Einwirkung  vonAcetylchlorid 
auf  Natriummalonsäureester  erhalten  wird.  Er  ist  flüssig,  siedet  unter 
17  mm  Druck  bei  120^,  löst  sich  in  kohlensauren  Alkalien  und  giebt 
mit  Eisenchlorid  in  alkoholischer  Lösung  eine  dunkelrothe  Färbung.  Er 
entsteht  auch  durch  Einwirkung  von  Chlorkohlensäureester  Cl-COg-CgHg 
auf  Natracetessigester  (bezw.  Kupferacetessigester*),  aber  nur  als  Neben- 
produkt« neben  dem  Ester  CHg- 0(0  •CO2O2H5):  OH  COa'CjHß  (vgl.  S.  963). 


*  Baeyee,  Ann.  131,  292  (1864).  —  Conkad  u.  Bischoff,  Ann.  200,  211  (1881). 
—  V.  Meyeb  u.  A.  Müller,  Her.  16,  608,  1622.  —  Ceresole,  ebenda,  1184  Anm.  — 
WoLFP  u.  Gans,  Ber.  24,  1172  (1891). 

'  Mullee,  Compt  lend.  112.  1872  (1891). 

^  Wolff  u.  Gams,  Ber.  24,  1169  (1891).  —  Söderbaüm,  ebenda,  1988.  —  Hantzsch 
u.  MioLATi,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  11  (1892). 

*  Lang,  Ber.  20,  1326  (1887).  —  Michael,  J.  pr.  [2]  37,  475  (1888).  —  Nef, 
Ann.  266,  112  (1891). 

*  Nep,  Ann.  266,  109  (1891).  •  Claisen,  Ber.  25,  1762,  1768  (1892). 


984  Oxalessigsäure. 


Homologe  dieses  Esters  sind  durch  Einwirkung  von  Propionylchlorid  etc 
auf  Natriummalonsäureester  erhalten.  Durch  salpetrige  Säure  werden 
diese  Ester  im  Sinne  der  Gleichung: 

/CO,  •  C,H5 
CHsCO.CH<  +  NOOH 

=  CH,.C0.C(:N.0H).C0,CjH5  +  CO,  +  CA-OH 
gespalten. 

Acetylcy  anessigest  er  CHj-C0-CH(CN)-C0,'C,H8  (oe-Cjanacetessigester) 
entsteht  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  Natriumcyanessigester'  (vgl.  8.654),  aus 
Chloracetessigester  durch  Einwirkung  von  Cyankalium  *,  aus  Natracetessigester  durch  Ein- 
wirkung von  Chlorcyan*.  Er  bildet  farblose  Nadeln,  schmilzt  bei  26',  siedet  unter  15— 
20 mm  Druck  bei  119^,  ist  in  Wasser  wenig  löslich  und  besitzt  stark  saure  Eigenschaften. 

B«    Ketoderlrate  der  Bernstelnsäure  and  der  BemstelnsSare- 

homologen. 

1.    Monoketoderivate. 

Oxalesslgsftare  COgHCOCHjCOjH  ist  das  Monoketoderivat  der 
Bernsteinsäure.  Die  Säure  ist  im  freien  Zustand  nicht  bekannt.  Ihr 
Diäthylester  CgHijOg  =  C02(CaH5)-CO-CH3.COa(CjH5)  (Oxalessig- 
ester)  ist  von  W.  Wislicenus*  entdeckt.  Er  kann  sehr  leicht  durch 
Condensation  von  Oxalester  mit  Essigester  in  Gegenwart  von  Natrium- 
äthylat  (vgl.  S.  953 — 954)  dargestellt  werden,  ist  ein  ziemlich  dickflüssiges, 
farbloses  und  fast  geruchloses  Oel,  siedet  unter  24  mm  Druck  bei  131^ 
bis  132^,  zersetzt  sich  beim  Erhitzen  unter  gewöhnlichem  Druck,  besitzt 
bei  23-5^  das  spec.  Gew.  1-159,  giebt  mit  Eisenchlorid  in  verdünnter 
alkoholischer  Lösung  eine  intensiv  dunkelrothe  Färbung  und  löst  sich 
in  verdünnten  Alkalien.  Er  bildet  Metallverbindungen,  wie  CgH^jO^Na, 
die  aber  mit  Halogenalkylen  nicht  wie  Natracetessigester  glatt  reagiren: 
das  Kupfersalz  ^  (C8Hjj05)2Cu  krystallisirt  aus  heissem  Alkohol  in  feurig 
grünen  Nädelchen  und  schmilzt  bei  162 — 163^  Durch  Kochen  mit 
alkoholischem  Kali  wird  er  in  Alkohol,  Oxalsäure  und  Essigsäure  („Säure- 
spaltung^^),  durch  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  in  Alkohol. 
Kohlensäure  und  Brenztraubensäure  („Ketonspaltung^')  gespalten,  durch 
Reduction  mit  Natriumamalgam  in  Aepfelsäure  (S.  798)  bezw.  deren 
Ester  übergeführt.  Durch  Verseifung  mit  verdünnten  Alkalien  in  der 
Kälte  liefert  er  einen  Monäthylester  der  Oxalessigsäure  CgHgOg,  wel- 
cher kleine  Nädelchen  bildet,  bei  95 — 97®  schmilzt  und  sich  bei  140*^ 
unter   Gasentwickelung    zersetzt.    —    Ein   Aethoxyl-oxalessigester* 

^  Hallbr  u.  Held,  Compt.  rend.  106,   115  (18S7);  vgl.  auch  106,  1083  (1888). 

'  James,  Ann.  240,  61  (1887).  —  Haller  u.  Held,  Compt  rend.  104,  1627  (1887). 

'  Haller  u.  Held,  Compt.  rend.  96,  285  (1882).  —  Vgl.  auch  Held,  Compt  rend. 

98,  522  (1884).  —  Haller  u.  Held,  Compt  rend.  106, 210  (1888).    Bull.  [3]  1, 306  (1889>. 

*  Ber.  19,  3225  (1886);  20,  2930  Anm.,  3392  (1887);  22,  2912  (1889);  24,  34U 
(1891);  25,  2448  (1892).  Ann.  246,  315  (1888). 

°  Vgl.  auch  Per  ATONER  u.  Strazzeri,  Ber.  24  o,  573  (1891). 

•  W.  WisLicENus  u.  Scheidt,  Ber.  24,  432  (1891). 


Äcetbemsteinsäure.  985 


COa(CaHß).CO-CH(O.C3Hg)-COj(C2Hß) (Siedepunkt  155—1560  unter  17  mm 
Druck)  ist  durch  Condensation  von  Oxalester  mit  Aethylglykolsäureester 
CaHß-OCHa-COjCjHg  erhalten  worden. 

Hydroxjlaminderivate  der  Oxalessigsäure  und  ihrer  Ester^:  Durch 
Ein  Wirkung  von  Hydroxylamin  auf  Oxalessigester  erhält  man  den  öligen  Oximido- 
bernßteinsfiuredifithylester  CO,(C,H5).C(:NOH).CH,.CO,(C8H5),  aus  welchem 
durch  partielle  Verseifung  eine  bei  54^  schmelzende  Oximidoätherbemsteinsäure  ent- 
steht Letztere  Säure  spaltet  beim  Erhitzen  mit  Wasser  im  Bohr  Kohlensäure  ab  und 
liefert  dadurch  a-Oximidopropionsäureester  (S.  960),  besitzt  demzufolge  die  Structur 
C0,(C,H5).C(:N-0H).CH,.C0jH;  sie  wird  als  j9-Oximidoätherbernsteinsäure 
bezeichnet.  Eine  isomere  a-Oximidoätherbernsteinsäure  wird  ans  Dinitroso- 
succinylobemsteinsäureester  (vgl.  Bd.  II)  durch  Zersetzung  mit  Wasser  erhalten,  bt 
in  Wasser  leichter  löslich,  schmilzt  bei  107^  unter  Zerfall  in  Kohlensäure  und  oe- 
Oximidopropionsäureester,  besitzt  demnach  die  gleiche  Structur  und  ist  der  ^- Säure 
stereoisomer  (vgl.  S.  866,  977,  987);  sie  wird  durch  Einwirkung  von  concentrirter 
Schwefelsäure,  Acetylchlorid  und  Essigsäureanhydrid  in  die  stabilere  ^-Aethersäure 
umgewandelt.  —  Den  beiden  stereoisomeren  Aethersäuren  entsprechen  zwei  stereoisomere 
Oximidobernsteinsäuren  C0jH-C(:N-0H)'CH8'C0,H,  welche  durch  Verseifung 
daraus  gewonnen  werden.  Die  a-Säure  schmilzt  bei  125^  unter  Zersetzung  in  Kohlen- 
säure, Wasser  und  Cyanessigsäure,  verträgt  Kochen  mit  Wasser  und  färbt  sich  mit 
Eisenchlorid  in  concentrirter  Lösung  braun,  in  verdünnt-er  gelb;  K  =  0*110.  Die  |9- 
Säure  schmilzt  bei  88.®  unter  stürmischer  Zersetzung,  ist  in  Wasser  bedeutend  schwerer 
löslich,  wird  schon  bei  ganz  gelindem  Erwärmen  in  wässriger  Lösung  in  Kohlensäure 
und  Cyanessigsäure  zersetzt,  erleidet  diesen  Zerfall  sogar  allmählich  schon  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  und  im  trockenen  Zustand  und  giebt  mit  Eisenchlorid  eine  intensiv 
blaue  Färbung;  K  =  0-372.  —  Uelier  Reduction  der  Aethersäuren  und  des  Diäthyl- 
esters  vgl.  bei  Asparaginsäure  und  Asparagin  S.  837—840. 

Ton  den  Homologen  der  Bemsteinsäure  können  zwei  Arten  von  Monoketoderivaten 
abgeleitet  werden: 

1.  solche,  deren  Carbonylgruppe  zwischen  den  beiden  Carboxylgruppen  befindlich 
ist:  die  eigentlichen  Homologen  der  Oxalessigsäure. 

2.  solche,  deren  Carbonylgruppe  in  einer  Seitenkette  sich  befindet. 

Homologe  des  Oxalesslgesters*  C08(CsH5)CO*CHBCO,(C,Hb)  können  durch 
Condensation  von  Oxalsäureester  mit  Propionsäureester  etc.  gewonnen  werden. 

Die  einfachste  Verbindung  der  zweiten  Art  wäre  die  Äcetbemsteinsäure: 

CHj-COCHCOsH 

I 
CH]  *  COgH 

welche  in  Form  ihres  Diäthylesters  bekannt  ist. 

Aeetbemsteinsllarediätliylester'  C^o^iaOs  kann  leicht  durch  Einwirkung  von 
Chloressigester  auf  Natracetessigester  gewonnen  werden: 


»  Ebbbt,  Ann.  229,  63  (1885).  —  Piutti,  Jb.  1887,  1730;  1888,  1811.  Ber. 
23  o,  335,  561  (1890);  24,  2287  (1891).  —  Hantzsch,  Ber.  24,  1195  (1891).  —  Cbakeb, 
ebenda,  1198.  —  Hamtzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  19  (1891). 

"  W.  WiSLicEwus  u.  Arnold,  Ber.  20',  3394  (1887).    Ann.  246,  329  (1888). 

•  CoKBAn,  Ann.  188,  219  (1877).  —  Pbrkin,  Joum.  Soc.  45,  517  (1884).  — 
GorrmoH,  Ann.  216,  35  (1883).  —  Bach,  Ann.  234,  35  (1886).  —  Emeby,  Ann.  260, 
140.  (1890).  —  Thal,  Ber.  25,  1718  (1892). 


986  Dioxyweinsäure. 


CH, .  CO  •  CHNa  •  CO,  •  CjHß  CH,  •  CO  •  CH  •  CO,  •  CjHg 

=  XaCl  +  I 

+  Cl  •  CH, .  CO, .  C,H5  CH, .  CO,  •  CH« 

destUlirt  unter  partieller  Zersetzung  bei  etwa  260^,  besitzt  bei  15®  das  spec.  Grewicht 
1  •  088,  wird  durch  starke  alkoholische  Kalilauge  in  Alkohol,  Essigsäure  und  Bernsteln- 
sfture,  durch  Kochen  mit  Baiytwasser  in  Alkohol,  Kohlensäure  und  Lftvulins&ore 
gespalten  (vgl.  S.  971).    Einwirkung  von  salpetriger  Säure  vgl.  S.  978. 

Homologe  des  Aeetbemsteinsllureesters  ^  können  durch  Einwirkung  von 
Halogen  alkylen  auf  seine  Natrium  Verbindung: 

CH, .  CO .  CNa .  CO,  •  CjH^  CH,  -  CO  •  CCCH,)  •  CO,  -  C,H, 

I  +  CH,J  =  NaJ  +  I 

CH,  •  CO,  •  CjHj  CH,  •  CO,  •  C,H5 

oder  durch  Einwirkung  von  a-halogenirten  Säureestem  auf  Natracetessigester: 

CH,.C0.CHNa.C0,.C,H6  CH,.C0.CH.CO,.C,H5 

=  NaBr+  | 

+  CjHs .  CHBr .  CO,  •  C,H8  CHj  •  CH  •  CO,  •  C,Hö 

erhalten  werden. 

2.   Dike toder ivate. 

Die  Diketobernsteinsäure  COaH-COCO-COjH  ist  als  solche 
nicht  bekannt;  man  kennt  indess  eine  um  2  Wassermolecüle  reichere 
Säure,  welche  das  von  einer  Diketobernsteinsäure  zu  erwartende  Ver- 
halten zeigt;  man  fasst  daher  diese  Säure  ähnlich  wie  Chloralhjdrat, 
Glyoxylsäure,  Mesoxalsäure  als  Hydrat  einer  Carbonylverbindung  auf: 

CO,H .  C(OH), .  C(OH), .  CO,H 

und  bezeichnet  sie  demgemäss  als  Dioxyweinsäure  oder  Tetraoxybeni- 
steinsäure  (vgl.  Mesoxalsäure,  S.  981). 

Dloxy Weinsäure  C^H^Og  ist  von  Gbübeb*  entdeckt,  von  Kbkül£' 
in  ihrer  Constitution  erkannt.  Man  erhält  sie  am  bequemsten  aus  der  Nitro- 
Weinsäure  (S.  806),  indem  man  letztere  in  ätherischer  Lösung  nach  Zusatz 
von  Alkohol,  der  mit  salpetriger  Säure  beladen  ist,  der  Selbstzersetzong 
überlässt.  Interessant  ist  ihre  Bildung  aus  manchen  BenzolderiTateBt 
z.  B.  Brenzkatechin*  und  GuajacoP  durch  Einwirkung  von  salpetriger 
Säure.  Sie  ist  besonders  durch  ihr  Natriumsalz  C^H^OgNa,  +  2  oder 
2^I^Jd  charakterisirt,  welches  einen  weissen  pulverig -krystallinischen 
Niederschlag  darstellt,  in  Wasser  fast  unlöslich  ist  und  daher  zur 
Abscheidung  der  Säure  dient.  Erhitzt  man  dasselbe  mit  Wasser  auf 
50 — 60®,  so  tritt  lebhafte  Kohlensäureentwickelung  ein,  und  man  erhält 
eine  Lösung  von  tartronsaurem  Natrium: 


»  CoKRAD,  Ann.  188,  226  (1877).  —  Kressnbb,  Ann.  192,  137  (1878). —Hahdt- 
MüTH,  ebenda,  142.  —  Huooembebq,  ebenda,  146.  —  Thokkc,  Joum.  Soc  3d,  S37 
(1881).  —  Clowes,  Ber.  8,  1208  (1875).  —  Bischopp,  Ann.  206,  319,  330  (18801  - 
Gottste™,  Ann.  216,  31,  35  (1883).  —  Yoüno,  ebenda  39,  43.  —  Emeet,  Ann.  260, 
151  (1890). 

«  Ber.  12,  514  (1879).  '  Ann.  221,  230  (1883). 

*  Barth,  Jb.  1881,  720.  *  Herzig,  Monatsh.  3,  825  (1882). 


JJioMmidobernsieinsäure .  987 


COCOjH  COH 

I  -  CO,  =    I 

COCO.H  CO.COjH 

COH.CO.COjH  +  HjO  =  CO,H.CH(OH).CO,H; 

erwärmt  man  es  mit  concentrirter  Natriumbisulfitlösung,  so  entsteht 
unter  Eohlensäureentwicklung  Glyoxalnatriumbisulfit^  Neben  diesen 
Zersetzungen  ist  besonders  beweisend  für  die  Constitution  der  Dioxy- 
weinsäure  das  Verhalten  bei  der  Reduction  in  saurer  Lösung  —  es  ent- 
steht ein  Gemisch  von  Traubensäure  und  Antiweinsäure  (vgl.  S.  812)  — 
und  das  Verhalten  gegen  Hydroxylamin  (vgl.  unten)  und  Phenylhydrazin ; 
Phenylhydrazin  bildet  ein  Osazon: 

COjH.CiN.NH.CeHs 

I 
COgH-CiN-NHCeHg 

dessen  Sulfosäure  als  Farbstoff  (Tartrazin,  vgl.  Bd.  II)  technische  An- 
wendung findet. —  Die  freie  Dioxyweinsäure^  C02H-C(OH)3*C(OH)j- 
CO3H  kann  aus  dem  Natriumsalz  erhalten  werden,  wenn  man  dasselbe 
unter  trockenem  Aether  mit  trockenem  Salzsäuregas  zersetzt;  sie  bildet 
weisse  Krystalle,  schmilzt  unter  Zersetzung  bei  98^  und  ist  in  Wasser 
sehr  leicht  löslich.  —  Aus  dem  Natriumsalz  kann  durch  passende  Be- 
handlung mit  Alkohol  und  Salzsäuregas  ein  Diäthylester  ^  bereitet 
werden,  der  eine  orangegelbe  dickliche  Flüssigkeit  darstellt,  unter 
12  mm  Druck  bei  115—  117^  siedet  und  bei  20^  das  spec.  Gew.  1-187 
zeigt;  dieser  Ester  besitzt  die  Zusammensetzung  des  Diketobern- 
s  t  einsäur  ee8tersC02(C2Hg)-CO-CO-C03(C2Hg)(Dioxobernsteinsäure- 
ester  vgl.  S.  982);  versetzt  man  ihn  mit  Wasser  (2  Mol.  HgO  auf  1  Mol. 
Ester),  so  verschwindet  die  orangegelbe  Färbung,  und  man  erhält  unter 
beträchtlicher  Erwärmung  eine  wasserhelle  Flüssigkeit,  welche  vermuth- 
lich  den  Dioxyweinsäureester  C02(C2H5)C(OH)2C(OH)aC02(CaHg)  dar- 
stellt, bei  der  Destillation  unter  vermindertem  Druck  aber  wieder  Wasser 
verliert  und  den  Diketobernsteinsäureester  liefert. 

Hydroxylaminderivate  der  Dioxyweinsäure*:  Durch  Einwirkung  von 
Hydroxylamin  auf  Dioxy weinsäure  entsteht  eine  Dioximidoberneteinsäure  COjH- 
C(:N'OH)-C(:N-OII)-CO,H  (^j?-Dioximidobernsteinsäure),  welche  grosse  farb- 
lose Prismen  bildet,  aus  Wasser  mit  4  Mol.  Krystallwasser  krystallisirt,  wasserl^i  bei 
145—150**  unter  gleichzeitiger  Verkohlung  schmilzt  und,  mit  Essigsäureauhydrid  in 
der  Kälte  behandelt,  in  ein  schön  krystallisirendes  Di ac etat  COaH-C(:N- O-C^HgO) • 
C(:N-0'C8HjO)"COjH  übergeht;  letzteres  liefert  bei  der  Verseif ung  mit  Alkalien  die 
Isonitrosocyanessigsäure  (S.  983).  Wenn  man  die  ^/^-Dioximidobernsteinsäure  mit 
rauchender  Salzsäure  in  Berührung  lässt,  60  verwandelt  sie  sich  in  die  stereoisomere 
«Gr-Dioximidobernsteinsäure,  welche  warzenförmige  Krystallaggregate  bildet, 
wasserfrei  ebenfalls  bei  145 — 150^  unter  stürmischer  Gasentwickelung  verkohlt,  aber 

^  UiNSBEBO,  Ber.  24,  8235  (1891). 

'  AuwERS,  V.  Meyer 'u.Lasu  Melleb,  Ber.  22,  2015  (1889). 
3  ANSCHtJrz  u.  Parlato,  Ber.  26,  1975  (1892). 

*  A.  Müller,  Ber.  16,  2985  (1883).  —  Söderbaüm,  Ber,  24,  1215,  1988  (1891).  — 
Hamtzsch  u.  Miolati,  Ztschr.  f.  physik.  Chem.  10,  Sl  (1892). 


988  Diacetylbemsteinsäure. 


bei   der  Behandlung   mit  Essigsäureanhjdrid   in    der  Kälte  keine  Acetylverbindang 
liefert,  sondern  glatt  in  Kohlensäure,  Cyan  und  Wasser  zerfällt: 

C0,H.C{:N.0H).C(;N0H).C08H  =  2C0,  +  (CN),  4- 2H,0. 

Als  Diketoderivat    der   Diäthylbenisteinsäure    kann   die   Dlaeetyl- 

CH3COCHCO3H 
bernstelnsfture  ^  1  aufgefasst  werden.     Ihr  Diäthyl- 

CH3.COCH.CO3H 

CHgCOCHCOgCaH, 
ester  |  (Diacetbernsteinsäureester)  kann  leicht 

CHgCOCH-COa-CaHß 
durch  Einwirkung  von  Jod  auf  Natracetessigester  (s.  S.  963)  erhalten 
werden,  krystaUisirt  in  zwei  Formen,  schmilzt  bei  88^  und  zersetzt  sich 
bei  höherer  Temperatur.  Verseift  man  ihn  mit  starker  Natronlauge 
bei  gewöhnlicher  Temperatur,  so  erhält  man  die  freie  Diacetbern- 
steinsäure,  welche  in  Nadeln  krystaUisirt,  mit  Wasser  ohne  Zersetzung 
gekocht  werden  kann,  bei  etwa  160^  sich  zersetzt  und  mit  Eisenchlorid 
keine  Farbenreaction  giebt.  Verseift  man  den  Ester  mit  verdünnter 
Natronlauge  bei  gewöhnlicher  Temperatur,  so  wird  er  in  Alkohol,  Kohlen- 
säure und  Acetonylaceton  (S.  855)  gespalten.  Gleich  dem  Acetonylaceton 
ist  der  Diacetbernsteinsäureester  leicht  in  Furfuran-  und  Pyrrolderivate 
überführbar;  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure  liefert 
er  den  sogenannten  „Carbopyrotritarsäureester" : 

CjH5'C0j«C-     -C'COg-CjHs 
CjHj .  CO, .  CH-CH .  COj .  CjHb 

II  -H,0  =  CHa-C        O-CHs 

CHj.CO     GOCH,  '  \^ 

durch  Einwirkung  von  concentrirtem  wässrigem  Ajmmoniak  den  Dimethyl- 
pyrroldicarbonsäureester : 

C2H5  •  COj  •  C C  •  COj  ■  C1H5 

CHg'O         C'CHa 
NH 

C.  Ketoderirate  der  Olntarsäure  und  der  Crlatarsäarehomologen. 

Von  der  Glutarsäure  können  der  Theorie  nach  zwei  isomere  Mono- 
ketoderivate: 

COjH .  CO .  CHs .  CH, .  CO,H     und       COsH  •  CH.  -  CO  •  CHj  •  CO,H 
a-Ketoglutarsäure  ^-Ketoglutarsäure, 

Acetoudicarbonsäure 
abgeleitet  werden. 


*  BtTGHEiMER,  Ber.  7,  892  (1874).  —  Habbow,  Ann.  201,  141  (1878).  —  Kno»». 
Ber.  17,  2863  (1884);    18,   299,   1558  (1885);  22,    158,   168  (1889).     Ann.  236,  290 
(1886).  —  ScHöNBBODT,  Ann.  263,  195  (1889>  —  Nbf,  Ann.  266,  88  (1891).  J.  pr.  [2 
46,  68—69  Anm.  (1892).  —  Thal,  Her,  26,  1724  (1892). 


KetogttUarsäuren,  989 


Die  a-Ketogrlutarsäiire  ^  bt  einstweilen  nur  in  Form  von  Derivaten  bekannt. 
Wenn  man  die  S.  978  erwähnte  Furazanpropionsäure  in  Natronlauge  gelöst  einige 
Standen  stehen  lässt,  so  ist  sie  in  Cyanisonitrosobuttersäare  —  das  Halbnitril 
der  a-Ozimidoglutarsäure  —  umgewandelt: 

I  >0  ^  I  . 

COsHCHj.CHj.C-    W  CO,H.CH,.CH,.C-=N.OH 

Die  Cyanisonitrosobuttersäure  bildet  weisse  Krystalle  und  schmilzt  bei  85  —  87^; 
sie  erweist  sich  als  Nitril  dadurch,  dass  sie  mit  Hydroxylamin  zu  einem  Amidoxim 
zusammentritt;  durch  Kochen  mit  Alkalien  wird  sie  in  a-Isonitrosoglutarsäure 
oder  Oximidoglutar8äureCOgH.C(:NOH)CH,.CHj.COjHübergefahrt.  Letztere 
SSure  bildet  weisse  Prismen,  schmilzt  unter  lebhafter  Kohlensäureentwickelung  bei 
152®,  lost  sich  ziemlich  schwer  in  kaltem  Wasser,  leicht  in  warmem  Wasser  und 
wird  durch  siedendes  Wasser  unter  Abspaltung  von  Kohlensäure  zersetzt;  auch  bei 
gelindem  Erwärmen  mit  Essigsäureanhydrid  entwickelt  sie  lebhaft  Kohlensäure  und 
liefert  Succinaminsäure : 

CO,H.C(:N.OH).CH,.CH,.CO,H  ==  COjH.NH.CO.CH,.CH,.CO,H 

(BECKMANK^Bche  Umlagcrung,  S.  891) 
=  CO, +  NH8.C0.CH,.CH,.C0,H; 

durch  Beduction  mit  Zinn  und  Salzsäure  wird  sie  in  inactive  Glutaminsäure  CO,H  • 
CH(NH,).CH,.CH,.CO,H  (8.  840—841)  übergeführt. 

Acetondlcarbonsäare  oder  /S-Ketoglutarsänre  CgH^Og  =  CO^H- 
CHj-CO-CHj-COgH  ist  von  v.  Pechmann*  entdeckt  und  eingehend  unter- 
sucht. Sie  wird  leicht  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefel- 
säure auf  Citronensäure  erhalten*: 

CHjCO.H  CH,.CO,H 

6/  ^     6o  +  CO  +  HjO . 

!  ^CO,H 
CHj.COjH  CH,CO,H 

Sie  bildet  weisse  Nadeln,  schmilzt  bei  135*^,  indem  sie  ia  Kohlensäure 
und  Aceton  zerfällt,  erleidet  die  gleiche  Spaltung  beim  Kochen  ihrer 
wässrigen  Lösung  und  färbt  sich  mit  Eisenchlorid  intensiv  violett;  beim 
Kochen  mit  starkem  alkoholischem  Kali  wird  sie  in  Essigsäure  und  Malon- 
säure  gespalten.  Durch  Addition  von  Blausäure  an  ihren  Ester  und 
darauffolgende  Verseifung  kann  sie  wieder  in  Citronensäure  zurückgeführt 
werden.  Durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  entsteht  Diisonitroso- 
aceton  (vgl.  S.  860): 

C0,H.CH5.C0.CHj.C0,H  +  2N0.0H 

=  2C0,  +  CH(:N.0H).C0CH(:N.0H)  +  2H,0, 

durch  Beduction  mit  Natriumamalgam  /?-Oxyglutarsäure  (S.  815). 


*  WoLPF,  Ann.  260,  106  ff.  (1890). 

*  Ber.  17,  2542(1884);  18,  2289,  2290(1885);  19,  1446,  2465,  2694  (1886);  20, 
145  (1887):  24,  857,  3250,  4095  (1891).  Ann.  261,  151  ff.  (1890).  —  v.  Pechmann  u. 
Neger,  Ann.  273,  186  (1892).  —  P.  Henry  u.  v.  Pechmann,  Ber.  26,  997  (1893). 

»  Vgl.  auch  Farbwerke  Höchst  a./M.  D.  R.-Pat  32245  (1884). 


990  Acetondicarbonsäure.   Acetglutarsäuren. 


Acetondicarbonaäurediäthylester»  CO,(C,H6)CH,.COCH8.CO,(C,H5) 
siedet  unter  50  mm  Druck  fast  unzersetzt  bei  169 — 174^  und  besitzt  bei  20®  dasq)ec. 
Gew.  1  •  113.  Er  zeigt  —  analog  dem  Malons&nreester,  Acetessigester  etc.  —  saure  Nator, 
derart  dass  er  sich  sogar  in  kohlensauren  Alkalien  auflöst  Die  Monokaliumver- 
bin  düng  C«Hi,RO0  krjstalUsirt  aus  verdünntem  Alkohol  in  Nädelchen  und  ist  an 
der  Luft  unverändert  haltbar;  weniger  beständig  ist  die  hygroskopische  Dikaliam- 
verbindung  CgHi^KsOs.  Durch  Umsetzung  der  Metallverbindungen  mit  Halogen- 
alkjlen  kann  man  successive  vier  Alkylreste  in  das  Molecül  des  Esters  einfahreu. 
welche  in  folgender  Reihenfolge  eintreten: 

•CHR'COj'CjHs  •CHR'COj'CjHg 

C0<  >      CCK  >- 

^CHj .  CO, .  C,H5  ^CHR .  CO  j  •  C.n^ 

yCR,  •  COj  •  C2H.5  yCRj  •  COj  •  C2H5 

C0<  ►       C0<  ; 

^CHR .  CO, .  C,Ha  XIR, .  CO,  •  OjK« 

man  gelangt  so  zu  den  Homologen  des  Acetondicarbonsäureesters  (vgl.  unten),  welche 
durch  Kochen  mit  Säuren  in  Alkohol,  Kohlensäure  und  die  entsprechenden  Homologen 
des  Acetons  gespalten  werden. 

/-Cyanacetessigester*  CN-CH,»C0-CH,-C0,-C,H5  kann  als  Ester  de» 
Halbnitrils  der  Acetondicarbonsäure  aufgefasst  werden.  Er  wird  neben  a-Cyanscft- 
essigester  (S.  984)  aus  einem  unter  gewissen  Umständen  erhältlichen  Chlorinuig!«- 
produkt  des  Acetessigesters  (S.  967),  das  neben  a-Chloracetessigester  auch  ^'-Chlor- 
acetessigester  zu  enthalten  scheint,  durch  Umsetzung  mit  Cyankalium  gewonnen,  siedet 
bei  135 — 188®  unter  40—45  mm  Druck  und  kann  durch  Behandlung  mit  Chlorwasser- 
stoff in  alkoholischer  Lösung  in  Acetondicarbonsäureester  übergeführt  werden. 

Homologe  der  freien  Aeetondiearbonsäure  können  ans  einigen  homologen 
Acetondicarbonsäurestem,  deren  Bildung  oben  erwähnt  ist,  durch  vorsichtige  Ver- 
seifung  mit  alkoholischem  Kali  in  der  Kälte  dargestellt  werden,  nämlich  aus  den 
symmetrisch  substituierten: 

<CHR  •  CO,  •  CfHf  /CR,  •  CO,  •  C,Hg 

und       C0<  ; 

CHR.C0,.C,H5  \CR,.C0,-C,H5 

sie  sind  ebenso  beständig  wie  die  Acetondicarbonsäure  selbst.  Die  den  unsymmetrisch 
substituierten  Estern: 

<CHR  •  CO,  •  C,H5  /CR,  •  CO,  •  CjHg 

und      C0< 
CH, .  CO,  •  C,H5  \CHR .  CO,  •  C.Ha 

entsprechenden  freien  Säuren  dagegen  sind  nicht  isolirbar. 

Als  Ketoderivate  von  Aethylglutarsäuren  können  femer  die  beiden  isomeren 
Acetylglutarsäuren: 

CO,H .  CH  ■  CH, .  CH, .  CO,H  CO,H  •  CH,  •  CH  •  CH^  -  CO,H 

I  und  I 

COCH,  COCH, 

a-Acetglutarsäure  |9-Acetglutarsäure 

'  Vgl.  auch  Emeby,  Ber.  23,  3761  (1890).  -—  Halles  u.  Held,  Compt.  rend.  111. 
683  (1890).  Ann.  eh.  [6]  28,  165  (1891).  —  Peratoneb  u.  Strazzert,  Ber.  24c,  hl^ 
(1891).  —  Perkin,  Joum.  Soc.  61,  812,  839  (1892). 

«  Haller  u.  Held,  Compt.  rend.  108,  516  (1888);  111,  647  (1890);  U4,  400,  452 
(1892).     Ann.  eh.  [6]  23,  157  (1891). 


Ketipinsäure.     Duuxiyladipinsäure.  991 


aogeführt  werden.  —  Der  a-Acetglutarsfiureester^  CuHigOg  wird  aus  Natracet- 
essigester  durch  Einwirkung  von  ^-Jod-  oder  j^-Brom-propionsäureester  gewonnen,  siedet 
unter  11  mm  Druck  bei  162  ^  besitzt  bei  20^  das  spec  Gew.  1-071,  wird  durch  con- 
oentrirtes  alkohoÜBches  Kali  in  Essigs&ure  nnd  Glutaraäure  (vgl.  S.  672),  durch  Kochen 
mit  Sfiuren  in  Kohlensäure  und  ^^-Acetobuttersäure  (S.  976)  gespalten.  —  |9-Acet- 
glutarsflure'  C^'E.^fi^  ist  aus  Monochlorlävulinsäureester  (durch  Chloriren  von 
Lftyulinsftureester  dargestellt)  nach  folgenden  Reactionen: 

CHs .  CO .  CHCl .  CH, .  CO,  -  C.H«  CH.CO  •  CH  •  CH,  •  CO,  •  CA 

+  CHNa(CO..C.H.,       =  N>C1  +  iH(CO..C,H.,       ' 

CH, .  CO .  CH .  CH, .  CO, .  C,H5  CH,  •  CO  •  CH  •  CH,  •  CO,H 

I  +3H,0  =  I  +3C,HeO, 

CH(C0,.C,H5),  CH(CO,H), 

CH, .  CO .  CH .  CH, .  CO,H  CH,  •  CO  •  CH  •  CH,  -  CO,H 

I  -CO,  =  I 

CH(CO,H),  CH,.CO,H 

gewonnen  worden;  sie  schmilzt  bei  109^. 

D.    Eetoderiyate  der  Adipinsäure  und  der  Adiplns&nrehomotogen. 

Ketipinsäure^  ist  die  Diketoadipinsäure: 

CO,H .  CH, .  CO .  CO  •  CH,  •  CQ,H 
genannt,  welche  man  auch  als  symmetrische  Diacetyldicarbonsäure 
bezeichnen  kann.  Sie  ist  von  Fittio  und  Daimler  entdeckt.  Man  er- 
hält ihren  Diäthylester  Cj^^Hj^Og,  indem  man  Oxalester  mit  Chlor- 
essigester in  Gegenwart  von  Zink  oder  mit  Essigester  in  Gegenwart 
von  Natriumäthylat  reagiren  lässt;  der  Ester  bildet  Nadeln  vom 
Schmelzpunkt  82 — 83®,  färbt  sich  in  alkoholischer  Lösung  mit  Eisen- 
chlorid intensiv  roth  und  enthält  durch  Metalle  vertretbare  Wasserstoff- 
atome. Die  freie  Säure  CgH^Og  entsteht  aus  dem  Ester  durch  Ver- 
seifung-mit  starker  Salzsäure,  stellt  ein  weisses  amorphes  Pulver  dar,  das 
in  den  meisten  Lösungsmitteln  —  kaltem  Wasser,  Alkohol  etc.  —  kaum 
löslich  ist,  und  ist  sehr  unbeständig.  Beim  Erhitzen  für  sich  oder  beim 
Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  spaltet  sie  sich  in  Kohlensäure  und 
Diacetyl. 

DiaeetyladipinsSureester*  Cj^HnOe  entsteht  als  Nebenprodukt  bei  der  Ein- 
wirkung von  Aethylenbromid  auf  Natracetessigester: 

C,H5.C0,.CHNa 
2  I  +BrCH,.CH,.Br 

CH,.CO 

CjHj  •  CO,  •  CH  •  CH,  •  CH,  •  CH  •  CO,  •  C,H5 
=  2NaBr+  1  ! 

CH,.CO  CO-CH, 

^  WisLiCEMUB  n.  LixPACH,  Ann.  192,  128  (1878).  —  Emeby,  Her.  24,  285;  24o, 
661  (1891).  — 

■  Conrad  u.  Guthzbit,  Ber.  19,  44  (1886). 

*  Frmo,  Daimler  u.  Keller,  Ber.  20,  202,  8183  (1887).  Ann.  249,  182  (1888). 
—  W.  WisLioEKUS,  Ber.  20,  590  (1887).  Ann.  246,  828  (1888).  —  Hantzsch  u. 
Zeckekdorf,  Ber.  20,  1809  (1887).  —  v.  Rothenburg,  Ber.  26,  870  (1898). 

^  Perkin  jun.  u.  Obremskt,  Ber.  19,  2045  (1886).  -^  Perkin  jun.,  Joum.  Soc  57, 
204  (1890). 


992  Hydrochelidonsäure, 


bildet  ein  dickes  Oel,  das  bei  0°  noch  nicht  erstarrt,  giebt  mit  Eisenchlorid  in 
alkoholischer  Losung  eine  dunkel  roth  violette  Ffirbung,  liefert  eine  Dinatnnin- 
Verbindung  CifHioNatO,  und  wird  bei  der  Destillation  unter  vermindertem  Druck 
zersetzt. 

£.  Ketoderlrate  der  Pimelinsftare  und  der  Pimellnsäurehomologen. 

Von  der  Pimelinsäure  leiten  sich  zwei  interessante  Ketoderivate 
ab,  die  zuerst  durch  Umwandlung  der  in  der  Natur  vorkommenden 
Chelidonsäure  (vgl.  Bd.  IL,  Pyronderivate)  dargestellt  und  daher  Hydro- 
chelidonsäure und  Xanthochelidonsäure  genannt  sind.  Durch 
Untersuchungen  von  Lebch  und  von  EUiTmaEB  und  Lieben  sind  sie 
bekannt  geworden,  durch  Untersuchungen  von  Volhabd  und  von  Clatsen 
ist  ihre  Constitution  festgestellt: 

/CH, .  CH, .  CO,H  /CH, .  CO  •  CO,H 

C0<  C0< 

\CH, .  CH, .  CO,H  XIH, .  CO  •  CO.H 

Hydrochelidonsäure  Xanthochelidonsäure. 

Hydrochelidonsäure^  C^Hj^^Og  (Acetondiessigsäure,  Propio- 
nondicarbonsäure)  entsteht  durch  Reduction  -  von  Chelidonsäure;  ihr 
Ester  bildet  sich  ferner  *sehr  glatt  bei  der  Einwirkung  von  Salzsäure- 
gas auf  eine  alkoholische  Lösung  von  Furforakrylsäure^  indem  in  letz- 
terer Säure  der  Furfuranring  durch  Wasseraufnahme  gesprengt  wird: 

CH — CH  CHg  -      CHg 

1  II  +  2H,0   =    ! 

CH     C-CH.CHCO.H  CO.H    CO-CHjCH.CO.H; 

\o/ 

beweisend  für  ihre  Constitution  ist  die  folgende  Synthese  aus  Aceton- 
dicarbonsäureester  (vgl.  S.  990) : 

COg  •  C^Hj  CO^  •  CjHg 

CHNa  ÖH— CH,  •  CO,  •  CjH, 

CO  +  2Cl.CH,.COs.CjH5  =  2NaCl  +  CO 

I  i 

CHNa  CH-CH,  •  CO,  •  CA 

C02*C,H5  COj'CjHs 


CO,.C,H, 

CH .  CH, .  CO, .  CjHs  CH,  •  CH,  •  CO,H 

CO  +  4H2O    =  4C,HeO  +  2C0,  +  CO  ; 

(i3HCH,.CO,.C,H5  CH,.CH,.CO,H 

CO,  •  CjHs 

^  Haitikges  u.  Lieben,  Monatsh.  6,  358  (1884).  —  Margewalo,  Ber.  20,  2813 
(1887);  21,  1398  (1888).  —  Volhabd,  Ann.  263,  206  (1889);  267,  48  (1892j.  - 
MIOHAE^  J.  pr.  [2]  44,  118  (1891). 


Phoronsäure,  Xanthochelidonsäure,  993 


zur  Darstellung  eignet  sich  am  besten  die  Hydratation  des  Dilactons, 
dessen  leichte  Gewinnbarkeit  aus  Bernsteinsäure  gleich  zu  besprechen 
ist.  Hydrochelidonsäure  bildet  glänzende  Blättchen,  schmilzt  bei  140^, 
liefert  bei  der  Oxydation  mit  Salpetersäure  reichlich  Bernsteinsäure, 
wird  durch  Erhitzen  mit  Jodwasserstoff  zu  normaler  Pimelinsäure  reducirt 
und  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid,  Essigsäureanhydrid  oder  Phos- 
phorsäureanhydrid in  das  den  Oxetonen  (S.  875)  analog  constituirte 
Dilacton  C^HgO^: 

CO .  CH, .  CH,-C— CH, .  CH,  •  CO 

i — ii — i 

übergeflihrt.  Letzteres  wird  direct  erhalten,  wenn  man  Bemsteinsäure 
5  —  6  Stunden  in  gelindem  Sieden  erhält  und  darauf  im  Yacuum 
destillirt;  man  kann  sich  seine  Bildung  als  in  folgender  Weise  ver- 
laufend erklären: 

CH,.CH,.CO  CHj.CHjCO        CH,.CH,.CO         CHj.CH,.CO 

Co 0  0 0       n i        n 6 

+  =  H,0  +  =    ,  V      =     j  ?     +  CO,. 

CHjCHjCO  CCHgCO        CHCHj-CO         CH,.CH..CO 

CO Ö  CO Ö  CO.  OH 

Es  krystallisirt  in  rhombischen  Prismen,  schmilzt  bei  69^,  siedet  unter 
15  mm  Druck  bei  200 — 205^  und  wird  durch  Kochen  mit  Wasser  nur 
langsam  und  unvollständig,  durch  concentrirte  Säuren  oder  durch  Alkalien 
schon  in  der  Kälte  unter  Wasseraufnahme  in  Hydrochelidonsäure  ver- 
wandelt. 

PhoronsSure^  CnUifi^  ist  ein  Tetramethylderivat  der  Hydrochelidonsäure;  sie 
entsteht  aus  Pboron  (8.  529—580)  durch  Anlagerung  von  Chlorwasserstoff,  Umsetzung 
des  Additionsproduktes  mit  Cyankalium  und  Verseifnng  des  so  gebildeten  Nitrils: 

(CH,),C  (CH8)2CC1  (CH8),C(CN)  rCH8),C(C0,H) 

jl  I  I  I 

CH  CH,  CH,  CH, 

III  I 

CO >-  CO  ^  CO         — >-  CO 

']  '  I  I  I 

CH  CH,  CH,  CH^ 

I  I  • 

(CH,),C  (CH,),CC1  (CH,),C(CN)  (CH,),C(CO,Hj 

Sie  bildet  farblose  Prismen,  schmilzt  unter  Abspaltung  von  Wasser  bei  184°  und  liefert 
ein  bei  182°  schmelzendes,  fast  unzersetzt  destillirbares  Anhydrid  CuH^eO«  (ver- 
mutblich ebenfalls  ein  oxetonähnliches  Dilacton). 

Xanthochelidonsäure^  C^HgO^  (Acetondioxalsäure).  Ihre  Salze 
bilden    sich   aus  Chelidonsäure  C^H^Og  (vgl.  Bd.  11)   durch   Einwirkung 

*  Pinheb,  Ber.l4,  1077  (1881);  16,  585  (1882).  —  Anschütz  u.  Monfort,  Ber.  26, 
827,   1173  (1893). 

•  HAiriNOBB  u.  Lieben,  Monatsh.  5,  848  (1884).  —  Lerch,  ebenda,  373.  — 
CI.AJSEN,  Ber.  24,  111  (1891).  —  Farbwerke  Höchst  a/M.,  D.  R.-Pat.  Nr.  57  648;  Ber. 
25  o,  94  (1892). 

V.  Mktxr  u.  Jacobson,  org.  Chem.  I.  68 


994  Dimethyl-diacetyl'pimelinsäure, 


überschüssiger  Basen;  sie  sind  gelb  gefärbt;  die  freie  Säure  ist  wenig 
beständig  und  geht,  wenn  man  sie  aus  ihren  Salzen  abzuscheiden  ver- 
sucht, unter  Wasserabspaltung  wieder  in  Chelidonsäure  über.  Der  Di- 
äthylester  CuH^^Oy  (Schmelzpunkt  103 — 104®)  wird  synthetisch  durch 
Einwirkung  von  überschüssigem  Ozalester  auf  Aceton  in  Gegenwart  tod 
Natriumäthylat  erhalten: 

CO(CH.),  +  2C,H5.0.CO.CO.OC,H5  =  CO(CH,.CO.CO.O.CA)«  +  2Cfifi, 
löst  sich  in  verdünnten  Alkalien  mit  gelber  Farbe  und  liefert  beim  Ein- 
leiten  Yon   Chlorwasserstoff   in    seine    heisse    alkoholische   Lösung  den 
Ghelidonsäureester : 

<CH,.C0.C0,.C,H5  /CH=C^ — CO,- CA 

-H,0  =   C0<:  >0 

CH, .  CO .  CO,  •  CjHj  N:iH^C/— CO, .  CH. 

beim  Erwärmen  mit  concentrirten  Mineralsäuren  glatt  Chelidonsäure. 

Bimethyl-diacetyl-pimelinsäureester^  CiTHtsOe  entsteht  durch  Combination 
von  Trimethylenbromid  mit  Methylacetessigester : 

2CH..C0.CNa  +  Br.(CH,),.Br  =  2NaBr  +  CH,.CO.C.(CH,),.C.C0.CH„ 

COj.CA  COj.CjHj  C0,CA 

stellt  ein  farbloses,  dickflüssiges  Liquidum  dar,  siedet  in  kleinen  Mengen  ziemlich 
unzersetzt  unter  gewöhnlichem  Druck  und  ist  mit  Wasserdampf  nicht  fluchtig.  Bei 
der  Verseifun^  mit  Alkalien  erleidet  er  Spaltung  in  dreierlei  Richtung  unter  Bildung 
von  Dimethylpimelinsfiure,   Dimethyldiacetylpentan  und  DimethylacetylcaproDSfiore: 

1.  S&urespaltuug: 

CH3  CHg  OHg  CH3 

CH8.CO.C.(CHj)j.C.COCH,  +  4H,0  =  2CHs.CO.OH  +  CH.(CH,)8.CH     +  2C,H,0H. 

CO.CjHs  C0,.C,H6  CO,H  CO,H 

2.  Ketonspaltung: 

CHg  CHj  CHg  CHj 

CH8C0.C.(CHj),.C.C0.CH, +  2H,0  =  CH,.C0d3H.(CH5)8.(^H.C0.CH« 

I^  i  +  2C0,  +  2C,H5-0H. 

COj  •  CgHg  COj  •  C1H5 

3.  Gemischte  Keton-  und  Säurespaltung: 

CH3  CHj 

CH,.C0.C.(CH,),.C.C0.CH8  +  8H,0 

COj  •  CjHj  COj  •  CgHs 

CH,  CH, 

=  CH,.COCH.(CH,),.CH    +  OHCO-CH, +  C0,-H2C,H5  0E 


CO,H 


^  KiPFiNO  u.  Mackenzie,  Joum.  Soc.  69,  569  (1891). 


OxaWemsteinsäure,  AcettricarbaÜylsäuren,  Aconitoxalsäure,  995 


m.  Dreibasische  Ketonsäuren. 

CO CH CH, 

OxalbemsteinsSnreester^    1  I  I  wird  durch   Ver- 

COj  •  C|H|j  COj  •  C]H.5   COj  •  CgHs 

«inigung  von  Ozaleeter  mit  BerDsteinsäureester  erhalten,  bildet  eine  ^Eurblose,  ölige 
Flüssigkeit,  siedet  unter  16 — 18  mm  Druck  bei  155 — 156^,  ist  in  Wasser  unlöslich, 
in  Alkohol  leicht  löslich  und  wird  leicht  in  Oxalsäure,  Bemsteinsäure  und  Alkohol 
gespalten. 

a-AeettriearballylBBureester'  C,4Ht,07  entsteht  durch  Einwirkung  von  Ohlor- 
bemsteinsäureester  auf  Natracetessigester: 

CH,.C0.CH.C0,.C,H5 
CHCl.C0,.C,H5  I 

CH,  •  CO .  CHNa  •  CO,  •  C^U^  +  J  =  NaCl  +  CH .  CO,  •  CjHs , 


I  =  NaCl  +  CH.C0,.C,H5, 

CH,  •  CO,  •  C,H5  *  I 

CH,  •  CO,  •  C,Hg 


ist  ein  dickflüssiges  Oel,  siedet  unter  9  mm  Druck  bei  175^  und  besitzt  bei  20^  das 
spec  Gew.  1«126. 

l^-AeettriearballylsBiireester'  entsteht  durch  Combination  von  Bromessigester 
mit  Acetbemsteinsftureester  (S.  985 — 986): 

CH,  •  CO,  •  C,H5 
CH,.C0,.C,H8  I 

I  +  Br.CH,.C0,.C,H5  =  NaBr  +  CHjCOCH.COj.CA  , 

CH, .  CO .  CHNa  •  CO,  •  C,H5  J 

CH,  •  CO,  •  C,H5 

siedet  unter  16  mm  Druck  bei  190^,  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gew.  1*121  und  wird 
sowohl  durch  alkoholisches  Kali,  wie  durch  Barytwasser  in  Alkohol,  Essigsäure  und 
Tricarballylsfture  gespalten. 

IV.  Vierbasische  Ketonsäuren. 

CH=C CH CO 

AeonitoxalsKure^    I  I  1  1  ist  ein  Repräsentant  der  vier- 

CO,H    CO,H    CO,H    CO,H 

basischen  Ketonsäuren;  sie  ist  in  Form  ihres  Triäthylesters  bekannt,  dessen  Bildung 

schon  S.  708 — 704  bei  der  Synthese  der  Aconitsäure  besprochen  ist 


'  W.  WisLiCENus,  Ber.  22,  885  (1889).  •  Emeby,  Ber.  23,  3757  (1890). 

'  MiEHLE,  Ann.  190,  328  (1878).  —  Emeby,  Ber.  23,  8755  (1890). 
*  Claisen  u.  Hori,  Ber.  24,  120  (1891). 


6  8' 


D.  Cyanv«rbindungen  und  Kohlensäurederivate. 


In  den  vorhergehenden  Kapiteln  1 — 39  sind  die  Verbindungen  der 
Fettreihe  —  eingeordnet  in  die  drei  Hauptgruppen: 

A.  Grenzkohlenwasserstoflfe  und  einwerthige  Abkömmlinge  derselben, 

B.  Ungesättigte  Kohlenwasserstoffe   und   einwerthige  Abkömmlinge 
derselben, 

C.  Mehrwerthige  Verbindungen 

—  geschildert  worden.  Zwei  Gruppen  von  Verbindungen  sind  indess  aus 
praktischen  Gründen  nicht  in  das  System  eingereiht  worden,  sondern 
einer  gesonderten  Besprechung  vorbehalten: 

1.  Die  Verbindungen,  deren  Molecüle  das  Cyanradical  — CN  enthalten 
(mit  Ausnahme  der  S.  292  ff.  besprochenen  Alkylcyanide  und  anderer 
Nitrile  von  Carbonsäuren  und  der  S.  251 — 252  besprochenen  Isonitrile); 

2.  Die  Abkömmlinge  des  hypothetischen  Kohlensäurehydrats  C0(0H^3. 
Zwar  würde  sich  bei  strenger  Einhaltung  des  Systems  schon  früher 

Gelegenheit  zur  Abhandlung  der  diesen  beiden  Gruppen  angehörigen 
Verbindungen  geboten  haben:  die  Wasserstoffverbindung  des  Cyans  H-CN 
könnte  als  das  Nitril  der  Ameisensäure  den  Nitrilen  der  Essigsäure  und 
ihrer  Homologen,  das  Kohlensäurehydrat  OH — CO -OH  als  einfachste 
Oxysäure  (Oxyameisensäure)  der  Glykolsäurer^ihe  vorangestellt  werden. 
Aber  um  diese  Stammsubstanzen  gruppiren  sich  so  viele  eigenartige 
Derivate,  dass  ihre  eingehende  Behandlung  an  jenen  Stellen  des  Systems 
in  unliebsamer  Weise  den  Zusammenhang  in  der  Schilderung  nahe  ver- 
wandter Verbindungen  unterbrechen  würde.  Auch  würden  Cyanwasser- 
stoff und  Kohlensäurehydrat  ihrer  chemischen  Natur  nach  nicht  an 
diejenige  Stelle  des  Systems  passen,  die  ihnen  formell  zugewiesen  werden 
kann.  Denn  wenn  sich  auch  der  Cyanwasserstoff  in  manchen  Punkten 
wie  ein  Nitril  verhält,  so  erhält  er  doch  gerade  durch  den  directen  Zu- 
sammenhang zwischen  Wasserstoff  und  der  Cyangruppe,  der  bei  den 
übrigen  Nitrilen  fehlt,  seine  charakteristischen  Eigenschafben.  Kann  man 
auch  die  Formel  des  Kohlensäurehydrats  derart  schreiben: 

OH- CO.  OH, 

dass  sie  der  Formel  einer  Oxysäure  ähnlich  sieht,  so  übersieht  man 
doch  leicht,  dass  die  durch  diese  Schreibweise  angedeutete  Analogie  nur 
eine  scheinbare  ist;    denn  die  beiden  Hydroxylgruppen  sind  gleichartig 


D<X8  Oyanradical,  997 


gebunden,  während  das  Verhalten  der  wahren  Oxy säuren  gerade  durch 
den  Gegensatz  zwischen  alkoholischer  Hydroxylgruppe  und  Säurehydroxyl- 
gruppe wesentlich  beeinflusst  wird. 

Da  endlich  die  Glieder  der  Cyangruppe  und  der  Kohlensäuregruppe 
durch  vielfache  üebergänge  eng  mit  einander  verknüpft  sind,  so  recht- 
fertigt sich  die  althergebrachte  Gewohnheit,  diesen  beiden  Gruppen  eine 
Sonderstellung  ausserhalb  des  Systems  der  übrigen  aliphatischen  Ver- 
bindungen anzuweisen. 


Vierzigstes   Kapitel. 

Cyanverbindungen. 

(Cyan.  —  Blausäure  —  Cyansfture  und  ihre  Derivate  (Tautomerie,  Desmotropie).  — 
Knallsäure.  —  Tricyanderivate.  —  Industrie  der  Cyanverbindungen). 

Cyanverbindungen  kennt  man,  seit  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts 
das  Berlinerblau  von  Diesbach  entdeckt  wurde.  Ueber  ihre  Natur  wurde 
durch  eine  denkwürdige,  namentlich  fiir  die  Entwickelung  der  ßadical- 
theorie  (vgl.  S.  52 — 54)  bedeutungsvolle  Untersuchung  Gat-Lussac's  Licht 
verbreitet.  Gat-Ltjssac  zeigte  1815,  dass  in  einer  Reihe  von  Verbin- 
dungen ein  kohlenstickstoffhaltiges  „Radical"  eine  ähnliche  Rolle  spielt, 
wie  ein  Element;  er  nannte  dieses  Radical  ,,Cyanogen"  (von  „xt/ai^o^*" 
blau,  blaue  Verbindungen  erzeugend). 

Nach  unseren  heutigen  Anschauungen  ist  das  Oyanradical  eine  aus 

einem  Kohlenstoffatom  und  einem  Stickstoffatom  bestehende,  einwerthige 

Gruppe: 

-C=N  (bezw.  C=N-). 

In  manchen  Beziehungen  —  namentlich  durch  die  Fähigkeit,  mit  Wasser- 
stoff eine  saure  Verbindung,  die  Blausäure  HGN,  zu  liefern,  —  ähnelt  dieses 
Radical  den  Halogenatomen;  man  bezeichnet  es  zuweilen  durch  das 
abgekürzte  Symbol  Cy. 

.  Analog  den  Halogenatomen  existirt  das  Oyanradical  unter  gewöhn- 
lichen Bedingungen  nicht  isolirt;  das  Molecül  des  freien  Oyans  besteht 
vielmehr  aus  zwei  Oyangruppen: 

N:C.C:N. 

Cyan  O^N,  (Dicyan)  scheint  sich  beim  Ueberspringen  von  Inductions- 

fiinken  in  einer  Stickstoffatmosphäre  zwischen  Kohlenspitzen  zu  bildend 

Zur  Darstellung'  benutzt  man  die  Zersetzung  des  Quecksilbercyanids  in 

der  Hitze  (Gat-Lussac): 

Hg(CN),  =   Hg  +  C,N.; 

^  MoBBBN,  Compt.  rend.  48,  342  (1859). 

'  Die  von  Jacuüemin  (Ann.  eh.  [6]  6,  140  [1885])  angegebene  Methode,  Cyan 
durch  Zutropfen  von  Cyankaliumlösung  zu  Kupfervitriollösung: 

4KCy  +  Cu,S04  =  2K,S04  +  Ou,Cy,  +  Cy^ 


998  Freies  Oyan. 


in  einer  Eöhre  aus  schwer  schmelzbarem  Glase  wird  das  getrocknete 
Quecksilbercyanid  zur  dunkeln  Rothgluih  erhitzt,  das  entwickelte  Oyangas 
wird  über  Quecksilber  aufgefangen.  Als  Argument  für  die  Constitution 
des  Cyans,  das  als  Nitril  der  Oxalsäure: 

OH/  \0H 

erscheint,  wenn  man  die  beiden  Cyanradicale  seines  Molecüls  durch 
Eohlenstoffbindung  yerkettet  annimmt,  kann  seine  Bildung  aus  Ammonium- 
oxalat  durch  Erhitzen  mit  wasserentziehenden  Mitteln,  wie  Phosphor- 
pentoxyd  (auch  Glycerin  ^),  angeführt  werden,  ferner  seine  Bildung  durch 
Erhitzen  von  Glyoxim  CH(NOH)-CH(N-OH)  (S.  846)  mit  Essigsäure- 
anhydrid  *. 

Cyan  ist  ein  farbloses  Gas  von  eigenthümlichem,  stechendem  Geruch, 
welches  verhältnissmässig  leicht  zu  einer  farblosen  Flüssigkeit  condensirt^ 
werden  kann;  bei  gewöhnlicher  Temperatur  bedarf  man  hierzu  eines 
Drucks  von  etwa  4  Atmosphären.  Das  flüssige  Cyan  siedet  bei  —  20-7°, 
erstarrt  bei  noch  niederer  Temperatur  zu  Krystallen,  die  bei  —34-4^ 
schmelzen,  und  hält  sich  wochenlang  unverändert.  Das  gasförmige  Cyan 
wird  bis  zu  einer  Temperatur  von  etwa  800®  nicht  verändert*;  auch  bei 
noch  höheren  Temperaturen  wird  es  nur  langsam  unter  Abscheidung  von 
Kohlenstoff  und  Bildung  von  Stickstoff  zersetzt 5.  Cyangas  verbrennt* 
mit  purpurgesäumter  Flamme.  Es  löst  sich  in  etwa  Y^  Volum  Wasser, 
noch  leichter  in  Alkohol.  Die  wässrige  Lösung  ist  indess  unbeständig', 
scheidet  bald  braune  Flocken  von  sogenannter  „Azulmsäure"  ab  und 
enthält  dann  oxalsaures  Ammoniak,  kohlensaures  Ammoniak,  Blausäure 
und  Harnstoff. 

Als  Nitril  der  Oxalsäure  erweist  sich  das  Cyan  in  manchen  Reactionen; 
so  entsteht  durch  Wasseranlagerung  unter  dem  Einfluss  von  Halogen- 
wasserstoffsäure® oder  von  Wasserstoffsuperoxyd*  (vgl.  S.  367)  aus  Cyan 
das  Oxamid  NHj-CO-CO.NHj;  mit  Schwefelwasserstoff  tritt  es  zu  Thio- 
amiden   der   Oxalsäure   (Flavean-   und   Rubeanwasserstoff,    vgl.  S.  649) 


darzustellen,  scheint  nicht  empfehlenswerth  zu  sein  (vgl.  Senf,  J.  pr.  [2]  36,  5U 
Anm.  [1887]). 

*  Stoech,  Ber.  19,  2459  (1886).  "  Lach,  Ber.  17,  1573  (1884). 

»  Paraday,  Herz.  Jb.  4,  57  (1824).  Ann.  56,  158  (1845).  —  Bunsin,  Ann. 
32,  200  (1839).  —  Driok  u.  Loib,  Jb.  1860,  41.  —  A.  W.  Hopmann,  Ber.  3,  663 
(1870).  —  Chappuis  u.  RiviAre,  Compt  rend.  104,  1504  (1887). 

*  V.  Meyer  a.  Goldschmidt,  Ber.  15,  1163  (1882). 

»  BuPF  u.  A.  W.  Hopmahn,  Ann.  113,  135  (1860).  —  Berthelot,  Compt  rend. 
96,  955  (1882).  —  ScHthsENBEROER,  Ck)mpt.  rend.  111,  774  (1890). 

*  Vgl.  DixoN,  Joum.  Soc.  49,  384  (1886). 

'  WöHLER,  Pogg.  15,  627  (1829).  —  Pelouze  u.  Richardson,  Ann.  26,  63  (1838). 
Gluvelli,  Jb.  1856,  435. 

*  Schmitt  u.  Glutz,  Ber.  1,  66  (1868). 

*  Kadziszewski,  Ber.  18,  355  (1885). 


Pq/raoyan.     Oyankokknsäure.  999 


zusammen;   mit   Chlorwasserstoff   in    alkoholischer   Lösung    behandelt^, 
liefert  es  neben  anderen  Produkten  den  Imidoäther  der  Oxalsäure. 

Analog  dem  Chlor  reagirt  das  Cyan  auf  wässrige  Kalilauge  unter 
Bildung  von  Cyankalium  und  cyansaurem  Kalium: 

(CN),  +  2K0H  =  KCN  +  KCNO  +  H,0. 

Paraeyan'  (CN)x  —  eine  polymere  Modification  des  Cyans  (vgl.  S.  1029)  —  ent- 
steht als  Nebenprodukt  bei  der  Darstellung  des  Cyans  aus  Quecksilbercyanid;  beider 
Elektrolyse  von  Cyankalium  wird  das  Cyan  vollständig  in  Form  von  Paracyan  ab- 
geschieden. Paracyan  stellt  ein  braunes,  amorphes,  in  Wasser  und  Alkohol  unlös- 
liches Pulver  dar  und  verwandelt  sich  beim  Erhitzen  auf  860^  vollständig  in  Cyan. 

Cyankohlensäure'  CN-CO,H  steht  als  Halbnitril  in  der  Mitte  zwischen 
Cyan  und  Oxalsäure: 

c=N  c  ^N  ce 

C-=N  C<f  .0 

Die  Säure  selbst  exlstirt  nicht,  wohl  aber  ihre  Ester,  welche  aus  Oxaminsäureestem 
(S.  648)  durch  Wasserentziehung  entstehen,  z.  B. 

CO-NH,  CN 

COOC^Hg  COOCjHb 

Cyankohlensäureäthylester  CN-CO-O-C^Hg  ist  flüssig,  siedet  bei  115°  bis 
116*,  besitzt  einen  ätherischen,  aber  zugleich  sehr  stechenden  Geruch,  ist  in  Wasser 
unlöslich  und  zerflEÜlt,  in  Berührung  damit,  langsam  in  Blausäure,  Alkohol  und 
Kohlensäure. 

Cyanwasserstoff  oder  Blausäure. 

Die  Verbindungen  der  Kohlenwasserstoffradicale  mit  der 
Cyangruppe  sind  schon  S.  251 — 252  u.  S.  292  flf.  besprochen  worden. 
Es  sei  daran  erinnert,  dass  sie  in  zwei  isomeren  Formen  existiren,  — 
einerseits  als  Nitrile,  in  denen  das  Kohlenwasserstoffradical  mit  dem 
Kohlenstoflfatom  der  Cyangruppe  verknüpft  ist: 

CHj.CN, 

andererseits   als   Tsonitrile  (Carbylamine)^   in   denen   der   Kohlen wasser- 

stofiirest  an  dem  StickstofiEatom  der  Cyangruppe  haftet: 

in   n  ni  IV  /  v 

CH,— N=C     bezw.     CH,— N=C<'     bezw.     CH,— N^C. 


1  VoLHARD,  Ann.  168,  118  (1871).  —  Pikner  u.  Klein,  Ber.  11,  1481  (1878). 

'  Johnston,  Berz.'Jb.  10,  72  (1881).  Ann.  22,  280  (1887).  —  Thaulow,  Berz.  Jb. 
23,  81  (1844).  —  Delbrück,  J.  pr.  41,  164  (1847).  —  Troobt  u.  Hautefeuillb, 
Compt.  rend.  66,  735,  795  (1868).  —  Schützenberger ,  Bull.  4S,  806  (1885).  — 
Klabon,  J.  pr.  [2]  34,  158  (1886).  —  Mulder,  Rec.  trav.  chim.  6,  199  (1887).  — 
HmoKF,  ZtBchr.  f.  physik.  Chem.  10,  616  (1892). 

»  Wagner  u.  Tollens,  Ber.5,  1045  (1872).  —  Weddige,  J.  pr.  [2]  10,  193  (1874). 
—  Wallach,  Ann.  184,  12  (1877). 


1000  Cyanwasserstoff  oder  Blausäure  (Constitution, 


Die  Wasserstoffverbindung  des  Cyans  HCN  dagegen  existirt 
unserer  Kenntnis  nach  nur  in  einer  Form;  sie  ist  eine  Verbindung  von 
saurer  Natur  und  wird  ihrer  Ueberfuhrbarkeit  in  Berlinerblau  wegen  ge- 
wöhnlich Blausäure  genannt.  Ihre  Metallsalze,  wie  KCN,  AgCN  etc. 
kennen  wir  ebenfalls  nur  in  einer  Form.  Es  wirft  sich  mithin  die  Frage 
auf,  ob  die  Constitution  dieser  uns  allein  bekannten  Modificationen  der 
Nitrilform : 

H-C^N 
oder  der  Isonitrilform: 

in   n  in  IV  /  v 

H— N=rC    bezw.     H-N^C<^     bezw.     H— N^C 

entspricht.  Die  Frage  ^  lässt  sich  einstweilen  nicht  entscheiden.  Manche 
Reactionen  des  Cyanwasserstoffs  bezw.  seiner  Salze  (vgl.  S.  1003 — 1004) 
sprechen  für  die  Nitrilformel,  andere  fiir  die  Isonitrilformel,  wieder  an- 
dere lassen  sich  mit  beiden  Formeln  gut  vereinen.  Die  Auffassung  der 
Blausäure  als  Ameisensäurenitril  H — C=^N  ist  indess  bisher  die  ge- 
bräuchlichere geblieben. 

Aehnlichen  Erscheinungen  —  Existenz  zweier  Reihen  von  Derivaten, 
während  die  Stammform  nur  in  einer  Modification  bekannt  ist,  —  be- 
gegnet man  häufig.  Sie  werden  im  Anschluss  an  die  Besprechung  der 
Cyansäurederivate  (vgl.  S.  1023  ff.)  eine  nähere  Erörterung  erfahren. 

Cyanwasserstoff  oder  Blausfture  HCN  ist  zuerst  von  Gay-Lussac 
1811  rein  dargestellt.  Sie  findet  sich  in  gebundener  Form  —  als  Amygdalin 
(vgl.  Bd.  n):  ein  Glykosid,  das  durch  Hydrolyse  in  Benzaldehyd  C^Hj- 
CHO,  Blausäure  und  Zucker  zerfällt  —  häufig  im  Pflanzenreiche,  so  in 
den  bitteren  Mandeln,  den  Kirschlorbeerblättem ,  den  Blättern  von 
Gymnema  latifolium  Wall.,  den  Rinden  von  Pygiumarten  etc.  Da  in  der 
Regel  (aber  nicht  immer)  das  Amygdalin  von  einem  Ferment  begleitet 
wird,  das  seine  Spaltung  unter  geeigneten  Bedingungen  bewirkt,  so  erhält 
man  aus  amygdalinhaltigen  Pflanzentheilen,  wenn  man  sie  mit  Wasser 
einweicht,  meist  eine  Flüssigkeit,  welche  freie  Blausäure  enthält  Aber 
auch  das  directe  Vorkommen  von  freier  Blausäure  in  Pflanzen  ist  con- 
statirt;  in  allen  Theilen  des  javanischen  Baumes  „Pangium  edule"  findet 
sie  sich,  und  zwar  in  erheblicher  Menge;  die  Quantität  Cyanwasserstoff, 
die  in  einem  solchen  Baum  enthalten  ist,  wird  auf  mindestens  350  g  ge* 
schätzt;  die  Samenkeme  dieser  Pflanze  sind  daher  ein  furchtbares  Gift 
und  werden  auf  Java  als  Gift  beim  Fischfang,  als  Insecten  tödtendes 
Mittel  benutzt;  andererseits  bilden  sie,  wenn  durch  passende  Zubereitung 
(Kochen  oder  längeres  Einweichen  in  fliessendem  Wasser)  die  Blausäure 
entfernt  ist,  ein  werthvolles  Nahrungsmittel  der  Mahden  2. 

Salze  der  Blausäure  (Cyanide)  entstehen,  wenn  StickstoiF  und  Kohlen- 
stoff in  Gegenwart  von   starken  Basen  bei  Glühhitze  zusammentreffen^. 


^  Vgl.  dazu  Brühl,  Ber.  26,  809  (1893). 

•  Greshopp,  Ber.  23,  3548  (1890).  •  Vgl.  Delbrück,  J.  pr.  41,  161  (1847). 


Vorkommen,  Bildung,  Daratdhmg).  1001 


Leitet  man  Stickstoff  über  ein  glühendes  Gemisch  von  Kohle  mit  Pott- 
asche oder  Aetzbar}^t,  so  erhält  man  Cyankalium  bezw.  Cyanbaryum^; 
Stickstoffbarium^  im  Kohlenoxydstrom  auf  ßothgluth  erhitzt^  liefert  Cyan- 
baryum*.  Werden  stickstoffhaltige  organische  Körper  mit  einem  Alkali 
erhitzt,  so  bildet  sich  Alkalicyanid;  es  beruht  hierauf  die  Probe  von 
Lassaigne  zum  Nachweis  des  Stickstoffs  in-  organischen  Verbindungen 
(S.  8)  und  die  alte  fabrikmässige  Darstellung  (vgl.  S.  1036)  des  gelben  Blut- 
laugensalzes K^FeCyg  (Ferrocyankalium),  welches  in  grossen  Mengen  in 
den  Handel  gebracht  wird  und  daher  den  technischen  Ausgangspunkt 
für  die  Darstellung  fast  aller  übrigen  Cyanverbindungen  bildet.  Leitet 
man  Ammoniak  über  glühende  Kohlen,  so  wird  Cyanammonium  gebildet^; 
daher  entsteht  dieses  Salz,  wenn  die  stets  stickstoffhaltige  Steinkohle 
der  trockenen  Destillation  unterworfen  wird;  so  erklärt  sich  das  Vor- 
kommen von  Cyanammonium  im  rohen  Leuchtgas;  bei  der  Reinigung 
des  Leuchtgases  wird  sein  Cyangehalt  in  den  Reinigungsapparaten  zurück- 
gehalten, deren  Inhalt  zur  Zeit  eine  technisch  höchst  wichtige  Cyan- 
quelle  bildet. 

Zur  Darstellung  der  Blausäure  bedient  man  sich  des  eben  er- 
wähnten, von  der  Grossindustrie  (vgl.  S.  1036)  erzeugten  Ferrocyau- 
kaliums  K^FeCy^;  man  destillirt  dieses  Salz  mit  verdünnter  Schwefel- 
säure (concentrirte  Schwefelsäure  entwickelt  nicht  Blausäure,  sondern 
Kohlenoxyd): 

2K4FeCye  +  3H,S04  =  SK^SO^  +  KjFcjCya  +  «HCy 

und  erhält  ein  Destillat  von  wässriger  Blausäure.  Wendet  man  eine 
Schwefelsäure  aus  4  Th.  concentrirter  Schwefelsäure  und  7  Th.  Wasser 
an,  trocknet  die  entweichenden  Dämpfe  in  gelinde  erwärmten  Chlorcalium- 
röhren  und  condensirt  sie  dann  in  einer  Kältemischung,  so  erhält  man 
wasserfreie  Säure.  Letztere  kann  auch  in  bequemer  Weise  gewonnen 
werden,  indem  man  zu  einer  concentrirten,  im  Wasserbad  erwärmten 
wässrigen  Cyankaliumlösung  eine  concentrirte  wässrige  Weinsäurelösung 
zutropfen  lässt;  die  entweichenden  Dämpfe  werden  nieder  durch  Chlor- 
calcium,  eventuell  auch  Phosphorsäureanhydrid  getrocknet,  dann  con- 
densirt. 

Eine  Reihe  weiterer  Bildungsweisen  der  Blausäure  ist  Von  theoreti- 
schem Interesse.  Blausäure  kann  durch  Vereinigung  von  Cyan  mit 
Wasserstoff  unter  dem  Einfluss  dunkler  elektrischer  Entladungen^  oder 
hoher  Temperaturen*  erhalten  werden;  aus  einem  Gemisch  von  Acetylen 


^  Tbompsok,  Berz.  Jb:  21,  80  (1842J.  ^  Bünsen  u.  Playfair,  J.  pr.  42,  397 
(1847).  —  Mabouerite  n.  Soürdeval,  Compt.  rend.  60,  1100  (1860).  —  Hempel,  Ber. 
23,  8390  (1890). 

'  Maqurnne,  Compt.  rend.  114,  221  (1892). 

'  Laholois,  Berz.  Jb.  22,  84  (1848).  —  Leybold,  Schillings  Journal  für  Gas- 
beleucbtung  und  Wasserversorgung  1890,  386. 

*  BoiLLOT,  Compt.  rend.  76,  1132  (1873). 

*  Berthblot,  Ann.  eh.  [5J  18,  380  (1879). 


1002  Gyanwasamstoff  oder  Blausäure  (Bildung, 


und  Stickstoff^  entsteht  sie  beim  Durchschlagen  von  InduktionsAinken. 
Analog  wie  sich  Isonitrile  aus  Aminen  durch  Einwirkung  von  Chloroform 
in  Gegenwart  von  Alkalien  bilden  (S.  251),  entsteht  beim  Aufkochen  von 
Chloroform  mit  Ammoniak^  und  Kalilauge  Blausäure.  Ihre  Bildung 
durch  trockene  Destillation  des  ameisensauren  Ammoniums^  entspricht 
andererseits  wieder  einer  allgemeinen  Bildungsreaction  der  Nitrile  (S.  294), 
ebenso  ihre  Entstehung  aus  Methylamin  (vgl.  S.  295),  aus  welchem  sie 
durch  Zersetzung  bei  Kothglühhitze*,  femer  beim  Anzünden  der  wässrigen 
Lösung^  erhalten  werden  kann. 

Zuweilen  entsteht  Blausäure  auch  durch  Spaltung  von  complexen 
Verbindungen,  so  aus  manchen  aromatischen  Nitroverbindungen  (Dinitro- 
benzol,  Pikrinsäure)  durch  Kochen  mit  Alkalien®.  Häufig  tritt  sie  bei 
der  Oxydation  organischer  Verbindungen  durch  Salpetersäure'  auf, 
wahrscheinlich  weil  die  zunächst  durch  den  Oxydationsprocess  gebildete 
salpetrige  Säure  auf  die  ersten  Oxydationsprodukte  unter  Bildung  von 
Oximido Verbindungen  einwirkt,  die  sich  dann  unter  Abgabe  von  Blau- 
säure zersetzen  (vgl.  z.  B.  das  Verhalten  des  S.  860  beschriebenen  Düso- 
nitrosoacetons,  der  Oximidoessigsäure  S.  949,  der  Isonitrosomalonsanre 
S.  983). 

Wasserfreie  Blausäure®  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  bitter- 
mandelartigem  Geruch,  siedet  bei  +26-1®,  erstarrt  in  der  Kälte  zu  farb- 
losen Krystallen,  welche  bei  — 14®  schmelzen,  und  besitzt  bei  18®  das 
spec.  Gew.  0'697;  sie  brennt  mit  violetter  Flamme.  Sie'  ist  ein  furcht- 
bares, schon  in  äusserst  kleinen  Mengen  tödtlich  wirkendes  Gift';  das 
beste  Gegengift  ist  nach  Gaütieb,  welcher  wohl  die  grössten  Quantitäten 
wasserfreier  Blausäure  in  Händen  hatte,  Einathmen  von  chlorhaltiger 
Luft;  neuerdings  hat  sich  bei  Thierversuchen  (nach  Kbohl)  Wasserstoff- 
superoxyd als  sehr  wirksames  Antidot  erwiesen. 

Reine  wasserfreie  Blausäure  ist  weder  luft-  noch  lichtempfindlich: 
sie  kann  ohne  Veränderung  aufbewahrt  werden;  in  Gegenwart  von 
Spuren  Feuchtigkeit  und  Ammoniak  oder  von  Cyankalium  dagegen  zersetzt 
sie  sich  rasch  unter  Bräunung  und  Bildung  von  „Azulminsubstanzen''  ^^ 


*  Berthelot,  Ann.  150,  60  (1868).  —  Vgl.  auch  Perkin,  Jb.  1870,  399. 

«  Heintz,  Ann.  100,  369  (1856).  —  A.  W.  Hopmann,  Ann.  144,  116  (1867). 
^  Pelouze,  Doebereinbr,  Ann.  2,  89  (1832). 

*  WuRTz,  Ann.  eh.  [3]  30,  454  (1850). 

*  ToLLENS,  Ztschr.  Chem.  1866,  516. 
«  Post  u.  Hübner,  Ber.  5,  408  (1872). 

'  Vgl.  Hantzsch,  Ann.  222,  65  (1884). 

8  Gautier,  Ann.  eh.  [4]  17,  114  (1869). 

^  Vgl.  über  Blausäure  Wirkung :  Oautier,  Ann.  eh.  [4]  17,  167  Anm.  (1869).  — 
Samoyloff's  Bericht,  Cöthener  Chem.-Ztg.  16,  1668  (1892).  —  Aütsnrietb,  Arch.  f. 
Pharm.  231,  105  (1892). 

"  Gaütier,  Ann.  eh.  [4]  17,    158  (1869).   —   Lescoeur  u.  R1GAU1.T,  Bull.  34, 
472  (1880). 


Eigenschaften,   Verhalten,  Salze).  1003 


Die  wässrige  Säure  zersetzt  sich^  —  namentlich  rasch  am  Licht  — 
unter  Abscheidung  eines  braunen  NiederscUags  und  Bildung  von  Am- 
moniak, Ameisensäure,  Oxalsäure  etc.;  durch  Zusatz  geringer  Mengen 
von  Mineralsäure  wird  die  Zersetzung  wesentlich  verlangsamt^. 

Durch  Reduction  mit  Wasserstoff^  kann  Blausäure  in  Methylamin, 
durch  ,jVerseifung"*  mit  rauchender  Salzsäure  in  Formamid,  durch  Be- 
handlung mit  Chlorwasserstoff  in  alkoholischer  Lösung^  in  Ameisen- 
säureester übergeführt  werden.  Diese  Reactionen  entsprechen  durchaus 
der  Auffassung   der   Blausäure   als    Formonitril,   lassen  sich  aber,    wie 

leicht  ersichtlich,  auch  mit  der  Isonitrilformel  \C :  NH  gut  vereinbaren. 

Mit  Halogen  wasserst  offsäuren'  vereinigt  sich  wasserfreie  Blausäure  zu 
additionellen  krystallinischen  Verbindungen,  wie  2CNH  +  3 HCl  und  2CNH  +  3HBr. 
—  Auch  mit  Metall  Chloriden^  tritt  Cyanwasserstoff  zu  additioneilen  Verbindungen 
zusammen.  —  Wasserstoffsuperoxyd®  erzeugt  aus  Cyanwasserstoff  Ozamid.  — 
Beim  Einleiten  von  Schwefelwasserstoff®  in  eine  concentrirte  Lösung  von  Cyan- 
kalium  wird  eine  Verbindung  C^HgNsS,  (Chrysean)  gebildet,  die  aus  kochendem 
V^asper  in  goldgelben  Nadeln  krystallisirt. 

Salze  der  Blausäure  oder  Cyanide.  Die  Blausäure  ist  eine  wohl- 
ausgeprägte Säure;  sie  röthet  Lakmuspapier  und  bildet  Metallverbin- 
dungen von  durchaus  salzartigem  Charakter;  immerhin  ist  sie  eine  so 
schwache  Säure,  dass  sie  aus  ihren  Alkalisalzen  schon  durch  Kohlen- 
säure ausgetrieben  wird;  diese  Salze  zeigen  daher  beim  Liegen  an  der 
Luft  stets  Geruch  nach  freier  Blausäure.  Nur  die  Cyanide  der  Alkali- 
metalle, der  alkalischen  Erden  und  des  Quecksilbers  sind  in  Wasser 
löslich;  alle  übrigen  einfachen  Cyanide  sind  in  Wasser  unlöslich,  lösen 
sich  aber  in  Cyankalium  unter  Bildung  löslicher  Doppelcyanide  auf. 

Entsprechend  den  beiden  für  die  Blausäure  selbst  in  Frage  stehen- 
den Constitutionsmöglichkeiten  (vgl.  S.  1000)  kann  man  in  ihren  Salzen  das 
Metallatom  entweder  an  Kohlenstoff  oder  an  Stickstoff  gebunden  annehmen: 

Me-C:^N     oder     \c=N-Me. 

Lässt  man  Alkylhalogene  auf  Cyankalium  wirken,  so  erhält  man  als 
Hauptprodukt  stets  Nitrile  (E-CN)  neben  geringen  Mengen  von  Isonitrilen 
(R-NC);  umgekehrt  entstehen  aus  Cyansilber  (Cyanquecksilber,  Cyanzink^^ 
und  Alkylhalogenen  als  Hauptprodukt  Isonitrile  (R-NC).    Fände  ein  ein- 


*  Vgl.  auch  V.  d.  Pfobdten,  Ber.  18,  1875  (1885). 

*  LiEBiGy  Ann.  18,  70  Anm.  (1836).  •  Debus,  Ann.  128,  200  (1863). 

*  Geiger,  Ann.l,  54  (1832),  —  Pelouze,  Ann.  2,  84  (1832).  —  Claisen  u.  Matthews, 
Ber.  16,  311  (1883). 

*  Pinneb  u.  Klein,  Ber.  11,  1475  (1878). 

«  Gal,  Ann.  138,  88  (1866).  —  Gautieb,  Ann.  eh.  [4]  17,  128  (1869).  —  Claisen 
u.  Matthews,  Ber.  16,  808  (1883).  —  Nep,  Ann.  270,  306  (1892). 

'  WöHLEB,  Ann.  73,  226  (1850).  —  Klein,  Ann.  74,  85  (1850). 
«  Radziszewski,  Ber.  18,  356  (1885).  »  Wallach,  Ber.  7,  902  (1874). 

^^  Calxels,  Compt.  rend.  99,  239  (1884). 


1004  Salze  der  Blausäure 


facher  Austausch  des  Metallatoms  gegen  einen  Alkylrest  statt,  so  könnte 
man  aus  diesen  Thatsachen  schliessen,  dass  unter  den  Metallcjaniden 
einige  die  Nitrilconstitution,  andere  die  Isonitrilconstitution  besitzen.  Es 
ist  indess  auch  möglich^,  dass  das  Halogenalkyl  zunächst  unter  Addi- 
tion reagirt,  worauf  dann  Abspaltung  des  Metallhalogenids  erfolge» 
könnte  (vgl.  S.  652,  963),  z.  B.: 

Nc=NK  +  CHsJ  =      *   *\c    NK  =  C,H5.C=N  -h  KJ. 

Es  ist  oben  erwähnt  worden,  dass  die  unlöslichen  Metallcyanide  sich 
in  Cyankalium  zu  leicht  löslichen  Doppelcyaniden  auflösen.  Diese  Nei- 
gung zur  Bildung  eigenthümlicher,  salzartiger  Doppelverbindungen  ist 
eine  besonders  charakteristische  Eigenschaft  der  Cyanwasserstoffisäure; 
sie  bedingt  es,  dass  die  Chemie  der  Metallcyanide  ein  Gebiet  von  sehr 
weitem  umfang  geworden  ist. 

Unter  diesen  Doppelcyaniden  giebt  es  eine  grosse  Zahl,  in  welchen 
die  Eigenschaften  der  Blausäure  sowohl  wie  der  darin  enthaltenen 
Schwermetalloxyde  durchaus  verändert  sind.  Durch  verdünnte  kalte 
Mineralsäuren  wird  aus  ihnen  die  Blausäure  nicht  —  oder  wenigstens 
nur  partiell^  —  ausgetrieben,  das  Schwermetall  kann  in  ihnen  nicht 
direct  durch  die  gewöhnlichen  analytischen  Reactionen  nachgewiesen 
werden.  Von  diesen  eigenthümlichen  Doppelcyaniden  sind  besonders 
zwei  eisenhaltige  Cyanide: 

K^FeCye  und  KgFeCye 

Ferrocyankalium  Ferricyankaliiim 

äusserst  wichtig.  Ihrer  Zusammensetzung  nach  könnte  man  sie  einfach 
als  Doppelsalze  aus  Cyankalium  und  Cyaneisen  betrachten: 

^♦FeCye  =  4KCy  +  FeCy^ 
KsFeCye  =  SKCy  +  FeCys. 

Allein  dieser  Auffassung  widerspricht  ihr  Verhalten.  Während  Cyan- 
kalium ein  furchtbares  Gift  ist,  sind  diese  Salze  verhältnissmässig  un- 
giftig; versetzt  man  ihre  Lösung  mit  verdünnten  Mineralsäuren,  so  werden 
krystallinische  Cyanwasserstoffverbindungen  der  Eisencyanide  —  Ferro- 
cyanwasserstoff  H^FeCy^  bezw.  Ferricyanwasserstoff  HjFeCy^  —  abge- 
schieden; Eisen  kann  man  aus  den  Lösungen  jener  Doppelcyanide  weder 
durch  Alkalien  noch  durch  Alkalisulfide  fällen.  Vermischt  man  sie  mit 
den  Lösungen  von  anderen  Schwermetallsalzen,  so  werden  nicht  etwa 
einfache  Cyanide  gefallt,  sondern  besondere  eigenthümliche  Niederschläge, 
in  welchen  das  Alkalimetall  obiger  Salze  durch  Schwermetalle  ersetzt 
ist,  z.  B.: 

K4FeCye  +  2CUSO4  =  Cu,FeCya  +  2K,S04 
2K,FeCye  +  3FeCl,    =  FejCFeCye),  +  6KC1; 


*  Vgl.  Nep,  Ann.  270,  329  (1SÖ2). 

'  Vgl.  AüTENRiETH,  Arch.  f.  Pharm.  231,  99  (1892). 


oder  Cyanide.  1005 


werden  diese  Niederschläge,  dann  wieder  mit  Kali  behandelt,  so  geht 
Cyaneisen  in  Foim  des  ursprünglichen  Alkalidoppelcyanids  in  Lösung, 
während  das  Hydroxyd  des  vorher  gefällten  Metalls  zurückbleibt: 

CujFeCya  +  4K0H  =  K^FeCy,  +  2Cu{0H),. 

Alle  diese  Erscheinungen  lassen  sich  in  einfacher  Weise  deuten,  wenn 
man  annimmt,  dass  gewisse  Metallcyanide  sich  mit  Cyanwasserstoff  zu 
„complexen  Säuren*^  vereinigen,  in  deren  Molecülen  das  Metallatom  einen 
Bestandtheil  des  Säureradicals  bildet.  Dass  sich  derartige  Säuren  wirk- 
lich isoliren  lassen,  ist  eben  schon  bemerkt;  jene  Alkaliverbindungen 
erscheinen  dann  als  lösliche  Salze  der  Ferrocvanwasserstoffsäure  bezw. 
Ferricyanwasserstoffsäure,  die  sich  mit  Schwermetallsalzen  zu  unlöslichen 
Salzen  derselben  Säuren  umsetzen. 

Dass  die  Reactionen  der  Eisency anverbind  ungen  und  ähnlicher  Salze 
von  den  Beactionen  der  Cyanide  und  den  gewöhnlichen  Metallreactionen 
abweichen,  erklärt  sich  in  besonders  einleuchtender  Weise  auf  Grund 
der  elektrolytischen  Dissociationstheorie.  Unsere  analytischen  Reactionen 
auf  Cyan  und  Eisen  sind  im  Sinne  dieser  Theorie  nicht  Beactionen  auf 
die  Cyangruppe  oder  die  Eisenatome  schlechthin,  sondern  auf  die  Ionen: 

CN    bezw.     Fe"    oder    Fe"», 

deren  Existenz  in  den  Lösungen  gewöhnlicher  Cyanide  oder  gewöhnlicher 
Eisensalze  anzunehmen  ist.  In  einer  Lösung  von  Ferro-  oder  Ferri- 
cyankalium  aber  existiren  diese  Ionen  gar  nicht  und  können  daher  auch 
nicht  durch  ihre  Reactionen  nachgewiesen  werden.  Vielmehr  finden  sich 
in  diesen  Lösungen  neben  den  positiven  Ealiumionen  die  negativen  com- 
plexen  Ionen: 

»^FeCye       bezw.       "'FeCye, 
Ferrocyan  Ferricyan 

welche  ihrei-seits  durch  besondere  Reactionen  charakterisirt  sind. 

Will  man  sich  durch  Structnrformeln  ein  Bild  von  diesen  Doppelcyanverbin* 
dangen  entwerfen,  so  liegt  es  nahe,  in  ihrem  MblecÜl  den  in  vielen  polymeren  Cyan- 
verbindungen  vorkommenden  „Tricyankem"  oder  „Prussiankem"  CjNj  (vgl.  S.  1028), 
dem  gewöhnlich  die  aufgelöste  Formel: 


N        N 

-C         C- 

gegeben  wird,  anzunehmen  und  Formeln  aufzustellen,  wie 

II  ACy\K,  m  y(Cy),K 

Fe^  Fe^ 

\Cy)3K,  ^(Cy)3K,  ' 

allein  diese  Formeln  entbehren  jeder  experimentellen  Begründung,  und  die  Bemühungen, 
die  Zusammensetzung  der  Eisencyanverbindungen  wie   auch  anderer  complezer  Salze 


1006  OyankaLium,   Oyansüberj  Oyankupfer,   Oyanquecksüber, 

darch  Stracturfonneln  auszudrücken,  haben  überhaupt  noch  niemab  zu  einem  be- 
friedigenden Ergebniss  geführt^. 

Neuerdings  hat  A.  Webheb'  in  umfassender  Weise  die  Zusammensetzung  der 
complexen  anorganischen  Verbindungen  discutirt  und  überraschende  Beziehungen  in's 
Licht  gestellt,  welche  sich  bezüglich  der  Zusammensetzung  von  MetallammoniaksalzeD, 
von  Doppelchloriden,  Dop^elcyaniden  und  anderen  Doppelsalzen,  von  sogenannten 
Krystall  Wasser  Verbindungen  der  einfachen  Metallsalze  etc.  ergeben.  Auf  Grund  dieser 
merkwürdigen  Beziehungen  entwickelt  er  eine  vielversprechende,  den  Boden  der 
heutigen  Valenzlehre  verlassende  Theorie,  welche  auch  auf  die  Eisencyan Verbindungen 
angewendet  werden  kann.  Die  Eigenschaft  des  Eisenatoms,  durch  Zusammentritt  mit 
sechs  Gruppen  ein  complexes  Hadical  zu  bilden,  die  aus  den  Formeln  der  Ferrocyanide 
und  Ferricyanide  erkennbar  ist,  erscheint  als  specieller  Fall  einer  allgemeinen  Eigen- 
thümlichkeit,  welche  einer  grossen  Zahl  von  Elementaratomen  zukommt  und  für  die 
Constitution  vieler  Metallsalze  von  fundamentaler  Bedeutung  zu  sein  scheint.  Webüeb 
denkt  sich  diese  sechs  Gruppen  zunächst  in  einer  Sphäre  um  das  Metallatom  gelagert 
—  und  zwar  in  den  Ecken  eines  Octagders,  in  dessen  Centrum  sich  das  Metallatom 
selbst  befindet;  dieses  System  bildet  das  eine  Ion;  avsserhalb  dieser  Sphäre  befinden 
sich  die  Atome  bezw.  Gruppen,  welche  bei  der  elektrolytischen  Dissociation  als  Ionen 
von  entgegengesetztem  Charakter  losgelost  werden.  Diese  kurzen  Andeutungen  mögen 
hier  genügen,  um  die  Richtung  der  WEBNER'schen  Speculationen  zu  kennzeichnen; 
bezüglich  ihrer  Durchführung  muss  auf  die  Originalabhandlung  verwiesen  werden. 

Wenn  die  Cyanwasserstoffsäure  selbst  auch  in  der  organischen 
Chemie  behandelt  wird,  so  werden  ihre  Salze  aus  Zweckmässigkeits- 
gründen doch  in  der  Regel  schon  in  der  anorganischen  Chemie  bei  den 
einzelnen  Metallen  besprochen,  da  die  Kenntniss  der  Metallcyanide  für 
die  Charakterisirung  mancher  Metalle  sehr  wichtig  und  für  das  Ver- 
ständniss  vieler  analytischer  Methoden  unerlässlich  ist.  Von  den  einzelnen 
Cyaniden  ist  daher  hier  nur  so  viel  mitgetheilt,  als  zur  Kennzeichnung 
der  Cyanwasserstoffsäure  selbst  nöthig  erscheint;  eingehendere  Angaben 
über  die  einzelnen  Cyanide  finden  sich  in  den  ausführlichen  Lehrbüchern 
der  anorganischen  Chemie. bei  der  Schilderung  der  betreflfenden  Metalle. 

Cyankalium  KCN  ist  ein  zerfliessliches,  farbloses,  furchtbar  giftiges  Salz,  das 
in  Würfeln  oder  OctaSdem  krystallisirt  erhalten  werden  kann.  Im  Handel  findet 
man  es  meist  in  Stücken  oder  Stangen,  die  durch  Erstarren  des  geschmolzenen 
Salzes  gewonnen  sind.  Es  ist  in  Wasser  sehr  leicht,  in  absolutem  Alkohol  kaum, 
dagegen  in  wfissrigem  Alkohol  ziemlich  leicht  loslich  und  schmilzt  bei  Rothglutb 
ohne  Zersetzung.  Die  wfissrige  Lösung  zersetzt  sich  beim  Kochen  unter  Entwickeiong 
von  Ammoniak  und  Bildung  von  ameisensaurem  Kalium.  Cyankalium  wird  technisch 
aus  dem  Ferrocyankalium  durch  Zersetzung  in  der  Hitze  dargestellt  (vgL  S.  1038): 
schmilzt  man  Ferrocyankalium  unter  Zusatz  von  Pottasche,  so  erhält  man  das  soge- 
nannte „LiEBio'sche  Cyankalium",  das  neben  Kaliumcyanid  auch  Kaliumcyanat 
enthält: 

K^FeCCN)«  -f  KgCO,  =  5 KCN  +  KCNO  +  Fe  +  CO,; 

chemisch  reines  Cyankalium  wird  als  pulvrig  krystallinischer  Niederschlag  durch  Ein- 
leiten von  Blausäuredämpfen  in  alkoholisches  Kali  erhalten.  Geschmolzenes  Cyan- 
kalium ist  ein  krä^ges  Beductionsmittel,  das  in  der  analytischen  Chemie  häufig  zar 
Abscheidung  der  regulinischen  Metalle  aus  ihren  Oxyden  oder  Sulfiden  benutzt  wird : 

"  Vgl.  Werner,  Ztschr.  f.  anorgan.  Chem.  3,  282—283  (1893). 
«  Ebenda,  267  ff. 


Ferrocyanwassersto/fsäure  und  Ferricyanwasserstoffsäure,  1007 


seine  Wirkung  beruht  darauf,  dass  es  den  Sauerstoff  bezw.  Schwefel  entzieht,  um 
selbst  in  cyansaures  bezw.  sulfocyansaures  Kalium  (KCNO  und  KONS)  überzugehen 
(vgL  S.  1010,  1014).  In  der  organischen  Chemie  benutzt  man  es  vielfach  zur  Ein- 
führung von  Cyan  an  Stelle  von  Halogen  (vgl.  z.  B.  S.  293).  Ueber  seine  tech- 
nische Verwendung  vgl.  S.  1038. 

Cyansilber  AgCN  ist  ein  weisser,  käsiger,  dem  Chlorsilber  ähnliclier  Nieder- 
schlag, in  Wasser  und  verdünnten  Säuren  unlöslich,  in  Ammoniak  leicht  löslich.  In 
Oyankalium  löst  es  sich  leioht  unter  Bildung  des  Doppelsalzes  KAgCyg  auf. 

Kupfercyanid  ist  ein  sehr  unbeständiger  gelber  Niederschlag,  der  sich  rasch 
unter  Abgabe  von  Cyan  und  Verwandlung  in  ein  cyanärmeres  Salz  zersetzt  (vgl. 
Anm.  2  auf  S.  997).  £ine  Auflösung  von  Kaliumkupfercyanür  —  bereitet  durch  Ein- 
tragen von  überschüssigem  Cjankalium  in  erwärmte  Kupfervitriollösung  —  wird  häufig 
bei  der  Darstellung  von  aromatischen  Verbindungen  zum  Austausch  der  Diazogruppe 
gegen  Cyan  benutzt  (SANDMEYEs^sche  Reaction,  vgl.  Bd.  II). 

Quecksilbercyanid  Hg(CN)2  —  durch  Auflösen  von  Quecksilberoxyd  in  Blau- 
sänre  oder  durch  Kochen  von  Berlinerblau  mit  Quecksilberozyd  und  Wasser  darstell- 
bar —  kiystallisirt  in  quadratischen  Säulen,  ist  in  Wasser  ziemlich  leicht  löslich  und 
äusserst  giftig.     Es  dient  zur  Darstellung  des  freien  Cyans  (S.  997). 

Ferrocy  an  wasserstoffsäure  H^FeCj^  bildet  weisse  Krystalle,  färbt  sich  an 
der  Luft  bald  blau,  ist  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich.  —  Kaliumferrocyanid 
K4FeCye  -f  SHjO  (gelbes  Blutlaugen  salz)  bildet  citronengelbe  wasserhaltige  Kry- 
stalle, in  wasserfreiem  Zustand  ein  weisses  Pulver;  es  ist  in  etwa  4  Theilen  kaltem 
Wasser  löslich;  über  seine  technische  Darstellung  und  Bedeutung  vgl.  S.  1036—1087; 
es  bildet  sich  beim  Kochen  von  Cyankaliumlösung  mit  Eisenoxydul: 

Fe(OH),  +  6KCN  =  K4Fe(CNje  +  2K0H; 

diese  Bildung  wird  zum  qualitativen  Nachweis  des  Cyans  benutzt  (vgl.  S.  1008).  — 
Ferriferrocyanid  Fe4(FeGy^\  =  Fe^Cy^a  ist  der  unter  dem  Namen  „Berlinerblau" 
bekannte  Niederschlag,  der  beim  Vermischen  von  Ferrocyankaliumlösungen  mit 
Eisenoxydsalzen  .entsteht  —  Durch  Einwirkung  von  Jodäthyl  auf  Ferrocy ansilber  ist 
Ferrocy anäthyP  (C2H5)4FeCye  erhalten,  das  aus  Chloroform  in  rhombischen,  ohloro- 
formhaltigen  Krystallen  anschiesst,  in  Wasser  leicht  löslich  ist  und  sich  bei  212 — 214^ 
zersetzt.  —  Durch  Einwirkung  von  Salpetersäure  auf  Ferrocyansalze  werden  Salze  der 
Nitroprussid wasserstoffsäure  gewonnen;  das  Nitroprussidnatrium  NasFeCy5(N0) 
•{•  213. fi  krystallisirt  in  prächtigen  rubinrothen  Prismen;  seine  Lösung  giebt  mit 
Alkalisulfiden  eine  intensive  violette  Färbung,  die  bald  wieder  verschwindet,  und  dient 
als  empfindliches  Beagens  auf  Schwefelwasserstoff. 

Ferricyanwasserstoffsäure  HjFeCye  bildet  braune  Nadeln.  —  Kalium- 
ferricyanid  K,FeCye  (rothes  Blutlaugensalz)  wird  durch  Einleiten  von  Chlor 
in  Kaliumferrocyanidiösung  erhalten: 

Ki^^eCye  +  Cl  =  K.FeCye  +  KCl, 

stellt  dunkel rothe  Krystalle  dar  und  löst  sich  in  etwa  2Vs  Th.  Wasser;  durch  Um- 
setzung mit  Eisenoxydulsalzen  giebt  es  „TumbuU^s  Blau'^  (Ferroferricyanid  Fe^{FeCj^\ 
—  Feßyi^)  und  dient  daher  in  der  analytischen  Chemie  als  Beagens  auf  Eisenoxydul. 
In  der  organischen  Chemie  wird  es  häufig  als  Oxydationsmittel  in  alkalischer 
Lösung  verwendet;  die  Oxydationswirkung  zweier  Molecüle  K,FeCye  entspricht  einem 
Sauerstoffatom : 

2K,FeCye  +  2K0H  -f-  X  =  2K^FeCye  -h  H^O  -*-  XO 


>  M.  Freund,  Ber.  21,  935  (1888). 


1008  Nachweis  und  Bestimmung  der  Blausäure. 


(X  ein  zu  ozydirendes  Molecttl).    Umgekehrt  wirkt  Ferrocyankalium  in  saurer 
Lösung  reducirend,  z.  B.: 

öK^FeCye  +  KMnO*  +  8  HCl  =   5K,FeCya  +  6  KCl  +  MnCl,  +  4H,a 

Zum  qualitativen  Nachweis^  führt  man  die  Blausäure  in  Ber- 
linerblau oder  in  die  an  der  rothen  Eisenreaction  (vgl.  S.  1016)  leicht 
erkennbare  Rhodanwasserstoffsäure  über.  Ersteres  geschieht,  indem  man 
die  zu  prüfende  Lösung  mit  einigen  Tropfen  Eisenoxydul-oxjdlösung  ver- 
setzt, darauf  alkalisch  macht,  mit  den  ausgefallenen  Eisenoxyden  kurze 
Zeit  erwärmt  und  nun  mit  Salzsäure  ansäuert  (vgl.  die  Prüfung  orga- 
nischer Verbindungen  auf  Stickstoff,  S.  8).  Zur  Ueberführung  in  eine 
Rhodanlösung  verdampft  man  die  zu  prüfende  Flüssigkeit  nach  Zusatz 
von  gelbem  Schwefelammonium  auf  dem  Wasserbade  zur  Trockne;  man 
nimmt  nun  wieder  mit  Wasser  auf  und  prüft  die  Lösung,  die  jetzt  statt 
des  ursprünglich  vorhandenen  Cyanwasserstoffs  Rhodanwasserstoffsänre 
(HCNS)  in  Form  des  Ammoniumsalzes  enthalten  würde,  mit  Eisenchlorid. 
—  Zur  quantitativen  Bestimmung  benutzt  man  das  Cyansilber. 
Man  fallt  dasselbe  entweder  aus  schwach  salpetersaurer  Lösung  aus  und 
wägt  es  auf  einem  gewogenen  Filter.  Oder  man  titrirt  in  alkalischer 
Lösung  mit  titrirter  Silberlösung  nach  Zusatz  von  etwas  Kochsalz;  es 
fällt  zunächst  nur  Cyansilber  aus,  das  sich  aber  gleich  wieder  zu  dem 
Doppelsalz  KAg(CN)2  löst,  so  lange  noch  auf  ein  Molecül  Silbercyanid 
ein  Molecül  Alkalicyanid  vorhanden  ist;  sowie  aber  auf  2  Mol.  Alkali- 
cyanid  1  Mol.  Silbernitrat  zugesetzt  ist,  bildet  sich  auf  weiteren  Zusatz 
ein  bleibender  Niederschlag  von  Chlorsilber*. 

Polymere  der  Blausäure.  Bei  längerem  Stehen  von  wässiiger  Blausfiure,  wel- 
cher durch  ZuBat2  von  etwas  Cyankalium  oder  kaustischen  oder  kohlensauren  Alkalien 
alkalische  Reaction  verliehen  ist,  bildet  sich  neben  Azulmsäure  (vgl.  S.  998|  1002). 
und  anderen  Produkten  eine  der  Blausäure  polyniere  Verbindung',  welche  eich  mit 
Aether  ausschütteln  lässt.  Sie  bildet  farblose  Krystalle,  löst  sich  schwer  in  kaltem 
Wasser,  beginnt  bei  140°  sich  zu  zersetzen  und  wird  beim  Erwärmen  mit  Baryt- 
lösung  oder  Salzsäure  in  Kohlensäure,  Ammoniak  und  GlykokoU  gespalten ;  auf  Grund 
dieser  Spaltung  wird  ihr  die  Formel   eines  Amidomalonitrils   CN'CHNHjl-CX 

(vgl.  Amidomalonsäure,  S.  837): 

/CN 
H.C:N+2H.CX  =  H.C(-NHa, 

\CN 

CN.CH(NHa).CN  4-  4H,0  =  CO,  +  CH,(NHO •  COjH  +  2NH, 

beigelegt. 

Adenin^  C5H5N5  —  eine  von  Kossel  bei  der  Verarbeitang  von  Pankreas- 
drüsen aufgefundene  basische  Substanz  —  bt  der  Blausäure  polymer  und  mag  daher 


^  Vgl.  Link  u.  Möckbl,  Ztschr.  f.  analyt.  Chem.  17,  456  (1878). 

•  Liebig,  Ann.  77,  102  (1851). 

»  0.  Lange,  Ber.  6,  99  (1873).  —  Wippermann,  Ber.  7,  767  (1874).  —  LESooEn 
u.  RiGAULT,  Bull.  34,  478  (1880). 

*  K088BL,  Ber.  18,  78,  1928  (1885);  20,  3356  (1887).  —  Schindleb,  Ztschr.  f. 
physiol.  Chem.  13,  432  (1889).  —  Bruhns,  Ber.  23,  225  (1890).  —  Bruhns  u.  Kossei^ 
Ztschr.  f.  physiol.  CThem.  16,  1  (1892).  —  KRttOER,  ebenda,  160,  329. 


Polf/mere  der  Blausäure.     Adenin.  1009 


hier  aufgeführt  werden,  obgleich  sie  mit  der  BlausSure  nicht  durch  genetische  Be- 
ziehungen verknüpft  ist.  Das  Adenin  entsteht  durch  Spaltung  der  in  allen  ent- 
wickelungsfllhigen  Zellen  vorkommenden  Nuclei'ne  und  wird  daher  häufig  in  den 
Extracten  thierischer  oder  pflanzlicher  Gewebe  gefunden.  Es  krystallisirt  aus  Wasser 
mit  3  Mol.  Krystallwasser,  wird  bei  53 — 54^  wasserfrei,  bildet  Salze  wie  C5H5N5.HCI, 
liefert,  mit  überschüssigem  Essigsäureanhydrid  erhitzt,  ein  Monacetjlderivat 
CgHiNftCCO'CH,),  wird  durch  Erhitzen  mit  Salzsäure  in  Ammoniak,  Kohlensäure, 
KoUenoxyd  und  GlykokoU  gespalten  und  durch  salpetrige  Säure  in  Hypoxanthin 
(S.  1090)  übergeführt  Zum  Nachweis  und  zur  quantitativen  Bestimmung  ist  das  in 
kaltem  Wasser  sehr  schwer  lösliche  (1 :  3500)  Pikrat  geeignet 


Cyansäiire  und  ihre  Derivate. 

Aus  den  Salzen  der  Cyanwasserstoffsäure  Me^CN  entstehen  durch 
Oxydation  Salze  der  Cyansäure  Me'CNO,  denen  das  Säurehydrat 

HCNO :  Cvansäure 

entspricht.  Entsprechend  der  Nitrilformel  und  Isonitrilformel  der  Blau- 
säure kann  man  für  diese  Säure  die  beiden  Formeln: 

.OH  .0 

CC  und  er. 

Normale  Cyansäure  Isocyansäure, 

(Nitril  der  Kohlensäure)        Carbimid  (Imid  der  Kohlensäure) 

aufstellen.  Da  sich  das  Kaliumsalz  der  Cyansäure  auch  aus  Chlorcyan 
(vgl.  S.  1011)  durch  Einwirkung  von  Kali  bildet,  so  sollte  man  auf 
Grund  dieser  Bildungsweise 

CN-Cl  +  2K0H  =  CN-OK  +  KCl  +  H^O 

sein  Metallatom  an  Sauerstoff  gebunden  annehmen.  Andererseits  ent- 
stehen aber  durch  Austausch  der  Metallatome  gegen  Alkylreste  aus  den 
cyansauren  Salzen  Ester,  welche  ihren  Spaltungen  zufolge  zweifellos  das 
Alkyl  an  Stickstoff  gebunden  enthalten,  z.  B. : 

CNOAg  +  CJIsJ  =  AgJ  +  CC 

^N.C,H5 

CC  +  HjO  =  CO,  +  HjX.CjHß. 

^N.C,H, 

Wir  kennen  die  Cyansäure  selbst  und  ihre  Salze  nur  in  einer  Fonn 
(vgl.  S.  999 — 1000),  für  welche  mithin  die  beiden  obigen  Structurformeln 
möglich  sind;  eine  entscheidende  Auswahl  zwischen  denselben  kann 
einstweilen  nicht  getroffen  werden  (vgl.  S.  1023  ff.). 

Cyansftare  HCNO  wird  aus  ihrer  polymeren  Moditication  —  der 
Cjanursäure  H3C3N3O3  (vgl.  S.  1030),  welche  durch  Erhitzen  von  Harn- 
stoff oder  aus  Cyanurbromid  erhalten  werden  kann,  —  gewonnen,  indem 
man  die  Cyanursäure  im  Kohlensäurestrom  erhitzt  und  die  durch  ihren 

V.  Mrybr  u.  JaoObsom,  org.  Chem.    I.  ^>4 


1010  Gyansäure. 


Zerfall  gebildeten  Cjansäuredämpfe  in  einer  Eältemischnng  condensirt^ 
Cyansäure  ist  eine  sehr  flüchtige,  stechend  riechende  und  ätzend  wirkende 
Flüssigkeit.  Sie  ist  höchst  unbeständig;  bei  0^  ist  sie  innerhalb  einer 
Stunde  in  eine  polymere  Modification  von  unbekannter  Moleculargrosse 

—  das  weisse,  amorphe  Cyamelid  (HCNO)^,  das  beim  Erhitzen  wieder 
Cyansäure  liefert,  —  verwandelt;  beim  Herausnehmen  der  flüssigen 
Cyansäure  aus  dem  Eältegemisch  erfolgt  diese  Umwandlung  explosions- 
artig. Die  wässrige  Cyansäurelösung  zersetzt  sich  oberhalb  0®  rasch  in 
Kohlensäure  und  Ammoniak: 

CONH  +  H,0  =  CO,  +  NH»; 

in  ätherischer  Lösung  polymerisirt  sich  Cyansäure  zu  Cyanursäure^, 
ebenso  in  Berührung  mit  Triäthylphosphin'. 

Kaliumcyanat  KCNO  entsteht  durch  Einwirkung  von  Oxydations- 
mitteln auf  Cyankalium*,  z.  B.  beim  Glühen  desselben  (bezw.  des  Ferro- 
cyankaliums)  mit  Braunstein  oder  Mennige.  Zur  Darstellung^  trägt  man 
zweckmässig  ein  inniges,  sehr  fein  gepulvertes  Gemisch  von  100  g  Ferro- 
cyankalium  und  75  g  Ealiumbichromat  in  Portionen  von  3 — 5  g  in  eine 
stark  —  aber  nicht  bis  zum  Glühen  —  erhitzte  eiserne  Schale,  wobei 
die  Oxydation  jedesmal  unter  zunderähnlichem  Aufglimmen  stattfindet; 
dem  porösen,  lockeren,  fast  schwarzen  Reactionsprodukt  entzieht  man 
das  Kaliumcyanat  durch  Auskochen  mit  SOprocentigem  Alkohol.  Cyan- 
saures  Kalium  bildet  sich  ferner  beim  Einleiten  von  Cyan  (vgl.  S.  999) 
oder  von  Chlorcyan  {S.  1011)  in  Kalilauge  und  aus  zahlreichen  Amiden 
der  Kohlensäure  —  HarnstoflF,  Urethanen,  Guanidin  etc.  —  durch  Er- 
hitzen mit  alkoholischer  Kalilauge®.  Es  stellt  ein  weisses  Krystallpulver 
dar  und  ist  in  Wasser  leicht,  in  absolutem  Alkohol  nicht  löslich.  In 
wässriger  Lösung  zersetzt  es  sich  allmählich  unter  Uebergang  in  Ammo- 
nium- und  Kalium  carbonat;  säuert  man  seine  Lösung  mit  Salzsäure  an. 
so  erhält  man  ebenfalls  infolge  der  Unbeständigkeit  der  freien  Cyansäure 
ihre  Zersetzungsprodukte  —  Kohlensäure  und  Ammoniak. 

Aus  dem  Kaliumcyanat  können  durch  doppelte  Umsetzungen  andere 
Salze  der  Cyansäure  erhalten  werden.  Von  besonderem  Interesse  ist 
das  Ammoniumcyanat  wegen  seines  Uebergangs  in  Harnstoff  (vgl. 
S.  1051).  Silbercyanat  AgCNO  ist  ein  weisser  Niederschlag,  der  sich 
im  Gegensatz  zu  Silbercyanid  in  verdünnter  Salpetersäure  unter  Zer- 
setzung auflöst. 

»  LiEBio  u.  WöHLEB,   Pogg.  20,  383  (1830).   —   Baeyer,  Ann.  114,  165  (IS60). 

—  Gattermann  u.  Rossolyho,  Ber.  23,  1192  (1890). 

»  Klason,  J.  pr.  [2]  33,  129  (1885). 

'  A.  W.  Hofmann,  Ann.  Suppl.  1,  58  (1861). 

*  WöHLER,  Berz.  Jb.  3,  78  (1824);  4,  92  (1825).  —  Liebio,  Ann.  41,  289  (18421. 

—  KoLBE,  Ann.  64,  237  (1848).  —  Clemm,  Ann.  66,  382  (1848).  —  Lea,  Jb.  1861,  789. 

*  CmcHESTER  A.  Bell,  Chem.  News  82,  99  (1875).  —  Gattermank  u.  Caktzleb, 
Ber.  23,  1223  (1890). 

*  Emich,  Monatsh.  10,  321  (1889). 


Halogenverhinduiigen  des  Cyans.  1011 


Die  Cyansäure  kann  als  Stammsubstanz  einer  Anzahl  von  Sub- 
stanzen betrachtet  werden,  die  in  folgender  Reihenfolge: 

1.  Halogen  Verbindungen  des  Cyans  oder  Halogenide  der  Cyansäure 
CNCl,  CNBr,  CNJ. 

2.  Cyansäure-  bezw.  Isocyansäureester. 

3.  Thiocy ansäure    CNSH    (RhodanwasserstoflFsäure)    und    ihre    Ab- 
kömmlinge. 

4.  Cyanamid   CN(NHj)  bezw.   Carbodiimid  C(:NH)2    und   seine   Ab- 
kömmlinge. 

nunmehr  besctrieben  werden  mögen.  Alle  Glieder  dieser  Gruppe  exi- 
stiren  ferner  in  polymeren,  trimolecularen  Modificationen;  diese  „Tri- 
cyanverbindungen**  werden  in  einem  späteren  Abschnitt  (S.  1028  ff.)  im 
Zusammenhang  behandelt. 

Die  HalogenTerbindungen  des  Cyans  oder  Halogenide  der 
Cyansänre  werden  durch  Einwirkung  der  Halogene  sowohl  auf  Metall- 
cyanide  wie  auf  wässrige  Blausäure  selbst  gebildet^.  Zur  Darstellung 
des  Chlorcyans*  ist  es  empfehlenswerth,  die  Blausäure  selbst  der  Ein- 
wirkung von  Chlor  zu  unterwerfen,  da  beim  Einleiten  von  Chlor  in 
Quecksilbercyanidlösung  zuweilen  Explosionen  eintreten.  Chlorcyan 
CNCl  ist  eine  farblose,  sehr  giftige  Verbindung  von  äusserst  stechen- 
dem Geruch,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  an  der  Grenze  zwischen 
flüssigem  und  gasformigem  Aggregatzustand;  es  siedet^  bei  +  15 -S® 
und  erstarrt  bei  —6**  krystallinisch;  in  Wasser  ist  es  etwas  löslich. 
Beim  Aufbewahren  polymerisirt  es  sich  theilweise  zu  Cyanurchlorid 
C3N3CI3  (s.  S.  1031);  mit  Kalilauge  liefert  es  Chlorkalium  und  cy ansaures 

Kalium: 

CNCl  +  2K0H  =  CN.OK  +  KCl  +  H,0. 

Bromcyan  CNBr  schmilzt  bei  ungefähr  52®  und  siedet*  bei  61'8^  —  Jod- 
cyan  CNJ  kommt  häufig  im  k&uflichen  Jod  vor'^  und  wird  zweckmässig  durch 
Sublimation  eines  Gemisches  von  Jod  und  Quecksilbercyanid  in  gelinder  Wärme 
dargestellt^.  Es  bildet  farblose  Nadeln,  riecht  stechend  und  ist  sehr  giftig;  es  ist 
leicht  flüchtig  und  snblimirt  weit  unter  seinem  Schmelzpunkt,  der  im  zugeschmolzenen 
Capillarröhrchen  bei  146» 5°  gefunden  wird;  in  Wasser  ist  es  leicht  löslich;  mit  Jod- 
wassei'stoff,   schwefliger  Säure,   Schwefelwasserstoff  und   anderen   Reductionsmitteln 


*  Sbrullas,  Berz.  Jb.  8,  89,  94  (1829);  12,  79  (1883).  —  Wöhleb,  Ann.  73, 
220  Anm.  (1850).  —  Caboürs  u.  Clobz,  Ann.  90,  97  (1854).  —  Laxqlois,  Ann.  Suppl. 
1,  383  (1861).  —  E.  V.  Meyer,  J.  pr.  [2]  36,  294  (1887). 

«  Gautier,  Ann.  141,  122  (1867).  —  Weith,  Ber.  7,  1745  (1874). 

»  WüRTZ,  Ann.  79,  280  (1851).  —  Salet,  Ann.  136,  144  (1865). 

*  MüLDER,  Rec.  trav.  chim.  4,  151  (1885). 

^  SoANLAN,  F.  Meyer,  Jb.  1847/48,  380.  —  Klobaoh,  Jb.  1849,  251.  —  Semenoff, 
Jb.  1871,  224. 

*  Wühler,  Bcrz.  Jb.  2,  75  (1823).  —  Serüllas,  Berz.  Jb.  5,  66  (1826).  — 
Linkehann,  Ann.  120,  36  Anm.  (1861).  —  Seubert  u.  Pollard,  Ber.  23,  1063  (1890). 

64* 


1012  Ester  der  Oyansäure. 


setzt  es  sich  unter  Abscheidung  von  Jod,  das  durch  einen  Ueberschuss  des  Redoctions- 
mittels  wieder  verschwindet,  und  Bildung  von  Blausäure  umS  z.  B.: 

2CNJ  +  SO,  +  2HjO  =  2HCN  +  J.  +  H,S04; 

concentrirte  Schwefelsäure  scheidet  in  der  K&lte  Jod  ab*.  Zink  scheidet  aus  der 
ätherischen  Lösung  sofort  Jod  unter  Bildung  von  Cyanzink  ab'. 

Ester  der  Cyansäure.  Wenn  man  Chlorcyan  mit  Natriumalkoho- 
laten  in  Beaction  bringt,  so  sollte  man  erwarten,  die  Ester  der  normalen 
Cyansäure  NiC — OR  entstehen  zu  sehen,  z.  B.: 

CNCl  +  NaOCjHs  =  CNOCA  +  NaCl. 

Diese  Beaction^  ist  eingehend  untersucht;  allein  es  ist  bisher  nicht  ge. 
lungen,  jener  Ester  in  reinem  Zustand  habhaft  zu  werden.  Trotzdem 
ist  es  höchstwahrscheinlich,  dass  sie  in  dieser  Reaction  gebildet  werden; 
denn  es  gelingt  leicht,  aus  dem  Keactionsprodukt  ihre  trimolecularen 
Modificationen  —  die  Cyanursäureester  (CN)j(0-CjHg)3,  welche  zweifellos 
die  Alkylgruppen  an  Sauerstoff  gebunden  enthalten  (vgl.  S.  1031 — 1032), 
—  zu  isoliren. 

Dagegen  sind  die  Ester  der  Isocyansäure  CO:N-B  (Alkvl- 
carbimide,  Alkylisocyanate)  wohlbekannte  Verbindungen,  welche 
für  die  Geschichte  der  organischen  Chemie  dadurch  von  hervorragender 
Bedeutung  geworden  sind,  dass  ihr  Studium  zu  der  Entdeckung  der 
aliphatischen  Amine  führte  (vgl.  S.  229,  233).  Wuetz*  »erhielt  sie  zu- 
erst durch  Destillation  von  ätherschwefelsauren  Salzen  mit  Kalium- 
cyanat;  bequemer  werden  sie  durch  Einwirkung  von  Alkylhalogenen  auf 
Silbercyanat  erhalten®,  z.  B. : 

CNOAg  +  CaH^J  -  CO  :  N-CgH^  +  AgJ. 

Auch  von  den  Aminen  ausgehend,  kann  man  zu  den  Isocyansäure- 
estern  gelangen.  Leitet  man  über  die  salzsauren  Salze  der  primären 
Amine  in  der  Wärme  Chlorkohlenoxyd: 

ClCOCl  +  NHj.CHs.HCl  =  CLCO-NHCH,  +  2HC1, 

so  erhält  man  Carbaminsäurechloride  (vgl.  S.  1058),    welche   beim  Zu- 
sammenbringen mit  Kalk  Isocyansäureester  liefern^: 

Cl-CONHCHg-HCl  =  COiN-CHg. 

Dass  man   die  Isonitrile   durch   Oxydation  mit  Quecksilberoxyd  in 


»  Strecker,  Ann.  148,  95  (1868).  — ■  E.  v.  Meyer,  J.  pr.  [2]  36,  292  (1887).  - 
Meikeke,  Ztschr.  f.  anorg.  Chem.  2,  157  (1892). 
«  Gossin,  Bull.  43,  98  (1885). 
^  Calmels,  Compt.  rend.  99,  240  (1884). 

*  Cloez,  Ann.  102,  354  (1857).  —  Gal,  Ann.  137,  128  (1865).  —  A.  W.  Hof- 
mann u.  Olshausen,  Ber.  3,  269  (1870).  —  Ponomabsw,  Ber.  15,  515  (1882i.  — 
MiTLDER,  Rec.  trav.  chim.  1,  191  (1882);  2,  133  (1883);  3,  287  (1884). 

»  Ann.  eh.  [3]  42,  43  (1854). 

•  Vgl.  Cahours  u.  Hofmann,  Ann.  102,  297  (1857).  —  Brauneb,  Ber.  12,  18T5, 
1877  (1879). 

'  Gattermann  u.  G.  Schmidt,  Ann.  244,  35,  36  (1887). 


Ester  der  Isocyansäure.  1013 


Isocyanate  überfuhren  kann\  ist  schon  S.  252  erwähnt;  auch  an  den 
merkwürdigen  üebergang  der  Bromamide  in  Isocyanate*  durch  Brom- 
wasserstoffentziehung (vgl.  S.  371),  durch  welchen  sich  die  Hofmann' sehe 
Beactiou  zur  Darstellung  primärer  Amine  aus  Säureamiden  (8.  235)  er- 
klärt, sei  nochmals  erinnert. 

Die  Alkylisocyanate  CO:N-R  sind  leicht  flüchtige  Flüssigkeiten  von 
heftigem  erstickendem  Geruch;  beim  Aufbewahren  verwandeln  sie  sich 
—  vermuthlich  unter  dem  Einfluss  geringfügiger  Verunreinigungen  — 
ziemlich  rasch  in  die  polymeren  Isocyanursäureester.  Sie  sind  durch 
grosse  Reactionsfähigkeit  ausgezeichnet.  Wichtig  zur  Beurtheilung  ihrer 
Constitution  ist  vor  Allem  die  schon  mehrfach  erwähnte  Spaltung  in 
Kohlensäure  und  Amine: 

CHa-N:  CO  +  H,0  =  CHjNH,  +  CO,, 

welche  sie  beim  Erwärmen  mit  Alkalien  erleiden;  durch  diese  Spaltung 
wird  unzweideutig  dargethan,  dass  ihr  Alkylrest  an  Stickstoff  gebunden 
ist.  Mit  Alkoholen  vereinigen  sie  sich  zu  Caijbaminsäureestem  (Ure- 
thanen,  vgl.  S.  1058): 

.NHCÄ 
COiNCsHs -f-CjHjOH  =  C0< 

^O.C,H5 

mit  Ammoniak  oder  primären  und  secundären  Aminen  zu  alkylirten 
Harnstoffen: 

NHCjHfi 

NH, 

So  erklärt  es  sich,  dass  beim  Kochen  der  Isocyanate  mit  Wasser  sym- 
metrisch dialkylirte  Harnstoffe  gebildet  werden;  das  aus  einem  Molecül 
Isocyanat  neben  Kohlensäure  abgespaltene  Amin  addirt  sich  an  ein 
noch  unverändertes  Molecül  des  Isocyansäureesters: 

CO :  N.CjHs  +  H,0  =  CO,  +  NH,.C,H5, 

<NH  •  C,H5 
NH.C,H5 

Nach  der  „Genfer  Nomenclatur"  (vgl.  S.  1091  ff.)  werden  die  Isocyanate  durch 
die  Endung  -carbonimid  charakterisirt : 

CjHj  •  N  •  CO  :  Aethylcarbonimid 

etc. 

Methylisocyanat  CH,*N:CO  (Methyicarbonimid)  siedet  bei  37' 5^  Aethyl- 
isocyanat  C,H5*N:C0  (Aethylcarbonimid)  siedet  bei  60 — 61^  und  besitzt  das 
spec.  Gew.  0*898. 

Acetylisocyanat®  CHg-CO-NiCO  entsteht  bei  der  Einwirkung  von  Acetyl- 
chlorid  auf  Knallquecksilber,  konnte  zwar  nicht  in  ganz  reinem  Zustand  isolirt,  wohl 
aber  durch  seine  Umwandlungen  sicher  constatirt  werden.     Es  siedet  bei  etwa  80^, 


CO-.N.CjHj  +  NH,  =  CO/ 


^  Gautier,  Ann.  149,  313  (1869). 

•  A.  W.  Hopmann,  Ber.  15,  756  (1882). 

»  Scholl,  Ber.  23,  3510,  3516  (1890). 


1014  Thiocyansäure  oder  Jikodantvasserstoffsäure. 


vereinigt  sich  mit  Alkohol  zu  Acetylurethan  0Hg-C0*NH*G0*0*C,H5,  mit  Ammoniak 
zu  Monacetylharnstoff  CHg-CO'NH-CO-NHs,  mit  Acetamid  zu  Diacetvlh&mstoff 
CH^.CONH.CO.NHCOCHa  und  wird  durch  Wasser  in  Acetamid  und  Kohlen- 
säure gespalten. 

Die  Thiocyansäare  oder  Bhodanwasserstoffsäure  EONS  ist  die 

der  Cyansäure  entsprechende  Schwefelverbindung.  Wie  aus  den  Salzen 
des  CyanwasserstoflFs  durch  SauerstoflFaufhahme  (vgl.  S.  1006 — 1007,  1009, 
1010)  Salze  der  Cyansäure  entstehen,  so  werden  durch  directe  Vereinigung 
der  Cyanide  mit  Schwefel  ^  —  z.B.  durch  Kochen  von  Cyankaliumlösung 
mit  Schwefel  —  Salze  der  Thiocyansäure  gebildet;  umgekehrt  wird  Ehodan- 
natrium  durch  Schmelzen  mit  Zink  wieder  unter  Entschwefelung  in  Cyan- 
natrium  verwandelt  ^  (NaCNS  +  Zn  =  NaCN  +  ZnS).  Durch  Zersetzung 
des  Bariumsalzes  mit  Schwefelsäure  erhält  man  am  leichtesten  eine 
wässrige  Lösung  von  freiem  Rhodan Wasserstoff;  destillirt  man  eine  etwa 
lOprocentige  Rhodanwasserstofflösung  im  Vacuum  und  entwässert  die 
Dämpfe  durch  Chlorcalcium,  das  auf  40^  erwärmt  wird,  so  erhält  man 
die  wasserfreie  Säure  ^,  Äe  in  einer  Kältemischung  condensirt  werden  kann. 
Sie  stellt  eine  sehr  flüchtige,  scharf  riechende  Flüssigkeit  dar;  sobald 
sie  aus  der  Kältemischung  genommen  wird,  verwandelt  sie  sich  in  wenigen 
Minuten  unter  starker  Erhitzung  in  einen  festen,  gelben,  amorphen 
Körper  (vgl.  S.  1010  das  analoge  Verhalten  der  Cyansäure).  Die  Rhodan- 
wasserstoffsäure  kommt  an  Stärke  den  Halogen  wasserstoffsäuren  uahe^. 
Die  wässrige,  verdünnte,  nicht  mehr  als  5  7o  enthaltende  Lösung* 
ist  recht  beständig.  In  concentrirter  wässriger  Lösung  zersetzt  sich* 
Rhodanwasserstoff  in  Persulfocyansäure  (s.  unten)  und  Cyanwasserstoff: 

3HCNS  =  HCN  +  H,C,N,S,. 

Eine  Lösung  von  mittlerer  Concentration  wird  durch  einen  grossen 
Ueberschuss  von  Schwefelsäure  bei  gelinder  Wärme  wesentlich  in  Kohlen- 
oxysulfid  und  Ammoniak: 

HCNS  +  H,0  =  COS  +  NH, 

zersetzt;  wird  sehr  starke  Rhodan  wasserstoffsäure  der  Einwirkung  von 
Mineralsäuren  ausgesetzt,  so  verläuft  die  Zersetzung  in  complexerer  Weise, 
Persulfocyansäure^  CsNtH,S,  (Xanthanwasserstoff)  —  das  eben  er- 
wähnte Zersetzungsprodukt  des  Rhodanwasserstoffs  —  krystallisirt  aus  GOprocendger 
Essigsäure  in  gelben  dichroi'tischen  Prismen,  ist  in  kaltem  Wasser  kaum,  in  heiioem 
Wasser  etwas  löslicb  und  ist  eine  zweibasische  Säure;  durch  Losen  in  Cyankalium 
liefert  sie  wieder  Rhodankalium;  sie  scheint  in  zwei  Modificationen  —  einer  sehr 
labilen  farblosen  und  der  gewöhnlichen  gelben  Form  —  zu  existiren.  Durch  Behaad- 

^  Bebzeliüs,  Berz.  Jb.  1,  4S  (1822).  —  Liebio,  Ann.  50,  849  (1844);  61,  288 
(1844);  61,  126  (1847). 

»  Vgl.  Playpaib,  Ber.  25  c,  431  (1892).  «  Klason,  J.  pr.  [2]  35,  400  (1887), 

*  OsTWAU),  J.  pr.  [2J  32,  305  (1885).  *  Kjlason,  J.  pr.  [2]  35,  404  (1887). 

•  J.  pr.  [2]  36,  57. 

^  Liebig,  Ann.  10,  8  (1834).  —  Völckel,  Ann.  43,  74  (1842).  —  Hbshbs,  Ztachr. 
Chem.  1866,  419.  —  Glutz,  Ann.  154,  40  (1869).  —  Nencki  u.  Lippbrt,  Ber.  6,  902 
(1873).  —  Steiner,  Ber.  15,  1603  (1882).  —  Klason,  J.  pr.  [2]  38,  366  (1888> 


Rhodanwasserstoffsaure  Salze.  1015 


lang  mit  Alkalien  geht  sie  in  Dithioejansäure^  CaN,H,Sa  über,  welch  letztere  auch 
direct  bei  der  freiwilligen  Zersetzung  des  Rhodanwasserstoffs  neben  Persulfocyansäure 
entsteht 

Pseudoschwefelcyan'  wird  ein  gelber  amorpher,  in  Wasser  unlöslicher 
Korper  genannt,  der  durch  Oxydation  von  Rhodanwasserstoff  mit  Salpetersäure  oder 
Chlor  entsteht.  Eine  davon  verschiedene  Substanz,  die  als  gelber  Farbstoff  (Ranarin^) 
verwendet  werden  kann,  entsteht  bei  der  Oxydation  mit  chlorsaurem  Kali  und  Salz- 
säure oberhalb  80^. 

Von  den  Salzen  des  Bhodanwasserstoffs^  werden  mehrere  in- 
dustxiell  (vgl.  S.  1038)  verwerthet  und  sind  daher  zu  billigen  Preisen  käuf- 
lich. Dass  sich  Rhodanmetalle  leicht  aus  Cyanmetallen  durch  Fixirung 
von  Schwefel  bilden,  ist  schon  oben  erwähnt;  auf  einem  solchen  Process 
beruht  die  Bildung  des  Bhodanammoniums  in  den  Reinigungsapparaten 
der  Leuchtgasfabriken  (vgl.  S.  1036—1037)  und  die  S.  1008  erwähnte 
Beaction  zum  Nachweis  des  Cyanwasserstoffs.  Wichtig  ist  femer  die 
Bildung  von  Rhodanammonium  durch  Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff 
auf  alkoholisches  Ammoniak^: 

CSj  +  2NH8  =  CS<  , 

\S.NH4 

yNH, 
CS<  +2NHs  =  CS:N.NH4  +  (NH4),S, 

\S.NH4 

die  zweckmässig  zur  Darstellung  des  Rhodanammoniums  im  Laboratorium 
benutzt  werden  kann;  sie  ist  analog  der  S.1018 — 1019  zu  besprechenden 
Bildung  von  'Senfolen  aus  Schwefelkohlenstoff  und  primären  Aminen. 
Durch  Umsetzung  der  Rhodanmetalle  mit  Halogenalkylen  erhält  man 
Ester  der  Rhodanwasserstoffsaure,  deren  Alkylrest  an  Schwefel  gebunden 

ist  (vgl.  S.  1017  Alkylrhodanide) : 

<S  •  C2H5 
; 
N 

es  ist  daher  höchst  wahrscheinlich,  dass  auch  in  den  Salzen  das  Metall- 
atom am  Schwefel  haftet: 

/SMe« 

Rhodankalium  CSNK  und  Rhodanammonium  CSN(NHJ  sind 
farblose,  sehr  leicht  lösliche  Salze;  bei  ihrer  Auflösung  in  Wasser  tritt 


»  Fleischeb,  Ann.  179,  204  (1875).  —  Klason,  J.  pr.  [2]  38,  366  (1888).  — 
Parbnti,  Ber.  23  o,  337  (1890). 

*  LiKWG,  Pogg.  15,  545  (1829).  Ann.  10,  4  (1834);  50,  387  (1844).  —  JamiBson, 
Ann.  69,  339  (1846).  —  Voelckel,  Ann.  89,  126  (1854).  —  Linnsmanv,  Ann.  120, 
42  (1861).  —  Glutz,  Ann.  154,  48  (1869).  —  Linow,  Ber.  17  c,  252  (1884).  —  Goppels- 
boeder, ebenda,  522. 

'  Mabxownikoff,  Ber.  17  o,  279  (1884). 

*  Vgl.  Mbitzendobvf,  Pogg.  56,  63  (1842). 

*  Zbise,  Ann,  47,  36  (1843).  —  Millon,  Jb.  1860,  287.  —  GiLis,  Jb.  1861, 
340.  —  Claus,  Ann.  179,  112  (1875).  —  J.Schulze,  J.  pr.  [2]  27,  518  (1883). 


1016  Jihodanmetalle,     CyanstäficL 


sehr  starke  Temperaturerniedrignng  ^  ein ;  über  die  Zersetzung  des  Rhodan- 
ammoninms  durch  Erhitzen  vgl.  S.  1062  u.  1067.  Auch  die  übrigen  Kho- 
danmetalle  sind  meist  in  Wasser  löslich.  Kupferrhodanid  Cu(SCN)j 
dagegen  ist  ein  schwarzer,  Kupferrhodanür  Cuj(SCN)j  ein  weisser 
Niederschlag:  aus  rhodanhaltigen  Laugen  kann  daher  zweckmässig  die 
ßhodanwasserstoflfsäure  als  Eupfersalz  ausgefallt  werden  (vgl.  S.  1038);  das 
schwarze  Kupferrhodanid  geht  in  Berührung  mit  Wasser  allmählich  in 
weisses  Kupferrhodanür  über.  Bhodanquecksilber  Hg(SCN)j  ist  ein 
weisses ;  kaum  lösliches  Salz,  das  sich  beim  Erhitzen  unter  mächtigem 
Aufschwellen  zersetzt,  —  eine  Erscheinung,  die  zu  der  bekannten  Spielerei 
der  Pharaoschlangen  benutzt  wird.  Ehodansilber  AgSCN  ist  ein  weisser 
käsiger  Niederschlag,  der  in  Wasser  und  verdünnten  Säuren  unlöslich 
ist;  auf  seiner  Bildung  beruht  die  VoLHABn'sche  Methode  zur  Silber- 
titrirung*.  —  Die  intensive  blutrothe  Färbung,  die  beim  Vermischen  von 
ßhodankaliumlösung  mit  Eisenchloridlösung  selbst  noch  bei  ausser- 
ordentlich grosser  Verdünnung  eintritt,  und  die  zum  Nachweis  des  Eisen- 
oxyds wie  der  RhodanwasserstoflFsäure  benutzt  wird,  ist  eine  Folge  der 
Bildung  des  Kaliumeisenrhodanids»  Fe(CNS)3.9KCNS  +  4H,0,  das 
in  krystallisirtem  Zustand  dem  Kaliumpermanganat  ähnelt;  durch  wasser- 
haltigen Aether  wird  dieses  Salz  in  seine  beiden  Componenten  zerlegt, 
von  denen  das  Eisenrhodanid  in  Aether  löslich  ist;  daher  lässt  sich  jene 
Färbung  der  wässrigen  Lösung  durch  Schütteln  mit  Aether  entziehen. 

Cyansulfid^  (CN)2S  —  das  Thioanhydrid  der  RhodanwasBentofl&äure  —  kann 
durch  Einwirkung  von  Jodcyan  auf  Kfaodansilber  erhalten  werden,  bildet  farblo«« 
Tafeln,  sublimirt  sehr  leicht  und  löst  sich  in  Wasser  zu  einer  leicht  zersetziichen 
Losung. 

Ester  der  Thiocyansäure  und  Isothlocyansäure.  Während  die 
freie  RhodanwasserstoflFsäure  und. ihre  Salze  —  gleich  der  Blausäure  und 
der  Gyansäure  —  nur  in  je  einer  Form  bekannt  sind,  existiren  wieder 
zwei  Reihen  von  Alkylderivaten,  die  den  beiden   Stammformen: 

N=C-SH  und  NH    C==S 

Thiocyans&nre  Isothiocyansfiure 

entsprechen.  Man  kann  durch  Ausflihrung  von  Spaltungsreactionen  leicht 
beweisen,  dass  in  den  Gliedern  der  einen  Reihe  der  Kohlen wasserstoflfcest 
(R)  an  Schwefel,  in  den  Gliedern  der  anderen  an  Stickstoflf  gebunden  ist : 

I.    X  _C-S.R  II.    R.N-=C=S. 

Man  bezeichnet  die  Verbindungen  der  Formel  I  als  Rhodanide,  indem 
man  das  Radical  N:C-S—  „Rhodan"  nennt 5,  oder  als  Thiocyanate;  die 
Verbindungen  der  Formel  II  nennt  man  Isothiocyanate ,   Thiocarbimide 


^  Clowes,  Ztschr.  Chem.  1866,  190.  —  RCdorff,  Ber.  2,  69  (IS«9). 
«  Ann.  190,  1  (1878).  »  Kbüss  u.  Moraht,  Ber.  22,  2061  (1889). 

*  Lassaigne,  Ann.  eh.  [2]  39,  197  (1828).  —  Linkemakk,  Ann.  120,  36  (1861)- 
—  Schneider,  J.  pr.  [2J  82,  187  (1885). 

»  Berzelius,  Berz.  Jb.  23,  157  (1844). 


Alkylrhodanide.  1017 


oder  gewöhnlich  Senföle,  weil  ein  Glied  dieser  Gruppe  znerst  aus  dem 
Senfsamen  erhalten  wurde  (vgl.  S.  1020  Ällylsenföl). 

Alkylrhodanide  entstehen  durch  Umsetzung  von  Rhodankalium  mit 
ätherschwefelsauren  Salzen  oder  mit  Halogenalkylen: 

CNSK  +  CA- J  =  CN.SCjHa  +  KJ, 

ferner  durch  Einwirkung  von  Chlorcyan  auf  Mercaptide: 

(C,H5.S),Pb  +  2CNC1  =  2C,Hß.S.CN  +  PbCl,. 

Es  sind  Flüssigkeiten,  welche  meist  unzersetzt  sieden  (vgl.  unten),  in 
Wasser  unlöslich  sind  und  lauchartig,  aber  nicht  stechend  riechen. 

Ihre  Constitution  ergiebt  sich  aus  ihren  Umsetzungen.  Nascirender 
Wasserstoff  spaltet  aus  ihnen  Mercaptane  ab  neben  Blausäure,  die  weiter 
zu  Methylamin  reducirt  wird: 

C,HbS.CN  +  6H  =  CA-SH  4-CH,.NH,; 

von  Salpetersäure  werden  sie  zu  Alkylsulfosäuren  oxydirt: 

CsHftS.CN    >-    C,H5.S0,H. 

Durch  diese  Beactionen  entstehen  also  ümsetzungsprodukte,  welche  den 
Schwefel  an  den  Alkylrest  gebunden  enthalten;  mithin  wird  zweifellos 
auch  in  den  Ausgangsprodukten  der  Alkylrest  am  Schwefelatom  haften. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  die  Tendenz  der  Alkylrhodanide,  sich  bei 
höheren  Temperaturen  in  die  isomeren  Senföle  umzulagern.  Methyl- 
rhodanid  CHg-SCN  z.  B.  wird  durch  mehrstündiges  Erhitzen  auf  180® 
bis  185^  grösstentheils  in  Methylsenföl  CHj-NrCS  umgewandelt;  Allyl- 
rhodanid^  geht  schon  bei  einmaligem  Destilliren  in  Ällylsenföl  über  und 
kann  daher  durch  die  obigen  Reactionen  nur  gewonnen  werden,  wenn 
man  Erwärmung  vermeidet.  Diese  Erfahrungen  zeigen,  dass  man  nicht 
berechtigt  ist,  aus  dem  Uebergang  der  cyansauren  Salze  in  Isocyansäure- 
ester  (vgl.  S.  1009,  1012)  für  die  cyansauren  Salze  die  Structurformel 
CO:N-Me^  abzuleiten;  es  wäre  sehr  wohl  möglich,  dass  die  normalen 
Cyansäureester  die  ursprünglichen  Beactionsprodukte  sind,  sich  aber  noch 
viel  leichter,  als  die  Bhodanide,  in  Isoverbindungen  umlagern. 

Methylrhodanid'  CH,S-CN  siedet  bei  ISS«  and  besitzt  bei  0<>  das  spec. 
Gew.  1-088.  —  Aethylrhodanid»  f^Hß-SCN  siedet  bei  141— 142'>  und  besitzt 
bei  0®  das  spec.  Gew.  1033. 

Interessante  Verhältnisse  stellen  sich  ein,  wenn  man  die  Rhodangnippe  in  Säuren 
oder  Ketone  derart  einfuhrt,  dass  sie  zur  Carboxylgruppe  bezw.  Carbonylgruppe  die 


•  BiLLBTEE,  Ber.  8,  464  (1875).  —  Gkblich,  Ann.  178,  84  (1875). 

•  Cahouss,  Ann.  61,  95  (1847).  Compt.  rend.  81,  1163  (1875).  —  Pibbre,  Jb. 
1861,  51.  —  RicHE,  Ann.  92,  357  (1854).  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  13,  1849  (1880); 
18,  2197  (1885).  —  Jambs,  J.  pr.  [2]  36,  459  (1887). 

•  LöwiQ,  Pogg.  67,  101  (1846).  —  Cahottrs,  Ann.  61,  99  (1847).  —  Brüninq, 
Ann.  104,  198  (1857).  —  Ekemeb,  J.  pr.  73,  865  (1858).  —  Sgblaodenhaufen,  Ann. 
eh.  [3]  66,  297  (1859).  —  Jeanjbak,  Ann.  126,  249  (1862).  —  A.  W.  Hofmann,  Ann. 
Snppl.  1,  58  (1861).  Ber.  1,  177,  180,  182  (1869).  —  Dbhn,  Ann.  Suppl.  4,  105 
(1865).  —  BuFF,  Ber.  1,  206  (1869).  —  Glutz,  Ann.  163,  811  (1869).  —  V.  Meyeb, 
Ann.  171,  47  (18T4).  —  James,  J.  pr.  [2]  30,  316  (1884). 


1018  Bhodanessigsäure,  Rkodanaceton. 


a-Stellung  inne  hat;   die  primäreD  Beactionsprodukte  gehen  dann  leicht  in  Derivate 
einer  cjclischen  Stammsubstanz  —  des  Thiazols: 

CH  -— CH 


S  N 

^^ 

—  über.  So  erhftlt  man  aus  Salzen  bezw.  Estern  der  Chloressigsäure  durch  Umsetzung 
mit  Rhodankalium  Salze  bezw.  Ester  der  Bhodanessigsäure'  CHs(S*CN)-CO|H; 
kocht  man  nun  aber  die  Ester  dieser  Säure  mit  starker  Salzsäure,  so  entsteht  die  der 
Rhodanessigsäure  isomere,  sogenannte  „Senfolessigsäure",  welche  die  Ck>nstitution: 

CHj — CO 

I  I 

S  NH 


O 


besitzt.     Durch  Erwärmen  von  Chloressigsäure  in   wässriger   Lösung  mit  Bhodan- 
ammonium  wird  die  Rhodaninsäure : 

CHj — CO 

I  I 

S  NH 


)S 

gebildet.  —  Durch  Umsetzung  von  Chloraceton  mit  Rhodanbarium  kann  man  Rh  od  an - 
aceton*  CH^CS'CNj'CO-CHs  gewinnen,  welches  sich  durch  Digestion  mit  Alkali- 
carbonat  theilweise  in  Methyloxjthiazol: 

CHj— CO-CFI, 


C&-C-CH, 

1         1 

1         1 
S        N 

"^C^OH 

S        X  )- 

umlagert    Näheres  über  die  so  entstehenden  Thiazolderivate  vgl.  Bd.  U. 

AlkylisotUoeyanate  (Alkjlthiocarbimide)  oder  SenfOle  können, 
wie  schon  S.  238  angegeben  ist,  leicht  aus  den  primären  Aminen  ge- 
wonnen werden;  man  erhält  durch  Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff 
auf  die  gekühlte,  ätherische  Lösung ^  der  Amine  zunächst  Salze  der 
Alkyldithiocarbaminsäuren : 


CS,  +  2NH,.C,H,  = 


C^ 


^NH-CH. 
SH.NHj.CHs' 


welche  nun  bei  Behandlung  mit  Schwermetallsalzen  —  gewöhnlich  wird 
Quecksilberchlorid  angewendet  —  Schwefelwasserstoff  abgeben  und  Senf51e 
liefern*: 


»  Heintz,  Ann.  136,  228  (1865).  —  Claesson,  Ber.  10,  1346  (1877);  14,  732  (1881). 
—  MioLATi,  Ber.  200,  324  (1898). 

"  Hellon  u.  Tsgherniak,  Ber.  16,  349  (1888).  —  Hamtzsch  u.  Websb,  Ber.  20, 
3127  (1887).  —  Arapides,  Ann.  249,  18  (1888).  —  Tschebniak,  Ber.  25,  2607,  262K 
3648  (1892).  —  Hantzsch,  ebenda,  3282. 

»  Vgl.  RuDNEW,  Ber.  12,  1023  (1879).  —  Hecht,  Ber.  23,  282  (1890). 

*  A.  W.  Hofmann,  Ber.  1,  170  (1868). 


Senfök.  1019 

Nsh.nhcä 

auch  durch  Einwirkung  von  alkoholischer  Jodlösung  können  jene  thio- 
earbaminsauren  Salze  in  Senföle  übergeführt  werden^. 

Dass  Senföle  aus  den  isomeren  Rhodanäthern  durch  ümlagerung 
entstehen  können,  ist  schon  S.  1017  erwähnt. 

Aus  den  entsprechend  constituirten  SauerstoflFverbindungen  —  den 
Isocyansäureestern  (S.  1012)  —  können  sie  endlich  durch  Erhitzen  mit 
Schwefelphosphor  erhalten  werden^. 

Die  Senföle  sind  farblose  Flüssigkeiten,  welche  unzersetzt  sieden, 
stechend  riechen,  auf  der  Hand  Blasen  ziehen  und  in  Wasser  unlöslich 
sind.  Dass  sie  den  Kohlenwasserstoffrest  an  Stickstoff  gebunden  enthalten, 
wird  durch  ihre  Bildung  aus  Aminen,  wie  auch  durch  ihre  Umwand- 
lungen sicher  gestellt. 

Mit  concentrirter  Schwefelsäure  mischen  sie  sich  unter  Wärme- 
entwickelung, worauf  Spaltung  in  ein  Amin  und  Eohlenoxysulfid  eintritt: 

CHsNiCS  +  H,0  =  CjHs.NH,  +  COS; 

beim  Erhitzen  mit  Wasser  oder  wässrigen  Säuren  werden  sie  in  Amin, 
Kohlensäure  uüd  Schwefelwasserstoff  zerlegt. 

Durch  Reduction  mit  nascirendem  Wasserstoff  werden  primäre  Amine 
neben  Thioformaldehyd ,  der  sich  zu  seiner  trimolecularen  Modification 
(vgl.  S.  423)  polymerisirt,  gebildet: 

CÄN-.CS  +  4H  =  CjHgNH,  +  CH,S. 

Bemerkenswerth  ist  das  Additionsvermögen  der  Senföle;  namentlich 
mit  Ammoniak  und  Aminen  vereinigen  sie  sich  äusserst  leicht  zu  Sub- 
stitutionsprodukten des  Thiohamstoffs  CS(NH2)3: 

NHCsH« 

.NH.CjHj 
CS  :  NCjHs  +  NHj.CjHs  =  CS< 

^NH.CjHj 

Beim  Erhitzen  mit  Alkoholen  ^  fixiren  sie  Alkohol  unter  Bildung  von 
Thiocarbaminsäureestern  (Thiourethanen) : 

/NH.C,H5 
CS:N.CjH6  +  0H.C,Hö  =  CS< 

^O-CA 

Eine  Polymerisation  der  Senföle  scheint  durch  Erhitzen  mit  Kalium- 
acetat  möglich  zu  sein*. 


>  A.  W,  HoPMAMN,  Ber.  2,  452  (1869).  —  Vgl.  Rüdneff,  Ber.  11,  987  (1878). 
*  Michael  u.  Palmeb,  Ber.  18  o,  72  (1885). 
»  A.  W.  HoniAÄN,  Ber.  2,  116  (1869). 
^  A.  W.  HoPMAKH,  Ber.  25,  876  (1892). 


CSiNCsHs  +  NHj  =  es/ 


1020  Butylsenfol,  ÄllylsenföL 


Die  Tabelle  Nr.  44  auf  S.  1021  giebt  eine  Uebersicht  über  die 
physikalischen  Eigenschaften  der  aliphatischen  Senfole.  Von  den  einzelnen 
Gliedern  hervorzuheben  ist  das  secundäre  Butylsenfol  (C^Hg^CH,) 
CH — N— CS,  welches  im  Löflfelkrautöl  sich  findet,  und  namentlich 
das  Allylsenföl  CH^rCH-CHj-NrCS,  welches  das  zuerst  bekannt  ge- 
wordene, bestuntersuchte  Glied  der  Reihe  ist  und  der  ganzen  Gruppe 
den  Namen  gegeben  hat.  Man  erhält  das  Allylsenf&l,  wenn  man  schwarzen 
Senfsamen  mit  Wasser  anrührt  und  nach  einiger  Zeit  destillirt;  das 
Senfol  ist  in  dem  Samen  nicht  frei  vorhanden,  sondern  in  Form  eines 
Glucosids  —  des  myronsauren  Kaliums;  gleichzeitig  findet  sich  im  Senf- 
samen ein  Ferment  —  Myrosin  — ,  welches  nach  dem  Einweichen  mit 
Wasser  die  Spaltung  jenes  Glucosids  in  Allylsenföl,  Zucker  und  Kalium- 
hydrosulfat: 

C»oH,sNS,OjoK  =   CsH^NrCS  +  C.H„Oe  +  KHSO4 

bewirkt;  auch  aus  einigen  anderen  Vegetabilien  —  z.  B.  Meenettig  — 
erhält  man  in  analoger  Weise  Allylsenföl. 

Cyanamid  CN^H^.  Ersetzt  man  in  der  Formel  der  normalen  Cyan- 
Bäure  (S.  1009)  die  Hydroxylgruppe  durch  die  Amidgruppe,  so  resultirt 
die  Formel  einer  Verbindung,  deren  Molecül  durch  die  Vereinigifng  der 
Cyangruppe  mit  der  Amidgruppe  zu  Stande  kommt: 


c^  er 


CyaDfiäure  Cyanamid 

von  der  Isocyansäureformel  gelangt  man  nach  Austausch  des  Sauerstoff- 
atoms gegen  die  Imidgruppe  zu  der  Formel  eines  „Carbodiimids" : 

.0  ^NH 


NH  ^NH 

Isocyansäure  Carbodiimid 

Wir  kennen  nur  eine  Verbindung,  die  in  derartigem  Verhältniss  zu  der 
Cyansäure  steht;  alle  ihre  chemischen  Beziehungen  können  in  befriedi- 
gender Weise  durch  die  Formel  des  Cyanamids  erklärt  werden. 

Cyanamid  wird  am  besten  dargestellt^  durch  Entschwefelung  einer 
wässrigen  Lösung  von  Thioharnstoff  mit  frisch  gefälltem,  sorgfältig  aas- 
gewaschenem Quecksilberoxyd  bei  Gegenwart  geringer  Mengen  von  Rho- 
danammonium,  welch'  letzteres  das  Quecksilberoxyd  in  Form  von 
Doppelrhodaniden  auflöst  und  daher  wirksamer  macht: 

CS<  -  H,8  =  Cf 


*  Baumank,  Ber.  6,  1376  (1873).  —  Volhard,  J.  pr.  [2]  9,  25  (1874).  —  Dubchsel, 
J.  pr.  [2]  11,  286  (1875);  21,  78  (1880).  —  Pbatomus-Seidlbr,  J.  pr.  [2]  21,  129  (1880). 
Tbaube,  Ber.  18,  461  (1885). 


Tabellarische  Zitsammensteüung  von  cUipkcUiscken  Senßlen.         1021 


Tabelle  Nr.  44. 


Name  des  Senfols 


II 


MethylsenföP 

AethylsenfÖP-«" 

Propylsenföl ' 

Isopropylsenföl  * 

Allylsenföl»-«-"-'^»»-"  .  . 
Norm.  Buty Isenföl "«  .  .  .  . 

Isobntylsenfol »°" 

See,  Butylsenfbl  •<> 

Tert.  ButylsenfSl" 

Tert  Amylsenföl" 

Nonn.  prim.  Hexylsenföl" 
Norm.  sec.  Hexylsenfol  *•  . 

Norm.  sec.  Octylsenfol*  .  . 

Norm.  Septdecylsenföl**  .  . 


Structur  des  mit  dem 
Reste  — N:CS  ver- 
bundenen Kadicals 

CH,- 
I  CHj'CHa — 
CjHß  •  CH, — 
(CH,).CH- 
CH,:CHCH,— 
CgH5  •  eil}  •  CHj — 
(CH3),CH.CH,- 
(C2H5XCH8)CH — 
(CH.),C- 
(CH,),(C,H,)C— 
CH,(CH,).CH,- 
(C4H,XCH.)CH-  p) 

(C.H„XCH^H- 

CHj«(CHj)ig — 


Schmelz- 
punkt 

4-  340 


+  10-5« 


Siede- 
punkt 

1190 
133<> 
158« 
1870 
150  <» 
1670 
162« 
159.50 
1420 
1660 
2120 
199—2000 

232—2330 


Spec. 
Gewicht 


+  32 


1-019(00) 
0.991(00) 

1-028(00) 

0.964(14«) 
0.944(12^0 
O.919(15<0 


0  •  925 


Citate  zu  der  Tabelle  Nr.  44:  »  A.  W.  Hofmauh,  Her.  1,  26,  169  (1868).  — 
•  BuPF,  ebenda,  206.  —  *  Hecht,  Ber.  23,  288  (1890).  —  *  Jahn,  Ber.  8,  804  (1875). 
Monatah.  3,  168,  173  (1882).  —  *  Büssy,  Ann.  34,  223  (1840).  —  «  Hübatka,  Ann. 
47,  153  (1843).  —  ^  Wbetheim,  Ann.  52,  52  (1844);  65,  297  (1845)  —  «  Pless,  Ann. 
68,  86  (1846).  —  »  ZmiN,  Ann.  96,  128  (1855).  —  "  Bebthelot  u.  Lüca,  Ann.  97, 
126  (1856).  —  "  Will  u.  Kobbneb,  Ann.  125,  257  (1862).  —  "  Gerlich,  Ann.  178, 
89  (1875).  —  "  Oeseb,  Ann.  134,  7  (1865).  —  "  Rathke,  Ann.  167,  218  (1873).  — 
"  Volbath,  Jb.  1871,  408.  —  "  Henry,  Bull.  7,  87  (1867).  —  "  E.  Schmidt,  Ber. 
10,  187  (1877).  —  "  R.  ScHiFP,  Ber.  14,  2767  (1881).  —  *•  Kopp,  Ann.  98,  375  (1856). 

—  «0  j^  ^  Hopmann,  Ber.  2,  102  (1864);  7,  508  (1874).  —  "  Reimer,  Ber.  3,  757 
(1870).  —  "  RuDNEPF,  Ber.  11,  988  (1878);  12,  1023  (1879).  —  "  Frentzel,  Ber.  16, 
746  (1883).  —  "  Ufpenkamp,  Ber.  8,  55  (1875).  —  "  Schlicht,  Landwirthsch.  Ver- 
suehs-Stationen  41,  175  (1892).  —  "  Ttjrpin,  Ber.  21,  2490  (1888). 

Es  bildet  sich  auch  in  vielen  anderen  Processen,  z.  B.  durch  Einwirkung 
von  Chlorcyan  auf  Ammoniak^: 

CNCl  +  NH,  =  CNNH,  +  HCl, 

beim  üeberleiten  von  Kohlensäure  über  erhitztes  Natriumamid  ^,  beim  Er- 
hitzen von  HarnstoflF  oder  Ammoniumcarbonat  mit  metallischem  Natrium*. 

—  Es  stellt  eine  farblose,  zerfliessliche,  krystallinische  Masse  dar,  schmilzt 
bei   40^,   ist  in  Wasser,   Alkohol   und  Aether  leicht  löslich.   —    Seine 


*  Olobz  u.  Cannizzaro,  Ann.  78,  229  (1851). 

"  Beilstein  u.  Geuther,  Ann.  108,  93  (1858).  —  Drechsel,  J.  pr.  [2]  16,  201  (1.S77). 

*  Fenton,    Joum.   Soc.  41,    262    (1882).     —     Vgl.    auch    Emich,    Monatsh.  10, 
321  (1889). 


1022  Cyanamid,  seine  Metallverbindun^en 


beiden  Wasserstoffatome  sind  durch  Metallatome  vertretbar^;  so  erhält 
man  beim  Zusammenbringen  von  Cyanamidlösung  mit  ammoniakalischer 
Silbemitratlösung  einen  gelben  amorphen  Niederschlag  des  in  Wasser 
nicht,  in  Ammoniak  wenig  löslichen  Silbercyanamids*  CNgAg,;  da 
dieses  Silbersalz  durch  Einwirkung  von  Jodäthyl  in  ein  Diäthylcyanamid 
tibergeht 3,  dem  zweifellos  die  Formel  CN-N(C3Hg)a  zukommt  (vgl.  S.i023), 
so  schreibt  man  ihm  selbst  in  der  Begel  die  analoge  Structur 

N^C— NAg, 

zu,  obgleich  der  Eintritt  je  eines  Metallatoms  in  je  eine  Imidgruppe: 

AgN-=C— N-Ag 

wohl  für  wahrscheinlicher  gehalten  werden  muss,  als  der  Eintritt  zweier 
Metallatome  in  eine  Amidgruppe.  —  Mit  Chlorwasserstoff*  vereinigt  sich 
Cyanamid  in  ätherischer  Lösung  zu  der  Verbindung  CNJH3.2HCI. 

Das  Cyanamid  ist,  wie  alle  Cyanverbindungen,  leicht  zu  Additions- 
reactionen  bereit.  Bei  der  Einwirkung  von  Säuren  geht  es  durch  Wasser- 
aufhahme  in  Harnstoff  über: 

N  .NH, 

+  H,0  =    C0<  ; 

mit  Schwefelwasserstoff  vereinigt  es  sich  zu  Thioharnstoff,  mit  Ammoniak 
(beim  Erhitzen  mit  Salmiak)  zu  Guanidin  (vgl.  S.  1067).  Beim  Aufbe- 
wahren oder  beim  Abdampfen  seiner  wässrigen  Lösung  —  namentlich 
rasch  bei  Gegenwart  von  etwas  Ammoniak  —  polymerisirt  es  sich*  zu 
Cyanguanidin  (Dicyandiamid,  vgl.  S.  1069): 

^N  /NH-GN 

2Cf  =  Ct=NH 

\NHs  ^NHj 

Die  Monalkylderivate*  des  Cyanamids  CNsHR  entstehen  darch  EinwirkuDg 
von  Chlorcyan  auf  primäre  Amine  und  durch  Entschwefelung  von  monaikylirten  Thio- 
harnstoffen;  sie  gehen  beim  Eindampfen  ihrer  wässrigen  Lösungen  in  trimolecukre 
Modificationen  —  alkylirte  Melamine,  vgl.  S.  1033—1084  —  über.  Welche  der  beiden 
möglichen  Formeln: 

Cf  c/ 

\NHR  ^NR 

ihnen  zukommt,  ist  zweifelhaft. 

Dialkylirte  Cyanamide'  der  allgemeinen  Formel  CN-NR,  entstehen  durch 


1  Drechbel,  J.  pr.  [2]  11,  307  (1875), 

*  Mulder,  Ber.  6,  656  (1873). 

*  FiLETf  u.  R.  Scmpp,  Ber.  10,  428  (1877). 

*  MüLDER  u.  Smit,  Ber.  7,  1634  (1874).    —    Dbechsel,  J.  pr.  [2]  U,  314  (18T51 
'^  Beilstein  u.  Geütheb,  Ann.  123,  241  (1862). 

*  Cloez  u.  Gannizzaro,  Ann.  90,   95  (1854).  —  A.  W.  Hopmann,  Ber.  8,  265 
(1870).  —  Baxtmann,  Ber.  6,  1372  (1873).  —  ClaSsson,  Ber.  I80,  499  (1885). 

^  ScHiPF  u.  FiLETi,  Ber.  10,  427  (1877).  —  Berg,  Bull.  [3]  7,  547  (1892).  Gompt 
rend.  114,  484  (1892);  116,  327  (1893).  —  Chancel,  Compt  rend.  116,  329  (18931 


und  Alkylderivate,  1023 


Einwirkang  von  Cyankaliam  auf  die  Halogenderivate  der  secundfiren  Amine  (vgl. 
S.  240),  z.B.: 

KCN  +  C1N(C5Hh)3  =  KCl  +  CN  •  N(C,H„), 

und  durch  Einwirkung  von  nascirendem  Bromcyau  auf  secundäre  Amine.  Derselben 
Gruppe  gehört  auch  das  DiSthjlcyanamid  an,  welches  aus  Cyanamidsilber  (S.  1022) 
durch  Einwirkung  von  Jodftthyl  entsteht,  da  es  bei  der  Spaltung  mit  Säuren  Diäthyl- 
amin  liefert.  —  Von  disubstituirten  Carbodiimiden  der  allgemeinen  Formel 
C(:NB),  ist  in  der  Fettreibe  bisher  nur  das  Dipropylcarbodiimid'  0(:N»C,H7)j 
bekannt,  welches  durch  Entschwefelung  von  symmetrischen  Dipropylsulfbhamstoff 
GS(NH-CsH7),  mittelst  Quecksilberoxyd  erhalten  ist. 


Bei  der  SchilderuDg  der  Cyansäuregruppe  ist  mehrfach  darauf  hin- 
gewiesen worden,  dass  es  bisher  nicht  gelungen  ist,  gewisse  Verbindungen 
in  isomeren  Formen  darzustellen,  deren  Existenzmöglichkeit  man  auf 
Grund  der  Kenntniss  von  isomeren  Derivaten  vermuthen  sollte.  Wenn 
es  wahrscheinlich  zwei  Reihen  von  Cyansäureestem : 

O.R  "^O 

wenn  es  mit  Sicherheit  zwei  Reihen  von  Thiocyansäureestern : 


< 


CC 


R  ^S 

zwei  Reihen  von  Alkylcyaniden : 

R-C=N  R=N=c/  , 

wenn  es  neben  dialkylirten  Cyanamiden  auch  dialkylirte  Carbodiimide: 

:N.R 


c/ 

giebt,  so  muss  es  höchst  auffallend  erscheinen,  dass  jedem  Paar  dieser 
isomeren  Verbindungsreihen  nur  eine  Stammform  entspricht,  dass  die 
WasserstoflFverbindungen  bisher  nicht  in  entsprechender  Zahl  erhalten 
worden  sind,  wie  die  Alkylverbindungen. 

Solche  Erscheinungen  treten  in  der  Cyangruppe  gerade  besonders 
zahlreich  auf;  aber  sie  sind  keineswegs  auf  diese  Gruppe  beschränkt, 
begegnen  uns  vielmehr  auch  in  anderen  Verbindungsklassen  sehr  häufig. 
So  sei  daran  erinnert,  dass  wir  Imidoäther  und  alkylirte  Säureamide 
kennen : 

<NH  /NHR»  /NR,» 

denen  wir  als  Stammform  lediglich  die  Säureamide  gegenüber  stellen 
können,  dass  sich  vom  Acetessigester  Derivate  zweierlei  Art 

CH, .  C=::CH .  COi  •  C.Hj  CH,  •  C—CHR  •  CO,  •  C^H« 

OR  0 


^  Chancel,  Compt  rend.  116.  329  (1898). 


1 024  Tautomerie ; 


ableiten,  während  wir  für  die  Sonderezistenz  ihrer  Stammformen  — 
Oxycrotonsäureester  und  wahrer  Acetessigester  —  nicht  die  geringsten 
Anzeichen  besitzen. 

Wo  wir  diese  eigenthümliche  Erscheinung  antreffen,  macht  es  in  der 
Regel  Schwierigkeiten,  für  die  uns  allein  bekannte  Stammverbindung  eine 
bestimmte  Constitutionsformel  abzuleiten.  Denn  diese  Substanz  vereinigt 
meist  die  Charaktere  der  beiden  Verbindungsreihen,  die  nach  dem  Er- 
satz des  Wasserstoffatoms  durch  Badicale  sich  als  neben  einander  be- 
stehend erweisen;  sie  zeigt  eine  chemische  Doppelnatur;  man  bleibt 
bei  ihrem  Studium  stets  schwankend  zwischen  zwei  Formeln,  welche  in 
einander  durch  Verschiebung  einer  mehrfachen  Bindung  und  durch  den 
Platzwechsel  eines  Wasserstoffatoms  verwandelt  werden  können: 

N  xNH 

\  ^       ^      ' 

^CH  •  COj  •  Cj  H5  /CHj  •  COj  •  CfH^ 

ihre  Bildungsweisen  und  ihre  Umsetzungen  deuten  bald  auf  die  eine, 
bald  auf  die  andere  Formel  hin. 

Zur  Erklärung  dieser  Verhältnisse  hat  man  die  Hypothese  auf- 
gestellt, dass  solche  Wasserstoffverbindungen  überhaupt  nicht  eine  be- 
stimmte Constitution  besitzen,  dass  ihre  Molecüle  in  einem  Augenblicke 
die  eine,  im  nächsten  die  andere  Gruppirung  annehmen,  dann  wieder  in 
die  erste  zurückkehren  und  sich  sonach  dauernd  in  einem  schwingungs- 
artigen Umwandlungsprozess  befinden,  der  durch  die  grosse  Beweglich- 
keit der  Wasserstoffatome  ermöglicht  wird  ^.  Die  gegenseitige  Beziehung 
derartiger  Structurformeln ,  welche  demnach  zwei  entgegengesetzte  Be- 
wegungszustände  eines  und  desselben  Molecüls  darstellen  würden,  wird 
durch  den  Ausdruck  „Tautomcrie^^  bezeichnet;  Verbindungen,  welche 
im  Sinne  zweier  Formeln  zu  reagiren  vermögen,  werden  häufig  „tau- 
tomer^*  genannt. 

Jene  Hypothese  ist  indess  wohl  nur  von  Wenigen  angenommen. 
Allgemeiner  verbreitet  ist  die  Ansicht,  dass  solchen  doppeldeutigen  Ver- 
bindungen wohl  eine  bestimmte  Atomgruppirung  entspricht,  die  aber  bei 
gewissen  ßeactionen  in  die  isomere  Atomgruppirung  tibergeht.  Man 
nimmt  an,  von  den  beiden  isomeren  Atomgruppirungen  sei  die  eine  an 
Stabilität  der  anderen  derart  überlegen,  dass  wir  bei  allen  Bildungs- 
processen  immer  nur  die  der  stabilen  Gruppirung  entsprechende  Sub- 
stanz erhalten;  unterwerfen  wir  nun  diese  Substanz  wieder  ümwandlungs- 

*  BüTLEuow,  Ann.  189,  77  (1877).  —  C.  Laar,  Ber.  18,  648  (1885);  19,  730(18861. 


Ps&udo formen ;  Desmotropie.  1025 


reactionen,  so  kann  sie  zwar  einerseits  im  Sinne  der  ihr  wirklich 
zukommenden  Constitutionsformel  reagireu;  andererseits  ist  es  aber  auch 
möglich,  dass  diejenige  Atomgruppirung,  welche  für  die  chemisch  un- 
thätige  Substanz  die  labilere  ist,  im  Augenblick  der  Beaction  unter  den 
veränderten  Bedingungen  die  stabilere  wird,  und  dass  daher  die  Reaction 
im  Sinne  der  labilen  Form  oder  „Pseudoform"  ^  verläuft. 

In  jedem  Fall  muss  die  Erscheinung  als  Folge  einer  Veränderlich- 
keit in  der  Bindungsweise  einzelner  Atome  aufgefasst  werden.  Man 
drückt  dies  durch  die  Bezeichnung:  ^^Desmotropie^'^  aus  (abgeleitet 
von  SBdfiög  =  Band,  Bindung  und  r^ensiv  =  verändern)  und  nennt 
Atomgruppirungen,  die  durch  einen  Bindungswechsel  leicht  in  einander 
übergehen,  „desmotrop^^. 

Betrachtet  man  unsere  Structurformeln  als  ümsetzungsformeln,  so 
braucht  man  sich  mit  einer  Auswahl  zwischen  den  beiden  desmotropen 
Formeln  doppeldeutiger  Verbindung  nicht  zu  befassen;  man  kann  sie 
beide  als  gleichberechtigt  neben  einander  gebrauchen^  und  hat  nur  für 
die  einzelnen  Umsetzungen  festzustellen,  unter  welchen  Verhältnissen  die 
eine  oder  die  andere  Form  den  Verlauf  der  Beaction  bestimmt*. 

Die  wahre  Constitution  der  desmotrop  reagirenden  Verbindungen 
—  d.  h,  die  Atomgruppirung,  welche  der  uns  bekannten,  durch  bestimmte 
physikalische  Eigenschaften  charakterisirten  Substanz  im  Zustand  der 
chemischen  Unthätigkeit  zukommt,  —  kann  aus  ihrem  chemischen  Ver- 
halten kaum  erschlossen  werden*-^.  Das  Studium  ihrer  physikalischen 
Eigenschafben  könnte  uns  sicherere  Aufschlüsse  geben;  allein  nur  in 
wenigen  Fällen  kann  man  bisher  die  Beeinflussung  der  physikalischen 
Constanten  durch  die  in  Betracht  kommenden  Constitutionsverschieden- 
heiten  mit  genügender  Bestimmtheit  beurtheilen,  um  die  physikalische 
Methode  mit  Erfolg  auf  Probleme  dieser  Art  anwenden  zu  können. 

Enallsäure. 

Im  Anschlnss  an  die  Cyansäuregruppe  muss  eine  Säure  besprochen 
werden,  deren  Constitution  trotz  vielfacher  Bearbeitung  noch  nicht  klar- 
gelegt ist,  — die  Enallsäure.  Mit  der  Gyansäure  kann  diese  merkwürdige 
Verbindung,  welche  in  freiem  Zustand  ihrer  Unbeständigkeit  wegen  nicht 
isolirt®,  wohl  aber  in  Form  von  Salzen  bekannt  ist,  einerseits  durch  ihre 
empirische  Zusammensetzung  —  ihre  Salze  sind  den  Gyanaten  procentisch 


*  V.  Baeteb,  Ber.  16,  2189  (1883). 

'  P.  Jacobson,  Ber.  20,  1732  Anm.  (1887);  21,  2628  Anm.  (1888).  —  Michael 
(J.  pr.  [2]  46,  581  Anm.;  46,  207  [1892])  schlägt  neuerdings  die  Bezeichnung  „Mero- 
tropie"  vor. 

»Kathie,  Ber.  18,  3110  (1885);  20,  1057  (1887).  —  Bambeeger,  Ber.  20, 
1868  (1890). 

*  Vgl.  Michael,  J.  pr.  [2]  42,  19  (1890). 

'  Vgl.  GoLDflCHMiDT  u.  Meissler^  Bcr.  23,  253  (1890). 

*  Vgl.  ScHOLViEK,  J.  pr.  [21  32,  461  (1885). 

V.  Mbtxr  u.  Jaoobsom  t  org.  Chem.    I.  6«^ 


1026  Knaüsäure, 


gleich  zusammengesetzt  —  in  Beziehung  gebracht  werden;  andererseits 
deuten  ihre  Umsetzungen  darauf  hin,  dass  sie  auch  durch  ihre  Constitu- 
tion der  Cyansäuregruppe  nahe  steht. 

Im  Jahre  1800  wurde  das  Quecksilbersalz  dieser  Säure  —  das 
Knallquecksilber  —  von  Howabd  entdeckt;  1823  stellte  Liebig ^  fest, 
dass  das  entsprechende  Silbersalz  —  das  Enallsilber  —  die  gleichen 
Analysenzahlen,  wie  das  cyansaure  Silber,  liefert,  —  ein  ftb-  jene  Zeit 
höchst  überraschender  Befund,  der  zunächst  manchen  Zweifeln  begegnete. 
Es  war  dies  die  erste  Thatsache,  welche  erkennen  Hess,  dass  Körper 
Ton  durchaus  verschiedenen  Eigenschaften  procentisch  ebenso  zusammen- 
gesetzt sein  können;  bald  reihten  sich  ähnliche  Thatsachen  an,  und  das 
Wort  „Isomerie**  (vgl.  Traubensäure  S.  807)  wurde  von  Bebzeuus  als 
Ausdruck  dieser  Erscheinung,  welche  mit  zwingender  Nothwendigkeit  die 
Aufstellung  von  Theorien  über  die  Atomlagerung  innerhalb  der  Molecüle 
forderte,  eingeführt. 

Heute  fasst  man  die  Knallsänre  nicht  als  ein  Isomeres  der  Cyan* 
säure  auf,  sondern  als  Polymeres;  man  giebt  der  hypothetischen  freien 
Säure  die  Molecularformel  C3H3N303(=  2HCN0)  und  formulirt  dem- 
gemäss  ihre  Salze:  CjHgN^Oj,  CgAg^NjOg  etc.  Diese  Auffassung  wird 
durch  manche  Reactionen  der  knallsauren  Salze  und  durch  ihre  Ent- 
stehung aus  Aethylalkohol  —  einer  Verbindung  des  Zweikohlenstoffcom- 
plexes  —  nahe  gelegt,  gründet  sich  indess  keineswegs  auf  physikalische 
Moleculargewichtsbestimmungen;  die  Darstellung  von  Estern  der  Kjiall- 
säure,  welche  eine  Anwendung  der  physikalischen  Methoden  zur  Er- 
mittelung des  Moleculargewichts  zulassen  könnten,  ist  nicht  gelungen; 
die  Molecularformel  der  Knallsäure  kann  daher  auch  noch  nicht  als 
sicher  feststehend  betrachtet  werden. 

Enallquecksllber  ^  C^EgN^O^  wird  gewonnen,  indem  man  eine  Lösung 
von  Quecksilber  in  überschüssiger  Salpetersäure  zu  Alkohol  hinzufiigt; 
man  führt  die  Operation  im  Freien  oder  am  offenen  Fenster  aus  und 
sorgt  dafür,  dass  keine  Gasflammen  in  der  Nähe  brennen,  mit  denen  die 
reichlich  sich  entwickelnden  Dämpfe  in  Berührung  kommen  könnten; 
im  Laufe  der  stürmisch  sich  abspielenden  Beaction,  die  durch  Einhaltung 
gewisser  Vorsichtsmassregeln  indess  gefahrlos  gemacht  werden  kann,  und 
während   des  Erkaltens   setzt   sich   das   Knallquecksilber   allmählich  in 


^  LiEBio,  Ann.  eh.  [2]  24,  294  (1828).  —  LiEBia  u.  Gay-Litssac,  ebenda  85, 
285  (1824). 

'  LiEBio,  Ann.  95,  284  (1855).  —  Schischkow,  Ann.  07,  53  (1855).  —  KjBcm.^, 
Ann.  101,  200  (1856).  —  Sohischkow,  Ann.  Suppl.  1,  104  (1861).  —  Steiheb,  Ber.  8, 
518,  1177  (1875);  0,  779  (1876);  16,  1488,  2419  (1883).  —  CABSTAifJBK  u.  Ehbbxbbbg, 
J.  pr.  [2]  25,  232  (1882).  —  Ehbenbebq,  J.  pr.  [2]  30,  38  (1884).  —  Divebs  o. 
Eawaeita,  Journ.  Soc.  45,  13  (1883);  47,  69  (1884).  —  Abmstbonq,  Jonm.  Soc.  46. 
25  (1883);  47,  77  (1884).  —  Begemank,  Her.  19,  998  (1886).  —  Lobet  de  Bbufk. 
ebenda,  1370.  —  Holleman,  Rec.  trav.  chim.  10,  65  (1891).  —  Scholl,  Ber.  23,  a505 
(1890);  24,  581  (1891). 


Knallgiieeksilber  (QueeksüberfulmincU).  1027 


weissen  Kryställchen  ab.  Aus  Wasser  krystallisirt,  besitzt  es  die  Zu- 
sammensetzung CjHgNjOg  +  YaHjO;  in  kaltem  Wasser  ist  es  sehr  wenig, 
in  heissem  leichter  löslich.  Trockenes  Knallquecksilber  explodirt  durch 
Stoss  und  Schlag,  auch  beim  Erhitzen  mit  grösster  Heftigkeit.  Das 
Knallquecksilber  erleidet  als  Sprengmittel  —  wenn  auch  in  kleineren 
Mengen  —  eine  ausgedehnte  Anwendung;  man  benutzt  es  als  Explosions- 
erreger für  grössere  Mengen  anderer  Sprengstoffe  (vgl.  Dynamit  S.  600); 
eine  Mischung  von  Knallquecksilber  mit  Salpeter  oder  anderen  Zusätzen 
dient  zur  Füllung  der  Zündhütchen. 

Die  nahen  Beziehungen  der  Knallsäure  zu  der  Cyansäure  erhellen 
daraus,  dass  bei  der  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  Knallqueck- 
silber  Rhodanammonium  gebildet  wird,  bei  der  Einwirkung  von  Acetyl- 
chlorid  als  Hauptprodukt  Acetyüsocyanat  (vgl.  S.  1013)  entsteht. 

Für  die  Beurtheilung  der  Frage,  in  welcher  Form  die  Knallsäure 
den  Stickstoff  gebunden  enthält,  ist  die  Thatsache  besonders  wichtig, 
dass  bei  der  Zersetzung  des  Knallquecksilbers  durch  wässrige  Salzsäure 
der  Stickstoff  quantitativ  als  Hydroxylamin  austritt,  während  anderer- 
seits als  kohlenstoffhaltiges  Spaltungsprodukt  Ameisensäure  gebildet  wird. 
Man  wird  durch  diese  Zersetzung  zu  der  Annahme  geführt,  die  Knall- 
säure stehe  in  naher  Beziehung  zu  der  Gruppe  der  Oxime. 

Andererseits  weiss  man  aber  auch,  dass  viele  Nitroverbindungen  der 
Fettreihe  ihren  Stickstoff  als  Hydroxylamin  abspalten  können  (vgl.  S.  256 
bis  257),  und  einige  Umsetzungen  des  Knallquecksilbers  legen  wiederum 
die  Annahme  nahe,  man  habe  es  mit  einem  Nitroderivat  zu  thun.  Bei 
der  Einwirkung  von  Chlor  auf  Knallquecksilber  in  Gegenwart  von  Wasser 
entsteht  nämlich  Chlorpikrin  (S.  624)  neben  anderen  Substanzen;  bei 
der  Einwirkung  von  Brom  auf  trockenes  KnaUquecksilber  wird  eine  bei 
50^  schmelzende,  mit  Wasserdampf  leicht  flüchtige  Substanz  erhalten, 
welche  Dibromnitroacetonitril  CBr3(N02)-CN  zu  sein  scheint. 

Es  waren  die  letzterwähnten  Reactionen,  welche  früher  zur  Auf- 
fassung der  Knallsäure  als  Nitroacetonitril: 

C=N 

I  (Kekul6) 

CH,— NO, 

führten.     Gegenwärtig  bevorzugt  man  Formeln,  wie 

C:=N.OH  \c<f 

I,  (Steiner)  OH— N<       >N— OH   (Scholl), 

Cr^N-OH  yc/ 

welche  die  Knallsäure  als  dimoleculare  Modification  des  dem  Kohlenoxyd 
entsprechenden  Oxims: 

^>C=:N.OH 


> 


erseheinen  lassen.  Es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  dieses  denkbar  ein- 
fachste Oxim  entsprechend  der  Knallsäure  als  Spaltungsprodukte  Ameisen- 
säure und  Hydroxylamin  geben  muss: 

65* 


1028  Fulminate.     MUminursäure. 


Nc^N-OH  +  2H,0  =        \c=0  +  HsN-OH , 

sowie  dass  es  durch  einen  Bindungswechsel  leicht  die  Atomgruppirung 
der  Cyansäure  annehmen  kann;  auch  der  üebergang  in  Nitroverbindungen 
lässt  sich,  wenn  man  von  der  dimolecularen  Formel  ausgeht,  durch 
Verschiebung  der  Wasserstoffatome  verstehen: 

C^NOH  CH=N.O  CH,— N-0 


I  I  >-  I  \1     (HOLLEIIAN). 

CH^NO  (feiN        0 


Andere  Salze  der  Knallsäure^  (Fulminate).  Knallnatrium  C^Na^NiOi 
+  2HsO  wird  durch  Einwirkung  von  Natriumamalgam  auf  KnallquecksUber  bei 
Gegenwart  yon  Wasser  erhalten.  —  Rnallsilber  CsAg^NsOt  kann  auf  fthnliche 
Weise  wie  Knallqaecksilber  (S.  1026)  gewonnen  werden  und  ist  noch  erheblich 
explosiver  als  letzteres;  es  wird  nur  zu  Spielereien,  wie  Knallerbsen,  verwendet. 

Fulminurstture'  CsHsNgO,  ist  eine  einbasische,  der  Cyanursäure  isomere  Sfture 
genannt,  welche  durch  Umwandlung  der  Knallsäure  in  verschiedenen  Beactionen 
entsteht  So  wird  sie  beim  Kochen  von  Knallquecksilber  mit  Chloralkalien  erhalten. 
Die  freie  Säure  krystallisiert  ans  Alkohol  in  kleinen  Prismen  und  verpufft  bei  145  ^ 
Ihre  Ueberführbarkeit  in  Nitro-Derivate  des  Acetonitrils  vgl.  S.  826.  Ihre  Constitution 
entspricht  vielleicht  der  Formel  CH,(NOj)  —  C(:NH)  — N:CO. 

Tricy  anVerbindungen. 

Fast  alle  Cyanverbindungen  können  auch  in  trimolecularen  Modi- 
ficationen  auftreten,  die  in  der  Regel  aus  den  entsprechenden  einfachen 
Cyanverbindungen  direct  durch  Polymerisationsprocesse  gewonnen  und 
zuweilen  durch  Erhitzen  wieder  in  die  einfachen  Cyanverbindungen  ge- 
spalten —  „depolymerisirt"  —  werden  können.  Die  Erscheinungen  auf 
dem  Gebiete  der  „Tricyanverbindungen"  oder  „Cyanurverbindungen"  lassen 
sich  in  übersichtlicher  Weise  deuten,  wenn  man  in  den  Molecülen  dieser 
Verbindungen  den  sechsgliedrigen  „Tricyanring"  („Cyanurring**  oder 
,,Prussianring'*): 


I  !  bezw.  /|  1^ 

NN  -N  N— 

I  /\ 


^  Liebig,  Berz.  Jb.  4,  111  (1824).  —  Gay>Lussao  u.  LaEBia,  Ann.  eh.  [2]  25, 
285  (1824).  —  Davt,  Berz.  Jb.  12,  120  (1833).  —  Fehlino,  Ann.  127,  180  (1838).  — 
Gladstone,  Ann.  66,  1  (1848).  —  Divers  u.  Kawaetta,  Joum.  Soc.  45,  27,  75  (1884); 
47,  69  (1885).  —  Calmels,  Compt.  rend.  99,  794  (1884).  —  Scholvieh,  J.  pr.  [2]  30, 
90  (1884).  —  Ehebnberq,  J.  pr.  [2]  32,  230  (1885).  —  Warrbn,  Jb.  1888,  718.  Ber. 
24o,  768  (1891). 

'  ScHiscHKow,  Ann.  97,  53  (1855);  101,  213  (1856).  —  Liebiq,  Ann.  05,  282 
(1855).  —  Steiner,  Ber.  5,  381  (1872);  9,  781  (1876).  —  Ehrenbero,  J.  pr.  f2]  30, 
64  (1884);  32,  97.  111  (1885).   -   Setoel,  Ber.  26,  481,  2756  (1892). 


Paracyan,     OyarmrtriäthyL  1029 

annimmt.  Diese  Auffassungsweise  ist  daher  auch  allgemein  angenommen, 
obgleich  ihr  eigentlich  bisher  niemals  eine  strenge  experimentelle  Be- 
gründung zu  Theil  geworden  ist. 

Das   Paracyan   (S.  999),    dessen  Moleculargrösse   indess   noch   un- 
bekanntist, spricht  MuLDEE^  als  eine  aus  zwei  Tricyanringen  bestehende 

Verbindung: 

N 


NN         NN 

6 

an. 

Die  Wasserstoffverbindung  des  Tricyanrings  ist  nicht  be- 
kannt; das  Polymerisationsprodukt  der  Blausäure  besitzt  wahrscheinlich, 
wie  S.  1008  erwähnt,  eine  andere  Constitution. 

Die  Entstehung  von  Alkylrerbliidungen  des  Tricyanrings  könnte 
man  bei  der  Polymerisation  der  Nitrile  erwarten;  allein  es  ist  schon 
S.  800  angegeben  worden,  dass  im  Allgemeinen  durch  Zusammenlage- 
rung dreier  Nitrilmolecüle  der  Pyrimidinring  und  nicht  der  Tricyanring 
zu  Stande  kommt.  In  einzelnen  Fällen  —  vermuthlich  stets  dann, 
wenn  an  dem  der  Gyangruppe  benachbarten  Eohlenstoffatom  kein  Wasser- 
stoffatom haftet,  —  fahrt  der  Polymerisationsprocess  indess  zu  eigent- 
lichen Tricyanverbindungen,  So  ist  dem  Polymerisationsprodukt  des  a^- 
Dichlorpropionitrils  CHg-CClj-CN  die  Formel: 

CHj  •  CC1,-C  C-CCl, .  CHj 

I  II 

N  N 


I 
CCljCH, 

beizulegen;  durch  Reduction  mit  Zink  und  Essigsäure  erhält  man  daraus 
das  CyanurtriäthyP: 

CHi'Cxi) — C  C— CH2'CH3 


N  N 


Cxi]i  •  CHg 

—  eine  farblose  Verbindung  von  eigenthümlichem  Geruch,  welche  bei 
29®  schmilzt,  bei  193 — 195®  siedet  und  durch  Erhitzen  mit  Salzsäure 


»  Kec.  trav.  chim.  6,  199  (1887). 

«  Otto  u.  Voigt,  J.  pr.  [2]  36,  78  (1887).  —  Otto  u.  Tbobgeb,  Ber.  23,  766  (1890). 


1030  Oyanwrsäurt, 

in  Ammoniak  und  Propionsäure  zerlegt  wird.     VgL  femer  Kyaphenin  in 
Band  ü. 

Ganz  allgemein  findet  man  die  Fähigkeit  zur  Bildung  entsprechen- 
der Cyanurverbindungen  bei  den  Gliedern  der  Cyansäuregruppe. 

Für  die  CyanursSure  ^  CjNgOgHg  selbst  stehen,  wie  für  die  Cyan- 
säure,  zwei  desmotrope  Formeln: 

OH.C  COH  CO  CO 


NN  NH  NH 

\co/ 


'  6 


r 

H 
Abgekürzt:    CaN.COBOj  CgOgCNH)» 

Nonnale  Cyanursäure  Isocyanursäure 

zur  Wahl,  Dass  Cyanursäure  aus  Cyansäure  durch  Polymerisation  ent- 
steht, ist  schon  S.  1010  erwähnt.  Häufig  bildet  sie  sich  aus  Harnstoff 
oder  Abkömmlingen  desselben  —  z.  B.  Harnsäure  —  beim  Erhitzen; 
beim  Erhitzen  geht  Harnstoff  nämlich  theilweise  in  Biuret  über: 

yNH,  /NH, 

2C0<  =  C0<  ~NH„ 

\NH,  \NH— CO-NH, 

andererseits  kann  er  in  Cyansäure  und  Ammoniak  zerfallen: 

CO(NH,),  =  CONH  +  NHj; 

durch  Vereinigung  von  Biuret  mit  Cyansäure  in  der  Hitze  kann  nun 
Cyanursäure  dargestellt  werden: 

dO  CO     CONH,  _  ÖO     CO 

I  +CONH=  I       I       -  I       I   +NH,; 

NH     NH,         NH     NH       NH     NH 

\co^  \co^  ^N:jo^ 

vermuthlich  erklärt  sich  die  Bildung  der  Cyanursäure  aus  Harnstoff 
durch  Aufeinanderfolge  derartiger  Reactionen.  Zur  Darstellung  der 
Cyanursäure  eignet  sich  am  meisten  ihre  Bildung  durch  Erhitzen  tob 
Cyanurbromid  mit  Wasser  auf  120 — 130^  Sie  krystallisirt  aus  Wasser 
mit  2  Mol.  Kry Stallwasser  in  farblosen  Prismen  und  löst  sich  in  etwa 


*  Serullab,  Pogg.  14,  450  (1828).  Berz.  Jb.  9,  86  (1880).  —  Wöhlbb,  Berz. 
Jb.  10,  82  (1881).  Ann.  62,  241  (1847).  —  Lisbig  u.  Wöhleb,  Berz.  Jb.  U,  79,  166 
(1832).  —  LiEBio,  Ann.  26,  121  (1888).  —  de  Vey,  Ann.  61,  249  (1847).  —  Whde- 
MANN,  Ann.  68,  824  (1847).  —  Göbshann,  Ann.  99,  375  (1856).  —  Welteiem,  Ann. 
132,  222  (1864).  —  A.  W.  Hofmann,  Ber.  3,  769  (1870);  19,  2092  (1886).  —  Mkbi 
u.  Weith,  Ber.  16,  2894  (1883).  —  Ponomarew,  Ber.  18,  3268  (1885).  —  Senieb,  Ber. 
19,  1646,  2022  (1886).  —  Klason,  J.  pr.  [2]  33,  123  (1886).  —  Claus  u.  Püthbw, 
J.  pr.  [2]  38,  208  (1888).  —  Oattebmann  u.  Rossoltmo,  Ber.  23,  1192  (1890).  —  Bav- 
BERGEB,  ebenda,  1861. 


Cyanurluüogenide,     Normale  Öyanursäureester,  1031 


40  Th.  kaltem  Wasser.  Die  wasserfreie  Säure  liefert  beim  Erhitzen, 
ohne  zu  schmelzen,  monomoleculare  Cyansäure  (S.  1009 — 1010).  Charak- 
teristisch ist  ihr  in  heisser  concentrirter  Natronlauge  schwer  lösliches, 
sich  in  feinen  Nadeln  abscheidendes  Natriumsalz  CgNgOjNaj.  Bei  der  Ein- 
wirkung von  Jodalkylen  auf  cyanursaures  Silber  entstehen  als  Haupt- 
produkte Isocyanursäureester ,  daneben  scheinen  aber  auch  normale 
Cyanursäureester  gebildet  zu  werden. 

Cyanurhalogenlde  ^  entstehen  aus  den  einfachen  Cyanhalogenen 
(Chlorcyan  und  Bromcyan)  durch  Polymerisation,  z.  B.  beim  Erhitzen  in 
ätherischer  Lösung  oder  beim  Stehenlassen  in  Gegenwart  geringer  Mengen 
von  Halogenen  oder  HalogenwasserstofiFsäuren.  Cyanurchlorid  ist  auch 
aus  Cyanursäure  durch  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  erhalten 
worden.  Durch  Erhitzen  mit  Wasser  liefern  die  Cyanurhalogenide 
Cyanursäure. 

Cyanurchlorid  CgN^CI,  wird  am  besten  durch  Einleiten  von  Chlor  und  Blau- 
säure in  Chloroform,  das  vorher  mit  Chlor  gesättigt  wurde,  gewonnen;  es  bildet 
fiarblose  monokline  Ejrystalle,  riecht  stechend,  schmilzt  bei  145^  und  siedet  bei  190°. 
—  Cyanurbromid  CgNgBrj  wird  zweckmässig  durch  5 — 6 stündiges  Erhitzen  von 
1  Th.  rothem  Blutlaugensalz  mit  6  Th.  Brom  auf  ca.  220®  gewonnen;  es  stellt  ein 
amorphes,  weisses  Pulver  dar  und  schmilzt  über  800®.  —  Cyanur Jodid  CgNsJs  ist 
durch  Einwirkung  von  Jodwasserstoff  auf  Cyanurchlorid  erhalten  und  zerfällt  beim 
Erhitzen  zwischen  200®  und  300®  in  Jod  und  Paracyan  (S.  999,  1029). 

Den  beiden  desmotropen  Formeln  der  Cyanursäure  entsprechen 
zwei  Reihen  von  Estern. 

Normale  Cyanursäureester^: 

R-OC  COE 

N  N 


i 


R 

entstehen  durch  Einwirkung  von  Chlorcyan  auf  Natriumalkoholate,  wahr- 
scheinlich infolge  von  Polymerisation  der  primär  gebildeten  monomole- 
cularen  Cyansäureester  (vgl.  S.  1012).  Viel  glatter  erhält  man  sie  durch 
Wechselwirkung  zwischen  Cyanurchlorid  oder  Cyanurbromid  und  Natrium- 
alkoholaten.    Ihre  Constitution  ergiebt  sich  aus  ihrer  Spaltung  in  Cyanur- 


*  Serüllas,  Berz.  Jb.  9,  84  (1830).  Pogg.  14.  443  (1828).  —  Liebio,  Ann.  10, 
88  (1834).  —  BuTEAU,  Berz.  Jb.  19,  195  (1840).  —  Beilstein,  Ann.  UÖ,  357  (1860). 
—  Gadtdbb,  Ann.  141,  124  (1867).  —  Eoms,  Ber.  2,  159  (1869).  —  Merz  u.  Weith, 
Ber.  16,  2894  (1883).  —  Ponomarew,  Ber.  18,  3261  (1885).  —  ClaSsson,  Ber.  18  c, 
497  (1885).  —  Seniee,  Ber.  19,  310  (1886).  —  Fries,  ebenda,  2055.  —  Fock,  eben- 
da, 2063. 

'  A.  W.  HoFMAKN  u.  Olshausen,  Bcr.  3,  269  (1870).  —  Ponomarew,  Ber.  15, 
513  (1882);  18,  3263  (1883).  —  Mülder,  Bec.  trav.  cfaim.  1,  191  (1882);  2,  133  (1883); 
4,  91,  147  (1885).  —  A.  W.  Hopmann,  Ber.  19,  2061  (1886).  —  Klason,  J.  pr.  [2] 
33,  180  (1886). 


1032  Isooyanursäureester,     Sulfocyanursäure. 


säure  und  Alkohole  bei   der  Verseifdng  mit  Alkalien.    Durch  längeres 

Sieden  unter  Rückäuss  werden  sie  in  die  isomeren  Isocyanursäureester 

(vgl.  unten)  umgelagert. 

Trimethylcyanurat  C,N8(0-CH8)3  schmilzt  bei  185^  und  siedet  unter  theil- 
weisem  Uebei^ng  in  Trimethyl-isocyanorat  bei  265^  —  Triftthylcyanarat 
CaNaCO-CjHj),  schmilzt  bei  29—30»  und  siedet  bei  275 «. 

Isocyanursäureester  ^ : 

N-R 


JO         CO 
R_N  N— R 


)0 

entstehen,  wie  eben  bemerkt  wurde,  durch  Unüagerung  aus  den  normalen 
Cyanuraten;  sie  werden  femer  aus  cyanursauren  Salzen  durch  Ein- 
führung  von  Alkylresten  —  bei  der  Destillation  der  Alkalisalze  mit 
alkylschwefelsauren  Alkalien  oder  bei  der  Einwirkung  von  Halogen- 
alkylen  auf  Silbercyanurat  —  erhalten.  Beim  Kochen  mit  AlkaJien 
werden  sie  in  primäre  Amine  und  Kohlensäure  gespalten;  hieraus  er- 
giebt  sich  ihre  Constitution. 

Trimethyl-isocyanurat  CjOsCN^CH,),  schmilzt  bei  175—176®  und  siedet  bei 
274«.  —  Triäthyl-isocyanurat  CjO.CN-CjHb),  schmilzt  bei  95®  und  siedet  bei  276«. 

Sulfocyanursäure  ^  CjNjSg!^  entsteht  aus  Cyanurchlorid  durch 
Eintragen  in  eine  concentrirte  wässrige  Lösung  von  E^aliumsulfhydrat. 
Sie  bildet  kleine  gelbliche  Prismen,  ist  selbst  in  siedendem  Wasser  kaum 
löslich.  Mit  Eisenchlorid  giebt  sie  keine  Röthung.  —  Die  normalen 
Sulfocyanursäureester^  C3N3(S-R)s  entstehen  aus  den  Alkylrhodaniden 
durch  Polymerisation  beim  Erhitzen  in  Gegenwart  einiger  Tropfen  Salz- 
säure oder  Schwefelsäure,  femer  durch  Umsetzung  von  Cyanurchlohd 
mit  Natriummercaptiden  und  durch  Einwirkung  von  Jodalkylen  auf  sulfo- 
cyanursaures  Natrium;  beim  Erhitzen  mit  concentrirter  Salzsäure  werden 
sie  in  Mercaptane  und  Cyanursäure  gespalten.  —  Die  isomeren  Snlfo- 
Isocyanursäureester*  C3S3(N-R)3  scheinen  aus  den  Senfölen  durch 
Polymerisation  beim  Erhitzen  mit  Ealiumacetat  zu  entstehen. 

Melamln^  CgH^Ng  ist  die  dem  Cyanamid  entsprechende  Cyanurver- 
bindung  —  das  Cyanuramid,  für  welches  die  beiden  desmotropen  Formeln: 


1  WuBTz,  Ann.  eh.  [B]  42,  57,  61  (1854).  — '  Habioh  u.  LniniicHT,  Ann.  109, 
101  (1859).  —  Gal,  Ann.  187,  128  (1866).  —  A.  W.  Hofmanh,  Jb.  1861,  516.  Ber. 
18,  2796,  2800  (1885);  19,  2087  (1886).  —  A.  W.  HoFMAim  u.  Oisbaüsek,  Ber.  3, 
272  (1870).  —  PoKOMAKEW,  Ber.  18,  3266,  3270  (1885).  —  Krapivot  u.  Zelikbkt,  Ber. 
22  o,  251  (1889). 

»  A  W.  Hofmann,  Ber.  18,  2198  (1885).  —  Klason,  J.  pr.  [2]  33,  116  (1886)l 

•  A.  W.  Hofmann,  Ber.  13,  1351  (1880);  18,  2196  (1885).  —  Klasok,  J.  pr.  |2' 
33,  119  (1886). 

*  A.  W.  Hofmann,  Ber.  25,  876  (1892). 

^  LiEBio,  Ann.  10,  18  (1834);  26,  186  (1838).  —  Knapp,  Ann.  21,  256  (1837> 
—  VoLHARD,  J.  pr.  [2]  9,  29  (1874).  —  Claus,  Ber.  9,  1914  (1876).    Ann.  179,  120 


Melamin  und  seitie  Alkylderivate.  1033 


NH,-(r  C-NH,  NH=-C  C--NH 

i  .  II 

NN  NH         NH 

I  I' 

NH,  NH 

AbgekÜKt:    C,N,(NH,),  C,N,H,(NH), 

Normales  Melamin  Isomelamin 

aufgestellt  werden  können.     Es  entsteht  in  Form  seines  rhodanwasser- 

stoffsanren  Salzes  beim  Erhitzen  von  Bhodanammonium;  ferner  wird  es 

aus  den  normalen  Estern  der  Cyanursäure  und  Sulfocyanursäure  durch 

Einwirkung   von   Ammoniak    gebildet;    am   bequemsten   erhält   man   es 

durch  Digestion   von  Cyanurchlorid  mit  Ammoniak.     Es   bildet  kleine^ 

glänzende  Ery  stalle,  ist  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heissem  Wasser 

leicht  löslich  und  ist  eine  kräftige  einsäurige  Base. 

Alkylderlyate  des  Melamin s^  Von  den  beiden  desmotropen  Formeln  des 
Melamins  kann  man  für  symmetrische  Trialkylderivate,  deren  Alkylrest  an 
die  nicht  zum  Cyanurring  gehörigen  Stickstoffatome  gebunden  ist,  die  beiden  Formeln: 

I.  ^\^  ^^'  /^^\ 

CH,.NH-C  C-NH-CH,  CH,.N=C  C=N.CH, 

II:  II 

N  N  und  NH         NH 

I  I: 

NH-CHs  NCH, 

ableiten.  Die  diesen  Formeln  entsprechenden  Verbindungen  könnten  durch  Bindungs- 
verschiebung und  den  Platzwechsel  der  beweglichen  Wasserstoffatome  in  einander 
übergehen,  ständen  mithin  zu  einander  im  Verhfiltniss  wie  Cyanursfiure  und  Iso- 
cyanursäure  und  werden  der  Analogie  zufolge  wohl  kaum  gesondert  ezistenzfthig 
sein  (vgl.  S.  1023—1025).  Von  der  Formel  des  Isomelamins  kann  man  nun  ausser- 
dem  symmetrische  Trialkylderivate  ableiten,  deren  Alkylrest  an  den  innerhalb  des 
Cyanurrings  selbst  befindlichen  Sticksto£btomen  haftet: 

lU.  N(CH,) 


NH=C         C=NH 

I  I       . 

(CH,)N         N(CH,). 


~v 


NH 


(1875>  —  Jaobb,  Ber.  9,  1554  (1876).  —  Dbechsbl,  J.  pr.  [2]  U,  808  (1875);  13,  831 
(1876).  —  Nbnoti,  J.  pr.  [2]  17,  235  (1878).  —  A.  W.  Hofmakh,  Ber.  18,  2758,  2765 
(1885).  —  PoHOMABEw,  ebenda,  8267.  —  Klasok,  J.  pr.  [2]  83,  285,  290  (1886).  -- 
Smolka  u.  Fbiedbeioh,  Monatsh.  10,  90  (1889). 

1  A.  W.  HoFMANH,  Ber.  2,  603  (1869);  3,  264  (1870);  18,  2755,  2781  (1885).  — 
Bavmakk,  Ber.  6,  1373  (1873).  —  Klason,  Ber.  18o,  498  (1885).  J.  pr.  [2]  33, 
290  (1886). 


1084  Triaxotrimethylen  oder  THmethiniriazimid. 

In  der  That  kennt  man  zwei  Reihen  von  symmetrisch  trialkjlirten  Melaminen.  Die 
Glieder  der  einen  Beihe  entstehen  durch  Einwirkung  von  primfiren  Aminen  auf 
Sulfocyanurs&ureester  oder  auf  Cjanurchlorid  und  werden  durch  Erhitzen  mit  Salz- 
säure in  Amine  und  Cyanursäure  gespalten;  diese  Verbindungen  entsprechen  daher 
höchstwahrscheinlich  den  desmotropen  Formeln  I  und  II  und  können  zweckmfiaaig 
als  „Ezo-Trialkyl-Melamine"  bezeichnet  werdend  Die  Glieder  der  anderen 
Keihe  entstehen  durch  Polymerisation  von  Alkylcjanamiden  (vgl.  S.  1022)  und  werden 
durch  Salzsäure  in  Ammoniak  und  Isocjanursfiureester  gespalten;  dies  Verhalten  ist 
leicht  verständlich,  wenn  man  sie  entsprechend  der  Formel  III  als  „Eso-Trialkjl- 
Isomelamine^^  aufBasst. 

Mit  dem  Melamin  isomer  und  in  gewissem  Sinne  ähnlich  constituirt  wäre  die 
Stammsubstanz  der  Triazoessigsäure  (S.  843—844)  —  das  TriazotrlmethyleM : 


r 


N 


N  N     . 

Man  erhält  in  der  That  aus  Triazoessigsäure  bei  längerem  Erhitzen  auf  100®  durch 
Kohlensäureabspaltung  eine  Verbindung*  von  der  Molecularformel  CgN^H«  (Schmelz- 
punkt 78°);  die  Eigenschaften  dieser  Verbindung  würden  indess  besser  mit  der 
desmotropen  Formel  eines  Trimethintriazimids: 

N  NH 

I 


NH  N 

CH  CH 

%        / 

N— NH 

hannoniren;  denn  sie  bildet  zolllange,   farblose  Krystalle,   während  alle  Verbin- 
dungen, welche  die  Azogruppe  — N=N —  enthalten,  intensiv  geftrbt  sind. 

Zwischen  dem  Melamin  und  der  Gyannrsäure  lassen  sich  zwei 
Uebergangsglieder  yoraussehen,  welche  bei  Zugrundelegung  der  nor- 
malen Constitution  die  Formeln: 

NHj— C  C-OH  NH,— (T  C-OH 

I  II  I 

NN  NN 

"Sc/  ^c/" 

I  I 

NH,  OH 

Ammeiin  Melanurensäure 

erhalten.    Das  Ammelin^  C3HgNgO  entsteht  aus  Melamin  durch  Kochen 


^  Vgl.  Rathke,  Ber.  21,  870  (1888). 

»  CuBTius  u.  Lang,  J.  pr.  [2]  38,  549  (1888).  —  Cubtius,  J.  pr.  [2]  30,  125  (1889). 

'  LiEBio,  Ann.  10,  24  (1834).  —  Knapp,  Ann.  21,  255  (1837).  —  Klasom,  J.  pr. 
[2j  33,  295  (1886).  —  Smolka  u.  Fbiedseioh,  Monatsh.  0,  701  (1888);  10,  94  (1889); 
11,  42  (1890).  —  Bamberoeb,  Ber.  23,  1855  (1890). 


Ammelin,  Melanurensäure,  Melam,  Meiern  etc.  1035 


mit  Ealilange  nnd  kann  ferner  aus  Cyanguanidin  (vgl.  S.  1069)  durch  Er- 
hitzen mit  Ealiumcyanat  sehr  glatt  dargestellt  werden: 

NH=C  CO        NH=C  CO         NH=C  CO 

I  +    l      =  I  I        = 

NH  NH  NH  NHj 

NH 
Isofonnel  des  Ammelins 

Es  bildet  mikroskopische  Nadeln,  ist  in  Wasser  kaum  löslich  (1:4677 
bei  2S%  löst -sich  in  heisser  Sodalösung  und  fallt  beim  Erkalten  wieder 
unverändert  aus  und  bildet  mit  Mineralsäuren  Salze.  —  Die  Melanuren- 
sSare^  CgH^N^O^  (Ammelid)  entsteht  aus  Melamin  sowie  aus  Ammeiin 
durch  Erwärmen  mit  concentrirter  Schwefelsäure,  aus  Cyanguinidin  durch 
Kohlensäureaufhahme  beim  Erhitzen  mit  einer  wässrigen  Lösung  von 
Ammoniumcarbonat,  scheidet  sich  aus  heissem  Wasser  als  weisses  mikro- 
krystallinisches  Pulver  ab,  löst  sich  in  warmer  Sodalösung  und  bleibt 
auch  in  der  Kälte  gelöst,  bildet  mit  Säuren  und  mit  Basen  Salze  und 
wird  durch  Kochen  mit  Alkalien  oder  Säuren  in  Cyanursäure  über- 
geführt. 

Melam  CeHgNu,  Meiern  CeHeNio*  Mellon  CeH,Ng  sind  amorphe  Substanzen  ^ 
welche  sich  beim  Erhitzen  von  Rhodanammonium  bilden  und  beim  Kochen  mit 
Alkalien  neben  Ammoniak  Ammeiin  bezw.  Melanurensäure  liefern.  Man  kann  sie 
sich  durch  Zusammentritt  von  MelaminmolecÜlen  unter  Austritt  von  Ammoniak  ent- 
stehend denken.  Mellon  bleibt  auch  beim  Erhitzen  von  Rhodanquecksilber  (vgl. 
PharaoBchlangen,  S.  1016)  zurück.  Trägt  man  Mellon  oder  Melam  in  schmelzendes 
Rhodankalium  ein,  so  erhält  man  das  Kaliumsalz  der  dreibasischen  Mellonwasser- 
st  off  säure  C9H3N1,,  welche  vielleicht  durch  die  Formel: 

NH      I         NH 


N         I 

[C.N,]^\[C,^,] 

^NH- 


»  LiEBiQ,  Ann.  10,  30  (1834);  95,  264  (1855).  —  Knapp,  Ann.  21,  251  (1837). 
—  LiEBiQ  u.  WöHLER,  Auu.  64,  371  (1845).  —  Laurent  u.  Gerhard,  Ann.  eh.  [2] 
10,  93  (1847).  —  Dbechsel,  J.  pr.  [2]  11,  293  (1875).  —  Boüchardat,  Ann.  154, 
365  (1870).  —  Gabriel,  Ber.  8,  1165  (1875).  —  JIoer,  Ber.  9,  1556  (1876).  —  Cech 
u.  Dehxel,  Ber.  11,  249  (1878).  —  Bamberqeb,  Ber.  16,  1075,  1703  (1883);  23,  1865 
(1890).  —  Strieoler,  J.  pr.  [2]  32,  128  (1885);  33,  161  (1886).  —  Klabon,  J.  pr.  [2] 
33,  297  (1886).  —  Smolka  u.  Friedreich,  Monatsh.  10,  96  (1889). 

s  LiEBio,  Ann.  10,  1  (1834);  60,  342  (1844);  96,  257  (1855).  —  Knapp,  Ann. 
21,  241  (1837).  —  Laurent  u.  (Gerhard,  Ann.  eh.  [3]  19,  85  (1847).  —  Hennebero, 
Ann.  73,  228  (1850).  —  Volhard,  J.  pr.  [2]  9,  29  (1874).  —  Claus,  Ann.  179,  118 
(1876).  —  Drechsel,  J.  pr.  [2]  U,  306  (1875).  —  JiaER,  Ber.  9,  1554  (1876).  — 
Klason,  J.  pr.  [2J  33,  285  (1886).  —  Rathke,  Ber.  23,  1675  (1890). 


1036    TeckniscJie  Getmnnung  von  Oyanpräparaten  ans  „Bluilauge''  und 


auszudrücken  ist,  als  freie  Säure  übrigens  nur  in  Lösung  bekannt  ist  Das  neutrale 
Mellonkalium  K3C0N18  +  5H,0  krystallisirt  in  seideglänzenden  farblosen  Nadeln,  ist 
in  beissem  Wasser  reicblich,  in  kaltem  Wasser  wenig  löslich;  durch  Zersetzung 
seiner  Lösung  mit  Essigsäure  bezw.  Salzsäure  erhält  man  die  sauren  Salze  K^HO^Ki, 
+  3H,0  bezw.  KIIjCgNi,. 

Die  Bedeutung  der  Cyanverbindungen  für  die  Industrie^. 

Der  Name  ^^^u^i^^S^^s^^^S  welcher  für  die  Ealiumsalze  der  Ferro- 
cyanwasserstoffsäure  und  Ferricyanwasserstoffsäure  seit  alten  Zeiten  üblich 
ist,  deutet  auf  den  Process  hin,  der  lange  ausschliesslich  zur  technischen 
Herstellung  des  Ferrocyankaliums  gedient  hat.  Man  verkohlte  thierische 
Abfälle  aller  Art  —  Blut,  Hom,  Lederabfälle,  Klauen  etc.  —  und  glühte 
die  so  gewonnene,  stark  stickstoffhaltige  Kohle  mit  Pottasche  und  Eisen- 
feilspähnen.  Die  durch  Auslaugen  der  geglühten  Masse  mit  Wasser  be- 
reitete „Blutlauge"  enthält  reichliche  Mengen  von  Ferrocyankalium  (über 
die  Bildung  desselben  vgl.  S.  1000—1001  u.  1007),  das  durch  Krystalli- 
sation  aus  der  Lauge  abgeschieden  werden  kann.  Dieser  Process*  wird 
auch  heute  noch  an  vielen  Stellen  ausgeübt,  besonders  da,  wo  sich  billige 
thierische  Abfalle  in  Masse  vorfinden. 

Allein  daneben  ist  die  Steinkohle,  welche  in  den  Gasfabriken  auf 
Leuchtgas  verarbeitet  wird,  als  Quelle  aufgetreten,  aus  welcher  der  Cyan- 
bedarf  der  Industrie  zum  grossen  Theil  gedeckt  wird;  Cyanpräparate 
sind ,  wie  so  viele  andere  werthvolle  Stoffe  —  die  Ammoniaksalze  und 
die  Theerpräparate  — ,  heute  Nebenprodukte  der  Leuchtgasindustrie; 
und  man  darf  wohl  sagen,  dass  diese  neue  Fabrikationsart  von  Gyan- 
produkten  der  älteren  Methode  mehr  als  ebenbürtig  geworden  ist. 

Bei  der  trockenen  Destillation  entlässt  die  Steinkohle,  wie  schon 
S.  1001  bemerkt  worden  ist,  einen  Theil  ihres  Stickstoffs  in  Form 
von  Cyanammonium  —  freilich  nur  einen  kleinen  Theil  in  dieser  Form, 
der  aber  immerhin  in  Folge  der  gewaltigen  Ausdehnung  der  Leuchtgas- 
fabrikation eine  beträchtliche  Cyanmenge  repräsentirt.  Das  dem  Rohgase 
beigemengte  Cyanammonium  wird  zum  grössten  Theil  in  den  Beinigungs- 
apparaten,  die  das  Gas  zu  passiren  hat,  verschluckt  und  in  veränderter 
Form  aufgespeichert '.  Der  „Scrubber",  in  welchem  bekanntlich  das  Gas 
mit  Wasser  gewaschen  wird,  nimmt  trotz  der  Löslichkeit  des  Cyanam- 
moniums  nur  verhältnissmässig  geringe  Mengen  Cyan  fort,  weil  die  zu- 
gleich anwesende  Kohlensäure  aus  Cyanammonium  Blausäure  freimacht 
die  dann  mit  dem  Gase  weiter  getrieben  wird;  eine  gewisse  Cyanmenge, 
die  übrigens  in  der  Begel  nicht  technisch  gewonnen  wird,  bleibt  indessen 


*  Der  Abschnitt  ist  freundlichst  von  Herrn  Dr.  H.  Kuxheim  (Berlin)  einer  Dorch- 
sieht  unterzogen  worden. 

'  Näheres  über  denselben  vgl.  in  Michaelis'  (Graham-Otto)  ausföhrl.  Lehrb.  d. 
anorganischen  Chem.  Bd.  IV,  S.  654  ff.  (Braunschweig  1889). 

'  lieber  ,,Cyan  in  der  Gasfabrikation"  vgl.  Lbtbold,  Jahresbericht  d.  ehem. 
Technologie  1890,  117.  —  Bürschell,  Cöthener  Chem.-Ztg.  Repert.  17,  10  (1893). 


Abfällen  der  Gasfabrikation,     ßerlinerblau,  1037 


im  Scrubberwasser  („Gaswasser")  zurück  und  zwar  wesentlich  in  Form 
von  Rhodanammonium,  welches  durch  Aufnahme  von  Schwefel  entstanden 
ist.  Die  Hauptmenge  des  Cyans  wird  in  den  „Trockenreinigern"  ver- 
schluckt —  jenen  Kästen,  in  welchen  das  Gas  behufs  Entschwefelung 
über  Eisenoxyd  streicht,  das  nach  dem  Gebrauch  wiederholt  durch  frei- 
willige Oxydation  an  der  Luft  regenerirt  wird;  in  dieser  „Reinigungs- 
masse", welche  nach  kurzer  Benutzung  ausser  Eisenoxyd  auch  Schwefel- 
eisen und  freien  Schwefel  enthält,  sammelt  sich  das  Cyan  zunächst  in 
Form  von  Cyaneisen  an,  das  sich  bei  Luftzutritt  in  Ferrocyanverbin- 
dungen  (Berlinerblau  etc.)  umwandelt;  tritt  das  Leuchtgas  noch  ammoniak- 
haltig  in  die  Reinigungskästen,  so  erfolgt  durch  Reaction  mit  Schwefel 
bezw.  Schwefelverbindungen  auch  reichliche  Rhodanbildung,  und  die 
Reinigungsmasse  enthält  dann  Cyan  nicht  nur  in  der  wasserunlöslichen 
Form  der  Ferrocyanverbindungen,  sondern  auch  als  wasserlösliches  Rhodan- 
ammonium.  Die  „erschöpfte  Gasreinigungsmasse",  die  nicht  mehr  durch 
Regeneration  zur  Gasreinigung  brauchbar  gemacht  werden  kann,  wird 
von  den  Gasanstalten  an  chemische  Fabriken  verkauft,  welche  dieses 
Rohmaterial  zu  den  im  Handel  befindlichen  Cyanpräparaten  verarbeiten  ^. 

Die  erschöpfte  Gasreinigungsmasse  wird  zunächst  mit  warmem  Wasser 
ausgelaugt  (über  die  Benutzung  der  dabei  erhaltenen  Lauge  vgl.  S.  1038); 
der  die  Ferrocyanverbindungen  enthaltende  Rückstand  wird  behufs 
üeberfuhrung  des  Ferrocyans  in  lösliche  Form  mit  Aetzkalk  gemischt 
und  in  geschlossenen  Kästen  mit  Dampf  erhitzt;  aus  den  Ferrocyanver- 
bindungen des  Rohmaterials  wird  dadurch  Eisenoxyd  abgeschieden,  und 
andererseits  das  wasserlösliche  Ferrocyancalcium  gebildet,  welches  nun 
mit  Wasser  ausgelaugt  wird;  die  so  erhaltene  Lauge  wird  mit  Chlor- 
kalium bei  Siedehitze  versetzt,  wodurch  das  fast  unlösliche  Kaliumcalcium- 
ferrocyanid  K^CaFeCy^  abgeschieden  wird;  wenn  letzteres  Doppelsalz  nun 
mit  Pottaschelösung  erhitzt  wird,  so  erhält  man  neben  kohlensaurem  Kalk 
eine  reine  Lösung  von  Ferroeyankalium,  aus  welcher  dieses  Salz  durch 
Krystallisation  gewonnen  werden  kann.  Deutschland  und  Oesterreich 
produciren  jährlich  etwa  30000  Ctr.,  das  Ausland  etwa  20  000  Ctr. 
Ferrocyankaliu  m. 

Die  grösste  Menge  Ferroeyankalium  wird  zur  Erzeugung  von  Berliner- 
blau  (Pariserblau)  verwendet;  wird  eine  Ferrocyankaliumlösung  mit  einer 
Eisenoxydsalzlösung  gefällt,  so  erhält  man  direct  Berlinerblau;  in  der 
Technik  ist  es  indess  gebräuchlicher,  zunächst  mit  einer  oxydhaltigen  Eisen- 
oxydullösung zu  fällen  und  den  Niederschlag  darauf  mit  Luft,  Salpeter- 
säure, Chlor  oder  anderen  Mitteln  zu  oxydiren.  Berlinerblau  dient  heute 
hauptsächlich  als  Malerfarbe  und  zum  Tapetendruck;  früher  wurde  es  auch 
vielfach  zur  Zeugfarberei  verwendet,  indem  man  es  auf  der  Faser  durch 
Wechselwirkung  zwischen  Ferroeyankalium  und  Eisenoxydsalz  erzeugte. 

*  Vgl.  KcjTHEiM  u.  ZiMMBBMANN,  D.  R.-Pat.  268  84,  referirt  im  Jahresb.  cl.  ehem. 
Technologie  1884,  470. 


1038  Technische  Bedeutung  von  Q/ankalium  und  Rhodansalxen. 


Ferricyankalium  (rothes  Blutlaugensak)  wird  durch  Einleiten  von  Chlor  in 
Ferrocyankaliumlösung  gewonnen,  aher  nicht  in  grosseren  Mengen  verbraucht;  e« 
dient  als  Aetzmittel  in  der  Kattundruckerei. 

Cyankalium  wird  dargestellt,  indem  man  Ferrocyankalium  in  eisernen  Tiegeln 
bei  Luftabschluss  schmilzt,  wodurch  es  in  Cyankalium,  Kohleneisen  und  Stickstoff 
(K4Fe(CN)e  =  4KCN  +  FeC,  +  2N)  zerfällt;  aus  der  Schmelze  wird  das  Cyankalium 
durch  verdünnten  Alkohol  ausgezogen  und  nach  dem  Abdestilliren  der  Lösung  für 
sich  geschmolzen.  Cyankalium  ist  ein  sehr  wichtiges  Material  für  die  Versilberuus: 
und  Vergoldung  auf  galvanoplastischem  Wege;  unter  den  Salzen  der  edlen  Metalle 
haben  sich  gerade  die  Doppelcyanide  als  besonders  geeignet  zur  Herstellung  gleich- 
massiger  und  glänzender  Ueberziige  durch  Elektrolyse  erwiesen;  zur  Bereitung  dt-r 
Vergoldungs-  und  Versilberungsbäder  werden  daher  erhebliche  Mengen  von  Cyankalium 
verbraucht.  Neuerdings  findet  Cyankalium  ausgebreitete  Anwendung  zur  Extraction 
von  Gold  aus  Golderzen*;  diese  Art  der  Goldgewinnung,  welche  namentlich  in 
Transvaal  eingeführt  ist,  scheint  berufen  zu  sein,  alle  anderen  Verfahrungsarten  zu 
verdrängen. 

Auch  in  Form  der  Rhodansalze^  ist  das  Cyan  für  die  Technik 
wichtig  geworden.  Als  Qnelle  derselben  kann  das  Graswasser  dienen 
(vgl.  S.  1036 — 1037);  bei  seiner  Verarbeitung  auf  Ammoniaksalze  fallen 
Laugen  ab,  welche  ziemlich  reich  an  Bhodan  sind.  Die  Hauptmenge  der 
Rhodansalze  wird  indess  aus  der  Lauge  gewonnen,  welche  durch  Ex- 
traction der  Gasreinigungsmasse  mit  Wasser  erhalten  wird  (vgl.  S.  1037). 
Man  kann  daraus  Rhodanammonium  direct  durch  Krystallisation  ab- 
scheiden;  oder  man  fallt  das  Bhodan  zunächst  als  unlösliches  Kupfer- 
salz aus,  zerlegt  letzteres  durch  Aetzbaryt  oder  Schwefelbarium  und 
gewinnt  so  eine  Lösung  von  Bhodanbarium;  auch  die  Lösung  von  Rho- 
danaluminium  —  durch  Umsetzung  zwischen  Rhodanbarium  und  Älu- 
miniumsulfat  bereitet  —  bildet  einen  Handelsartikel.  Die  Rhodansalze 
werden  beim  Zeugdruck  als  Beize  für  Dampffarben  verwendet.  Auch  sei 
darauf  hingewiesen,  dass  Rhodanammonium  durch  seine  Ueberfuhrbarkeit 
in  Rhodanguinidin  (vgl.  S.  1067)  der  Ausgangspunkt  für  die  zur  Zeit  be- 
quemste Darstellungsweise  des  Diamids  NH^-NH^  ist^,  welches  freilich 
einstweilen  noch  nicht  technisch  hergestellt  wird,  zweifellos  aber  mancherlei 
praktischer  Anwendung  fähig  ist. 


*  Vgl.  Jahresb.  d.  ehem.  Technologie  1890,  414;   1891,  271.  —    Chem.  Ind. 
1892,  108. 

*  Ueber  das  „Sulfocyan  des  Leuchtgases"  vgl.  Esop,  Chem.  Ind.  16,  6  (1892). 
»  Vgl.  D.  R.-Pat.  59241,  referirt  Ber.  25  c,  237  (1892). 


Eintheilung  der  Kohlensäurederivate.  1039 


Einundvierzigstes  Kapitel. 

Kohlensäurederivate. 

(Halogenide,  Ester  der  Kohlensäure.  Schwefelhaltige  Derivate  der  Kohlensäure.  Amide, 
Thioamide,  Amidine  der  Kohlensäure.    Cyclische  UreYde,  Hamsäuregruppe,  Xanthin- 

körper). 

Wie  in  der  Einleitung  (S.  2)  bereits  bemerkt  wurde,  werden  die 
beiden  Oxyde  des  Kohlenstoffs 

CM)  nnd  CO, 

Kohlenoxjd  Kohlendioxyd 

aus  Zweckmässigkeitsgründen  in  der  Begel  den  anorganischen  Verbin- 
dungen zugerechnet,  ebenso  die  Salze,  welche  sich  von  dem  hypothetischen 

Kohlensäurehydrat : 

/OH 
C0< 

\0H 
ableiten. 

Eine  grosse  Gruppe  von  Verbindungen  dagegen,  die  als  Derivate  des 
Kohlensäurehydrats  bezw.  Kohlensäureanhydrids  betrachtet  werden  können, 
bleibt  uns  hier  noch  zu  besprechen. 

Diese  „Kohlensäurederivate"  mögen  in  ähnlicher  Weise,  wie 
dies  firüher  für  die  Derivate  der  Fettsäuren  (Kap.  10,  S.  344  ff.)  geschehen 
ist,  angeordnet  werden;  man  erhält  dann  die  folgenden  ünterabtheilungen: 

1.  Halogenide  der  Kohlensäure. 

2.  Ester  der  Kohlensäure. 

3.  Schwefelhaltige  Derivate  der  Kohlensäure,  ihrer  Halogenide  und 
Ester  (Schwefelkohlenstoff  etc.). 

4.  Amide  der  Kohlensäure  (Harnstoff,  ürethane  etc.). 

5.  Thioamide  der  Kohlensäure  (Thiohamstoff  etc.). 

6.  Amidine  der  Kohlensäure  (Guanidine). 

Eine  Anzahl  von  Verbindungen  endlich,  welche  zwar  ihrer  Constitution 
nach  schon  den  Abtheilungen  4 — 6  eingereiht  werden  könnten,  werden 
besser  wegen  ihrer  nahen  Beziehungen  zu  einander  und  wegen  ihrer 
physiologischen  Bedeutung  zu  einer  besonderen  Abtheilung: 

7.  Cyclische  Urelde  und  ähnliche  Verbindungen.  Hamsäuregruppe. 
zusammengefasst. 

I.  Halogenide  der  EohlensSure. 

CarbonylcUorid  COCl^,  Chlorkohlenoxyd  oder  gewöhnlich 
Phosgen  genannt,  ist  das  dem  Kohlensäurehydrat  entsprechende  Säure- 
chlorid: 

.OH  /Cl 

C0<  >-      C0<      . 

M)H  \C1 


1040  Oarbonylchlorid,  Chlorkok'ienoxyd 


Es  wird  durch  directe  Vereinigung  von  Kohlenoxyd  und  Chlor  ^  erhalten, 
wenn  man  das  Gemisch  der  beiden  Gase  durch  Glasballons  leitet,  die 
dem  Sonnenlicht  ausgesetzt  sind ;  J.  Davy,  welcher  1811  die  Verbindung 
durch  diese  Bildungsweise  entdeckte,  gab  ihr  daher  den  Namen  „Phosgen**, 
um  anzudeuten,  dass  sie  im  Licht  erzeugt  wird.  Auch  im  fabrikatorischeu 
Massstab  wird  seit  etwas  mehr  als  zehn  Jahren  Phosgen  durch  Vereinigung 
von  Kohlenoxyd*  mit  Chlor  für  Zwecke  der  Theerfarbenindustrie  dargestellt; 
die  directe  Bestrahlung  mit  Sonnenlicht  hat  sich  bei  der  Einwirkung  so 
grosser  Gasmengen  auf  einander  als  entbehrlich  erwiesen;  neuerdings  be- 
wirkt man  die  Vereinigung  überhaupt  nicht  mehr  in  Ballons,  sondern  in  Ge- 
fässen,  die  mit  Kohle  ^  gefüllt  sind.  Das  Phosgen  kam  vor  einigen  Jahren« 
in  eisernen  Druckflaschen  zur  Flüssigkeit  condensirt,  in  den  Handel;  es  ist 
jetzt  aus  dem  Grosshandel  wieder  verschwunden,  da  die  Farbenfabriken, 
welche  dasselbe  verwenden,  es  selbst  darstellen  und  direct  im  gasförmigen 
Zustand  verarbeiten*.  —  Phosgen  bildet  sich  auch  aus  Tetrachlorkohlen- 
stoff CCl^  durch  gelindes  Erwärmen  mit  Schwefelsäureanhydrid*  oder  durch 
starkes  Erhitzen  mit  Phosphorpentoxyd®  oder  durch  Ueberleiten  des  mit 
Kohlensäure  gemengten  Dampfes  über  Bimstein  ^  bei  850^  (CCl^  +  CO,  = 
2COCI2),  aus  Chloroform  durch  Oxydation®  (vgl.  S.  539,  540),  in  geringer 
Menge  auch  beim  Erhitzen  von  Soda  mit  Phosphorpentachlorid*. 

Phosgen  besitzt  einen  äusserst  heftigen,  erstickend  wirkenden  Geruch, 
greift  die  Äthmungsorgane  stark  an,  verursacht  namentlich  nachträglich 
heftige  Brustaffectionen  und  muss  daher  vorsichtig  gehandhabt  werden. 
Es  wird  leicht  zu  einer  farblosen  Flüssigkeit^^  condensirt,  welche  bei 
+  8-2®  siedet,  bei  0®  das  spec.  Gew.  1*432  besitzt  und  bei  —  75**  noch 
nicht  erstarrt ^^.    Es  löst  sich  sehr  leicht  in  Benzol;   eine  solche  Lösung 


1  WiLM  u.  Wischin,  Ztschr.  Chem.  1868,  5.  Ann.  147,  151  (1868).  —  A.  W.  Hop- 
mann, Ann.  70,  189  Anm.  (1849).  —  Kelbe  n.  Wabth,  Ann.  221,  172  Anm.  (1383). 

'  Für  die  fabrikmässige  Phosgendarstellung  kommt  es  wesentlich  auf  die  Ver- 
wendung von  reinem  Kohlenoxyd  an.  Nach  freundlicher  Mitfheilung  von  Dr.  P. 
W.  Hofmann  (Ludwigshafen  a.  Rh.)  stellt  man  dasselbe  zweckmässig  durch  ueber- 
leiten von  reiner  Kohlensäure  über  geglühten  Zinkstaub  her. 

»  Vgl.  Patebnö,  Jb.  1878,  229. 

*  Nach  freundlicher  Mittheilung  von  Dr.  C.  Glaseb  (Badische  Anilin-  u.  Soda- 
fabrik,  Ludwigshafen  a.  Rh.)  dient  zur  Zeit  (Mal  1898)  Phosgen  zur  Herstellung  von 
Krystallviolett  aus  Dimethylanilin,  sodann  wird  es  zur  Erzeugung  von  Tetrametfayl- 
diamidobenzophenon  (vgl.  Bd.  II)  —  dem  Ausgangsmaterial  für  die  Darstellung  von 
Victoriablau,  Auramin  und  verschiedene  sogenannte  Säurevioletts  —  verwendet.  — 
Ueber  die  Einführung  des  Phosgens  in  die  Farbenindustrie  vgl.  femer  Cabo's  Vortrag 
(Entwickelung  der  Theerfarbenindustrie),  Ber.  25  o,  1062  (1892). 

'  ScHtJTZENBEBOER,  Compt.  reud.  69,  352  (1869).  —  Armstrong,  Ber.  3,  730  (1870). 

•  GusTAvsoN,  Ztschr.  Chem.  1871,  615. 

^  ScHttTZENBBRQER,  Compt.  rcud.  66^  747  (1868). 

^  Ehmerlino  u.  Lenotel,  Ber.  2,  547  (1869).     Ann.  Suppl.  7,  101  (1869). 

»  GusTAvsoN,  Ber.  3,  990  (1870). 
*®  EiCMERLiNo  u.  Lenotel,  Ann.  Suppl.  7,  103  (1869). 
"  Haase,  Ber.  26,  1054  (1893). 


oder  Pfiosgen.  1041 


wird  häufig  für  Reactionen  verwendet  und  kann  auch  käuflich  von  den 
Präparatenfabriken  bezogen  werden. 

Phosgen  ist  eine  sehi*  reactionsfähige  Substanz,  wenn  es  auch  auf 
Hydroxylverbindungen  nicht  gerade  so  stürmisch  reagirt,  wie  das  Acetyl- 
chlorid  und  andere  Fettsäurechloride.  Von  kaltem  Wasser  z.  B.  wird  es 
nur  langsam^  unter  Bildung  von  Kohlensäure  und  Salzsäure  zersetzt; 
mit  kaltem  Alkohol^  reagirt  es  zunächst  nur  unter  Austausch  eines 
Chloratoms  und  Bildung  von  Chlorkohlensäureester  ClCO-O-CgHg;  erst 
bei  längerer  Einwirkung  entsteht  Kohlensäureester  CO(0-C3H5)j.  Ueber 
erhitzten  Salmiak  geleitet^,  erzeugt  es  Carbaminsäurechlorid  NBLj-CO-Cl. 
Seine  wichtigste  Verwendung  für  Zwecke  der  organischen  Synthese  be- 
steht darin,  dass  es  die  Möglichkeit  bietet,  zwei  aromatische  Badicale 
durch  die  Carbonylgruppe  mit  einander  zu  verketten,  wie  z.  B.  bei  der 
Einwirkung  auf  DimethylaniUn : 

COCl,  4- 2CeH5.N(CH3),  =  COlC^H^-NCCHs),!,  +  2HC1; 

man  ersieht  aus  diesem  Vorgang,  dass  Phosgen  in  mancher  Beziehung 

wieder    dem   Acetylchlorid   an    Reactionsfähigkeit   überlegen   ist;    denn 

Acetylchlorid  wirkt  auf  DimethylaniUn  nicht  direct   unter   Substitution 

eines  BenzolkemwasserstofiFatoms  ein. 

Phosgen  flihrt  Essigsäure  beim  Erhitzen  auf  120^  in  Acetylchlorid 

über^  und  liefert  beim  üeberleiten  über  die  erhitzten  Natriumsalze  der 

Fettsäuren  die  ihnen  entsprechenden  Säureanhydride  (vgl.  S.  350). 

Versuche  zur  Beindarstellung  des  entsprechenden  Kohlenoxybromids^  COBr, 
haben  noch  nicht  zum  Ziele  geführt;  auch  Kohlenoxyjodid  COJ2  ist  noch  nicht 
bekannt 

Von  dem  Kohlensäurehydrat  könnte  noch  ein  Halbchlorld  abgeleitet 

werden: 

/OH  .Cl 

C0<  >      COC        , 

^OH  \0H 

welches  aber  nicht  bekannt  ist.  Es  dürfte  wohl  auch  überhaupt  nicht 
isolirbar  oder  jedenfalls  höchst  unbeständig  sein,  da  es  sich  äusserst 
leicht  in  Kohlensäure  und  Chlorwasserstoff: 

Cl.COOH  =  CO,  +  HCl 

spalten  müsste  (vgl.  S.  612).  Wohl  aber  sind  Ester  dieses  hypothetischen 
Halbchlorids  bekannt,  wie: 

Cl-CO-OCHg; 

sie  können  als  Chlorameisensäureester  aufgefasst  werden,  werden 
aber  gewöhnlich  Chlorkohlensäureester  genannt  und  sind  im  folgenden 
Abschnitt  beschrieben. 


*  Bebtheiot,  Ann.  156,  228  (1870).  •  Vgl.  Roese,  Ann.  205,  229  (1880). 
'  GrATTBSMAXS  u.  G.  ScHMiDT,  Ann.  244,  30  (1887) 

*  Kempp,  J.  pr.  [2]  1,  414  (1870).  *  Emmerling,  Ber.  13,  873  (1880). 

y.  Meybb  a.  Jacx>B8QN,  org.  Chemie.    I.  66 


1042  Neutrale  Kohl&nsäureeater, 


II.    Ester  der  Eohlenskure. 
Die  neutralen  EohlensSnreester  oder  Dialkylcarbonate: 

RO-CO— OR 
entstellen  durch  Einwirkung  von  Alkyljodiden  auf  Silbercarbonat  ^,  ferner 
durch  Zersetzung  der  Ozalsäureester  beim  Erhitzen   mit   Natriumalko- 
holat*,  z.  B. 

CHß.OCO.CO.OCjiHs  =  CtHsOCOOCÄ  +  CO; 
dargestellt  werden  sie   gewöhnlich  durch   Umsetzung  von   Chlorkohlen- 
säureestem  mit  Alkoholen  bezw.  Alkoholaten^,  z.  B.: 

CA-OCOCl  +  NaOCA  =  C.Hj.OCO.OCjHs  +  NaCl. 

Letztere  Methode  gestattet  auch  die  Bereitung  gemischter  Ester,  z.  B.: 

CsHs-OCOCl  +  OHCHa  =«  C,H5.0C0.0CH,  +  HCl; 

jeden  einzelnen  gemischten  Ester  kann  man  mit  Hülfe  dieser  Beaction 
auf  zweierlei  Weise  darstellen,  z.  B.  den  Methyläthylester  sowohl  nach 
der  eben  gegebenen  Gleichung,  wie  auch  nach  der  folgenden: 

CH,.0C0.C1  +  OHCjHß  =  CH,.0.C0.0.C,H8. 

Für  einige  gemischte  Ester  dieser  Art  ist  der  Nachweis  erbracht,  dass 
sie  mit  durchaus  identischen  Eigenschaften  erhalten  werden,  wenn  man 
die  eine  oder  die  andere  Beaction  zu  ihrer  Darstellung  wählt.  Man  kann 
in  dieser  Thatsache  einen  Beweis  dafür  erblicken,  dass  die  beiden 
Hydroxylgruppen  des  Kohlensäurehydrats  und  demnach  die  beiden  ent- 
sprechenden Eohlenstoffvalenzen  einander  gleichwerthig  sind. 

Die  neutralen  Eohlensäureester  sind  farblose,  destillirbare,  ätherisch 
riechende  Flüssigkeiten^  die  sich  in  Wasser  nicht  lösen;  sie  sind  leicht 
verseifbar.  Erwärmt  man  sie  mit  Alkoholen,  welche  einen  höheren  Alkyl- 
rest  enthalten,  so  tritt  anstatt  des  niederen  Alkylrests  ein  höherer  in  das 
Estermolecül  ein: 

/OCH,  /OCaH, 

C0<  +C3H,.0H  =   C0<  +CH,.OH; 

\O.C3H7  M).C,H, 

durch  Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  zerfallen  sie  in  Chloralkyle 
und  Chlorkohlensäureester: 

C0<  +  PCI5  =   C0<  +  CH^.Cl  +  POCl, . 

N).CA  ^O.CA 

Dimethylcarbonat*  CO(OCHj),  eretarrt  in  der  Kälte,  schmilzt  dann  wieder 
bei  +  0-5«,  siedet  bei  90-60  und  besitzt  bei  17®  das  spec.  Gew.  1-06Ö.  —  Dilthyl- 
carbonat«  COCOCaHg)^  siedet  bei  126— 127«;  spec.  Gew.  bei  20«:  0-976. 

^  Clebmomt,  Ann.  91,  376  (1854). 

*  Ettlino,  Ann.  19,  17  (1836).  —  Löwio  u.  Weidmank,  Ann.  36,  301  (18^0).  - 
Geuther,  Ztschr.  Chem.  1868,  656.  —  Cbahston  u.  Dittmab,  Ztschr.  Chem.  1870,  4. 

*  SomiEiKER,  J.  pr.  [2]  22,  353  (1880).  —  Robse,  Ann.  206,  280  (1880). 

*  R0E8E,  Ann.  205,  231  (1880).  —  Coukcleb,  Ber.  18,  1697  (1880). 

*  Kopp,  Ann.  95,  325  (18551..—  Brühl,  Ann.  203,  23  (1880). 


Saure  Kohlensäureester.  Ester  der  Orthokohlensäure  und  Chlorkohlensäure.  1043 


Die  sauren  EohlensSureester^  oder  Monalkylcarbonate: 

RO-CO-OH 

sind  in  freiem  Zustand  nicht  bekannt.  Ihre  Alkalisalze,  wie  C^Hj-O- 
CO-ONa  (äthylkohlensaures  Natrium)  erhält  man  durch  Einleiten 
von  Kohlensäure  in  die  alkohoUsche  Lösung  von  Alkoholaten,  z.  B. : 

CHj.ONa  +  CO,  =  CjHB.OCOONa; 

sie  werden  von  Wasser  unter  Bildung  von  Alkoholen  und  Alkalicarbo- 
naten  zersetzt. 

Die  Ester  der  Orthokohlensäure'  0(0 -R)«  —  mit  Ausnahme  des  Methjlestera 

—  können  bereitet  werden,  indem  man  die  alkoholische  Lösung  der  Natriumalkoholate 
in  eine  alkoholische  Lösung  von  Ohlorpikrin  (S.  624)  einiiiessen  Iftsst,  so  dass  stets 
Ohlorpikrin  im  Ueberschuss  vorhanden  ist,  z.  B.: 

001,. NOj  +  40jH5.0Na  =  0(0- 0^)^  +  3Na01  +  NaNO, . 

—  Orthokohlensäureathylester  CCO-OjHß)^  siedet  bei  158— 159^ 

Die  Ester  der  Chlorkohlensaure  CICOOR  —  auch  Chlor - 
ameisensäureester  genannt,  vgl.  S.  1041,  —  werden  häufig  bei  Syn- 
thesen zur  Einführung  der  Carboxylgruppe  benutzt.  Man  stellt  sie  durch 
Einwirkung  von  Phosgen  auf  Alkohole: 

0001,  +  OA-OH  =  OlOO.OO.Hs  +  HOl 

unter  solchen  Bedingungen  ^  dar,  dass  die  weitere  Einwirkung  des  Alkohols 
auf  den  Chlorkohlensäureester,  die  zur  Bildung  eines  neutralen  Eohlen- 
säureesters  führen  würde  (S.  1042),  verhindert  wird.  Sie  bilden  farblose 
Flüssigkeiten  von  sehr  heftigem,  stark  zu  Thränen  reizendem  Geruch 
und  destilliren  unzersetzt.  Ein  Beispiel  ihrer  Anwendbarkeit  für  syn- 
thetische Zwecke  bietet  die  Eeaction  (vgl.  S.  699): 

(0,H5.0.0O),0HNa  +  01.0O.O.0,H8  =  (O.HsO.OOXOH.OO.OOA  +  NaOl. 

Bei  vielen  Beactionen  —  z.  B.  in  Gegenwart  von  Aluminiumchlorid  oder 
Chlorzink  —  zerfallen  sie  leicht  in  Kohlensäure  und  Chloralkyl*.  Durch 
nascirenden  Wasserstoff  können  sie  in  Ameisensäureester  übergeführt 
werden^. 

Ohlorkohlensäuremethylester^  01»C0'0-0Hg  kann  auch  durch  Ohlorirung 
von  Methylformiat  H-OO-O-OHg  gewonnen  werden,  siedet  bei  71-4*,  besitzt  bei  15*^ 
das  spec.  Gew.  1'286  und  liefert  bei  erschöpfender  Oblorirnng  das  Perchlormethyl- 
formiat  Ol* 00 «O* 001,;   letztere  Verbindung  ist  eine  Flüssigkeit,  siedet  bei  12S^ 

*  Dumas  u.  P^uoot,  Ann.  36,  283  (1840).  —  Beilstein,  Ann.  112,  124  (1859).  — 
Dbstbem,  Ann.  cb.  [5]  27,  10  (1882).  —  Habesmank,  Monatsh.  7,  544,  550  (1886). 

'  Basset,  Ann.  132,  56  (1864).  —  Ladenburg  u.  Wichblhaus,  Ann.  152,  166 
(1869).  —  Roese,  Ann.  205,  249  (1880). 

*  Roese,  Ann.  206,  227  (1880).  —  Klepl,  J.  pr.  [2]  26,  448  (1882).  —  Hentschel, 
Ber.  18,  1177  (1885). 

*  WiLM  u.  Wischin,  Ann.  147,  150  (1868).  —  Rennie,  Journ.  Soc.  41,  33  (1882). 

—  ÜLSCH,  Ann.  226,  281  (1884).  —  R.  u.  W.  Otto,  Ber.  21,  1516  (1888). 

^  Geuthes,  Ann.  205,  223  (1880). 

«  Dumas  u.  Pälioot,  Ann.  15,  39  (1835).  —  Roese,  Ann.  205,  229  (1880).  — 
W.  Hentschel,  J.  pr.  [2]  36,  99,  209,  805,  468  (1887). 

66* 


1044  Schwefelkohlenstoff. 


und  zerfällt  bei  höherer  Temperatur  —  theilweise  auch  schon  bei  andauerndem 
Sieden  —  in  Chlorkohlenoxyd  (Cl-CO-O-CCls  =  2COCI4),  in  Berührung  mit  Alu- 
miniumchlorid glatt  in  Kohlensäure  und  Tetrachlorkohlenstoff.  —  Chlorkohlen- 
säureäthylester» Cl-CO.OCjHg  siedet  bei  93- 1%  besitzt  bei  20^  das  spec.  Gew. 
1-135;  sein  Dampf  ist  bis  250^  beständig. 

III.  Schwefelhaltige  Deilyate  der  EohlensSure,  ihrer  Halogenide 

und  Ester. 

Schwefelltohlenstolf  GS^  ist  die  dem  Kohlensäureanhydrid  ent- 
sprechende Schwefelverbindung.  Schwefelkohlenstoff  wurde  1796  von 
Lampadiüs  entdeckt;  er  entsteht,  wenn  Kohle  bei  Eothgluth  mit  Schwefel- 
dampf in  Berührung  kommt*,  durch  directe  Vereinigung  der  Elemente. 
Nach  dieser  Bildungsweise  wird  er  im  Grossen  dargestellt';  in  eine  auf- 
recht stehende  Retorte,  welche  glühende  Kohlenstückchen  enthält,  wirft 
man  durch  ein  bis  fast  zum  Boden  reichendes  Bohr  nach  und  nach 
Schwefelstücke  ein;  der  Schwefel  verdampft  und  streicht  über  die  glü- 
hende Kohle;  die  aus  der  Betörte  entweichenden  Dämpfe  werden  in 
geeigneten  Vorlagen  condensirt  und  liefern  den  rohen  Schwefelkohlenstoff, 
welcher  stets  freien  Schwefel,  Schwefelwasserstoff  und  fremde  organische 
Schwefelverbindungen  gelöst  enthält,  .die  ihm  einen  höchst  unangenehmen 
Geruch  ertheilen;  der  rohe  Schwefelkohlenstoff  wird  gereinigt,  indem  man 
ihn  über  Natron  und  zuletzt  über  einem  reinen  Arischen  Pflanzenfett, 
das  die  Fähigkeit  besitzt,  die  übelriechenden  Verunreinigungen  zurück- 
zuhalten, destillirt. 

Zur  völligen  Eeinigung^  des  Schwefelkohlenstoffs  ist  successives  Durchschüttehi 
mit  gepulvertem  Kaliumpermanganat,  metallischem  Quecksilber  und  QuecksilbersulflBit 
und  daraufifolgende  Destülation,  femer  Behandlung  mit  Salpetersäure  oder  mit  Brom 
empfohlen  worden. 

Schwefelkohlenstoff  ist  eine  farblose,  stark  lichtbrechende  Flüssigkeit 
und  besitzt  in  ganz  reinem  Zustand  einen  eigenthümlichen  ätherischen, 
aber  durchaus  nicht  unangenehmen  Geruch;  der  käufliche  Schwefel- 
kohlenstoff indess,  wie  man  ihn  im  Laboratorium  benutzt,  riecht  stets 
sehr  unangenehm;  nur  durch  besondere  Beinigungsoperationen  (vgl.  oben) 
kann  ihm  der  üble  Geruch  entzogen  werden.  Schwefelkohlenstoff  erstarrt* 
bei  — 116®  und  schmilzt  bei  — 110^,  siedet  bei  46<^  und  besitzt  bei  20^ 


*  Dumas,  Ann..  10,  277  (1834).  —  Müllbb,  Ann.  258,  50  (1890).  —  Pawlewsd, 
Ber.  25,  1449  (1892).    -  Anschütz  u.  Ehebt,  Ann.  273,  61  (1892). 

«  Vgl.  hierzu  Stein,  J.  pr.  108,  316  (1869).  —  Bebthelot,  Bull.  11,  450  (1869). 

'  Fabrikmässig  wird  Schwefelkohlenstoff  von  den  Firmen:  G.  ZnonsBiiAifN  (Palm- 
kemölfabrik),  Martinikenfelde  bei  Berlin,  und  Renoebt  &  Co.  (ebenfialls  Palmkemöl- 
fabrik),  Berlin,  dargestellt. 

*  Vgl.  Allaby,  Bull.  35,  491  (1881).  —  Obach,  J.  pr.  [2]  26,  282  (1882).  — 
Fbiedbürq,  Chem.  News  47,  52  (1883).  —  C^heneyieb,  Ztschr.  f.  analyt  Chem.  31 
68  (1892). 

*  Wboblewsky  u.  Olszewski,  Compt.  rend,  98,  1142  (1883). 


Söhwefelkofdenstoff.  1045 


das  spec.  Gew.i  1.262.  Er  ist  in  Wasser  kaum  löslich*,  dagegen  misch- 
bar mit  Benzol  und  Aether;  mit  Alkohol  ist  Schwefelkohlenstoff  nur 
dann  in  jedem  Verhältniss  mischbar,  wenn  der  Alkohol  fast  wasserfrei 
(mehr  als  98procentig)  ist. 

Schwefelkohlenstoff  ist  äusserst  leicht  entzündlich^  und  daher  sehr 
feuergefährlich  und  mit  grosser  Vorsicht  zu  handhaben;  er  verbrennt  mit 
blauer  Flamme.  .Ein  Gemisch  von  Schwefelkohlenstoffdampf  und  Stick- 
oxyd verbrennt  mit  blendendem  Lichte,  das  sehr  reich  an  chemisch  wirk- 
samen Strahlen  ist. 

Am  Lichte  färbt  sich  Schwefelkohlenstoff  gelblich  und  nimmt  wieder 
den  unangenehmen  Geruch  des  rohen  Schwefelkohlenstoffs  an;  setzt  man 
ihn  längere  Zeit  dem  directen  Sonnenlichte*  aus,  so  scheidet  sich  ein 
brauner  amorpher  Körper  ab,  der  Kohlenstoff  und  Schwefel  in  dem  Ver- 
hältniss der  Formel  CS  enthält. 

Schwefelkohlenstoff  wirkt  giftig^;  sein  Dampf  tödtet  kleinere  Thiere 
nach  kurzer  Zeit.  Er  wirkt  ferner  in  sehr  kräftiger  Weise  fäulniss- 
widrig®. 

Schwefelkohlenstoff  erleidet  technische  Verwendung  zum  Vulcanisiren 
des  Kautschuks,  zur  Extraction  von  Fetten  und  Oelen,  ferner  in  Form 
des  trithiokohlensauren  Kaliums  (vgl.  S.  1050)  als  Mittel  zur  Bekämpfung 
der  Beblaus. 

Er  besitzt  für  viele  Substanzen  —  namentlich  für  Jod,  Phosphor, 
Schwefel,  organische  schwefelhaltige  Verbindungen  —  ein  erhebliches 
Lösungsmittel  und  wird  im  Laboratorium  daher  auch  häufig  als  Krystal- 
lisationsmittel  benutzt. 

Additionaprodukte  des  Schwefelkohlenstoffs.  Mit  Wasser  bildet 
Schwefelkohlenstofif  bei  niederer  Temperatur  ein  starres,  in  blumenkohlartigen  Aggre- 
gaten sich  abscheidendes  Hydrat',  dessen  Bildung  man  beobachtet,  wenn  Schwefel- 
kohlenstoff in  einer  wasserhaltigen  Atmosphäre  rasch  verdunstet  —  Sehr  charak- 
teristisch und  zum  Nachweis  des  Schwefelkohlenstofif  geeignet  ist  die  schön  rothe 
Verbindung  von  Schwefelkohlenstoff  mit  Triäthylphosphin«  CS,  -h  PCCjHß)^  (vgl. 
S.  263—264),  deren  Bildung  auch  zur  quantitativen  Bestimmung  des  Schwefelkohlen- 
stofib  benutzt,  werden  kann.   —    Auch  die  Vereinigung  des  Schwefelkohlenstoffis  mit 


*  Kopp,  Ann.  96,  305  (1855).  —  Haaoen,  Ztschr.  Chem.  1868,  100.  —  Thoepe, 
Joum.  Soc.  37,  363  (1880).  —  Nasini,  Ber.  15,  2883  (1882).  —  Friedbubo,  Chem. 
News  47,  52  (1883). 

'  Pagb,  Jb.  1880,  279.  —  Ohancel  u.  Parmemtier,  Compt.  rend.  99,  894  (1884). 

*  Vgl.  Bebthelot,  Jb.  1857,  120.  —  Frakeland,  Jb.  1862,  691. 

*  LoEW,  Ztschr.  Chem.  1868,  622.  —  Sidot,  Ber.  8,  981  (1875). 

*  CloSz,  Compt  rend.  63,  185  (1866). 

«  2^llbe,  Ber.  9,  707  (1876).  —  H.  Schipp,  ebenda,  828.  —  Pälioot,  Compt. 
rend.  99,  587  (1884).  —  Ckiakdi-Bey,  Compt  rend.  89,  509  (1884). 

'  Bebthelot,  Jb.  1856,  293.  —  Duclauz,  Compt  rend.  64,  1099  (1867).  — 
Waetha,  Ber.  3,  80  (1870);  4,  180  (1871).  —  Ballo,  Ber.  4,  118,  294  (1871).  — 
Vbhable,  Ber.  16,  1493  (1883). 

^  A.  W.  Hopmann,  Ann.  Suppl.  1,  26  (1861).    Ber.  2,  73  (1869);  13,  1732  (1880). 


1046  Kohlenoxyatdfid, 


Alkoholaten^  zu  xanthogensauren  Salzen  C^H^ * 0 •  CS •  SMe'  (vgl.  S.  1049)  und  mit 
Phenylhydrazin*  (vgl.  Bd.  II)  zu  phenjlsulfocarbazinsanrem  Phenylhydrazin 
CeHs-NsH,— CS— S-NsH^-CoHfi  kann  zweckmässig  für  die  Erkennung  und  Bestimmung 
des  Schwefelkohlenstoffs  verwerthet  werden.  —  Das  Verhalten  gegen  Halogene  vgl. 
unten,  gegen  Amine  S.  238. 

Beim  Erhitzen  mit  verdünnter  Barytlösung  unter  Luftabschluss  wird 
SchwefelkohlenstoflF  nach  der  Gleichung: 

CS,  +  2Ba(0H),  =  BaCO,  +  Ba(SH),  +  H^O 
zersetzt^;  der  Schwefel  wird  mithin  gegen  SauerstoflF  ausgetauscht.    Durch 
Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid*  kann  Schwefelkohlenstoff  in 
Tetrachlorkohlenstoff  CCl^  übergeführt  werden. 

Von  den  freien  Halogenen  wird  Schwefelkohlenstoff  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  wenig  angegriffen;  man  benutzt  daher  häufig  den 
Schwefelkohlenstoff  als  indifferentes  Lösungsmittel,  wenn  man  die  Halo- 
gene auf  andere  Substanzen  einwirken  lassen  will.  Bei  Gegenwart  von 
Halogenüberträg^m  ist  Schwefelkohlenstoff  indess  gegen  Chlor  und  Brom 
sehr  wenig  resistent,  die  Reaction  durchläuft  verschiedene  Zwischen- 
stadien und  führt  endlich  zum  völligen  Ersatz  des  Schwefels  durch  Ha- 
logen, d.  h.  zur  Bildung  von  Tetrachlor-,  bezw.  Tetrabromkohlenstoff 
(vgl.  S.  215,  223,  541 — 542).  Brom*  wirkt  auch  ohne  Anwesenheit 
eines  Ueberträgers  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  und  bei  mehr- 
tägigem Stehen  auf  Schwefelkohlenstoff  ein;  es  bildet  sich  ein  öliges 
braunrothes  Additionsprodukt  CS^.Br^,  das  nach  dem  Abdestilliren  des 
nicht  veränderten  Schwefelkohlenstoffs  und  Broms  auf  dem  schwach 
siedenden  Wasserbade  zurückbleibt  und  durch  Einwirkung  von  Wasser 
oder  Alkohol  unter  Abspaltung  von  Bromschwefel  das  farblose,  krystalli- 
sirbare  Kohlenstofftrithiohexabromid  CjSjBrg  (Schmelzpunkt  125^ 
liefert.  Brom  in  Gegenwart  von  Wasser  oxydirt  Schwefelkohlenstoff 
ziemlich  rasch  zu  Kohlensäure  und  Schwefelsäure. 

KoUenoxysiilfld^  COS  nimmt  eine  ZwischensteUung  zwischen 
Kohlensäureanhydrid  und  Schwefelkohlenstoff  ein.     Es  kann  durch  Ver- 


*  LucK,  Ztschr.  f.  analyt.  Chem.  11,  410  (1872).  —  Gbete,  Ann.  190,  214  (1878). 

—  Macagno,  Ztschr.  f.  analyt.  Chem.  21,  183  (1882). 

'  C.  LiBBERMANN  u.  Setewetz,  Ber.  24,  789  (1891). 

*  Chanoel  u.  Parmenties,  Compt.  rend.  99,  892  (1884).  —  Vgl.  auch  Schlaodbk- 
HAUFEN,  Jb.  1856,  293. 

*  Rathke,  Ztschr.  Chem.  1870,  57.  Ann.  167,  196  (1873). 

^  Hell  u.  Urech,  Ber.  16,  273,  987  (1882);  16,  1144,  1147  (1883).  —  Vgl.  Rlabox, 
Ber.  20,  2383  (1887). 

*  V.  Than,  Ann.  Suppl.  6,  236  (1867).  —  Cossa,  Ber.  1,  117  (1868).  —  A.  W.  Hop- 
MANN,  Ber.  1,  181,   182  (1868).    —   Dewar  ii.  Cranston,   Ztschr.  Chem.  1869,  734. 

—  Ladenbürg,  Ber.  1,  273  (1868);  2,  30,  271  (1869).  —  Emmrrlinq  u.  Lengtel,  Her. 
2,  546  (1869).  —  Armstrono,  Ber.  2,  712  (1869).  —  Carhelley,  Jb.  1875,  258.  — 
Berthelot,  Ann.  148,  266  (1868).  Compt.  rend.  94,  1069  (1882).  —  Salomon,  J.  pr. 
[2^  5,  476  (1872).  —  Kretschmar,  J.  pr.  [2]  7,  474  (1873).  —  K  Schmidt,  Ber.  IG, 
191  (1877).  —  Ilosvay,  Bull.  37,  291  (1882).  —  Klason,  J.  pr.  [2]  36,  64  (1887),  — 
Gautier,  Compt.  rend.  107,  911  (1888).  ~  Nüricsän,  Ber.  24,  2967  (1891). 


Thiocarbonylohlorid  oder  Thiophosgen.  1047 


eiiügang  von  Kohlenoxyd  mit  Schwefel  bei  schwacher  Bothgluth  gewonnen 
werden.  Aus  Schwefelkohlenstoff  kann  man  es  durch  viele  Processe  er- 
halten, z.  B.  durch  Erwärmen  mit  Schwefelsäureanhydrid  oder  durch 
Ueberleiten  des  Dampfes  über  rothglühenden  Kaolin  (letzterer  verwandelt 
sich  dabei  in  Siliciumsulfid  und  Sulfosilicate).  Phosgengas  entwickelt 
beim  Ueberleiten  über  Cadmiumsulfid  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
Kohleuoxy Sulfid.  Die  Entstehung  aus  Senfölen  durch  Behafidlung  mit 
concentrirter  Schwefelsäure  ist  schon  S.  1019  erwähnt;  ein  Gegenstück 
dazu  ist  die  Bildung  bei  der  Einwirkung  von  trockenem  Schwefelwasser- 
stoff auf  Isocyanate,  z.  B.: 

2CO:NC8H5  +  H,S  =  COS  4-  COCNH-C^Hj),. 

Zur  Darstellung  benutzt  man  zweckmässig  die  Zersetzung  von  Ehodan- 
ammonium  bezw.  Bhodankalium  mit  massig  concentrirter,  überschüssiger 
Schwefelsäure  (vgl.  S.  1014)  oder  die  oben  erwähnte  Reaction  von 
Schwefelkohlenstoffdampf  auf  glühenden  Kaolin. 

Kohlenoxysulfid  ist  ein  farbloses,  geruchloses  Gas,  das  bei  0®  unter 
einem  Druck  von  12 73  Atmosphären  flüssig  wird;  es  verbrennt  mit 
bläulicher  Flamme.  Bei  schwacher  Eothgluth  zerfällt  es  theilweise  in 
Kohlenoxyd  und  Schwefel.  Von  wässrigen  Alkalien  wird  es  nur  sehr 
langsam  unter  Zersetzung  absorbirt.  Man  kann  es  daher  von  Kohlen- 
säure und  Schwefelwasserstoff  durch  Waschen  mit  Aikalilauge  trennen; 
Beimengungen  von  Kohlenoxyd  entfernt  man  zweckmässig  durch  Kupfer- 
chlorürlösung,  Schwefelkohlenstoff  zunächst  durch  Abkühlung,  darauf 
durch  Waschen  mit  alkoholischer  Anilinlösung. 

ThiocarbonyleUorid  ^  CSCl^  —  die  dem  Phosgen  entsprechende 
Schwefelverbindung,  daher  auch  Thiophosgen  genannt,  —  wird  erhalten, 
indem  man  zunächst  Schwefelkohlenstoff  in  Perchlormethylmercaptan 
CCI3.SCI  überführt  (vgl.  S.  215)  und  letzteres  mit  Zinnchlorür  und  Salz- 
säure reducirt: 

CClg-SCl-a,  =  CSCl,. 

Das  nach  dieser  Beaction  jetzt  leicht  darstellbare  Thiophosgen  ist  eine 
Flüssigkeit,  welche  einen  höchst  unangenehmen,  theils  reizenden,  theils 
ekelerregenden  Geruch  besitzt,  bei  73« 5®  siedet  und  bei  15®  das  specifische 
Gewicht  1-509  zeigt.  Gegen  Wasser  ist  es  sehr  beständig;  erst  durch 
mehrstündiges  Kochen  mit  Wasser  wird  es  vollständig  unter  Bildung 
von  Kohlensäure  und  Schwefelwasserstoff  zersetzt.  Mit  Chlor  vereinigt 
es  sich  sehr  leicht  wieder  zu  Perchlormethylmercaptan.  Im  Sonnenlicht 
wird  es  allmählich  zu  Perchlorperthiokohlensäuremethylester 
CjSjCl^  =  Cl'CS-S'CClg  (Perchlorthioameisensäuremethylester), 
welcher  farblose  Krystalle  bildet  und  bei  116®  schmilzt,  polymerisirt; 


1  KoLBE,  Ann.  45,    44  (1843).    —   Rathke,   Ann.  167,  195  (1878).    Ber.    21, 
2589  (1888).  —  Rebn  u.  Sandoz,  Jb.  1887,  2545.  —  James,  Journ.  Soc.  51,  268  (1887). 

—  Klabon,  Ber.  20,  2380,  2384  (1887).  —  Billeter  u.  Strohl,  Ber.  21,  102  (1888). 

—  Bebqbeen,  Ber.  21,  337  (1888). 


1048  Thiokohlensäuren, 


ganz  reines  Thiophosgen  scheint  diese  Polymerisation  nicht  zu  erleiden. 
Sowohl  das  Thiophosgen  selbst  wie  auch  sein  Polymeres  wird  durch  Elr- 
hitzen  mit  Aluminumchlorid  in  ein  Gemisch  von  Schwefelkohlenstoff  und 
Tetrachlorkohlenstoff  verwandelt;  dieselbe  Zersetzung  erleidet  das  Thio- 
phosgen beim  Erhitzen  mit  Salmiak  auf  200^.  Thiophosgen  ist  ein  sehr 
reactionsfähiger  Körper,  der  zur  Herstellung  vieler  organischer  Schwefel- 
verbindungen benutzt  werden  kann;  so  kann  man  z.  B.  primäre  Amine 
sehr  glatt  mit  Hülfe  von  Thiophosgen  in  Senfole ^  verwandeln: 

X-NH,  +  CSCl,  =  X-N  :  CS  +  2 HCl; 

dieser  Keaction  entspricht  auch  die  Bildung  von  ßhodanammonium  bei 
der  Einwirkimg  von  Ammoniak  auf  Thiophosgen. 

Den  Carbonaten  entsprechende  Schwefelyerbindongen  (Salze 

nnd  Ester  der  Thiokohlensäuren).    Von  dem  Kohlensäurehydrat: 

/OH 
C0< 

kann  man  sich  verschiedenartige  entsprechende  Schwefelverbindungen 
abgeleitet  denken,  je  nachdem  die  Hydroxjlsauerstoffatome  oder  das 
Carbonylsauerstoffatom  oder  sämmtUche  SauerstoiFatome  durch  Schwefel 
vertreten  werden.  Zur  Unterscheidung  der  einzelnen  Schwefelungsstufen 
in  den  Benennungen  sei  eine  vom  Genfer  Nomenclaturcongress  (vgl. 
S.  1091  ff.)  beschlossene  Regel  benutzt,  nach  welcher  der  einfach  an 
Kohlenstoff  gebundene  Schwefel  durch  die  Silbe  „thiol",  der  doppelt 
an  Kohlenstoff  gebundene  Schwefel  durch  die  Silbe  „thion"  bezeichnet 
wird.  Die  einzelnen  Möglichkeiten  mit  den  sich  so  ergebenden  Namen 
mögen  zunächst  zusammengestellt  werden: 

<SH  /OH 

CS< 
OH  \0H 

Thiolkohlensäure  Thionkohlens&ure. 

/SH  /OH 

n.  Dithiokohlensäuren:  C0<  CS< 

\SH  ^SH 

Dithiolkohlensfture      Thionthiolkohlens&ure. 

IIL  Trithiokohlensäure:  CS<      . 

^SH 

Diese  Thiokohlensäuren  sind  in  Form  von  Salzen  oder  Estern  bekannt 

ThiolkohlensSure  *  HO  •  CO  •  SH  ezistirt  m  Form  ihrer  neatralen  Ester  RO  •  CO  •  SR 
und  in  Form  der  Salze  von  sauren  Estern  RO-CO-SMe.  Die  Salze  der  sauren 
Ester   —    wie    äthylthiolkohlensaures  Kalium    C,H5-0*C0SK    (lange,   in 

*  Vgl.  BiLLETEB  u.  Steinbr,  Bcr.  20,  229  (1887). 

*  Debüs,  Ann.  76,  129  (1850).  —  Chancel,  J.  pr.  63,  178  (1851).  —  Behdes, 
Ann.  148,  137  (1868).  —  Salomon,  J.  pr.  [2]  6,  476  (1872);  6,  433  (1873).  —  Orro 
u.  RössiNO,  Ber.  19,  1232  (1886). 


Monothio^  und  Dithiokoklensäuren,  1049 


Wasser  und  Alkohol  leicht  lösliche  Nadeln)  —  entstehen  bei  Einwirkung  von  Kohlen- 
säure auf  Mercaptide  oder  beim  Einleiten  von  Rohlenozysulfid  in  alkoholische  Al- 
kalien! 

CO,  +  C.HßSK   =  1  yOCjH» 


:k 


COS  +  CHß.OK  =  j  ^SK 

femer  durch  Einwirkung  von  alkoholischen  Alkalien  auf  Xanthogensäureester  (vgl. 
S.  1050);  werden  sie  mit  einer  Mineralsfture  zersetzt,  so  zerfällt  die  in  Freiheit  gesetzte 
Alkylthiolkohlensfture  sofort  in  Kohlenoxysulfid  und  Alkohol: 

CJEIß-OCOSH  =  CjHft.OH  +  COS. 

—  Die  neutralen  Ester  —  wie  Thiolkohlensäureftthylester  CjHg-O'CO'S- 
CsHg  (Siedepunkt  156°,  spec.  Gew.  bei  18°  1*028)  —  entstehen  durch  Umsetzung 
von  C!hlorkohlensäureestem  mit  Mercaptiden: 

CjHß.O.CO.Cl  +  NaS.CjHs  =-  CjHj.O.CO.S.CÄ  +  NaCl. 

ThloiikohlensftnreHO-CSOH.  Der Diäthylester^Cj|HB-0-CS0C,H5 dieser 
Säure  ist  aus  dem  Aethylxanthogendisulfid  CsHs-O-CS-SS  CS-OCsH»,  welches 
durch  Einwirkung  von  Jod  auf  Kaliumxanthogenat  entsteht,  durch  Zersetzung  bei 
der  Destillation  erhalten  worden;  Siedepunkt:  etwa  162°,  spec  Gew.  bei  19°:  1*341. 

Bithiolkohlensftnre*  HS— CO— SH.  Neutrale  Ester  dieser  Säure  sind  durch 
Umsetzung  von,  Clilorkohlenozyd  mit  Katriummercaptiden: 

COCl, +  2NaSC,H5  =  00(8*0^), -I- 2NaCl, 

ferner  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Schwefelsäure  auf  Alkylrhodanide  (S.  1017) 
erhalten;  sie  werden  durch  Erhitzen  mit  Wasser  in  Kohlensäure  und  Mercaptan, 
durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Ammoniak  in  Carbamid  und  Mercaptan  zerlegt 
Der  Diäthylester  CsHsSCOS-CsHg  riecht  knoblauchartig,  siedet  bei  196—197° 
und  besitzt  bei  23°  das  spec.  Gew.  1*084. 

Thionthiolkohlens&ure^  HO-CS*SH.  Die  sauren  Ester  dieser 
Säure  mit  an  Sauerstoff  gebundenem  Alkylrest  R-0-CS-SH  werden 
XanthogensSuren  genannt,  weil  ihre  Salze  in  Kupferlösungen  einen 
gelben  Niederschlag  erzeugen  (vgl.  unten).  Die  AlkaHsalze  der  Xan- 
thogensäuren  sind  ausserordentlich  leicht  durch  Vereinigung  von  Schwefel- 
kohlenstoff mit  Alkoholaten: 

CS,  +  CtHj.O.Na  =  C,H5.0.CS.SNa 

darstellbar.  So  braucht  man  nur  eine  concentrirte  Lösung  von  Aetzkali 
in  absolutem  Alkohol  mit  überschüssigem  Schwefelkohlenstoff  zu  ver- 
setzen, um  die  schwach  gelblichen,  seidenglänzenden  Nadeln  des  äthyl- 
xanthogensauren  Kaliums  massenhaft  sich  abscheiden  zu  sehen. 
Dieses   Salz    ist   in  Wasser   sehr  leicht   löslich;    die  Lösung  giebt  mit 


*  Debüs,  Ann.  76,  136  (1850).  —  Salomon,  J.  pr.  [2]  6,  441  (1873);  7,  255  (1873). 

«  Schmitt  n.  Glutz,  Ber.  1,  166  (1868J.  —  Salomon,  J.  pr.  [2]  6,  443  (1873); 
7,  265  (1873).  —  Seifpbrt,  J.  pr.  [2]  31,  464  (1885).  —  Schöne,  J.  pr.  [2]  32,  244  (1885). 

>  ZsisE,  Berz.  Jb.  3,  80  (1824);  16,  302  (1837).  —  Pelouze  n.  Liebio,  Ann.  19, 
260  (1886).  —  CouERBE,  Berz.  Jb.  17,  332  (1838).  —  Sacc,  Ann.  51,  345  (1844).  — 
Dkbüs,  Ann.  72,  1  (1849);  75,  121  (1850).  —  Chahcel,  J.  pr.  63,  113  (1851).  —  Hlasi- 
wmz,  Ann.  122,  87  (1862).  —  Schmitt  u.  Glutz,  Ber.  1,  168  (1868).  —  Salomon, 
J.  pr.  [2]  e,  445  (1873);  8,  114  (1874).  —  Phipson,  CJompt.  rend.  84,  1459  (1877).  — 
Fleischer  u.  Hank6,  Ber.  10,  1293  (1877). 


1050      Trithiokohlensäureester,  Schwefelderivai^  der  Cklorkohlensäureester. 


Kupferoxyd  zunächst  einen  schwarzbraunen  Niederschlag,  der  rasch  in 
das  gelbe  flockige  xanthogensaure  Kupferoxydul  Cu2(CgHßOS2)j  tibergeht. 
Durch  Zerlegung  des  Kaliumsalzes  mit  verdünnter  Schwefelsäure  in  der 
Kälte  erhält  man  die  freie  Aethylxanthogensäure  als  farbloses  Oel, 
das  schon  bei  24®  in  Alkohol  und  Schwefelkohlenstoff  zerfällt.  Durch 
Umsetzung  der  Alkalixanthogenate  mit  Halogenalkylen  erhält  man  die 
Xanthogensäureester  oder  neutralen  Ester  der  Thionthiol- 
kohlensäure. 

CjH^O-CSSK  +  BrCA  =  CjH^O-CSSC.Hß  +  KBr, 

welche  im  Gegensatz  zu  den  Dithiolkohlensäureestem  (S.  1049)  durch 
Erhitzen  mit  Wasser  in  Kohlensäure,  Schwefelwasserstoff,  Alkohol  und 
Mercaptan,  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  in  Mercaptan  und  Xan- 
thogenamide  RO-CS-NHj  (S.  1065)  gespalten  werden.  Der  Diäthyl- 
ester  CjHß-O-CS-S-CjHg  riecht  knoblauchartig,  siedet  bei  200®  und 
besitzt  bei  19®  das  spec.  Gew.  1-085. 

TritbiokohlensSure ^  H^CSs.  Die  Alkalisalze  dieser  Säure  entstehen,  wenn 
Schwefelkohlenstoff  bei  gelinder  Wärme  in  Lösungen  der  Schwefelalkalien  au%eldst 
wird: 

CSj  4-  Na,S  =  Na,CS,-, 

ihre  verdünnten  wässrigen  Lösungen  scheiden  an  der  Luft  rasch  Schwefel  ab,  indem 
sie  Sauerstoff  absorbiren  und  in  Carbonate  übergehen.  Aus  den  Lösungen  der  Alkali- 
salze scheidet  verdünnte  Salzsäure  die  freie  Trithiokohlensäure  als  rothbrannes, 
schweres,  zersetzliches  Oel  ab.  Die  Ester  der  Trithiokohlensäure  entstehen  aus  den 
AlkaUsalzen  durch  Umsetzung  mit  Halogenalkylen,  aus  Mercaptiden  durch  Einwirkong 
von  Thiophosgen.  Der  Aethylester  (C2H5)sCS8  ist  ein  gelbes  Oel  und  siedet  bei 
240^.  Ueber  Verwendung  der  trithiokohlensauren  Salze  zur  Bekämpfung  der  Beb- 
laus vgl.  S.  1045. 

Behwefelderirate  der  ChlorkohlensSureester'.  Durch  Umsetzung  von  Phosgen 
mit  Mercaptanen  können  Chlorthiolkohlensäureester  wie  Cl*CO*S-CsHs,  durch 
Umsetzung  von  Thiophosgen  mit  Alkoholen  Chlorthionkohlensäureester  wie 
C1*CS-0«C,H5,  durch  Umsetzung  von  Thiophosgen  mit  Mercaptanen  Chlorperthio- 
kohlensäureester  wieCl'CS'S-CgHß  gewonnen  werden.  Ueber  Perchlorperthio- 
kohlensäuremethylester  Cl-CS-S-CCla  vgl.  S.  1047. 

IV.    Amide  der  Kohlensäure. 

Von  der  Kohlensäure  —  als  zweibasischer  Säure  —  kann  sowohl 
ein  Amid  wie  eine  Aminsäure  abgeleitet  werden: 


1  Bkbzelius,  Pogg.  6,  444  (1826).  —  Schweizer,  J.  pr.  32,  254  (1844).  — 
Cahours,  Berz.  Jb.  27,  548  (1848).  —  Debus,  Ann.  75,  147  (1850).  —  Caaxoeu 
J.  pr.  53,  177  (1851).  —  Husemann,  Ann.  123,  66,  83  (1862);  126,  269  (186S).  — 
Sestim,  Jb.  1871,  262.  —  Salomon,  J.  pr.  [2]  6,  446  (1873).  —  Walker,  Jb.  1874, 
235.  —  Vincent,  Ann.  eh.  [5]  22,  544  (1881).  —  Vbley,  Joum.  Soc.  47,  486  (1885). 
—  Klason,  Ber.  20,  2385  (1887).  —  Nasini  u.  Scala,  Ber.  20c,  707  (1887). 

•  SAtoMON,  J.  pr.  [2]  7,  252  (1873).  —  Schöne,  J.  pr.  [2]  30,  ;416  (1885);  82, 
241  (1885).  —  Klason,  Ber.  20,  2384  (1887). 


Carbamid  oder  Harnstoff,  1051 

C0<  C0< 

Carbamid  CarbaminsSure. 

Auch  ein  Imid  erscheint  denkbar: 

CO  =  NH,  Carbimid ; 

letzteres  ist  als  desmotrope  Form  der  Cy ansäure  (S.  1009  ff.)  schon  be- 
besprochen worden.  Indem  man  sich  Kohlensäurereste  durch  Imid- 
gruppen  verbunden  denkt,  gelangt  man  femer  zu  Verbindungen,  wie 

/CO.  OH  yCONH, 

NH<  ,  NH<  etc. 

\COOH  ^CO.NHj 

Carbamid  NKj-CO-NH^  ist  eine  Verbindung,  welche  für  den  thieri- 
schen  Stoffwechsel  von  der  allergrössten  Bedeutung  ist.  Sie  wurde  1773 
im  Harn  entdeckt,  findet  sich  in  reichlicher  Menge  im  Harn  der  Säuge- 
thiere  und  wird  daher  gewöhnlich  Harnstoff  genannt;  Menschenham 
enthält  1-5 — 3- 7^0  Harnstoff;  die  per  Tag  von  einem  erwachsenen 
Menschen  durchschnittlich  abgesonderte  Harnstoffmenge  beträgt  etwa 
30  g.  Auch  andere  thierische  Flüssigkeiten  ^  ausser  dem  Harne  —  Blut, 
Lymphe  etc.  —  enthalten  Harnstoff,  wenn  auch  meist  nur  in  geringer 
Menge;  das  Blut  der  Haifische*  dagegen  ist  an  Harnstoff  ungefähr  ebenso 
reich,  wie  der  menschliche  Harn.  Der  Harnstoff  entsteht  im  Organismus 
aus  den  Eiweisskörpern^,  zum  kleinen  Theil  durch  directen  ZerfaU  derselben, 
zum  grössten  Theil  indirect  aus  ihren  Spaltungsprodukten  (vgl.  S.  1052). 
Beim  Säugethierorganismus  (vgl.  Harnsäure,  S.  1083)  ist  er  unter  den 
stickstoffhaltigen  Endprodukten  des  Stoffwechsels  dasjenige,  welches  in 
grösster  Menge  gebildet  wird;  man  kann  daher  die  inneAalb  einer  ge- 
wissen Zeit  ausgeschiedene  Harnstoffquantität  als  Mass  für  den  Verbrauch 
von  stickstoffhaltigen  Nahrungs-  bezw.  Körperbestandtheilen  betrachten. 

Harnstoff  wurde  1828  von  Wöhlee*  künstlich  durch  Umlagerung 
von  cyansaurem  Ammonium  gewonnen: 

COiN-NH^   bezw.   CN.O.NH4    >-    Co/"     % 

das  cyansaure  Ammonium  erleidet  diese  umlagerung  schon  beim  Er- 
wärmen seiner  wässrigen  Lösung  auf  dem  Wasserbade.  Die  historische 
Bedeutung  dieser  Entdeckung  ist  schon  aus  der  Einleitung  (S.  1)  bekannt: 


*  WöHLEB,  Ann.  58,  98  (1846);  66,  128  (1848).  —  Millon,  Compt.  rend.  28, 
121  (1848).  —  Stadblb^u.  Frebichs,  Jb.  1858,  550;  1869,  611.  —  Wubtz,  Jb.  1859, 
611.  —  P01S8EULLE  u.  60BLET,  Jb.  1859,  612.  —  Lefobt,  Compt  rend.  62,  190 
(1866).  —  Vogel,  Jb.  1867,  982.  —  Rabutbau,  Jb.  1878,  877.  —  Piocabd,  Compt. 
rend.  87,  533,  993  (1878). 

*  W.  V.  ScHBÖDBB,  Ztschr.  f.  physioL  Chem.  14,  576  (1890). 

'  Näheres  über  die  Entstehung  des  Hamstofis  im  Organismus  vgl.  in  Bunoe^s 
Lehrb.  d.  physioL  u.  pathol.  Chem.  (Leipzig,  1889),  S.  282—290. 

*  Pogg.  12,  253  (1828). 


1052  Bildung  und  Darstdiung  von  Hanistoff, 


die  erste  „Synthese"  einer  vom  Organismus  erzeugten  organischen  Ver- 
bindung war  damit  gelungen. 

Andere  später  aufgefundene  synthetische  Bildungsweisen  illustriren 
besonders  deutlich  die  constitutionellen  Beziehungen  des  Harnstoffs  zur 
Kohlensäure  (vgl.  auch  S.  1061).  Harnstoff  bildet  sich  durch  Einwirkung 
von  Chlorkohlenoxyd  auf  Ammoniak^: 

COClj  +  2NH8  =  CO(NH,),  +  2  HCl 

—  und  zwar  besonders  glatt,  wenn  man  zunächst  durch  Einwirkung  von 
Chlorkohlenoxyd  auf  Phenolnatrium  CgHg-ONa  das  Diphenylcarbonat 
CO(0-CgH5)3  darstellt  und  letzteres  bei  Wasserbadwärme  mit  trockenem 
Ammoniakgas  behandelt'.  Ebenso  kann  er  leicht  aus  Kohlenoxysulfid 
durch  Einwirkung  auf  Ammoniak  erhalten  werden': 

/NH,  /NH, 

COS  +  2NHg  =  C0<  =  C0<  +  H,S. 

Cyanamid  (vgl.  S.  1022)  geht  durch  Wasseranlagerung  unter  dem  Einfluss 
concentrirter  Mineralsäuren  in  Harnstoff  über*. 

Durch  physiologische  Untersuchungen  hat  sich  herausgestellt,  dass 
höchstwahrscheinlich  bei  der  Hamstoffbildung  im  Organismus  als  Vorstufe 
des  Harnstoffs  kohlensaures  bezw.  carbaminsaures  Ammonium  auftritt;  es 
erscheint  mit  Bücksicht  auf  diesen  Befund  wichtig,  dass  man  durch 
Elektrolyse  einer  Lösung  der  genannten  Ammoniumsalze  mit  Wechsel- 
strömen oder  auch  bei  Gegenwart  von  Platinmohr  mit  gleichgerichteten 
Strömen  Harnstoff  in  geringen  Mengen  erhält^.  Aus  carbaminsaurem 
Ammonium  bildet  er  sich  auch  beim  Erhitzen  im  Rohr®  auf  130 — 140^. 

Im  Organismus  stellen  die  Eiweisskörper  in  erster  Linie  das  Roh- 
material für  die  Hamstoffbildung  dar.  Es  ist  daher  von  Interesse,  dass 
auch  ausserhalb  des  Organismus  die  Abspaltung  von  Harnstoff  aus  Ei- 
weisskörpem  ausführbar  ist^;  aus  Caseln  und  anderen  Eiweisskörpem 
erhält  man  durch  Kochen  mit  concentrirter  Salzsäure  und  etwas  Zinn- 
chlorür  das  Lysatinin  CgHjjNgO,  (vgl.  S.  1078)  —  eine  Base,  welche  nun 
beim  Kochen  mit  Barytwasser  Harnstoff  liefert  (vgl.  auch  die  Bildung 
von  Guanidin  durch  Oxydation  von  Eiweiss,  S.  1068). 

Darstellnng  des  Harnstoffs  aus  Harn'.  Man  dampft  Harn  stark  ein, 
fugt  nach  dem  Erkalten  starke  Salpetersäure  zu  und  erhftit  so  einen  Niederschlag  von 


^  Natanson,  Ann.  98,  287  (1856).  —  Neubaurb  u.  Kebner,  Ann.  101,  344  (1857). 

—  BoucHABDAT,  Compt.  Tcud.  69.  961  (1869). 

•  Hbntschel,  Ber.  17,  1286  (1884).  »  E.  Schmidt,  Ber.  10,  191  (1877). 

^  Caxnizzaso  u.  Ctoftz,  Ann.  78,  280  Anm.  (1851).  —  BAüMAnr,  Ber.  6, 
1373  (1873). 

^  Drechsel,  J.  pr.  [2]  22,  481  (1880).  Jb.  1886,  279.  —  VgL  anch  Mhxot, 
Compt  rend.  101,  432  (1885);  103,  153  (1886). 

•  Basaeow,  J.  pr.  [2]  1,  283  (1870).  —  Boueoeois,  Bull.  [3]  7,  48  Anm.  (1892). 
'  Drechsel,  Ber.  23,  3096  (1890). 

»  Vgl.  Berzelius,  Pogg.  18,  84  (1880).  —  Millov,  Ann.  eh.  [3]  8,    235  (1843). 

—  RoüssiN,  Jb.  1859,  612.  —  de  Lüna,  Jb.  1860,  580. 


Eigensdiaftm,   Verhalten,   Verbindungen  des  Harnstoffs.  1053 


salpetersaarem  Harnstoff;  das  Harnstofliiitrat  wird  durch  Krystallisation  gereinigt, 
darauf  in  warmer  wässriger  Lösung  mit  Bariumcarbonat  zersetzt;  man  dampft  nun 
das  Gemisch  zur  Trockne  und  extrahirt  aus  dem  Rückstand  den  Harnstoff  durch 
Alkohol. 

Darstellung  des  Harnstoffs  aus  Ammoniumcyanat  Man  löst  Kalium- 
cyanat  (vgl.  S.  1010)  und  die  äquivalente  M^age  Ammoniumsulfat  in  Wasser,  verdampft 
die  Lösung  auf  dem  Waeserbade  zur  Trockne  und  zieht  den  Kückstand  mit  Alkohol 
aus.  Man  braucht  indess  nicht  von  reinem  Raliumcjanat  auszugehen,  sondern  kann 
direct  Ijösungen  benutzen,  wie  sie  nach  Oxydation  von  Cyankalium  resultiren  —  z.  B. 
die  Lösung  der  Schmelze  von  Cyankalium  mit  Bleiozyd  oder  eine  unter  Eiskühlung 
mit  Kaliumpermanganat  ozydirte  Cyankaliumlösung^. 

Harnstoff  krystallisirt  aus  Wasser  in  langen,  flachen,  dem  Kalisal- 
peter ähnlichen  Prismen,  ist  in  Wasser  sehr  leicht,  auch  in  Alkohol 
leicht  löslich.  Er  schmilzt^  bei  132 — 133^  Im  Vacuum  sublimirt^  er 
reichlich  unzersetzt  zwischen  120^  und  130®.  Bei  höherem  Erhitzen* 
unter  gewöhnlichem  Druck  wird  er  unter  Bildung  von  Ammoniak, 
Kohlensäure,  Biuret  (vgl.  S.  1056)  und  Cyanursäure  (S.  1030)  zersetzt. 

Durch  Kochen  mit  Alkalien  oder  mit  Säuren  wird  Harnstoff  in 
Kohlensäure  und  Ammoniak  gespalten.  Durch  Behandlung  mit  unter- 
bromigsaurem  Alkali  oder  mit  salpetriger  Säure  ^  zerfällt  er  in  Kohlen- 
säure und  Stickstoff: 

COCNHs),  +  SNaBrO  =  CO,  +  N,  +  2H4O  +  3NaBr 
CO(NH,),  4-  2HN0s     =  COs  4-2N,  +  3H,0. 

Durch  Erhitzen  mit  alkoholischem  Kali  liefert  Harnstoff  reichliche  Mengen 
von  Kaliumcyanat^. 

Harnstoff  tritt  mit  Säuren,  Basen  und  Salzen  zu  Verbindungen^  zu- 
sammen, von  denen  einige  für  seine  Erkennung  und  Abscheidung  sehr 
geeignet  sind. 

Das  Harns toffni trat  CONgH^.HNOs  wird  sehr  häufig  zur  Abscheidung  des 
Harnstoffs  benutzt;  es  bildet  glänzende  Täfelchen,  ist  in  Wasser  wenig  löslich, 
namentlich  aber  in  Salpetersäure  schwer  löslich.  —  Das  Oxalat  2CON2HA.C2H2O4 
kann  infolge  seiner  Schwerlöslichkeit  (1 :  28  Th.  Wasser  von  15^)  für  denselben  Zweck 
dienen.  —  In  sehr  verdünnter  Lösung  giebt  Harnstoff  mit  Quecksilberozydnitrat 
einen  kömigen  weissen  Niederschlag  der  Verbindung  2CONjH4.Hg(NOj),.3HgO.  — 
Säurefreie  Pallad iumchlorürlösung  iSXM  aus  Harnstofflösung  einen  bräunlichgelben 
krystallinischen  Niederschlag  2C0N|H4.PdCl9. 


^  Baüdsimomt,  Jb.  1880,  893.  —  Volhabd,  Ann.  269,  877  (1890). 

^  LüBAviN,  Ber.  3,  808  (1870).  —  Reissebt,  Her.  23,  2244  (1890). 

«  BoüRGBOis,  Bull.  [3]  7,  45  (1892). 

*  Vgl.  WöHLEE,  Pogg.  16,  619  (1829).  —  WiEDEMANN,  Auu.  68,  325  (1848). 

^  Vgl.  Emmerunq,  Jb.  1886,  547. 

»  Vgl.  EmcH,  Monatsh.  10,  331  (1889). 

'  Bebzelius,  Pogg.  18,  86  (1830).  —  Reqnault  ,  J.  pr.  16,  285  (1839).  —  Erd- 
MAMN  u.  Kbützsch,  J.  pr.  26,  506  (1842).  —  Wertheb,  J.  pr.  36,  51  (1845).  — 
LiBBiG,  Ann.  86,  289  (1853).  —  Dessaignes,  Jb.  1864,  677.  —  Marignac,  Jb.  1866, 
729-  —  Hlasiwetz,  Jb.  1866,  698.    —    Neubauer  u.  Kerner,  Ann.  101,  337  (1857). 

—  LoscHMiDT,  Jb.  1866,  656.  —  Schmeltzer  u.  Birnbaum,  Ztschr.  Chem.  1869,  206. 

—  Dbechsel,  J.  pr.  [2]  20,  469  (1879). 


1054  '       Älkylderivate  des  Carbamids. 


Für  physiologische  Untersuchungen  ist  es  von  Wichtigkeit,  den  Harnstoff 
quantitativ  bestimmen  zu  kSnnen.  Für  diesen  Zweck  sind  mehrere  Methoden* 
ausgearbeitet  und  eingehend  geprüft  worden.  Die  BuvsEK'sche  Methode  gründet 
sich  darauf,  dass  Harnstoff  beim  Erhitzen  mit  alkalischer  Chlorbariumldsung  im  Bohr 
auf  etwa  230®  in  Kohlensäure  und  Ammoniak  gespalten  wird;  diese  beiden  Spaltungs- 
produkte können  nun  nach  den  gewöhnlichen  analytischen  Methoden  bestimmt  werden. 
Das  Verfahren  von  Knop-Hüfheb'  gründet  sich  auf  die  S.  1058  erwähnte  Zersetzung 
des  Hamsto£Es  durch  unterbromigsaures  Alkali;  der  dadurch  entwickelte  Stickstoff  wird 
—  in  besonders  für  diesen  Zweck  construirten  Apparaten  —  volumetrisch  bestimmt 

Älkylderivate  des  Carbamids  sind  in  grosser  Zahl  dargestellt  Analog  der 
WöHLEB'schen  Harnstoffsynthese  kann  man  Monalkylderivate  und  unsymmetrische  Di- 
alkylderivate  durch  Umlagerung  der  Cyanate  von  Aminen  in  der  Wärme  gewinnen: 

.NHj 


C0NH.NH,(C,H6)  =  CO 


\ 


NH.CjHj 
NH, 


CONH.NHCCHJ,  =  C04 

\N(C,H,),  . 

Aus  den  Isocyansäureestem  (S.  1012)  können  durch  Addition  von  Ammoniak 
Monalkylderivate,  von  primären  und  socundären  Aminen  symmetrische  Dialkylderivat«^ 
und  Trialkylderivate,  durch  Einwirkung  von  Wasser  symmetrische  Dialkylderivate 
des  Harnstoffs  erhalten  werden.  Durch  Einwirkung  von  Phosgen  auf  secundäre  Amine 
kann  man  endlich  tetralkylirte  Carbamide  darstellen: 

/N(CH,), 
COCl,  +  NH(CH,),  =  C0<:  +  2  HCl . 

\N(CH,), 

Alkylirte  Harnstoffe,  welche  keine  primäre  Amidgruppe  mehr  enthalten,  können 

in  der  R^el  unzersetzt  destillirt  werden;  mit  der  Anzahl  der  eingetretenen  Alkylreste 

Mit  der  Siedepunkt.    Aus  den  alkylirten  Harnstoffen,  welche  Imidgruppen  entfialteu, 

entstehen    durch    Einwirkung    von    salpetriger    Säure    Nitrosoharnstoffe,   z.  B. 

.N(NO).Cä 
COc^  ,    welche    zu   Hydrazinhamstoffen   (Semicarbazide),    z.   B. 

^NH, 

.N(NH,).C,H, 
COc^  reducirt  werden  können  (Darstellungsmethode  der  Hydrazine,  vgl 

\NH, 

S.  248 — 249).    Manche  Hamstoffabkömmlinge  lassen  sich  auch  durch  Behandlung  mit 

wasserfreier  Salpetersäure  in  Nitroderivate*  überführen,  welche   die  Nitrogruppe 

an  Stickstoff  gebunden  enthalten  und  durch  Spaltung  Nitroamine  (vgl.  S.  239)  liefern. 

CH,-NH.  CH,-N\-NO,  CH,— NH-NO, 

I  ^CO >►  >co    >■ 

CH,— nh/  ch,— n/no,  ch,— nh-no,  * 

Methylharnstoff*-«  CO(NHaXNH •  CH,)  krystalUsu^  in  Prismen,  schmilzt  bei 
101—1020.  —  Symmetrischer  Dimethylharnstoff*«  CO(N'HCH,),  schmilzt  bei 

^  Näheres  darüber  vgl.  in  VoRTicAifN's  Anleitung  z.  ehem.  Analyse  org.  Stoffe 
(Leipzig  u.  Wien  1891),  S.  355—359. 

*  Vgl.  dazu  LuTHEB,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  13,  500  (1889). 

'  Vgl.  Franchikont  u.  Klobbie,  Rec.  trav.  chim.  7,  236  (1888). 

*  WuETz,  Rupert,  chimie  pure  4,  199  (1862). 

*  A.  W.  Hopmann,  Ber.  14,  2734  (1881).  —  v.  Bbünino,  Ann.  253,  5  (1889). 
'  Fbanohimont,  Eec.  trav.  chim.  3,  216  (1884). 


AcylderivcUe  des  Carhannids  (Ureide).  1055 


99-5— 102. 5^  aiedet  bei  268— 273^  —  Unsymmetrischer  Dimethylharnstoff^" 
CO(NH,XN[CH,],)  schmilzt  bei  180^  schmeckt  süss  und  liefert  durch  Behandlung  mit 
Salpetersäure  Nitrodimethylamin  NOjN(CHj)s.  —  Trimethylharnstoff'  CH^NH- 
C0N(CHa)8  schmilzt  bei  75-5<>  und  siedet  bei  282o.  —  Tetramethylharnstoff»» 
COiN(CHs),},  ist  flüssig,  siedet  bei  177«  und  besitzt  bei  15«  das  spec.  Gew.  0-972. 

Aethylharnstoff*-*  NH, •  CO •  NHcCjHs)  schmilzt  bei  92«  und  ist  in  Wasser 
sehr  leicht  löslich.  —  Symmetrischer  Diäthylharnstoff*'«  (C,H5)NH.C0. 
NHCCjHg)  schmilzt  bei  108—110«,  siedet  bei  268«.—  Unsymmetrischer  DiÄthyl- 
harnstoff»-'  NHj.CONCCjHs),  schmilzt  bei  74«  und  schmeckt  süss.  —  Triäthyl*- 
harnstoff**  {CsHs)NH.C0N(C,H5)j  schmilzt  bei  63«  und  siedet  bei  223«.  — 
Tetraäthylharnstoff»  (C,H5),NCO-N(C,H5),  ist  flüssig,  riecht  pfeffermünzartig, 
siedet  zwischen  210«  und  215«  und  ist  in  Wasser  unlöslich. 

Als  Beispiel  für  die  AeylderiTate  des  Carbamids  (UreYde)  seien  hier  die 
Acetylderivate"  erwähnt.  Acetylharnstoff  NHs.CONHCO.CHj  kann  durch 
Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  Harnstoff  und  durch  Vereinigung  von  Acetyliso- 
cyanat  (S.  1013 — 1014)  mit  Ammoniak  gewonnen  werden  und  schmilzt  bei  214«. 
Symmetrischer  Diacetylharnstoff  CHg.CO-NHCONH. CO. CHa  entsteht  durch 
Vereinigung  von  Acetylisocyanat  mit  Acetamid  und  schmilzt  bei  152 — 153«. 

Durch  Einwirkung  von  Brom  auf  Säureamide  CqHsq^|*CO*NH,  in  alkalischer 
Lösung  erhält  man  Hamstoffderivate,  welche  in  die  eine  Amidgruppe  einen  Alkylrest 
C^Hja+i,  in  die  andere  einen  Säureest  CnHjn^i'CO —  eingefügt  enthalten,  z.  B. 
Methylacetylharnstoff  CH, -NH. CO- NH- CO -CHj  (Schmelzpunkt  180«)  aus  Acet- 
amid.  Dieser  eigenthümliche  Process  ist  schon  S.  371  besprochen  und  erklärt  worden. 

Wenn  Harnstoff  sich  mit  mehrwerthigen  Säuren  combinirt,  so  können,  indem 
beide  Amidgruppen  eines  Hamstoffmolccüls  mit  einem  Säureradical  reagiren,  Ver- 
bindungen entstehen,  welche  einen  cyclischen  Atomcomplex  enthalten: 

/NH-CH,  /NH— CO^  /NH-CO 

C0<  I      ,     C0<  >CH(OH),    C0<  I       etc. 

\nh-co         ^nh-co/  \nh-co 

Glykolylhamstoff         Tartronylhamstoff  Oxalylhamstoff. 

Diese  Verbindungen,  welche  wegen  ihrer  Beziehungen  zur  Harnsäure  und  anderen 
physiologisch  interessanten  Körpern  wichtig  sind,  können  unter  der  Bezeichnung 
„cyclische  Ure'ide"  zusammengefasst  werden.  Sie  werden  später  (S.  1072  ff.)  im 
Zusammenhang  mit  der  Harnsäuregruppe  besprochen  werden,  gleichzeitig  auch  die 
durch  Wasseraufhahme  daraus  entstehenden  Verbindungen  mit  offener  Kette,  wie 

/NH-CHj  /NH-CO 
C0<:            I                      C0<  I 
^NHj  CO. OH                 \NH,  CO. OH. 

^  Fbanchimomt,  Rec.  trav.  chim.  3,  216  (1884). 

"  V.  D.  Zande,  Rec.  trav.  chim.  8,  222  (1889). 

'  MicHLER  u.  Esoherich,  Ber.  12,  1164  (1879).  * 

*  WuETZ,  Rupert,  chimie  pure  4,  199  (1862). 

*  Leuckabt,  J.  pr.  [2]  21,  10  (1880). 

*  LiMPRiCHT  u.  Habich,  Ann.  109,  106  (1859).  —  v.  Zotta,  Ann.  179,  101  (1875). 
—  E.  PiscHEH,  Ann.  199,  283  (1879). 

^  FRAKCHiMOirr,  Rec.  trav.  chim.  2,  122  (1888). 

«  A.  W.  HoPMANN,  Jb.  1862,  334. 

»  MiCHLBR,  Ber.  8,  1665  (1875).  —  Wallach,  Ann.  214,  275  (1882). 
"  ZiNiK,  Ann.  92,  405(1854).  —  Moldenhauer,  Ann.  94,  100(1855).  —  E.  Schmidt, 
J.  pr.  [2]  5,  68  (1872).  —  Mertbns,  J.  pr.  [2]  17,  16  (1878).  —  Behrend,  Ann.  229, 
29  (1885).  —  Scholl,  Ber.  23,  3513,  3515  (1890). 


1056  Biuret,  Hydroxylhamstoff,  Carhamincyannid, 


Biuret^   NH<(^  kann  als  primär -secundäres   Amid   der  Kohlenaäiire 

aufgefsjBst  werden.    Es  entsteht  aus  Harnstoff: 


/NHj  /CO-NH, 

2C0<  =  NH<  +  NH3 

\nh,  \co~nh. 


in  reichlicher  Menge,  wenn  man  Harnstoff  für  sich  einige  Zeit  auf  150 — 160®  erhitzt 
^vgl.  S.  1030)  oder  mit  Phosphortrichlorid  auf  dem  Wasserbade  erwärmt;  auch  durch 
Einwirkung  von  Cyansäure  auf  Harnstoff  in  wässriger  Lösung  wird  Biuret  gebüdet. 
Es  krystallisirt  aus  Wasser  mit  1  Mol.  H^O  in  langen  Nadeln,  schmilzt  unter  Zer- 
setzung'bei  etwa  190^  löst  sich  bei  15<>  in  65  Th.,  bei  Siedehitze  in  2-2  Th.  Wasser. 
Bei  höherem  Erhitzen  zersetzt  es  sich  unter  Entwickelung  von  Ammoniak  und  Hinter- 
lassung von  Cyanursäure  (ygl.  S.  1053).  In  alkalischer  Lösung  giebt  Biuret  mit  Kupfer- 
sul&t  eine  charakteristische,  zwiebelrothe  bis  violettrothe  Färbung;  diese  sogenannte 
„Biuretreaction''  zeigen  auch  gewisse  Eiweisskörper  nach  dem  Erwärmen  mit  Al- 
kalien (vgl.  femer  S.  1069,  1070> 

HydroxjUiamstoff'  NHs*CO«NH(OH)  —  aus  Cyansäure  und  Hydroxylamin  — 
bildet  kleine  Nadeln,  schmilzt  bei  128—1 30  <>. 

Cyanhamstoff  oder  Carbamineyamid'  NH,-CONH*CN  (Amidodicyan- 
säure)  entsteht  aus  Cyanguanidin  (Dicyandiamid,  vgl.  S.  1069)  durch  Kochen  mit 
Baiytwasser;  die  Verbindung  ist  eine  starke  einbasische  Säure,  die  Carbonate  zer- 
legt; ihr  Kaliumsalz  entsteht  durch  directe  Vereinigung  von  Cyanamid  mit  Kalium- 
cyanat  in  wässriger  Lösung: 

/NH, 
CO :  NH  +  NHjCN  =  C0< 

^NH.CN; 

beim  gelinden  Erwärmen  mit  starken  Mineralsäuren  geht  Carbamincyamid  in  Biuret 

über: 

yNH,  /NH, 

C0<  +H,0  =  C0< 

\nh.cn  ^NHCO-NH, 

—  eine  Reaction,  welche  dem  Uebergang  der  Nitrile  in  Säureamide  entspricht  (vgL 
S.  297,  367).  —  Alkylirte  Carbamincyamide^  erhält  man  in  Form  ihrer 
Natriumsalze  durch  Einwirkung  von  Natriumcyanamid  auf  Isocyansäureester,  z.  B.: 

.NH.CÄ 
C0:N.C,H5 -HNHNa-CN  =  C0< 

^NNa-CN. 

In  dem  Verhältniss,  wie  zu  einem  primären  Amin  die  entsprechende  Hydraso- 
verbindung  und  Azoverl^ndung  (vgl.  Bd.  II),  stehen  zu  dem  Carbamid  die  Verbin- 
dungen: 


^  WiEDEMANN,  Ann.  68,  324  (1848).  —  Fikku,  Ann.  124,  331  (1862).  —  Bakteb, 
Ann.  130,  154  (1864).  —  Huppeet  u.  Dooiel,  Ztschr.  Chem.  1887,  691.  —  A.  W. 
HoFMANK,  Ber.  4,  262  (1871).  —  Bomf^  u.  Goldenbeeq,  Ber.  7,  287  (1874).  —  Wetth, 
Ber.  10,  1743  (1877).  —  Drbohsel,  J.  pr.  [2]  20,  474  (1879). 

'  Dbeslee  u.  Stein,  Ann.  160,  242  ^869).  —  Hodoes,  Ann.  182,  214  (1876). 

*  Hallwaohs,  Ann.  15a,  293  (1869).  —  Bauxann,  Ber.  8,  708  (1875). 

*  Wunderlich,  Ber.  19,  448  (1886).  —  Hecht,  Ber.  25,  820  (1892). 


HydrazO"  und  Azo-dicarhonamid,    Carbaminsäure,  1057 


Hydrazodlearbonamid ^''  C0\  >00  (Hydrazoformamid)  und 

^^ NH-NH ^ 

Azodiearbonamid'*'  C0\  yCO  (Azoformamid). 

^ N :  N ^ 

Das  Hjdrazodicarbonamid  entsteht  durch  Einwirkung  von  Salzen  des  Diamids 

auf  Kaliumcjanat;  die  Reaction: 

/NHs       NH,v 
CONH.NHj.NHj.CONH  =  COC  >CJO 

entspricht  durchaus  der  Harnstoff bildung  aus  Ammoniumcyanat  (S.  1051);  die  Ver- 
bindung schmilzt  unter  Zersetzung  bei  244 — 245^  und  ist  in  kaltem  Wasser  sehr 
schwer,  in  heissem  Wasser  etwas  leichter  löslich,  in  Alkohol  und  Aether  unlöslich. 
Durch. Oxydation  mit  Chromsäuregemisch  liefert  sie  das  Azodicarbonamid,  welches 
auch  aus  dem  salpetersauren  Azodicarbonamidin  NHs-C(:NH)*N:N*G(:NH)*NH, 
(vgl.  S.  1071)  durch  Kochen  in  wftssriger  Lösung  entsteht;  dasselbe  ist  ein  orange- 
rothes,  krystallinisches  Pulyer,  sehr  schwer  löslich  in  heissem  Wasser,  unlöslich  in 
Alkohol  und  kaltem  Wasser;  beim  Erhitzen  wird  es  bei  180 — 200°  unter  Entwicke- 
lung  von  Ammoniak  weiss  und  hinterlftsst  hauptsächlich  Cyanursäure;  durch  Reduction 
mit  Schwefelwasserstoff,  auch  durch  Kochen  mit  concentrirter  Salzsäure  oder  mit 
Sodalösung  geht  es  in  Hydrazodicarbonamid  über. 

CarbamlnsSure  OH-CO-NH^  ist  zwar  als  freie  Säure  nicht  be- 
kannt, wohl  aber  in  Form  von  Salzen,  Estern  und  Chloriden.  Unter 
ihren  Salzen*  (Carbamaten)  ist  das  Ammoniumsalz  NH^-O-CO'NHg 
wichtig,  da  es  das  directe  Einwirkungsprodukt  von  Kohlensäure  auf 
Ammoniak  darstellt: 

/O.NH4 
CO,  +  2NH3  =  C0< 

und  daher  einen  Bestandtheil  des  käuflichen  Ammoniumcarbonats  aus- 
macht, welch'  letzteres  in  der  Kegel  durch  Sublimation  eines  Gemisches 
von  Ammoniumsulfat  mit  Calciumcarbonat  bereitet  wird,  sich  also  durch 
Vereinigung  von  Ammoniakdämpfen  mit  Kohlensäure  bildet;  zur  Dar- 
stellung des  Ajnmoniumcarbamats  leitet  man  zweckmässig  Ammoniak 
und  Kohlensäure  gleichzeitig  in  abgekühlten,  absoluten  Alkohol,  das  Salz 
scheidet  sich  dann  als  Krystallpulver  ab.  Die  wässrige  verdünnte  Lö- 
sung des  carbaminsauren  Ammoniums  giebt  mit  verdünnter  Chlorcalcium- 
lösung  keinen  Niederschlag  und  unterscheidet  sich  dadurch  von  einer 
Ammoniumcarbonatlösung;  doch  geht  das  carbaminsäure  Ammonium  in 
wässriger  Lösung  bald  theilweise  in  kohlensaures  Salz  über.  Durch 
Mineralsäuren  wird   das  Salz  zu  Kohlensäure   und  Ammoniak  zersetzt: 


*  TfflELE,  Ann.  270,  44  (1892).  —  Cubtius  u.  Finger,  Ber.  26,  405  (1893). 
"  Thiele,  Ann.  270,  42  (1892),  vgl.  Berichtigung  S.  883. 

«  Thiele,  Ann.  271,  127  (1892). 

*  Divers,  Jb.  1870,  265.  —  Basaropf,  J.  pr.  [2]  1,  283  (1870).  —  Drechsel, 
J.  pr.  [2]  11,  829  (1875);  12,  417  (1875);  16,  .180  (1877).  —  Mülder,  ßec.  trav.  chim. 
6,  178  (1887). 

V.  Meybr  u.  Jaoobsoh,  org.  Chcm.    I.  67 


1058  Carbaminsäurechlotide, 


C0<  +  2HC1  =  COj  +  2NH.C1^ 

das  feste  Salz  zerfällt  schon  bei  etwa  60^  in  Ammoniak  und  Kohlen- 
säure, durch  Erhitzen  im  Rohr  auf  130 — 140*  liefert  es  reichlich  Harn- 
stoff (vgl.  S.  1052). 

Carbamins&ureehlorld^  Cl-CO-NHg  (Harnstoffchlorid)  wird  durch 
üeberleiten  von  trockenem  Salzsäuregas  über  cyansaure  Salze  (also  durch 
Vereinigung  von  Chlorwasserstoff  mit  Cyansäure)  oder  besser  durch 
Üeberleiten  von  Phosgen  über  erhitzten  Salmiak  (S.  1041)  gewonnen.  Es 
stellt  unter  gewöhnlichen  Umständen  eine  farblose  Flüssigkeit  dar,  wird 
aber  zuweilen  auch  in  prächtigen'  derben  Krjstallen  erhalten,  besitzt 
einen  äusserst  heftigen  Geruch  und  kann  bei  61 — 62^  theilweise  über- 
destillirt  werden,  indem  es  sich  in  Cyansäure  und  Chlorwasserstoff 
spaltet,  die  sich  wieder  zu  Carbaminsäurechlorid  vereinigen,  geht  dabei 
aber  zum  grössten  Theil  unter  Abspaltung  von  Salzsäure  in  Cyamelid 
(S.  1010)  über;  auch  bei  mittlerer  Temperatur  verwandelt  es  sich  nach 
kurzer  Zeit  unter  Salzsäureverlust  in  Cyamelid.  Durch  Wasser  wird  es 
in  heftiger  Reaction  zu  Salmiak  und  Kohlensäure  umgesetzt,  auf  Amine 
vrirkt  es  unter  Bildung  von  Harnstoffen,  auf  Alkohole,  wenn  letztere  im 
Ueberschuss  angewendet  werden,  unter  Bildung  von  Urethanen: 

NHj.CO.Cl  +  OH-CH,  =  NHj.COOCHg  +  HCl, 

während  umgekehrt  überschüssiges  Carbaminsäurechlorid  mit  Alkoholen 
Allophansäureester  entstehen  lässt: 

2NHj.C0.Cl  +  OHCHs  =  NH,.CONH.CO.O.CH8  +  2Ha. 

Alkylirte  Carbaminsänrechloride'  G1*C0-NHB  entstehen  durch  Ein- 
wirkong  Ton  Phosgen  auf  die  Chlorhydrate  von  Aminen  in  der  Wärme  (vgl.  S.  1012): 
sie  sieden  unter  Zerfall  in  Chlorwasserstoff  und  Isocyansäureester,  und  die  bdden 
Componenten  vereinigen  sich  wieder  in  der  Vorlage  mit  einander;  durch  Destillation 
über  Kalk  liefern  sie  Isocyansäureester.  Methylcarbaminsäurechlorid  C1*C0* 
NH-CHs  bildet  blättrige  Krystalle,  schmilzt  bei  ca.  90^  und  siedet  bei  98— 94^ 
Aethylcarbaminsäurechlorid  Cl-CO-NH'CjHß  ist  flüssig,  siedet  bei  95*.  Di- 
methylcarbaminsäurechlorid'  Cl'CO'NCCHg),  entsteht  durch  Einwirkung  von 
Phosgen  auf  Dimethylamin,  ist  flüssig  und  siedet  bei  165^ 

Die  Carbamlns&ureesterEOCO-NH,  werden  gewöhnlich  Urethane 
genannt.  Sie  können  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Kohlensäure- 
ester  oder  Chlorkohlensäureester: 

COCO.CjHa)^  +  NHg  =  COCNH^XOCA)  +  C,H3.0H, 

durch  Vereinigung  von  Cyansäure  mit  Alkoholen: 

COrNH  +  CsHj.OH  =  COCNHjOCO  CoH,), 

durch  Erhitzen  von  Harnstoff  mit  Alkoholen: 


*  WöHLER,  Ann.  45,  357  (1843).  —  Gattermann  u.  G.  Schmidt,  Ann.  244,  30  (1887V 

*  Habich  u.  Limpricht,  Ann.  109,  107  (1859).  —  Gal,  Bull.  6,  435  (1866).  — 
Gattermarn  u.  Schmidt,  Ber.  20,  118  (1887).     Ann.  244,  34,  36  (1887). 

*  MicHLER  u.  Escherich,  Ber.  12,  1162  (1879). 


Carbaminsäureester  (ürethane).  1059 


CO(NH,),  +  CjHg.OH  =  C0(NH,X0-C,H8)  +  NH„ 

durch  Einwirkung  von  Carbaminsäurechlorid  auf  Alkohole  (vgl.  S.  1058) 
gewonnen  werden.  Ersetzt  man  in  diesen  Reactionen  das  Ammoniak  durch 
Amine  oder  die  Cyansäure  durch  Isocyansäureester,  so  gelangt  man  zu 
Urethanen,  welche  auch  am  Stickstoff  alkylirt  sind,  z.  B. : 

CICOOCÄ  +  NHj.CaHs  =  CA.NH.CO.OCjHg  +  HCl 
COiNCjHs  +  OHCjHg  =  CÄNHCO.OCjHg. 

m 

—  Die  ürethane  sieden  unzersetzt;  diejenigen,  welche  eine  primäre 
Amidgruppe  enthalten,  sind  gut  krystallisirbare  Verbindungen,  während 
die  am  Stickstoff  alkylirten  Ürethane  flüssig  sind.  Die  am  Stickstoff 
nicht  alkylirten  Ürethane  werden  bei  der  Einwirkung  von  alkoholischem 
Kali  unter  Bildung  von  Kaliumcyanat  zersetzt^.  Die  am  Stickstoff  mono- 
alkylirten  ürethane  können  durch  salpetrige  Säure  in  Nitrosoderivate^ 
wie  CH3-N(N0)-C0-0'CH3,  übergeführt  werden,  welche  durch  kaltes 
wässriges  Ammoniak  unter  Abspaltung  von  Alkohol  und  Stickstoff  zer- 
setzt werden: 

CH8-N(NO).CO.O.C,H5  +  NHg  =  CHg-NH-NO  +  NH,CO«0»CgHs; 

CHjCOH)  +  N, 

durch  Behandlung  mit  wasserfreier  Salpetersäure  liefern  diese  ürethane 
Nitroderivate'  wie  CHg-N(N02)-CO-0'CH3,  welche  durch  Ammoniak 
in  beständige  Nitroamine  (S.  239)  und  ürethane  gespalten  werden: 

CH8-N(N08).CO.O.CH8  +  NH»  =  CHj-NHCNOJ  +  NH^COOCHa; 

die  gleichen  Nitroderivate  entstehen  aus  den  dialkylirten  urethanen  durch 
Behandlung  mit  Salpetersäure*,  indem  ein  Alkylrest  abgespalten  wird, 
z.  B.  CH3.N(N03).CO-OC3H5  aus  (CH3)3N-COO.C3H5. 

Carbaminsftureäthylester^  oder  gewöhnliches  ürethan  CjHj-O'CO- 
NH,  bildet  Blättchen,  schmilzt  bei  50—51^,  siedet  bei  184°  und  ist  in  Wasser  sehr 
leicht  loslich;  eine  ätherische  Urethanlösung  löst  Natrium  unter  Entwickelung  von 
Wasserstoff  und  Bildung  der  Natrium  Verbindung  CgHs  •  0  •  CO  •  NHNa  auf.  —  Aethyl- 
carbaminsäureäthylesteröCjHs.O-CONH.CjHj  siedet  bei  174— 175  <>  und  besitzt 
bei  21*  das  spec.  Gew.  0-986. 


^  Abth,  Compt.  rend^  98,  521  (1884).  ,  Bull.  41,  334  (1884). 

*  Klobbie,  Rec.  trav.  chim.  9,  134  (1890). 

*  Fbanchimont  u.  Klobbie,  Rec.  trav.  chim.  7,  343  (1888).  —  Thomas,  Rec.  trav. 
chim.  9,  70  (1890). 

^  Fbanchimont  u.  Klobbie,  Rec.  trav.  chim.  8,  298  (1889). 

^  DüMAS,  Ann.  10,  284  (1834).  —  Liebio  u.  Wöhler,  Ann.  54,  370  (1845);  vgl. 
auch  Liebio,  Ann.  58,  260  (1846).  —  Cahours,  Ann.  56,  266  (1845).  —  Wuetz,  Ann. 
60,  264  (1846);  79,  286  (1851).  —  Natansok,  Ann.  98,  287  (1856).  —  CloSz,  Ann. 
104,  323  (1857).  —  Bunte,  Ann.  151,  181  (1869).  —  A.  W.  Hopmajw,  Ber.  4,  268 
(1871).  —  Gattermann  u.  Bbeithaupt,  ^nn.  244,  40  (1887).  —  Müldee,  Rec.  trav. 
chim.  6,  169  (1887).  —  F.  Kbapt,  Ber.  23,  2785  (1890).  —  M.  Jafp£,  Ztschr.  f. 
physiol.  Chem.  14,  395  (1890). 

«  WuBTZ,  Jb.  1854,  565.  —  Schreine»,  J.  pr.  [2]  21,  184  (1879). 

67* 


1060  Imidodicarbonsätire.     Axodicarbonsäure. 

/CO.  OH 
Auch  die  Imidodiearbons&are  NH^  ist   in   Gestalt  von 

\CO.OH 
Derivaten  bekannt.    Ihre  neutralen  Ester  ^  entstehen  durch  Einwirkung 
von  Chlorkohlensäureestern  auf  die  Natriumderivate  der  ürethane  (vgl. 
S.  1059),  z.  B.: 

CjHB.O.CONHNa  +  ClCO.O.CjHu  =  NaCl  +  CA.O.CO.NHCO.OCjHg; 

der  Diäthylester  NHJCO-'O-CaHß),  schmilzt  bei   50<>  und   siedet  bei 

21 5^     Ihr  halbseitiges    Amid    wird  als    Allophansäure    bezeichnet, 

während  ihr  vollständiges  Amid  in  dem  schon  beschriebenen  Biuret 
(S.  1056)  vorliegt: 

/CO.  OH  /CO-NHa  .CO-NHj 

NH<  NH<  NH< 

\CO.OH  N^OOH  XJONH, 

Imidodicarbonsfture      Allophansäure  Biuret 

Die  Allophansäure  ist  in  freiem  Zustand  nicht  beständig,  sondern  zer- 
fallt sofort  in  Kohlensäure  und  Harnstoff;  ihre  Salze^  können  ^durcb 
Verseifung  der  Ester  erhalten  werden.  Die  Allophansäureester*  NH^- 
CO-NH-CO-OR  entstehen  leicht  durch  Einwirkung  von  Cyansäuredämpfen 
auf  Alkohole: 

CONH  +  CAOH  =  CAO.CONH,, 
CONH  +  CjHj.OCO.NH,  =  CÄ-OCONH-CONH,, 

sowie  durch  Einwirkung  von  Carbaminsäurechlorid  auf  Alkohole  (vgl. 
S.  1058)  und  liefern  beim  Erhitzen  mit  Ammoniak  Biuret;  Allophan- 
säureäthylester  NHg.CO-NHCO-O-CjjHg  büdet  kleine  Nadehi,  schmilzt 
bei  190 — 191®  und  ist  in  kaltem  Wasser  kaum  löslich. 

AzodicarbonsSure^  OH-CO-N:N-CO-OH  (Azoameisensäure)  ent- 
steht in  Form  ihres  Ealiumsalzes  aus  ihrem  S.  1057  beschriebenen  Amid 
(Azodicarbonamid)  durch  Verseifen  mit  kalter  concentrirter  Kalilauge. 
Das  Kaliumsalz  bildet  gelbe  Nädelchen;  wenig  über  100®  zersetzt  es  sich 
unter  Verpuflfting,  wobei  Kaliumcarbonat  zurückbleibt,  Stickstoff  und 
Kohlenoxyd  entweicht;  seine  wässrige^  anfangs  gelbe  Lösung  ist  sehr 
unbeständig  und  ist  bei  Sommertemperatur  schon  nach  1 — 2  Minuten 
unter  lebhafter  Stickstoffentwickelung  entfärbt;  die  Lösung  enthält  dann 
Kaliumcarbonat  und  Diamid:         •  • 


^  Fbanchimont  u.  Klobbib,  Rec  trav.  chim.  8,  294  (1889).  —  Klobbeb,  Rec.  trav. 
chim.  9,  141  (1890).  —  F.  Kraft,  Ber.  23,  2786  (1890). 

*  LiEBia  u.  WöHLEB,  Ann.  59,  291  (1846). 

^  LiEBiQ  u.  WöHLEB,  Pogg.  20,  896  (1830).  —  BiOHABDSON,  Ann.  23,  138  (1837). 

—  Debus,  Ann.  82,  256  (1852).  —  Hlabiwbez  u.  Gbabowskt,  Ann.  134,  117  (1865). 
Saytzew,  Ann.  136,  231  (1865).    —    Hüppebt  u.  Dooiel,  Ztschr.  Chem.  1867,  691. 

—  WiLM  u.  Wischin,  Ann.  147,  155  (1868)..—  A.  W.  Hopmann,  Ber.  4,  262  (1871). 

—  Amato,  Jb.  1873,  749.  —  Wilm,  Ann.  192,  243  (1878).  —  (tattermann  u.  Beeit- 
HAUPr,  Ann.  244,  38  (1887). 

*  Thiele,  Ann.  271,  130  (1892). 


Imidokoklensäureester.  1061 


2KAN3O4  +  2HjO  =  2K,C08  +  NsH4  +  2C0,  +  N,; 

viel   beständiger  wird  die  Lösung  durch  Zusatz   von   ätzendem  Alkali. 

Auf  keine  Weise  ist  es  gelungen,    aus  Azodicarbonsäure  im  Sinne  der 

Gleichung: 

OHCONiNCO-OH  =  2C0, +  HN:NH 

das  Diimid  NH:NH  abzuspalten;  statt  des  Diimids  HN:NH  resultirte 
stets  Diamid  und  Stickstoff: 

2HN:NH  =  HjN.NH,  +  N,  ; 

das  Diimid  scheint  mithin  nicht  existenzfähig  zu  sein. 

Im  Anschluss  an  die  Amide  der  Kohlensäure  seien  auch  ihre  Imidottther^: 

X)R 

NOR 

erwähnt.  Chlorimidokohlensäujeäthylester  C(;N'Cl)(0*C,Hß)j  (Chloiylimido- 
kohlensäureeater)  entsteht,  wenn  man  Chlor  unter  Kühlung  in  eine  Mischung  von 
Natronlauge,  Alkohol  und  Cjankalium  einleitet;  bei  dieser  Reaction  hat  man  zunächst 
die  Bildung  yon  Aethylhypochlorit  (vgl.  S.  200 — 201),  darauf  die  folgenden  Phasen: 

C^Hj-OCl  +  KCN  =  CgHa-O-CN  +  KCl, 
CjHbOCN  +  CjHgOCl  =  CjHgOCCiNCyOCjHg 

anzunehmen;  der  Chlorimidoester  bildet  derbe  farblose  Prismen,  schmilzt  bei  39^,  ist 
nicht  unzersetzt  destillirbar,  besitzt  einen  eigenthttmlichen,  reizenden  Geruch  und  ist 
in  Wasser  nicht,  in  Alkohol  und  Aether  dagegen  leicht  löslich;  beim  Uebergiessen 
mit  verdünnten  Säuren  wird  er  in  Kohlensäureester,  Ammoniak  und  Chlorstickstoff 
gespalten;  dagegen  kann  er  mit  wässriger  Kalilauge  ohne  bemerkliche  Zersetzung  ge- 
kocht werden.  Durch  arsenigsaures  Kalium  lässt  er  sich  zum  Imidokohlensäure- 
äthylester  C( :  NH)(0 •  CsH^)«  reduciren;  letzterer  stellt  eine  alkalisch  i-eagirende 
Flüssigkeit  dar,  die  dem  Trimethjlamin  ähnlich  riecht,  sich  in  jedem  Verhältniss  mit 
Wasser  mischt  und  nur  unter  starker  Zersetzung  destillirt  werden  kann. 

y.  Thloamide  der  Kohlensäure. 

Bei  der  Besprechung   des  Hamstofifs   ist  lediglich  die  Formel  des 
Carbamids 

C0< 

als  Constitutionsausdruck  in  Betracht  gezogen;  für  die  Anwendung  der 
desmotropen  Formel  (vgl.  S.  374,  1023—1025): 

<0JE1     Imidocarbaminsäure^  Eohlensäureamidin 
NH, 

bieten  seine  Reactionen  wenig  Gelegenheit  ^  Die  entsprechende  Schwefel- 
verbindung indess  —  der  jetzt  zu  besprechende  Schwefelhamstoff  — 
giebt  uns,  wie  die  Thioamide  überhaupt  (vgl.  S.  375—376),  durch  sein 
Verhalten  Veranlassung,  die  beiden  desmotropen  Formeln: 


*  Sandmeyer,  Ber.  19,  862  (1886).  —  Mulder,  Reo.  trav.  chim.  6,  191  (1857).  — 
Seliwaxow,  Ber.  26,  425  (1893). 

"  Vgl.  übrigens  Griess,  Ber.  16,  452  (1882). 


1062  Tkiohamstoff. 


/NHa  ,  ^NH 

C^S  und  C^SH 

\NH,  ^NHg 

Thiocarbamid  Imidocarbaminthiolsäure 

als  gleichberechtigt  neben  einander  zu  gebrauchen. 

Der  Thioharnstoff  CSN^H^  (Sulfoharnstoff,  Schwefelhamstoff)  ent- 
steht in  analoger  Weise,  wie  der  gewöhnliche  Harnstoff  aus  Ammonium- 
cyanat,  so  durch  Umlagerung*  von  Rhodanammonium^;  diese  ümlagerung 
erfolgt  aber  nicht  schon  beim  Eindampfen  der  wässrigen  Lösung  (ygl. 
S.  1051),  sondern  erfordert  Erhitzen  des  trockenen  Salzes  bis  zum 
Schmelzen  und  bleibt  unvollständig,  da  Thioharnstoff  bei  160 — 170*^  wieder 
theilweise  in  Bhodflnammonium  zurückverwandelt  wird;  man  bedient  sich 
dieser  ümlagerung  zweckmässig  zur  Darstellung^  des  Thioharnstoffs. 

Thioharnstoff  krystallisirt  aus  einer  concentrirten  Lauge,  die  noch 
Rhodanammonium  enthält,  in  langen  seidenglänzenden  Nadeln,  aus  ver- 
dünnter Lösung  schiesst  reiner  Thioharnstoff  in  dicken  würfelähnlichen 
Krystallen  an.  Er  schmilzt^  bei  172®,  sublimirt  im  Vacuum*  gegen 
150 — 160®  als  Ammoniumrhodanid,  löst  sich  in  etwa  11  Th.  kalten 
Wassers,  ist  in  kaltem  Alkohol  fast  unlöslich.  Quecksilberoxyd*-*  ent- 
schwefelt seine  wässrige  Lösung  schon  in  der*  Kälte  unter  Bildung  von 
Cyanamid  (S.  1020);  umgekehrt  kann  Thioharnstoff  glatt  durch  Vereinigung 
von  Schwefelwasserstoff  mit  Cyanamid  wieder  gebildet  werden®*',  wenn 
man  Cyanamid  in  ooncentrirter  wässriger  Lösung  mit  überschüssigem 
gelbem  Schwefelammonium  einen  Tag  stehen  lässt.  Beim  Erhitzen  mit 
Wasser  im  Rohr  auf  140®  geht  Thioharnstoff  in  Rhodanammonium  über. 
Indem  man  eine  kalt  gehaltene  Lösung  von  Thioharnstoff  allmählich  mit 
Kaliumpermanganatlösung,  so  lange  letztere  entfärbt  wird,  versetzt,  kann 
man  Thioharnstoff  in  Harnstoff  überführen s.  Durch  Oxydation®  in  saurer 
Lösung  geht  Thioharnstoff  in  Salze  des  unbeständigen  Disulfids^®: 

NH, .  C( :  NH)-S  •  S-C( :  NH)  •  NH, 
über. 

Mit  Halogenen,  Säuren,  Salzen  etc.  bildet  Thioharnstoff  Additions- 
produkte^'^-^S  wie  (CSNjHJj.Brg,  CSN^H^.HNOj,  (CSN2H^)3.AgCl  etc. 
Ueber  das  Verhalten  gegen  Halogenalkyle  vgl.  S.  1064. 


>  Reynolds,  Ann.  150,  224  (1869). 

»  Claus,  Ann.  179,  113  (1875).  —  Volhabd,  J.  pr.  [2]  9,  10  (1874). 

3  Pbatorius-Seidlee,  J.  pr.  [2]  21,  141  (1888).  —  Vgl.  Hantzsch,  Ann.  250, 
262  Anm.  (1888).  —  Storch,  Monatsh.  11,  455  Anm.  (1890). 

*  Bourgeois,  Bull.  [3]  7,  47  (1892).  *  A.W.  Hopmakn,  Ber.  2,  605  (18691 

«  Baumann,  Ber.  6,  1375  (1873).  '  Baumann,  Ber.  8,  26  (1875). 

«  Maly,  Monatsh.  11,  277  (1890).  —  Vgl.  auch  Mc.  Gowan,  J.  pr.  [2]  Sd, 
217  (1887). 

»  Vgl.  auch  Hector,  J.  pr.  [2]  44,  499  (1891). 

1«  Storch,  Monatsh.  11,  452  (1890). 

1*  B^YNOLDs,  Ann.  150,  231  (1869).  Journ.  See.  51,  202  (1887);  63,  857  (1888). 
—  Glutz,  Ann.  154,  42  (1870).   —    Claus,  Ann.  179,  130,  135  (1875).    Ber.  7,  285 


Alkylderivaie  des  Thioharnstoffs.  1063 


Unter  den  AlkylderlTaten  des  Thioharnstoffs  hat  man  einerseits 
solche  zu  unterscheiden,  welche  die  Alkylreste  lediglich  an  Stickstoff  ge- 
bunden enthalten,  andererseits  solche,  in  deren  Molectil  ein  Alkylrest 
an  Schwefel  gebunden  ist.  Die  Alkylderivate  der  ersten  Art  kann  man, 
so  lange  nicht  mehr  als  drei  Wasserstoffatome  durch  Alkylreste  ver- 
treten sind,  auf  die  beiden  desmotropen  Formeln  des  Stammkörpers  (vgl. 
S.  1061—1062)  beziehen,  z.  B.: 

C^S  oder     C^SH  bezw.    c^SH  , 

\NHj  \NH,  ^NH 


C^S  oder         c^SH 


yierfitch  substituirte  Thiohamstoffe  dieser  Art,  bei  denen  die  Formulirung 
als  Imidocarbaminthiolsäurederivate  nicht  mehr  möglich  wäre,  wie: 

sind  in  der  Fettreihe  nicht  bekannt  (vgl.  dagegen  in  Bd.  11:  Tetraphenyl- 
thiohamstoff).  Die  Alkylderivate  der  zweiten  Art  können  natürlich  nur 
als  Imidocarbaminthiolsäurederivate,  z.  B.:  ♦ 

/NH, 

formulirt  werden  —  eine  Auffassung,  deren  Berechtigung  sich  aus  Spal- 
tungsreactionen  (vgl.  S.  1064)  ergiebt. 

Alkylirte  Thiohamstoffe,  deren  Alkylresie  ausschliesslich 
an  Stickstoff  gebunden  sind,  werden  durch  Vereinigung  von  Ammoniak 
bezw.  Aminen  mit  Senfölen  erhalten,  z.  B. : 

CjHg.NiCS  +  NHg  =  CjHa.NH.CS.NH, 
CjHö .  N :  CS  +  NH(C,H5)4  =  CA  •  NH  •  CS  •  NCC^Hc), . 

Bei  der  Entschweflung  mit  Quecksilberoxyd  gehen  diejenigen,  welche 
eine  primäre  Amidgruppe  enthalten,  analog  dem  Thioharnstoff  selbst, 
unter  Verlust  von  Schwefelwasserstoff  in  alkylirte  Cyanamide  (S.  1022) 
bezw.  ihre  Polymerisationsprodukte  (alkylirte  Melamine,  S.  1033 — 1034) 
über,  z.  B. : 

CjHg.NH.CS-NH,  >-  CA-NH.CN; 

dagegen  tauschen  die  symmetrisch  dialkylirten  Thiohamstoffe  dabei  ihren 
Schwefel  einfach  gegen  Sauerstoff  aus,  z.  B. : 

C2H5.NH.es. NH.CjHs >-  CA.NHCO.NH.CjHb. 


(1874);  9,  226  (1876).  —  Malt,  Ber.  9,  172  (1876).  —  Rathke,  Ber.  17,  297  (1884). 
-  Mc.  GowAN,  J.  pr.  [2]  33,  188  (1885);  36,  216  (1887).  —  Kurnakow,  Ber.  24, 
8956  (1891). 


1064  Alhylderivate  des  Thiohamstoffs, 


>:NH.HBr. 
^ 


Monoftthylthioharn8toff**>C^5-NH•CS•NH,bildetNadelx^8c}lmi]atbeill3« 
und  ist  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  leicht  löslich.  —  Symmetrischer  Diäthylthio- 
harnstoffi  CjHg -NH- CS  NHCjHg  schmilzt  bei  77^  unsymmetrischer  Diäthyl- 
thioharnstoff  (C,Hg)jN-CSNH,  bei  169—170«.  —  Triäthylthioharnstoff* 
(C,H5),N0SNH-C,H9  schmilzt  bei  26  ^  siedet  feust  unzeraetzt  bei  205 <>,  im  Vacanm 
ganz  unzersetzt,  ist  in  Wasser  nahezu  unlöslich,  in  Alkohol  leicht  löslich  und  zeigt 
deutlich  alkalische  Reaction. 

Allylthioharnstoff«*  CgHß.NH.CSNHa  (Thiosinamin)  —  das  Additions- 
produkt von  Ammoniak  an  AUylsenföl  —  ist  historisch  interessant  als  der  am  frü- 
hesten bekannt  gewordene  Vertreter  aus  der  Gruppe  der  zusammengesetzten  Harn- 
stoffe. Er  schmilzt  bei  74«,  ist  in  Wasser  ziemlich  löslich.  Durch  Erhitzen  mit 
BromwasserstofP  wird  er  in  das  Bromhydrat  des  isomeren  Propylen-pseudo-thioham- 
stoffis  übergeführt: 

CH,:CH  SH  CHj.CHBr  SH 

I  I  +  HBr  =  I  I 

CH, .  NH-C :  NH  CH,— NH-C :  NH 

CH,.CH 8>^ 

CH,-NH' 

Alkylirte  Thioharnstoffe,  welche  einen  Alkylrest  an 
Schwefel  gebunden  enthalten^,  entstehen  in  Form  von  halogen- 
wasserstoffsauren  Salzen  durch  Addition  von  Halogenalkylen  an  Thio- 
hamstoff  selbst  bezw.  seine  am  Stickstoff  aJkylirten  Derivate;  geht  man 
von  der  Thiocarbsftnidformel  aus,  so  kann  man  sich  diese  Beaction  durch 
Gleichungen  folgender  Art.  erklären: 

/NH,  ^J^  ^^^ 

^NH,        "^         \n]£  ^^^ 

Aus  den  zunächst  entstehenden  halogenwasserstoffsauren  Salzen  werden 
durch  Zersetzung  mit  Alkalien  oder  Silberoxyd  die  freien  Alkylderiyate 
der  Imidocarbaminthiolsäure  —  stark  basische  Verbindungen  —  abge- 
schieden. Dass  ein  Alkylrest  dieser  Verbindungen  an  Schwefel  gebunden 
ist,  ergiebt  sich  aus  dem  Umstand,  dass  er  bei  der  Spaltung  an  Schwefel 
gebunden  in  Form  von  Mercaptan,  bei  der  Oxydation  in  Form  einer 
SuKosäure  austritt. 


>  A  W.  HoFHANN,  Ber.  1,  25  (1868);  2,  600  (1869). 
«  A.  W.  HoPMANK,  Ber.  18,  2787  (1885). 
^  Canzonebi  u.  Spica,  Ber.  24o,  626  (1891). 
«  GaoDZKi,  Ber.  14,  2754  (1881). 

*  DüXAs  u.  Pelouze,  Ann.  10,  826  (1834).  —  Löwio  u.  Wsidkamn,  Bers.  Jb.  21, 
360  (1842).  —  Will,  Ann.  52,  8  (1844).  —  Webthbiii,  Ann.  62,  52  (1844).  —  GABBIK^ 
Ber.  22,  2985  (1889).  —  Hbctoe,  J.  pr.  [2]  44,  500  (1891).  —  DixoH,  Joom.  Soc 
ei,  545  (1892). 

•  Vgl.  Claus,  Ber.  7,  236  (1874);  8,  41  (1875).  Ann.  179,  145  (1875).  J.  pr. 
[2]  47,  135  (1893).  —  Bernthsen  u.  Klinoer,  Ber.  U,  492  (1878).  —  Gbodzki,  Ber. 
14,  2757  (1881).  —  Andbeasch,  Monatsh.  4,  141  (1888).  —  Rathkb,  Ber.  17,  308 
(1884).  —  NoAH,  Ber.  23,  2195  (1890).  —  Bebtram,  Ber.  26,  57  (1892). 


Imidooarbaminthiolsäureester.  1065 


Jodwasserstoffsaurer  ImidocarbaminthiolBäuremethyleBter  CHg^S' 
C(:NH)-NH9.HJ  —  aiis  ThiohamstoflP  und  Jodmethyl  —  bildet  Prismen ,  'schmilzt 
bei  117®,  ist  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich  und  giebt,  in  wftssriger  Lösung 
mit  Silberozyd  behandelt,  eine  stark  alkalisch  reagirende  Lösung.  Der  entsprechende 
Aethylester  —  aus  ThiohamstofP  und  Jodäthyl  —  liefert  beim  Kochen  mit  Ammo- 
niak Guanidin  neben  Mercaptan: 

C^S-C^Hg  +  NH,  =  C^NH,  +  CA-SH. 

—  Triäthylimidocarbaminthiolsäureäthylester  C8H5-S-C(:N.CjH5)-N(C,H5)j 
(Tetraftthylthioharnstoff)  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  siedet  bei  216®,  besitzt 
bei  15®  das  spec.  Gew.  0*984,  ist  in  Wasser  nicht  löslich,  bläut  rothes  Lackmus- 
papier stark  und  treibt  Ammoniak  aus  seinen  Salzen  aus.  —  Bromwasserstoff - 
saurer  Imidocarbaminthiolsäureäthylenester  NH,'C(:NH)-S--CHj»CH, — S- 
C(:NH)-NH,  +  2HBr  entsteht  durch  Einwirkung  von  Aediylenbromid  auf  Thioham- 
stoff,  bildet  grosse  weisse  Prismen  und  liefert  durch  Oxydation  mit  Kaliumchlorat 
und  Salzsäure  neben  Harnstoff  die  Aethylendisulfosäure  (vgl.  S.  576). 

Sehwefelderlyate  der  Carbamins&ure.  Von  der  Carbaminsäure  NH,- 

00 «OH  können  die  folgenden  Schwefelungsstufen  abgeleitet  werden  (vgl.  S.  1048). 
L    Monothiocarbaminsäuren: 

NHj.CS.OH  NHjCO.SH, 

Carbaminthionsäure  Carbaminthiolsäure 

denen  die  desmotrope  Form: 

ySH 
NH:G^        :  Imidocarbonthielsäure 
\0H 

angereiht  werden  kann; 

IL   Dithiocarbaminsäure: 

NH,  •  CS  •  SH :  Oarbaminthionthiolsäure 
mit  der  desmotropen  Form: 


SH 


NH :  C<^        :    Imidocarbondithiolsäure. 
\SH 

I.   Salze  und  Ester  der  Monothiocarbaminsäure. 

Monothiocarbaminsaures  Ammonium'  GOSNHj'NH«  entsteht  durch  Ein- 
wirkung von  Anmioniak  auf  Kohlenoxysulfid,  bildet  farblose  ELrystalle,  ist  in  Wasser 
sehr  leicht  löslich  und  geht  durch  Entziehung  von  Schwefelwasserstoff  rasch  in 
Harnstoff  über  (vgl.  S.  1052). 

Ester  der  Carbaminthionsäure  bezw.  Imidocarbonthielsäure,  deren 
Alkylrest  an  Sauerstoff  gebunden  ist,  —  NHjCS.OR  bezw.  NH:C(SHXO-K) 
—  werden  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Xanthogensäureester  erhalten  und 
Thiourethane  oder  Xanthogenamide  genannt.  Der  Aethylester'  —  NH,». 
CS.O-CjHg  bezw.  NH:  CCSHXO-CjHg)  —  schmilzt  bei  38®  und  ist  in  Wasser  ziem- 
lich  schwer  löslich.     Alkylderivate   dieser   Ester   —    RNHCS-O-CjHa  bezw. 


*  Bbrthelot,  Jb.  1868,  160.  —  Kbetzschmab,  J.  pr.  [2]  7,  474  (1878).  — 
Flbiscbzb,  Ber.  0,  991  (1876). 

«  Debüs,  Ann.  72,  11  (1849);  76,  128  (1850);  82,  262  (1852).  —  Chancm,  J.  pr. 
68,  113  (1851).  —  Salomon,  J.  pr.  [2]  8,  116  (1874).  —  Salomon  u.  Conrad,  J.  pr. 
[2]  10,  34  (1874).  —  Blankehhorn,  J.  pr.  [2]  16,  372  (1877). 


1066  Schwefelderivate  der  Carbaminsäure, 


RN :  C(SHXO  •  CjHj)  —  entstehen  leicht  durch  Vereinigung  von  Senfölen  mit 
Alkoholen,  z.  B. : 

C^He.NrCS  +  CjHg.OH  =  CA-NH-CSOCCA)  bezw.  CtHg.NtCCSHXO.Cja^,); 

das  nach  dieser  Grleichung  entstehende  Aethylxanthogenamid^  ist  ein  lauchartig 
riechendes  Oel  und  siedet  bei  204—208^. 

Der  Aethylester  der  Carbaminthiolsäure  bezw.  Imidocarbonthiol- 
säure  mit  an  Schwefel  gebundenem  Aethylrest"  —  NHj'CO'S'CjHg  bezw. 
NH:C(OH)(S*C,Hb)  —  entsteht  durch  Wasseraufiaahme  aus  Bhodanäthyl: 

C,H5.S.CN  +  H,0  =  CÄ-S-CO-NH,  bezw,  CA-SCCOEXiNH) 

unter  dem  Einfluss  alkoholischer  Salzsäure,  schmilzt  bei  107 — 109^,  ist  in  Wasser 
schwer  löslich  und  zerfällt  bei  150^  glatt  in  Mercaptan  und  Cyanursäure.  —  Das 
am  Stickstoff  fithylirte  Derivat  desselben^  entsteht  durch  Vereinigung  von 
Aethylisocyanat  mit  Aethylmercaptan : 

CjHj.NiCO  +  CÄ.SH   =   C,H6.S.C0.NH.C,Hß  bezw.  C,H5.S.C(0HX:N-Cä), 

ist  flüssig,  schwerer  als  Wasser  und  siedet  bei  204—208^. 

n.   Dithiocarbaminsäure,  Salze  und  Ester  derselben. 

Das  Ammoniumsalz'  CSsNHs-NH^  (citronengelbe  Prismen)  entsteht  durch 
Vereinigung  von  Schwefelkohlenstoff  und  Ammoniak  in  kalter,  verdünnter  alkoholi- 
scher Lösung  und  geht  leicht  durch  Verlust  von  Schwefelwasserstoff  in  Rhodan- 
ammonium  über  (vgl.  S.  1015).  Durch  verdünnte  Salzsäure  kann  daraus  in  der 
Kälte  die  sehr  zersetzliche,  freie  Säure  in  Form  von  farblosen  Nadeln  abgeschieden 
werden.  Der  Aethylester*  CSNHj-S-CjHb  (Dithiourethan)  kann  durch  Ver- 
einigung von  Rhodanäthyl  mit  Schwefelwasserstoff  gewonnen  werden  und  schmilzt 
bei  41— 42^ 

Am  Stickstoff  alkylirte  Dithiocarbaminsäuren^  entstehen  in  Form 
ihrer  Aminsalze  durch  Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff  auf  primäre  oder  secon- 
däre  aliphatische  Amine  und  werden  als  Zwischenprodukte  bei  der  Umwandlung  der 
primären  Amine  in  SenfÖle  benutzt  (vgl.  S.  288,  1018—1019).  Das  äthyldithiocarb- 
aminsaureAethylamin  verliert  beim  Erhi  tzen  seiner  alkoholischen  Lösung  Schwefel- 
wasserstoff und  geht  in  Diäthylthiohamstoff  (S.  1064)  über: 

.NH.C,H|i  /NHCjEg 

CS<  =  H,S  +  CS< 

\S .  NHg .  CA  \nH  .  CjHs 

YI.   Amidine  der  Kohlensäure. 

Die  Formel  des  Kohlensäureamidins: 

NH 


OH.C< 

ist  S.  1061  als  desmotrope  Form  der  gewöhnlichen  Hamstofiformel  er- 
wähnt.   Der  entsprechende  Schwefelkörper: 


>  A.  W.  HoFMAiof,  Ber.  2,  116  (1869). 

'  Salomon,  J.  pr.  [2]  7,  256  (1873).  —  Conrad  u.  Salomon,  J.  pr.  [2]  10,  32 
(1874).  —  Blankenhorn,  J.  pr.  [2]  16,  372  (1877).  —- Pikneb,  Ber.  14,  1083  (1881). 

3  Zeise,  Berz.  Jb.  4,  96  (1825).  —  Debus,  Ann.  73,  26  (1850).  —  Mülder, 
Ann.  168,  232  (1873). 

^  Jeakjean,  Jb.  1866,  501.  —  Salomon  u.  Conrad,  J.  pr.  [2]  10,  29  (1874). 

»  A.  W.  Hofmann,  Ber.  1,  25,  170  (1868). 


Guanidin.  1067 


SH.CC 

liegt   vielleicht   in   dem  Thioharnstoff  vor  (vgl.  S.  1061—1062);   Alkyl- 
derivate  desselben  sind  die  S.  1065  besprochenen  alkylirten  Thiohamstoffe. 
Eine  sehr  wichtige  Verbindung  ist  das  Amidin  der  Carbamin- 
säure: 

.  €riiaiildlii  CN3H2  ist  diese  stark  basische  Substanz  von  ihrem  Ent- 
decker Stbeckeb  genannt  worden,  weil  sie  zuerst  durch  Spaltung  des 
6uanin8(vgl.  S.  1089)  erhalten  wurdet  Eine  Reihe  synthetischer  Bildungs- 
weisen illustrirt  die  Beziehungen  des  Guanidins  zur  Kohlensäure  und 
zu  Cyanverbindungen;  so  bildet  es  sich  bei  der  Einwirkung  von  Am- 
moniak auf  Phosgen^,  auf  Orthokohlensäureester^,  auf  Chlorpikrin***,  auf 
Jodcyan^;  besonders  beweisend  flir  seine  Constitution  ist  die  Bildung 
aus  Cyanamid  durch  Erhitzen  der  alkoholischen  Lösung  mit  Salmiak^, 
bei  welcher  es  durch  Vereinigung  von  Cyanamid  mit  Ammoniak: 

rH 


NH,.CsN  +  NHa  =  NHjCf 

entsteht.  Alle  diese  Bildungsweisen  sind  indess  zur  Darstellung  nicht 
geeignet;  die  Darstellung  des  Guanidins  gründet  sich  vielmehr  zweck- 
mässig auf  die  Erscheinung,  dass  Rhodanammonium,  20  Stunden  auf  180^ 
bis  185^  erhitzt,  einerseits  ein  Sublimat  von  trithiokohlensaurem  Am- 
moniak (vgl.  S.  1050),  andererseits  aber  einen  Rückstand  liefert,  der  fast 
ausschliesslich  aus  rhodan wasserstoffsaurem  Guanidin  besteht^;  auf  diesem 
Wege  kann  man  sich  leicht  das  Guanidinrhodanid  in  grossen  Mengen 
verschaffen,  das  dann  dui'ch  doppelte  Umsetzung  in  andere  Guanidinsalze 
verwandelt  werden  kann.  Die  Zersetzung  des  Rhodanammoniums ,  die 
summarisch  durch  die  Gleichung: 

5CSNNH4  =  2CSNCN»He  +  CS8(NH0, 

ausgedrückt  werden  kann,  verläuft  vermuthlich  in  verschiedenen  Phasen. 
Rhodanammonium  wird  zunächst  in  Thioharnstoff  übergehen  (S.  1062) ; 
der  Thioharnstoff  könnte  sich  bei  weiterem  Erhitzen  in  Schwefelwasser- 
stoff und  Cyanamid  spalten,  welch'  letzteres  im  Momente  der  Bildung 
sich  mit  noch  unverändertem  Rhodanammonium  zu  Rhodanguanidin  ver- 
einigen würde;   die  Bildung  des  gleichzeitig  entstehenden  trithiocarbon- 


^  Ann.  118,  159  (1861).  "  Bouchaedat,  Compt  rend.  69,  961  (1869). 

'  A.  W.'HoPMANN,  Ann.  139,  107  (1866). 

*  A.  W.  Hopmann,  Ber.  1,  145  (1868). 

«  Bannow,  Ber.  4,  161  (1871).  —  Ossikowski,  Bull.  18,  161  (1872). 

*  Erlenmeteb,  Ann.  146,  259  (1868). 

'  Delitzsch,  J.  pr.  [2]  9,  1  (1874).  —  Volhabd,  J.  pr.  [2]  9,  15  (1874). 


1068  AlkylderivaU  des  Gtianidifis. 

sauren  Ammoniums  kann  man  sich  durch  Zusammentritt  von  Schwefel- 
wasserstoff mit  Rhodanammonium  erklären. 

Guanidin  ist  in  etiolirten  Wickenkeimlingen  nachgewiesen  worden^; 
in  geringer  Menge  entsteht  es  bei  der  Oxydation  von  Eiweiss  mit  Kalium- 
permanganat^. 

Freies  Guanidin  ist  eine  stark  caustische,  farblose,  krystallinische 
Masse,  die  an  der  Luft  zerfliesst  und  Kohlensäure  anzieht.  ISs  ver- 
bindet sich  mit  einem  Aequivalent  Säure  zu  Salzen,  die  meist  leicht 
löslich  und  durch  Krystallisationsfähigkeit  ausgezeichnet  sind.  Verhält- 
nissmässig  schwer  löslich  ist  das  Nitrat  CNgHg.HNOj,  das  zarte  weisse 
Krystallschuppen  bildet  und  häufig  zum  Nach  weis*  und  zur  Abscheidang 
des  Guanidins  benutzt  wird.  Das  Rhodanid,  dessen  Bedeutung  als  Aus- 
gangspunkt für  Guanidinpräparate  aus  Obigem  erhellt,  krystallisirt  in 
grossen  Blättern  und  schmilzt  bei  118^.  Setzt  man  es  in  concentrirter 
wässriger  Lösung  mit  Kaliumcarbonat  um  und  dampft  ein,  so  kann  man 
dem  Verdampfungsrückstand  durch  Auskochen  mit  Weingeist  das  Rhodan- 
kalium  entziehen,  während  das  zur  Herstellung  anderer  Guanidinsalze  und 
der  freien  Base  geeignete  Guanidincarbonat  (CN3Hß)j,H3C03  zurückbleibt. 

Durch  Behandlung  mit  Barytwasser  geht  Guanidin  in  Harnstoff  über*. 

Alkylderivate  des  Guanidins  [sind  ans  Cyanamid  —  analog  der  Bildung  des 
Guanidins  selbst  —  durch  Erhitzen  mit  den  Chlorhydraten  von  Aminen": 

^NH  ,NH, 

NH,.C:N  +  NH,.CH,  =  NH,.C<f  bezw.   NH,.C< 

^NHCHa  ^N-CHs 

ferner  durch  Entschwefelung  symmetrisch  dialkylirter  Thiohamstoffe  in  Gregenwart 
von  Aminen  mittelst  Quecksilberoxyd  ^: 

CS<;  +  NHj.CjH,  -  H,S  =  C^NCä 

erhalten.     Wichtig  ist  das  Methjlguanidin'   CN8H4(CH,)  als  Stamsubstanx  des 

Kreatins  (S.  1077). 

.C(:NH).NH, 
Big'uanid^  NH^  (Guanylguanidin)  steht  zum  Guanidin  in  dem- 

\C{:NH).NH, 

*  E.  Schulze,  Ber.  26,  658  (1892).    Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  197,  215  (1892). 
"  F.  LossEN,  Ann.  201,  369  (1880). 

*  Ueber  den  Nachweis  des  Guanidins  vgl.:  Bambebqer,  Ber. 20,  71  (1887);  25, 
544  (1892).  ->  Emich,  Monatsh.  12,  23  (1891).  —  Schulze,  Ber.  26,  661  (1892). 

*  Baumann,  Ber.  6,  1376  (1873). 

*  Vgl.  Tatarinow,  Compt  rend.  89,  608  (1879).  —  Ebleniietsb,  Ber.  14, 
1868  (1881). 

*  A.  W.  HoFMANW,  Ber.  2,  601  (1869). 

'  Dessaiones,  Ann.  92,  407  (1854);  97,  839  (1856).  —  Nkcjbausb,  Ann.  119,  46 
(1861).  —  Erlenmeyer,  Ber.  3,  896  (1870).  —  Tawildabow,  Ber.  6,  477  (1872).  — 
Tatarinow,  Jb.  1879,  333. 

8  Rathke,  Ber.  11,  967  (1878);  12,  776  (1879).  —  Herth,  Ber.  13,  1358  (1880).  — 
Smolxa  u.  Friedreich,  Monatsh.  9,  227  (1888);  10,  86  (1889).  —  Emich,  Monatsh.  4, 
409  (1883);  12,  11  (1891).  —  Bamberger  u.  Dieckmamk,  Ber.  26,  542  (1892). 


Biguanid,  Ouanylkarnstoff,  Oi/anguamdin,  1069 


selben  Yerhältniss  wie  Biuret  (S.  1056)  zum  Harnstoff;  es  entsteht  aus  salzsaurem 
Guanidin  durch  Erhitzen  auf  180 — 185^  unter  Abspaltung  von  Ammoniak,  wird  aber 
besser  aus  Cyanguanidin  durch  Erhitzen  mit  Salmiak  dargestellt;  letztere  Reaction 
entspricht  der  Gruanidinbildung  aus  Cyanamid.  Biguanid  ist  eine  alkalisch  reagirende 
farblose  Base,  welche  mit  1  und  2  Aequivalent  Säure  Salze  liefert  Besonders  inter- 
essant ist  sein  Verhalten  gegen  Kupferoxyd;  es  tauscht  ein  WasserstofFatom  gegen 
Kupfer  aus  und  geht  dadurch  in  Biguanidkupfer  (C2N6Ha)8Cu  +  2H2O  über  — 
eine  starke  Base,  welche  in  heissem  Wasser  mit  amaranthrother  Farbe  löslich,  in 
kaltem  Wasser  kaum  löslich  ist  und  aus  ihren  Salzen  nicht  durch  Ammoniak,  wohl 
aber  durch  Natron  frei  gemacht  wird;  ihr  Sulfat  (CiH5Hfl)jCu.HjS04  (über  Schwefel- 
säure getrocknet)  entsteht,  wenn  man  schwefelsaures  Biguanid  mit  ammoniakalischer 
Kupfersulfatlösung  versetzt,  bildet  schön  rosenrothe  Nädelchen,  ist  in  heissem  Wasser 
löslich,  in  kaltem  Wasser  fast  unlöslich  und  liefert  mit  Natronlauge  das  freie  Biguanid- 
kupfer (vgl.  auch  S.  1056  die  rothe  Kupferreaction  des  Biurets).  . 

.CONH, 
Guanylharnstoff^   NH^  (Dicyandiamidin)    entsteht    aus  Cyan- 

^C(:NH).NH, 

guanidin  beim  Eindampfen  mit  verdünnten  Mineralsäuren  durch  Wasseraufnahme, 
ferner  durch  Erhitzen  von  kohlensaurem  Guanidin  mit  Harnstoff  oder  Urethan,  von 
salzsaurem  Guanidin  mit  Kaliumcjanat,  durch  zweitägige  Digestion  einer  Lösung 
von  Harnstoff  und  Oyanamid  Er  ist  eine  starke,  kohlensäuregierige  Base  und  giebt, 
wie  das  Biguanid,  eine  charakteristische  Kupferverbindung  (C2N4H50),0u,  welch e 
sich  in  rosenrothen  Krjstallen  abscheidet,  wenn  man  die  Lösung  eines  seiner  Salze 
mit  Kupfervitriol  und  Natronlauge  versetzt. 

/CN 
Cjangiiiiiidin  ^  NH<^  (Guanvlcyanamid,    Dicyandiamid)   ist    das 

\C(:NH).NH, 

Polymerisationsprodukt  des  Cyanamids  (vgl.  S.  1022).  Es  bildet  Blättchen,  schmilzt 
bei  etwa  205®  und  ist  in  Wasser  ziemlich  leicht  löslich;  beim  Vermischen  seiner 
alkoholischen  Lösung  mit  NatriumäthylaÜösung  scheidet  sich  die  Natriumverbindung 
02N4H3Na  ab.  Durch  Wasseraufhahme  geht  es  in  Guanylhamstoff,  durch  Ammoniak- 
anlagerung in  Biguanid  über  (vgl.  oben): 

NH,.C(:NH).NH-CN  +  H80  =  NH,.C(:NH).NH-CO.NH, 
NH,.(C:NH).NH-CN  +  NH3  =  NH,.C(:NH).NH-C(:NH).NH, ; 

durch  Zink  und  Salzsäure  wird  es  in  der  Kälte  in  Guanidin  und  Methylamin  ge- 
spalten^: 

NH,.C(:NII).NH— CN  +  6H  =  NH,.C(:NH).NH8  +  CHs-NH,. 

Sehr  interessante  Verbindungen  leiten  sich  von  Guanidin  ab,  indem 
die  Nitro-,  Nitroso-  oder  Amidgruppe  an  Stelle  von  Wasserstoff  tritt. 


*  Haag,  Ann.  122,  25  (1861).  —  Bauhahn,  Ber.  7,  446,  1776  (1874).  —  Bam- 
BEEGER,  Ber.  20,  68  (1887).  —  Smolka  u.  Fiuedreioh,  Monatsh.  10,  87  (1889). 

*  Beilsteih  u.  Geütheb,  Ann.  108,  99  (1858);  123,  241  (1862).  —  Haaq,  Ann. 
122,  22  (1861).  —  Däechsel,  J.  pr.  [2]  13,  331  (1876).  —  Baümann,  Ber.  6,  1375 
(1873).  —  Herth,  Ber.  13,  1358  (1880).  —  Mulder,  Reo.  trav.  chim.  1,  200  (1882).  — 
Bamberoer,  Ber.  16,  1074,  1459,  1703  (1883);  23,  1856  (18901.  —  Rathke,  Ber.  18, 
8105  (1885).  —  Bamberger  u.  Seebeboer,  Ber.  24,  899  1891). 

'  Privatmittheilung  von  E.  Bamberqer. 


1070  Nitroguanidin,  Nitrosoguanidin,  Ämidogtumidin. 


Nitrognanidin  ^  C^NH  bezw.  C^NK     ,  wird  durch  Nitriren 

Xnh,'  \n^ 

von  Guanidinsalzen  erhalten,  am  bequemsten  direct  aus  rohem  Gruanidin- 
rhodanid  (vgl.  S.  1067),  indem  man  dasselbe  in  concentrirte  Schwefel- 
säure einträgt,  wodurch  die  Rhodan wasserstoffsäure  zerstört  wird,  und 
darauf  rauchende  Salpetersäure  zufügt;  auf  diese  Weise  kann  man  es 
leicht  in  grossen  Mengen  darstellen.  Es  krjstallisirt  in  asbestartigen 
Nädelchen,  schmilzt  bei  etwa  230^  unter  Entwickelung  von  Ammoniak, 
ist  in  kaltem  Wasser  sehr  schwer,  in  heissem  leichter  löslich.  Es  besitzt 
schwach  saure  Natur;  in  kalten  Alkalien  löst  es  sich  reichlich,  um  durch 
Kohlensäure  wieder  ausgefällt  zu  werden;  andererseits  löst  es  sich  auch 
in  concentrirten  Säuren  auf,  wird  aber  durch  Wasser  aus  diesen  Lösungen 
gefallt.  Beim  Erwärmen  mit  Alkalien  wird  es  in  Kohlensäure,  Ammoniak 
und  Stickoxydul  (Zersetzungsprodukt  des  unbeständigen  Nitroamins:  NH^- 
NOa   =  H^O  +  NgO)  gespalten. 

yNH-NO  ^N-NO  /N-  N-OH 

Nltrosoguanldln»,  C(  NH        bezw.  Cf-NH-    oder  C(  NH 

\n:^  \nh,  \NH, 

entsteht  aus  dem  Nitrognanidin  durch  vorsichtige  Reduction  mit  Zink- 
staub und  Schwefelsäure,  bildet  feine  gelbe  Nadeln,  verpufft  ziemlich 
heftig,  ohne  vorher  zu  schmelzen,  bei  160 — 165^  und  ist  in  kaltem  Wasser 
schwer  löslich.  In  ätzenden  Alkalien  löst  es  sich  mit  hellgelber  Farbe 
auf  und  wird  aus  dieser  Lösung  durch  Kohlensäure  wieder  gefallt.  Auch 
in  verdünnten  Mineralsäuren  löst  es  sich  leicht;  diese  Lösungen  ent- 
wickeln indess  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  salpetrige  Säure  unter 
Rückbildung  von  Guanidin.  Mit  Eisenoxjdul salzen  giebt  es  in  alkalischer 
Lösung  eine  prachtvolle  Purpurfarbung.  Durch  Kochen  mit  Wasser  wird 
es  in  Stickstoff  und  Cyanamid  zersetzt,  durch  Uebermangansäure  leicht 
zu  Nitrognanidin  oxydirt,  während  es  durch  vorsichtige  Reductiou  in 
Amidoguanidin  übergeführt  werden  kann. 

/NHNH,  ^NNH, 

Amidoguanidin^,   C^NH  bezw.  C^NHg     ,  entsteht  aus  Ni- 

XnHj  xnh^ 

troguanidin  durch  vorsichtige  Reduction  mit  Zinkstaub  und  Eisessig.  Es 
ist  eine  im  freien  Zustand  zersetzliche  Base  und  bildet  mit  1  Aequivalent 
Säure  beständige,  gut  krystallisirbare  Salze,  wie  CN^Hg.BLNOj;  versetzt 
man  seine  Salzlösungen  mit  Kupfersalzen  und  Natriumacetat,  so  erhält  man 
violett  gefärbte  Salze  des  Amidoguanidinkupfers,  z.  B.  (CN^H5)3Cu. 
(HN03)3 .     Durch  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  oder  Alkalien  wird  das 


^  JoussELiN,  Compt.  rend.  85,  548  (1877);  88,  814  (1879).  —  Frakchimokt,  Rec. 
trav.  chim.  10,  231  (1891).  —  Pellizzari,  Ber.  25o,  118  (1892).  —  Thiele,  Ann. 
270,  15  (1892). 

«  Thiele,  Ann.  273,  183  (1893). 

«  Thiele,  Ann.  270,  22  (1892);  273,  140  (1893). 


Axodicarbonamidin.     Dtaxoguanidin.  1071 


Amidoguanidin  unter  yorübergehender  Bildung   von   Semicarbazid  (vgl. 
S.  1054)  in  Kohlensäure,  Ammoniak  und  Diamid  gespalten: 


/NHNH,  .NH.NHs 

Cf-NH  +  HjO  =  C0< 


/NH-NH,  HjN.NH, 

C0<  +  H,0  =  CO,  +  ; 

\NH,  ^  NHs 

diese  Spaltung  stellt  den  zur  Zeit  bequemsten  Weg  zur  Ge- 
winnung des  Diamids  dar. 

Azodicarbouamidiii^  NH^-C— N:  N— C-NH,  entsteht  in  Form  seines  Nitrats 

li  I 

NH  NH 

C|NeHe.2HN09  (intensiv  gelbes  Ery  Stallpulver,  in  kaltem  Wasser  sehr  schwer  lös- 
lich, bei  180 — 184^  verpaffend)  durch  Oxydation  von  Amidoguanidin  in  salpetersaurer 
Lösung;  durch  Rochen  mit  Wasser  liefert  es  Azodicarbonamid  (vgl.  S.  1057);  durch 
Bednctionsmittel  geht  es  leicht  in  das  Nitrat  des  Hydrazodiearbonamidins 
NH,.C— NH.NH— C.NH,.2HNOs  +  2H,0  (farblose  Krystalle,  in  Wasser  leicht  lös- 

NH  NH 

lieh)  über. 

Das  Amidoguanidin  besitzt  die  bei  aliphatischen  Amidoverbindungen 
bisher  selten  beobachtete  Eigenthümlichkeit  der  „Diazotirbarkeit*^  (vgl. 
S.  841). 

Diazoguanidin'  entsteht  in  Form  von  Salzen,  wenn  man  Amido- 
guanidin in  mineralsaurer  Lösung  unter  Vermeidung  allzu  starker  Er- 

/NH.N:N-N03 
wärmung  mit  salpetriger  Säure  behandelt.    Das  Nitrat  Cs~NH 

bildet  farblose  Krystalle,  schmilzt  bei  129®  und  ist  in  Wasser  sehr  leicht, 
in  absolutem  Alkohol  leicht,  in  Aether  nicht  löslich.  Es  zeigt  eine  für 
Diazoverbindungen  bemerkenswerthe  Beständigkeit;  es  zersetzt  sich  weder 
in  wässriger  Lösung,  noch  in  festem  Zustand,  explodirt  nicht  durch 
Schlag  oder  Reibung  und  verpufft  beim  Erhitzen  nur  schwach  mit  grosser 
orangegelber  Flamme.  Durch  fixe  Alkalien  (auch  ammoniakalische  Silber- 
lösung) werden  Diazoguanidinsalze  in  Cyanamid  und  Stickstoffwasserstoff- 
säure gespalten: 

/NH— N :  N.NO«  y^  ^N  y^ 

C4  NH  -  HNO,  =  C^NH      =  CeeN      +  HN<      ; 

^NH,  \NH,  \NH,  "N 

durch  Einwirkung  von  Ammoniak  dagegen  oder  besser  durch  Einwirkung 
von  Acetaten  oder  Carbonaten  gehen  Diazoguanidinsalze  in  Amidotetrazot- 
säure  (vgl.  Bd.  II)  über: 

/NH-N  :  N .  NO3                                  /NH-N 
NH,.C<                           -  HNO3  =  NH,.C<C  '  . 

^NH  ^N N 


^  Thiele,  Ann.  270,  89  (1892);  273,  141  (1893). 
2  Thiele,  Ann.  270,  46  (1892). 


1072  Constitution,  Bildung  und  Bedeutung 


Vn.   Cyclische  ürelde,  ThioureMe  und  Guanidide.    HarnsSure- 

gruppe. 

Es  ist  schon  S.  1055  darauf  hingewiesen  worden,  dass  bei  der 
Combination  von  mehrwerthigen  Säuren  mit  Harnstoff  cyclische  Verbin- 
dungen zu  Stande  kommen  können,  z.  B.: 

yNH— CH,  /NH—CCK 

C0<  I  C0<  >CH, 

^NH-CO  ^NH-CO^ 

Glykolylhamstoff  Malonjlbarnstoff. 

(HjdantoYn)  (Baxbitursäure) 

Diese  Verbindungen  leiten  sich  von  cyclischen  Kernen: 

ab  und  könnten  daher  in  der  Hauptklasse  der  heterocyclischen  Verbin- 
dungen besprochen  werden;  allein,  da  die  ringförmige  Atomanordnung 
in  ihren  Moleculen  bei  der  Verseifung  unter  Wasseraufiiahme  sehr  leicht 
gesprengt  wird  und  daher  ftLr  die  chemischen  Beziehungen  der  fraglichen 
Verbindungen  nicht  gerade  wesentlich  ist,  so  erschiene  eine  solche  An- 
ordnung gezwungen,  und  es  empfiehlt  sich  vielmehr,  diese  Substanzen  im 
Anschluss  an  den  Harnstoff  als  Säurederivate  desselben  —  „XJrelde"  — 
abzuhandeln  (vgl.  S.  92). 

Die  eben  erwähnte  Verseifung  der  cychschen  XJrelde  kann  in  zwei 
Phasen  zerlegt  gedacht  werden,  die  häufig  auch  experimentell  getrennt 
werden  können.  Entweder  kann  durch  Aufnahme  der  Elemente  eines 
Wassermoleculs  der  Zusammenhang  an  einer  Imidgruppe  zwar  gelöst 
werden,  ohne  dass  indess  ein  Zerfall  des  Molecüls  stattfände,  z.  B.: 

yNH-CO  /NH,    CO. OH 

C0<  I      +  H,0  =  C0<  j  (Oxalursäure); 

^NH-CO  ^NH— CO 

es  entstehen  so  Verbindungen  mit  einer  Carboxylgruppe,  die  als  „Ur- 
amidosäuren^',  „Uraminsäuren"  oder  auch  „Ursäuren"  bezeichnet 
werden.  Oder  es  kann  durch  Wasseraumahme  an  beiden  Imidgruppen 
eine  vollständige  Spaltung  in  Harnstoff  einerseits  und  die  betreffende 
Säure  andererseits  bewirkt  werden,  z.  B. : 

/NH~CO  yNH,        CO.  OH 

C0<  I      +  2HaO  =  C0<  +    I 

^NH-CO  ^NH,        CO.  OH 

Cyclische  Urelde  können  synthetisch  aus  Harnstoff  durch  Einwirkung 
auf  mehrbasische  Säuren,  Oxy säuren,  Ketonsäuren  etc.  —  nöthigenfalls 
unter  Zuhülfenahme  von  wasserentziehenden  Mitteln,  wie  Phosphoroxy- 
chlorid,  —  gewonnen  werden,  z.  B.: 


der  cyclischen  üreide  etc.  1073 


/NH,        OHCOv  /NH-CCK 

C0<  +  >CIL  -  2H,0  =  C0<  >CH2 

^NH,        OHCO'^  ^NH— C(r   . 

j^       C(0H).CH8  —  HjO  ^NH-CCHs 

C0<^      '  +  ScH  =  Co/  SCH  . 

^^    do-ocÄ  —  CA- OH        \nh-cJo 

(Acetessigester,  vgl.  S.  962,  964) 

Allein  diese  Bildung  hat  nicht  zu  ihrer  Entdeckung  gefuhrt.  Viel- 
mehr gewann  man  einfache  cyclische  Urelde  zunächst  aus  complicirteren, 
natürlich  gebildeten  Substanzen  von  grosser  physiologischer  Bedeutung  — 
wie  Harnsäure,  Xanthin,  CafiFeln  etc.  —  durch  Spaltung.  Gerade  als  Abbau- 
produkte dieser  Substanzen  haben  sie  bei  den  Untersuchungen,  welche  die 
chemische  Erkenntniss  jener  Naturprodukte  bezweckten,  das  Interesse  an 
sich  gezogen.  Durch  das  sorgfältige  Studium  derjenigen  Spaltungsprocesse, 
welche  zu  ihrer  Bildung  führen,  und  der  weitergehenden  Spaltungs- 
reactionen,  durch  welche  sie  selbst  wieder  in  noch  einfachere  Bruch- 
stücke zerfallen,  ist  man  endlich  zu  bestimmten,  wohlbegründeten  An- 
schauungen über  die  Constitution  jener  Erzeugnisse  des  Organismus  ge- 
langt, deren  vollständige  Synthese  darauf  mit  Erfolg  in  AngriiBF  genommen 
werden  konnte.  Und  wie  bei  den  analytischen  Untersuchungen  jener 
natürlichen  Produkte  von  complicirter  Zusammensetzung  die  einfachen 
cyclischen  Urelde  als  Zwischenglieder  des  Abbaus  wichtige  Andeutungen 
für  die Constitutionsfrage  lieferten,  so  sind  sie  bei  neueren  synthetischen 
Arbeiten  —  vgl.  Behrendts  Untersuchungen  über  die  Uracilgruppe, 
S.  1079 — 1081  — wieder  wichtige  Zwischenglieder  des  Aufbaus  geworden. 

Die  genaue  Kenntniss  dieser  Körpergruppe,  deren  Bedeutung  aus 
dem  Vorstehenden  ersichtlich  sein  wird,  verdanken  wir  in  erster  Linie 
zwei  denkwürdigen  Untersuchungen,  die  durch  einen  ziemlich  langen  Zeit- 
raum getrennt  sind.  Wöhlee  und  Liebig  legten  durch  eine  im  Jahre 
1837  veröflFentlichte  Untersuchung  den  Grund;  etwa  25  Jahre  später 
betrat  Baeyeb  das  Gebiet  und  fügte  den  älteren  Ergebnissen  eine  reiche 
Ernte  neuer  Funde  zu,  durch  die  das  Verständniss  der  ganzen  Gruppe 
in  mächtiger  Weise  gefördert  wurde  (vgl.  S.  1085). 

Betreffs  der  Constitution  jener  Naturstoffe  selbst  haben  die  eben  er- 
wähnten Untersuchungen  zu  dem  Ergebniss  geführt,  dass  auch  sie  zur 
Gruppe  der  cyclischen  Urelde  gehören;  aber  sie  enthalten  in  ihrem 
Molecül  zwei  Harnstofireste,  verkettet  durch  einen  gemeinschaftlichen 
Säurerest,  wie  dies  durch  die  Structurformel  der  Harnsäure: 

/NH-C-NH\ 

/         I        >co 

CO/  C-NH^ 

\nh-co 

erläutert  werden  möge. 

Wir  haben  mithin  die  cyclischen  Urelde  in  einfache  Urelde  und 
Diurelde  einzutheilen. 

V.  Mbykb  u.  Jaoobsok,  org.  Chem.    I.  68 


1074  Parabansßwrt  und  Cholesterophan, 


Den   cjcliflchen  Urei'den  analoge  Verbindungen  —  cyclische  Guanidide 
leiten  sich  vom  Guanidin  ab,  z.  B.: 

.NH-CH, 

C(:NH) 

sie  sind  zum  Theil  eben&lls  durch  physiologische  Beziehungen  wichtig  (vgl.  Kreati- 
nin S.  1077,  Guanin  S.  1089).  —  Die  cjclischen  Thioure'ide  dagegen,  die  synttie- 
tisch  aus  Thiohamstoff  entstehen,  sind  in  ihrer  Constitution  nicht  völlige  Analoga  der 
UreSde  (vgl.  Thiohydantoin,  8.  1076). 

Die  cyclischen  ürelde  besitzen  in  der  Regel  die  Fähigkeit  zur  Salz- 
bildang  mit  Basen,  die  auch  durch  die  Namen,  wie  „Parabansänre'S  ?,Ham- 
säure^'  etc.,  ausgedrückt  wird.  Diese  Eigenschaft  ist  auf  den  umstand 
zurückzuführen,  dass  die  WasserstofiPatome  der  zwischen  negativen 
G-ruppen  eingeschlossenen  Imidgruppen  (vgl.  S.  370,  662)  gegen  Metall- 
atome austauschbar  sind. 

A.   Einfache  Urelde,  Thiourelde  und  G-uanidide. 

Von  der  Oxalsäure  und  von  der  Glykolsäure  leiten  sich  wichtige 
Urelde  ab,  deren  Molecüle  den  fiinfgliedrigen  Ring: 

.N-C 

I 
C 

enthalten. 

,NH— CO 
Parabansäure  ^  C0<^  |     (Oxalylhamstoff)  —  eine  von  Wöh- 

\nh— CO 

LEE  und  LiEBia  entdeckte  Substanz,  die  f&r  die  Untersuchungen  über  die 
Harnsäuregruppe  von  grösster  Bedeutung  war,  —  entsteht  aus  Harnsäure 
durch  Oxydation,  bildet  breite  Nadeln  und  löst  sich  in  21  «2  Th.  Wasser 
von  8®.  Durch  Fällung  mit  Silberlösung  liefert  sie  das  Silbersalz 
AggCjNgOg  +  HgO,  welches  bei  der  Umsetzung  mit  Jodmethyl  in  die 
unten  noch  zu  besprechende  Dimethylparabansäure  (Cholesterophan)  über- 
geht; da  letztere  Verbindung  bei  der  vollständigen  Spaltung  durch  Er- 
hitzen mit  Salzsäure  auf  200^  den  StickstoflF  lediglich  in  Form  von 
Methylamin  (nicht  etwa  als  Ammoniak  und  Dimethylamin)  enüässt,  so 
muss  der  Parabansäure  die  oben  benutzte  Structurformel  ertheilt  werden: 
ein  OxalylhamstoflF  von  der  zweiten  möglichen  Formel: 

*  Liebig  u.  Wöhleb,  Ann.  26,  285  (1838).  —  Strecker,  Ann.  118,  156  (1861).  — 
Hardy,  Ann.  eh.  [4]  2,  374  (1864).  —  Finkh,  Ann.  132,  804  (1864).  —  Wheeleb, 
Ztschr.  Chem.  1866,  746.  —  HENRY^Ber.  4,  644  (1871).  —  Ponomarbw,  Bull.  18,  9T 
(1872).  —  ToLLENs  u.  Wagner,  Ann.  166,  321  (1878).  —  Menschutkin,  Ann.  172,  73, 
89  (1874).  —  Tollens,  Ann.  175,  227  (1875).  —  Grimaux,  Ann.  eh.  [5]  U,  367,  380 
(1877).  —  Calm,  Ber.  12,  624  (1879).  —  Andreasch,  Monatsh.  2,  284  (1881).  — 
Rttbinskaja,  Ber.  18  o,  609  (1885). 


Hydantain  und  HydanUnnsäu/re,  1075 

/NH., 

co<    ;co 


"<io 


könnte  dies  Verhalten  nicht  zeigen.  Beim  Erwärmen  mit  Alkalien  geht 
Parabansänre  in  Salze  der  Oxalursäure: 

C0< 

\NH-CO.CO,H 

/N(CH3)-C0 
über.     Die  eben  erwähnte  Dimethy Iparabans&ure  ^  C0<^  | 

\N(CH3)-C0 

(Gholesterophan)  entsteht  auf  obigem  synthetischen  Wege,  femer 
durch  Oxydation  von  Gaffeln;  sie  schmilzt  bei  145®,  siedet  unzersetzt 
bei  275— 277*',  löst  sich  bei  20®  in  53-4  Th.  Wasser  und  wird  durch 
alkoholische  Alkalien  schon  in  der  Kälte  in  Dimethylhamstoff  und  Oxal- 
säure gespalten. 

.NH— CH, 
Hydantoln^  CO<f  |       (Glykolylharnstoff)  —  von  Baeteb 

\NH— CO 
entdeckt  —  entsteht  aus  AUantoIn  durch  Erwärmen  mit  concentrirter 
Jodwasserstoffsäure,  synthetisch  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf 
Bromacetylhamstoff  NHg -CO-NH-COCHaBr,  bildet  farblose  Nadeln, 
schmilzt  bei  etwa  215®  und  ist  in  kaltem  Wasser  ziemlich  löslich;  durch 
Behandlung  mit  wasserfreier  Salpetersäure  geht  es  in  Nitrohydantoln 

/N(NOj)-CH, 
C0<^  I        (Schmelzpunkt  gegen  170®)  über.     Durch  Kochen  mit 

\NH CO 

Baryt  liefert  Hydantoln  die  Hydanto'fnsäure«  NHjCO-NH-CH^-COaH 
(Glykolursäure,  Uramidoessigsäure),  welche  synthetisch  durch 
Kochen  einer  Lösung  von  GlykokoU  und  Harnstoff  mit  überschüssigem 
Barytwasser  oder  durch  Umsetzung  von  schwefelsaurem  GlykokoU  mit 
Kaliumcyanat : 

C0NH.NH,.CH2.C0,H  =  NHj.CONHCH.COaH 

(vgl.  die  HarnstofFsynthese  Wöhlbe's,  S.  1051) 

gewonnen  wird,  schöne  Prismen  bildet,  in  kaltem  Wasser  ziemlich  schwer 
löslich   ist   und   beim   Erhitzen   mit  rauchender   Jodwasserstoffsäure   in 


*  Stenhouse,  Ann.  45,  371  (1843);  46,  229  (1843).  —  Rochledbb,  Ann.  73,  57, 
123  (1850).  —  Stbeckbe,  Ann.  118,  174  (1861),  —  Menschutkin,  Ann.  178,  201 
(1875).  —  Calm,  Ber.  12,  625  (1879).  —  Malt  u.  Hintebegqeb,  Monatsh.  2,  87  (1881). 

—  ANDEEArm,  ebenda,  283. 

«  Baeyeb,  Ann.  117,  178  (1861);  130,  158  (1864).  Her.  8,  612  (1875).  —  Franchi- 
MONT  u.  Klobbie,  Rcc.  trav.  chim.  7,  12,  236  (1888).  —  AnschCtz,  Ann.  254,  258  (1889). 

^  Baeteb,  Ann.  180,  160  (1864).  —  Heintz,  Ann.  133,  70  (1864).  —  Rheineck, 
Ann.  134,  222  (1865).  —  Hebzoo,  Ann.  136,  278  (1865).  —  Geiess,  Ber.  2,  106 
(1869).  —  Menschutkin,  Ann.  153,  105  (1869).  —  Wisligenüs,  Ann.  165,  103  (1872). 

—  Baümakn  u.  Hoppe-Seyleb,  Ber.  7,  37  (1874). 

68* 


1076  Methylhydantom,    Tkiohydantain,  •  Glykocyamidin, 

Kohlensäure,  Ammoniak  und  OljkokoU  gespalten  wird.  Diesen  Verbin- 
dungen analog  sind: 

.NCCHg)— CH, 

Methylhydantoltn  C0<;  |       und  Methylhydantolnsäure 

\NH CO 

.N(CH3)-CH, 
Q0<^  I  —  Substanzen  ^,  welche  aus  Ejreatin  bezw.  Kreatinin 

^NH,         CO.  OH 

(S.  1077)  durch  Kochen  mit  Baryt  entstehen,  und  deren  Constitution  sich 

aus  ihrer  Synthese  durch  Vereinigung  von  Sarkosin  (S.  831)  mit  Cyan- 

säure  ergiebt. 

ThlohydantoTii*  —  syiithetisch  durch  Einwirkung  von  Chloressigsftnre  auf  Thio- 
hamstoff  gewonnen  —  besitzt  nicht  eine  der  S.  1075  gegebenen  Hydantoinformel 
entsprechende  Structur,  muss  viehnehr  darch  die  Formel: 

'^S — ^CH, 

'NH-CO 

ausgedrückt  werden,  da  es  auch  durch  Combination  von  Thiogljkolsfture  (S.  749)  mit 
Cyanamid  entsteht  und  umgekehrt  beim  Kochen  mit  Baryt  Thiogljkolsfiure  abspaltet 
Diese  Verbindung  ist  mithin,  wie  die  S.  1064 — 1065  besprochenen  alkyUrten  Thio- 
bamstoffe,  ein  Derivat  der  Imidocarbaminthiolsfiure  und  nicht  im  eigentlichen  Sinne 
ein  Thiohydantoln.    Das  eigentliche  Thiohydantoin' 

.NH-CHj  yN CH,  '     /NH-CH, 

CS<             I         bezw.    C^SH       1           oder     C^SH      I 
^NH-CO  ^NH— CO  ^N CO 

ist  nur  in  Gestalt  von  Alkylderivaten  bekannt,  die  durch  Einwirkung  von  SenfSlen 
auf  Amidosäuren  erhalten  werden  können. 

In  derselben  Beziehung,   wie  Hydantoln  und  Hydantolnsäure   zum 

Harnstoff,  stehen 

^^NH-CH,  ^^NH— CH, 

Olykocyamidln«  C    NH       |       und  aiykocyamln «  C^  NH       | 

^\NH— CO  ^\NH,  CO -OH 

zum  Guanidin.  Glykocyamin  entsteht  durch  Vereinigung  von  Cyanamid 
mit  Glykokoll,  ist  in  kaltem  Wasser  ziemlich  schwer  loslich;  beim  Elr- 


C^S 


*  Neubauee,  Ann.  137,  288  (1865).  —  Huppebt,  Ber.  6,  1278  (1873).  —  Baü- 
MANN  u.  Hoppb-Seyler,  Ber.  7,  35  (1874).  —  E.  Salkowskt,  Ber.  7,  116  (1874).  — 
Hill,  Ber.  9,  1090  (1876).  —  J.  Tbaube,  Ber.  15,  2111  (1882).  —  E.  Fischer,  Ann. 
215,  287  (1882). 

«  VoLHARD,  Ann.  166,  383  (1873).  —  Malt,  Ann.  168,  133  (1873).  Ber.  10, 
1849  (1877);  12,  967  (1879).  -r-  Mulder,  Ber.  8,  1262  (1875).  —  Claus,  Ber.  10,  824 
(1877).  —  Claesson,  Ber.  10,  1352  (1877).  —  Andreasch,  Ber.  12,  1385  (1879);  13, 
1421,  1423  (1880).  Monatsh.  8,  407  (1887).  —  C.  Lieberxahn  u.  Lange,  Ber.  13, 
1593  (1880).  —  Kramps,  Ber.  13,  788  (1880). 

*  AscHAN,  Ber.  17,  420  (1884).  —  Marokwald,  Nbumark  u.  Stelzner,  Ber.  24, 
3278  (1891). 

*  Strecker,  Compt.  rend.  52,  1212  (1861).  —  Nencki  u.  Sieber.  J.  pr.  i^2]  17, 
477  (1878). 


Ereatin  und  Kreatinin.  1077 


hitzen   seines  Chlorhydrats   spaltet   es  Wasser   ab  und  geht  in  Glyko- 
cyamidin  über. 

Die    Methylderivate    dieser    beiden    Verbindungen  —  Ereatinin^ 


N(CH3)— CHa  ^^NlCHg)— CH3 

m  I       undKreatliiiÖ=NH  1 


==:NH  I       und  Ereatin  ^  C=-NH  1  —  sind  Substanzen 


\^NH CO  ^--NHa        CO  OH 

von  grosser  physiologischer  Bedeutung.  Das  Kroatin  bildet  einen  stän- 
digen Bestandtheil  des  Muskelsafbes  der  Säugethiere  und  kann  daher 
zweckmässig  aus  Fleischextract  gewonnen  werden;  auch  findet  es  sich 
im  Blute;  die  Muskeln  enthalten  etwa  0-3  ^/^  Kroatin,  die  Gesammt- 
musculatur  eines  erwachsenen  Mannes  enthält  somit  eine  sehr  beträcht- 
liche Kreatinmenge  —  etwa  90  g;  über  die  Rolle,  welche  das  Kroatin 
im  Stoffwechsel  spielt,  sind  die  Ansichten  noch  nicht  geklärt.  Im  Harn 
findet  sich  Kreatinin,  aber  nicht  in  bedeutender  Menge;  bei  Fleisch- 
nahrung werden  in  24  Stunden  etwa  2  g  Kreatinin  durch  den  Harn  ab- 
geschieden. Synthetisch  kann  Kroatin  durch  Vereinigung  von  Cyanamid 
mit  Sarkosin  (vgl.  S.  831)  gewonnen  werden: 

<X  NH(CH,)-CH,  /N(CH,)— GH, 

+  i  =  ^NH  I  ; 

NH,  CO,H  \NHs         C0,H 

durch  diese  Synthese  wird  seine  Constitution  ausser  Zweifel  gestellt. 
Kreatin  krystallisirt  aus  Wasser  in  farblosen,  wasserhaltigen  Prismen 
von  der  Zusammensetzung  C^HgNgOg  +  H3O,  verliert  bei  100^  das  Krj'- 
stallwasser,  löst  sich  in  74-4  TL  Wasser  von  18^  in  9410  Th.  kaltem 
absolutem  Alkohol;  beim  Kochen  mit  Baryt  wird  es  in  Methylhydantoln 
(S.  1076)  übergeführt.  Beim  Erwärmen  mit  verdünnten  Säuren  geht 
es  durch  Wasserabspaltung  in  Kreatinin  über;  letzteres  krystallisirt 
aus  wässeriger  Lösung  im  Vacuum  wasserfrei,  löst  sich  schon  in 
11-5  Th.  Wasser  von  16®  und  geht  in  Berührung  mit  Alkalien  wieder 
allmählich  unter  Wasseraufnahme  in  Kreatin  über;  es  ist  eine  starke 
Base,  bildet  mit  Säuren  gut  krystallisirende  Salze,  mit  Chlorzink  eine 
charakteristische,  zur  Abscheidung  geeignete,  krystaUinische  Verbindung 


*  Chevreitl,  Berz.  Jb.  13,  382  (1834).  —  Pbttenkopee,  Ann.  52,  97  (1844).  — 
Heintz,  Pogg.  62,  602  (1844);  70,  466  (1847);  74,  125  (1848).  —  Liebio,  Ann.  62, 
282,824  (1847);  108,  355  (1858).  —  Gbeoohy,  Ann.  64,  100  (1847).  —  ScHLOSSBEEaEB, 
Ann.  66,  80  (1848).  —  Pbice,  Ann.  76,  362  (1850).  —  Dessaiqnes,  Ann.  92,  407 
(1854);  97,  332  (1856).  Jb.  1857,  543.  —  Staedelee,  J.  pr.  72,  256  (1857).  — 
Nbubaueb,  Ann.  119,  27  (1861);  120,  257  (1861);  137,  288  (1865).  —  Voit,  Jb.  1867, 
791.  —  Stseckee,  Jb.  1868,  686  Anm.  —  Volhaed,  Ztschr.  Ghem.  1869,  318.  — 
MuLDBE  u.  MoüTHAAN,  ZtscliT.  Chem.  1869,  341.  —  Malt,  Ann.  159,  279  (1871).  — 
Weyl,  Ber.  11,  2175  (1878).  —  E.  Salkowsky,  Ztechr.  f.  pbysiol.  Chem.  4,  133  (1879); 
9,  127  (1884).  —  WoEM-MüLLEB,  Jahresb.  f.  Thierchemie  1881,  76.  —  KBüKENBEEa, 
ebenda,  340.  —  Jaff£,  Ztscbr.  f.  physiol.  Chem.  10,  391  (1886).  —  Colasanti,  Ber. 
2O0,  511  (1887).  —  J0HH8OHN,  Ber.  25o,  285  (1892).  —  Bunge,  Lehrb.  d. pbysiol.  u. 
patbol.  Chem.  (Leipzig,  1889),  8.  138,  290,  314. 


1078  Barbiiursäure  und  Dialursäure, 

von  der  ZnsaminensetzuDg  (C^H^N30)2ZnCl2 ;  durch  Oxydation  mit  Ea- 
liumpermanganat  liefert  es  neben  Oxalsäure  Methylguanidin  (S.  1068). 

Lysatin  bezw.  Lysatlnln^  ist  eine  Base  CeHnN,0  bezw.  CeHi,N,09  genannt, 
welche  durch  Spaltung  von  Eiweisskörpem  beim  Rochen  mit  concentrirter  Salzsäure 
und  etwas  Zinnchiorür  entsteht  und  dem  Rreatin  bezw.  Kreatinin  ähnlich  constituirt 
zu  sein  scheint. 

Durch  ihre  Beziehungen  zur  Harnsäure  sind  femer  einige  XTrelde, 
deren  Molecüle  den  sechsgliedrigen  Ring  / 


enthalten,  von  Interesse. 


NH— CO 


\i 


Barbitursäure'  ist  der  Malonylharnstoff  C0<  >CH, 

\NH— CO/ 
genannt  worden  —  eine  Substanz,  .welche  von  Baeyeb  entdeckt  ist,  und 
deren  Studium  seiner  Zeit  wesentlich  die  Aufklärung  der  Ureld-Gruppe 
gefördert  hat;  sie  wurde  zuerst  aus  Alloxan  auf  Umwegen  gewonnen, 
später  auch  synthetisch  durch  Einwirkung  von  Phosphoroxychlorid  auf 
ein  Gemisch  von  Malonsäure  und  Harnstoff  dargestellt.  Sie  geht  durch 
Behandlung  mit  rauchender  Salpetersäure  inNitrobarbitursäure  (Dili- 
tursäure),  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  in  Isonitrosobar- 
bitursäure  (Violursäure)  über;, aus  diesen  beiden  Verbindungen  kann 
durch  Reduction  Amidobarbitursäure  (Uramil)  gewonnen  werden; 
die  Constitution  dieser  Barbitursäure-Derivate  erhellt  aus  den  Formeln: 

/NH-COv  .NH-COv  /NH-COv 

C0<  >CH.NO,  C0<  >C:N.OH  C0<  >CH.NH,. 

^NH~CO/  \XH-CO^  \NH-C(K 

Dilitursäure  Violursäure  Uramil 

.NH— CO. 


Dialursfture^  C0<  >CH(OH)  (Tartronylhamstoff)  ent- 

\nh— CO/ 

steht  durch  Reduction  von  Alloxan  und  ist  durch  ihre  leichte  Oxydir- 
barkeit  bemerkenswerth ;   in  feuchtem  Zustand  oxydirt  sie  sich  an  der 

Luft  rasch  zu  Alloxantin  (vgl.  S.  1081). 

.NH— COv 
Alloxan*  oder  Mesoxalylharnstoff  C0<  >C(0H),  +  8H,0 
\NH— CO^ 

1  Dbechsel,  J.  pr.  [2]  39,  425  (1889).     Ber.  28,  3096  (1890). 

'  Baeyeb,  Ann.  127,  200,  229  (1868);  130,  129  (1864).  —  Fikkh,  Ann.  13«, 
804  (1864).  —  Gkimaux,  Her.  12,  878  (1879).  —  Conrad  u.  Guthzeit,  Ber.  14,  1643 
(1881)-,  15,  2844  (1882).  (Vgl.  V.  Meter  u.  Ad.  Müller,  Ber.  16,  610  [1883].)  — 
Behbend,  Ann.  236,  57  (1886).  —  Mationon,  Ann.  eh.  [6]  28,  289,  508  (1893). 

«  Liebig  u.  Wöhler,  Ann.  26,  276  (1838).  —  Grboory,  J.  pr.  32,  277  (1844). 
—  Strecker,  Ann.  113,  49  (1858).  —  Baeyer,  Ann.  127,  12  (1863). 

*  \Whler  u.  Liebio,  Ann.  26,  256  (1838);  38,  357  (1841).  —  Gregory,  J.  pr. 
32,  280  (1844).  —  Schlieper,  Ann.  55,  251  (1845).  --  Dessaiokes,  Jb.  1867,  364.  — 


Aüoxan  tmd  DimethylcUloaxm,  1079 


(vgl.  Mesoxalsäure  S.  981)  —  von  BBuaNAXELLi  1817  entdeckt,  aber 
erst  von  Wöhleb  und  Liebig  (vgl.  S.  1073,  1085)  eingehend  charakterisirt 
—  ist  ein  Abbauprodukt  der  Harnsäure,  das  für  die  Benrtheilung  ihrer 
Constitution  hervorragende  Bedeutung  besitzt;  es  entsteht  durch  Oxy- 
dation der  Harnsäure;  seine  Constitution  ergiebt  sich  aus  der  Spaltung 
in  Harnstoff  und  Mesoxalsäure,  welche  es  beim  Kochen  mit  Basen  er- 
leidet. Es  bildet  farblose  Krystalle  tihd  ist  in  Wasser  leicht  löslich; 
die  Lösung  giebt  mit  Eisenoxydulsalzen  eine  tief  indigblaue  Färbung, 
mit  Basen  die  Salze  der  Alloxansäure.  Alloxan  wird  durch  Kochen 
mit  verdünnter  Salpetersäure  zu  Kohlensäure  und  Parabansäure  oxydirt 
und   liefert   durch  Mnwirkung  von  Hydroxylamin   die  Violursäure  (vgl. 

/N(CH3)— CO. 
S.  1078).  —  Dimetbylalloxan  ^  C0<  ^C(0H)2  +  H-O  entsteht 

\N(CH3)— CO/ 
bei  der  Zersetzung  des  Caffelns  mit  Salzsäure  und  Kaliumchlorat  und 
liefert  durch  Oxydation  mit  Chromsäure  das  Cholesterophan  (S.  1075). 
UracilderiTate '.     Als  Uracil  bezeichnet  Behbend  eine  Substanz 

von  der  Constitution: 

/NH— CBL 
C0<  >CH , 

welche  als  Ureld  der  /S-Oxyakrylsäure  (Formylessigsäure,  vgl.  S.  949 — 950) 
aufgefasst  werden  kann.  Das  üracil  selbst  ist  einstweilen  noch  nicht 
bekannt,  wohl  aber  sind  zahlreiche  Derivate  desselben  durch  synthetische 
Processe  gewonnen  worden,  die  ihren  Ausgangspunkt  von  der  Beaction 
zwischen  Harnstoff  und  Acetessigester  nehmen.  Da  man  unter  Benutzung 
dieser  üracilderivate  als  Zwischenstufen  schliesslich  zu  einer  vollständigen 
Synthese  der  Harnsäure  gelangt  ist,  so  beansprucht  diese  Gruppe  von 
Urelden  ein  besonderes  Interesse. 

Durch  Condensation  von  Harnstoff  mit  Acetessigester   erhält  man 
zunächst  den  üramidocrotonsäureester  (vgl.  S.  836): 

CO .  CHa  /NH — C(OH)~CH, 


co/ 


^^»        I  '  /  i 

+  CH,  =   CO/  CHa 

COjCjH^  \nH,     C0,.C,H( 


,NH — C-CH, 
=   Co/  CH  +H,0, 
\nH,     COjCjHs 

Hlasiwetz,  Ann.  103,  210  (1857).  —  Wdth,  Ann.  108,  41  (1858).  —  Strecker,  Ann. 
113,  47  (1858).  —  LiEBio,  Ann.  121,  81  (1862);  147,  366  (1868).  —  Fihok,  Ann.  132, 
303  (1864).  —  Hardy,  Ann.  eh.  [4]  2,  372  (1864).  —  Mülder,  Ber.  6,  1014  (1873).  — 
Magioer  de  LA  SouRCE,  Jb.  1874,  844.  —  Matiqhoh,  Ann.  eh.  [6]  28,  299,  523  (1893). 

^  Malt  u.  Andreascb,  Monateh.  3,  92  (1882).  —  £.  Fischer,  Ann.  216,  259  (1882). 

'  R.  BiHREND,  Ann.  229,  1  (1885);  231,  248  (1885);  236,  57  (1886);  240,  1 
(1887);  246,  213  (1888);  263,  65  (1889).  —  Köhler,  Ann.  236,  32  (1886).  —  Behbemd 


1080  Uracüderivate. 


welcher  durch  Verseifung  mit  Aetznatron  ein  Natriumsalz  liefert,  aus 
dem  nun  durch  Säuren  Methyluracil  abgeschieden  wird: 

,NH — C-CH3  .NH-C-CH, 

Co/  \CH     -NaOH  =  Co/  \cH. 

\nH,     dO.ONa  ^NH-dO 

Methyluracil  bildet  Nädelchen,  zersetzt  sich  bei  270 — 280*^  unter  Bräu- 
nung und  ohne  Schmelzung  und  ist  in  kaltem  Wasser  wenig  loslich. 
Behandelt  man  es  mit  concentrirter  Salpetersäure,  so  liefert  es,  indem 
die  Salpetersäure  sowohl  nitrirend  wie  oxydirend  wirkt,  die  Nitro- 
uraellcarbonsSure 

,NH-C-CO,H 
co/  Sc  NO,, 

\nh— do 

welche  beim  Kochen  in  wässriger  Lösung  Kohlensäure  abspaltet  und 
in  Nitrouracil: 

/NH-CH. 
C0<  >C.NO, 

^NH-CO'^ 

übergeht.  Nitrouracil  bildet  goldgelbe  Nadeln,  ist  in  Wasser  schwer  lös- 
lich und  verpufft  beim  Erhitzen  ohne  zu  schmelzen.  Dass  in  diesen 
Nitroverbindungen  die  Nitrogruppe  am  Kohlenstoff  haftet  und  nicht  etwa 
einen  Imidwasserstoff  vertreten  hat,  folgt  aus  dem  Verhalten  der  Alkyl- 
derivate,  die  aus  dem  Nitrouracil  gewonnen  werden  können;  Nitrouracil 
liefert  nämlich  Salze  und  durch  Umsetzung  des  Kaliumsalzes  mit  Jod- 
alkylen  monoalkylirte  Nitrouracile;  letztere  können  in  analoger  Weise 
nochmals  alkylirt  werden;  während  nun  aus  den  Monalkylderivaten 
durch  Spaltung  mit  Barythydrat  Alkylamin  und  Ammoniak  gebildet 
wird,  entsteht  aus  den  Dialkylderivaten  lediglich  Alkylamin;  daraus  ist 
ersichtlich,  dass  das  Nitrouracil  noch  zwei  vertretbare,  an  Stickstoff  ge- 
bundene Wasserstoffatome  enthält.  —  Nitrouracil  liefert  bei  der  Seduc- 
tion  mit  Zinn  und  Salzsäure  neben  Amidouracil  unter  Eliminirung 
eines  Stickstoffatoms  eine  Verbindung  C^H^NgO,  —  Oxyuraeil  oder 
Isobarbitnrsäure  — ,  welche  dieser  Bildungsweise  zufolge  als 

/NH-CH 
üreld  der  a-/S-Dioxyakryl8äure        C0(  \c— OH      oder 


yNH— CH, 
Ureld  der  Oxybrenztraubensäure     C0(  Nco 

\nh— CO 

aufzufassen  ist;  da  die  Isobarbitursäure  nicht  mit  Hydroxylamin  reagirt, 
wohl  aber  mit  Essigsäureanhydrid  ein  Acetylderivat  liefert,   so  ist  die 

u.  BoosEN,  Ber.  21,  999  (1888).    Ann.  261,  235  (1888).  —  Haoen,  Ann.  244,  1  (1888). 
—  Behrekd  u.  Ernebt,  Ann.  258,  347  (1890).  —  Ebnest,  ebenda,  360. 


AlloQcantin,  1081 


erste  Formel  wahrscheinlicher.  Durch  Oxydation  mit  Bromwasser  wird 
Isobarbitursäure  in  Dioxyuracil  oder  Isodlalursäure: 

,NH— C(OH)  .NH-CH(OH) 

Co/  No(OH)         bezw.       co/  NcO 

\nh-co  ^NH-do 

übergeführt.  Isodialnrsäure  bildet  lange  derbe  Prismen,  ist  in  Wasser 
leicht  löslich,  krystallisirt  mit  2  Molecülen  Wasser,  von  denen  eines  bei 
100^  das  zweite  erst  bei  140 — 150®  entweicht,  ist  gegen  oxydirende 
Agentien  ziemlich  beständig  (vgl.  die  Unbeständigkeit  der  Dialursänre 
S.  1078)  und  liefert  durch  Condensation   mit  Harnstoff  die  Harnsäure 

(vgl.  S.  1084). 

* 

B.   Diurelde  und  entsprechende  G-uanidinderivate.    Harnsäure- 
gruppe. 

Die  Diurelde  kann  man  in  zwei  Unterabtheilungen  sondern.  Die 
eine  Abtheilung  umfasst  solche  Diurelde,  in  deren  Molecülen  zwei  ein- 
fache MonureXdreste  mit  einander  verbunden  sind;  als  zweite  Unter- 
abtheilung  mögen  solche  Diurelde  zusammengefasst  werden,  in  deren 
Molecülen  ein  Harnstoffrest  direct  mit  einem  Monureldrest  ver- 
bunden ist.  Der  Unterschied  wird  durch  Anführung  je  eines  Formel- 
beispiels aus  jeder  Abtheilung: 

I 

co/  \c(OH)-d(OH)  >C0      C 

\nh— co/  N:)o-NH 

deutlich  werden.  Während  bei  den  Verbindungen  der  ersten  Abtheilung 
der  Zerfall  eines  Diureldmolecüls  in  zwei  Monureldmolecüle  möglich  ist. 
enthalten  die  Diurelde  der  zweiten  Abtheilung  zwei  Hamstofi&este  durch 
ein  gemeinschaftliches  Eohlenstoffgerüst  derart  verankert,  dass  der 
Zerfall  in  zwei  einfache  Ureldmolecüle  nicht  möglich  erscheint. 

Die  Verbindungen  der  ersten  Abtheilung  sind  künstlieh  theils  aus  ein- 
fachen Urelden,  theils  aus  Verbindungen  der  Hamsäuregruppe  erhalten  worden.  Nur 
Einige  brauchen  hier  genannt  zu  werden. 

Alloxantln^  CsHeNfO,  +  2H,0,  entsteht  bei  der  Oxydation  von  Hamsfture  mit 
verdünnter  Salpetersäure;  aus  Allozan  entsteht  es  durch  gelinde  Beduction  und  geht 
umgekehrt  durch  Oxydation  wieder  in  Alloxan  über,  während  es  durch  weitere 
Beduction  Dialursäure  liefert;  auch  entsteht  es  sehr  leicht  durch  Vereinigung  von 
Alloxan  mit  Dialursäure.    Seine  Constitution  ist  wahrscheinlich  durch  die  Formel: 


^  LiEBiQ  u.  WöHLER,  Auu.  26,  262,  809  (1888);  38,  357  (1841).  —-  Schlibpbb, 
Ann.  66,  259  (1845).  —  Gbbqort,  J.  pr.  32,  276  (1844).  Ann.  87,  126  (1858>  — 
Hlasiwetz,  Ann.  103,  216  (1857).  —  Stbeckbb,  Ann.  118,  51  (1858).  —  Liebio,  Ann. 
147,  867  (1868).  —  Gbimaux,  Compt.  rend.  87,  752  (1878).  —  Mationon,  Bull.  [31 
9,  169  (1893).     Ann.  eh.  [6]  28,  326  (1893). 


1082  Amalinsäure.     Murexid. 


»/ 


NH— COv  XO— NH> 


.  \c(OH)-d(OH)  \C0  +  2H,0 

\nh— CO/  \co-nh/ 

auszudräcken,  und  es  stände  mithin  zum  Alloxan  in  der  Beziehung,  wie  ein  Pinakon 
zu  dem  entsprechenden  Keton.  Es  bildet  farblose  Krystalle,  ist  in  kaltem  Wasser 
sehr  schwer  löslich,  reichlicher  in  heissem  Wasser,  giebt  in  Losung  mit  BazTtwasser 
einen  veilchenblauen  Niederschlag,  welcher  durch  Kochen  weiss  wird  und  wieder 
verschwindet,  imd  röthet  sich  an  ammoniakhaltiger  Luft;  durch  Einwirkung  von 
Salmiaklösung  wird  es  in  Alloxan  und  Uramil  gespalten.  —  Ein  Tetramethyl- 
derivat  des  Alloxantins  ist  die  sogenannte  AmaUnsMure^  CisHifN^Og,  welche  in 
analoger  Weise,  wie  Alloxantin  aus  Harnsäure,  so  aus  CaffeXn  durch  Oxydation  entsteht, 
femer  aus  Dimethylalloxan  (S.  1079)  durch  Reduction  mit  Schwefelwasserstoff  gebildet 
wird  und  durch  Oxydation  wieder  in  Dimethylalloxan  übergeführt  werden  kann;  sie 
ist  fast  unlöslich  in  kaltem  Wasser  und  verhält  sich  dem  Alloxantin  sehr  ähnlich. 

In  naher  Beziehung  zum  Alloxantin  steht  das  Murexid'  CgHfNsOe'NH«  +  H^O 
—  eine  Substanz,  welche  durch  ihre  prächtige  Färbung  ausgezeichnet  ist,  und  deren 
Entstehung  aus  den  Körpern  der  Hamsäuregruppe  bei  vielen  Reactionen  beobachtet 
wird.  Murexid  ist  das  Ammouiumsalz  einer  im  freien  Zustand  nicht  beständigen 
Säure  —  der  Purpursäure,  für  welche  die  Structurformel: 

/NH~COv       /NH\      ,CO~NHv 

co<;  >C^^ ^C<  >co 

^NH-CO/  XJO-NH^ 

sehr  plausibel  erscheint  Es  bildet  sich  besonders  glatt  durch  Oxydation  von  Uramil 
mit  Quecksilberoxyd,  und  entsteht  femer  durch  Einwirkung  von  Uramil  auf  Alloxan 
bei  Gegenwart  von  Ammoniak,  daher  auch  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf 
Alloxantin  (vgl.  oben  die  Spaltung  des  Alloxantins  in  Uramil  und  Alloxan);  es 
beruht  auf  dieser  Bildung  die  Murexidreactiou  der  Harnsäure:  verdampft 
man  Harnsäure  mit  verdünnter  Salpetersäure,  so  erhält  man  einen  Bückstand,  der 
sich  mit  Ammoniak  infolge  von  Murexidbildung  purpurroth  ^bt.  Murexid  bildet 
kleine  Krystalle,  welche  wie  die  Flügeldecken  der  Goldkäfer  metallisch  grünes  Licht 
reflectiren;  zerrieben  stellt  es  ein  rothes  Pulver  dar,  das  unter  dem  Polirstahl  glänzend 
metallisch  grün  wird;  in  Wasser  löst  es  sich  mit  tief  purpurrother  Farbe;  die  Losung 
wird  durch  Kalilauge  tiefblau  gefärbt,  Murexid  wurde  früher  als  Farbstoff*  ver- 
wendet Durch  doppelte  Umsetzungen  kann  man  aus  dem  Miurexid  andere  Salze 
der  Purpursäure  gewinnen.  Dagegen  ist  die  freie  Purpursäure  nicht  isolirbar,  zerfUlt 
vielmehr  sofort  in  Uramil  imd  Alloxan. 

In  die  zweite  Abtheilung  der  Diurelde  (vgl.  S.  1081)  gehört  eine 
Reihe  von  wichtigen  Naturstoffen  —  neben  den  Pflanzenbasen  TheTn  und 
Theobromin  Substanzen ,  welche  für  die  chemischen  Processe  des  Thier- 
körpers  von  Bedeutung  sind,  wie  Harnsäure,  Guanin,  Xanthin.     Diese 


^  RocuLEDEB,  Ann.  71,  1  (1849).  —  !Maly  u.  Andreasch,  Monatsh.  3,  103  (1882). 

—  £.  Fischer,  Ann.  216,  258  (1882).  —  £.  Fischer  u.  Reese,  Ann.  221,  339  (1883). 

—  Brunn,  Ber.  21,  513  (1888). 

>  Liebio  u.  Wöhler,  Ann.  26,  254,  267,  819  (1838).  —  Fritzsche,  Ann.  32,  316 
(1839).  —  Gregory,  Ann.  33,  334  (1840).  —  Beilstbin,  Ann.  107,  176  (1858).  — 
Matiqnon,  Ann.  eh.  [6]  28,  345  (1893). 

'  Vgl.  Caro's  Vortrag  über  die  Entwickelang  der  Theerfarben- Industrie,  Ber. 
25o,  1025—1026  (1892). 


AUaniain.  1083 


Diurelde^    welche   man  unter  der  Bezeichnung    ,yHa]:n8äuregruppe^' 

zusammenzufassen  pflegt,  beanspruchen  daher  hervorragendes  Interesse. 

AllantoXn^    C^H^N^^Og    ist    vermuthlich    als   Diureld    der    Gly- 

oxylsäure: 

.NH— CH— NHv 

C0<  I  >C0 

^NH— CO    NH/ 

aufzufassen.  Es  ist  von  Vauquelin  1790  entdeckt,  findet  sich  in  der 
Allantoisfltissigkeit  der  Kühe,  im  Kälberharn  und  nach  Eingabe  von 
Harnsäure  im  Hundeham;  auch  im  Pflanzenkörper  wird  es  gebildet  und 
ist  z.  B.  in  jungen  Platanentrieben  constatirt  worden.  Künstlich  ent- 
steht es  durch  Oxydation  der  Harnsäure,  synthetisch  durch  Erhitzen 
von  Hamstoflf  mit  Glyoxylsäure  oder  Mesoxalsäure.  Es  bildet  farblose 
Krystalle  von  asbestartigem  Glanz,  bleibt  beim  Erhitzen  bis  gegen  200® 
anscheinend  unverändert,  löst  sich  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heissem 
leicht  auf.  Durch  Reduction  geht  es  in  Hydantoln  über;  bei  der  Spal- 
tung mit  Alkalien  liefert  es  Ammoniak  und  Kohlensäure  als  Zersetzungs- 
produkte des  zunächst  abgespaltenen  Harnstoffs,  Oxalsäure  und  Essig- 
säure als  Zersetzungsprodukte  der  Glyoxylsäure  (vgl.  S.  949). 

HarnsSnre  CgH^N^Og  —  1776  von  Scheele  entdeckt  —  ist  als 
Diureld  einer  Trioxyakrylsäure  [C(0H)j:C(0H)'C03H]  aufzufassen: 

,NH-CO 

C0(  C-NHv  (Begründung  vgl;  S.  1085—1086). 

\  !|  >C0 

Die  Harnsäure*  tritt  im  Harne  des  Menschen  regelmässig,  aber  nur 
in  geringer  Menge  auf;  von  dem  Säugethierorganismus  wird  nur  ein 
sehr  geringer  Procentsatz  des  zur  Ausscheidung  gelangenden  Stickstoffs 
in  Form  von  Harnsäure,  der  weitaus  grösste  Theil  dagegen  als  Harn- 
stoff (S.  1051)  —  also  als  Produkt  einer  in  Bezug  auf  den  Kohlenstoff 
vollständigen  Verbrennung  —  abgesondert.     Umgekehrt  wird   von   den 


*  LiEBiQ  u.  WöHLEB,  Ann.  26,  245  (1838).  —  Schliepeb,  Ann.  67,  214  (1848).  — 
WöHLEB,  Ann.  70,  229  (1849);  88,  100  (1853).  —  Limpricht,  Ann.  88,  94  (1853).  — 
Frbeiohs  u.  Stabdelee,  Jb.  1864,  714.  —  Neubauer,  Ann.  99,  217  (1856).  —  GtobUp, 
Ann.  110,  94  (1859).  —  Meissner  n.  Jolly,  Ztschr.  Ghem.  1866,  231.  —  Eheikeok, 
Ann.  134,  219  (1865).  —  Wheeleb,  Ztschr.  Ghem.  1866,  746.  —  Gibbs,  Ann.  Suppl. 
7,  322  (1869).  —  Muldeb,  Ann.  169,  349  (1871).  —  Claus,  Ber.  7,  227  (1874).  —  E.  Sal- 
K0W8D,  Ber.  9,  719  (1876);  11,  500  (1878).  —  Grimaux,  Ann.  eh.  [5]  11,  389  (1877).  — 
£.  Schulze  u.  Babbibbi,  J.  pr.  [2]  26,  145  (1881).  —  Michael,  Ber.  16,  2506  (1883). 

—  E,  Schulze  u.  Bosshabd,  Ztschr.  f.  physiol.  Ghem.  9,  420  (1885).  —  Beerend  u. 
RoosEN,  Ann.  261,  255  (1888). 

'  Ueber  Vorkommen  und  Bildung  der  Harnsfture  vgl.:  Gabbod,  Jb.  1849,  529. 

—  CLOfiTTA,  Ann.  99,  289  (1856).  —  Schipp,  Ann.  111,  368  (1859).  —  H.  Meyer  u. 
Jaff^!,  Ber.  10,  1930  (1877).  —  E.  Salkowski,  Ber.  U,  501  (1878).  —  Mittelbach, 
Ztschr.  f.  physiol.  Ghem.  12,  463  (1888).  —  Bunge,  Lehrb.  d.  physiol.  u.  pathol.  Ghem. 
(Leipzig  1889),  S.  292  ff. 


1084  Harnsäure, 


Vögeln,  Reptilien  und  vielen  Wirbellosen  die  Hauptmasse  des  Stickstoffs 
(bei  Gänsen  z.  B.  68 — 70  7o)  ^^  Harnsäure  —  mithin  als  Produkt  einer 
unvollständigen  Verbrennung  —  ausgeschieden.  Bei  gewissen  patho- 
logischen Zuständen  des  menschlichen  Organismus  (Gicht)  setzt  sich  die 
Harnsäure  innerhalb  des  Körpers  —  in  den  Gelenken,  unter  der  Haut, 
in  der  Blase  (Blasensteine)  etc.  —  in  Form  schwer  löslicher  saurer 
Salze  ab. 

Zur  Darstellung^  der  Harnsäure  benutzt  man  zweckmässig 
Schlangenexcremente  oder  Guano  als  Ausgangmaterial. 

Die  Lösung  des  oft  und  lange  vergeblich  angestrebten  Problems, 
Harnsäure  synthetisch^  zu  gewinnen,  ist  zuerst  HoRBACZEWSKi  gelungen; 
er  erhielt  Harnsäure  durch  Erhitzen  von  GlykokoU  mit  Harnstoff  —  eine 
Eeaction,  welche  jedenfalls  verschiedene  Zwischenstadien  durchläuft,  nur 
beim  Arbeiten  mit  kleinen  Mengen  gelingt  und  auch  dann  nur  geringe 
Ausbeuten  liefert;  auch  durch  Erhitzen  von  Cjanessigsäure  (S.-654)  mit 
Harnstoff  gewinnt  man  unter  anderen  Produkten  Meine  Mengen  von 
Harnsäure;  etwas  bessere  Ausbeute  an  Harnsäure  erhält  man  durch  Zu- 
sammenschmelzen von  Trichlormilchsäureamid  (S.  755)  mit  Harnstoff  — 
eine  auf  Grund  der  S.  1083  angeführten  Constitutionsformel  auch  leicht 
verständliche  Reaction: 

.NH,      CONH,  /NH— CO 

/  1  /  ' 

C0(  +  CH(0H)     +  NH,v  =  C0(  C-NHv  +  H,0  +  NH^Cl . 

\  I  /^^  \  k  y^^  +2HCI. 

^NH,      CCl,  NH,/  \nH— C— NH^ 

Besonders  glatt  aber  verläuft  die  Hamsäuresjnthese  von  Behbekd  und 
ßoosEN  durch  Condensation  von  Isodialursäure  (S.  1081)  mit  Harnstoff 
in  Gegenwart  von  Schwefelsäure: 

,NH— CO  .NH-CO 

C0(  C(OH)  +  NH,v  =   C0(  C-NHv  +  2H,0. 

\  Jl  >C0  \  J,  >C0 

\nH— C(OH)       NH,^  \NH-C~NH'/ 

Harnsäure  bildet  farblose,  glänzende  Erjstallschuppen  und  ist  in 
Wasser  äusserst  schwer  löslich*;  bei  18-5°  erfordert  sie  etwa  10000  Th. 
Wasser  zur  Lösung;  in  kalter  concentrirter  Schwefelsäure  löst  sie  sich 
unzersetzt  und  wird  daraus  durch  Wasser  wieder  gefallt.  Ueber  die 
Murexidreaction  der  Harnsäure  vgl.  S.  1082.  Sie  liefert  zwei  Reihen  von 
Salzen*.     Das  neutrale  Natriumsalz  CgHjN^OjNa^  +  H,0  löst  sich  in 

^  Arppe,  Ann.  87,  237  (1853).  —  Gk)E8SMAim,  Ann.  99,  374  (1856).  —  Gdbs, 
Ztschr.  Chem.  1869,  729.    Ann.  SuppL  7,  324  (1869). 

>  HoRBACZBWBKi,  Ber.  15,  2678  (1882).  Monatsh.  6,  356  (1885);  S;  201,  584  (188T). 
—  Behbbkd  u.  Roosen,  Ber.  21,  999  (1888).  Ann.  251,  235  (1888).  —  Fobmänbk,  Ber. 
24,  3419  (1891). 

'  Bensch,  Ann.  64,  191  (1854).  —  Blabez  u.  Dexio£s,  Compt  rend.  104,  1847 
(1887).  —  Bshbend  u.  Boosen,  Ann.  261,  235  (1888). 

*  Bensch,  Ann.  54,  189  (1845).  —  Allan  u.  Bensch,  Ann.  65,  181  (1848). 


ConsiittUion  der  Harnsäure,  1085 


62  Th.  Wasser;  das  saure  Natriumsalz  C^HjN^OjNa  +  V3^0  entsteht 
durch  Kochen  von  Harnsäure  mit  Soda,  bildet  ein  krystallinisches  Pul- 
ver, löst  sich  in  1100—1200  Th.  Wasser  von  15^  in  123—125  Th. 
siedenden  Wassers. 

Zur  Ermittelung  der  Hamsäureconstitution  hat  es  vieler  mühevoller 
Arbeiten  bedurft.  Wöhlbb  und  Liebig  ^  haben  zuerst  in  einer  Unter- 
suchung, welche  zu  den  bedeutungsvollsten  Thaten  dieses  Forscherpaars 
zählt,  den  Abbau  der  Harnsäure  durch  Oxydation  in  grundlegender 
Weise  experimentell  klar  gelegt;  die  Charakteristik  der  Abbauprodukte 
wurde  dann  durch  Arbeiten  Babteb's*,  welche  sich  jener  Unter- 
suchung ebenbürtig  anreihen,  so  weit  vervollständigt,  dass  Baeyeb  wohl- 
begründete Constitutionsformeln  für  die  einfachen  cyclischen  Urelde  auf- 
stellen konnte.  Auf  Grund  des  so  gewonnenen  Materials  wurden  Spe- 
culationen  über  die  Structur  der  Harnsäure  selbst  angestellt.  Die  S.  1083 
angeführte,  heute  allgemein  angenommene  Formel  ist  von  Medious^  zuerst 
aufgestellt  worden;  sie  erhielt  ihre  experimentelle  Begründung  durch 
Emil  Fischeb's^  Untersuchung  der  Methylderivate  der  Harnsäure  und 
durch  die  Hamsäuresynthese  von  Behbend  und  Roosen  (vgl.  S.  1084). 

Harnsäure  kann  durch  Oxydation  je  nach  den  Bedingungen  in5,Al- 
lontoln  oder  Alloxan  übergeführt  werden.  Die  Bildung  des  Allantolns 
zeigt,  dass  die  Harnsäure  ein  Diureld  ist;  aus  der  Alloxanbildung  er- 
giebt  sich,  dass  ihr  Molecül  den  cyclischen  Complex: 

Vi 

enthält  Denkt  man  sich  an  denselben  noch  einen  Hamstoffrest  an- 
tretend, so  würde  man  ein  Molecül  mit  5  C- Atomen  und  4  N- Atomen 
—  entsprechend  der  empirischen  Harnsäureformel  CgH^N^Og  —  erhalten. 
Nun  hat  E.  Fisgheb  nachgewiesen,  dass  die  Harnsäiue  vier  Imidgruppen 
enthält;  denn  man  kann  sie  in  eine  Tetramethylhamsäure  überführen, 
welche  bei  der  Spaltung  den  Stickstoff  lediglich  in  Form  von  Methyl- 
amin ohne  Bildung  von  Ammoniak  austreten  lässt.  Unter  Berücksich- 
tigung  dieser  Verhältnisse  und  der  empirischen  Zusammensetzung  der 
Harnsäure  kann  man  die  folgenden  zwei  Harnsäureformeln  als  möglich 
ableiten : 


NH-C NHv  ,NH— CO 


C^ 


)C0 


.^^  C0(  C-NHv 

^NH~Ö NH/  \NH-C— NH/ 

E.  FiscHEB  hat  ferner  nachgewiesen,  dass  aus  der  Harnsäure  je  nach 


*  Ann.  26,  241  (1838). 

-  Ann.  127,  1,  199  (1863V,  130,  129  (1864). 

3  Ann.  176,  236  (1875).  *  Ber.  17,  328,  1776  (1884). 


1086  Xanthin. 


den  Bedingungen  durch  directe  Methylirung  zwei  isomere  Monomethyl- 
derivate  entstehen,  von  denen  das  eine  bei  der  Oxydation  Methylalloxan 
nnd  Harnstoff,  das  andere  AUoxan  und  Methylhamstoff  liefert.  Mithin 
können  die  Imidgruppen  der  Harnsäure  nicht  alle  gleichwertig  sein; 
die  erste  Formel  wird  dadurch  ausgeschlossen;  es  bleibt  die  zweite  For- 
mel als  Constitutionsausdruck  der  Harnsäure  übrig;  mit  ihrer  Hülfe 
werden  alle  Umwandlungen  der  Harnsäure  leicht  verständlich. 

lieber  die  durch  Einwirkung  von  Chlorphosphor  auf  Methylhamsäure  ent- 
stehenden „Purinverbindungen",  welche  sich  von  dem  „Purinkeni"; 

/N-CH 
Ch(         C N. 

ableiten  lassen,  vgl.  £.  Fischbb's  Arbeitend 

XanthinkSrper.  Der  Harnsäure  (Diureld  der  Trioxyakrylsäui*e) 
sehr  ähnlich  constituirt  ist  das  Xanthin,  das  als  Diureld  der  Dioxy- 
akrylsäure  [CH(OH):  C(0H)-C02H]  aufzufassen  ist: 

,NH— CH 

C-N] 


NHv 

>C0; 

an  das  Xanthin  schliessen  sich  als  Methylderivate  die  natürlichen  Stoffe 
Theobromin  und  Gaffeln  an,  die  künstlich  aus  dem  Xanthin  durch  Ein- 
führung von  Methylgruppen  gewonnen  werden  können: 

,N(CH3>-CH  yN(CH,)~  CH 

C-N(CH,k  Co/  C-N(CH,k 

I             >co              \             :  >co 

^NH c  -^=:^^  N/  \n(Ch,)-c y-^ 

Dimethylxanthin:  Theobromin  Trimethyfacanthin:  Caffe'in. 

Die  hier  gegebenen  Structurformeln  sind  das  Eb*gebniss  einer  eingehenden 
Untersuchung  E.  Fischesi's  über  die  Umwandlungen  des  Caffelns;  be- 
züglich der  Einzelheiten  dieser  Untersuchung  muss  auf  die  Originalarbeit  ^ 
verwiesen  werden;  aus  der  Structurformel  des  Caffelns  folgt  rückwärts 
die  Structur  seines  Stammkörpers  —  des  Xanthins. 

Xanthin^  C^H^N^Og  findet  sich  in  allen  Geweben  unseres  Körpers, 
in  kleiner  Menge  neben  anderen  Xanthinkörpern  im  Harn,  entsteht  bei 


»  Ber.  17,  328,  1776  (1884). 

*  Ann.  216,  253  (1882). 

5  LiEBio  IL  WöHLEB,  Ann.  26,  340  (1838).  —  Steeckeb,  Ann.  108,  141  (185.s): 
118,  166  (1861).  —  ScHKRER,  Ann.  112,  257  (1859).  —  Almän,  Jb.  1862,  534.  —  DCbk, 
Ann.  134,  45  (1864).  —  Salomon,  Jb.  1881,  1012.  —  Kossel,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem. 
4,  290  (1880);  6,  422  (1882);  7,  20  (1882).  —  E.  Fischer,  Ann.  215,  309,  319  (1882). 
—  E.  Schmidt,  Ann.  217,  308  (1883).  —  Gautieb,  Bull.  42,  141  (1884).  —  Baoinsky, 
Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  8,  395  (1884).  —  E.  Schulze  u.  Bosshabd,  Ztschr.  f.  physiol. 
Chem.  9,  437  (1885).  —  v.  BbCcke,  Monatsh.  7,  617  (1886). 


Theobromin,     Theophyllin,  1087 


r- 
-     I 


der  Spaltung  der  Nuclelne  (vgl.  Bd.  II)  —  Substanzen,  welche  einen  wesent- 
lichen Bestandtheil  der  Zellkerne  ausmachen  —  durch  Säuren,  tritt  in 
seltenen  Fällen  in  Form  von  Harnsteinen  auf  und  findet  sich  auch  in 
Pflanzentheilen  (z.  B.  im  Thee,  in  Malzkeimlingen).  Man  benutzt  zur 
Darstellung  zweckmässig  seine  Bildung  aus  Guanin  durch  Einwirkung 
von  salpetriger  Säure.  Synthetisch  entsteht  es  nach  Gautieb  neben 
Methylxanthin  beim  Erhitzen  von  Blausäure  mit  Wasser  und  Essigsäure 
in  geschlossenen  Röhren  —  eine  höchst  auffallende  und  theoretisch  kaum 
verständliche  Beaction.  Es  stellt  ein  farbloses  Pulver  dar,  ist  in  Wasser 
sehr  schwer  löslich,  löst  sich  leicht  in  Kalilauge  und  wird  durch  Säuren 
aus  der  alkalischen  Lösung  gefällt,  besitzt  nur  sehr  schwach  basische 
Eigenschaften.  Sein  Bleisalz  liefert  durch  Umsetzung  mit  Jodmethyl 
Theobromin.  Durch  Oxydation  mit  Salzsäure  und  Kaliumchlorat  liefert 
Xanthin  neben  Harnstoff  Alloxan. 
I  Theobromin^   CyHgN^Oj   (Dimethylxanthin)  ist   in   den  Cacao- 

bohnen  enthalten  imd  wird  zweckmässig  aus  der  käuflichen  entölten  Cacao- 
masse  dargestellt;  die  gebräuchlichen  Cacaoarten  enthalten  1 — 2^/^  Theo- 
bromin; die  künstliche  Bildung  des  Theobromins  aus  Xanthin  ist  eben  bei 
der  Besprechung  des  Xanthins  erwähnt.  Theobromin  stellt  ein  weisses, 
krystallinisches  Pulver  dar,  sublimirt  unzersetzt  bei  etwa  290®,  ohne  vor- 
her zu  schmelzen,  löst  sich  bei  17®  in  1600  Th.,  bei  100®  in  148-5  Th. 
Wasser.  Es  verbindet  sich  mit  stärkeren  Säuren  zu  Salzen,  welche  meist 
gut  krystallisiren,  sauer  reagiren  und  von  Wasser  theil weise  oder  voll- 
ständig zersetzt  werden.  Andererseits  liefert  es  auch  mit  Basen  salz- 
artige Verbindungen;  das  Natriumsalz  bildet,  mit  salicylsaurem  Natrium 
gemischt  (bezw.  verbunden),  das  neuerdings  viel  gebrauchte  Arzneimittel 
„Diuretin"«;  das  Silbersalz  C^H^N^OjAg  +  lYaH^O  liefert  durch  Um- 
setzung mit  Jodmethyl  das  Caffeln.  Theobromin  wird  durch  Salzsäure 
und  Kaliumchlorat  zu  Monomethylalloxan  und  Monomethylhamstoff  oxy- 
dirt,  woraus  sich  ergiebt,  dass  seine  beiden  Methylgruppen  auf  die  beiden 
Harnstoffreste  vertheilt  sind  (vgl.  S.  1086  die  Structurformel). 

Theophyllin'  C7HgN40s  —  eine  dem  TheobromiD  isomere  Base,  welche  in 
geringer  Menge  im  Theeextract  enthalten  ist,  mit  1  Mol.  Krystallwasser  krystallisirt, 
hei  110°  wasserfrei  wird,  hei  264^  schmilzt  und  in  Wasser  viel  leichter  löslich  als 
Theohromin  ist,  —  ist  sicher  gleichfalls  als  Dimethylxanthin  aufzufassen,  da  durch 
Einwirkung  von  Jodmethyl  auf  sein  Silbersalz  Gaffeln  (Trimethylzanthin)    erhalten 


»  WosKBESENSKY,  Ann.  41,  125  (1842).  --  Glasson,  Ann.  61,  340  (1847).  — 
RocHLEDEB,  Ann.  79,  124  (1851).  —  Keller,  Ann.  92,  73  (1854).  —  Mitscherlich, 
Jb.  1869,  593.  —  Trojanowsky,  Jb.  1877,  1206.  —  Treümann,  Jb.  1878,  872.  — 
Dragekdorff,  Ber.  11,  1689  (1878).  —  Maly  u.  Hintereooer,  Jb.  1880,  909.  — 
K  Fischer,  Ann.  215,  803,  311,  819  (1882).  —  Maly  u.  Andreasch,  Monatsh.  3,  107 
(1882).  —  E.  Schmidt,  Ann.  217,  281  (1883).  —  E.  Schmidt  u.  Pressler,  Ann.  217, 
287  (1883). 

2  Vgl.  Pharmaceut  Centralhalle  30,  736  (1889);  31,  311  (1890). 

^  KossEL,  Ber.  21,  2164  (1888).    Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  13,  298  (1889). 


1 


1088  Paraxantkin,     Caffein, 


wird.    £&   liefert  bei   der   Oxydation   mit  Salzsäure   und   Kalium'chlorat   Dimethyl- 
alloxan,  woraus  sich  die  Structurformel :  ).]; 

,N(CHs)-CH 

Co/  C-NHv 

\  I  >C0  I  Tüf 

ergiebt.  ( ■ 

Es   ist  leicht  ersichtlich,   dass  ans  der  Structurformel  des  Xanthins   sich   die    | '  ^> 
Existenzmöglichkeit  noch  eines  dritten  Dirne thylxanthins:  \"A 

.NH CH  H  A 

C0<  C— N(CH8)v  ' 

\N(CH)8  -  C N  "^ 

ergiebt;   vielleicht  liegt  dasselbe  in  dem  Paraxanthin ^  O7H8N4OS  vor,  welches  in 
kleiner   Menge   im   Harn   vorkommt,    farblose   glasglänzende   Krystalle   bildet   und 
gegen  284^  schmilzt;   einstweilen  ist  indess  noch  nicht  der  Nachweis  erbracht,  dass  lir(j|^ 
das  Paraxanthin  ein  Derivat  des  Xanthins  ist 

Caffein»  oder  Theln  CgHi^N^Oa  (Methyltheobromin,  Trimethyl- 
xanthin)  findet  sich  in  fast  allen  Theilen  des  Kaffeebaumes,  ferner  im 
Thee,  in  den  Blättern  von  Hex  paraguayensis  (Paraguay -Thee),  in  den 
Kolanüssen  etc.  Die  Kaffeebohnen  enthalten  etwa  P/o  Caffein;  besonders 
reich  an  Caffein  ist  die  Guaranapaste  —  ein  brasilianisches  Heilmittel 
das  aus  den  Früchten  der  PauUinia  sorbiUs  bereitet  wird;  sie  enthält 
etwa  5^/q  Caffein;  kleine  Mengen  Caffein  sind  auch  im  Cacao  enthalten. 
Zur  Darstellung  benutzt  man  in  der  Regel  Theestaub  als  Aasgangs- 
material.   Dass  Caffein  künstlich  durch  Methylirung  von  Theobromin  und \*^ 


^  10: 

-an'' 


'^m 


:tÜcl 


Theophyllin  gewonnen  werden  kann,  ist  schon  S.  1087  erwähnt.  —  Caffein- 
krystalÜsirt  mit  1  Mol.  Wasser  in  seideglänzenden  Nadeln,  verliert  das' 
Krystallwaaser  theilweise  an  der  Luft,  vollständig  bei  100^,  schmilzt  bm 
234-5*^;  es  ist  in  Wasser  viel  leichter  löslich  als  Theobromin.     100  ThJ, 


fPKr 
1   frt 


»  Salomon,  Ber.  16, 195(1883);  18,  3406  (1885).  Jahresber.  f.Thierchem.  1887,49. 

—  Thudichum,  vgl.  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  11,  415  (1887).    — -    Kossel,   Ztschr.  i 
physiol.  Chem.  13,  302  (1889). 

'  Pklletieb,  Gabot,  Berz.  Jb.  7,  269  (1828).  —  Pfafp,  Berz.  Jb.  12,  261  (1830 

—  JoBST,  Ann.  25,  63  (1838).    —   Muldeb,  Ann.   28,  319  (1838).  —  Bkrthemot 
Deohastelüb,  Ann.  36,  90  (1840).  —  Stenhouse,  Ann.  45,  366  (1843);  46,  227  (18-^3 
89,  244  (1854);  102,  124  (1857).  —  Rochledeb,  Ann.  71,  1  (1849).  —  Strbgkbr, 
118,    170  (1861).   ~    Allpield,  Jb.  1866,  632.   —    Geosbchopp,  Jb.  1866^  470.  -|-?it 
Strauch,  Jb.  1867,  808.  —  Aubebt,*  Jb.  1872,  805.  —  Cazekeüve  u.  CArLLOL,  Bi 
27,  199  (1877).  —  Cokmaille,  Ber.  8,   1590  (1875).    —    Malt  u.  Hnn'EBBooEB,  j^  1  r^ 
1880,  908.    Monatsh.  3,  85  (1882J.  —  E.  Pischeb,  Ann.  216,  258  (1882).  —  H 
n.  Schlaodenhauffen,  Compt.  rend.  94,  802  (1882).  —  £.  Schmidt,  Ann.  217,  2 
306  (1883).    Arch.  f.  Pharm.  231,  1  (1892).  —  Malt  u.  Akdbeasch,  Monatsh.  3,  '^i^ 
(1882);  4,  369  (1883).  —  E.  Fmohbb  u.  Reese,  Ann.  221,  336  (1883).  —   Osterme 
Ber.  18,  2299  (1885).    —   E.  Schmidt  u.  Schilling,   Ann.  228,  141  (1885).   —  W 
necke,  Ber.  21c,  405  (1888).  —  Kossel,  Ztachr.  f.  physiol.  Chem.  13,  305  (1889). 
Leipen,  Monatsh.  10,  184  (1889).  —  Magnanini,  Ber.  25  o,  45  (1892).  —  DuNerrAK 
Shepheabd,  Journ.  Soc.  63,  195  (1893).  iV^*"^ 

I 
I 


Gturnin.  1089 


Wasser  lösen  bei  16^  1-35  Th.,  bei  65<*  45-5  Th.  Caflfeln;  es  bildet  mit 
Säuren  wohl  charakterisirte  Salze,  wie  CgHjQN^Og.HNOg,  die  durch  viel 
Wasser  zerlegt  werden.  Gaffeln  findet  als  Arzneimittel  Verwendung,  wirkt 
aber  in  grösseren  Dosen  giftig.  —  Die  von  E.  Fischer  abgeleitete  Structur- 
formel  des  Caffelns  (vgl.  S.  1086)  erklärt  seine  Umwandlungen  in  befrie- 
digender Weise.  Da  von  den  vier  Stickstoffatomen  drei  methylirt  sind, 
ist  es  leicht  verständlich,  dass  bei  der  Spaltung  des  Caffelns  —  z.  B. 
durch  Salzsäure  —  der  Stickstoff  theils  in  Form  von  Methylamin,  theils 
als  Ammoniak  austritt.  Bei  vorsichtiger  Oxydation  mit  Salzsäure  und 
Ealiumchlorat  zerfallt  Gaffeln  in  Dimethylalloxan  und  Monomethylham- 
stoff.  Unter  anderen  Oxydationsbedingungen  liefert  es  Gholesterophan 
'  (8.  1075)  oder  Amalinsäure  (S.  1082).  —  Uebergänge,  welche  der  Bildung 
von  Parabansäure  bezw.  AUoxantin  aus  Harnsäure  analog  sind.  Von  den 
zehn  Wasserstoffatomen  des  Gaffeinmolecüls  nimmt  eines  —  dasjenige, 
welches  sich  in  der  die  beiden  Hamstofireste  verbindenden  Mittelgruppe 
befindet  —  eine  Sonderstellung  ein;  dasselbe  kann  leicht  durch  Ghlor 
oder  Brom  zersetzt  werden;  in  dem  so  entstehenden  Bromcaffeln  kann 
das  Bromatom  gegen  Hydroxyl  ausgewechselt  werden;  so  gelangt  man 
zum  Hydroxycaffeln : 

,X(CH8)-0-0H 

C0(  C-N(CHb)^ 

\N(CH,)-C         X"^ 

.in  dem  nun  das  Vorhandensein  einer  doppelten  Kohlenstoff  bindung  sich 
deutlich   zu  erkennen  giebt,   da  es  mit  der  grössten  Leichtigkeit  Brom 
i  addirt  und  letzteres  bei  der  Behandlung  mit  Alkohol  gegen  zwei  Aethoxyl- 
c  gruppen  austauscht. 

Cruanln^  G^H^NgO  ist  ein  Xanthin,  welches  statt  eines  Harnstoff- 
:  restes  einen  Guanidinrest  enthält,  und  entspricht  daher  einer  von  den 

beiden  Structurformeln : 

.«• 

^J  /NH-CH  ^XH-CH 


C:NH  C-XH.  oder     CO  C-NH. 

f  ^NH-0        X/  \XH-C       X/ 

xt  Ss  ergiebt  sich  dies  aus  dem  Umstand,    dass  Guanin  durch  salpetrige 


^  *  ÜNQEB,  Ann.  69,  58  (1846).  —  Gomp  u.  Will,  Ann.  69,  117  (1849).  —  Xeu- 
**  AUER  u.  Kebnea,  Ann.  101,  318  (1857).  —  Stkecker,  Ann.  108,  141  (lb58);  118,  151 
",1860).  —  ScHBREE,  Ann.  112,  257  (1859).  —  Barkeswill,  Anu.  122,  128  (1862).  — 
^"'iROHow,  Jb.  1866,  721.  —  Ewald  u.  Krukenbekg,  Jahrei^b.  f.  Thierch.  1882,  336.  — 
^  hiECHSEL,  J.  pr.  [2]  24,  44  (1881).  —  Koösel,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  6,  431  (1882); 
^'  1 15  (1882);  8,  404  (1884).  —  E.  Fischer,  Ann.  215,  319  (1882).  —  E.  Fischer  u.  Reese, 
Ä-  Jm.  221,  341  (1883).  —  Baginsky,  Ztschr.  f.  physiol.  Chera.  8,  396  (1884J.  —  E.  Schulze 
1^  .  BossHARD,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  9,  441  (1885).  —  v.  Brücke,  Monatsh.  7,  617  (1886). 
^1  Wulff,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  17,  468  (1892). 

V.  Mbyxr  u.  Jaoobsok,  org.  Chem.   I.  69 


1090  Hypoxanthin  und  Adenin, 


:»' 


Säure  in  Xanthin  übergeführt  wird.  Guanin  tritt  in  den  thierischen 
Geweben  sehr  häufig  auf,  entsteht  bei  der  Spaltung  der  Nuclelne,  findet 
sich  im  Guano,  aus  welchem  es  zweckmässig  gewonnen  werden  kann, 
auch  in  der  Haut  vieler  Amphibien  und  Reptilien,  sowie  der  Fische; 
namentlich  die  Fischschuppen  enthalten  krystallisirten  Guaninkalk, 
welcher  ihren  eigenthümlichen  Glanz  bedingt  und  als  „Perlenessenz'' 
zum  Auskleiden  der  Glasperlen  benutzt  wird.  Guanin  kann  aus  ammo- 
niakalischer  Lösung  krystallisirt  erhalten  werden,  ist  in  Wasser  unlös- 
lich, verbindet  sich  mit  Basen  und  mit  Säuren,  liefert  bei  der  Oxydation 
mit  Salzsäure  und  Ealiumchlorat  Guanidin  und  Parabansäure  und  wird 
durch  Erhitzen  mit  Salzsäure  in  Ammoniak,  Kohlensäure,  Ameisensäure 
und  GlykokoU  gespalten. 

Xanthin  und  Guanin  werden  sehr  häufig  zusammen  bei  der  Unter- 
suchung von  natürlichen  Produkten  gefunden;  als^hre  Begleiter  treten 
ferner  oft  zwei  Basen  von  noch  unermittelter  Structur  —  Hypoxan- 
thin und  Adenin  —  auf,  die  zu  einander  in  analoger  Beziehung  wie 
Xanthin  und  Guanin  stehen;  die  eine  derselben  —  Adenin  —  geht 
nämlich  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  in  die  andere  — 
Hypoxanthin  —  über;  Adenin  enthält  mithin  höchstwahrscheinlich  an 
einer  Stelle  des  Molecüls,  die  im  Hypoxanthin  durch  einen  Hamstofirest 
eingenommen  ist,  einen  Guanidinrest. 

Hypoxanthin^   C^H^N^O   (Sarkin)    entsteht    durch   Spaltung  der 
Nuclelne  neben  Xanthin,  Guanin,  Adenin,  kann  aus  Fleischextract  oder 
aus  Presshefe  gewonnen  werden,  bildet  mikroskopische  Krystalle,  ist  in 
kochendem  Wasser  massig  löslich  und  verbindet  sich  sowohl  mit  Säuren       . 
wie  mit  Basen.  ! 

Adenin  C^H^Ng  ist  schon  S.  1008—1009  als  Polymeres   der  Blau-       i 
säure  beschrieben  worden. 


^  SoHERER,  Ann.  73,  328  (1850);  112,  257  (1859).  —  Strecker,  Ann.  108,  129 
(1858).  —  ScHÜTZENBEROER,  Compt  Tcnd.,  78,  495,  698  (1874).  —  Weidel,  Ann.  168, 
362  (1871).  —  Salomon,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  2,  65  (1878);  11,  410  (1887).  Jb. 
1881,  1012.  —  Chittenden,  Jahresb.  f.  Thierchem.  1879,  61.  —  Kossbi,,  Ztschr.  £ 
physiol.  Chem.  4,  290  (1880);  5,  152,  267  (1881);  6,  422  (1882);  7,  20  (1882);  16, 
3  (1892).  —  Baginsky,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  8,  395  (1884).  —  E.  ScHni.zB  u.  Boßs- 
HARD,  Ztschr.  f.  physiol.  Chem.  9,  437  (1885).  —  v.  Mach,  Jahresb.  f.  Thierchem. 
1887,  72.  —  Brühns,  Ber.  23,  225  (1890). 


I 

1 


Anhang. 

Die  neueren  Yorsehläge  zur  Reform  der  chemlsehen 

Nomenelatur. 

Zur  Zeit  der  letzten  Pariser  Weltausstellung  (1889)  wurde  durch 
einen  internationalen  Congress  für  Chemie  eine  aus  Forschern  aller  Län- 
der bestehende  Conimission  mit  der  Aufgabe  betraut,  Vorschläge  für 
eine  Eeform  der  chemischen  Nomenelatur  auszuarbeiten.  Die  Besultate 
dieser  vorbereitenden  Arbeit,  welche  zwei  Jahre  in  Anspruch  nahm,  sind 
jüngst  —  im  April  1892  —  einem  nach  Genf  einberufenen  internationalen 
Congress  zur  Prüfung  vorgelegt;  dieser  Congress  sollte  gewissermassen 
ein  Gesetzbuch  für  die  Benennung  organischer  Verbindungen  schaffen 
und  hat  seine  Aufgabe  theilweise  gelöst.  In  Bezug  auf  eine  Reihe 
wichtiger  Fragen  sind  definitive  Beschlüsse  gefasst,  während  freilich 
viele  Punkte  noch  ihrer  Erledigung  durch  spätere,  dem  gleichen  Zweck 
gewidmete  Versammlungen  harren. 

In  dem  vorliegenden  ersten  Bande  unseres  Lehrbuchs  sind  die 
Namen  der  organischen  Verbindungen  noch  nach  den  Principien  ge- 
bildet, wie  sie  sich  im  Laufe  der  Entwickelung  unserer  Wissenschaft 
durch  die  Vorschläge,  welche  von  den  einzelnen  Autoren  in  der  fort- 
laufenden Litteratur  gemacht  wurden,  nach  und  nach  aneinandergereiht 
haben.  Dem  Leser  werden  vielleicht  kaum  Nachtheile  dieser  allmählich 
ausgebildeten  Nomenelatur  aufgefallen  sein;  es  gelingt  im  Allgemeinen 
—  wenigstens  in  der  Fettreihe  — ,  auf  Grund  jener  Prinzipien  Namen 
zu  bilden,  welche  die  Constitution  der  zu  bezeichnenden  Verbindung 
deutlich  und  unzweideutig  ausdrücken. 

Bei  Anwendung  jener  Principien  ist  es  indessen  in  der  Regel  mög- 
lich, flir  eine  und  dieselbe  Verbindung  verschiedene  Namen  zu  bilden; 
es  kann  z.  B.  der  Körper  von  der  Constitution: 

CH3.COCHj.CO.CHs 

als  „Acetylaceton*^  oder  als  „Diacetylmethan**  oder  auch  als  „Acetyl- 
acetonyl"  bezeichnet  werden.  Diese  Vielfältigkeit  der  möglichen  Namen 
hat  für  die  Schilderung  der  organischen  Verbindungen  grosse  Vortheile ; 
je  nach  den  Beziehungen,  welche  man  gerade  hervorheben  will,  kann 
man  den  einen  oder  anderen  Namen  als  besonders  geeignet  zur  Er- 
läuterung  auswählen.     Aber   andererseits  wird    dadurch   das   Auffinden 

69* 


1092  Der  Genfer  NoTnendaturcongress. 


der  einzelnen  Verbindungen  in  den  alphabetischen  Kegistem  ausser- 
ordentlich erschwert.  Es  ist  nicht  möglich,  dass  jede  Verbindung  in 
den  Registern  unter  allen  Namen  aufgeführt  wird,  welche  ihr  beigelegt 
werden  können;  vielmehr  wird  in  der  Regel  nur  ein  Name  gewählt 
sein,  welcher  dem  Autor  gerade  als  nahe  liegend  erscheint;  in  dieser 
Beziehung  aber  können  die  Ansichten  sehr  verschieden  sein,  und  Der- 
jenige, der  eine  Verbindung  von  bestimmter  Constitution  sucht,  wird 
vielleicht  gerade  auf  den  ihr  vom  Autor  beigelegten  Namen  nicht  ver- 
fallen. Der  Nutzen  eines  alphabetischen  Registers  wird  dadurch  zum 
Theil  illusorisch.  Man  muss  mit  dem  System  eines  Lehr-  oder  Hand- 
buchs sehr  genau  vertraut  sein,  um  rasch  das  Gesuchte  darin  zu  finden; 
das  Sammeln  der  Litteratur  aus  den  Zeitschriften  aber  wird  durch  diesen 
Uebelstand  in  vielen  Fällen  schlechterdings  eine  Unmöglichkeit 

In  dieser  Beziehung  also  liegt  ein  unverkennbares  Bedürfniss   zur 
Reform  der  chemischen  Nomenclatur  vor. 

Der  Genfer  Congress  hat  seinen  Reformbeschl&ssen  diesen  Gesichts- 
punkt zu  Grunde  gelegt,  indem  er  die  Resolution  fasste: 

„Neben  den  üblichen  Bezeichnungs weisen  soll  für  jede  organische 
Verbindung  ein  officieller  Name  festgesetzt  werden,  welcher  es 
erlaubt,   sie   unter   einer   einzigen   Rubrik   in  den  Registern  und 
Wörterbüchern  aufzufinden." 
Von  den  speciellen  Beschlüssen  sollen  im  Folgenden  die  wichtigeren, 
soweit  sie  die  Verbindungen  der  Fettreihe  betreffen,  mitgetheilt  werden. 
In    dem  vorliegende  Bande   konnten   sie  nur  gelegentlich  (vgl.   z.  B. 
Kapitel  32)  angewendet  werden;  von  ihrer  systematischen  Anwendung 
musste  einstweilen  leider  abgesehen  werden.    Für  den  Theil  (S.  1  —  576), 
der   bereits  vor   dem  Genfer  Congress  erschien,   ist  dies  selbstverständ- 
lich.    Aber  auch  in  dem  Theile  (S.  577  bis  Schluss),  bei  dessen  Druck 
die  Genfer  Beschlüsse  schon  vorlagen,  schien  ihre  Anwendung  nicht  an- 
gebracht; denn  diese  Beschlüsse  sind  einstweilen  noch  unvollständig;  es 
ist  bisher  nur  die  Nomenclatur  der  Kohlenwasserstoffe  und  ihrer  Derivate 
von  einfachem  Verbindungstypus   (Alkohole,   Säuren,  Aldehyde  etc.)  ge- 
regelt.    Die  Frage,  wie  die  officiellen  Namen  für    die   zahlreichen  Ver- 
bindungen von  gemischtem  Typus  (Oxysäuren,  Aldehydsäuren,  Ketoalde- 
hyde  etc.)  zu  bilden  sind,  ist  vertagt. 

I.    Kohlenwasserstoffe. 

Für  die  O^renzkohlenwasserstoflTe  wird  die  Endung  „an**  bei- 
behalten; ebenso  werden  für  die  ersten  vier  normal  constituirten  Glie- 
der jdie  gebräuchlichen  Namen  Methan,  Aethan,  Propan,  Butan,  für  die 
höheren  normal  constituirten  Glieder  die  aus  den  griechischen  Zahl- 
worten gebildeten  Namen  wie  Pentan,  Hexan  etc.  beibehalten. 

Aber  abweichend  von  dem  zur  Zeit  herrschenden  Gebrauch  sollen 
diese  Namen  lediglich  für  die  normalen  Glieder  reservirt  bleiben; 


NamenckUur  cler  Grenzkohlenwasserstoffe.  1093 


die  Kohlenwasserstoffe  mit  verzweigten  Ketten  werden  fortan  als  Sub- 
stitutionsprodukte der  normal  constituirten  Kohlenwasserstoffe  betrachtet; 
man  bezieht  ihren  Namen  auf  die  längste  normale  Kette,  die  man  in 
ihrer  Formel  auffinden  kann,  indem  man  die  Bezeichnung  der  Seiten- 
ketten zufugt.     Z.  B.: 

CH 

^NcHCHj  Methylpropan, 

CllgV  yCHg 

yO^         Dimethylpropan. 

Für  den  Fall,  dass  die  Seitenketten  selbst  weiter  verzweigt  sind, 
hat  der  Congress  die  folgende  Eegel  aufgestellt: 

„Wenn  ein  Kohlenwasserstofiradical  in  eine  Seitenkette  eingeführt 
wird,  so  wendet  man  anstatt  der  Präfixe  »Methyl-«,  »Aethyl-a  etc., 
welche  für  die  Fälle  des  directen  Eintritts  in  die  Hauptkette 
reservirt  bleiben,  die  Präfixe  »Metho-«,  »Aetho-«  etc.  an."    Z.  B.: 

CHg  •  Oxis '  ^Hjv 

Cjj  )CH-CH,CH,-CH,   Methoäthylheptan. 

CH/ 

Von  grösster  Wichtigkeit  ist  nun  die  Bezeichnung  der  Stellen,  an 
welchen  die  Substitution  erfolgt.  Der  Congress  hat  diese  Frage  durch 
eine  Reihe  sehr  glücklicher  Beschlüsse  in  einfacher  Weise  gelöst;  er  hat 
dabei  die  heute  für  aliphatische  Verbindungen  vorherrschende  Unter- 
scheidung der  Stellungsisomeren  durch  griechische  Buchstaben  verworfen 
und  die  für  cyclische  Verbindungen  schon  länger  gebräuchliche  Numeri- 
rung  der  einzelnen  Kohlenstoffatome  durch  Zahlen  allgemein  adoptirt. 
Die  Beschlüsse  lauten  wie  folgt: 

„Die  Stellung  der  Seitenketten  wird  durch  Ziffern  bestimmt,  die 
angeben,  an  welchem  Kohlenstoffatom  der  Hauptkette  die  Seiten- 
ketten haften.  Die  Numerirung  beginnt  an  dem  Ende  der  Haupt- 
kette, das  einer  Seitenkette  am  nächsten  steht.  Sind  die  beiden 
äussersten  Seitenketten  symmetrisch  gestellt,  so  bestimmt  die  ein- 
fachere unter  ihnen  die  Wahl." 

0)        (2) 

CH,-CHj\(3)     (4)       (ö)       (6) 

NCH.CHj.CHgCH,   Methyl-3.hexan, 

(1)        <2)  (5)        (6) 

CH,.CH,v  (3)    (4)     JCHj-CHg 

>CH.CH<  Methyl-3-äthyl-4.hexan. 

CH/  \CH,.CHs 

„Die  Kohlenstoffatome  einer  Seitenkette  werden  durch  die  gleiche 
Zahl  bezeichnet  wie  das  Kohlenstoffatom  der  Hauptkette,  an  wel- 
ches die  Seitenkette  angefügt  ist.    Sie  erhalten  einen  Index,  welcher 


1094  NoyiiencUUur  der  ungesättigten  Kohlemoasset'stoffe, 


ihre  Stellung  innerhalb  der  Seitenkette  bestimmt,  wobei  man  von 
der  Verzweigungsstelle  ausgeht." 

(i) 

CHsv    (2)       (3)       (4)      (5)       (6)       (7) 
(2»)  (4')CHa 


(4«)CH« 


,,Sind  zwei  Seitenketten  an  das  gleiche  Kohlenstoffatom  gebunden, 
so   wird   die   einfachere   zuerst   ausgesprochen ,   und   ihre   Indices 
werden  accentuirt." 
Diese  Numerirung  der  Kohlenwasserstoffe  wird  nun  für  alle  Substitutions- 
produkte beibehalten.     Z.  B.: 

CH^Cl-CHaCl   1.2.Dichloräthan, 

CH3  •  CHCI3    1 . 1  -Dichloräthan, 

CH 

'NcCl-CK-CHg    2-Methyl-2-Chlorbutan. 
CH3/ 

Für  die  ungesättigten  Kohlenwasserstoffe  mit  offenen  Ketten  hat 
der  Congress  die  Vorschläge  v.  Baeyer's,  welche  bereits  S.  436  und  458 
mitgetheilt  wurden,  bezüglich  der  Endungen  „en"  nnd  „in"  („dien", 
„enin",  „diin"  etc.)  angenommen.  Sie  werden  numenrt,  wie  die  ent- 
sprechenden gesättigten  Kohlenwasserstoffe.  Wo  infolge  des  Fehlens 
einer  unsymmetrisch  gestellten  Seitenkette  der  Anfangspunkt  der  Nume- 
rirung zweifelhaft  ist,  erhält  das  endständige  Kohlenstoffatom,  welches 
der  Bindung  von  höchster  Ordnung  am  nächsten  steht,  die  Ziffer  1: 


(1) 

^Hgv     (2)        (3)         (4)         (6) 

>CH2  •  CH3  •  CH :  CH.  Methyl-2.penten, 
CR 


'3 


(1)        (2)  (3)        (4)        (5) 

CH:GCHa.CH:CHa    Pentenin. 

Wo  es  nöthig  ist,  wird  der  Ort  der  mehrfachen  Bindung  durch  die 
Nummer  des  ersten  an  der  mehrfachen  Bindung  betheiligten  Kohlenstoff- 
atoms bezeichnet: 

CHgiCHCHa-CHg   Buten  1, 

CHgCHiCH-CH,   Buten  2. 

Die  in  diesen  Abschnitt  fallenden  Beschlüsse  des*  Congresses  sind 
so  einfach  anzuwenden,  so  präcis  und  unzweideutig,  dass  sie  gewiss  all- 
seitig als  ein  bedeutender  Fortschritt  in  der  Regelung  unserer  Nomen- 
clatur  begrüsst  werden.  Sie  erfüllen  ihren  eigentlichen  Zweck  —  die 
Wahl  einer  bestimmten  Bezeichnung  der  einzelnen  Verbindungen  für 
Registerzwecke  —  durchaus;  aber  sie  werden  voraussichtlich  eine  weit 


Alkohole,  Mercaptane,  Aldehyde^  Ketone^  Carbonsäuren.  1095 

ausgebreitetere  Anwendung  finden  und  auch  für  die  gesprochene  Nomen- 
clatur  allmählich  die  älteren  Benennungsprincipien  verdrängen. 

IL    Einfache  Verbindungstypen. 

Die  Alkohole  erhalten  den  Namen  ihres  Stammkohlenwasserstoffs, 
gefolgt  von  der  Endung  „-ol^*;  bei  mehrwerthigen  Alkoholen  wird  zwi- 
schen den  Namen  des  Stammkohlenwasserstoffs  und  die  Endung  -ol  ein 
Zahlwort  -di,  tri,  tetra  etc.  eingeschaltet  (vgl.  S.  602): 

CHg-OH   Methanol, 
CHjj(0H)-CH2(0H)   Aethandiol  1.2, 
CHjjiCHCHjjCOH)  Propenol  3. 

Die  Mercaptane  werden  durch  die  Endung  „-thioP^  bezeichnet,  z.  B. : 

CH3-CH2(SH)   Aethan-thiol. 

Bezüglich  der  Aether,  Sulfide,  Bisulflde  und  Sulfone  sind  bisher 
nur  provisorische  Beschlüsse  gefasst. 

Die  Aldehyde  werden  durch  die  Endung  „-al"  (Thioaldehyde 
durch  die  Endung  „-thial**)  charakterisirt,  welche  dem  Namen  ihres 
Stammkohlenwasserstoffs  angehängt  wird: 

CHaO   Methanal, 
CHj-CHS   Aethan-thial. 

Die  Nomenclatur  der  Eetone  (Endung  ,,-on")  ist  schon  S.  847 — 848 
auseinandergesetzt  und  auf  den  folgenden  Seiten  durchgeführt. 

Die  Beschlüsse  über  die  Nomenclatur  der  Carbonsäuren  geben 
Gelegenheit  zu  mancherlei  Bedenken.  Während  bei  den  Carbonsäuren 
cyclischer  Stammsubstanzen  in  Bezug  auf  die  Namengebung  diejenige 
Verbindung  als  Stammkörper  betrachtet  wird,  welche  an  Stelle  der 
Carboxylgruppe  ein  Wasserstoffatom  enthält  (z.  B.  CgH^N-COjH  Pyridin- 
carbonsäure  von  C^H^N  Pyridin),  hat  der  Congress  für  die  aliphatischen 
Säuren  in  anderem  Sinne  entschieden:  ihre  Namen  werden  abgeleitet 
von  dem  Namen  des  Kohlenwasserstoffs,  der  gleich  viel  Kohlenstoffatome, 
also  an  Stelle  der  Carboxylgruppe  die  Methylgruppe  enthält.  Es  ist 
femer  im  Gegensatz  zu  den  übrigen  Beschlüssen  hier  eine  Endung 
(„olque")  gewählt,  welche  nur  im  Französischen  verwendbar  ist: 

CHj-COjH   Acide  6thanoIque. 

Es  liegt  keine  officielle  Äeusserung  darüber  vor,  wie  man  in  anderen 
Sprachen  verfahren  soll.  Im  Deutschen  wird  man  zweckmässig  —  dem 
Vorgang  BEtLSTEiN's^  folgend  —  einfach  die  Endung  „Säure"  an  den 
Namen  des  correspondirenden  Kohlenwasserstoffs  hängen^: 


^  Handbuch  d.  org.  Chem.    3.  Aufl.,  S.  388  (Hamburg  u.  Leipzig,  1892). 
'  Bezüglich  der  Numerirung  des  RohlenstofiiBkeletts   in  Carbonsänren  ist  die 
folgende  Resolution  gefasst: 


1096  Nanienclatuj'  der  Lactone,   Oxime,  Amide  etc. 


H-COgH   Methansäure, 
COjHCHg-CH^-COgH   Butan-di-säure. 
Lactone  erhalten  die  Endung  „olid": 

CHj  •  CH  •  CHg  •  CHj 


Pentanolid  1.4. 
0 CO 

Die  gebräuchliche  Nomenclatur  der  Amine,  Imine,  Phosphine, 
Arsine  etc.  wird  beibehalten. 

Desgleichen  werden  die  üblichen  Klassennamen  „Oxlme**,  ^^Ainlde^^, 
9,Imlde<S  ^^Amldoxlme",  „Amldlne^S  j^Nitrile"  als  Endungen  auch 
in  der  officiellen  Nomenclatur  verwendet,  aber  nicht  wie  bisher  an  den 
Namen  des  entsprechenden  Aldehyds,  Eetons  oder  der  Säure,  sondern 
an  den  Namen  des  entsprechenden  Kohlenwasserstoffs  gehängt: 

CHg.CB^.CHj.CHON.OH)  Butanoxim  1, 

CH8-CH3C(:N.OH)CH3   Butanoxim  2, 

CHg.CO-NH,   Aethanamid, 

NHj.COCHa-CHa.CO-NHa    Butandiamid, 

CH^CO. 

I  NNH   Butanimid, 

CHj.CO/ 

.NH 
CHj  •  C<^  Aethanamidin, 

\NH, 

CHg-CN   Aethannitril.       " 

,3ei  den  einbasischen  Säuren,  deren  Kohlenstoffiskelett  einer  normalen  oder 

symmetrischen  Kette  entspricht,  trägt  der  Carboxylkohlenstoff  die  Nummer  1. 

In    allen    übrigen    Fällen    behält    man    die    Numerirung    des    entsprechend^! 

KohlenwasserstofEs  bei." 

Bei  Anwendung  dieses  Beschlusses  kommt  man  unter  Umständen  mit  dem  Princtp, 

den  Namen  des  StammkohlenwasserstofiiB  auf  die  längste  normale  Kette  zu  besieben, 

in  Widerspruch.    Die  Säure: 

CH3  •  GM)  *  CH  •  CH]  *  Cxi3 

I 

z.  B.  müsste  im  Sinne  dieses  Beschlusses  doch  wohl  den  Namen:' 

Aethyl-2-butansäure  1 
erhalten,  während  ihr  bei  Anwendung  jenes  aUgemeinen  Prindps  die  Bezeichnung 

Methyl-3-pentansäure  3^ 
zukäme.    Es  dürfte  zweckmässig  sein,   in  obiger  Resolution   zwischen   „entspricht*' 
und  „trägt^*  den  Relativsatz: 

„und  deren  Carhoxylgruppe  ein  Glied  der  Hauptkette  bildet'* 
einzuschalten. 


Nomenclatur  der  RadiccUe.  1097 


ni.   Badicale. 

Den  einwerthigen  Kohlenwasserstoffradicalen  giebt  der  Con- 
gress  entsprechend  dem  jetzigen  Gebrauch  allgemein  die  Endung  „yl"; 
diese  Endung  wird  bei  den  von  gesättigten  Kohlenwasserstoffen  abgelei- 
teten Radicalen  an  Stelle  der  Endung  ^^an'^  gesetzt;  bei  ungesättigten 
Eadicalen  wird  sie  dem  vollständigen  Namen  des  entsprechenden  Kohlen- 
wasserstoffs zugefügt: 

CHg.CHa—  Aethyl, 

CHa:CH—  Aethenyl, 

CHIC—  AethinyL 

Die  Eadicale,  welche  sich  von  Alkoholen  oder  Aldehyden 
ableiten  und  noch  alkoholische  bezw.  aldehydische  Function  zeigen, 
werden  benannt,  indem  man  dem  Namen  des  entsprechenden  Kohlen- 
wasserstoflfradicals  die  Endung  „-ol"  bezw.  „-al"  zufügt: 

— CH^CHjCOH)   Aethylol, 

— CHjj-CHO   Aethylal. 

Den  Badicalen,  welche  sich  von  Säuren  durch  Entfernung 
eines  an  Kohlenstoff  gebundenen  Wasserstoffatoms  ableiten, 
giebt  der  Congress  wieder  die  nicht  in's  Deutsche  übertragbare  Endung 
„olque": 

— CHj-COaH  Äthylolque. 

Die  eigentlichen  Säureradieale  (Acylreste,  vgl.  S.  304)  erhalten 
die  Endung  „oyl'S  ^^^  ^^  ^^^  Namen  des  entsprechenden  Kohlenwasser- 
stoffs gehängt  wird: 

CHj-CO—  Aethanoyl. 

Endlich  beschliesst  der  Congress: 

„Wenn  zwei  Badicale  an  das  gleiche  Atom  gebunden  sind,  wird 
das  complicirtere  zuerst  ausgesprochen"  (Pentylmethylamin). 
Dieser  Beschluss  .erscheint  auffallig,  da  gerade  umgekehrt  bei  der 
Nomenclatur  der  Kohlenwasserstoffe  (vgl.  S.  1093 — 1094)  die  einfachere 
Seitenkette  den  Anfangspunkt  der  Numerirung  bestimmt,  und  von  zwei 
Seitenketten,  die  an  ein  Kohlenstoffatom  gebunden  sind,  die  einfachere 
zuerst  ausgesprochen  werden  soll.  Es  wäre  wünschenswerth,  dass  diese 
einander  entgegenstehenden  Bestimmungen  bei  der  Bevision  der  Be- 
schlüsse nqch  in  Einklang  gebracht  würden. 


Register. 


Die  Seitenzahlen,   welche  durch  ein   Sternchen  *  hervorgehoben  sind,    geben  an,   wo  die 
einzelnen  Substanzen  in  Tabellen  angeführt  sind;  sie  sind  also  namentlich  dann  nachzu- 
schlagen, wenn  es  sich  um  die  Aufsuchung  der  physikalischen  Constanten  handelt. 


Abietin  134. 
Aoetakrylsfture  979. 
Acetal  560*,  561. 
Acetaldehyd  176,  398*,  404  ff. 

—  Constitution  des  — s  72. 
Acetaldoxim  398*. 
Acetale  894,  558  ff.,  560*. 
Acetamid  368,  369*,  871. 
Acetate  821—328. 
Acet-bemsteins&ure  985—986. 

—  brenztraubensäure  978. 

—  bromamid  371. 

—  chloramid  372. 

—  dibromamid  372. 

—  essig-aldehyd  861. 

ester  961  ff.    Homologe  des  — s  968. 

säure  960.    Homologe  der  —  969. 

äthylester  961  ff. 

—  —  —  methylester  967. 
nitril  967. 

—  glutarsäuren  990. 

—  hydroxams&ure  379—380. 

—  imidoäthylätiißr  375. 
Acetine  586. 
Aeeto-buttersäure  976. 

—  butylalkohol  875. 

—  chlorhydrose  899. 

—  isopropylalkohol  874. 
Acetol  872. 

Aceton  412*,  414  ff. 

—  Bestimmung  des  — s  im  Holzgeist  170. 

—  Chlorderivate  des  — s  868. 

—  Constitution  des  — s  73. 

—  Cyanhydrin  des  — s  741. 

—  carbonsäure  s.  Acetessigsäure. 

—  Chloroform  418. 

—  dicarbonsäure  989. 

—  diessigsäure  992. 

—  dioxalsäure  993. 
Acetonitril  296*. 
Aceton-phosphorverbindungen  418. 

—  säure  757. 


Acetonyl-  (Radical)  847. 

—  aceton  855. 
•Aceto-propionsäure  972. 

—  propylalkohol  874. 
Acetoxim  890,  412*,  415. 
Acetoxime  389,  412*,  418*. 
AcetozimsäuTe  859. 
Acettricarballylsäureester  995. 
Acetursäure  833. 

Acetyl-  (Radical)  304. 

—  aceton  569,  855,  856*. 

Halogenderivate  des  — s  870. 

carbonsäure  978. 

—  äthylcarbinol  873. 

—  ameisensäure  s.  Brenztraubensäure 

—  bromid  349. 
— '  butyryl  852*. 

—  —  methan  856*. 

—  carbinol  872. 

—  Chlorid  347,  349,  352*. 

—  citronensäure  824. 

—  crotonsäure  980. 

—  Cyanid  959. 

—  disulfid  364. 
Aeetylen  431,  453  ff. 

—  carbonsäure  516. 

—  dibromid  552. 

—  dicarbonsäure  697. 

—  dijodid  553. 

—  tetra-bromid  555. 
carbonsäureester  705. 

—  —  Chlorid  555. 
Acetyl-essigsäure  a.  Acetessigsäure. 

—  glutarsäuren  990. 

—  glykolsäureester  748. 

—  namstoff  1055. 

—  heptoylmethan  856*. 

—  iso-butyryl  852*. 
caproyl  852*. 

—  —  cyanat  1013. 
valeryl  852*. 

—  Jodid  350. 


I 


Begister. 


1099 


Acetyl-lävulinBäure  974. 

—  malonsäure  983. 

—  methylcarbinol  873. 

—  milchsfiore  755. 

—  propionyl  852*. 
methan  856*. 

—  —  methjl methan  856*. 

—  Bulfid  364. 

—  superoxyd  354. 

—  zahl  594*,  595. 
Achroodextrin  929. 
Aconit-oxalsäure  995. 

—  8äure  703. 

Acyl-glykols&ureester  748. 

—  radicale  804. 

—  Sulfide  364. 

—  superoxyde  854. 
-—  Verbindungen  345. 

Adenin  1008,  1090. 
Adipinsäure  675. 
Adonit  893,  912. 
AepfelsÄuren  794—798. 
Aethal  s.  Cetylalkohol. 
Aethan  121,  132. 

—  Constitution  des  — s  60. 

—  dicarbonsäure  {(otf)  s.  Bemsteinsäure. 

—  disulfosäuren  576. 
Aethanoyl-  (Radical)  1097. 
Aethantetracarbonsäure  706. 

—  ester  705,  706. 

Aethantricarbonsäure  699. 

—  Homologe  der  —  699. 
Aethen  446. 

Aethenyl-  (Radical)  345,  534. 

—  äthylendiamin  629. 

—  amidin  377. 

—  amidoxim  379. 

— -  trimethylendiamin  629. 

—  tricarbonsäure  699. 

Aether,  gewöhnlicher,  s.  Diäthyläther. 

—  moleculare    Siedepunktserhöhung    für 
—  52. 

—  bromatus  s.  Aethylbromid. 

—  Constitution  der  —  65—66. 

—  einfache  190;  gemischte  190. 

—  bildungsprocess,  continuirlicher  191. 

—  säure  197. 

—  Schwefelsäuren  202. 
Aethin  453  ff. 

—  carbonsäure  516. 
Aethionsäure  578.  l 
Aetho-  (Vorsilbe)  1093.' 
AethoxyakryLaäure  788. 
Aethoxylamin  250. 
Aethoxvcrotonsäure  788. 
Aethoxyl-oxalessigester  984. 

—  phosphordichlorid  209. 
Aethyl-  (Radical)  121. 

—  acetessigsäureäthylester  970. 

—  acetylen  461*. 
carbonsäure  518. 


Aethyl-äthoxylamin  250. 

—  äthylen  441*,  447. 
Aethylal-  (Radical)  1097. 
Aethylalkohol  142,  149*,  155  ff.,  170  ff 

—  Constitution  des  — s  62 — 65. 

—  Fettsäureester  des  — s  359*. 
Aethyl-allyl-amin  482*. 

bemsteinsäuren  698*,  694. 

—  amin  237*,  244. 

Halogenderivate  des  — s  630—681. 

—  arsendicblorid  270. 

—  arsinsäure  270. 

—  bemsteinsäure  671*. 

—  bromid  184*,  187,  188. 

—  butyläther  193*. 

—  carbaminsäure-äthylester  1059.     . 
Chlorid  1058. 

—  carbinol  s.  Propylalkohol,  normaler. 

—  carbon-imid  1018. 
säure  s.  Propionsäure. 

—  carbylamin  252. 

—  caprodeltalacton  765. 

—  cetyläther  193*. 

—  Chlorid  184*,  187,  188. 

—  cjtronensäuretriäthylester  824. 

—  cy anessigester  984. 

—  Cyanid  296*. 

—  diacet-amid  378. 
säure  962. 

—  dichloramin  244. 

—  disulfid  221*.  ; 

Halogenderivate  des  — s  621. 

—  dithiocarbaminsäure  1066. 
Aethylen  429,  441*,  446. 

—  (Radical)  534. 

—  acetochlor hydrin  616. 

—  alkohol  566. 

—  bromid  545,  546*,  550. 

—  carbonsäure  495. 

—  chlor-acetin  s.  Aethy  lenacetochlorhydrin. 
hydrin  s.  Glykolchlorhydrin. 

—  Chlorid  429,  546*,  550. 

—  Cyanid  660. 

—  diäthylsulfon  575. 

—  diamin  629. 

—  dicarbonsäuren  s.  Fumarsäure  und  Ma- 

leinsäure. 

—  disulfosäure  576. 

—  essigsaure  496. 

—  glykol  566.  -  • 
Halogenhydrine  des  —  s  616. 

—  hydrinsulfosäure  577. 

—  Jodid  550. 

—  mercaptan  574. 

—  milchsäure  758. 

—  oxyd  567. 

carbousäure  775. 

—  platinchlorür  445. 

—  tetracarbonsäure  706. 

ester  706. 

Aethyl-essigsäure  s.  Buttersäure. 

—  fluorid  189. 


1100 


Begister. 


Aethyl-fumarsliure  692*. 

—  glutarsäure  676*. 

—  glycid  591. 

—  glykolsäure  748. 

—  glyozylfiäure  960. 

—  harnstoff  1055. 

—  heptjdäther  193*. 

—  hexylÄther  198*    198. 

—  hydrazin  249. 

—  hydrozylamin  s.  Aethoxylamin. 

—  hypochlorit  201. 
Aethyliden-  (Radical)  584. 

—  bromid  545. 

—  Chlorid  429,  545. 

—  diacetat  560*. 

—  dibutyrat  56q*. 

—  diäthyl-sulfid  575. 
stüfon  578. 

—  diisovalerianat  560*. 

—  dipropionat  560*. 

—  disulfosäure  576. 

—  essiffsSore  496. 

—  imidsiibemitrat  408. 

—  Jodid  545. 

—  maloDSäure  680. 
-^  milchsäure  750  ff. 

—  Propionsäure  505. 
AethyliBo-amylftther  198*. 

—  butylfither  198*. 

—  cyanat  1013. 

—  propylfither  193*. 
Aewyl-itaconsäure  692*. 

—  Jodid  184*,  188. 

—  kakodyUäure  270. 

—  kohleiiBaures  Natrium  1048. 

—  Ifiyulinsäure  976. 

—  maleinsäure  692*. 

—  malonsäure  656*. 

—  mercaptan  216,  221*. 

—  nitramin  244. 

—  nitrat  208*. 

—  nitrit  207,  208*. 

—  nitrolsäure  260. 

—  octylSther  193*. 
Aethylol-  (Radical)  1097. 
Aethyl-oxaisäure  647*. 

—  oxyessigsäure  756. 

—  pentadion  856*. 

—  Perchlorat  201. 

—  phosphin  264*. 
säure  265. 

—  propaigyläther  484. 

—  propyl-äther  198*. 
akrolein  528*. 

—  rhodanid  1017. 

—  schwefelsaure  204. 

—  schweflige  Säure  202. 

—  selenid  226. 

—  selenige  Säure  202. 

—  selenmercaptan  226. 

—  senföl  1021*. 

—  silicium-trialkyläther  277. 


Aethyl-siliciumtrichlorid  277. 

—  sulfaminsäure  240. 

—  Sulfid  221*. 

Halogenderiyate  des  — s  621. 

—  sulfon  221*. 

essigsaure  749. 

säure  224. 

—  sulfuran  575. 

—  superoxyd  197. 

—  tartronsäure  791. 

—  tellurid  227. 

—  thiolkohlensaures  Kalium  1049. 

—  thioscbwefelsaures  Natrium  225. 

—  xanthogen-amid  1066. 

disulfid  1049. 

säure  1049—1050. 

a-Akrit  609. 
Akrolein  522. 

—  ammoniak  524. 
Akropinakon  528. 
Akrosamin  948. 
Akrose  401,  897*,  902. 
Akiylsäure  495. 

—  Halogendeorivate  der  —  730. 
-.  reihe  487  ff. 

-al  (Endung)  1095. 

Alanin  833. 

Aldehyd  s.  Acetaidehyd. 

—  alkohole  870. 

—  ammoniake  398,  407. 
Aldehyde  880  ff.,  898*,  521. 

—  Constitution  der  —  72. 

—  Halogenderivate  der  —  861. 

—  mehrwerthige  845. 

—  Nomenclatur  der  —  1095. 
Aldehyd-gummi  407. 

~  hars  896,  407. 

—  reactionen  898. 

—  säuren  948. 
Aldine  850. 
Aldite  769. 

Aldol  407,  569,  871. 

—  condensation  895,  871. 
Aldonsäuren  769  ff. 
Aldoseu  602,  881. 
Aldoxime  389,  890,  898*. 
Aliphatische  Yerbindunffen  90. 
Alkalimetalle,  Alkylyerbindungen  der  — 

282. 

Alkeine  633. 

Alkine  838. 

Alkohol,  gewöhnlicher  155  ff.,  s.  a.  Aetb7^ 
alkohol. 

Alkoholate  151,  160. 

Alkohole,  Constitution  der  —  62—66;  In- 
dustrie der  —  169;  Nomenclatur  der  — 
1095. 

— ,  ein  werthige — der  Grenxreihe  1 40  ff. ;  pri- 
märe, secundäre,  tertiäre  141, 152 — 154. 

— ,  zweiwerthige  558ff.,  dreiwerthige  576ff., 
höherwertige  601  ff. 

Alkoholometer  157. 


Register. 


1101 


Alkoholßäuren  740  ff. 
AlkoxycrotoDsäuren  788. 
Alkoxylamine  250. 
Alkyl-  (Radicale)  121. 

—  äther  189ff. 

—  amine  229  ff. 

—  carbimide  1012. 

—  Cyanide  291,  292  ff. 

—  diselenide  226. 

—  disulfide  219. 

—  disulfoxyde  224. 
Alkylenbromide  486,  442. 
Alkylene  436ff.,  441*. 
Alkylen-halogenide  545  ff.,  546*. 

—  nitrosate  873. 

—  nitrosite  873. 

—  oxyde  563. 

Alkyl-ester  der  arsenigen  Säare  210;  der 
Arsensäure  210;  der  Borsäure  210;  der 
Fettsäuren  354 ff.;  der  Kieselsäure  210; 
der  Mineralsäuren  198  ff.;  der  phos- 
phorigen Säure  209;  der  Phosphor- 
säure 209;  der  Salpetersäure  207;  der 
salpetrigen  Säure  206;  der  Schwefel* 
säure  205 ;  der  schwefligen  Säure  201 ;  der 
selenigen  Säure  202;  der  Selensäure  205; 
der  Ueberchlorsäure  201 ;  der  unterchlo- 
rigen Säure  200 ;  der  Unterphosphorsäure 
209;  der  untersalpetrigen  Säure  205. 

—  fluoride  s.  Fluoi-alkyle. 

—  glykolsäuren  748. 

—  halogene  180  ff. 

—  iso-cyanate  1012. 
thiocyanate  1018. 

—  nitrate  207. 

—  nitrite  206. 

—  nitro-amine  239. 
Verbindungen  253  ff. 

—  Oxalsäuren  648. 

—  paraconsäuren  490. 

—  phosphite  209. 

—  phosphorige  Säuren  209. 

—  rhodanide  1017. 

—  sulfhydrate  211,  213fl. 

—  Sulfide  211,  216. 

—  sulfinsäuren  213,  225. 

—  sulfochloride  222. 

—  sulfoncarbonsäuren  745. 

—  sulfosäuren  222. 

—  thio-carbimide  1018. 

—  thiolkohlensäuren  1048—1049. 

—  thioschwefelsäuren  225. 
Allantoi'n  1083. 

Allen  463. 
AUophansäure  1060. 
AUoschleimsäure  820—821. 
AUoxan  1078. 

—  säure  1079. 
Alloxantin  1081. 

Allyl-  (KÄdical)  469,  481. 

—  acetat  482*. 

—  acetessigester  979. 


Allyl- aceton  581. 

—  äthylester  482*. 

—  alkohol  479 ff. 
Chlorid  619. 

—  amin  482,  482*. 

Halogenderivate  des  — s  632. 

—  bemsteinsäure  692*,  694. 

—  bromid  472*. 

—  Chlorid  472*. 

—  Cyanid  497,  504. 

—  derivate  481,  482*. 
Allylen  460. 

—  carbonsäure  517. 

—  dicarbonsäure  697. 
AUylessigsäure  505. 

—  fluorid  473. 

—  halogene  470,  472*. 

—  Jodid  472*. 

—  malonsäure  680. 

—  mercaptan  482*. 

—  nitrat  482*. 

—  nitrit  482*. 

—  senföl  1020,  1021*. 

—  Sulfid  481,  482*. 

—  thioharnstoff  1064. 

—  trichlorid  555. 

Aluminium,  Alkylverbindungen  des  — s  288. 

—  äthyl  288. 

—  äthylat  160. 

—  methyl  288. 
Amalinsäure  1082. 
Ameisensäure  311,  312*,  313ff.,  343. 

—  äthylester  359*. 
Amidbasen  228. 

—  Chloride  345,  373. 
Amide  365  ff. 
Amidine  345,  376. 
Amido-acetal  945. 

—  acetaldehyd  945. 

—  äthyl-alkohol  634. 

—  —  mercaptan  636. 

—  —  sulfosäure  636. 

—  barbitursäure  1078. 

—  bemsteinsäure  837. 

—  buttersäure  836. 

—  capronsäuren  834 — 835. 

—  caprylsäure  835. 

—  crotonsäure  836. 
nitril  967. 

—  dicyansäure  1056. 

—  glutarsäure  840. 

—  glykokoll  845. 

—  guanidin  1070. 

—  iso-butylessigsäure  834. 

—  —  valeriansäiire  835. 

—  malonitril  1008. 

—  malonsäure  837. 

—  myi'istinsäure  835. 

—  nitrile  827. 

—  önautlisäure  835. 

—  Palmitinsäure  835. 

—  paraldimin  408. 


1102 


Register. 


Amido-propionsfiuren  883,  835. 

—  säuren  827  ff. 

—  Stearinsäure  835. 

—  succinaminsäoren  838 — 840. 

—  valeraldehyd  946. 

~  yaleriansäoren  834,  835,  836. 

Amidoiime  345,  878. 

Amine  227,  229 ff.;    Halogenderiyate  der 

—  630. 
Amine,  mehrwerthige  625  ff. 
Aminsäuren  641. 
Ammelid  1085. 
Ammeiin  1034. 
Ammonium-carbamat  1057. 

—  carbonat  1057. 

—  cyanat  1010. 

—  Verbindungen,  quatemäre  228,  245  ff. 
Amylacetat  360*. 

—  aikohol,    actiyer,    8.    Secundärbutyl- 
carbinol. 

normaler  149*,  150*,  166. 

tertiärer  150*,  166. 

—  alkohole  150*,  163;  secundäre  150*,  166. 

—  amin  237*. 

Halogenderiyate  des  —  s  632. 

—  (norm.)-bromid  184*. 

—  (norm.)-chlorid  184*. 

—  Cyanid  296*. 
Amylen-bromide  546*. 

—  Chloride  546*. 
Amylene  441*,  449  ff. 
Amylen-glykol  569. 

—  hydrat  s.  Amylalkohol,  tertiärer. 

—  nitrosat  873. 
Amyl-jodid  184*. 

—  nitrat  208*. 

—  nitrit  207,  208*. 
Amylodeztrin  929. 
Amyloid  933. 

—  pflanzliches  934. 
Amyl-pseudonitrol  260. 

—  schwefelsaure  205. 

—  senföl  1021*. 
Amylum  924. 

-an  (Endung)  97,  121,  1092. 
Angelica-lactone  789. 

—  säure  343,  505. 

—  —  dibromür  728. 

Anhydride,  innere  von  Dicarbonsäuren641. 

Anti-  (Vorsilbe)  666. 

Antimon,  Alkyl Verbindungen  des  — s  272. 

Antiweinsäure  801,  810—814. 

Aposepin  635. 

Arabinon  915  Anm. 

Arabinosen  892,  908,  912. 

Arabinsäure  930. 

Arabisches  Gummi  930. 

Arabit  606,  912. 

Arabonsäure  776. 

Arachin-amid  369*. 

—  säure  312*,  336,  338. 
äthylester  359*. 


Arachinsäurechlorid  352*. 

Aromatische  Verbindungen  92. 

Arrac  177. 

Arrow-root  940. 

Arsen,  Alkyl  Verbindungen  des  — s  266  ff. 

Arsine,  tertiäre  271. 

Arsin-oxyde  271. 

—  Sulfide  271. 

Arsonium Verbindungen,  quaternäre  271. 
Asparacumsäure  838. 
Asparagine  888—840. 
Asparaginsäuren  837 — 888. 
Assimilationsprocess  401,  925. 
Asymmetrie  der  Rohlenstoffatome  81. 
Atom-modelle  666—667  Anm. 

—  Verkettungstheorie  56  ff. 
Aurantin  s.  Abietin. 
Ausscheidungsverfahren    zur    Melasseent- 

zuckening  939. 
axialsymmetrisch  86. 
Azaurolsäuren  258. 
Azelalinsäure  678. 
Azo-ameisensäure  1060. 

—  dicarbon-amid  1057. 

amidin  1071. 

säure  1060. 

—  formamid  1057. 

—  methylencarbonsäureester  842. 
Azoxime  379. 
Azulminsubstanzen  1002. 
Azulmsäure  998. 


Baeyebb  Spannungstheorie  435. 

Barbitursäure  1078. 

Bariumäthylat  160. 

Bassorin  931. 

Baumwolle  942. 

Beckmamn^s  Apparat  zur  Bestimmung  der 
Grefrierpunktstmiedrigung  47;  zur  Be- 
stimmung der  Siedepunktserhöhung  5t. 

BECKHAMN*sche  Umlagerung  391. 

Behenolsäure  519. 

Behensäure  312*,  388. 

—  Halogenderivate  der  —  721,  729. 

—  äthylester  359*. 
Beilstein's  Halogenprobe  9. 
Benzol,  moleculare  Gefrierpunktsdepression 

für  —  50. 
Benzylacetoxim  390. 
Beriinerblau  1007,  1037. 
Bernsteinsäure  640,  657  ff. 

—  Halogenderivate  der  —  734. 

—  anhydrid  660. 

—  diäthylester  660. 

—  dimethylester  660. 

—  homologe  663  ff.,  671*. 

—  nitril  660. 

I  Beryllium,  Alkyl  Verbindungen  des  — s  288. 

—  äthyl  283. 

—  -  propyl  283. 
BetaYn  832. 


«>p 


Register. 


1103 


i 


Biäthyläther  198. 
Bienenwachs  361,  594*. 
Biguanid  1068. 
BiSnenrin  684. 
Birotation  882. 
Bis-diäthylarsen  270. 
Bismuthine  273. 
Biondecylensftare  510. 
Biuret  1056. 

—  reaction  1056. 

Blausäure  999  ff.;  Salze  der  ~  1003;  Nach- 
weis und  Bestimmniig  der  —  1008 ;  Poly- 
mere der  —  1008. 

Blei,  Alkylverbindungen  des  — s  289. 

—  essig  322. 

—  mercaptide  214,  216. 

—  tetra-äthyl  290. 
methyl  ?89. 

—  triäthylverbindungen  290. 

—  trimethylverbindungen  289. 
~  Zucker  322. 

Blutlauge  1036. 

Blutlaugensalz,   gelbes   und  rothes  1007, 

1036—1088. 
Bombenröhren,  Oefinen  der  —  25. 
Bor,  Alkylverbindungen  des  — s  274. 

—  äthyl  274. 

—  methyl  274. 
Branntwein  s.  Spiritus. 

—  essig  842. 
Brassidinsfiure  514. 

—  ELalogenderivate  der  —  729. 
BrassylsSure  679. 
Brechweinstein  805. 
Brenz-terebinsflure  509. 

—  traubensäure  956. 

aldehyd  859. 

amid  959. 

—  —  ester  959. 

homologe  960.       * 

nitril  959. 

—  —  oxim  959. 
salze  959. 

—  Weinsäure  s.  Methylbemsteinsäure  und 
Glutarsäure. 

Halogenderiyate  der  —  738 — 739. 

Brom-acetol  545. 

—  acetylen  473. 

—  äthyl  s.  Aethylbromid. 

—  äthylenbromid  554. 
Bromal  867. 
Brom-caffeYn  1089. 

—  cyan  1011. 

—  (ünitro-isobutan  625. 

methan  624. 

Bromide  der  Fettsäuren  349. 
Brom-nitroäthan  625. 

—  nitroparafßne  256. 
Bromoform  536*,  540. 
Brom-pikrin  625. 

—  propylene  471,  472*. 

—  valeriansäure  505. 


Bbüoelmann's  Methode  zur  Bestimmung 
der  Halogene  und  des  Schwefels  26. 

BsttHL's  Apparat  zur  firactionirten  Destilla- 
tion im  Vacuum  106. 

BuiiTE'sches  Salz  225. 

Butadiendicarbonsäure  696. 

Butadiin  467. 

—  dicarbonsäure  698. 
Butadion  s.  Diacetyl. 
Butan  121,  128*,  133. 

—  hexacarbonsäureester  708. 

—  pentacarbonsäureester  708. 

—  tetracarbonsäure  707. 
ester  707. 

—  tricarbonsäuren  702. 
Butene  447. 

Butin  465. 
Butter  594*. 

—  säure,  Constitution  der  —  71. 
normale  311,  312*   325,  343. 

—  —  Halogenderiyate  der  —  717*,  720, 
723—728. 

äthylester  359*,  361. 

anhydrid  352*. 

eährung  326. 

nexylester  361. 

octylester  361. 

Butyl-acetat  360*. 

—  acetylencarbonsäure  518. 

—  acetylene  461*. 

—  alkohol,  normaler  149*,  150*,  162; 
secundärer  150*,  162;  tertiärer  150*, 
153,  163. 

—  alkohole,  150*,  162. 

—  amin,  Halogenderiyate  des  — s  632. 

—  amine  237*. 

—  bemsteinsäure  671*. 

—  bromide  184*. 

—  chloral  866. 

—  Chloride  184*. 

—  Cyanid  296*.  ' 
Butylen-bromide  546*. 

—  Chlorid  546*. 

Butylene  430,  43T,  441*,  447. 
Butylenglykol  569. 
Butyl-jodide  184*,  189. 

—  malonsäuren  656*. 

—  mercaptane  221*. 

—  nitrit  208*. 

—  oxyessigsäuren  757. 

—  pseudonitrol  260. 

—  senföie  1020,  1021*. 

—  Sulfide  221*. 

—  sulfon  221*. 

—  sulfoxyd  221*. 
Butyraldehyd  398*. 
Butyramid  369*. 
Butyroin  873. 
Butyrolacton  763. 

—  carbonsäuren  792,  799,  815. 
Butyron  412*. 
Butyronitril  296*. 


y 


1104 


Register. 


Batyronoxim  412^ 
Butyryl-ORadical)  304. 
—  Chlorid  352*. 


Cacao  1087,  1088. 

—  butter  594*. 
Cadaverin  630. 
Gadet*8  Flüssigkeit  267. 
Cadmiumäthyl  285. 
Caffein  1088. 
Calciumäthylat  160. 
Campherarten,  olefinische  485. 
Campholen  466. 
Capillarpipette  107. 
Caprin-aldehyd  398*. 

—  amid  369*. 
Caprinon  412*. 
Caprins&ure  812*,  334. 

—  Bromderivat  der  —  717*. 

—  Äthylester  359*. 
--  Chlorid  352*. 

—  isoamylester  361. 
Caprolactone  763,  765. 
Capron  412*. 

—  aldehyd  398*. 

sulfonsäure  527—528. 

—  amid  369*. 

—  Bfiure  311,  312*,  332. 

Bromderivate  der  —  717*. 

äthylester  859*. 

nitril  296*. 

octylester  361. 

Caproyl-  (Radical)  304. 
Capryl-aldehyd  398*. 

—  amid  369*. 
Capryliden  461*. 
Caprylon  412*. 
Caprylsäure  312*,  333. 

— vBromderivat  der  —  717*. 

—  äthylester  359*. 

—  Chlorid  352*. 

—  nitiil  296*. 
Caramel  918. 
Carbamate  1057. 

Carbamid  1051,  s.  auch  Harnstoff.  Alkyl- 
derivate  des  — s  1054;  Acylderivate  des 
—8  1055. 

Carbamin-cyamide  1056. 

—  säure  1051, 1057,  Schwefelderivate  der 
—  1065. 

äthylester  1059. 

amidin  1067. 

Chlorid  1058. 

ester  i058. 

—  thiolsäure  1065,  1066. 

—  thionsäure  1065. 

—  thionthiolsäure  1065. 
Carbimid  1009,  1051. 
Carbinol  142. 
Carbo-butyrolactonsäuren  792,  799,  815. 

—  caprolactonsäure  800. 


Carbo-diimid  1020. 

—  methyl-butyrolactonsänre  793. 
-carbonimid  (Endung)  1013. 
Carbonsäuren  301,  487,  637,  679,  698. 

—  Halogenderivate  der  —  T09. 

—  Nomenclatur  der  —  1095. 
Carbonyl-chlorid  1039. 

—  gruppe  380. 

Carbovalerolactonsäuren  793,  815. 
Carboxylgruppe  301. 
Carbyl-amine  229,  251—252. 

—  aminreaction  s.  iBonitrilreaction. 

—  sulfat  444,  577. 

Carius'   Verfahren   zur    Bestimmung  dei 

Halogene  und  des  Schwefels  23.. 
CamauDawachs  571. 
Celluloid  944. 
Cellulose  931,  942. 

—  thierische  934. 
Ceresin  139. 
Cerin  362. 
Ceroten  452. 
Cerotinon  412*. 
Cerotinsäure  312*,  338. 

—  Bromderivat  der  — •  717*. 

—  äthylester  359*. 

—  cerylester  362. 
Cerylalkohol  168. 
Cetyl-acetat  360*. 

—  alkohol  149*,  168. 

—  amin  s.  Hexadecylamin. 

—  Cyanid  296*. 

—  malonsäure  656*. 

—  mercaptan  221*. 

—  nitrat  208*. 

—  palmitat  360*,  361. 

—  Sulfid  221*. 
Chinogene  851. 
Chlor-acetol  545. 

—  acetylen  473. 

—  äthyl,  Constitution  des  — s  60. 
8.  Aethylchlorid. 

alkohol  s.  Glykolchlorhydrin. 

—  äthylenchlorid  554. 

—  äthvlidenchlorid  554. 
Chlorai  862. 

—  aceton  874. 

—  alkoholat  865. 

—  aminoniak  865. 

—  forinamid  865. 

—  hydrat  864. 
Chloralide  866. 
Chlor-ameisensäure  714. 
ester  1041,  1043. 

—  cyan  1011. 

—  dibrommethan  536*. 

—  essigsäureäthylester  714. 

—  glyoxime  866. 
Chloride  der  Fettsäuren  346. 

Chlor -imidokohlensäureäthylester  1 061. 

—  ißobutyraldehyd  867. 

—  kohlenoxyd  1039. 


\ 


Beffister. 


1105 


Chlorkohlensänre-äthylester  1044. 

—  ester  1041,  1043.    Schwefelderivate  der 
—  1050. 

—  methylester  1043. 
Chlormethyl  b.  Methylchlorid. 

—  alkohol  404,  612. 
Chloroform  536*,  537. 
Chlor-oxaline  649. 

—  ozalmethylin  649. 

—  oxypropionBfturen  755. 

—  peruiiokohlensäureester  1050. 

—  pikrin  540,  624. 

—  propylene  472*. 

—  propylen-glykol  616. 
oxyd  617. 

—  sulfonsftoreester  204. 

—  thiolkohlensäureester  1050. 

—  thionkohlensäureester  1050. 

—  trimethylen-glykol  617. 
oxyd  617. 

—  valerolacton  974. 
Chlorylimidokohlena&nreester  1061. 
Cholesterophan  1075. 

Cholin  634. 

Chondroi'tinschwefelsfture  953. 
Chondrosin  953. 
Chrysean  1003. 
Cimicinsäure  510. 
eis-  86. 
cis-trans-  86. 

Citrabrombrenzweinsänre  788. 
CitracoDBfiure  689,  692*. 

—  homologe  690  ff. 
Citradibrombrenzweinsäare  788. 
Citral  529. 

Citramalsäare  798. 
Citramid  824. 
Citraweinsäure  814. 
Citrazinsäure  824—825. 
Citrodiaminsäure  824. 
CitromonaminBftiire  824. 
Citronell-aldehyd  529. 

—  alkohol  529. 
Oitronellasäure  529. 
Citronensäure  822—824. 
Coccerin  362,  571. 

—  sfiure  766. 
Coccerylalkohol  571. 
Cocos-fett  589. 

—  nuseöl  594*. 
Gognae  178. 
Collodium  944. 

CoTonnenapparat    zur     Rectificirung    des 

Spiritus  176. 
Conylen  466. 
Goriandrol  485. 
Cremor  tartari  804. 
Croton-aldehyd  407,  525—526,   527,  528*. 

—  sfiure,  gewöhnliche  oder  feste  496  ff.,  503. 
Halogenderivate  der  —  731—733. 

—  —  dibromur  727. 
dichlorür  726. 

▼.  HxTXB  u.  JA00B80K,  org.  Ghom.  I. 


Crotonsäuren  496  ff. 
Crotonylen  465. 
Crotylalkohol  527. 
Cyamelid  1010. 

Cyan  997.    Halogenverbindungen  des  — s 
1011. 

—  acet-aldehyd  950. 

—  —  amid  654. 

essigester  984,  990. 

—  aceton  967. 

—  äthyl,  dimoleculares  971. 

—  amid  1020. 

—  bemsteinsäure  700. 

—  essigsaure  654. 

—  guanidin  1069. 

—  hamstoff  1056. 

—  hydrine  741. 

—  hydrinreaction  741. 
Cyanide  1003. 
Cyan-isonitrosobutterafiure  989. 

—  kalium  1006,  1038. 

—  kohlensaure  999. 

—  kupfer  1007. 

—  methyl,  dimoleculares  967. 
Cyanogen-Radical  997. 
Cyan-quecksilber  1007. 

—  radical  997. 

—  säure  1009;  Halogenide  der  —  1011; 
Ester  der  —  1012. 

—  Silber  1007. 

—  sulfid  1016. 
Cyanur-bromid  1031. 

—  Chlorid  1031. 

—  halogenide  1031. 

—  Jodid  1031. 

—  ring  s.  Tricyanring. 

—  säure  1030. 
ester  1031. 

—  triäthyl  1029. 

—  Verbindungen  s.  Tricyanverbindungen. 
Cyan-verbindungen  997  ff.,    Industrie   der 

—  1036. 

—  Wasserstoff  999  ff. 
Cyclische  Verbindungen  91. 
CysteYn  833. 

Cystin  833. 

J-  (Zeichen)  491. 

Dampfdichtebestimmung  36  ff.;   unterhalb 

der  Siedetemperatur  46. 
Daturinsäure  358. 
Decan  128*,  134. 
Decyl-acetat  360*. 

—  alkohol,  normaler  149*,  168. 
Decylensäure  508. 
Dehydracetsäure  966. 
Dehydrotriacetonamin  416. 
Dekadion  856*. 
Deka-lacton  765. 

—  methylen-diamin  630. 
dicarbonsäure  678. 

70 


1106 


Register. 


Dekamethylenimin  680. 

Denaturimng  des  Alkohols  179. 

Desmotropie  1025. 

Deeoialsäure  825. 

Destillation,  einfache  101;  im  Vacuum 
108;  {ractionirte  104;  mit  Wasser- 
dampf 106. 

Dextrine  929,  941. 

Dextrose  898. 

Diacetamid  872. 

Diaceton-alkohol  874. 

—  amin  416. 

—  cyanhydrin  741. 

—  phosphinsfture  418. 

—  phosphor-chlorobromid  418. 

chlorür  418. 

Diacetyl  851,  852*. 

—  Halogenderivate  des  — s  869. 

—  aceton  858. 

—  adipinsänreester  991. 

—  äthylmethan  856*. 

—  amylmethan  856*. 

—  bemsteinsfiure  988. 

—  butan  858. 

—  capronsäure  979. 

—  difitbylmethan  856*. 

—  dicarbonsäure  991. 

—  dicyanid  959. 

—  dimethylmethan  856*. 
Diacetylen  467. 

—  dicarbonsäure  517,  698. 
Diacetyl-essi^äure  978. 

—  formamidm  377. 

—  hamstoff  1055. 

—  methan  s.  Acetylaceton. 

—  methylmethan  856*. 

—  pentan  858. 

—  trimethylendiamin  629. 

—  valeriansäure  979. 

—  Weinsäure  806. 
Diäthenyiazoxim  379. 
Diäthoxalsäure  757. 
Diäthyl  8.  Butan. 

—  acetal  560*. 

—  acetamid  369*. 

—  acetessigsäure  969. 

—  acetessigsäureäthylester  970. 

—  äthenylSmidin  377. 

—  ätber  198*,  194  ff. 

Halogenderivate  des  — s  613. 

—  allylamin  482*. 

—  amin  287*,  244. 

—  arsinsäure  270. 

—  bemsteinsäuren  671*. 

—  carbonat  1042. 

—  carbinol  150*,  166. 

—  cvanamid  1023. 
Diäthylen-disulfid  574. 

—  tetrasulfid  575. 
Diäthyl-formamid  369*. 

—  glutarsäure  676*. 

—  hamstoffe  1055. 


Diäthyl-hydrazin  249. 

—  hydroxylamin  250. 
Diäthylin  584. 
Diäthyl-malei'nsäure  s.  Xeronsäure. 

—  malonsäure  656*. 

—  methylal  560*. 

—  nitrosamin  244. 

—  Oxalat  647*. 

—  oxamid  647*. 

—  oxaminsäureäthylester  647*. 

—  oxyessigsäure  757. 

—  pentadion  856*.  , 

—  phosphin  264*.  ! 

—  phosphorige  Säure  209.  | 
--  selenit  202. 

—  silicium-diäthyläther  277. 
oxyd  277. 

—  Sulfat  205. 

—  Sulfit  201. 

—  sulfondiäthylmethan  578. 

—  thiohamstoffe  1064. 
Dialkyl-carbonate  1042. 

—  phosphinsäuren  265. 

—  phosphorsäuren  209. 

—  Pimelinsäuren  677. 
Diallyl  465. 

—  acetessigester  979. 

—  aceton  531. 

—  äther  482*. 

—  amin  482*. 

—  dihydrat  571. 

—  essigsaure  518. 

—  malonsäure  697. 
Dialursäure  1078. 
Diamido-aceton  947. 

—  hydrin  636. 
Diamylen  452. 
Diastase  173. 
Diaterebinsäure  800. 
Diazo-acetamid  843. 

—  äthansulfosäure  249. 

—  äthoxan  205. 

—  benzolsulfosäure  als  Eleagens  auf  Aid 
hyde  393. 

—  bemsteinsäureeeter  844. 

—  essigsäureäthylester  842. 

—  guanidin  1071. 

—  propionsäuremethylester  844. 

—  säuren  841  ff. 

—  succinaminsäureester  844. 

—  Verbindungen  der  Fettreihe  841,  10' 
Dibrom-äthane  545,  550. 

—  äthylene  552,  553. 

—  behensäuren  515,  729. 

—  bemsteinsäuren  736. 

—  butan  552. 

—  buttersäuren  727. 

—  dinitromethan  624. 

—  essigsaure  716. 

—  fumarsäure  737. 

—  hydrine  619. 

—  hydrosorbinsäure  518, 


Begisier, 


1107 


Dibrom-lävulinsäure  975. 

—  malei'nsllure  73''. 

—  malonsäure  784. 

—  nitroäthan  625. 

—  pentane  552. 

—  Propionsäuren  722. 

-—  Stearinsäuren  512,  513,  514. 

—  valeriansäuren  728. 
Dibutyl-äther  193*. 

—  amin  237*. 
Dibutvryl  849. 

Dicarbintetracarbonsäureester  706. 
Dicarbonsänren,  gesättigte  637  ff. 

—  ungesättigte  679  ff.,  692—693*. 
DicarTOxyl-glutaeonsäureester  707. 

—  glutarsäureester  706. 
Dicetyl-äther  193*. 

—  essigsaure  339. 

—  malonsäure  656*. 
Dichlor-äthane  545,  550. 

—  äther  198. 

—  äthylalkohol  620. 

—  äthylen  553. 

—  aldehyd  862. 

—  behensäuren  729. 

—  bemsteinsäuren  7  35. 

—  brommethan  586*. 

—  buttersäuren  726,  727. 

—  butyraldehyd  528. 

—  dibrommethan  536*. 

—  dijodmethan  586*. 

—  dinitromethan  624. 

—  essigsaure  712,  715. 

—  glykolsäureäthylester  647*,  648. 

—  hydrine  618—619. 

—  isopropylalkohol  s.  Dichlorhydrine. 

—  jodmethan  536*. 

—  malei'nsäure  737. 

—  malonsäure  733. 

—  methyläther  404,  613. 

—  propane  545,  551. 

—  propionitril,  polymeres  1029. 

—  Propionsäuren  722. 

—  propylalkofaol  s.  Dichlorhydrine. 
Dicksaft  (Zuckerindustrie)  938. 
Dicyan  997. 

--  diamid  1069. 

—  diamidin  1069. 
-dien-Reihe  458,  463,  1094. 
Diffuseure  (Zuckerindustrie)  937. 
Diformin  586. 

Diformyl  s.  Glyoxal. 
Diglykolsäure  747. 

—  anhydrid  748. 
Dihexyläther  193*. 
Dümid  1061. 

-diin  (Endung)  467,  1094. 
Düsoamyl-acetal  560*. 

—  äther  193*. 

—  amin  237*. 

—  methylal  560*. 

—  phosphin  264*. 


Diisobutyl-acetal  560*. 

—  äther  193*. 

—  amin  237*. 

—  methylal  560*. 

—  phosphin  264*. 
Diisonitroso-aceton  860. 

—  buttersäure  977. 

—  yaleriansäure  978. 
Diisopropyl-äther  193». 

—  äthylenglyltol  568. 

—  amin  237*,  239. 

—  bemsteiusäure  671*. 

—  methylal  560*.  ' 

—  phosphin  264*. 
Dijod-äthylen  553. 

—  essigsaure  716. 

—  hydrine  619. 

—  propan  550. 

—  vinylamin  632. 
Diketo-adipinsäure  991. 

—  bemsteiusäure  986. 

—  buttersäure  977. 

—  yaleriansäure  978. 
Dilactylsäure  754. 
Dilitursäure  1078. 
Dimethoxydimalonsäure  793. 
Dimethyl  s.  Aethan. 

—  acetal  560*,  561. 

—  acet-amid  369*. 

—  —  essigsaure  969. 
äthylester  970,  971. 

—  acetylcapronsäure  994. 

—  acetylen  468. 

—  adipinsäuren  675. 

—  äther  193*,  194. 

Constitution  des  — s  65. 

Halogenderiyate  des  — s  613. 

—  äthyl- bernsteinsäure  671*. 

carbinol  s.  Amylalkohol,  tertiärer. 

—  äthylen  431,  441*,  447,  448. 

—  äthylmethan  128*,  133. 

—  akrolein  527. 

—  allen  464. 

—  alloxan  1079. 

—  amidosulfurylchlorid  240. 

—  amin  237*,  242. 

—  angelicalacton  789. 

—  arsenyerbindungen   s.    Kakodylverbin- 
dungen. 

—  aziäthan  853. 

—  bernsteinsäuren  671*. 

—  bishydrazomethylen  853. 

—  tert.-butyl- carbinol    s.   Penthamethyl- 
äthol. 

—  carbaminsäurechlorid  1058. 

—  carbinol  s.  Isopropylalkohol. 

—  carbonat  1042. 

—  diacetylen  468. 

—  diacetyl-pentan  994. 

—  —  pimeUnsäure  994. 

—  diäthylmercaptol  572. 

—  methan  463. 

70* 


1108 


Register, 


Dimethyl-essigsäure  s.  Isobuttersäure. 

—  glutarsäaren  674,  676*. 

—  hanifltoffe  1054-7-1055. 

—  hexadion  857. 

—  hydraasin  249. 

—  isopropylmethan  128*. 

—  jodamin  243. 

—  ketol  873. 

—  lÄvulinsäure  976. 

—  maleünsäure  8.  Pyrocinchonsäore. 

—  malonsäure  656*. 

—  methan  s.  Propan. 

—  m^enylamidin  877. 

—  nitramin  243. 

—  nitrosamin  248. 

—  Oxalat  647*. 

—  oxalsfture  757. 

—  oxamid  647*,  648. 

—  oxaminsäure&thylester  647*. 

—  oxeton  875. 

—  oxjessigsäufe  757. 

—  parabansäure  1075. 

—  pentadion  856*. 

—  phosphin  264*. 
ßäure  265. 

—  Pimelinsäure  994. 

—  propjl-bemsteiiisäure  671*. 
methan  128*. 

—  Bulfat  205. 

—  solfit  201. 

—  thetindicarbiHiBäure  749. 

—  traubensäure  814. 

—  wismuthhydroxyd  274. 

—  xanthine  1087. 
Dimyricylamin  237*. 
Dinatriamglyceiat  584. 
Dinitro-äthan  623. 

—  alkylsfiuren  239. 

—  butane  623. 

—  derivate    der    GrenzkohlenwasserstoffB 
621—623. 

—  propane  623. 

Dinitrosopentamethylentriamin  403. 
Dioctyl-äther  193*. 

—  amin  237*. 

—  efisigs&ure  338. 

—  malonsäure  656*. 

—  methylal  560*. 
Dioximido-bernsteinsäuren  987. 

—  Propionsäure  977. 
Dioxobemsteinsäureester  987. 
Dioxy-aceton  891. 

—  äthantricarbonsäure  825. 

—  behenolsäure  979. 

—  behensäuren  515,  787. 

—  bernsteinsäure  800. 

—  buttersäuren  786—787. 

—  capronsäure  527. 

—  dimethylglutarsäuren  815 — 816. 

—  dipropylmalonsäure  793. 

—  essigsaure  948. 

—  glutarsäuren  815. 


Dioxy-malonsäure  793,  981. 

—  me£hylen  400. 

—  phosphinsäuren  394. 

—  Propionsäure  774. 

—  Stearinsäuren  512,  513,  514,  787. 

—  uracil  1080. 

—  Weinsäure  986. 
Dipropargyl  467. 
Dipropionamid  373. 
Dipropyl-acetal  560*. 

—  äther  193*. 

—  amin  237*. 

—  carbodiimid  1023. 

—  glutaisäure  676*. 

—  malonsäure  656*. 

—  methylal  560*. 
Disaccharide  918—921. 
Disakryl  524. 
Dissociationsconstante  640. 
DistearylylcerinphoBphorflfture  590. 
Disulfide  der  Alkylradicale  211,  219. 

—  der  Säureradieale  344. 
Disulfidsäuren  745. 
Disulfone  572. 
Dithio-carbaminsäuren  1065,  1066. 

—  cy  ansäure  1015. 

—  fflykolsäure  749. 

—  kohlensauren  1048,  1049. 
Dithiolkohlensäure  1048,  1049. 

—  diäthylester  1049. 
Dithio-tnmethylenmercaptan  421. 

—  urethan  1066. 
Diurel'de  1073,  1084ff. 
Diuretin  1087. 
Divaleryl  849. 
Divinyl  464. 

—  äther  477. 
DoGosan  128*,  134. 
Dodecan  128*,  134. 
Dodecyl-acetat  360*. 

—  alkohol,  normaler  149*.  168. 
Dodecylen  441*,  452. 

—  bromid  546*. 
Dodecyliden  461*. 
Dodecylpalmitat  360*. 
Dodekamethylendicarbonsäure  689,  679. 
Doppel-bindung  429,  432 ff.,  686. 

—  Cyanide  1004. 
Dotriacontan  128*,  134. 
Drehung,  specifische  881. 
Dreifache  Bindung  481,  432  ff. 
Dulcit  610,  912. 

Dumas'  Methode  zur  Stickstoffbestim- 
mung  19 ff.;  zur  Dampfdichtebestim- 
mung 37. 

Dünnsaft  (Zuckerindustrie)  938. 

Duodecylamin  237*. 

Duplo-dithioaceton  426. 

—  thioaceton  426. 
Dynamite  600. 


Register, 


1109 


£ballio6kop  158. 
Eicosan  128*,  134. 
Eisen-cyaüverbindungen  1004^  1007,  1037. 

—  oxalatentwickeler  646. 

Eisessig    319;    xnolecalare    GrefrierpunktS' 

depression  für  —  50. 
ElaYdin-reaction  589. 

—  säure  518. 
Elainsfiure  511. 
Elayl  446. 
Elementaranalyse,  aualitative  7£P. 

—  quantitative  10  ff. 
Elutionsverfahren     zur    Melasseentzucke- 

rung  939. 
•en  (Endung)  97,  436,  458,  1094. 
-enin  (Endung)  467,  1094. 
Enneadion  858. 
•enyl  (Endung)  345,  534. 
Enzyme  172. 
Epi-bromhydrin  617. 

—  chlorhydrin  617. 

—  hydrin-alkohol  590. 

—  —  säure  775. 

—  jodhydrin  617. 
Eranin  s.  Abietin. 

Erd-öl  135 ff.;  amerikanisches  136;  kauka- 
sisches 137;  galizisches  137;  deutsches 
137;  von  Java  138. 

—  wachs  s.  Ozokerit. 

Ei'ucasäure514;  Halogenderivate  der  —  729. 

Erythran  604. 

Erythren  465. 

Erythrin  603. 

Erythrit  608;  Halogenderivate  des  — s  619. 

—  dioxyd  604. 

—  säure  775. 

Erythro-dextrin  929.  * 

—  glucin  603. 

—  —  säure  775. 
Erythrose  891. 
Esotrialkylmelamine  1034. 
Essig  340  ff. 

—  aale  342. 

—  äther  360. 

—  gährung  340. 

—  pik  340. 

—  säure  311,  312%  819ff.,  339ff. 

—  —  Constitution  der  —  67—69. 

Halogenderivate  der  —  714—716. 

anhydrid  351,  352*. 

chlormethylester  614. 

ester  359*,  360*,  361. 

Ester  199,  344,  354  ff.,  359*,  360*. 
Esterificirung  354  ff. 

—  smethode  von  Anschütz  u.  Piciet  743. 
Ester-Säuren  199,  641. 

—  zahl  593. 
£ucalyn  921. 
Evonymit  610. 
Ezotrialkybnelamine  1034. 
Eztraction  110. 


Fehler,  übliche,  bei  den  organischen  Ana- 
lysen 28. 
FEHUNG^sche  Lösung  805. 
Permente  171. 
Ferri-cyankalium  s.  BluÜaugensalz. 

—  Cyanwasserstoff  1007. 

—  ferrocyanid  1007. 
Ferro-cyanäthyl  1007. 

—  cyankalium  s.  Blutlaugensalz. 

—  Cyanwasserstoff  1007. 

—  ferricyanid  1007. 
Pettanalyse  593—595. 

Fette,  natürliche  588;  Technologie  der  Fette 

und  Oele  592 ff.;  Tabelle  594*. 
Fett-reihe  90. 

—  säuren  301  ff. 

—  —  Constitution  der  —  67 — 69. 
Filtration  108. 

Flachs  942. 

Flaveanwasserstoff  649. 
Fleisch-extract  1077,  1090. 

—  milchsänre  752. 
Fluoralkyle  189. 
Fluoroform  541. 
Form-aldehyd  397  ff. 

—  amid  868,  369*. 

Formel,  Berechnung  der  —  aus  den  Ana- 
lysenzahlen 27. 
Formiate  817—318. 
Formimido-acetat  375. 

—  äther  375. 
Formine  586. 
Formose  401,  902. 
Formozim  403. 
Formyl-  (Radical)  304. 

—  essigsaure  949. 
Forsunken  137. 
Frucht-äther  361. 

—  zncker  900. 
Fructoheptonsäure  785. 
Fructosecarbonsäure  785. 
Fructosen  897*,  900—903,  911. 
Fuchsinschweflige  Säure  als  Reagens  auf 

Aldehyde  393. 
Fucose  895. 

Füllmasse  (Zuckerindustrie)  938. 
Fulminate  1028. 
Fulminursäure  1028. 
fumaroid  688  Anm. 
Fumarsäure  680  ff.,  692*. 

—  Halogenderivate  der  —  735—737. 
Furazanpropionsäure  978. 

Fuselöl  164,  173. 

—  Prüfung  auf — ,  Bestimmung  des — 8  177. 


O'ährung  der  Zuckerarten  886;  geistige  172. 
(rährungen  171. 

Gährungs-amylalkohol  164;  s.  a.  Fuselöl. 
—  milchsäure  750  ff. 
Galactane  931. 


1110 


Begister. 


Galactonsäuren  783. 

Galactosecarbonsfture  785. 

Galactosen,  897*,  908—904,  912. 

Galaheptonsäure  785. 

Gasolin  136. 

GasreinigungsmaBse  1037. 

Gay-Lü88Acs  Methode  zur  Dampfdichte- 
bestimmung 88. 

Geddagummi  980. 

Geddinsäure  930. 

Gefrierpunktsemiedrigung  als  Grundlage 
der  Moleculargewichtsbestimmung  34 
— 86;  Bestimmung  der  —  47—50. 

Geissleb'b  Kaliapparat  14. 

Gelatinedynamit  601. 

Grenfer  Nomendaturcongress  1091  ff. 

Gentianose  922. 

Geranial  529. 

Geraniol  485. 

Germaniumäthyl  277—278. 

Gerstengummi  931. 

Gesätti^  Verbindungen  96. 

Geschwindigkeit  der  Esterbildung  855. 

Gingkosäure  838. 

Gluco-heptit  612. 

—  heptonsfiuren  785. 

—  heptosen  914. 

—  nonit  612. 

—  nononsäuren  786. 

—  nonose  914.  , 
Gluconsäuren  778—780. 
Gluco-octit  612. 

—  octonsäuren  786. 

—  octose  914. 
Glucosamin  947. 
Glucosecarbonsfturen  785. 
Glucosen  897*,  898—899,  903,  910. 
Giucoside  881. 
Glucuronsäure  951. 
Glutaconsäure  695. 

—  homologe  696. 
Glutamin  840. 

—  säure  840. 
Glutarsäure  640,  672  ff. 

—  anhydrid  673. 

—  diäUiylester  673. 

—  homologe  678,  676*. 

—  imid  673. 

—  nitril  673. 
Glutinsäure  697. 

Glycerin  579  ff.;  Aether  des  — s  584;  Al- 
koholate  des  — s  583;  Ester  des  — s 
584  ff.;  Haloeenhydrine  des  — s  616 — 
617;  Technologie  des  — s  598  ff. 

—  aldehyd  891. 

—  bromal  867. 

—  phosphorsäure  586. 

—  säure  774. 

—  trinitrat  585. 
Glycerose  582,  891. 
Glyceryltri-bromid  555. 

—  Chlorid  555. 


Glyceiyltrijodid  555. 
Glycid  590. 

—  acetat  591. 

—  säure  775. 

—  Verbindungen  590—591. 
Glycin  s.  Glykokoll. 
Glyko-cyamidin  1076. 

—  cyamin  1076. 
Glykogen  928. 
Glykokoll  830  ff. 

—  anhydrid  831. 

—  ester  882. 
Glykol  566. 

—  aldehyd  870. 

—  bromhydrin  616. 

—  chlorhydrin  616. 

—  chlorhydrine  448. 

—  diacetat  567. 

—  diäthyläther  567. 

—  dinitrat  567. 

Glykole    558,    561  ff.;    a —  561  ff.;    ß — 

569;  y-  u.  ö 569. 

Glykolid  747. 
Glykol-jodhydrin  616. 

—  mono-acetat  567. 
äthyläther  566. 

—  säure  746  ff. 

aldehyd  870. 

ester  748. 

—  —  homologe  755  ff. 
Glykolursäure  1Q75. 
Glykolylhamstoff  1075. 
Glykosin  846.   - 
Glykuronsäure  951. 
Glvoxal  845. 
Glyozalcarbonsäure  977. 
Glyozalin  846. 
Glyoidm  846. 
Glyoxime  850. 
Glyoxyl-essigsäure  948. 

—  Propionsäure  978. 
Gossypose  921. 
Graminin  928. 
Granulöse  925. 
Grenzkohlenwasserstoffe  95,   121  ff.,  128*; 

Nomenclatur  der  —  1092. 
Grubengas  s.  Methan. 
Grünspan  822. 
Guajol  528. 

Guanidide,  cyclische  1074. 
Guanidin  1067. 
Guanin  1089. 
Guano  1084,  1090. 
Guanyl-cyanamid  1069. 

—  guanidin  1068. 

—  hamstoff  1069. 
Guaranapaste  1088. 
Gulonsäuren  780—782. 
Gulosen  897*,  900,  910. 
Gummiarten  980. 

GuYE*s  Speculationen  über  Circularpolari- 
sation  838. 


Begister, 


1111 


Halborthooxalester  648. 
Halbrotation  882. 
Halogenalkyle  180  ff. 
Halogene,  Früfung  auf  —  9. 

—  Bestimmung  der  —  28  ff. 
Halogenhydrine  568,  614. 
Halogenide  der  S&ureradicale  844,  346  ff. 
Hammeltalg  594*. 

Hanf  942. 
Hanf51  594*. 
Harnsäure  1088. 

—  gruppe  1082  ff. 
Harnstoff  1051,  1061. 

—  bestimmung  1054. 

—  Chlorid  1058. 

—  nitrat  1054. 

—  Oxalat  1054. 
Hefe  172,  174. 
HsHi^B'sche  Zahl  598,  594*. 
Heizflüssigkeiten   für  Dampfdichtebestim- 

mangen  45. 
Hell  -  Yolhabd  -  ZEUNSKY'sche  Bromirungs- 

methode  709. 
Hemicellulosen  984. 
Heneicosan  128*,  184. 
Hentriacontan  128*,  134. 
Hepta-cosan  128*,  134. 

—  decan  128*,  134. 

—  decylamin  237*,  244. 

—  decylcyanid  296*. 
Heptan  128*,  134. 
Heptaoxypelargonsäuren  ^784. 
Heptatrion  858. 
Heptolactone  764. 
Heptonsäuren  784—786. 
Heptosen  913. 

Heptoylsfiure  s.  Oenanthylsäure. 
Heptyl-acetat  360*. 

—  alkohole    167;     normaler    149*,    167; 
tertiärer  167. 

—  amin  237*. 

—  bromid  184*. 

—  Chlorid  184*. 

—  Cyanid  296*. 
Heptylen  441*,  452. 

—  säure  507. 
Heptyl-jodid  184*. 

—  mercaptan  221*. 

—  nitrit  208*. 

—  sulfid  221*. 

—  sulfon  221*. 

—  sulfoxyd  221*. 
Het€rocyclische  Verbindungen  91. 
Hexa-äthyl-disilicat  210. 

—  —  silicium  276. 

—  bromstearinsäuren  521,  730. 

—  contan  134. 

—  decan  128*,  134. 

—  decyl-alkohol  s.  Cetylalkohol. 
amin  287*. 

—  decylen  441*,  452. 


Hexa-decylenbromid  546*. 

—  decyliden  461*. 

—  dekamethylendicarbonsäure  689,  679. 

—  diin  467. 

—  dione  852*,  855,  856* 

—  krolsäure  524. 

—  methylenamin  402. 
Hexan  128*,  134. 
Hexaoxy-caprylsäuren  784. 

—  methylenhyperoxyd  197. 

—  önanthsäuren  784—785. 

—  Stearinsäuren  521,  787. 
Hexa-saccharide  922. 

—  tetron  859. 
Hexenyl-amidin  377. 

—  amidoxinr  379. 
Hexite  908. 

Hexobiosen  915,  918—921. 
Hexonsäuren  778—784,  908. 
Hexosen  895  ff.,  907  ff. 
Hexotriosen  915,  921—922. 
Hexovl-  (Radical)  304. 
Hexyl-acetat  860*. 

—  alkohole    166;     normaler    149*,    166; 
secundärer  167. 

—  amin  287*. 

—  bromide  184*. 

—  Chloride  184*. 

—  Cyanid  296*. 
Hexylen  4411^  452. 

—  glykole  570,  571. 

—  oxyde  465,  571. 

—  säure  507. 
Hexyl-erythrite  605. 

—  Jodide  184*,  189,  608. 

—  mälonsäure  656*. 

—  mercaptan  221*. 

—  senföle  1021*. 

Hofmakn's     Methode     zur     Dampfdichte- 
bestimmung 88. 
Holz-essig  169,  343. 

—  geist  s.  Methylalkohol. 

—  gummi  931. 

—  schliff  943. 

—  Substanz  934. 

—  zucker  893. 
Homocholin  635. 
Homologie  93. 
Homopiperidinsäure  836. 
Honig  901. 

HüBLsche  Zahl  s.  Jodzahl. 
Hyänasäure  312*,  338. 
Hydantoin  1075. 

—  säui-e  1075. 
Hydracetamid  408. 
Hydracetylaceton  874. 
Hydrakrylsäure  758. 
Hydrazine  228,  247  ff. 
Hydrazin-essigsäure  845. 

—  hamstoffe  1054. 

—  säuren  844. 

—  sulfosäuren  249. 


1112 


Begister. 


Hydrazi-propionBfturemethylester  845. 
-  sfiuren  844. 

Hydrazo-dicarbon>amid  1057. 
amidin  1071. 

—  formamid  1057. 
Hydrazone  389,  392. 
Hydro-chelidoDSäare  992. 

—  muconsäuren  696. 

—  sorbinsäure  508. 
Hydrozamsfiuren  379. 
Hydrozycaffeln  1089. 
Hydrozyl-amin,    Alkylderivate    des 

228,  249  ff. 

—  gmppe,  NachweiB  der  —  64. 

—  hamstoff  1056. 
Hydravinsänre  958. 
HypogSsäore  511. 
Hypoxauthin  1090. 

Imid-basen  228. 

—  Chloride  345,  373. 
Imide  641—642. 
Imidine  641—642. 
Imido-äther  345,  374. 

—  carbamin- säure  1061. 

thiolsäure  1062,  1064— 1065.» 

—  carbon-di  thiolsäure  1065. 
thiolsäure  1065,  1066. 

—  dicarbonsäure  1060. 

—  kohlensäureäthylester  1061. 

—  nitrile  971. 
Imidsäuren  378—374. 
Imine  628. 

-in  (Endung)  97,  458,  534,  1094. 
-in-Reihe  458,  461*. 
-in-en-Reihe  467. 
Inulin  927. 
Inversion  916. 
Invertin  178. 

Invertzucker  901,  916,  918. 
Irisin  928. 
Isaconitsäure  704. 
Isäthionsäure  577. 
Iso-äpfelsäure  791. 

—  aUylentetracarbonsäureester  705. 

—  amyl-acetat  360*. 

amin  237*. 

bromid  184*. 

—  —  carbylamin  252. 

Chlorid  184'. 

disulfid  221*. 

Jodid  184*. 

—  —  malonsäure  656*. 

—  —  mercaptan*221*. 

nitrat  208*. 

nitrit  208*. 

—  —  phosphin  264*. 

Sulfid  221*. 

sulfon  221*. 

sulfoxyd  221*. 

—  barbitursäare  1080. 


— s 


Iso-bemsteinsäure  655. 

—  butan  128*,  133. 

tetracarbonsäureeetör  707. 

tricarbonsäure  702. 

—  buttersäure  311,  312*   327. 
Constitution  der  —  71. 

—  —  Halogenderivate  der  —  717*. 

äthylester  359*. 

anhydrid  352*. 

—  butyl-acetat  360*. 

alkohol  150*    162. 

amin  237*. 

—  —  bernsteinsäure  671*. 

bromid  184*. 

carbinol  150*,  164. 

carbylamin  252. 

Chlorid  184*. 

Cyanid  296*. 

disulfid  221*. 

Isobutylen  441*,  448. 
Isobutyl-fluorid  189. 

—  fumarsäure  693*. 

—  itaconsäure  693*. 

—  Jodid  184*. 

—  malonsäure  656*. 

—  mercaptan  221*. 

—  nitrat  208*. 

—  nitrit  208*. 

—  ozyessip;säure  757. 

—  phosphin  264*. 

—  senföl  1021*. 

—  sulfid  221*. 

—  sulfon  221*. 

—  sulfoxyd  221*. 

—  tartronsäure  791. 
Isobutyr  aldehyd  398*,  628. 

I  —  aldoxim  398*. 
I  —  amid  369*. 
Iso-butyron  412*. 

—  butyronitril  296*. 

—  butyronoxim  412*. 

—  butyiylchlorid  352*. 

—  caprolacton  763. 

—  citronensäure  825. 

—  crotonsäure  496  ff.,  504. 

Halogenderivate  der  —  731—733. 

dibromür  727. 

dichlorür  727. 

Isoctylensäure  508. 
Iso-cyanide  s.  Carbylamine. 

—  cyansäure  1009;  Ester  der  —  1012. 

—  cyanursäure  1030. 
ester  1032. 

—  cyclische  Verbindungen  91. 

—  dehydracetsäure  966. 

—  dialursäure  1080. 

—  dibutylen  449. 

—  dioxybuttersäure  787. 

—  dulcit  894. 
carbonsäure  784. 

—  glucosamin  948. 

—  heptylensäure  507. 


Register, 


1113 


Iso-linolensänre  521. 

—  liniusiBSäure  787. 

—  maltoee  920. 

—  maltocM>n  920. 

—  mannid  609. 

—  melamin  1033. 
Isomerie  4,  1026. 

—  djnamische  670. 
Iso-muscarin  636. 

—  nitrile  s.  Carbylamine. 

—  nitrilreaction  238. 

—  nitro-butan  260. 

pentan  260. 

propan  260. 

—  nitnNSO-acetessigester  977. 
aceton  859. 

barbitursäare  1078. 

cyanessigsäure  983. 

—  —  diacetonnitrat  410. 

fettsäoren  956. 

glutarsäure  989. 

ketone  848,  850. 

lävulinsänre  978. 

malonsäure  983. 

nitrate  444. 

propioDBäuren  950,  959. 

valeriansäure  975. 

—  SUänre  513. 

—  phoron  530. 
Isopren  466. 
Iso-propenylalkohol  483. 

—  propyl-acctat  360*. 

—  —  acetylen  461*. 

— carbonsäure  518. 

äthylen  441*,  450. 

alkohol  150*,  161. 

—  Constitution  des  —8  70. 

amin  237*. 

bemsteinsfture  671*. 

bromid  184*,  188. 

carbinol  s.  Isobutylalkohol. 

—  —  carbonsäure  s.  Isobuttersäure. 

—  —  carbjlamin  252. 

Chlorid  184*. 

Cyanid  296*. 

disulfid  221*. 

essigsaure  s.  Isovaleriansäure. 

fluorid  189. 

fumarsäure  692*. 

Jodid  184*,  188. 

Constitution  des  — s  71. 

—  —  malonsäure  656*. 

—  —  mercaptan  221*. 

nitrat  208*. 

nitrit  208*. 

oxyessigsäure  757. 

—  —  phospbin  264*. 

senföl  1021*. 

Sulfid  221*. 

sulfon  221*. 

—  Saccharin  777. 
säure  777. 


Iso-stearinsäure  338. 

—  tributylen  449. 

—  valeraldehyd  398*,  528. 

—  valeraldozim  398*. 

—  valeramid  369*. 

—  valeriansäure  812*,  330. 

Bromderivat  der  —  717*. 

äthylester  359*. 

anhydrid  352*. 

Chlorid  352*. 

isoamylester  861. 

nitril  296*. 

—  valeroi'n  873. 

—  valeron  412*. 

—  zuckersäure  912. 
Isuretin  379. 

Itabrombrenzweinsäure  738. 
Itaconsäure  689,  692*. 

—  homologe  690  ff. 
Itadibrombrenzweinsäure  738. 
Itamalsäure  799. 


Japanisches  Pflanzenwachs  337. 
Jod-acetol  545. 

—  acetylen  474. 
Jodal  867. 
Jod-allylen  474. 

—  cyan  1011. 

Jodide  der  Fettsäuren  850. 
Jod-isopropyl  s.  Isopropvljodid. 

—  methyl  s.  Methy^odid. 

—  nitromethan  625. 
Jodoform  536*,  540. 

—  reaction  159. 
Jod-propionsäureäthylester  720. 

—  propylen  472*. 

—  stärke  926. 

—  Stearinsäure  514. 

—  succinimid  662. 

—  zahl  594*,  595. 

E  640. 

k  640. 

Kakodyl,  freies  269. 

—  Chlorid  268. 

—  Cyanid  268. 

—  disulfid  268. 

—  oxyd  267. 

—  säure  268. 

—  sulfid  268. 

—  trichlorid  268. 

—  Verbindungen  267  ff. 
Kalium-calciumferrocyanid  1037. 

—  cyanat  1010. 

—  ferricyanid  1007. 

—  ferrocyanid  1007. 

—  kupfercyauür  1007. 
Kanarin  1015. 
Kartoffel-spiritus  173. 

—  stärke  925. 


1114 


Begister, 


Kernseifen  597. 
Kerosin  136. 
Ketale  882. 
Ketine  850. 
Ketipinsäure  991. 
Keto-  (Vorsilbe)  382. 

—  aldehyde  859. 

—  glutarsäuren  989. 
Ketole  872. 

Ketomalonsäureester  982. 
Ketonalkohole  872. 

Ketone  SSOflEl,  409ff.,  412%  413*. 

—  Constitution  der  —  73. 

—  Halogenderivate  der  —  867. 

—  mehrwerthige  8460?. 
Keton-säuren   953 ff.;    einbasische    955 ff.; 

zweibasische  981  ff.;  mehrbasische  995. 

—  Spaltung  des  Acetessigesters  962,  968. 
Ketosen  602,  881. 

Ketoxime  889,  41^*,  413*. 
Ketoximsäuren  956. 
Kieselessigsäureanhydrid  351. 

—  guhrdynamit  600. 

KiLum^s  Constitutionsbeweis  der  Zucker- 
arten 785. 
Kirsch-gummi  931. 

—  wasser  178. 
Klee-salz  646. 

—  säure  s.  Oxalsäure. 
Knall-erbsen  1028. 

—  natrium  1028. 

—  quecksilber  1026. 

—  säure  1025. 

—  Silber  1028. 
Knochenöl  594*. 
K(yTT8T0RFEB'sche  Zahl  593. 
Kohlen-hydrate  876ff.;  spaltbare  915ff. 

—  oxy-bromid  1041. 
Chlorid  1039. 

—  oxyd,  Oxim  des  — s  1027. 

—  oxy-jodid  1041. 
Sulfid  1046,  1049. 

—  säure,  Ami^fi.der  —  1050;  Amidine  der 

—  1066;  Ester  der  —  1042;  Haloge- 
nide der  —  1039;  Imidoäther  der  — 
1061;  Thioamide  der  —  1061. 

derivate     1039  ff.;     schwefelhaltige 

1044. 

—  Stoff,  Bestimmung  von  —  10 ff.;  Prüfung 

auf  —  7;  Valenz  des  —  s  58—60. 

atom,  Natur  des  — s  60. 

bindung,  einfache  83 — 85 ;  doppelte 

85,  429,  432 ff.,  686;   dreifache  85, 

431,  432ff. 

—  —  trithiohexabromid  1046. 

—  —  Valenzen,  räumliche  Orientirung  der 

—  79—80. 

—  wasser-stoffbromaluminium  445. 
Stoffe    121  ff.,   436 ff.;    Nomenclatur 

der  —  1092. 
Kolanüsse  1088. 
Koffer's  Verfahren  zur  Verbrennung  18. 


Korksäure  677. 

Kombranntwein  177. 

Kreatin  1077. 

Ejreatinin  1077. 

Kiystallisation  111. 

Kühler,  LiEBio'scher  99;  SoxHLEr'scher  111. 

Kunstbutter  594*. 

Kupfer-acetessigester  963. 

—  Spirale,  Vorbereitung  der  —  für  Vct- 
brennungen  17. 

Kyanalkine  299. 

Lactame  830. 
Lactarinsäure  334. 
Lactate  752. 
Lactid  754. 
Lacto-bionsäure  919. 

—  isodtronensäure  825. 
Lactone  743,  744,  760—766. 
Lactonsäuren  744,  792. 
Lactose  919. 

Lactosin  922. 
Lactoson  919. 
Lävulose  900. 
Lävulinsänre  972;  Homologe  der  —  975. 

—  äthylester  975. 

—  Chlorid  974. 

—  oxim  975. 

—  salze  975. 
Lampensäure  197. 
Lassaigne's  Sticksto£^robe  8. 
Laurin  s.  Trilaurin. 

—  aldehyd  898*. 

—  amid  369*. 

—  säure    312*,    335,    836;    Bromderivat 

der  —  717*. 

äthylester  359*. 

Chlorid  352*. 

Lauron  412*. 
Lauronitril  296*. 
Lauronoxim  412*. 
Leberthran  594*. 
Lecithine  589. 
Leim-seifen  598. 

—  süss  s.  GlykokoU. 

—  zucker  s.  GlykokoU. 
Leinöl  589,  594*. 
Leken  139. 

Leucin  834. 

—  säure  758. 
Leukazon  258. 
Lichenin  927. 

Lisbbk's  Jodoformreaction  159. 
LiEBio's  Kugelapparat.  12. 
Lignin  934. 
Lignocerinsäure  312*,  338. 

—  äthylester  359*. 

—  Chlorid  352*. 

Ligroin  136.  ^ 

Linalool  485. 
Links-milchsäure-  752. 


Begister. 


1115 


Linksweinsäure  801,  806—807. 
Linolensäure  521. 

—  hexabromid  780. 
Linolsäure  520. 

—  tetrabromid  780. 
LinusinsSure  787. 

Lippicann    u.    Fleischeb's   Verfahren    zur 

Verbrennung  18. 
Liquor  aluminii  acetici  323. 
Lorbeerfett  589. 
Ljcopodiumölsäure  511.    ' 
Lysatin  1078. 
Lysatinin  1078. 

« 

Magnesium,  Alkyl Verbindungen  des  —  s  283. 

Maische  174. 

Maischraumsteuer  171. 

Malate  796. 

maleiiioi'd  688  Anm. 

Maleinsäure  680 ff.,  692*. 

—  Halogenderivate  der  —  735—737. 
Malonamid  654. 

Malonitril  654. 
Malonsäure  640,  649  ff. 

—  Halogenderivate  der  —  733. 

—  Homologe  der  —  654ff.,  656*. 

—  ester  651,  653. 
Malonyl-chlorid  653. 

—  harnitoff  1078. 
Malto-bionsäure  920. 

—  dextrin  929. 
Maltose  919,  941. 
Mandelöl  589,  594*. 
Mannid  609. 

Mannit  (c^-Mannit,  gewöhnlicher  Mannit) 

607,  619. 
i-Mannit  609. 
/-Mannit  609. 
Mannitan  608. 
Mannite  607  ff.,  911. 
Mannit-hexa-acetat  608. 

nitrat  608. 

Mannitose  607. 
Manno-heptit  611. 

—  heptonsäuren  785. 

—  heptose  914. 

—  nononsäure  786. 

—  nonose  914. 
Maunonsäuren  778 — 780. 
Manno-octit  612. 

—  octonsäure  786. 

—  octose  914. 
Mannosecarbonsäure  785. 
Mannosen  896—898,  897*,  903,  911. 
Mannozuckersäuren  819,  911. 
Margarinsäure  312*,  338. 

—  nitril  296*. 
Mehrdrehung  882. 
Mehrfache  Bindung  432  ff. 
Melam  1035. 

Melamin  1032. 


Melampyrin  610. 
Melanurensäure  1035. 
Melasse  939. 
Melassenspiritus  178. 
Melebiose  921. 
Melebiotit  922. 
Meiern  1035. 
Melen  452. 
Meletriose  921. 
Melezitose  922. 
Melissinsäure  812*,  389. 

—  äthylester  859*. 
Melitose  921. 
Mellon  1035. 

—  kalium  1036. 

—  wasserstofisäure  1035. 
Menthen  466. 
Mercaptale  888,  572. 
Mercaptane  211,  213ff. 

—  zweiwerthige  571. 

—  Nomenclatur  der  —  1095. 
Mercaptansäuren  745. 
Mercaptide  214. 
Mercaptole  388,  572. 
Merotropie  1025  Anm.  2. 
Mesaconsäure  689,  692*. 

—  homologe  690  ff. 
Mesadibrombrenzweinsäure  738. 
Mesitonsäure  976. 
Mesityloxyd  411,  529,  530. 
Meso-  (Vorsilbe)  666. 

—  Weinsäure  s.  An  ti Weinsäure.    • 
Mesoxalsäure  793,  981. 
Mesoxalylhamstoff  1078. 
Metacetonsäure  s.  Propionsäure. 
Meta-formaldehyd  400. 

—  krolei'n  524. 
Metaldehyd  406. 

Metallorganische  Verbindungen  281  ff. 
Meta-merie  190. 

—  pectinsäure  930. 

—  Saccharin  777. 
säure  777. 

—  Weinsäure  803. 

—  zuckersäure  819. 
Methakrylsäure  496,  504. 

—  Halogenderivate  der  —  739. 
Methan  121,  128*,  130. 

—  dicarbonsäure  s.  Malonsäure. 

—  disulfosäure  576. 

—  reihe  121  ff. 

—  tricarbonsäure  698. 
Methazonsäure  260. 
Methenyl-  (Radical)  345,  534. 

—  amidin  377. 

—  amidoxim  379. 

—  halogenide  537  ff. 

—  tricarbonsäure  698. 
Methionsäure  576. 
Metho-  (Vorsilbe)  1093. 
Methoxylamin  250. 
Methyl-  (Radical)  121. 


1116 


Begister. 


Methyl-acetamid  369*. 

—  acetat  360*. 

—  aceteBsigsfiureäthylester  970. 

—  acetylen  480. 

—  acetylhamstoff  1055. 

—  ftpfelsäuren  798. 

—  äthyl  s.  Propan. 
äther  193*. 

—  Consütutioii  des  — s  66. 

äthylen  441*,  449,  450. 

akrolein  481,  526,  527,  528*. 

akrylsäure  527. 

—  —  bemsteinsäuren  671*. 

carbinol  s.  Butylalkohol,  secundSrer. 

—  äthylen  447. 

—  äthyl-essigsäure  312*,  831,  506. 

Halogenderivate  der  —  717*,  728. 

glatarsäore  676*. 

ketol  873. 

keton  413*,  531. 

ketoxim  413*. 

.malei'nsfture  692*,  694. 

malonsäure  656*. 

ozyessigsäure  757. 

—  akrylsfturen  496. 
Methylal  560*,  561. 
Methyl-alkohol  142,  143,  149*,  154,  169. 

—  allen  464. 

—  allylbemsteinBäuren  693*,  694. 

—  amin  237*,  241. 

—  amylketon  413*. 

—  arsen-dichlorid  270. 

oinrd  270. 

sulfid  270. 

tetra-chlorid  270. 

Jodid  270. 

—  arsinsäure  270. 

—  azomethylen-carbonsftureester  844. 
dicarbonsäureester  844. 

—  bernsteinsäure  665,  671*. 

—  brenztraubensäure  960. 

—  bromid  184*. 

—  bntyl-carbinol  s.  Hexylalkohol,  secim- 

därer. 

keton  413*. 

ketoxim  413*. 

—  carbaminsftiirechlorid  1058. 

—  carbinol  s.  Aethylalkohol. 

—  carbonimid  1013. 

—  carbylamin  252. 

—  Chlorid  184*,  187. 

—  Chloroform  554. 

—  Cyanid  296*. 

—  decylketon  413*. 

—  diacetamid  373. 

—  diätiiylmethan  128*. 

—  dichloramin  242. 

—  dijodamin  242. 

—  disulfid  221*. 

—  dodecylketon  413*. 
Methylen-bromid  535,  536*. 

—  bromojodid  536*. 


Methylen-chlorid  535,  536*. 

—  chlorobromid  536*. 

—  chlorojodid  586*. 

—  Cyanid  654. 

—  diacetat  560*. 

—  dimethylsalfon  421. 

—  disnlfosftnre  576. 

—  essigsaure  495. 

—  halogenide  535  ff. 
Methylenitan  402. 
Methylen-jodid  536*,  537. 

—  malonsäure  679. 

—  mercaptan  421,  571. 
Methyl-essigsäure  s.  Propionsäure. 

—  fluorid  189. 

—  formamid  369*. 

—  formylessigester  951. 

—  glutarsäuren  676*. 

—  glycerinsäuren  786—787. 
--  glyozal  859. 

carbonsäure  977. 

—  glyoxim  859. 
carbonsäure  977. 

—  glyozylsäure  s.  Brenztraubensäure. 

—  guanidin  1068. 

—  hamstoff  1054. 

—  heptadecylketon  413*. 

—  heptadion  852*. 

—  hexadecylketon  413*. 

—  hexadione  852*   856*. 

—  hexyl-carbinol   s.  Octylalkohol,  secun- 

därer. 

keton  413*. 

ketoxim  413*. 

—  hydantoin  1076. 
säure  1076. 

—  hydrazin  249. 
carbonsäure  845. 

—  hydroxylamin  250. 

—  hypochlorit  201. 

—  iso-amylketon  418*. 
butylketon  413*. 

—  —  —  sulfonsäure  530. 

—  —  cyanat  1018. 

propyl-carbinol  150*,  166. 

■-  keton  413*. 

ketoxim  413*. 

malonsäure  656*. 

—  isoxalon  964. 

—  itaconsäure  692*. 

—  Jodid  184*,  187. 

—  Jodoform  554. 

—  ketol  872. 

—  lävulinsäuren  975. 

—  malonsänren  656*. 

—  mercaptan  215,  221*. 

—  methylenessigsäure  496. 

—  ni tramin  242. 

—  nitrat  207. 

—  nitrit  208*. 

—  nitrolsäure  260. 

—  nonyl-carbinol  168. 


Begister. 


1117 


Methyl-nonyl-keton  413*,  419. 
ketoxim  413*. 

—  octylketon  413*. 

—  paraconsfiure  490. 

—  pentadecylketon  413*. 

—  pentadion  852*,  856*. 

—  pentons&uren  776. 

—  phosphin  264*. 
säure  265. 

—  propiolsäure  517. 

—  propyl-carbinol  150*,  166. 

—  —  glutarsänren  676*. 
keton  413*. 

—  —  malonsftnre  656*. 

—  rhodanid  1017. 

—  schwefelsaure  204. 

—  selenid  226. 

—  senföl  1021.* 

—  Buccinimid  662,  975. 

—  sulfid  221*. 

—  Bulfon  221*. 
säure  223. 

—  tartronsäure  791. 

—  tetra-decylketon  413*. 
Bulfid  220. 

—  theobromin  1088. 

—  thialdin  425. 

—  tricarballylsäuren  702. 

—  tridecylketon  413*. 

—  trisulfid  220. 

—  undecylketon  413*. 

—  uracil  1080. 

—  Weinsäure  814. 

—  wismuthoxyd  274. 

Meter's  Mel^ode  zur  Dampfdichtebeötim> 
muBff  durch  Metallvenlrängung  40, 
durch  Luftverdrängung  48. 

Milchsäure-anhydrid  753. 

—  ester  754. 

—  gährung  750. 
Milch-Säuren  750ff.,  758. 

—  zucker  919. 

Molecularge wichtsbestimmung,  Theorie  der 

—  29ff.;  Praxis  der  —  36ff. 
Mono-äthylthiohamstoff  1064. 

—  äthylin  584. 

—  alkyl-carbonate  1043. 

phosphinsäuren  265. 

phosphorsäuren  209. 

—  brom-acet-aldehyd  867. 

— essigester  968. 

akrylsäuren  731. 

—  —  bemsteinsäure  734. 

butterßäure  717*,  720. 

-—  —  caprinsäure  717*. 
capronsäure  717*. 

—  -  caprylsäure  717*. 

cerotinsäure  717*. 

crotonsäuren  731—733. 

essigsaure  712,  716. 

—  —  fumarsäure  737. 
hydrin  616. 


Mono-brom-iso-buttersäure  717*. 

crotonsäure  731—733. 

valeriansäure  717*. 

laurinsäure  717*. 

maleYnsäure  737. 

—  —  malonsäure  734. 

methyläthylessigsäure  717*. 

myristinsäure  717*. 

önanthsäure  717*. 

palmitinBäure  717*. 

Propionsäure  717*,  720. 

Stearinsäure  717*. 

^^  valeriansäure  717*,  720. 

Monochlor-akrylsäuren  731. 

—  acetal  862. 

—  acetessigester  967. 

—  äther  198. 

—  aldehyd  862. 

—  behensäure  721. 

—  bemsteinsäure  734. 

—  buttersäure  720. 

—  crotonsäuren  731—733. 

—  essigsaure  712,  714. 

—  fomarsäure  786. 

—  hydrine  616,  617. 

—  isocrotonsäuren  731—733. 

—  malei'nsäure  736. 

—  malonsäure  733. 

—  methyläther  613. 

—  milchsäure  755. 

—  Propionsäure  720. 
Monoformin  586. 
Monojod-acetaldehyd  867. 

—  akiT^lsäure  731. 

—  buttersäuren  720. 

—  essigsaure  712,  716. 

—  Propionsäure  719. 
Mono-natriumglycerat  588. 

—  saccharide  877,  880  ff. 

—  thio-äthylenglykol  576. 

—  —  carbaminsäuren  1065. 
kohlensauren  1048. 

Muco-bromsäure  951. 

—  Chlorsäure  951. 
Muconsäure  696. 
Murexid  1082. 
Muscarin  946. 
Muskatbutter  589,  594*. 
Mycose  920. 

Myricin  362. 
Myricyl-alkohol  168. 

—  Cyanid  296*. 

—  mercaptan  221*. 
MyrisHn-aldehyd  398*. 

—  aldoxim  398*. 

—  amid  369*. 

—  säure  312*,  335,  336. 

—  —  Bromderivat  der  —  717*. 
äthylester  359*. 

chlürid  852*. 

Myriston  412*. 


1118 


Register. 


MjriBtonitril  296*. 
Myristonoxim  412*. 

Naphtene  137. 
Natracetessigeater  963. 
Natrium-äthylat  160. 

—  bisalfitverbindangen  der  Aldehyde  and 
Ketone  387. 

—  malonsfiareester  652,  653. 
Neurin  478,  634. 
Nitrilbasen  228. 

Nitrile  der  Fettsäuren  292  ff. 
Nitro-acetonitril  1027. 

—  äthan  260. 

—  Äthylalkohol  625. 

—  amine  239. 

—  barbitursäure  1078. 

—  butane  260. 

—  cellulose  933,  944. 

—  dimethylamin  1055. 

—  essigsaure  826. 

—  form  623. 

—  glycerin  585,  600. 

—  ffaanidin  1070. 

—  namstoffe  1054. 

—  hydantoin  1075. 
Nitrolsfturen  257. 
Nitro-mannit  608. 

—  methan  260. 

—  octan  260. 

—  Paraffine  253  ff. 

—  propan  260. 

—  Propionsäure  826. 

—  prussidnatrium  1007. 
Nitroso-amine  232,  238—239. 

—  diäthylin  244. 

—  hamstoffe  1054. 

—  paraldimin  408. 

—  triaoetonamin  417. 
Nitro-Btftrke  926. 

—  uracii  1080. 

carbonsfiure  1080. 

—  Verbindungen  229,  253  ff. 

—  Weinsäure  806. 

Nomenclatur,  neuere  Vorschläge  zur  Be- 
form der  -   1091  ff. 

—  congress,  Genfer  1091  ff. 
Nonadecan  128*,  134. 
Nonan  128*,  134. 
Nondecylsäure  312*. 
Nono-düacton  793. 

—  lacton  764. 
Nonosen  913. 

Nonylalkohol,  normaler  149*,  168. 
Normale  Verlsindungen  90. 
Nucleme  1087,  1090. 

Obstbranntwein  178. 
Oeta-decan  128*,  134. 

—  decylalkohol  149*,  168. 


Octa-decylen  441*,  452. 
bromid  546*. 

—  decyliden  461*. 

—  dion  858. 
Octan  128*. 

—  tetradekacarbonsäureester  708. 
Octatetron  859. 
Octenylglycerin  592. 
Octo-acetylsaccharose  918. 

—  chloraoetobuttersäare  976. 

—  decyl-acetat  360*. 
palmitat  360*. 

—  lactone  764. 
Octosen  913. 
Octyl-acetat  360*. 

—  alkohole  167;  normaler  149*,  167;  aecun- 
därer  167. 

—  amin  237* 

—  bromid  184*. 

—  Chlorid  184*. 

—  Cyanid  296*. 
Octylen  441*,  452. 
Octyl-erythrite  605. 

—  Jodid  184*. 

—  nitrit  208*. 

—  phosphin  264*. 

—  senfm  1021*. 

—  Sulfid  221*. 

Oel  der  holländischen  Chemiker  550. 
Oelbildendes  Gas  437,  446. 
OelbUdner  437. 

Oele,  fette  588 ;  nichtrocknende  und  trock- 
nende 589,  594*;  Technologie  592  ff. 
Oelgas  139. 
Oelsäure  511. 

—  reihe  487  ff. 
Oelsänren,  trocknende  520. 
Oelsüss  8.  Glycerin. 
Oenanth-  333. 

—  äther  333. 

—  aldehyd  398*,  408. 

—  aldoxim  398*,  409. 

—  amid  369*. 

Oenanthol  s.  Oenanthaldehyd. 
Oenanthon  412*. 

Oenanthsäure  s.  Oenanthylsäure. 
— ,  Bromderivat  der  --  717*. 

—  äthylester  359*. 

—  anhydrid  352*. 

—  nitril  296*. 
Oenanthyliden  461*. 
Oenanthylsäure  312*,  $33. 
-ol  (Endung)  1095. 
Olefine  437. 

Ole'in.  8.  Triole'in. 

"^—  fläuire  ^11 

-olid  (Endung)  760,  1096. 

Olivenöl  589,  594*. 

-on  (Endung)  97,  882,  534,  848. 

Optisches  Drehungsvermö^en,  ZusamiööD- 

hang  des  —  mit  räumlicher  Atomaoord- 

nung  77—82. 


^ 


// 


Register. 


1119 


Organometalle  281. 
Orßans-Verfahren  840. 
OrthoameiBensftureester  868. 

—  kohlensfiure-ester  1048. 
äthylester  1043. 

—  silico-essigftther  276. 

—  —  propionsänreester  277. 
Osamine  885,  947. 
Osazone  850. 

—  der  Znckerarten  883—885. 
-ose  (Endung)  878.. 

Osmose  (Melasseentzuckerang)  939. 
Osmotischer  Druck  82. 
Osone  885. 
Ozal-amidoxim  647*. 
Oxalate  646. 
Ozal-bemsteiusäureester  995. 

—  essi^äure  984. 

—  imid  649. 

—  imidofithyläther  647*. 

—  säure  640,  644  ff. 

derivate  646  ff.,  647*. 

Oxalursäure  1075. 
Oxalyl-diaceton  859. 

—  hamstoff  1074. 
Oxamäthan  647*,  648. 
Oxamid  648. 
Oxaminsäure  647*,  648. 
Oxetone  762,  875. 
Oxime  389  ff. 
Oximido-ätherbemsteinsäuren  985. 

—  bemBteinsILuren  985. 

—  buttersäure  964. 

—  essigsaure  949. 

—  Fettsäuren  956. 

—  glutarsäure  989. 

—  Propionsäure  950,  959. 
Oxomalonsäureester  982. 
Oxy-aceton  872. 

—  adipinsäuren  817—821. 

—  äthylidenpropionsäure  789. 

—  akiylsäure  788. 

—  äthyl-amin  634. 

—  —  dimethylamin  634. 

—  —  maloDsäure  792. 
phosphinsäure  394. 

—  akrylsäureester  950. 

—  behensäuren  787. 

—  bemsteinsäure  794. 

—  brenztraubensäure  960. 

—  buttersäuren  756—757,  759,  775- 
786—787. 

—  butyraldehyd  870. 

—  capronsäuren  757,  766,  776—784. 

—  caprylsäure  758,  784. 

—  cbolin  636. 

—  citraconsäure  814. 

—  citronensäure  825. 

—  crotonsäure  962. 

—  glutarsäuren  815—817. 

—  nexandisulfosäure  528. 

—  isobuttersäuren  757,  776. 


776, 


Oxy-isovaleriansäuren  757. 

—  lactone  767,  972. 

—  malonsäure  790. 

—  metbakrylsäureester  951. 

—  methansulfosäure  577. 

—  metbylen  400. 
aceton  861. 

—  —  propion  861. 

—  metnylglutarsäure  815. 
SHlfosanres  Natrium  404. 

—  myristinsäure  758. 

—  nitrile  741. 

—  Ölsäure  789. 

—  önanthsäuren  759,  784—785. 

—  Palmitinsäure  758. 

—  pelarffonsäuren  784. 

—  pentaldin  408. 

—  pentinsäure  691. 

—  phosphinige  Säuren  394. 

—  phosphinsäuren  394. 

—  Pimelinsäuren  821 — 822. 

—  propantriearbonsäuren  822—825. 

—  Propionsäuren  750  ff.,  758,  774. 

—  propylmalonsäure  798. 

—  säuren  740  ff. 

—  Stearinsäuren  513,  758,  766,  787. 

—  sulfosäuren  577. 

—  tetraldin  408. 

—  tetrinsäure  691. 

—  trialdin  408. 

—  tricarballylsäure  s.  Citronensäure. 

—  tricarbonsäuren  822—824. 

—  trimethylglutarsäure  815. 

—  uracil  1080. 

—  valeriansäuren  757,  776. 
-oyl  (Endung)  304. 
Ozokerit  139. 


Palmitin  s.  Tripalmitin. 

—  aldehyd  398*. 

—  amid  369*. 

—  säure  312*,  335,  336. 

Bromderivat  der  —  717*. 

anhydrid  352*. 

Chlorid  852*. 

ester  359*,  360*,  361,  362. 

Palmiton  412*. 
Palmitonitril  296*. 
Palmitonoxim  412*. 
Palmöl  589,  594*. 
Papierfabrikation  942. 
Para-  (Vorsilbe)  666. 
Parabansäure  1074. 
Paraconsäure  799. 
Paracyan  999,  1029. 
Paraffin  138. 
Paraffine  121  ff.,  128*. 
Paraformaldehyd  399. 
Parapaythee  1088. 
Paraldehyd  405. 


1120 


Register, 


Paraldimin  408. 
Para-milchsäure  752. 

—  Weinsäure  s.  TraubensAore. 

—  zanthin  1088. 
Pariserblau  s.  Berlinerblau. 
Pektin-stoffb  931. 

—  zucker  892. 
Pelargon-amid  369*. 

—  säure  312*,  333. 
äthylester  359*. 

—  —  anhydrid  352*. 

Chlorid  352*. 

nitril  296*. 

Penta-acetylfructose  901. 

—  chloräther  198. 

—  chlorglutarsäure  976. 

—  decan  128*,  134. 

—  decylcyanid  296*. 

—  decylsäure  312*. 

—  dione  852*,  856*. 

—  erythrit  605. 

—  methyl-äthol  167. 
arsen  272. 

—  methylen-bromid  552. 

diamin  630. 

glykol  571. 

Pentan  128*,  133. 

—  octocarbonsäureester  708. 

—  tetracarbonsäureester  707. 

—  tricarbonsäure  703. 
Penta-oxycapronsäuren  778—784. 

—  ozyönanthsäure  784. 

—  ozypimelinsäuren  821—822. 

—  triacontan  128*,  134. 
Pentene  449. 
Pentenylglycerin  592. 
Pentinsäure  970. 
Pentite  906,  912. 
Pentonsäuren  776,  905. 
Pentosen  891—895,  905,  911. 
Pentoyl-(Radical)  304. 
y-Pentylen-bromid  552. 

—  glykol  570. 

—  oxyd  570. 
Pentyl-hexylakrolein  527,  528*. 

—  malonsäure  656*. 

—  pentadion  856*. 
Peptochondrin  953. 
Perbrom-äthan  556. 

—  Äthylen  557. 
Perchlor-äthan  556. 

—  ätber  198. 

—  äthylen  557. 

—  methan  541. 

—  raethyl-äther  613. 
formiat  1043. 

—  —  mercaptan  215,  1047. 

—  perthiokonlensäuremethylester  1047. 

—  propan  557. 

—  thioameiseusäuremethylester  1047. 
Pergamentpapier  933. 
PERKiN'sche  Reaction  489. 


Perseit  611. 
Persulfocyansäure  1014. 
Petroleum  136;  deutsches  139. 
Petroleum-äther  136. 

—  benzin  136. 
Pfirsichgummi  931. 
Pflanzen-Säuren  740. 

—  schleime  930. 
Pflaster  338,  598. 
Phenyl-akrosazon  902. 

—  erythrosazon  891. 

—  glucosazone  897*,  897,  898,  899,  901. 

—  glycerosazon  891. 

—  lactosazon  919. 

—  inaltosazon  920. 
PhleXn  928. 
Phlorobromin  870. 
Phoron  411,  529,  530. 
Phoronsäure  993. 
Phosgen  1039. 
Phosphine  260  ff. 
Phosphin-oxyde  265—266. 

—  säuren  265. 

—  Sulfide  263. 

Phosphoniumverbindungen  260  ff. 
Phosphor,  Alkylyerbindungen  des  —s  260. 
Photogen  139. 

Phycit  603. 

Physetölsäure  511. 

Picolin  524. 

Pimelinsäure  677. 

Pinakolin  419. 

Pinakoline  419,  565. 

Pinakon  568. 

Pinakonchlorhydrin  568. 

Pinakone  387,  562. 

Pinakonhydrat  568. 

Piperidinsäure  836. 

Piperylen  466. 

PiSTORiüs'   Apparat   zur   Destillation  'ier 

Branntweinmaische  175. 
plansymmetrisch  86. 
Pluszucker  921. 
Poly-äthylenalkohole  567. 

—  glvcerine  591. 

—  glykolid  747. 

—  merie  97. 

—  saccharide  877,  915  ff. 

—  Sulfide  219. 
Propadien  463. 
Propan  121,  133. 

—  Constitution  des  — s  61. 

—  pentacarbonsäureester  708. 

—  tetracarbonsäureester  705,  706. 

—  tricarbonsäure  700. 

—  triol  s.  Glycerin. 

—  trioxim  860. 
Propargyl-  (Radical)  474,  484. 

—  acetat  484. 

—  äthyläther  516. 

—  alkohol  488. 

—  amin  484. 


Register. 


1121 


Propargyl-bromid  474. 

—  Chlorid  474. 

—  Halogene  474. 

—  Jodid  474. 
^-. säure  516. 
Propen  447. 

—  dicarbonsäaren  s.  Aethjlidenmalon- 
säore,  Ita-,  Citra-  und  Mesaconsäure, 
Glutaconsäure. 

—  tetracarbonsäureester  707. 
Propenyl-  (Radical)  345,  534. 

—  amidin  377.- 
Propin  460. 

—  carbonsäure  517. 
Propiolsäure  516. 

—  reihe  515. 
Propion  412*. 

—  aldoxim  398*. 

—  aldehyd  398*. 

—  amid  369*. 
Propionitril  296*. 
Propionondicarbonsäure  992. 
Propion-oxim  412*. 

—  säure  311,  312*,  324,  343. 
Constitution  der  —  69. 

Halogenderivate  der  —   717*,  719, 

720,  721,  722. 

anhydrid  352*. 

äthylester  359*. 

Propionyl-  (Radical)  804. 

—  ameisensäure  960. 

—  bromid  349. 

—  Chlorid  352*. 

—  propion-aldehyd  861. 

Säureester  971. 

Propyl-  (Radical)  121. 

—  acetat  360*. 

—  acetylen  461*. 
carbonsäuro  518. 

—  äthylen  449. 

—  alkohol,  Constitution  des  — s  70. 

—  alkohole  150*,  160;  normaler  149*, 
150*,  160—161;  secundärer  s.  Isopropyl- 
alkohol. 

—  amin  237*. 

HalOjgenderivate  des  — s  631. 

—  bemsteinsäure  671*. 

—  bromid  184*. 
-  Chlorid  184*. 

—  Cyanid  296*. 

—  disulfid  221*. 
Propylen  430,  441*,  447. 

—  (Radical)  534. 

—  bromid  546*,  547. 

—  Chlorid  546*. 

—  glykol  481,  568. 

—  Jodid  550. 
~  oxyd  568. 

—  pseudo-thioharnstofF  1064. 
Propyl-essigsäure  s.  Valeriansäure. 

—  fluorid  189. 

—  fumarsäure  692*. 

V.  Mbyvr  u.  Jaoobsok  ,  org.  Chera.    I. 


Propylcarbonsäure  s.  Buttersäure. 
Propyliden-  (Radical)  534. 

—  essigsaure  505. 
Propyl-itaconsäure  693*. 

—  Jodid  184*. 

—  —  Constitution  des  — s  71. 

—  malei'nsänre  692*. 

—  malonsäure  656*. 

—  mercaptan  221*. 

—  nitrat  208*. 

—  nitrit  208*. 

—  nitrolsäure  260. 

—  oxyessigsäure  757. 

—  pseudonitrol  260. 

—  senföl  1021*. 

—  Sulfid  221*. 

—  sulfon  221*. 

—  sulfoxyd  221*. 
Protagon  590. 

Prussianring  s.  Tricyanring. 
Pseudo-formen  1025. 

—  nitrole  258. 

—  schwefelcyan  1015. 
Purinverbindungen  1086. 
Purpursäure  1082. 
Putrescin  630. 
Pyknometer  118. 
Pyro-cinchonsäure  692*,  694. 

—  tritarsäure  958. 
Pyrrolylen  465. 

Quecksilber,  Alkylverbindungen  des  — ? 

285  ff. 
— •acetamid  370. 

—  äthyl  287. 

—  allyljodid  470,  482. 

—  mercaptide  214,  216. 

—  methyl  287. 

Racemate  808. 

Racemische  Modificationen  808. 

Radical  53. 

Radicale,  Nomenclatur  der  —  1097. 

Radicaltheorie  53. 

Raffinade  (Zuckerindustrie)  939. 

Raffinose  921. 

Rangoontheer  138. 

Raoült's  Methoden  der  Moleculargewichts- 

bestimmung  34. 
Rapinsäure  790. 

Reblausbekämpfuiig  1045,  1050. 
Rechts-milchsäure  752. 

—  Weinsäure  801—806. 
Refractometer  118. 
REicHEBT-MEissL'sche  Zahl  594*,  595. 
Reversion  916. 

Rhamnit  606. 
Rhamno-heptonsäurcn  784. 
— -  hexit  611. 

—  hexonsäure  784. 

71 


1122 


Begister. 


Rhamnohezose  904. 
RhamnoDSftnre  776. 
Rhamnooctonsäure  784. 
Bhsmnose  894,  912. 

—  carbonsäure  784. 
Rhodan-  (Radical)  1016. 

—  ammonium  1015,  1037,  1038. 

—  aceton  1016. 

—  aluminiam  1038. 

—  barium  1038. 

—  essigsfture  1018. 

—  kaHum  1015. 

—  kupfer  1016. 

—  quecksilber  1016. 

—  salze  1015,  1038. 

—  Silber  1016. 

—  wasserstofisäure  1014. 
Ribonsäure  776. 
Ribose  893,  912. 
Ricinela'idinsfture  790. 
Ricinsäure  790. 
Ricinusol  594*. 

—  säure  789. 
Rindertalg  589,  594*. 

'Ringschliessung,    vom   stereochemischen 
Standpunkt  aus  betrachtet  642—643. 
Röstgummi  941. 
Rohrzucker  918,  985. 
Rubeimwasserstoff  649. 
Rübenspiritns  178. 
Rüböl  589,  594*. 
Rum  178. 

Saccharate  883,  918. 
Saccharin  777. 

—  säure  776. 
Saccharomyces  172. 
Saccharose  918. 

Saftmelis  (Zuckerindustrie)  939. 

Sago  940. 

Sarkin  1090. 

Sarkosin  831. 

Sativinsäure  520,  787. 

Sauerstoff,  Bestimmung  von  —  27. 

— ,  Valenz  des  — s  58. 

—  äther,  leichter  s.  Acetaldehyd. 
Säure-amide  345,  365ff. 

—  anhydride  344,  350,  352*. 

—  bromide  349. 

—  Chloride  346  ff.  852*. 

—  derivate  344. 

—  dextrin  942. 

—  Jodide  350. 

—  Spaltung  des  Acetessigesters  962,  969. 

—  zahl  593. 
Scheelisiren  599. 
Scheide-pfannen  (Zuckerindustrie)  937. 

—  schlämm  (Zuckerindustrie)   938. 

—  trichter  107. 
Schiessbaumwolle  944. 
Schleimsäure  820—821,  912. 


Schlempe  170,  175. 

Schmelzpunkt,   Bestimmung  des  —  s  114. 

Schmierseifen  598. 

Schnellessigverfahren  341. 

Schweelkohle  138. 

Schwefel,  Bestimmung  des  — s  23  ff. 

— ,  Prüfung  auf  —  9. 

—  äther  s.  Diäthyläther. 

—  hamstoff  s.  Thiohamstoff. 

—  kohlenstoff  1044. 

—  —     moleculare    Siedepunktserhohung 
für  —  52. 

Schweinefett  589,  594*. 
Schweinfurter  GrOn  822. 
Sebacinsäure  678. 

Secundärbutylcarbiuol  150*,  164,  165. 
Seifen  337. 

—  Gewinnung  der  —  597—598. 
Seignettesalz  804. 

Selenide  226. 
Selenin-säuren  226. 

—  Verbindungen  226. 
Selen-oxyde  226. 

—  Verbindungen  der  Alkylreste  226. 
Semicarbazide  1054. 

Seminose  896. 

Senfole  1018. 

Senfolprobe  A.  W.  Hofmann^s  238. 

Sepin  635. 

Septdecyl-amin,  s.  Heptadecylamin. 

—  senfol  1021*. 
Serin  833. 

Siedepunkt,  Bestimmung  des  —  s  116. 
Silber-cyanat  1010. 

—  spiegelreaction  auf  Aldehyde  393. 
Silicium,  Alkylverbindungen  des  — s  274. 

—  tetra-äthyl  276. 

methyl  276. 

Silico-heptan  276. 

—  heptyl-alkohol  276. 
oxyd  277. 

—  nonan  274—275,  276. 

—  nonyl-alkohol  276. 

Chlorid  276. 

essigester  276. 

—  Propionsäure  277. 
Sinkalin  634. 
Sliwowitz  178. 
Solaröl  139. 
Sorbin  903. 

Sorbinose  897*,  903,  912. 
Sorbinsäure  518. 
Sorbite  610,  908,  911. 
Spannungstheorie  Bayerns  435. 
Specifisches  (Gewicht,  Bestimmung  des  — 

von  Flüssigkeiten  118. 
Speiseessig  840. 
Spiritus,  Besteuerung  des  —  s  171. 

—  brennerel  170  ff.;   s.  a.  Aethylalkobo/. 
Sprenggelatine  601. 

Stachyose  923. 
Stalagmometcr  158. 


1123 


Slirke  924«  »40. 

—  cellalose  925. 

—  gamnu  941. 

—  kleister  926. 

—  schwefdsiaren  926. 

—  xacker  941. 
Stearin  s.  Tristearin. 

—  mldehyd  398*. 

—  amid  369*. 

—  kenenfabrikadon  595 — 597. 

—  saure  312*,  335,  336. 

Halogenderivate  der  —  717*,  721, 

730. 

fithjlester  359*. 

Chlorid  352*. 

—  schwefelsSnre  512. 
Stearolsänre  519. 
Stearon  412*. 
Stearonitril  296*. 
Stearonoxim  412*. 
Stearozylsäore  519,  979. 
Steinöl  &  ErdöL 

Stereochemie    der    mehrfachen    Bindung 

433  £ 
Stereochemische  Theorien  76  ff. 
Stibine  272. 
Stibinoxjde  272. 
Stiboniiunverbindongen  272. 
Stickstoff,  Prüfung  auf  —  8. 
— ,  Stereochemie  des  — s  88,  247. 

—  bestimmnng,  volumetrische  19  ff.;  Me- 
thode von  Will  o.  Yariientrapp  22; 
Methode  von  Kjbldahl  23. 

Stroutianverfahren    zur   Melasseentzucke- 

nmg  940. 
Structurtheorie  57  ff. 
Suberon  677. 
Succin-aldozim  846. 

—  amid  661. 

—  amidin  662. 

—  aminsänre  661. 
Succinate  659. 
Succin-imid  661. 

—  imidin  662. 
Succinyl-  (Badical)  659. 

—  Chlorid  659. 
SalfhydrylBäuren  745. 
Sulfidsäuren  745. 
Sulfin-säuren  225. 

—  Verbindungen  212,  217  ff. 
Sulfo-cyanursäure  1032. 

—  essigsaure  749. 

—  hamstoff  s.  Thiohamstoff. 

—  isocyannrsäureester  1082. 
Sulfonal  573. 
Sulfon-carbonsfturen  745. 

—  diessigsäure  749. 
Sulfone  212,  220. 
Salfonsfturen  212,  220. 
Sulfoxjde  212,  220. 
Sulfiirane  575. 
Sumpfgas  8.  Methan. 


Sumpfgasreihe  121  £ 

Saperoxvde  der  Saoivnwlicalo  3>l» 

Talgarten  5SS.  592. 
Talonsfture  784. 

Talosrhleimsiure  820—821,  912. 
Talo«e  S97*,  904,  912. 
TaitralsSnre  803. 
Taitrate  804—805. 
TartrelsSare  803. 
Taitronsfture  790,  791. 
TaitronvUuumstoff  1078. 
Taorin  636. 
Tautomerie  1024. 
TeUuride  227. 
Tellur-oxyde  227. 

—  Verbindungen  der  Alkylreste  227, 
Teraconsfiure  692*. 
Terakrylsfinre  509. 
Terebinsfture  508,  800. 
Terpenjls&nre  508. 
Tetra-acetylendicarbonsfture  698. 

—  acetylschleimsSure  821. 

—  Sthvl-halborthooxalat  647*. 
liamstoff  1055. 

—  —  pyrophosphat  210. 

Silicat  210. 

tetrazon  249. 

thiohamstoff  1065. 

—  brom-äthan  556. 

—  —  capronsäuren  518. 

methan  536*,  541. 

Stearinsäure  520,  730. 

—  carbonsSuren  704  ff. 

—  chlor-äthane  555. 

äther  198. 

kohlenstoff  541. 

—  —  methan  536*,  540,  541. 
methyläther  613. 

—  cosan  128*,  134. 

—  decan  128*,  134. 

—  decyl-acetat  360*, 

—  —  alkohol,  normaler  149*,  168. 
amin  237*, 

bemsteinsäure  671*. 

—  decvlen  441*,  452. 

—  —  bromid  546*. 

—  decyliden  461*. 

—  decylpalmitat  860*. 

—  fluormethan  548. 

—  jodmethan  543. 

—  methyl-äthylen  568. 

glykol  568. 

oxyd  568. 

allen  464. 

—  —  bemsteinsäure  671*. 

—  methylen-  (Radical)  534. 
bromid  552. 

—  —  diamin  630. 

—  methyl-methan  128*,  133. 
sulfamid  240. 

71* 


1124 


Begister. 


■-»-   - 


Tetra-methyltetrazon  249. 

—  nitromethan  624. 

—  oxy-adipinsäuren  817—821,  908. 
benisteins&ure  986. 

—  —  capronsäure  776. 

—  —  Stearinsäure  520,  787. 

—  —  yaleriansäurcn  776. 

—  thiopenton  426. 
Tetrazone  248. 
Tetrinsäure  969. 
Tetronal  574. 
Tetrolsäure  517. 
Tetrosen  891. 

Thallium,  Alkylverbindungcn  des  — s  288. 

—  diäthylchlorid  288. 

—  triäthyl  288. 
Tliein  1088. 
Theobromin  1087. 
Theolin  s.  Abietin. 
Theophyllin  1087. 

Thermometer,  Controle  der  —  117. 
-thial  (Endung)  1095. 

Thialdin  425. 
Thio-acet-aldehyde  424. 
amid  376. 

—  —  essigester  968. 

—  acetone  425. 

—  äther  216. 

—  alkohole  213  ff. 

—  äthylcrotonsäuren  788. 

—  äthylenglykol  574,  576. 

—  aldehyde  420  ff. 

—  —  Nomenclatur  der  —  1095. 

—  ameisensäure  364. 

—  amide  345,  375. 

—  anilide  376. 

—  benzophenon  421. 

—  bcrnsteinsäureanhydrid  660. 
--  Carbamid  s.  Thioharnstoff. 

—  carbonylchlorid  1047. 

—  cvansäure  1014  ff. 

—  diglykol  577. 

Chlorid  621. 

säure  749. 

—  dimethylcnmercaptan  421. 

—  essigsaure  365. 

—  —  ester  865. 

—  formaldehyd  423. 

—  -  glykol  574. 
säure  749. 

—  hamstoff  1062. 

—  hydantoin  1076. 

—  imidsäuren  375. 
--  ketone  420  ff. 

—  kohlensauren  1048. 
-thiol  (Endung)  1048,  1095. 
Thiolkohlensäure  1048. 

—  äthylester  1049. 
Thiomctaformaldehyd  424. 
-thion  (Endung)  1048. 
'Iliionkohlensäure  1048,  1049. 

—  diäthylester  1049. 


Thionthiolkohlensäure  1048,  1049. 

—  ester  1050. 
Thio-paraformaldehyd  423. 

—  phosgen  1047. 

—  propionamid  376. 

—  Propionsäure  365. 

—  säuren  844,  863. 
Thiosinamin  1064. 
Thio-sulfosäuren  224. 

—  ureide,  cyclische  1074. 

—  urethane  1065. 

—  valeraldehyd  425. 
Tiglin-aldehyd  527,  528*. 

—  säure  505. 

dibromür  728. 

Trauben-Säure  801,  807—810,  812—814. 

—  zucker  898. 
Trehalose  920. 
Triacetamid  373. 
Triacetin  586. 
Triaceton-alkamin  417. 

—  amin  416. 

—  diamin  416. 
Triacetonin  417. 
Triacetyl-essigester  979. 
Triätliyl-amin  237*,  244. 

—  —  oxyd  251. 

—  arsenit  210. 

—  arseniat  210. 

—  arsin  271. 
Sulfid  271. 

—  azoniumjodid  249. 

—  borat  210. 

—  cyanurat  1032. 

—  harnstoff  1055. 

—  hydroxylamin  251. 

—  imidocarbaminthiolsäureäthylcster  1065. 
Triäthylin  584. 
Triäthyl-isocyanurat  1032. 

—  phosphat  209. 

—  phosphin  264*. 

oxyd  266. 

Sulfid  263. 

—  phosphit  209. 

—  silicium Wasserstoff  276. 

—  silicol  276. 

—  stibin  272. 

—  tellurchlorid  227. 

—  thioharnstoff  1064. ' 
Trialkyl-borine  274. 

—  phosphate  209. 
Triallylamin  482*. 
Triamylen  452. 
Triarachin  587*. 
Triazo-essigsäure  843. 

—  trimethylen  1034. 

tricarbonsäure  843. 

Tribrassidin  587*. 
Tribrom-äthylen  554. 

—  essigsaure  716. 

—  hydrin  555. 

—  propioualdehyd  867. 


Register. 


1126 


Tributylamin  237*. 
Tribu^n  587*. 
Tricarballylsäure  700. 

—  homologe  702. 
Tricarbonsäuren  698  ff. 
Tricetylamin  237*. 
Tricblor-acetaldehyd  s.  Cbloral. 

—  äthane  554. 

—  äther  198. 

—  Äthylalkohol  620. 

—  äthylen  554. 

—  aldoxim  865. 

—  amylalkohol  620. 

—  brommethan  536*. 

—  butylalkohol  620. 

—  essigsaure  712,  715. 

—  hydrin  555. 

—  isopropylalkohol  620. 

—  methylflulfo-chlorid  223. 
säure  223. 

—  milchsäure  755. 

—  nitromethan  624. 

—  phcnomalsäure  980. 

—  propan  555. 
Tricosan  128*,  134. 
Trieyan-ring  1028. 

—  Verbindungen  1028  ff. 
Tridecan  128*,  134. 
Tridecyl-amin  237*. 

—  Cyanid  296*. 

—  säure  312*. 
Trielaidin  587*. 
-trienreihe  467. 
Trierucin  587*. 
Trigalactangeddinsäure  931. 
Triglyceride  587*. 
Trihexylamin  237*. 
Triiso-amyl-amin  237*. 

—  —  phosphin  264*. 

—  butyl-amin  237*. 

—  —  phosphin  264*. 

—  nitrosopropan  860. 
Trilaurin  587*,  588. 
Trimeihintriazimid  1034. 
Trimethyl-acetaldehyd  398*. 

—  äthylen  441*,  451. 

—  äthylmethan  128*. 

—  amin  237*,  243. 

—  bemstcinsäure  671*. 
•—  borat  210. 

—  brenztraubensäure  960. 

—  carbincyanid  296*. 

—  carbinol  s.  Butylalkohol,  tertiärer. 

—  cyannrat  1032. 
Trimethylen  430. 

—  (Radical)  534. 

—  bromid  550 — 551. 

—  carbonsäure  496,  501. 

—  Chlorid  551. 

—  Cyanid  673. 

—  diamin  629. 

—  glykol  569. 


Trimethylen-imin  629. 

—  Jodid  551. 

—  oxyd  569. 

—  tetrasulfid  421. 

—  trinitrosamin  403. 

—  trisulfon  424. 
Trimethyl-essigsäure  312*,  331. 
nitril  296*. 

—  glutarsäure  664,  674,  676*. 

—  hamstoff  1055. 

—  isocvanurat  1032. 

—  methan  s.  Isobutan. 

—  phosphat  209. 

—  phosphin  264*. 

oxyd  266. 

Sulfid  263. 

—  stibin  272. 

—  vinylammoniumhydroxyd  479. 

—  xanthin  1088. 
Trirayristin  587*. 
Trinitro-acetonitril  826. 

—  äthan  624. 

—  methän  623.  ** 
Trioctylamin  237*. 

Triolein  511,  587*,  588. 
Trional  574. 
Trioaen  891. 
Trioxy-buttersäure  775. 

—  glutarsäuren  816—817,  906,  912. 

—  isobuttersäure  776. 

—  Stearinsäuren  787. 
Tripalmitin  587*,  588. 
Tripropylamin  237*. 
Trisaccharide  921. 
Tristearin  587*,  588. 
Trithioacet-aldehyde  424. 

—  aldehyd-trisulfon  425. 
Trithio-aceton  426. 

—  formaldehyd  423. 
Trithiokohlensäure  1048,  1050. 
IViticin  928. 
Trockenapparatc  113. 
Trocknende  Oele  520. 

—  Oelsäuren  520. 
Tunicin  934. 
Turanose  921. 
Tubnbull's  Blau  1007. 
Typentheorie  54. 

Umbellulsäure  334. 
-un  (Endung)  97,  534. 
Undecan  128*,  134. 
Undecolsäure  519. 

ITndecy  1-alkohol ,    secundärer    s.    Methyl- 
nonylcarbinol. 

—  Cyanid  296*. 

—  säure  509. 

—  —  bibromid  519. 
Undecyliden  461*. 
Undecylsäure  312*. 

—  Halogenderivate  der  —  721. 


1126 


Register. 


Ungesättigte  Verbindungen  96,  427  ff. 
Uracilderivate  1079. 
Uramido-crotonsäureester  1079. 

—  essigeäure  1075. 

—  säuren  1072. 
Uraminsäuren  1072. 
Uramil  1078. 

Ureide  1055;  cyclische  1072  ff. 
Urethan  1059. 
Urethane  1058. 
Urochloralsäure  952. 
UrsÄuren  1072. 
Uvitinsäure  958. 
Uvitonsäure  959. 


Valenz  57. 
Valer-aldehyd  398*. 

—  amid  369*. 

Valeriansaure,  normale  311,  812%  329,  343. 

—  active  331. 

—  Halogenderivate  der  —  717*,  720. 

—  äthylester  859*. 

—  nitril  296*. 
Valerolacton  343,  763. 
Valeiyl-  (Radical)  304. 
Vaporimeter  158. 
Vaselin  136. 

Verseifungssahl  593,  594*. 
Vinaconsäore  496. 
Vinyl-  (Radical)  469. 

—  äthyläther  477. 

—  alkohol  476. 

—  amin  478. 

—  bromid  471. 

—  Chlorid  471. 

—  dlacetonamin  418. 
— .  essigsaure  496,  501. 

—  halogene  470,  471. 

—  Jodid  471. 

—  Propionsäure  505. 

—  quecksilberoxychlorid  477. 

—  sulfid  478. 

—  trichlorid  554. 
Violursäure  1078. 


Wachs,  chinesisches  339. 

—  arten  361,  571,  766. 
Wahrath  168,  361. 

Wasser,  moleculare  Gefrierpunktsdepres- 
sion für  —  50. 

—  Stoff,  Bestimmung  von  —  10  ff. 

—  —  Prüfung  auf  —  8. 

—  Strahlluftpumpe  109. 
Wein-essig  342. 

—  geist  s.  Aethylalkohol. 


Wein-Säuren  800—814. 
,  Homologe  der  —  814. 

—  stein  802,  804. 
Weizenstärke  925. 
Wenigerdrehu^  882. 

Williamson's  Tneorie  der  AetherbUdung 

191. 
Wismuth,  Alkylverbindungen  des  — s  273. 

—  triäthyl  273. 

—  trimethyl  273. 

Wünderlioh's  stereochemische  Anschauun- 
gen 435. 
Weisskalk  343. 


Xanthan  Wasserstoff  1014. 
Xanthin  1086. 

—  körper  1086  ff. 
Xanthochelidonsäure  993. 
Xanthogen-amid  1065. 

—  säuren  1049. 

—  Säureester  1050. 
Xeronsäure  693*. 
Xylan  931. 

Xylit  606,  912. 
Xyliton  531.     . 
Xylonsäure  776. 
Xylosc  898,  908,  912. 


-yl  (Endung)  121,  304 
-ylen  (Endung)  436,  533. 
-yliden  (Endung)  533. 

Zellstoff  931. 

Zink,  Alkylverbindungen  des  — s  283  ff. 

—  äthyl  284*. 

—  äthylat  160. 

—  iso-amyl  284*. 
butyl  284*. 

—  methyl  284*. 

—  propvl  284*. 

Zinn,  Alkylverbindungen  des  — s  278 ff. 

—  diäthylverbindungen  280. 

—  dimethylverbindungen  280. 

—  tetra-äthyl  280. 
methyl  279. 

— -  triäthylverbindungen  280. 

—  trimethylverbindungen  279—280. 
Zucker-arten  876  ff. 

spaltbare  9i5ff. 

—  couleur  941. 

—  Industrie  935  ff. 

—  lactonsäure  820. 

—  säuren  819—820,  908,  911. 
Zündhütchen  1027. 


Druckfehler  nnd  Berichtignngen. 

Statt  1 -003665 1  in  der  unten  stehenden  Formel  lies:  0-003665  t. 

Zeile  20  von  oben  (Siedepkt  d.  Phosphorpentasulfids)  statt  530^  lies:  520^ 

Zeile  17  von  unten  statt  „werden"  lies:  worden. 

Zeile  10  von  oben  statt  CjHj.OCIO^  lies:  CjEgOClO,. 

Zeile  10  von  unten  statt  CjHjCOgH  lies:  CgHgCOjH. 

Zeile  3  von  oben  statt  — C^       lies:  —C^r      . 

In  der  2.  Grleichung  von  oben  statt  Zn(OHs)  lies:  Zn(OH)^, 
Zeile  3  von  unten  statt  ,,cencentrirte"  lies:  concentrirtc. 
Im  Literaturcitat  Nr.  3  füge  hinzu:  Ber.  21,  2256. 

GHg  Crlg 

CHJ  CHJ 

Zeile  11  von  unten  statt   |  lies:      I 

CH,  ÖH, 

In  der  vorletzten  Zeile  der  Citate  ist  vor  ^^Maskelyne"  die  Nummer  „**^ 

zu  ergänzen. 

Bei  den  Citaten  sind  die  Nummern  „6"  und  „7"  durch  1  und  2  zu  ersetzen. 

Zeile  5  von  oben  statt  „Jodwasserstoffen^ '  lies:  Jodwasserstoff. 

Zeile  9  von  unten  lies  statt  „CUi*CH,  .  .  ,^'  beide  Male:  OH, -OH,  .  .  . 

Zeile  8  von  oben  statt  ,,SH'*  lies:  OH. 

In  der  1.  Gleichung  von  oben  statt  80(0- CjHj)  lies:  S0(0-C,H5)j. 

In  den  Citaten  statt  ,,Govan'*  lies:  Gowan. 

Zeile  2  von  oben  statt  „SH"  lies:  OH. 

Zeile  8  von  unten  statt  „Septadecylamin"  lies:  Heptadecylamin. 

Zeile  2  von  oben  statt  NC  lies:  NO,. 

Zeile  17  von  oben  statt  C^HgH^O,  lies:  C^HgN^O,. 

Zeile  3  von  unten  statt  PC^CHs),  lies:  PClj.CjHg. 

Zeile  5  von  oben  statt  ^Jsomerien"  lies:  Isomeriefälle. 

Zeile  11  von  unten  statt  C,HeO,  lies:  C,H«Oa. 

In  der  1.  Gleichung  von  unten  statt  KH-CO,  lies:  KHCO,. 

Zeile  18  von  oben  statt  „Schwefelwasserstrom''  lies:  Schwefelwasserstofi&trom. 

Zeile  20  von  unten  statt  „Eissigsäure**  lies:  Essigsäure. 

Zeile  9  von  unten  statt  „Grünspahn^*  lies:  Grünspan. 

CHg — CH|N. 
Die  Valeriansäureformel  Nr.  3  ändere  um  in:  >CH— CO,H. 

ch/ 

In  der  Seitenüberschrift  statt  „Myvistinsäure"  lies:  Myristinsäure. 

.NH,  ^NH 

„    346.    Zeile  1  von  oben  statt  H •  C<  lies:    H-Cf 

\NH,  \NH, 


Seite  44. 

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322. 

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829. 

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336. 

1128  Druck  fdder  und  Benchtigungen. 


Seite  378.  Zeile  4  von  oben  statt  ß.CO<  lies:   R.C< 

385.   2^ile  10  von  oben  statt  Säurechlord  lies:  SäurechloricL 

899.  Zeile  6  von  oben  schalte  zwischen  ,,einem''  und  „gehaltenen"  ein:  ),geheim". 

451.   2jeile  7  von  unten  statt  Amylenylykol  lies:  Amylenglykol. 

454.  In  der  zweiten  Gleichung  (von  oben)  lies  K  und  KOI  statt:  Na  und  NaCL 

467.  Zeile  18  von  oben  statt  CH=C— C^C  lies:  CH::eC— C=:CH. 

509.   Zu  den  Citaten  unter  Nr.  3  füge  hinzu:  Hazüra  u.  Gbüssner,  Monatsh.  0, 

950  (1888). 
514.   In   den   Citaten   schalte   auf  Zeile  2   von   unten   hinter   ^^Monatsh.*^  ein: 

9,  948  (1888); 
519.  Zu  den  Citaten  unter  Nr.  8  fuge  hinzu:  Hazura  u.  Gbüsskeb,  Monatsh.  0, 

952  (1888). 
536.  In  der  Tabelle  Sndere  die  Angabe  über  das  spec.  Gew.  des  Chloroforms 

1  •  498  (15^)  um  in :  1  •  502  (15^). 
584.   Zeile  7  von  unten  statt  Glyridverbindungen  lies:  Glycidverbindungen. 
601.  Zeüe  7 von  unten  statt  Alkoholen  lies:  Alkohole. 
606.   Zeile  6  von  unten  statt  der  lies:  des. 

611.  Zeile  6  von  oben  statt  Conpemsation  lies:  Compensation. 

612.  Zeile  7  von  oben  statt  Mannoctit  lies:  Mannooctit 
636.   Zeile  10  von  unten  statt  Chloräthylsulfsäure  lies:  Chloräthylsulfosäure. 
646.   Zeile  3  von  unten  statt  oxychorids  lies:  oxychlorids. 
646.  In  den  Citaten  Zeile  1  von  unten  fäge  vor  Gerhardt  die  Ziffer  ^  zu. 
664.   In  der  Seitenüberschrift  statt  Bemsteinsäuren  lies:  Bemsteinsfture. 
685.   Zeüe  2  von  oben  statt  äure  lies:  säure. 
689.   Zeile  6  von  unten  statt  möglich  lies:  möglichst. 

712.   Gleichung  2  von  oben  statt  CO,H  •  CBr :  CH  -  CO,H  lies :  CH,  •  CBr :  CH •  CO,n. 
730.   Zeile    6   von  unten   statt  Linolensäuretetrabromid  lies:   LinolensäorehexH- 

bromid. 
745.  Zeüe  3  von  oben  statt  CHgCHs-COjH  lies:  CH.CHjCOjH. 
767.  Zeüe  10  von  oben  statt  werden  lies:  worden. 

776.  Zeüe  1  von  oben  8tatt(CH,  •  OH),CH(OH)  •  COjH  lies :  (CH,  •  OH^C(0H)C0,H. 
796.^ Zeüe  2  von  unten  statt  Materialen  lies:  Materialien. 
808.   Zeile  9  von  oben  statt  Säuren  lies:  Säure. 

817.  Zeile  1  von  unten  statt  structurdcntischen  lies:  strocturiden tischen.    • 
826.   Zeile  3  von  unten  statt  Nitropionsäure  lies:  Nitropropionsäure. 
847.   Zeüe  11  von  unten  statt  CH,.CO-CO-CHn  lies:  CHj-CO— COCHj. 
866.   Zeile  13  von  unten  statt 


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7» 


77 


0 CH .  CCI«  /0-CH .  CGI, 

CClg.CIK  I  lies:    CC1,.CH<         | 

\C0— CO  \0— CO 

869.     Zeile  0  von  oben  statt  bcclandclt  lies:  behandelt. 


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